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Erscheinungsdatum: 26. Februar 2025

Ukrainischer Botschafter Makeiev: Warum die deutsche Zeitenwende bislang ausgeblieben ist

Die Zeitenwende-Rede von Olaf Scholz war eine Diagnose, die Therapie sei ausgeblieben, schreibt der ukrainische Botschafter Oleksii Makeiev anlässlich des dritten Jahrestages der Rede. Die neue Regierung müsse den Worten endlich Taten folgen lassen.

Am 27. Februar 2022 hielt Bundeskanzler Olaf Scholz seine wahrhaft historische Zeitenwende-Rede und prägte damit den Begriff. Tatsächlich war es aber nicht der Bundeskanzler, der für die Zeitenwende verantwortlich war. Es war Russland, das Europa am 24. Februar den Krieg erklärte und damit die Zeitenwende einläutete. Den Begriff „Zeitenwende“ zu verwenden, war die richtige Diagnose, aber viele wollten sie auch gleich als Therapie verstanden wissen.

Am 27. Februar 2022 war vieles noch unklar. Auch unser Verteidigungsminister hat damals die Abwehr des brutalen russischen Krieges noch in Stunden gerechnet. Keiner hätte gedacht, dass wir einmal über den „dritten Jahrestag“ sprechen werden. Und dabei muss man bedenken: Für die Ukraine hat die Zeitenwende eigentlich bereits 2014, mit dem Einmarsch der russischen „grünen Männchen“ auf die ukrainische Halbinsel Krim begonnen. Im Februar 2022 riefen die Ukrainerinnen und Ukrainer selbst ihre Verwandten in Russland an und erzählten, dass sie gerade von Russen bombardiert werden. Die Antwort war „Wir greifen nur Militärobjekte an“. Es war kaum zu glauben, dass Russen ihrem Fernsehen mehr trauten als ihren Angehörigen.

Heute verstehen wir Ukrainer, dass wir für unsere sogenannten Verwandten in Russland immer „kleine“ Brüder und Schwestern waren. Russland hat uns immer als Kolonie betrachtet und nie als Nation. Und wenn eine imperiale Macht einem Volk das Existenzrecht abspricht, ist der Bruch des Völkerrechts unvermeidlich.

Die Zeitenwende-Rede vom 27. Februar 2022 war noch keine Antwort. Es war vielmehr eine richtige, wenn auch verspätete Diagnose verbunden mit der Frage, wie darauf zu reagieren ist. Das Schlimme ist, dass die Antwort auf diese Frage seit drei Jahren von Deutschland nicht vollständig ausgesprochen werden konnte. Auf eine Zeitenwende kann man nicht mit einem „so lange wie nötig“ antworten. Denn je länger dieser Krieg dauert, desto mehr Menschen werden getötet. Und unschuldige Tote kann niemand als „nötig“ bezeichnen.

Ich weiß nicht, an wie vielen Veranstaltungen ich als Botschafter teilgenommen habe, in deren Namen das Wort „Zeitenwende“ stand. Zuletzt war es „Zeitenwende on Tour“ in München am Vorabend der letzten Sicherheitskonferenz. Es war ein seltsames Gefühl, plötzlich der Ruhigste unter den Weltpolitikern zu sein. Sie haben oft in politischen Abschlusserklärungen ihre Besorgnis ausgedrückt, jetzt waren sie wirklich besorgte. Ich habe in Deutschland schon oft gehört: „Das ist nicht unser Krieg!“ Jetzt haben die Amerikaner geantwortet: „Doch, liebe Europäer, das ist euer Krieg.“

Es tut mir weh, das zu sagen: Viele Ereignisse vom Februar 2022 scheinen sich drei Jahre später fast identisch zu wiederholen. Wieder die Rede des ukrainischen Präsidenten in München. Wieder wird das Thema Sondervermögen im Bundestag diskutiert. Und während am 27. Februar 2022 der ukrainische Außenminister zu den beginnenden Verhandlungen mit Russland betonte: „Es kann um Frieden gehen, aber nicht um Kapitulation“, so sagt der heutige ukrainische Außenminister: „Der Frieden kann nur umfassend, gerecht und dauerhaft sein.“

Ich bitte darum, für die heutigen Ereignisse nicht den Begriff „Zeitenwende“ zu verwenden. Dafür haben wir keine Zeit. Es ist nicht fünf vor zwölf, sondern fünf nach zwölf. Die Stunde Europas hat geschlagen.

Eines ist in dieser Stunde klar: Wenn Russland ungestoppt bleibt, ist das eine Garantie für die Unsicherheit Europas. Es ist gut, dass die Außen- und Sicherheitspolitik schon heute als erstes Thema für künftige Koalitionsverhandlungen genannt wird. Es gilt jetzt, zügig zu verhandeln und die Finanzierung der Sicherheit zu gewährleisten. Diesmal kann „nach der Wahl“ nicht „vor der Wahl“ sein. Sondern vor dem Krieg.

Es wird Zeit, auf die Diagnose der Zeitenwende-Rede die richtigen Antworten zu geben: Kriegstüchtigkeit. Stärke. Abschreckung. Führungsrolle. Hochfahren der Rüstungsindustrie. Beschlagnahme der russischen Vermögen. „Mit allem, was uns zur Verfügung steht“. „So schnell wie möglich“. Weitreichende Angriffe. Taurus. Senkung des Ölpreisdeckels. Ende der Schattenflotte. Starke Sanktionen. Sicherheitsgarantien für die Ukraine. Nato-Einladung an die Ukraine. Alle diese Hebel müssen in Bewegung gesetzt werden. Kurz zusammengefasst: Die Ukraine muss den Krieg gewinnen.

Letzte Aktualisierung: 24. Juli 2025
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