Ringen um die „Global Swing States“

Von Gesine Weber
Gesine Weber ist Fellow beim German Marshall Fund of the United States und promoviert am King’s College London.

Die Resolution der UN-Vollversammlung von März 2022, in der die russische Invasion der Ukraine verurteilt wurde, war für viele europäische Staaten und ihre Partner ein geopolitischer Weckruf: Auch wenn die überwältigende Mehrheit die Resolution annahm, enthielten sich 35 Staaten – darunter mit Indien und Südafrika zwei G20-Staaten. Russland ist nicht so isoliert, wie es sich die Unterstützer der Ukraine erhoffen; Das haben auch die Äußerungen des brasilianischen Präsidenten Lula da Silva zu Verhandlungen zwischen Russland und der Ukraine gezeigt.  

Im Indo-Pazifik ist die uneingeschränkte Unterstützung der US-Position und entsprechendes Handeln auch für Partner der USA kein Automatismus. Es ist vor allem das Narrativ einer globalen Konfrontation zwischen Demokratien und Autokratien, das die Administration Präsident Joe Bidens zu einer zentralen Linie der US-Außenpolitik gemacht hat. Und das für viele Alliierte – einschließlich traditioneller Partner auch innerhalb Europas – problematisch ist, weil es Staaten dazu drängt, sich einem US-geführten oder einem China-geführten Block anzuschließen.

Für Staaten, die mit beiden Seiten zusammenarbeiten, ist das allerdings keine Option. Gerade Länder, die in globalen und regionalen Foren eine zunehmend wichtige Rolle einnehmen, zeigen eher flexible Präferenzen für Kooperation. Südafrika beispielsweise hat in den vergangenen Jahren gleichermaßen Militärübungen mit Russland, China und einzelnen Nato-Mitgliedsstaaten, darunter Deutschland, durchgeführt.

Besseres Angebot als entscheidender Faktor

Das Konzept der „Global Swing States“ beschreibt, wie die Kooperationspräferenzen dieser Staaten globale Politik prägen können. Eine neue Studie des German Marshall Fund of the United States (GMF) konzipiert die Kooperationsmuster von „Global Swing States“ als dynamisch und zeigt die Relevanz von Multi-Alignment als Konzept für internationale Kooperation.

Für sechs „Global Swing States“ – Brasilien, Indien, Indonesien, Saudi-Arabien, Südafrika, Türkei – haben die Expert:innen des GMF die Präferenzen für Kooperation mit den USA, Europa, China, Russland und anderen Partnern analysiert. Die Analysen zeigen, dass internationale Kooperation für diese Staaten mit den USA oder Europa in einem Bereich engere Zusammenarbeit mit China oder Russland in einem anderen Bereich nicht ausschließt. 

Im neuen geopolitischen Kontext werden sich die USA und Europa an die Tatsache gewöhnen müssen, dass sie ihre Partner für globale Politik – sei es bei zentralen sicherheitspolitischen Herausforderungen wie dem Krieg in der Ukraine, der Klimakrise oder wirtschaftlicher Kooperation – immer wieder neu gewinnen müssen. Dazu gehört auch die Erkenntnis, dass ein entscheidender Faktor für Kooperation das bessere Angebot ist und dass rein normative Ansätze Kooperation mit Europa oder den USA nicht zwingend attraktiver machen.

Europa und die USA müssen aus dem Scheitern dieses Ansatzes lernen und ihre eigenen Ansätze überdenken. Ein Beginn zeichnet sich bereits ab: In ihrer Strategie für Kooperation im Indo-Pazifik priorisiert die EU Kooperation in Bereichen wie Klima oder Konnektivität klar, wobei sie Kooperation im Sicherheitsbereich durch die Mitgliedstaaten auf bilateraler Ebene mit regionalen Partnern vertieft.

Darüber hinaus können insbesondere die G20 ein erfolgversprechendes Format sein, um auf diese Weise mit aufstrebenden Wirtschaftsmächten konkrete Fortschritte zu erzielen. Europa kann hier eine zentrale Rolle einnehmen, um die Folgen des Wettbewerbs zwischen den USA und China abzumildern und breitere multilaterale Koalitionen bilden, um globale Herausforderungen anzugehen. Die Überlegungen zur geopolitischen Neuordnung und dem Umgang mit „Global Swing States“ zeigen aber vor allem eines: Europa muss sich geopolitisch verorten und darauf basierend Interessen und Strategien definieren.

Mehr zum Thema

    Israel: Bundesregierung muss Annexionsbestrebungen einhegen
    Friedensmissionen neu denken
    Fortschritte zum Frieden verstetigen
    Wie historisch wird der Nato-Gipfel in Vilnius?