Table.Briefing: Security

Deutschlands Schlüsselrolle bei Kampfpanzer + Aufrüstung im Indopazifik + Angriffsziel Unterseekabel

  • Kampfpanzer für die Ukraine: Deutschland spielt eine Schlüsselrolle
  • Felix Heiduk: “Chinesische Aufrüstung beschränkt sich nicht auf die Volksbefreiungsarmee”
  • Unterseekabel: Angst vor dem Angriff am Meeresgrund 
  • Schweden beteiligt sich an europäischer Raketenabwehr
  • Mali wendet sich weiter vom Westen ab
  • Mehr als 13.800 ukrainische Kinder nach Russland verschleppt
  • Öffentlicher Diskurs über den Einsatz von KI in Waffensystemen gefordert
  • Im Portrait: Sabine Thillaye – Französisch-deutsche Vermittlerin aus Remscheid
Liebe Leserin, lieber Leser,

vieles deutet darauf hin, dass der Westen bald doch Kampfpanzer in die Ukraine liefern könnte. Großbritannien bringt bereits den Challenger 2 ins Spiel. Auch Polen spricht von “moderner, schwerer Ausrüstung” für die Ukraine. Und Deutschland? “Die Bundesregierung hat zum jetzigen Zeitpunkt kein Bestreben, ihrerseits Leopard 2-Kampfpanzer an die Ukraine zu liefern.” Thomas Wiegold hat die Details.

Im Indopazifik will China seinen Einflussbereich ausdehnen und rüstet dazu unter anderem seine Marine massiv auf. Damit fordert Peking die USA aktiv heraus, was einen Krieg zwischen den beiden Großmächten immer plausibler macht, wie Felix Heiduk, Forschungsgruppenleiter Asien bei der SWP, im Interview mit meinem Kollegen Gabriel Bub erklärt.

Nicht nur China rüstet auf. Auch das russische und das amerikanische Militär stecken viel Geld und Know-how in die Entwicklung von teils autonomen Waffensystemen, die in der Tiefsee agieren. Die Gefahr, dass dabei Untersee-Datenkabel zum Ziel von Angriffen werden, steigt. In Europa ist allerdings noch größtenteils ungeklärt, wer für den Schutz der digitalen Infrastruktur am Meeresboden zuständig sein soll, wie Sie in meiner Analyse nachlesen können.

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Ihre
Lisa-Martina Klein
Bild von Lisa-Martina  Klein

Analyse

Kampfpanzer für die Ukraine: Deutschland spielt eine Schlüsselrolle

Nachdem in der vergangenen Woche zunächst Frankreich und dann die USA und Deutschland der Ukraine Späh- und Schützenpanzer zugesagt hatten, ist die Debatte über den nächsten Schritt erst recht in Fahrt gekommen: die Lieferung von Kampfpanzern. Die Initiative finnischer Abgeordneter zu einer europäischen Abgabe von Panzern des Typs Leopard 2 wird inzwischen durch Aussagen aus europäischen Regierungen flankiert.

So berichtete der polnische Ministerpräsident Mateusz Morawiecki am vergangenen Samstag ganz offiziell bei einer Pressekonferenz von Gesprächen einer “breiteren Koalition von Ländern, die diese schwere, moderne Ausrüstung übergeben können”. Darüber habe er sogar, sagte Morawiecki, bereits mit Bundeskanzler Olaf Scholz gesprochen.

Um welche Panzertypen es genau gehe, sagte der polnische Premier zwar nicht. Klar ist aber, dass Polen Verträge mit den USA und Südkorea über Panzerlieferungen abgeschlossen hat – und im Gegenzug einen Großteil seiner rund 250 Kampfpanzer Leopard 2 aus deutscher Produktion gerne abgeben würde.

Entscheidung in Ramstein möglich

Morawieckis Hinweis “wir werden in den nächsten Tagen mehr darüber wissen”, zielt offensichtlich auf das nächste Treffen im sogenannten Ramstein-Format: Diese internationale Kontaktgruppe zur Unterstützung der Ukraine unter US-Führung will am 20. Januar über weitere Waffenlieferungen an die Ukraine beraten. Für diese Abstimmung, so wurde am Montag bekannt, bereitet offensichtlich auch Großbritannien ein Angebot für schwere Kampfpanzer vor.

Der britische Challenger 2-Panzer, berichtete unter anderem der Sender SkyNews unter Berufung auf westliche wie ukrainische Quellen, könne aus britischer Sicht als Türöffner für entsprechende Angebote auch der USA und anderer westlicher Länder dienen. Zudem würde Großbritannien, ähnlich wie Frankreich bei den leichten Panzermodellen, mit dieser Vorreiterrolle seinen Anspruch auf Führung in diesem Prozess demonstrieren.

Die Bundesregierung bringt das erneut in eine Zwickmühle. Wie kein anderes Nato-Land hat Deutschland die Lieferung von westlichen Kampfpanzern an die Ukraine bisher nicht nur vermieden, sondern auch immer wieder dagegen öffentlich Stellung bezogen, so auch am Montag. Regierungssprecher Steffen Hebestreit sagte: “Die Bundesregierung hat zum jetzigen Zeitpunkt kein Bestreben, ihrerseits Leopard 2-Kampfpanzer an die Ukraine zu liefern.”

Scholz hält sich weiterhin zurück

Andere Länder lieferten die schweren Gefechtsfahrzeuge zwar auch nicht, äußerten sich aber auch nicht dazu. Umso genauer wurde registriert, wenn der Kanzler vom bisher verkündeten Kurs abwich und unter dem Druck der Entwicklung des Kriegs in Europa bisherige Positionen räumte.

Die meist kurzfristigen Kurswechsel bringen vor allem die deutschen Streitkräfte immer wieder in eine schwierige Lage. Das zeigte sich schon im vergangenen Jahr bei der Abgabe von Panzerhaubitzen: Die schweren Geschütze wurden bei der Bundeswehr bisher nicht ersetzt, auch die Artilleriemunition wurde bislang nicht nachbestellt. Liefern musste die Truppe dennoch. Und auch die jüngste, dann doch überraschend verkündete Entscheidung zur Lieferung von rund 40 Marder-Schützenpanzern an die Ukraine muss die Bundeswehr erst einmal umsetzen.

Lambrechts Aussage hielt nur wenige Tage

So hatte Verteidigungsministerin Christine Lambrecht noch kurz vor Weihnachten recht eindeutig erklärt: “Aus der Bundeswehr hätten wir sowieso keine Marder abgegeben. Wir brauchen die.” Der Kanzler entschied anders – die Aussage “wir brauchen die” änderte das allerdings nicht.

Denn das Heer verfügt noch über vier Kampftruppenbataillone, die mit den Marder-Schützenpanzern ausgestattet sind. Und in der Truppe hat nun das Rechnen angefangen, erschwert durch das Debakel beim modernen Schützenpanzer Puma, der den Marder langfristig ablösen soll: Weil bei einer Übung im Dezember zahlreiche Pumas ausgefallen sind, muss nun bis auf Weiteres der Anteil der Panzergrenadiere an der deutsch geführten Nato-Eingreiftruppe von einem Marder-Bataillon gestellt werden.

Ein anderes Bataillon verlegt derzeit einen Teil seiner Marder nach Litauen, wo sie als fest zugesagter Part einer Nato-Kampfgruppe an der Nordostflanke der Allianz für ein halbes Jahr stationiert werden. Im August wird ein weiteres Bataillon, ebenfalls mit Mardern ausgestattet, in der planmäßigen Rotation diese Aufgaben übernehmen.

