Analyse
Erscheinungsdatum: 21. Juli 2023

Baden-Württembergs Mann in Berlin: „Wir müssen einen Stimmungswandel anstoßen“

Rudi Hoogvliet Grüne, Staatssekretär für Medienpolitik und Bevollmächtigter des Landes Baden-Württemberg beim Bund.Plenarsitzung in Stuttgart. 42. Sitzung des 17. Landtag von Baden-Württemberg. // 13.07.2022: Deutschland, Baden-Württemberg, Stuttgart. *** Rudi Hoogvliet Greens, State Secretary for Media Policy and Plenipotentiary of the State of Baden Württemberg to the Federal Government Plenary Session in Stuttgart 42 Session of the 17 State Parliament of Baden Württemberg 13 07 2022 Germany, Baden Württemberg, Stuttgart
Rudi Hoogvliet ist nicht nur Statthalter Baden-Württembergs in Berlin. Seit vielen Jahren gehört er auch zu den engsten Beratern von Winfried Kretschmann. Im Interview spricht der Grüne über den Streit beim Heizungsgesetz, die Nöte im Umgang mit der AfD und die Notwendigkeit, in Deutschland mit Risiken und Fehlern anders umzugehen.

Das Heizungsgesetz hat die Koalition und das Land gespalten. Warum haben die Grünen in diesem Streit so schlecht ausgesehen?

Die Bundesregierung war sich nach außen hin spürbar uneinig, das war der maßgebliche Grund. Die Koalitionspartner haben nicht an einem Strang gezogen. Und das bei einem Thema, das die Menschen unmittelbar betrifft und Konsequenzen hat für Haus, Hof und Wohnzimmer. Dadurch gab es Angriffsflächen für die Opposition und für Lobbyisten sonstiger Art, und die wurden weidlich genutzt.

Welche Verantwortung daran haben die Grünen?

Wir haben in diesem Fall ein ziemlich knackiges Tempo hingelegt. 16 Jahre wurde nichts in Sachen Klimaschutz gemacht, es gibt also erheblichen Nachholbedarf bei der Energiewende und der Transformation der Wirtschaft. Jetzt hat Robert Habeck damit angefangen, in einem bisher nicht bekannten Tempo und einer bislang nicht vorhandenen Konsequenz. Das hat natürlich Spuren hinterlassen.

Was hätten die Grünen besser machen können, um den Streit auch innerhalb der Koalition nicht so eskalieren zu lassen?

Es ist wahrscheinlich unausweichlich, dass es zu solchen Auseinandersetzungen kommt – übrigens auch in der Öffentlichkeit. Man hat Konsequenzen aus einer ernsten Lage gezogen, in einem Maße, das bislang unbekannt war in der deutschen Politik. Man hätte es wahrscheinlich sorgfältiger vorbereiten können, aber im Nachhinein ist man immer schlauer. Was wir jetzt machen müssen und was die Bundesregierung – oder zumindest der grüne Teil – auch tut, ist daraus zu lernen für das, was noch vor uns liegt. Wobei ich dazu sagen muss: Die wesentlichen Schritte und Gesetze für Klimaschutz und Energiewende sind eingeleitet. Jetzt muss man gucken, dass man sich auch wieder anderen Sachen zuwendet.

Waren Sie in diesem Konflikt zufrieden mit denen, die im Kampf für mehr Klimaschutz sonst sehr laut sind?

Die Organisationen und Verbände, die in diesem Segment unterwegs sind, sind sehr selbstbewusst und durchaus kritisch. Das führt manchmal dazu, dass sie auch die ihnen nahestehende Partei über die Maßen kritisieren, möglicherweise sogar mehr als die anderen. Da fragt man sich bisweilen: Weshalb gehen sie nicht zu einem SPD- oder FDP-Parteitag, sondern stehen bei uns vor der Tür?

Fühlen Sie sich schlecht behandelt?

Nein. Dass sie zu uns kommen, hängt mit Hoffnungen zusammen, die in uns gesetzt werden. Nur: Beim Thema Klimaschutz muss Bewegung nicht bei uns entfaltet werden, sondern bei den Koalitionspartnern.

Beim „Klimakanzler“ zum Beispiel?

Wer ist das?

Olaf Scholz nannte sich mal so.

Naja.

Haben die sogenannten Klimakleber einen atmosphärischen Einfluss auf den Heizungskonflikt gehabt?

Ich glaube, dass die drastischen Maßnahmen, zu denen sie gegriffen haben, ihrem Ansinnen geschadet und Sympathie verspielt haben. Insofern ist es nicht klug gewesen, so vorzugehen. Sie sind sicherlich nicht der einzige Auslöser dafür, dass Klimaschutz in der Mitte der Gesellschaft nicht mehr so hohe Anerkennung findet. Aber Sie haben daran mitgewirkt.

