Kurze Hoffnung im Asylkonflikt, dann das Scheitern: Nach gut zwei Stunden verließen die Verhandler der Unionsfraktion das Bundesinnenministerium. Fürs Erste gibt es keine Einigung auf einen gemeinsamen Weg in der Asylpolitik. Schuldzuweisungen gab es auf beiden Seiten. Ampel wie Union warfen sich gegenseitig vor, Vorschläge zu machen, die entweder nicht schnell wirken oder juristisch nicht machbar seien. Ergebnis: Ampel und Union haben es fürs Erste nicht geschafft, ein für die Gesellschaft großes Problem zu lösen. Unübersehbarer Nebeneffekt: Der Druck der Union hat die notorisch zerstrittene Koalition zum ersten Mal seit langem wieder zusammengeführt.
CDU und CSU hatten verlangt, dass Bundespolizisten an der Grenze künftig alle Menschen zurückweisen, die aus einem anderen EU-Land kommen und Asyl wollen. Nach ihrer Auffassung sei das juristisch zwar nicht unumstritten, aber möglich – und es sei politisch unverzichtbar, weil nur dieser Schritt sicherstelle, dass sich sehr schnell und für alle spürbar etwas ändert. Im Vorfeld verwiesen sie mehrfach auf eine Rechtsprüfung, die im BMI unter dem früheren Minister Horst Seehofer durchgeführt wurde. Sie besage, dass dieser Schritt in Notlagen möglich sei.
Innenministerin Nancy Faeser wies die Forderung trotzdem zurück. Im Bündnis mit Justizminister Marco Buschmann und Außenministerin Annalena Baerbock erklärte sie, dass die Idee der Union rechtlich und politisch nicht vertretbar sei. Buschmann betonte, man könne von einer Bundesregierung nicht verlangen, „dass sie sich offen in Widerspruch zum Grundgesetz und zum europäischen Recht setzt“. Baerbock verwies auf erste Reaktionen aus Österreich und Polen, die die Unionspläne scharf kritisiert hätten. Die Ampel und auch die Grünen seien fest entschlossen, die illegale Migration mit allen legalen Mitteln zu bekämpfen, so Baerbock. Aber: „Wir würden den Terroristen nur einen großen Gefallen tun, wenn wir uns darüber in der EU zerstreiten.“
Die Ampel hatte der Union als Alternative angeboten, grenznahe Zentren für beschleunigte Asylverfahren zu errichten. In diesen sollen Asylgesuche schnell und rechtssicher durchgeführt werden. Faeser betonte, dass gerade illegale Migration durch die zwangsweise Aufnahme in solche Zentren besser kontrolliert werden könne als durch schlichtes Abweisen, bei dem niemand wisse, ob diese Menschen nicht sofort einen neuen Versuch über die grüne Grenze unternehmen würden. Doch obwohl alle Ampelparteien ähnliche Forderungen aus der CSU in den Jahren 2015 und danach noch vehement abgelehnt hatten, reichte der Vorschlag der Union jetzt nicht mehr aus. Sie kritisiert, dass dies zu lange dauern würde und die Menschen deshalb nicht schnell genug Änderungen vom Bisherigen erkennen könnten.
Beide Seiten wissen, was das Scheitern bedeutet. Die erste Botschaft lautet: Die demokratische Mitte hat es nicht geschafft, eine gemeinsame Lösung zu finden. Aus diesem Grund gab es aus der Ampel und aus der Union am Dienstagabend versöhnliche Töne. Aus der Unionsfraktion hieß es, man werde die Migrationspolitik der Ampel im Bundestag „kritisch konstruktiv begleiten und eigene konstruktive Vorschläge einbringen“. Die unmissverständliche Betonung lag auf: konstruktiv. Aus der Ampel war zu hören, man werde die eigenen Vorschläge umsetzen, sich aber weiteren Gesprächen auf keinen Fall verschließen.
Eine etwas andere Ton- und Lesart lieferte am Abend Christian Lindner. Er kritisierte den Abbruch der Migrationsgespräche durch die CDU scharf. „Hier ist der CDU ein taktischer Fehler unterlaufen. Die CDU fordert völlig zu Recht eine Zurückweisung an den deutschen Grenzen, und dazu ist die Ampel-Koalition auch bereit“, sagte Lindner Table.Briefings. „Wir sind bereit, das Modell der CDU zu übernehmen, aber dann müssen alle gemeinsam die verwaltungsrechtlichen Risiken übernehmen.“ Damit spielte der FDP-Vorsitzende auf die rechtlichen Risiken einer möglichen Zurückweisung von Asylbewerbern an den deutschen Grenzen an. Laut Lindner sei die CDU trotzdem aufgestanden und habe die Gespräche verlassen. „Es gab offenbar ein Drehbuch. Da muss man nachsichtig sein und der CDU eine Selbstkorrektur ermöglichen.“ Keine Partei der Mitte profitiere davon, wenn das Thema Migration in den Bundestagswahlkampf gerate. „Es werden nur die Ränder profitieren.“ Warum ausgerechnet die Grünen am Dienstagabend aufatmeten, lesen Sie in der Analyse von Franziska Klemenz.