Unklar ist, wie viele Marder Griechenland bekommt

Nur ein Bataillon mit diesen Schützenpanzern bleibt der Bundeswehr noch in Reserve – und dieses Bataillon wird absehbar nicht nur einen Teil seiner Marder an Litauen abgeben, sondern auch Fahrzeuge für die Ausbildung ukrainischer Soldaten in Deutschland bereitstellen müssen.

Die hektische Planung in den Stäben des Heeres in diesen Tagen wird deshalb davon abhängen, wie schnell die Industrie wie viele wieder hergerichtete Marder zur Verfügung stellen kann. Von den 100 älteren Gefechtsfahrzeugen dieses Typs, die der Rüstungskonzern Rheinmetall in seinen Beständen hat, wurden bislang 40 wieder einsatzbereit gemacht. Die sind allerdings dem Nato-Partner Griechenland zugesagt: Im sogenannten Ringtausch soll das Land 40 Marder erhalten, von denen ein Teil bereits ausgeliefert wurde; im Gegenzug geben die griechischen Streitkräfte ältere Gefechtsfahrzeuge sowjetischer Bauart an die Ukraine ab.

Die Entscheidung zur direkten Lieferung von Schützenpanzern an die Ukraine werde an dieser Vereinbarung nichts ändern, hatte Regierungssprecher Hebestreit betont: “Nicht, dass die griechischen Kolleginnen und Kollegen jetzt ganz nervös werden: Die Ringtausche sind natürlich abgeschlossen beziehungsweise fest vereinbart.”

Eine Hintertür ließ er allerdings noch offen: “Da holt man jetzt nicht ein Gerät, das man nach Griechenland gebracht hat, wieder zurück.” Ob diese Aussage für die – dem Vernehmen nach rund 25 – Marder gilt, die noch nicht nach Südeuropa geschickt wurden, bleibt also vorerst offen. Mit den Worten des stellvertretenden Sprechers im Verteidigungsministerium, Oberst Arne Collatz: “Hinsichtlich der genauen Stückelung dessen, welcher Panzer woher kommt, möchte ich hier jetzt tatsächlich noch nichts sagen.”

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“Chinesische Aufrüstung beschränkt sich nicht auf die Volksbefreiungsarmee”

Karte zu Chinas Gebietsansprüchen im Indopazifik.
Mit der Neun-Striche-Linie markiert China seine Ansprüche auf das Südchinesische Meer. China, Vietnam und Taiwan beanspruchen die Paracel-Inseln, auch bei den Spratly-Inseln sind mehrere Anrainerstaaten involviert.

Herr Heiduk, steuern wir im Indopazifik auf einen Krieg zu?

Der Indopazifik reicht je nach Definition mindestens von den westpazifischen Inselgruppen bis an die Ostküste Afrikas. Was meinen Sie genau? Einen Krieg zwischen den USA und China?

Darauf will ich hinaus.

Ich denke, es ist plausibler, dass es dazu kommt, als vor fünf oder zehn Jahren – ich würde da immer entlang von Plausibilitäten argumentieren. Aber Kriegsausbrüche und -verläufe sind zumeist derart multikausal, dass seriöse Sozialwissenschaft immer betonen sollte, dass es fast unmöglich ist, sie vorauszusagen.

Welche Plausibilitäten machen einen Kriegsausbruch wahrscheinlicher?

Das ist zunächst die zunehmende ordnungspolitische Rivalität. Peking fordert aktiv die etablierte US-Vormachtstellung in der Region heraus – politisch, wirtschaftlich, aber auch immer mehr militärisch. Zudem hat sich innenpolitisch sowohl in China wie auch in den USA eine Wahrnehmung der bilateralen Beziehungen zwischen Washington und Peking breitgemacht, die dieses als antagonistisches Nullsummenspiel begreift. Und dazu kommt, dass in der Region Instrumente des Konfliktmanagements weitgehend fehlen. Angefangen von der Ebene der Rüstungskontrolle bis hin zur diplomatischen Ebene. All das ist überhaupt nicht institutionalisiert worden und, wenn man ganz ehrlich ist, ist Konfliktmanagement daher von den persönlichen Beziehungen der regierenden Eliten untereinander abhängig.

Porträtfoto von Felix Heiduk vor grauem Hintergrund.
Felix Heiduk ist Forschungsgruppenleiter Asien bei der Stiftung Wissenschaft und Politik.

Was macht die fehlende Rüstungskontrolle mit der Region?

Es gibt eine Reihe von Sicherheits-Hotspots, an denen sich aufgrund der angespannten Sicherheitslage durch die immer weiter fortschreitende Militarisierung der Region militärische Eskalationsspiralen in Gang setzen könnten – dies auch durchaus unintendiert, d.h. selbst wenn die beiden zentralen Akteure Washington und Peking kein Interesse daran haben. Zudem wirkt sie sich verstärkend auf das wachsende Misstrauen zwischen den USA und Peking über die “echten” Intentionen des jeweiligen anderen aus.

Wie hat China im Indopazifik aufgerüstet?

Vor allem, aber nicht nur, im Marinebereich. Zunächst mal kann man das rein quantitativ fassen: Die chinesische Marine ist mittlerweile zahlenmäßig größer als die der USA. Aufrüstung beschränkt sich aber nicht allein auf die Volksbefreiungsarmee. Damit meine ich nicht nur die Marine als Marine, sondern auch den militärischen Grauzonenbereich, der von der Küstenwache bis zur zivilen Fischerei reicht. Es gibt viel Forschung, die aufzeigt, dass die größeren Fischereifangflotten in den letzten Jahren immer im Verbund mit Küstenwache und Marine operiert haben. Und dass zur Durchsetzung territorialer Ansprüche zum Beispiel gegenüber den Philippinen oder Vietnam auch zivile Schiffe von staatlicher Seite eingesetzt werden. Bestimmte Schiffe der chinesischen Küstenwache sind mittlerweile durchaus bewaffnet und sogar größer als Korvetten und Fregatten. Das wird aber gar nicht in den normalen Militärausgaben abgebildet.

Ist Chinas Marine auch qualitativ besser als die der USA?

Das ist offen gesagt schwer zu messen. So traurig wie es klingt – das müsste man wohl im Gefecht herausfinden. Wie die USA mit dieser Ungewissheit umgehen, ist natürlich eine interessante Frage.

Wie tun sie das?

Wenn wir uns die Rhetorik angucken, würden wir annehmen, dass es einen massiven Ausbau der militärischen Kapazitäten der USA im Indopazifik gibt. Aber den können wir empirisch bisher nicht darlegen.

Es gibt keine starke amerikanische Aufrüstung?

Nein, interessanterweise im Indopazifik nicht. Was es aber gibt – Stichwort Integrated Deterrence – ist ein Konzept, das sagt: Wir sind als USA nicht bereit, unsere eh schon umfassenden militärischen Kapazitäten allein weiter auszubauen, sehen aber die Notwendigkeit, die militärische Abschreckung gegenüber China trotzdem zu erhöhen.

Was bedeutet das?

Integrated Deterrence heißt, wir haben fünf bilaterale Militärallianzen. Da gibt es das Nabe-und-Speichen-System, also die USA als Nabe und die fünf Alliierten als Speichen. Was die USA an eigenen militärischen Kapazitäten nicht investieren wollen bzw. können, soll an den Speichen ausgebaut werden. Das heißt die Speichen, insbesondere Südkorea, Japan und Australien, in einem geringeren Maße die Philippinen und bei Thailand kann man derzeit ein größeres Fragezeichen dahintersetzen, aber zumindest die drei erstgenannten, sollen die eigenen militärischen Kapazitäten massiv ausbauen und stärker miteinander und mit den USA kooperieren, um den USA ein Stück weit die Last diesbezüglich abzunehmen und gleichzeitig die militärische Abschreckung gegenüber China zu erhöhen.