Was muss passieren, damit sich das wieder ändert?

Die Bundesregierung muss wieder mehr erklären, den Rahmen wieder besser setzen und deutlich machen, wo es hingeht. Eine Perspektive aufzeigen. All das, was Robert Habeck hervorragend kann – und vorhat für die nächste Zeit. Das ist richtig und absolut wichtig.

Inwieweit ist das zerstrittene Erscheinungsbild der Koalition verantwortlich für das momentane Erstarken der AfD?

Wenn wir jetzt bei Umfragewerten für die AfD von 34 Prozent in Thüringen sind und bundesweit bei über 20 Prozent, dann ist das eine Größenordnung, bei wir nicht mehr nur von Rechtsextremen reden können. Es handelt sich auch um viele zutiefst Unzufriedene. Und die kann man durchaus noch erreichen. Allerdings nicht durch eine zerstrittene Regierung. Das wird immer sehr negativ bewertet.

Wie ändert man das?

Das überragende Ziel jeder Regierung muss sein, einvernehmlich und konstruktiv für Land und Leute zu arbeiten. Das erwarten die Menschen zu Recht. Immerhin hat man sich ja geeinigt auf einen Koalitionsvertrag – und Vertragstreue muss von allen Partnern geleistet werden. Insofern hat die schlechte Performance schon große Bedeutung. Eine wichtige Rolle spielte aber auch die zugespitzte, aggressive, bisweilen populistische Auseinandersetzung, die von der Opposition geschürt und in Teilen auch medial geführt wurde.

In Baden-Württemberg wirkt das bislang ruhiger, friedlicher. Ein Argument für die Fortführung von Grün-Schwarz in Stuttgart war – mit Blick auf das Erreichen von Akzeptanz für die Energiewende – die Verankerung der CDU im ländlichen Raum. Hat das etwas gebracht?

Wir sind da vor gut sieben Jahren ein sinniges Bündnis eingegangen. Die Grünen in Baden-Württemberg sind von Anfang an zwar auch eine Partei gewesen, die eine Basis vor Ort hat. Wir sind gut vertreten in den Gemeinderäten; inzwischen sind wir in vielen davon die stärkste Kraft. Man muss aber unterscheiden zwischen einer Verankerung in der Kommunalpolitik und einer Verankerung in den Netzwerken mit Verbänden, Organisationen und etwa der Kirche. Da ist die CDU stark. Trotzdem gibt es einen triftigeren Grund, warum wir koalieren: die Tatsache, dass wir in relevanten Bereichen – Transformation der Wirtschaft, Energiewende, Klimaschutz, Artenschutz – mehr mit der CDU vereinbaren konnten als mit SPD und FDP.

In Sachen Windkraft hinkt Baden-Württemberg hinterher. Winfried Kretschmann hat neue Ausschreibungsbedingungen dafür verantwortlich gemacht. Ist das nicht eine faule Ausrede?

Es gibt einen klaren Zusammenhang zwischen den Ausschreibungsmodalitäten, die unter Peter Altmaier vereinbart wurden, und dem Knick in Baden-Württemberg bei Genehmigungen und dem Bau von Windanlagen. Da ging die Zahl rapide zurück, weil die Bedingungen für Investoren im Süden und Südwesten, wo der Wind nicht so stark weht, spürbar verschlechtert wurden.

Und wie wollen Sie das ändern?

Das hat sich schon deutlich gebessert. Der Ministerpräsident hat zu Beginn der Legislaturperiode auch eine Arbeitsgruppe eingerichtet, weil wir ein weiteres Problem identifiziert haben: Es braucht zu lange von der Idee bis zur Fertigstellung – sieben Jahre im Schnitt. Das ist jetzt halbiert worden und wir arbeiten daran, dass die Zeit weiter verkürzt wird. Wir haben auch das Thema Genehmigungen neu organisiert und jetzt rund 400 Anlagen in der Pipeline.

Was heißt das genau?

Die Zahl bezieht sich auf Anlagen, die schon gebaut werden, genehmigt wurden oder ausgeschrieben sind. Das Ziel von bis zu 1000, wie es im Koalitionsvertrag steht, hat der Ministerpräsident schon relativiert und gesagt: Er sei schon froh, wenn es fünfhundert werden. Das halte ich tatsächlich für machbar. Der Koalitionsvertrag muss in dem Fall auch genau gelesen werden. Da steht nicht drin, dass 1000 gebaut werden, sondern: „ (…) So können wir die Voraussetzungen für den Bau von bis zu 1000 neuen Windkraftanlagen schaffen.“

Welche Rolle spielen Kooperationen mit anderen Bundesländern bei der Energiewende? Sie haben 2022 zum Beispiel eine Wasserstoff-Allianz mit Bayern gegründet.

