Analyse
Erscheinungsdatum: 30. April 2025

AfD: Die Entzauberung der Spitze

Offene Machtkämpfe will sich die AfD nicht mehr leisten, Kritik an der Führung läuft über leisere Kanäle. Besonders das Ende der Ära Chrupalla sehnen viele herbei, doch auch die Weidel-Welle ebbt etwas ab.

Wenn sie im Rampenlicht steht, weiß die AfD, es zu verstecken. Kein offener Argwohn, keine Entwürdigungen mehr. Die Partei ertränkt ihre Führung im Applaus. Wählt himmelhochjauchzend, skandiert ihre Mantren über erträgliche Frequenzen hinaus. Fast 94 Prozent der Abgeordneten wählen die Fraktionsspitze aus Alice Weidel und Tino Chrupalla nach der Bundestagswahl wieder, beim letztjährigen Parteitag bestätigen die Delegierten Weidel mit knapp 80 Prozent, Chrupalla gaben sie fast 83. Auf den Wahlkampfevents fluten wehende Nationalflaggen und blaue „Alice für Deutschland“-Herzen alle Säle.

Zerfleischt haben die Rechtsständigen sich jahrelang; als Erfolgsbedingung glattere Wogen ausgemacht. Bei Land- und Bundestagswahlen schneiden sie immer besser ab. In Umfragen ist die Bundespartei trotz drohenden Labels „gesichert rechtsextrem“ per Hochstufung durch den Verfassungsschutz seit Wochen stärkste Kraft, ein Viertel der Befragten würde sie wählen. Offene Kämpfe wollen die allermeisten Funktionäre zwingend vermeiden; nach außen professionell und einig wirken, Konflikte im Inneren klären. Der Jubel mag Kritik übertönen, wer genau hinhört, nimmt aber durchaus eine gewisse Entzauberung war.

Chrupallas wollen sich auch relevante Mitglieder von Bundes- und Fraktionsvorstand schon länger entledigen. „Chrupalla muss weg; die Frage ist nicht ob, sondern nur noch, wann“, ist immer wieder bis in höchste Ebenen zu hören. Für die Repräsentanz der für die AfD so entscheidenden ostdeutschen Länder spielte er lange eine wichtige Rolle. „Und er hat uns reihenweise Handwerker in die Partei geholt“, sagt ein Fraktionskollege über den Malermeister aus dem äußersten Ostsachsen.

Chrupallas Fehler sei gewesen, über die Rolle des Handwerkers hinauswachsen zu wollen, so analysieren es viele. In Reden übers Handwerk komme er authentisch rüber. Doch er wollte mehr, äußerte sich regelmäßig zu Geopolitischem, wirkte, als verstünde er die Worte seines Redenschreibers beim Vortragen nicht immer, verhaspelte sich, zeigte sich auf Nachfragen mitunter aufgeschmissen. „Ich schäme mich für solche Auftritte, das ist so peinlich“, sagt ein Kollege aus dem Bundesvorstand. Häme breitet sich auch über Chrupallas Auftreten auf Europa-Ebene aus. Bei Vorstands-Sitzungen der Partei Europäischer Souveräner Nationen (ESN) müsse ein Dolmetscher anwesend sein – weil Chrupalla kein Englisch verstehe, aber in den Vorstand wollte.

Auch Chrupallas Pro-Putin-Positionierung verfehlte den Geschmack auf Bundesebene oft. Davon, dass Chrupalla am 8. Mai in der russischen Botschaft das Ende des Zweiten Weltkriegs feierte, distanzierte selbst Weidel sich – wenn auch mit der Begründung, sie hätte die Niederlage Deutschlands nicht feiern wollen.