Grafik zu den Rüstungsausgaben, Vergleich zwischen USA, China, Indien, Japan, Südkorea und Australien zwischen 1991 und 2021.
China holt bei den Rüstungsausgaben auf. Nicht alles, was in Seekräfte fließt, taucht hier auf.

Gibt es ein chinesisches Gegenmodell dazu?

Mir ist bislang kein offizieller strategischer Gegenentwurf bekannt. Man kann sich darüber streiten, ob die Partnerschaft mit Pakistan oder Kambodscha oder mit Laos eine Quasi-Alliance ist. Fakt ist, China macht keine Allianzen seit Korea mehr. Ein chinesisch-dominiertes Allianzsystem in Konkurrenz zu dem der USA sehen wir derzeit nicht. Wohl aber die Intensivierung bilateraler Partnerschaften zwischen China und Partnerländern in der Region – auch im militärischen Bereich.

Welche Sicherheitsarchitektur wäre im Sinne Europas?

Wenn ich mir die offiziellen Debatten und Strategien dazu anschaue, dann ist relativ deutlich, dass eine wie auch immer geartete sino-amerikanische Bipolarität und eine regionale Sicherheitsarchitektur, die dieser entspricht, nicht gewünscht sind. Da wird von effektivem Multilateralismus geredet, von Inklusivität im Indopazifik. Wenn wir uns das beobachtbare Verhalten von Deutschland, Frankreich oder anderen angucken, sehen wir: Das sicherheitspolitische Verhalten passt allerdings nicht zum Narrativ. Denn dafür müssten die Europäer ja aktiv auf China zugehen, um die VR in wie auch immer geartete inklusive, multilaterale sicherheitspolitische Strukturen einzubinden. Dies ist jedoch nicht beobachtbar. Und es ist auch nicht zu beobachten, dass die VR China derzeit ein Interesse an derartiger Kooperation hat.

Was für eine Ordnung zeichnet sich dann im Indopazifik ab?

Es gibt in immer stärkerem Maße Akteure wie Indien, Indonesien, Australien, Japan, deren Bedeutung im sicherheits- und verteidigungspolitischen Bereich wächst. Was aus meiner Sicht daraus ableitbar ist, ist eine multipolare Ordnung in dieser Region. Ich war neulich auf einer Konferenz in Jakarta, da war das positiv konnotiert als ein Ordnungssystem, welches eben nicht das bipolare System eines neuen Kalten Krieges abbildet und somit Staaten wie Indien, Indonesien und anderen middle powers mehr Einflussmöglichkeiten bietet. Es dürfte aber in jedem Fall zunächst eine klar asymmetrische Multipolarität sein, weil China und die USA die Big Guys sind und das auf absehbare Zeit bleiben werden. Ob das daher eine sicherheitspolitisch stabile Ordnung ist, da würde ich erstmal ein großes Fragezeichen dransetzen. Vielleicht wünschen wir uns dann alle den neuen Kalten Krieg, den wir derzeit im Indopazifik noch nicht bekommen haben.

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Unterseekabel: Angst vor dem Angriff am Meeresgrund 

Die Angst wächst, dass Untersee-Datenkabel und Landungspunkte zunehmend Ziel von hybrider Kriegsführung werden. Seit den Anschlägen auf die Nordstream-Pipelines diskutieren Politiker, Unternehmen und Militärs die mögliche gezielte Zerstörung der Unterseekabel noch einmal intensiver, die schutzlos am Meeresgrund liegen.

Angriffe darauf gelten in Expertenkreisen als zunehmend wahrscheinlich. Immer mehr Nationen nähmen Seabed Warfare, also die Kriegsführung auf dem Meeresboden, in ihre militärischen Doktrinen auf, erklärt Ferdinand Alexander Gehringer, Experte für Cybersicherheit bei der Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS) in einem kürzlich veröffentlichten Papier. “Dazu kommt, dass russische, chinesische und amerikanische Militärs Techniken entwickeln, mit der Infrastruktur in einer Tiefe von 6.000 Metern zerstört werden kann”, sagt Gehringer. 

So verfügt Russlands Seekriegsflotte über mindestens zwei U-Boote, die als Mutterschiff genutzt werden können und zwei unbemannte Klein-U-Boote (UUVs), die mit Greifarmen Kabel am Meeresgrund zerstören können. Die USA entwickeln autonome, bewaffnete Roboter-U-Boote. Und auch China hat bereits ein unbemanntes Unterwasserfahrzeug vorgestellt (HSU001). Die Aufrüstung hat in diesem Bereich gerade erst begonnen. Doch wer soll die Kabel vor Angriffen schützen? 

Seabed Warfare wird relevanter  

Gehringer plädiert dafür, die Nato als militärische Ebene einzubeziehen. Das Joint Force Command Norfolk im Osten der USA, zuständig unter anderem für den Schutz von Unterseeinfrastruktur, reiche nicht. “So ein Projekt muss eine Aufgabe der gesamten Nato sein.”  

Konkrete Überlegungen aus der Politik gibt es dazu bereits. Vor der Berliner Sicherheitskonferenz Ende November hatten sich Bundeskanzler Olaf Scholz und der norwegische Ministerpräsident Jonas Støre für eine Koordinierungsstelle der Nato ausgesprochen, von der aus Gas-Pipelines und Internetleitungen auf dem Meeresboden geschützt werden sollen.  

Scholz plädierte für eine effiziente Abstimmung zwischen Polizei und Militär, Akteure wie die Europäische Union und privatwirtschaftliche Unternehmen müssten gut eingebunden werden. Norwegen ist Deutschlands wichtigster Energielieferant, Deutschlands Thyssen Krupp Marine Systems (TKMS) liefert seit Jahren Norwegen seine U-Boote der Klasse 212. 

Wichtig wäre aus Gehringers Sicht auch, dass die Nato-Mitgliedsländer die Unterwasser-Infrastruktur von vornherein bei ihrer Ausstattung mitbedenken. Für die Bundeswehr sieht er laut dem Papier eine Verdoppelung der U-Boote-Flotte, von sechs auf zwölf, und autonome Unterwasserfahrzeuge wie die “Seekatze” für notwendig an. Mit der Einbeziehung der Nato ergäben sich laut Gehringer weitere Vorteile: “Damit hätte die Nato eine ständige Aufgabe, es gäbe einheitliche Übungen, mehr Forschung und eine abgestimmte Seabed Warfare-Strategie.” 

“Gemeinschaftliches Verantwortungsgefühl”

Auch die EU spielt bei dem Schutz der Unterseestrukturen eine wichtige Rolle. Knapp 170 Hochgeschwindigkeits-Datenkabel erreichen das EU-Festland auf dem Weg durch die Meere, Deutschland hat derzeit vier Landungspunkte mit acht Kabeln. Als neuralgisch gilt vor allem die primär mit Marseille verbundene Strecke entlang des Suez-Kanals, über die Europa mit Asien verbunden ist. 

“Marseille spielt eine Hauptrolle für den Datenverkehr in Europa, Deutschland hat wenige Landungspunkte. Das heißt aber nicht, dass die Verantwortung deshalb hauptsächlich bei Frankreich liegen sollte. Wir brauchen vielmehr ein gemeinschaftliches Verantwortungsgefühl für eine Infrastruktur, von der wir alle abhängig sind, ähnlich wie bei den Nordstream-Pipelines”, sagt Gehringer. 

EU hat Vorgaben frisch überarbeitet 

Die Schutzvorschriften für IT-Infrastruktur wurde erst im vergangenen Jahr mit der NIS2-Richtlinie überarbeitet. Der Europaabgeordnete Bart Groothuis (Renew) hat sie für das Parlament verhandelt. Er fordert eine enge Verzahnung über die Mitgliedstaaten, EU und Nato hinweg, sodass im Falle eines Ereignisses Einblicke in das Geschehnis schneller möglich sind: “Was genau ist passiert, wer steckt dahinter, was war der Grund dafür, dass genau dieses Internetkabel gekappt wurde?”