Die punktuelle Kooperation mit Bayern hat Tradition. Das gab es früher schon unter Teufel und Oettinger und fand eine Fortsetzung mit Kretschmann in Kooperation mit Seehofer und später mit Söder. Das rührt aus zwei einfachen Zusammenhängen. Erstens gibt es topografische Ähnlichkeiten. Zweitens und wichtiger sind Bayern und Baden-Württemberg die wirtschaftlichen Lokomotiven Deutschlands und haben herausragende wirtschaftliche Interessen. Da ist man zusammen stärker als allein.

Es droht aber auch Streit um Stromtrassen, vor allem zwischen dem Norden und dem Süden. Warum sind die nicht schneller gebaut worden?

Bei aller Wertschätzung: Das hängt schon mit dem Kollegen Seehofer zusammen, der die Trassen unter die Erde bringen wollte und sich damit auch durchgesetzt hat. Das macht es komplizierter und teurer. Außerdem haben wir auch hier das Problem mit den Genehmigungen. Alle 400 Meter gründet sich eine Bürgerinitiative, die sich dagegen wehrt und in Teilen dann auch alles verschleppt.

Müssten sich Bund und Länder zusammentun, um hier – Stichwort „überragendes öffentliches Interesse“ – endlich voranzukommen?

Zuallererst müssen wir einen Stimmungswandel anstoßen. Wir sind in einer Situation multipler Krisen, wir brauchen dringend Reformen, und die Anforderungen an alle Beteiligten sind hoch. Um das alles hinzubekommen, brauchen wir von allen eine größere Bereitschaft, ins Risiko zu gehen. Und wir benötigen eine höhere Fehlertoleranz, weil wir permanent Neuland betreten. Das war schon in der Pandemie so, und das ist bei der Energiewende nicht anders. Aber wenn jeder Fehler, der gemacht wird, dazu führt, dass der Untergang des Abendlands an die Wand gemalt wird, dann führt das zu einer verheerenden Unkultur der Fehlervermeidung. Deutschland steckt gerade in dieser Falle. Und aus der müssen wir raus.

Was verlangt das?

Wenn man neue Wege gehen muss, macht man unweigerlich Fehler. Solange man aus ihnen lernt, ist alles in Ordnung. Man hat das im vergangenen Jahr gesehen: Es gab ein mörderisches Tempo mit Blick auf die Sicherung der Energieversorgung. Dabei ging auch mal was schief und es mussten Korrekturen vorgenommen werden. Ergebnis: Wir sind super durch den Winter gekommen, weil Robert Habeck bereit war, ins Risiko zu gehen, und dabei natürlich den einen oder anderen Fehler gemacht hat. Und obwohl es im Verhältnis zur Fülle an Gesetzesvorhaben nur wenige waren und diese korrigiert wurden, wurde unentwegt auf den paar Defiziten und Fehlern rumgeritten. Jetzt, wo es läuft und wir den Winter gut hinter uns gebracht haben, wird darüber nicht mehr berichtet.

Wie groß ist die Angst, dass Unternehmen in den Norden abwandern, weil der Süden wegen der fehlenden Infrastruktur vielleicht viel mehr für den Strom zahlen muss?

Das ist eine Drohkulisse am Horizont. Es wäre verheerend, wenn es verschiedene Strompreis-Zonen gäbe. Warum? Weil es eine Milchmädchenrechnung ist, zu denken, dass die Unternehmen dann in den Norden Deutschlands gehen würden. Die, die es sich leisten können, gehen dann ganz woanders hin. Es gibt den Inflation Reduction Act in den USA, hochattraktiv für Firmen, die sich mit Abwanderungsgedanken beschäftigen – und auch Osteuropa, Asien und andere Regionen buhlen um unsere Unternehmen. Wenn wir nicht aufpassen, dann sind die Firmen einfach weg. Und das können wir uns nicht leisten.

Ein großes Thema ist derzeit auch der Fachkräftemangel. Baden-Württemberg wirbt schon seit fast zwei Jahren für ausländisches Personal – erfolgreich?

Es gibt noch keine Evaluierung der Kampagne, die auf mehrere Jahre angelegt ist. Insofern kann ich das nicht beurteilen. Aber es sind schon dicke Bretter, die man da bohrt. Es ist unbestreitbar eines der größten Probleme für die Unternehmen. Man merkt es auch im Pflegebereich und in der Gastronomie, überall fehlen die Leute. Da schlägt die demografische Entwicklung zu. Das sollte uns nicht überraschen, wir wissen seit Jahren, dass das kommen würde.

