Analyse
Erscheinungsdatum: 13. November 2024

AfD: Über die große Entfremdung zwischen Alice Weidel und Tino Chrupalla

Das Spitzen-Duo der AfD hat sich nicht nur voneinander entfernt, es solidarisieren sich auch immer mehr Parteifunktionäre mit dem einen oder anderen Vorsitzenden. Die Tendenz ist gleichwohl klar: Weidel setzt sich durch.

Die Zeit der Eintracht zwischen den AfD-Bundesvorsitzenden ist vorerst vorbei. Während Alice Weidel und Tino Chrupalla früher recht glaubwürdig ihre Vertrautheit und Nähe bekundeten, bröckelt dieses Bild inzwischen nicht nur im Hintergrund, sondern teilweise auch auf offener Bühne. Bekannte Weidel sich im Duell mit Sahra Wagenknecht kürzlich zum Selbstverteidigungsrecht Israels, kritisierte Chrupalla in einer Bundestagsrede „exklusive Solidaritätsbekundungen“. Übersetzt ist das nichts anderes als eine unzweideutige Distanzierung.

Hinter dem Bruch steckt ein Vertrauensverlust. Trotz einer eidesstattlichen Versicherung von Chrupalla glaubt Weidel ihm dem Vernehmen nach nicht, dass er beim Bundesparteitag in Essen keine Stimmen gegen sie organisieren ließ, um besser dazustehen. Aus Weidels Umfeld ist zu hören, sie sei zu nachtragend, um das zu verzeihen. Chrupalla habe es sich mit seiner wichtigsten Verbündeten verscherzt.

Aus verschiedensten Ecken ist zu hören, dass sich inzwischen die meisten Funktionäre einem der Lager zuordnen ließen; auch wenn sich diese Lager zum Nachteil und vermutlich auch Widerwillen von Chrupalla gebildet haben. Aus dem Bundesvorstand stehen neben Weidels Weggefährten aus Baden-Württemberg, Marc Jongen, dem Vernehmen nach auch jene Mitglieder klar zu ihr, die zum Umfeld von Vize-Fraktionschef Sebastian Münzenmaier zählen: Dennis Hohloch aus Brandenburg, JA-Chef Hannes Gnauck, und der Europa-Abgeordnete Alexander Jungbluth. Viele weitere Funktionäre wie etwa Björn Höcke lassen sich Weidel zuordnen, er und Chrupalla können sich dem Vernehmen nach nicht mehr leiden – auch wenn Höcke sich bei einem Putsch-Plan gegen Chrupalla zu Jahresbeginn wohl nicht beteiligen wollte. Und doch: Eine Mehrheit der Funktionäre will die Partei früher oder später auf eine Einerspitze mit der beliebten Galionsfigur Weidel zuspitzen, unter der ein Generalsekretär wie Münzenmaier viel von dem übernehmen dürfte, was bislang Chrupalla tut. Inzwischen soll auch Weidel dieses Ansinnen verfechten. „Chrupalla ist auf dem absteigenden Ast“, ist vielfach aus Spitzenkreisen zu hören.

Zum Chrupalla-Lager lassen sich aus dem Bundesvorstand dennoch unter anderem zählen: Kay Gottschalk aus dem Landesverband NRW, Carsten Hütter aus Sachsen oder Peter Boehringer aus dem LV Bayern; außerdem mehrere Landesvorsitzende wie Martin Vincentz aus NRW oder Martin Reichardt aus Sachsen-Anhalt. Weidels Leute hätten eine Reihe von Funktionären aus Sachsen-Anhalt gerne los, so etwa Vize-Landeschef Hans-Thomas Tillschneider oder auch den Bundestagsabgeordneten Jan-Wenzel Schmidt. Zu Chrupallas engstem Kreis sollen Frank Pasemann aus Sachsen-Anhalt, sein Begleiter bei Presse-Events Christian Herm und sein Referent Dimitrios Kisoudis gehören. So mancher sagt, dieses Umfeld berate Chrupalla schlecht, was ihn zuweilen isoliere.

Die Lager trennt eher die Macht und weniger die Ideologie. Die früheren Trennlinien der Partei zwischen freiheitlich-marktwirtschaftlich und etatistisch beziehungsweise zwischen gemäßigt und radikal sind verblasst. Zwar gibt es immer noch Leute in der AfD, die hinter vorgehaltener Hand sagen, sie hätten nichts gegen queere Menschen oder „Ausländer“ und seien erschrocken über die Positionen ihrer Partei. Durchgesetzt aber hat sich in immer mehr Fragen die Annäherung oder Nähe zu ganz Rechtsaußen. Trennlinien verlaufen heute vor allem in taktischen Fragen – oder auch bei der Frage, wie die AfD mit teilweise höchst aggressiven Vorfeldorganisationen umgehen soll.

Im Chrupalla-Lager stören sich einige an neurechten Autoren und dem Schnellroda-Umfeld von Götz Kubitschek. Eher weniger scheuen sie dagegen Kontakte zum Reichsbürger-Milieu. Ohne einheitliche Linie geht es auch in außenpolitischen Fragen zu. Chrupalla stellt sich regelmäßig an die Seite Russlands und gegen die Nato; Weidels Leute bekennen sich tendenziell zur Westbindung Deutschlands, wenn auch sehr kritisch gegenüber Kriegsbeteiligungen. Noch komplizierter wird es beim Umgang mit dem Krieg in Nahost. Zahlreiche Weidel-Anhänger würden sich mehr Kritik an und eine klarere Distanz zu Israels Handeln wünschen. Diese Position, die der des BSW ähnelt, liefert aber nicht Weidel, sondern Chrupalla. Angesichts all dessen hat die AfD Glück, dass kaum jemand genau hinschaut. Anderswo wären solche Meinungsverschiedenheiten Auslöser heftigster Debatten.

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Letzte Aktualisierung: 24. Juli 2025

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