Dafür müsse es eine zentrale Stelle geben, fordert Groothuis, der vor seinem Abgeordnetenmandat in Brüssel Abteilungsleiter für die Cyberabwehr im niederländischen Verteidigungsministerium war. Auch die Küstenwachen müssten in das System eng eingebunden sein. 

“Im digitalen Bereich sind wir damit auf dem Weg hin zu besserem Schutz”, attestiert Gehringer der EU. Mit der Richtlinie zum Schutz Kritischer Einheiten (CER) müssen die Mitgliedstaaten nun zudem den physischen Schutz der Kritischen Infrastrukturen verbessern. In Deutschland soll dies das neue Gesetz leisten, das 2023 von Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) vorgeschlagen wird und für das im Dezember im Kabinett erste Eckpunkte beschlossen wurden. “Das Kritis-Dachgesetz ist ebenfalls ein erster, richtiger Schritt, zeigt aber, dass wir gerade erst anfangen, uns in Ansätzen mit dem Schutz Kritischer Infrastruktur zu beschäftigen”, sagt Gehringer. 

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Schweden beteiligt sich an europäischer Raketenabwehr

Schweden will sich der European Sky Shield Initiative (ESSI) anschließen. Dies hat Premierminister Ulf Kristersson am Sonntag bei einer Sicherheitskonferenz in Sälen angekündigt. Außerdem will sich Stockholm an Nato-Luftsicherungsmissionen über dem Baltikum, Island und dem Schwarzen Meer beteiligen.

Mit dem Beitritt in die von Deutschland angeführte Luftsicherungs-Initiative, an der bisher 15 Staaten beteiligt sind, würde Schweden einen Schritt in Richtung Nato-Integration gehen.

Türkei blockiert noch den Nato-Beitritt

Doch wie schnell die nordischen Staaten vollständige Mitglieder der Allianz werden, ist noch offen. Sowohl Ungarn als auch die Türkei haben diesen Schritt noch nicht unterstützt. Ungarn soll in den nächsten Wochen zustimmen; Ankara weigert sich noch.

Recep Tayyip Erdoğan fordert von Schweden die Auslieferung mehrerer Personen, die er als kurdische Terroristen oder Putschisten bezeichnet, unter anderem des Journalisten Bülent Keneş. Kristersson sagte bei der Konferenz: “Die Türkei bestätigt, dass wir gemacht haben, was wir versprochen haben. Aber sie sagt auch, dass sie Dinge will, die wir ihr nicht geben können und wollen. Die Entscheidung liegt jetzt bei der Türkei.”

Die schwedische Regierung hat bereits Zugeständnisse an die Türkei gemacht, ein Embargo zur Lieferung von Waffen gecancelt und sich von der kurdischen YPG distanziert, die in Nordsyrien den IS bekämpfte. Finnlands Außenminister Pekka Haavisto, der ebenfalls bei der Konferenz war, sagte, man werde notfalls auf Schweden warten. “Wir haben die Nato-Bewerbung gemeinsam eingereicht, wir werden das Verfahren auch gemeinsam zum Abschluss bringen.” bub

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Mali wendet sich weiter vom Westen ab

Der Einsatz der Bundeswehr in Mali ist die inzwischen letzte große Auslandsmission der deutschen Streitkräfte – wird aber angesichts des Kriegs in Europa kaum noch beachtet. Das westafrikanische Land orientiert sich immer mehr nach Moskau, während die westliche Bedeutung an der UN-Blauhelmtruppe MINUSMA schwindet.

Die jüngste, im Westen praktisch unbeachtete Veränderung: Der niederländische Generalleutnant Kees Matthijssen gab das Kommando über die UN-Truppe ab. Bis auf Weiteres leitet sein bisheriger Stellvertreter, der senegalesische Generalmajor Mamadou Gaye, die internationale Mission. Damit endete auch die Reihe der bisherigen, meist aus westlichen Ländern stammenden Kommandeure.

Die von Militärs geführte malische Übergangsregierung räumte zudem einen Streit mit den Nachbarländern ab, der im vergangenen Jahr auch für Druck auf westliche Streitkräfte in der UN-Mission genutzt worden war: Der Interimspräsident, Oberst Assimi Goïta, begnadigte 49 Soldatinnen und Soldaten der Elfenbeinküste, die Ende vergangenen Jahres als angebliche Söldner zu langjährigen Haftstrafen verurteilt worden waren.

Ivorische Soldaten ausgenutzt

Die Ivorer waren im Sommer 2022 bei der Einreise nach Mali festgenommen worden. Sie wurden später verurteilt wegen “Verbrechen des Attentats und der Verschwörung gegen die Regierung; Gefährdung der äußeren Sicherheit des Staates; Besitz, Tragen und Transport von Kriegs- oder Verteidigungswaffen und -munition, die vorsätzlich in Verbindung mit einem individuellen oder kollektiven Unternehmen eingesetzt werden, das darauf abzielt, die öffentliche Ordnung durch Einschüchterung oder Terror zu stören”.

Tatsächlich waren die Soldatinnen und Soldaten im Auftrag der UN-Mission unterwegs: Sie sollten ein Camp am Flughafen der Hauptstadt Bamako bewachen, in dem zahlreiche Soldaten anderer Nationen untergebracht waren, auch Deutsche.

Mit der Aburteilung und anschließenden Begnadigung, die erwartet worden war, wollte die malische Staatsführung ein doppeltes Ziel erreichen: Den Nachbarn wie der Elfenbeinküste deutlich machen, dass sich das Land von ausländischem Druck auch afrikanischer Staaten nicht beeindrucken lässt. Und gleichzeitig auch den – inzwischen nur widerwillig geduldeten westlichen Nationen zu zeigen, dass Mali auf ihre Unterstützung kaum noch Wert lege.

Bundeswehr könnte auch schneller abziehen

Für die Bundeswehr ist der Abzug aus der UN-Mission ohnehin eingeläutet: Wenn das derzeitige Bundestagsmandat im Mai ausläuft, soll es nur noch als Abzugsauftrag für ein Jahr verlängert werden. Selbst diese Übergangszeit, so machte Verteidigungsministerin Christine Lambrecht im Dezember ihrem malischen Kollegen Sadio Camara klar, ist an Bedingungen geknüpft: ohne die für Anfang 2024 zugesagten Wahlen könnte auch eher Schluss sein. tw

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Mehr als 13.800 ukrainische Kinder nach Russland verschleppt

Die Zahl der ukrainischen Kinder, die seit Anfang des Krieges nach Russland gebracht worden sind, ist nach Angaben der ukrainischen Regierung auf 13.876 gestiegen. Mehr als 8.600 von ihnen sollen zur Ausreise nach Russland gezwungen, also deportiert worden sein.

Allein in der Zeit um den Jahreswechsel seien mehr als 410 Kinder aus der besetzten Stadt Horliwka in der Region Donezk in die russischen Städte Rostow, Moskau und andere verbracht worden, meldet das ukrainische Portal RBK. Kiew befürchtet, dass die Kinder in Russland umerzogen werden und ihre ukrainische Identität und Kultur verlieren sollen.

Laut dem ukrainischen Regierungsportal “Diti Wijni” (Kinder des Krieges) gelingt es immer wieder, Kinder zu finden, die als vermisst oder verschwunden gelten. 8818 konnten bisher wiedergefunden werden. 453 Kinder sind nach offiziellen Angaben getötet worden. vf

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Öffentlicher Diskurs über den Einsatz von KI in Waffensystemen gefordert

Künstliche Intelligenz (KI) ist längst Bestandteil militärischer Systeme weltweit. Vor allem die großen Militärmächte wie die USA und China, aber auch Israel und Südkorea geben Milliarden aus, um in der Forschung die Nase vorn zu haben. Großbritannien, Frankreich sowie Russland spielen ebenfalls mit bei der Technologie der Stunde, von der noch keiner weiß, welche Auswirkungen sie auf die Kriege der Zukunft haben wird.

