Vielleicht zum letzten Mal unter solcher Begleitung durch Überlebende haben zahlreiche Politiker aus der ganzen Welt der Befreiung des KZs in Auschwitz gedacht. Am 80. Jahrestag ging es auf dem Gelände des ehemaligen Lagers darum, noch einmal den Zeitzeugen eine Stimme zu geben – und so dem „Nie wieder“ ein unvergessliches Gesicht.
Auch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, Bundeskanzler Olaf Scholz, Bundesratspräsidentin Anke Rehlinger und Vizekanzler Robert Habeck waren nach Polen gekommen, um in dem heute zu einem Gedenkort umgebauten Todeslager dabei zu sein. Die Nazis hatten dort rund 1,2 Millionen Menschen ermordet. Steinmeier machte deutlich, dass es für Deutschland kein Wegschauen und kein Vergessen dieses Kapitels der deutschen Geschichte geben könne. „Erinnerung kennt keinen Schlussstrich und Verantwortung deshalb auch nicht.“ Steinmeier widersprach allen Behauptungen, nach denen Deutschland die „deutsche Schuld“ hinter sich lassen müsse. Die Monstrosität des Menschheitsverbrechens sei „beispiellos“.
Josef Schuster, Präsident des Zentralrats der Juden, forderte wie die mitreisende CDU-Bildungsministerin Karin Prien aus Schleswig-Holstein eine aktivere Erinnerungskultur in den weiterführenden Schulen. „Die Empathie für diese Opfer entsteht durch den Besuch hier vor Ort“, sagte Schuster. Er wünsche sich, dass alle Schüler in Deutschland mindestens einmal in ihrer Schulzeit eine KZ-Gedenkstätte besuchen sollten. Auch die Lehrer müssten entsprechend ausgebildet werden. „Wenn einer auf dem Schulhof ,Du Jude‘ sagt, wissen viele Pädagogen nicht, wie sie damit umgehen sollen.“ Der wachsende Antisemitismus in Europa besorge ihn, so Schuster. In der Jüdischen Allgemeinen hatte der niederländische Autor Leon de Winter, Sohn jüdischer Eltern, die den Holocaust in einem Versteck überlebten, prophezeit, dass in wenigen Jahren alle Juden Europa verlassen würden, weil ein „unschuldiges Leben als erkennbarer Jude“ nicht mehr möglich sei.
Die Äußerungen von Elon Musk bei der AfD zwei Tage zuvor stehen in eklatantem Widerspruch zu diesem besonderen Erinnern an das Menschheitsverbrechen der Nationalsozialisten. Obwohl die AfD-Vorsitzende Alice Weidel behauptete, sie bekämpfe Antisemitismus, ließ sie Musk und sich am Samstag für Sätze feiern, die das Gegenteil proklamieren. Unter dem Jubel der AfD-Anhänger hatte der Amerikaner die Rechtsaußen-Partei aufgefordert, den Holocaust hinter sich zu lassen. „Es gibt zu viel Fokus auf vergangene Schuld, ihr müsst wirklich mal darüber hinwegkommen“, sagte Musk per Video-Schalte. Deutsche Kinder sollten sich der Schuld vergangener Generationen entledigen. „Es ist wirklich wichtig, dass die Leute stolz darauf sind, deutsch zu sein“; es sei nötig, „das nicht zu verlieren in einem Multikulturalismus, der alles eliminiert“.
Musk zog verbal eine Linie zur Rhetorik der Nationalsozialisten. Er habe gelesen, wie Caesar die Germanen angriffen habe und sei vom Stolz der germanischen Kämpfer beeindruckt gewesen. „Die Deutschen sind eine antike Nation, das geht Jahrtausende zurück.“ Eine Formulierung, die an jene vom „tausendjährigen Reich“ erinnert, für das Adolf Hitler warb. Musk fügte hinzu, Deutschland leide unter „zu viel Kontrolle von globalen Eliten“ – eine klassische antisemitische Chiffre. Dass Musk in der Vergangenheit schon gegen den „Hass gegen Weiße“ durch Juden Stimmung gemacht hat, störte die AfD nicht; ebenso wenig sein faschistischer Gruß fünf Tage zuvor bei Trumps Amtseinführung.
Was das politisch und historisch bedeutet, ordnete der Direktor der Gedenkstätte Yad Vashem, Dani Danyan, umgehend ein. In seiner Reaktion auf Musk rückte er in den Vordergrund, was der Milliardär und seine AfD-Fans verdrängen möchten: „Erinnerung und Anerkennung der düsteren Vergangenheit des Landes und seiner Leute sollten zentral bei der Formung der deutschen Gesellschaft sein.“ Darin zu scheitern, sei „ein Angriff gegen die NS-Opfer und eine klare Bedrohung für die demokratische Zukunft Deutschlands“.
Ähnlich entsetzt und zornig hatte sich Polens Regierungschef Donald Tusk geäußert. Und er war es auch, der das Zusammenfallen mit dem 80. Jahrestag der Auschwitz-Befreiung thematisierte. Musks Worte seien nur „allzu bekannt und verdächtig – besonders Stunden vor dem Jahrestag“. Selbst die „Republikaner gegen Trump“, mit fast 800.000 Followern auf X, verurteilten Musks Aussagen: „Die einzige Hoffnung ist, dass diese Kommentare […] der AfD in der Wahl nächsten Monat schaden.“