Auch bei sächsischen AfDlern hat Chrupalla Beliebtheit eingebüßt. Aus der eigenen Landesgruppe heißt es mitunter, er sei abgehoben; dass er ihre Kooperation mit den Holocaust-Leugnern der Freien Sachsen kritisierte, war für sie eins der Indizien; außerdem sein Entschweben, fort von den bodenständigen Themen. Gerade mit denen ergänzte er die Doppelspitze zu Weidel, der Wirtschaftsakademikerin aus dem Westen. „Chrupalla hat keine Rolle mehr, er repräsentiert nicht mehr den Osten“, sagt ein sächsischer AfDler.

Mit Weidels Kür zur Kanzlerkandidatin hat sich eine Hierarchie, die Überflüssigkeit Chrupallas manifestiert, auch über die Wahl hinaus. „Chrupalla ist Parteichef zweiter Klasse geworden, ein Geduckter“, sagt ein einflussreicher Funktionär. Chrupalla sei zwar fleißig, übernehme die „Drecksarbeit“ in den Niederungen von Partei und Fraktion, auf die Weidel keine Lust habe; aber es stellt sich einigen die Frage, warum ein Co-Sprecher notwendig ist, wenn er keine eigenen Themen oder Strömungen mehr besetzt, sondern vor allem Administratives übernimmt.

Führende Funktionäre drängen auf einen Generalsekretär, der die Doppelspitze ersetzt und nur noch einer Führungsfigur untersteht. Im Gespräch dafür ist immer wieder Fraktions-Vize Sebastian Münzenmaier, geschickter Netzwerker mit vergleichsweise professionell-freundlichem Antlitz trotz Hooligan-Vergangenheit, der seinen Führungsanspruch unaufdringlich genug formuliert, um nicht gegen sich aufzuwiegeln. Er gehört zu den Initiatoren des Generalsekretär-Modells, das schon beim Parteitag 2024 auf der Tagesordnung stand, dann aber in den Satzungsausschuss entschwand. Die nächste Chance kommt 2026. Bliebe Co-Chef Chrupalla bis zur darauf folgenden Vorstandswahl 2028 im Amt, läge der Umbau der Machtarchitektur zu nah am Superwahljahr 2029.

Chrupalla soll selbst Alternativen ausloten. Wie seine Chancen stehen, Jörg Urban als Landeschef in Sachsen zu beerben, soll Chrupalla im Vorfeld der Landtagswahl 2024 getestet haben – erfolglos. „In Sachsen sieht man ihn lieber in Berlin“, sagt ein Funktionär über Chrupalla. Dennoch gilt als weithin bekannt, dass Chrupalla früher oder später als Spitzenkandidat in Sachsen antreten will. In AfD-Kreisen soll er als Ziel verbreitet haben, 2029 Ministerpräsident zu werden.

Auch in Brüssel zeigt Chrupalla sich regelmäßig bei der Fraktion. Seine engsten Leute loten dem Vernehmen nach seit Monaten Optionen für ihn im Europaparlament aus. Abgehakt hat er seinen Posten als Bundessprecher selbstredend nicht. Gerade dieser Tage zeigt Chrupalla sich auffällig oft auf verschiedenen Bühnen der AfD-Landesverbände. Manche werfen ihm Mikromanagement vor. In Sachsen-Anhalt sorgte er im Dezember für Unmut, als er nach dem Anschlag auf den Magdeburger Weihnachtsmarkt selbst die Rede halten wollte, statt es seinen Leuten vor Ort zu überlassen.

Alice Weidel schwebt einerseits unerreichbar mächtig über Partei und Fraktion. Andererseits trübt einige Desillusionierung die Vergötterung der Chefin. Gewohnte Argumente gegen sie bleiben und erneuern sich, auch nachdem viele Kritiker es nicht mehr in den Bundestag geschafft haben. Direkt nach der Bundestagswahl fiel sie manchem in der Fraktion als „aggressiv, schnippisch und autoritär“ auf; etwa, als sie Karsten Hilse eine harsche Absage für dessen Ankündigung erteilte, einen Antrag zur Geschäftsordnung zu stellen. Die Fraktion würde dagegen stimmen, soll Weidel gedroht haben. Hilse zog sein Vorhaben zurück. Auch Weidels weiterer Unterstützer-Kreis kann sich Kommentare über ihre Launenhaftigkeit und Impulsivität kaum verkneifen.