Autonome Waffensysteme gelten als die dritte Revolution in der Kriegsführung – nach der Erfindung des Schießpulvers und der Atombombe. Bemühungen der Vereinten Nationen, den Faktor Mensch -“the human in the loop” – in KI gestützten Systemen zu definieren, sind bislang ins Leere gelaufen.

Selbst in Europa gibt es ganz unterschiedliche Herangehensweisen. Während Frankreich auf eine eigene KI-Strategie in der Militärtechnologie setzt, sieht man das Thema in Deutschland traditionell eher skeptisch. Fachleute sind sich aber einig, dass man das Thema nicht den KI-Supermächten überlassen kann.

“Der Einsatz Künstlicher Intelligenz stellt die Bundeswehr und die deutsche Gesellschaft vor die Frage, ob und in welchem Ausmaß KI militärisch genutzt werden kann und vor allem, inwieweit sie es darf. Wo liegen Möglichkeiten und Grenzen?” Die Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS) wird am 17. Januar dazu einen Sammelband über die “Bundeswehr der Zukunft -Verantwortung und Künstliche Intelligenz” vorstellen.

KI stellt Innere Führung in Frage

Herausgeber sind der ehemalige Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU), Vorsitzender der KAS, und der Physikprofessor Wolfgang Koch, Chief Scientist des Fraunhofer-Instituts für Kommunikation, Informationsverarbeitung und Ergonomie. Der Band der CDU-nahen Stiftung versammelt Expertise aus Wissenschaft, Militär, Politik, Ethik und Literatur. Security.Table liegt der 475-seitige Band vorab vor.

So diskutieren Peter Tauber, Parlamentarischer Staatssekretär a.D. (Verteidigungsministerium) und der Militärhistoriker Sönke Neitzel die Entwicklung des Prinzips der Inneren Führung. “Clausewitz’ ‘Chaos der Schlacht’ gilt heute nicht mehr in diesem Ausmaß aufgrund von modernen Führungs- und Aufklärungsprozessen, die von Technologie gestützt werden. Beispielsweise lässt sich von Ramstein aus eine Drohne führen oder Befehle bis nach Afghanistan in Sekundenschnelle vermitteln.”

Idit Shafran Gittleman und Eyal Berelovich, zwei israelische Wissenschaftler aus renommierten Think-Tanks, reflektieren die sehr unterschiedliche Debatte über bewaffnete Drohnen in Deutschland und Israel. Dort gehe es “um fachliche Fragen zur Bedienung der innovativen Waffensysteme und deren optimaler Integration. In Deutschland werden vor allem rechtliche und ethische Fragen bezüglich ihres Einsatzes diskutiert”.

Bevölkerung will Verteidigungsfähigkeit Deutschlands

Natascha Zowislo-Grünewald, Kommunikationswissenschaftlerin an der Bundeswehr-Universität München, räumt mit einem Vorurteil auf: “Die feststellbare Zögerlichkeit Deutschlands in Fragen der Verteidigungs- und Sicherheitspolitik hat ihre Ursachen eher in den Werthaltungen der Eliten und deren (falschen) Beurteilungen der Bevölkerungsmeinung. Der Grundkonsens zur Verteidigungsfähigkeit Deutschlands ist in breitem Maße vorhanden.”

Genau aus diesem Grund fordern die Schriftstellerin Nora Bossong und der Historiker Florian Keisinger, der bei Airbus die Kampagne für das Future Combat Air System (FCAS) leitet, einen öffentlichen Diskurs. “Ziel sollte die Entwicklung eines normativen Rahmens sein, der in der Anwendung von KI in Waffensystemen die menschliche Kontrolle sicherstellt und zugleich den sicherheitspolitischen Realitäten des 21. Jahrhunderts Rechnung trägt. Zu letzteren gehört, dass Deutschland und Europa in der Lage sein müssen, Angriffe mit KI-unterstützten Waffensystemen abzuwehren. Der generelle Verzicht auf KI wäre dagegen ein falsches Signal, sowohl was die eigene Verteidigungsfähigkeit als auch den Schutz der Soldatinnen und Soldaten anbelangt.” nana

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Presseschau

Presseschau

Podcast: 49security – Krisen von morgen (Miniserie): In fünf Folgen betrachtet der Podcast, was Deutschland und die EU tun, um Konflikten vorzubeugen und Gewalt zu verhindern, bevor sie ausbricht. Gäste sind unter anderem Vanessa Gottwick und Carlo Masala (beide Bundeswehr Universität München), Florence Gaub (Future Council on Complex Risks), Tobias Lindner und Deike Potzel (beide Auswärtiges Amt).

International Crisis Group – 10 Conflicts to Watch in 2023: Langsam hören die Kolleginnen und Kollegen auf, frohes Neues zu wünschen. Letzte Gelegenheit für einen Blick auf ein Jahr, in dem vieles nicht froh und gut sein wird. Hier erfahren Sie, welche Krisenherde Sie 2023 im Auge behalten sollten und was man darüber wissen sollte. Von der Ukraine bis Haiti.

Doku: ARD Wissen – Deutschland im Ernstfall (zweiteilig): Lena Ganschow erklärt in der Dokumentationsreihe, wie Infrastrukturen durch Roboterhunde, Seekatzen, Drohnen und andere Geräte gesichert werden. Teil eins dreht sich um den Schutz kritischer Infrastruktur, Teil zwei um die Sicherheit der Energieversorgung.

The Atlantic – What the Rioters in Brazil Learned From Americans: Die Bilder der Brasilianerinnen und Brasilianer, die das Parlament stürmten, weckten auch bei Anne Applebaum Assoziationen zum Sturm auf das Kapitol. Applebaum erklärt, wieso der Unterschied relevant ist, dass der brasilianische Sturm nicht durch amerikanischen Einfluss, aber nach amerikanischem Vorbild geschah.

The Economist – Ukraine’s women snipers take the fight to Putin (Paywall): Ein Wermutstropfen am Text des Economist ist, dass man gerne noch mehr über Sultan, Phoenix und Oksana lesen würde. Für die Scharfschützinnen ist das Risiko größer als für Männer. “Wenn eine Scharfschützin gefangen genommen wird, wird sie vergewaltigt, gedemütigt, gefoltert und dann hingerichtet”, sagt Oksana.

Heads

Sabine Thillaye – Französisch-deutsche Vermittlerin aus Remscheid

Porträtfoto von Sabine Thillaye, Mitglied im französischen Verteidigungsausschuss.
Sabine Thillaye ist Mitglied im französischen Verteidigungsausschuss.

Wenn es zwischen deutschen und französischen Politikern knirscht, haben wenige bessere Voraussetzungen als Sabine Thillaye, um zu erklären, warum. Thillaye ist in Remscheid geborene französische Abgeordnete in der Nationalversammlung. Sie ist Mitglied im Verteidigungsausschuss, im Ausschuss für europäische Angelegenheiten und Teil der Deutsch-Französischen Parlamentarischen Versammlung.

Sie erörtert deutsch-französische Missverständnisse, erklärt, warum sich Probleme aufdrängen, wenn Franzosen und Deutsche von “concept” sprechen und verschiedene Dinge meinen, warum Deutsche anders zu Schulden stehen als Franzosen. “Ich habe das Gefühl, die Franzosen sehen eher das Zukunftspotenzial und die Deutschen eher das Risikopotenzial.”

