Analyse
Erscheinungsdatum: 22. Dezember 2024

Anschlag von Magdeburg: Warum viele in der Bundespolitik jetzt zur Besonnenheit aufrufen

Mögliche Konsequenzen wollen die Parteien in einer Sondersitzung des Innenausschusses am 30. Dezember besprechen. Darauf haben sich die Innenpolitiker von Union, SPD, Grünen und FDP geeinigt.

Politiker haben überwiegend mit Aufrufen zur Besonnenheit und Warnungen vor vorschnellen Schlüssen auf die erschütternde Tat von Magdeburg reagiert. Armin Laschet sagte Table.Briefings, das Profil des Täters zeige, „dass wir uns immer, einfach immer, vor Schwarz-Weiß-Beurteilungen hüten sollten“. Der Anschlag und die Motive des Täters seien „zu komplex, um sie für billige Polarisierung im Wahlkampf zu nutzen“, sagte der CDU-Politiker im Interview. Bund und Länder müssten über Parteigrenzen hinweg zusammenarbeiten.

Die Innenpolitiker von Union, SPD, Grünen und FDP einigten sich nach Informationen aus Fraktionskreisen bereits am Sonntagvormittag darauf, mögliche Konsequenzen in einer Sondersitzung des Innenausschusses am 30. Dezember zu besprechen. Am Samstag wurden die Obleute der Fraktionen aus dem BMI über die Tat informiert. „Konkrete Konsequenzen lassen sich noch nicht ziehen“, sagte der innenpolitische Sprecher der Union, Alexander Throm. „Politische Forderungen verbieten sich heute“, sagte SPD-Innenpolitiker Sebastian Fiedler. Thorsten Frei, der Parlamentarische Geschäftsführer der Unionsfraktion, zeigte sich in der ARD „insgesamt sehr optimistisch“, dass mit der SPD eine Einigung in Sicherheitsfragen erzielt werden könne.

Laschet hob hervor, dass viele Gewalttaten durch die Sicherheitsbehörden verhindert werden könnten. „Das zeigt, dass es grundsätzlich funktioniert.“ Gleichwohl müsse man „offenkundig weiter besser werden und Prioritäten richtig setzen“. Beispielsweise seien fast allen großen Terroranschlägen Hinweise ausländischer Geheimdienste vorausgegangen. „Wir müssen unsere Dienste stärken, damit wir selbst stärker im Anti-Terrorkampf werden.“ Mit Blick auf die mögliche Radikalisierung des Magdeburger Täters im Netz kritisierte Laschet, „dass auf manchen Plattformen keinerlei Regulierung mehr stattfindet“. Dies öffne Desinformation Tür und Tor. Fiedler fordert, radikalisierende Algorithmen in Social Media zu verbieten.

Allgemein wird der Anschlag als atypischer Fall betrachtet. Der Täter habe ein Profil, das einem islamistischen Täter ähnlich sei, aber zugleich weise er Merkmale des Rechtsextremismus auf. Vertreter der Parteien von ganz links und ganz rechts versuchen hingegen, die Tat für ihre Interessen zu instrumentalisieren. Im Netz kursieren zahlreiche Fake News rechter Gruppen, die von einem islamistischen Anschlag sprechen. Es sei „widerlich und brandgefährlich, wie über dieses furchtbare Ereignis von Rechtsextremen und Demokratiefeinden mit Fake News schamlose Lügen verbreitet werden“, sagte Kultur-Staatsministerin Claudia Roth Table.Briefings. Das sei „ein direkter Angriff auf unsere Demokratie“ und der Versuch, „Hass gegen viele Menschen in unserem Land zu entfachen und unser Zusammenleben zu vergiften“. Die Grünen-Politikerin forderte die Behörden auf, entschlossen dagegen vorzugehen.

Die Sicherheitsbehörden stehen in der Kritik. Nach der bisherigen Rechtslage können Polizisten Personen aufsuchen und ansprechen, sollte die Annahme begründet sein, dass diese Person die öffentliche Sicherheit stören wird („Gefährderansprache“). Dies ist in den Polizeigesetzen der einzelnen Bundesländer aber in der Regel eine Ermessensvorschrift („kann“), also spielten subjektive Einschätzungen eine Rolle, heißt es in Sicherheitskreisen. Konkret: Ob einem Hinweis nachgegangen wird, hängt oft an einzelnen Beamten und Ressourcen. In der Bundestagsfraktion der Union hieß es, es stelle sich die Frage, warum viele Behörden Warnungen erhielten, aber keiner wirklich sich um den Fall kümmern wollte. Es müsse diskutiert werden, ob der Bund eine zentrale Kompetenz für Gefährder benötige, schlug CDU-Innenpolitiker Philipp Amthor vor.

SPD-Mann Fiedler nennt die Diskussion über eine mutmaßlich versäumte Gefährderansprache einen „Nebenkriegsschauplatz“. „Wer glaubt denn, dass die Ansprache – vor einem Jahr – den Anschlag verhindert hätte?“ Personen wie Taleb A. müssen in professionelle Programme geschickt werden, entsprechende Angebote seien auszubauen. Von der Polizei NRW gibt es etwa das Projekt „Personen mit Risikopotenzial“ (PeRiskoP), in Hessen das ehrenamtliche betriebene „Netzwerk Amokprävention“ der Universität Gießen. Gefährderansprachen seien allein genommen nicht ausreichend.

Am Freitagabend war der später festgenommene 50-jährige Taleb A. mit einem geliehenen SUV in eine Menschenmenge auf dem Weihnachtsmarkt in Magdeburg gerast und hatte dabei fünf Menschen getötet. Mehr als 200 Menschen wurden verletzt. Taleb A. kam 2006 aus Saudi-Arabien nach Deutschland und war hier zum Facharzt für Psychiatrie ausgebildet worden. Nach eigener Darstellung unterstützte er insbesondere Frauen, die aus Saudi-Arabien fliehen wollten. Er trat im Netz als Kritiker des Islam auf und forderte eine restriktive Migrationspolitik. Auf X lobte er die AfD. Gegen deutsche Behörden entwickelte er offenbar eine tiefe Abneigung. Seit 2016 war er anerkannter Flüchtling, er schien gut integriert, arbeitete für die Flüchtlingshilfe.

Sowohl das Bundeskriminalamt als auch der Verfassungsschutz und die Polizei in Sachsen-Anhalt kannten A. Eine Aktivistin der säkularen Flüchtlingshilfe hatte nach diversen Posts Strafanzeige gegen ihn erstellt und vor einem Anschlag gewarnt. Dennoch gingen die Behörden 2023 in einer Gefährdungsbeurteilung von keiner konkreten Gefahr aus. Schon 2007 und 2009 durchlief A. eine sicherheitsrechtliche Überprüfung, wie die Welt berichtet. Mehrfach wandte sich A. in den vergangenen Jahren mit diffusen Vorwürfen an islamkritische Publizisten oder Journalisten, wünschte öffentlich Angela Merkel den Tod. All dies führte indes nicht zu einer engeren Beobachtung.

Letzte Aktualisierung: 24. Juli 2025
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