Table.Standpunkt | Gemeinsame Agrarpolitik
Erscheinungsdatum: 29. Juli 2025

GAP-Reform: Der Kommissionsvorschlag lässt Arbeitnehmer im Stich

Standpunkt EFFAT
Ivan Ivanov und Maddalena Colombi vom Gewerkschaftsverband EFFAT. (EFFAT)
Die anstehende GAP-Reform böte Gelegenheit, die Arbeitsbedingungen in der Landwirtschaft zu verbessern. Stattdessen bringt der Kommissionsvorschlag Rückschritte, schreiben Ivan Ivanov und Maddalena Colombi vom Europäischen Verband der Landwirtschafts-, Lebensmittel- und Tourismusgewerkschaften (EFFAT).

Europas Ernährungssystem fußt noch immer auf einem Skandal. Beim Besuch in Borgo Mezzanone in Apulien zeigte EFFAT kürzlich EU-Entscheidungsträgern, was die GAP seit langem ignoriert: Menschen in Blechhütten ohne fließendes Wasser, sanitäre Einrichtungen oder sichere Stromversorgung, die bei 40 °C Hitze für erbärmliche Löhne Tomaten pflücken müssen. Opfer von Banden und systematischer Ausbeutung.

Solche Barackensiedlungen gibt es auch anderswo in Europa. Im griechischen Manolada oder der spanischen Provinz Murcia. Tausende Arbeitskräfte leben im Verborgenen, unter inakzeptablen Bedingungen, obwohl sie für unsere Wirtschaft unverzichtbar sind.

Die neue GAP hätte für die EU die Chance sein sollen, diese Missstände zu beheben. Stattdessen schlägt die Kommission eine Kürzung des GAP-Budgets um 22 Prozent vor – ein schwerer Schlag für den Sektor, der mit Zöllen, Klimawandel, Digitalisierung und alarmierend viel schlecht bezahlter, prekärer Arbeit konfrontiert ist. 

Bei der letzten GAP-Reform hat sich EFFAT erfolgreich für die Einführung der sozialen Konditionalität eingesetzt. Ein Meilenstein, durch den EU-Gelder an die Einhaltung bestimmter Arbeitsstandards geknüpft wurden. Das Prinzip ist einfach: Es kommt ohne neue Verwaltungslasten oder Mehrarbeit für Landwirte aus. Es verlangt nur, bestehende Arbeitsstandards einzuhalten. Seither fordern wir, die soziale Konditionalität zu stärken und lückenlos umzusetzen.

Doch der neue Kommissionsvorschlag ist ein klarer Rückschritt. Bei der sozialen Konditionalität, nun „Farm Stewardship“ genannt, sind Verbesserungen bei Arbeitsschutz, Anwendungsbereich oder Durchsetzung nicht in Sicht. Stattdessen eine politische Architektur, die Kontrollen schwächt:

• Betrieben unter zehn Hektar sollen keine GAP-Mittel mehr gekürzt werden, wenn sie Arbeitnehmerrechte verletzen. 70 Prozent der EU-Betriebe wären so ausgenommen.

• Noch beunruhigender: Laut dem Text könnten Arbeitgeber, die schon im Rahmen des Arbeitsrechts sanktioniert wurden, bei der GAP mit milderen Strafen rechnen. Das muss dringend korrigiert werden.

All das verspricht keine wirksame Durchsetzung und bleibt weit hinter den Forderungen von EFFAT zurück. Arbeitnehmerrechte sollten klare Voraussetzung dafür sein, öffentliches Geld zu erhalten – unabhängig von Betriebsgröße oder -fläche. Alles andere sendet die beängstigende Botschaft, für kleine Betriebe sei es hinnehmbar, Arbeitnehmerrechte zu verletzen.

Ein ebenso gefährlicher Trend ist die Nationalisierung der GAP. Die Vorschläge geben den Mitgliedstaaten mehr Macht, von denen einige schon jetzt grundlegende Arbeitsschutzstandards unterlaufen. Wird die Durchsetzung nationalen Behörden überlassen, ohne klare EU-Standards, -Ziele und -Kontrollen, könnte die GAP zu einem Flickenteppich inkonsistenter Regeln, verwässerter Prioritäten und mangelnder Verantwortlichkeit werden.

Eine Zusammenlegung der GAP-Mittel zu einem „Single Fund“ birgt ebenfalls Risiken. Konkurrieren ländliche Räume, Sicherheits- und Kohäsionspolitik in nationalen Haushalten und Agenden, könnten Arbeitnehmerrechte schlicht aus dem Blick geraten.

Derweil bleibt die Kernlogik der GAP unverändert. Hektarprämien dominieren weiter und belohnen eher Landbesitz als menschenwürdige Beschäftigung. Menschliche Arbeit bleibt Randthema, obwohl sie das Rückgrat des Agrar- und Ernährungssystems ist.

Für eine GAP, die sowohl dem Land dient als auch den Menschen, die es bewirtschaften, fordern wir:

•    Die Stärkung der sozialen Konditionalität durch lückenlose Umsetzung, einen breiteren Anwendungsbereich, verbindliche Kontrollvorgaben und wirksame Überwachung.

•    Ein starkes GAP-Budget, das Länder belohnt, die soziale Ziele wie den Kampf gegen Schwarzarbeit, die Tarifbindung und den Arbeitsschutz vorantreiben.

•    Eine Ausweitung der Kriterien für Direktzahlungen auf Beschäftigungsaspekte. Angemeldete Arbeitsstunden, Sozialversicherungsbeiträge und Beschäftigungsstabilität müssen einbezogen werden, nicht nur Landbesitz.

•   Verpflichtende Aus- und Weiterbildung für Arbeitnehmer, insbesondere in arbeitsintensiven Sektoren wie Obst-, Gemüse- und Weinbau.

Das würde nicht nur die Lebens- und Arbeitsbedingungen derer verbessern, die Europa mit Nahrung versorgen. Es würde auch die vielen verantwortungsbewussten Arbeitgeber unterstützen, die Arbeitnehmerrechte achten. Sie sind in der Mehrheit, leiden aber unter unlauterem Wettbewerb jener, die durch Ausbeutung Kosten drücken.

Der Kampf ist lange nicht vorbei. Wir erwarten von EU-Abgeordneten und nationalen Regierungen, dass sie die Forderungen von EFFAT in den anstehenden Verhandlungen unterstützen. Sie müssen die soziale Dimension der GAP stärken, die soziale Konditionalität verteidigen und Ausnahmen stoppen, die die Durchsetzung schwächen. Sie müssen sicherstellen, dass Arbeitnehmerrechte eine zentrale, unumstößliche Voraussetzung für den Zugang zu EU-Agrargeldern bleiben.

Ein Ernährungssystem auf dem Rücken der Ausgebeuteten kann sich Europa nicht länger leisten. Die nächste GAP muss ein Instrument nicht nur für Marktstabilität, sondern auch für Menschenwürde werden.

Ivan Ivanov ist politischer Sekretär für den Agrarsektor beim Europäischen Verband der Landwirtschafts-, Lebensmittel- und Tourismusgewerkschaften (EFFAT). Maddalena Colombi verantwortet dort den Bereich Kommunikation, Kampagnen und Presse.

Letzte Aktualisierung: 05. September 2025
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