Projekt Europa hält sie fest

Thillaye kann darüber referieren, wie sich Sprache auf Denksysteme auswirkt. “Ein Franzose wird in einem Gespräch seltener mal richtig nein sagen als ein Deutscher, der ja schon präziser ist, alleine weil wir viele Wörter zusammensetzen.”

Erst wollte sie gar nicht nach Frankreich, lieber nach Brüssel, sich für Europa engagieren, dann heiratete sie einen Franzosen. Europa als Projekt ließ sie aber nicht los. Seit über 30 Jahren lebt sie in Frankreich, die französische Staatsbürgerschaft hat sie erst seit 2015. Macrons Betonung europäischer Fragen sei für sie, die vorher Unternehmerin war, mit ein Grund gewesen, in die Politik zu gehen. Bei Macrons Bewegung En Marche fing sie an, mittlerweile sitzt sie nach einem Streit mit Parteikollegen für die Demokraten in der Nationalversammlung.

“In Deutschland gibt es ein sehr kurzfristiges Denken”

Nachdem im Oktober der deutsch-französische Ministerrat abgesagt wurde, kam im Dezember eine Delegation aus dem französischen Verteidigungsausschuss nach Berlin. Vor einer kleinen Runde Journalisten sagte Thillaye da, dass man bei deutschen Politikern manchmal das Gefühl habe, man rede mit Lobbyisten, weil sie hauptsächlich die Interessen ihrer Wahlkreise vertreten. Die Treffen mit den Kolleginnen und Kollegen aus dem deutschen Verteidigungsausschuss seien dann aber “sehr positiv” gewesen.

Danach habe sich Christine Lambrecht anderthalb Stunden Zeit für die Franzosen genommen. Nicht selbstverständlich für ein solches Treffen. Lambrecht, so schildert es Thillaye, bat um Verständnis für den Kauf der F-35-Flugzeuge, Deutschland habe ja eine Verantwortung gegenüber der Nato zur nuklearen Teilhabe. Dass Deutschland die amerikanischen Flieger gekauft hat, heiße nicht, dass man vom deutsch-französischen Rüstungsprojekt FCAS abrücken wolle.

Die Sache mit den F-35 habe auch wieder mit kulturellen Unterschieden zu tun, sagt Thillaye. “In Deutschland gibt es ein sehr kurzfristiges Denken, weil man sagt: Wir wollen jetzt Effizienz zeigen, wir brauchen eine Antwort. Es herrscht ein Kriegszustand an unseren Grenzen, wie kommen wir da im kapazitären Bereich weiter?” In Frankreich denke man da eher längerfristig und sage: “Ja, mein Gott, wir brauchen ein eigenes Flugzeug oder Abwehrsystem.”

Problembeseitigung über Messenger

Dass FCAS scheitern könnte, glaubt auch Thillaye nicht. Zum Jahresende unterschrieben Industrievertreter den Vertrag für Phase 1B, dafür musste die Politik aber Druck machen. Das Treffen der Ministerinnen und Minister wird am 22. Januar nachgeholt. Die Regierungen können dann noch 60 Jahre Élysée-Vertrag mitfeiern. Auch eine Delegation aus dem deutschen Verteidigungsausschuss soll nach Frankreich kommen.

Für die Abgeordneten, die “entsprechende Sprachkenntnisse” haben, soll eine Telegram- oder Signalgruppe entstehen, “damit man sich auch mal kurzfristig und schnell austauschen und reagieren kann, wenn solche Irritationen auftreten”. Wenn Thillaye mit ihren Problemdiagnosen recht hat, dürfte das helfen. Gabriel Bub

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    • Kampfpanzer für die Ukraine: Deutschland spielt eine Schlüsselrolle
    • Felix Heiduk: “Chinesische Aufrüstung beschränkt sich nicht auf die Volksbefreiungsarmee”
    • Unterseekabel: Angst vor dem Angriff am Meeresgrund 
    • Schweden beteiligt sich an europäischer Raketenabwehr
    • Mali wendet sich weiter vom Westen ab
    • Mehr als 13.800 ukrainische Kinder nach Russland verschleppt
    • Öffentlicher Diskurs über den Einsatz von KI in Waffensystemen gefordert
    • Im Portrait: Sabine Thillaye – Französisch-deutsche Vermittlerin aus Remscheid
    Liebe Leserin, lieber Leser,

    vieles deutet darauf hin, dass der Westen bald doch Kampfpanzer in die Ukraine liefern könnte. Großbritannien bringt bereits den Challenger 2 ins Spiel. Auch Polen spricht von “moderner, schwerer Ausrüstung” für die Ukraine. Und Deutschland? “Die Bundesregierung hat zum jetzigen Zeitpunkt kein Bestreben, ihrerseits Leopard 2-Kampfpanzer an die Ukraine zu liefern.” Thomas Wiegold hat die Details.

    Im Indopazifik will China seinen Einflussbereich ausdehnen und rüstet dazu unter anderem seine Marine massiv auf. Damit fordert Peking die USA aktiv heraus, was einen Krieg zwischen den beiden Großmächten immer plausibler macht, wie Felix Heiduk, Forschungsgruppenleiter Asien bei der SWP, im Interview mit meinem Kollegen Gabriel Bub erklärt.

    Nicht nur China rüstet auf. Auch das russische und das amerikanische Militär stecken viel Geld und Know-how in die Entwicklung von teils autonomen Waffensystemen, die in der Tiefsee agieren. Die Gefahr, dass dabei Untersee-Datenkabel zum Ziel von Angriffen werden, steigt. In Europa ist allerdings noch größtenteils ungeklärt, wer für den Schutz der digitalen Infrastruktur am Meeresboden zuständig sein soll, wie Sie in meiner Analyse nachlesen können.

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    Lisa-Martina Klein
    Bild von Lisa-Martina  Klein

    Analyse

    Kampfpanzer für die Ukraine: Deutschland spielt eine Schlüsselrolle

    Nachdem in der vergangenen Woche zunächst Frankreich und dann die USA und Deutschland der Ukraine Späh- und Schützenpanzer zugesagt hatten, ist die Debatte über den nächsten Schritt erst recht in Fahrt gekommen: die Lieferung von Kampfpanzern. Die Initiative finnischer Abgeordneter zu einer europäischen Abgabe von Panzern des Typs Leopard 2 wird inzwischen durch Aussagen aus europäischen Regierungen flankiert.

    So berichtete der polnische Ministerpräsident Mateusz Morawiecki am vergangenen Samstag ganz offiziell bei einer Pressekonferenz von Gesprächen einer “breiteren Koalition von Ländern, die diese schwere, moderne Ausrüstung übergeben können”. Darüber habe er sogar, sagte Morawiecki, bereits mit Bundeskanzler Olaf Scholz gesprochen.

    Um welche Panzertypen es genau gehe, sagte der polnische Premier zwar nicht. Klar ist aber, dass Polen Verträge mit den USA und Südkorea über Panzerlieferungen abgeschlossen hat – und im Gegenzug einen Großteil seiner rund 250 Kampfpanzer Leopard 2 aus deutscher Produktion gerne abgeben würde.

    Entscheidung in Ramstein möglich

    Morawieckis Hinweis “wir werden in den nächsten Tagen mehr darüber wissen”, zielt offensichtlich auf das nächste Treffen im sogenannten Ramstein-Format: Diese internationale Kontaktgruppe zur Unterstützung der Ukraine unter US-Führung will am 20. Januar über weitere Waffenlieferungen an die Ukraine beraten. Für diese Abstimmung, so wurde am Montag bekannt, bereitet offensichtlich auch Großbritannien ein Angebot für schwere Kampfpanzer vor.

