Von Alexandra Mankarios
An der Grundschule An der Burgweide gehört gelebte Inklusion zum Alltag. Kinder mit und ohne Förderbedarf bereiten gemeinsam den täglichen Frühstücksverkauf am Kinderkiosk vor – Brötchen, Müsli, Obst. Für Kinder kostet jedes Angebot 50 Cent, für Erwachsene einen Euro. Die Kantine ist so gestaltet, dass sich auch Kinder mit besonderen Bedürfnissen wohlfühlen: Ruhige Sitzbereiche erlauben ihnen, sich zurückzuziehen.
Die inklusive Praxis ist Teil eines größeren Konzepts. Die Grundschule ist eine von vier Hamburger Schulen, die von Klasse 1 bis 6 unterrichtet, noch dazu jahrgangsübergreifend. Eingeführt wurde die längere Schulzeit in einem Schulversuch 2011. Trotz ihrer sozial herausfordernden Lage erreicht die Schule Lernerfolge wie Schulen in wohlhabenderen Vierteln. Das war nicht immer so.
Ein Brandbrief läutete den Wandel ein: Im November 2012 wandten sich 14 Schulleitungen an den damaligen Hamburger Schulsenator Ties Rabe. Im sogenannten Deichbruch-Brief hieß es unter anderem: „Der schulische Lernerfolg hängt in Deutschland stärker von der sozio-ökonomischen Lage der Elternhäuser ab als in vielen anderen Ländern.“ Dies lasse sich auf den Elbinseln in den sozial schwächeren Vierteln Wilhelmsburg und Veddel deutlicher denn je nachweisen. Obwohl alle Schulen auf den Elbinseln Ganztagsschulen sind und erhebliche Zeit in die jeweils eigene Schul- und Unterrichtsentwicklung der Standorte investiert wurde, blieben die großen Lernerfolge aus.
Auch Regine Seemann, Leiterin der Schule An der Burgweide, hat damals unterzeichnet. „Die Kinder hier waren mindestens zwei bis drei Lernjahre zurück. Gleichzeitig war es schwer, Personal zu finden“, sagt Seemann. Der Brief zeigte Wirkung: 2013 setzte die Hamburger Schulbehörde das Programm „23+ Starke Schulen“ auf. Sie stellte stark belasteten Schulen zusätzliche Mittel zur Verfügung und unterstützte in der Schulentwicklung. Zudem profitierte die Schule An der Burgweide von einem städtischen Trend: Die Quartiersentwicklung im Zuge der Internationalen Bauausstellung 2013 führte dazu, dass der Stadtteil heute sozial stärker durchmischt ist.
Preise, Schulversuche und Vernetzung mit anderen Schulen gehören inzwischen zum Alltag in der Schule An der Burgweide. Fast alle Mitglieder des multiprofessionellen Kollegiums sind in Arbeits- und Schulentwicklungsgruppen aktiv, Hospitationen an der eigenen und anderen Schulen sind selbstverständlich. „Viele Ideen für die Schulentwicklung kommen aus dem Kollegium“, sagt Seemann. Die Offenheit sei groß, Neues auszuprobieren.
Welchen Faktoren zum Erfolg führen:
Seit dem Schuljahr 2013/2014 findet inklusives jahrgangsübergreifendes Lernen statt: Kinder aus Klasse 1 bis 3 sowie 4 bis 6 lernen gemeinsam, in jedem Klassenleitungsteam ist eine Sonderpädagogin oder ein Sonderpädagoge. Der Ansatz ist so erfolgreich, weil der Unterricht projektorientiert und vollständig individualisiert ist. Jedes Kind lernt in seinem eigenen Tempo. Dafür war viel Vorarbeit nötig. Ab 2012 hatte das Kollegium ein schulinternes Curriculum aus den Bildungsplänen abgeleitet und daraus Projekte entwickelt. Gleichzeitig erarbeitete die Schule ein Lernbüro-Konzept für Mathematik, Deutsch und Englisch, damit die Kinder in Freiarbeit lernen konnten.
Da die Freiarbeit einige Kinder überforderte, führte die Schule 2015 Lernlandkarten ein. Seitdem schneidet sie in den Hamburger Vergleichsarbeiten viel besser ab. Dazu wurde das schuleigene Curriculum in Kompetenzen und Lernziele überführt. Die Kinder zeichnen ihre persönliche Lernlandkarte und wählen ihr nächstes Lernziel aus. Ist es erreicht, machen sie eine Prüfung. Im Anschluss kleben sie den Lernzielaufkleber auf ihre Lernlandkarte.
Mit der Teilnahme am Programm 23+ intensivierte die Schule An der Burgweide ihre Elternarbeit: Elternmentoren bauen seitdem Hürden zwischen Schule und Elternhaus ab, erklären das Schulsystem und beraten – wenn möglich in der Herkunftssprache. Die schulübergreifende Mentoring-Ausbildung umfasst sieben Module. Während im ersten Jahr die Auswahl geeigneter Eltern durch die Lehrkräfte noch schwierig war, suchen die Mentorinnen und Mentoren inzwischen selbst nach Verstärkung. Das gelingt besser, weil sie unter den Eltern gut vernetzt sind und ihre Erfahrungen schildern können. Sie tauschen sich eng mit einer Koordinatorin an der Schule und der Schulleitung aus, damit sie immer auf dem Laufenden sind.
Eine Folge der intensiven Schulentwicklung: Die Anmeldezahlen steigen. Ärgerlich findet Seemann aber, dass die Schule noch immer Gelder zugewiesen bekommt, die sich an der Anzahl der Schülerinnen und Schüler von 2019 orientiert – dem letzten Stand des Hamburger Schulentwicklungsplans. „Damals waren wir zweieinhalb-zügig. Heute sind wir in allen Jahrgängen drei- oder vierzügig“, sagt Seemann. „Dadurch bekommen wir etwa im Startchancen-Programm rund 50.000 Euro weniger.“
Fernziel: Langformschule. Am liebsten würde Seemann die Schule zur Langformschule weiterentwickeln – dann blieben die Schüler bis zum Abschluss in der vertrauten Umgebung und würden individuell gefördert. Schon jetzt verbringen sie bis zu acht Jahre an der Schule: Viele starten in der Vorschule und nehmen ein Jahr Lernzeitverlängerung in Anspruch. Raum für die Erweiterung wäre vorhanden, das Gelände nebenan gehört der Schulbehörde. Aktuell stehen dort Wohncontainer für Geflüchtete, die meisten leer. Ein idealer Platz, um eine Sekundarstufe zu bauen, findet Seemann. „Leider sieht die Schulbehörde das anders, weil es in der Nachbarschaft schon eine Langformschule mit freien Plätzen gibt. Aber wir bleiben dran.“