Aber?

So richtig etwas getan hat niemand, jetzt erleben wir die Folgen. Ich war jüngst in unserem Partnerland Burundi. Das ist ein armes, kleines Land in Ostafrika, in dem es aber Hochschulen mit gut ausgebildeten jungen Leuten gibt. An der Universität in Bujumbura gibt es ein Deutschzentrum, an dem mittlerweile 1500 Studenten Deutsch lernen. Zugleich gibt es eine hohe Arbeitslosigkeit unter den Akademikern. Das heißt, dort stehen gut ausgebildete Leute auf der Straße – hier sucht man händeringend nach Fachkräften. Da kann doch was zusammengehen. Und das ist nur eines von vielen Beispielen.

Ein Schlagwort in dem Zusammenhang ist der umstrittene „Spurwechsel“ für Flüchtlinge, die zwar hier integriert, aber nicht als Flüchtlinge dauerhaft anerkannt sind. Die Union im Bund hat sich immer gewehrt. Können Sie mit der CDU in Baden-Württemberg darüber sprechen?

Das ändert sich gerade. Vor ein paar Jahren war das Argument, hierbei drohe eine „Pull-Effekt“, der immer mehr Menschen anlocke, noch sehr stark verankert. Jetzt sind die Klagen der Unternehmen deutlich hörbar, auch für die CDU. Und das nimmt sie ernst.

Die Bundes-CDU hat jetzt die Idee einer eigenen Agentur als Anlaufstelle für alle Fachkräfte ins Spiel gebracht. Ist das eine gute Idee?

Da kann man drüber diskutieren. Wir haben unsere Agentur Baden-Württemberg International auch zum direkten Ansprechpartner für Interessenten und Unternehmen gemacht. Das Thema Fachkräfte bedarf einer eigenständigen Bearbeitung. Insofern bin ich da offen. Hauptsache, wir kriegen die Fachkräfte schnell und unbürokratisch.

Baden-Württemberg hat eine Weiterbildungskampagne gestartet. Was erhoffen Sie sich davon?

Da spielen das Thema „Lebenslanges Lernen“ und Umschulungen eine Rolle. Die Herausforderung ist, dass man sich nicht gegenseitig kannibalisiert in Deutschland. Der Fachkräftemangel hat sich inzwischen so verschärft, dass es alle Regionen betrifft. Deshalb hat es keinen Sinn, wenn Baden-Württemberg in anderen Regionen der Bundesrepublik wildert. Wir stellen mit unserer Fachkräfte-Kampagne bewusst nicht mehr auf das Inland ab, sondern konzentrieren uns aufs Ausland.

Der BDA-Hauptgeschäftsführer Steffen Kampeter sagte im Interview mit Table.Media, es brauche „mehr Bock auf Arbeit“. Er wurde dafür viel kritisiert. Wie sehen Sie das?

Da stoßen zweierlei Verständnisse von Arbeit aufeinander. Wir erleben auch in der Landesvertretung, dass immer mehr Leute auf die Work-Life-Balance schauen. Gleichzeitig gibt es viele Jobs, in denen man sich nicht groß selbst verwirklichen kann, sondern vor allem arbeitet, um Geld zu verdienen. Work-Life-Balance – die Debatte darum ist eine, die von Leuten geführt wird, die sich sowas auch leisten können. Die also besser verdienen und dadurch eher in der Lage sind, ein bisschen weniger Geld zu haben und dafür mehr Freizeit. Das ist eine privilegierte Situation, die viele nicht haben. Das Problem ist ein anderes.

Welches?

Ich habe die fehlende Risikobereitschaft und die damit einhergehende Fehlervermeidungskultur schon angesprochen. Ich ergänze um eine schwindende Selbstverantwortung. In unserem Land fehlt dramatisch die Bereitschaft, ins Risiko zu gehen, etwas zu gründen. Hinzu kommt die selbstverständliche Annahme, dass der Staat es schon für mich richten wird. Das tut dem Land nicht gut. Das Geld kommt nicht aus der Druckmaschine, es muss erarbeitet werden. Und erarbeitet wird das von innovativen, risikobereiten Menschen, die Unternehmen gründen, sich um ihre Mitarbeitenden kümmern und gemeinsam mit ihnen eine Erfolgsstory hinlegen. Wenn die Leute dagegen denken „Das wird schon werden“ und am Ende nur auf den Staat setzen, dann haben wir verloren.

Letzte Aktualisierung: 24. Juli 2025
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