    Der britische Challenger 2-Panzer, berichtete unter anderem der Sender SkyNews unter Berufung auf westliche wie ukrainische Quellen, könne aus britischer Sicht als Türöffner für entsprechende Angebote auch der USA und anderer westlicher Länder dienen. Zudem würde Großbritannien, ähnlich wie Frankreich bei den leichten Panzermodellen, mit dieser Vorreiterrolle seinen Anspruch auf Führung in diesem Prozess demonstrieren.

    Die Bundesregierung bringt das erneut in eine Zwickmühle. Wie kein anderes Nato-Land hat Deutschland die Lieferung von westlichen Kampfpanzern an die Ukraine bisher nicht nur vermieden, sondern auch immer wieder dagegen öffentlich Stellung bezogen, so auch am Montag. Regierungssprecher Steffen Hebestreit sagte: “Die Bundesregierung hat zum jetzigen Zeitpunkt kein Bestreben, ihrerseits Leopard 2-Kampfpanzer an die Ukraine zu liefern.”

    Scholz hält sich weiterhin zurück

    Andere Länder lieferten die schweren Gefechtsfahrzeuge zwar auch nicht, äußerten sich aber auch nicht dazu. Umso genauer wurde registriert, wenn der Kanzler vom bisher verkündeten Kurs abwich und unter dem Druck der Entwicklung des Kriegs in Europa bisherige Positionen räumte.

    Die meist kurzfristigen Kurswechsel bringen vor allem die deutschen Streitkräfte immer wieder in eine schwierige Lage. Das zeigte sich schon im vergangenen Jahr bei der Abgabe von Panzerhaubitzen: Die schweren Geschütze wurden bei der Bundeswehr bisher nicht ersetzt, auch die Artilleriemunition wurde bislang nicht nachbestellt. Liefern musste die Truppe dennoch. Und auch die jüngste, dann doch überraschend verkündete Entscheidung zur Lieferung von rund 40 Marder-Schützenpanzern an die Ukraine muss die Bundeswehr erst einmal umsetzen.

    Lambrechts Aussage hielt nur wenige Tage

    So hatte Verteidigungsministerin Christine Lambrecht noch kurz vor Weihnachten recht eindeutig erklärt: “Aus der Bundeswehr hätten wir sowieso keine Marder abgegeben. Wir brauchen die.” Der Kanzler entschied anders – die Aussage “wir brauchen die” änderte das allerdings nicht.

    Denn das Heer verfügt noch über vier Kampftruppenbataillone, die mit den Marder-Schützenpanzern ausgestattet sind. Und in der Truppe hat nun das Rechnen angefangen, erschwert durch das Debakel beim modernen Schützenpanzer Puma, der den Marder langfristig ablösen soll: Weil bei einer Übung im Dezember zahlreiche Pumas ausgefallen sind, muss nun bis auf Weiteres der Anteil der Panzergrenadiere an der deutsch geführten Nato-Eingreiftruppe von einem Marder-Bataillon gestellt werden.

    Ein anderes Bataillon verlegt derzeit einen Teil seiner Marder nach Litauen, wo sie als fest zugesagter Part einer Nato-Kampfgruppe an der Nordostflanke der Allianz für ein halbes Jahr stationiert werden. Im August wird ein weiteres Bataillon, ebenfalls mit Mardern ausgestattet, in der planmäßigen Rotation diese Aufgaben übernehmen.

    Unklar ist, wie viele Marder Griechenland bekommt

    Nur ein Bataillon mit diesen Schützenpanzern bleibt der Bundeswehr noch in Reserve – und dieses Bataillon wird absehbar nicht nur einen Teil seiner Marder an Litauen abgeben, sondern auch Fahrzeuge für die Ausbildung ukrainischer Soldaten in Deutschland bereitstellen müssen.

    Die hektische Planung in den Stäben des Heeres in diesen Tagen wird deshalb davon abhängen, wie schnell die Industrie wie viele wieder hergerichtete Marder zur Verfügung stellen kann. Von den 100 älteren Gefechtsfahrzeugen dieses Typs, die der Rüstungskonzern Rheinmetall in seinen Beständen hat, wurden bislang 40 wieder einsatzbereit gemacht. Die sind allerdings dem Nato-Partner Griechenland zugesagt: Im sogenannten Ringtausch soll das Land 40 Marder erhalten, von denen ein Teil bereits ausgeliefert wurde; im Gegenzug geben die griechischen Streitkräfte ältere Gefechtsfahrzeuge sowjetischer Bauart an die Ukraine ab.

    Die Entscheidung zur direkten Lieferung von Schützenpanzern an die Ukraine werde an dieser Vereinbarung nichts ändern, hatte Regierungssprecher Hebestreit betont: “Nicht, dass die griechischen Kolleginnen und Kollegen jetzt ganz nervös werden: Die Ringtausche sind natürlich abgeschlossen beziehungsweise fest vereinbart.”

    Eine Hintertür ließ er allerdings noch offen: “Da holt man jetzt nicht ein Gerät, das man nach Griechenland gebracht hat, wieder zurück.” Ob diese Aussage für die – dem Vernehmen nach rund 25 – Marder gilt, die noch nicht nach Südeuropa geschickt wurden, bleibt also vorerst offen. Mit den Worten des stellvertretenden Sprechers im Verteidigungsministerium, Oberst Arne Collatz: “Hinsichtlich der genauen Stückelung dessen, welcher Panzer woher kommt, möchte ich hier jetzt tatsächlich noch nichts sagen.”

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    “Chinesische Aufrüstung beschränkt sich nicht auf die Volksbefreiungsarmee”

    Karte zu Chinas Gebietsansprüchen im Indopazifik.
    Mit der Neun-Striche-Linie markiert China seine Ansprüche auf das Südchinesische Meer. China, Vietnam und Taiwan beanspruchen die Paracel-Inseln, auch bei den Spratly-Inseln sind mehrere Anrainerstaaten involviert.

    Herr Heiduk, steuern wir im Indopazifik auf einen Krieg zu?

    Der Indopazifik reicht je nach Definition mindestens von den westpazifischen Inselgruppen bis an die Ostküste Afrikas. Was meinen Sie genau? Einen Krieg zwischen den USA und China?

    Darauf will ich hinaus.

    Ich denke, es ist plausibler, dass es dazu kommt, als vor fünf oder zehn Jahren – ich würde da immer entlang von Plausibilitäten argumentieren. Aber Kriegsausbrüche und -verläufe sind zumeist derart multikausal, dass seriöse Sozialwissenschaft immer betonen sollte, dass es fast unmöglich ist, sie vorauszusagen.

    Welche Plausibilitäten machen einen Kriegsausbruch wahrscheinlicher?

    Das ist zunächst die zunehmende ordnungspolitische Rivalität. Peking fordert aktiv die etablierte US-Vormachtstellung in der Region heraus – politisch, wirtschaftlich, aber auch immer mehr militärisch. Zudem hat sich innenpolitisch sowohl in China wie auch in den USA eine Wahrnehmung der bilateralen Beziehungen zwischen Washington und Peking breitgemacht, die dieses als antagonistisches Nullsummenspiel begreift. Und dazu kommt, dass in der Region Instrumente des Konfliktmanagements weitgehend fehlen. Angefangen von der Ebene der Rüstungskontrolle bis hin zur diplomatischen Ebene. All das ist überhaupt nicht institutionalisiert worden und, wenn man ganz ehrlich ist, ist Konfliktmanagement daher von den persönlichen Beziehungen der regierenden Eliten untereinander abhängig.

    Porträtfoto von Felix Heiduk vor grauem Hintergrund.
    Felix Heiduk ist Forschungsgruppenleiter Asien bei der Stiftung Wissenschaft und Politik.

    Was macht die fehlende Rüstungskontrolle mit der Region?

