Berlin hat erst vor ein paar Wochen seine China-Strategie veröffentlicht. Welche Impulse hat diese denn für Brüssel gegeben?
Die Kollegen in Deutschland haben eine sehr umfassende Strategie erarbeitet. Hier hat einer der wichtigsten europäischen Partner einen wichtigen Beitrag im Rahmen der europäischen Positionierung zu China geleistet. Die Strategie ist Teil der gemeinsamen EU-Position gegenüber China – und unterstützt und verstärkt diese, indem sie die EU-Strategie in die Notwendigkeiten und Möglichkeiten eines Mitgliedstaates übersetzt. Und zwar für die nationale, landes- und kommunale Ebene, für die offiziellen Institutionen, ebenso wie für Universitäten oder für Unternehmen. Für mich ist das ein wesentlicher Beitrag zur Stärkung der EU und deren Politik gegenüber Peking. Es ist keine Abweichung oder ein neuer Impuls, sondern es ist die Umsetzung dessen, was im europäischen Rahmen steht. Ich bin froh, dass jetzt auch Deutschland das so gemacht hat, wie andere Mitgliedstaaten schon zuvor.
Im kommenden Jahr steht die Europawahl an. Denke Sie, China wird dabei und bei den Wahlkampagnen eine Rolle spielen?
Traditionell sind ja außen- und sicherheitspolitische Themen ganz selten überhaupt von wahlentscheidender Bedeutung. Ich denke, China spielt dabei eher mittelbar eine Rolle, und zwar insbesondere, wenn es um die wirtschaftlichen Verbindungen und Abhängigkeiten zwischen beiden Seiten geht.
Gibt es denn den Ansatz für die Europawahl, und auch generell, mehr gegen chinesische Desinformationen zu unternehmen? Gerade auf Plattformen wie X, besser bekannt als Twitter, sprießen diese ja ohne jegliche Einordnung.
Im jüngsten EEAS-Report zu Desinformation gab es ein Kapitel zur chinesischen Unterstützung für russische Informationsmanipulation. Wir haben bewusst chinesische Publikationen und Aktionen in den Sozialmedien eingebunden, angesichts ihrer stetig wachsenden Bedeutung. Und das vor allem in Ländern, wo China oftmals ein effizienter Verstärker von russischer Desinformation ist. Es ist wichtig, das nicht nur diplomatisch anzusprechen, wann immer die Möglichkeit besteht, sondern das auch konkret zu widerlegen, unter anderem mit Reaktionen in den sozialen Medien. Wir müssen hier die Dinge aktiv klarstellen.
Klarstellen kann man nur, wenn es Fakten gibt. Das ist zum Beispiel im Fall des verschwundenen Außenminister Qin Gang nicht möglich, da sein Verbleib immer noch unklar ist. Die Gerüchteküche brodelt. Hat man Ihnen dazu mehr Informationen gegeben? Der Besuch des EU-Außenbeauftragten Josep Borrell musste ja deshalb verschoben werden.
Da muss ich Sie enttäuschen. Wir sind relativ kurzfristig darüber informiert worden, dass der Besuch nicht mehr machbar war. Und anschließend wurde der Eindruck erweckt, dass es sich um ein gesundheitsbezogenes Problem handele. Was, nach wie vor, nicht ganz auszuschließen ist. Aber wir werden uns nicht zu dieser Frage äußern, denn das können nur die kompetenten chinesischen Stellen.
Gibt es bereits einen Termin für den EU-China-Gipfel?
Es ist geplant, den Gipfel in diesem Jahr abzuhalten, der Termin ist aber noch nicht festgelegt.
Haben Sie denn ein persönliches Highlight Ihrer Zeit als Asiendirektor des EEAS?
Da gibt es ziemlich viele. Eines war aber sicher, zu sehen, wie stark die Union jetzt bereit ist, sich breiter aufzustellen und proaktiv in eine so weit entfernte, aber immer enger mit uns verbundene Weltregion zu gehen. Dazu gehört als Highlight, dass wir 2021 mit allen Mitgliedsstaaten eine neue EU-Indo-Pazifik-Strategie erarbeitet haben, die wir 2022 trotz des beginnenden russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine auch voll begonnen haben, umzusetzen. Nirgendwo wurde das deutlicher als mit dem ersten Ministerforum für die Zusammenarbeit im indopazifischen Raum am 22. Februar in Paris, kurz vor dem Beginn der russischen Invasion. Europa konnte global handeln, trotz drohenden Krieges in seiner unmittelbaren Nachbarschaft. Das war für mich ein wichtiger Punkt.
Welche Entwicklungen halten Sie noch für wichtig?
Dass wir die Global-Gateway-Initiative nun langsam in die richtige Richtung bekommen haben und es eine ganze Reihe von konkreten Flaggschiff-Projekten gibt, die die grüne und digitale Transition voranbringen sowie zur Infrastrukturentwicklung und Konnektivität beitragen. Ich könnte Ihnen noch sehr viel mehr nennen, aber ich glaube, das sind ganz gute Highlights. Es gab in der Zeit aber auch eine Reihe von sehr negativen Erfahrungen, wie beispielsweise der Militärputsch in Myanmar oder die Entwicklungen in Afghanistan. Auch dass es immer mehr Interkontinentalraketen aus Nordkorea gibt, aber keinen Dialog mehr, ist besorgniserregend.
Was geben Sie Ihrer Nachfolgerin oder Ihrem Nachfolger denn mit für die Position?
Meiner Nachfolgerin oder meinem Nachfolger möchte ich vor allem raten, auch mittel- und langfristig zu denken und Dinge entsprechend vorzubereiten und nicht nur auf die aktuelle Lage zu blicken. Ich glaube, das ist ein wesentliches Manko unserer kollektiven Entscheidungsfindung, bei der man immer wieder versucht, sich zu einem Thema im Detail zu positionieren. Und in der Kompromissfindung zwischen allen Mitgliedsstaaten geht der Blick für das Ganze verloren. Das trifft nicht nur auf China zu.
Steht die Nachfolge denn schon fest?
Ich kann Ihnen nur sagen, dass die oder der Beste ausgewählt wird und dass der Auswahlprozess in vollem Gange ist.
Gunnar Wiegand war von Januar 2016 bis August 2023 Leiter der Asienabteilung beim Europäischen Auswärtigen Dienst (EEAS). Zuvor war er stellvertretender Leiter für die Abteilung Europa und Zentralasien sowie Direktor der Abteilung für Russland, Östliche Partnerschaft, Zentralasien und OSZE beim EEAS. Vor seinem Eintritt beim EEAS war Wiegand seit 1990 in verschiedenen Funktionen im Zusammenhang mit Außenbeziehungen und Handelspolitik bei der Europäischen Kommission tätig.
Wiegand wird nach der Sommerpause Visiting Professor am College of Europe im belgischen Brügge. Er wird dort Teil des Departments für EU International Relations and Diplomacy Studies.