Weidel wolle bloß repräsentieren, aber sei von Abgeordneten und erst recht der Basis genervt, heißt es reihenweise von Mandatsträgern. „Sie ist ständig krank, in Zürich oder fällt negativ auf.“ Einen Tag, nachdem die AfD Weidels Kür zur Spitzenkandidatin in der Bundesgeschäftsstelle gefeiert hat, erschien sie im Bericht aus Berlin zum Interview. Aber nicht aus Berlin, sondern per Schalte aus Zürich – inklusive Verbindungsproblemen. Bei vielen in der AfD kam es gar nicht gut an, dass die Chefin nicht mal einen Tag länger in Berlin bleiben wollte. „Sie führt die Alternative für Deutschland – aber ist ständig nur in der Schweiz.“ Das könne sich höchstens eine Außenministerin leisten, argwöhnt mancher.

Einige hat der Bundestagswahlkampf desillusioniert. Nach dem Gespräch mit Elon Musk äußerten selbst Wohlgesonnene eine gewisse Fassungslosigkeit darüber, dass Weidel ohne Aufforderung von Adolf Hitler sprach. Außerdem stellten viele infrage, wie relevant sie in ihrer Zeit bei Goldman Sachs und der Bank of China wirklich gewesen sei, zeuge ihr Englisch doch nicht gerade von einem früheren Flirren über internationales Parkett im wirtschaftlichen Fachjargon.

Viele Wähler der Partei feiern Weidel gleichwohl wie einen Star. Nach Wahlkampf-Events stehen die Menschen Schlange für ein Foto mit der Chefin, wedeln sich schnappatmend mit Autogrammen Luft ins Gesicht. „Wir brauchen Alice als Galionsfigur“, heißt es immer wieder. So lange Weidel bei vielen Menschen so beliebt ist, sei ihr Platz an der Spitze ziemlich sicher.

Andere Umbauten des Bundesvorstands sind wahrscheinlich. Die fristlose Kündigung der Bundesgeschäftsstelle nehmen viele der Parteispitze übel, rechtfertigen müssen sich dafür in diesen Tagen vor allem Bundesgeschäftsführer Holger Malcomeß und Bundesschatzmeister Carsten Hütter. „Hütter wird es wohl kaum nochmal in den Vorstand schaffen“, sagen manche schon jetzt. Dass die AfD noch immer keine Immobilie besitzt, in der sie repräsentative Events abhalten kann, löst Kopfschütteln aus. „Wir sitzen doch auf Geld“, heißt es. Auch eine eigene Akademie als Ideenschmiede und eigene Unternehmensgründungen gehören zu den regelmäßigen Forderungen. Deren Fehlen sei in amateurhafter Führung begründet. Ebenso wie verspätete Plakatlieferungen und die seit Jahren vakante Stelle eines Pressesprechers. Dessen Vize teilt sich die Aufgabe seit Jahren mit Referenten und Büroleitern des Spitzenpersonals.

Die AfD kämpft mit einem Personalproblem. Das heißt es immer wieder. „Alice wirkt nur unentbehrlich, weil uns Alternativen fehlen“, sagt ein gut vernetzter Funktionär. Ein anderer analysiert: „Viele könnten, trauen sich aber nicht“ – auch wegen der erbitterten Hasswelle, die Konkurrenten oft genug entgegenschlägt. „Eine Palastrevolution wird es nicht geben“, räumen auch tendenzielle Gegner Weidels ein. Und einigen sich dann mit sich selbst auf die Hoffnung: „Aber es wird eine Welt nach Weidel und Chrupalla geben.“

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Letzte Aktualisierung: 24. Juli 2025

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