    Es gibt eine Reihe von Sicherheits-Hotspots, an denen sich aufgrund der angespannten Sicherheitslage durch die immer weiter fortschreitende Militarisierung der Region militärische Eskalationsspiralen in Gang setzen könnten – dies auch durchaus unintendiert, d.h. selbst wenn die beiden zentralen Akteure Washington und Peking kein Interesse daran haben. Zudem wirkt sie sich verstärkend auf das wachsende Misstrauen zwischen den USA und Peking über die “echten” Intentionen des jeweiligen anderen aus.

    Wie hat China im Indopazifik aufgerüstet?

    Vor allem, aber nicht nur, im Marinebereich. Zunächst mal kann man das rein quantitativ fassen: Die chinesische Marine ist mittlerweile zahlenmäßig größer als die der USA. Aufrüstung beschränkt sich aber nicht allein auf die Volksbefreiungsarmee. Damit meine ich nicht nur die Marine als Marine, sondern auch den militärischen Grauzonenbereich, der von der Küstenwache bis zur zivilen Fischerei reicht. Es gibt viel Forschung, die aufzeigt, dass die größeren Fischereifangflotten in den letzten Jahren immer im Verbund mit Küstenwache und Marine operiert haben. Und dass zur Durchsetzung territorialer Ansprüche zum Beispiel gegenüber den Philippinen oder Vietnam auch zivile Schiffe von staatlicher Seite eingesetzt werden. Bestimmte Schiffe der chinesischen Küstenwache sind mittlerweile durchaus bewaffnet und sogar größer als Korvetten und Fregatten. Das wird aber gar nicht in den normalen Militärausgaben abgebildet.

    Ist Chinas Marine auch qualitativ besser als die der USA?

    Das ist offen gesagt schwer zu messen. So traurig wie es klingt – das müsste man wohl im Gefecht herausfinden. Wie die USA mit dieser Ungewissheit umgehen, ist natürlich eine interessante Frage.

    Wie tun sie das?

    Wenn wir uns die Rhetorik angucken, würden wir annehmen, dass es einen massiven Ausbau der militärischen Kapazitäten der USA im Indopazifik gibt. Aber den können wir empirisch bisher nicht darlegen.

    Es gibt keine starke amerikanische Aufrüstung?

    Nein, interessanterweise im Indopazifik nicht. Was es aber gibt – Stichwort Integrated Deterrence – ist ein Konzept, das sagt: Wir sind als USA nicht bereit, unsere eh schon umfassenden militärischen Kapazitäten allein weiter auszubauen, sehen aber die Notwendigkeit, die militärische Abschreckung gegenüber China trotzdem zu erhöhen.

    Was bedeutet das?

    Integrated Deterrence heißt, wir haben fünf bilaterale Militärallianzen. Da gibt es das Nabe-und-Speichen-System, also die USA als Nabe und die fünf Alliierten als Speichen. Was die USA an eigenen militärischen Kapazitäten nicht investieren wollen bzw. können, soll an den Speichen ausgebaut werden. Das heißt die Speichen, insbesondere Südkorea, Japan und Australien, in einem geringeren Maße die Philippinen und bei Thailand kann man derzeit ein größeres Fragezeichen dahintersetzen, aber zumindest die drei erstgenannten, sollen die eigenen militärischen Kapazitäten massiv ausbauen und stärker miteinander und mit den USA kooperieren, um den USA ein Stück weit die Last diesbezüglich abzunehmen und gleichzeitig die militärische Abschreckung gegenüber China zu erhöhen.

    Grafik zu den Rüstungsausgaben, Vergleich zwischen USA, China, Indien, Japan, Südkorea und Australien zwischen 1991 und 2021.
    China holt bei den Rüstungsausgaben auf. Nicht alles, was in Seekräfte fließt, taucht hier auf.

    Gibt es ein chinesisches Gegenmodell dazu?

    Mir ist bislang kein offizieller strategischer Gegenentwurf bekannt. Man kann sich darüber streiten, ob die Partnerschaft mit Pakistan oder Kambodscha oder mit Laos eine Quasi-Alliance ist. Fakt ist, China macht keine Allianzen seit Korea mehr. Ein chinesisch-dominiertes Allianzsystem in Konkurrenz zu dem der USA sehen wir derzeit nicht. Wohl aber die Intensivierung bilateraler Partnerschaften zwischen China und Partnerländern in der Region – auch im militärischen Bereich.

    Welche Sicherheitsarchitektur wäre im Sinne Europas?

    Wenn ich mir die offiziellen Debatten und Strategien dazu anschaue, dann ist relativ deutlich, dass eine wie auch immer geartete sino-amerikanische Bipolarität und eine regionale Sicherheitsarchitektur, die dieser entspricht, nicht gewünscht sind. Da wird von effektivem Multilateralismus geredet, von Inklusivität im Indopazifik. Wenn wir uns das beobachtbare Verhalten von Deutschland, Frankreich oder anderen angucken, sehen wir: Das sicherheitspolitische Verhalten passt allerdings nicht zum Narrativ. Denn dafür müssten die Europäer ja aktiv auf China zugehen, um die VR in wie auch immer geartete inklusive, multilaterale sicherheitspolitische Strukturen einzubinden. Dies ist jedoch nicht beobachtbar. Und es ist auch nicht zu beobachten, dass die VR China derzeit ein Interesse an derartiger Kooperation hat.

    Was für eine Ordnung zeichnet sich dann im Indopazifik ab?

    Es gibt in immer stärkerem Maße Akteure wie Indien, Indonesien, Australien, Japan, deren Bedeutung im sicherheits- und verteidigungspolitischen Bereich wächst. Was aus meiner Sicht daraus ableitbar ist, ist eine multipolare Ordnung in dieser Region. Ich war neulich auf einer Konferenz in Jakarta, da war das positiv konnotiert als ein Ordnungssystem, welches eben nicht das bipolare System eines neuen Kalten Krieges abbildet und somit Staaten wie Indien, Indonesien und anderen middle powers mehr Einflussmöglichkeiten bietet. Es dürfte aber in jedem Fall zunächst eine klar asymmetrische Multipolarität sein, weil China und die USA die Big Guys sind und das auf absehbare Zeit bleiben werden. Ob das daher eine sicherheitspolitisch stabile Ordnung ist, da würde ich erstmal ein großes Fragezeichen dransetzen. Vielleicht wünschen wir uns dann alle den neuen Kalten Krieg, den wir derzeit im Indopazifik noch nicht bekommen haben.

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    Unterseekabel: Angst vor dem Angriff am Meeresgrund 

    Die Angst wächst, dass Untersee-Datenkabel und Landungspunkte zunehmend Ziel von hybrider Kriegsführung werden. Seit den Anschlägen auf die Nordstream-Pipelines diskutieren Politiker, Unternehmen und Militärs die mögliche gezielte Zerstörung der Unterseekabel noch einmal intensiver, die schutzlos am Meeresgrund liegen.

    Angriffe darauf gelten in Expertenkreisen als zunehmend wahrscheinlich. Immer mehr Nationen nähmen Seabed Warfare, also die Kriegsführung auf dem Meeresboden, in ihre militärischen Doktrinen auf, erklärt Ferdinand Alexander Gehringer, Experte für Cybersicherheit bei der Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS) in einem kürzlich veröffentlichten Papier. “Dazu kommt, dass russische, chinesische und amerikanische Militärs Techniken entwickeln, mit der Infrastruktur in einer Tiefe von 6.000 Metern zerstört werden kann”, sagt Gehringer. 

    So verfügt Russlands Seekriegsflotte über mindestens zwei U-Boote, die als Mutterschiff genutzt werden können und zwei unbemannte Klein-U-Boote (UUVs), die mit Greifarmen Kabel am Meeresgrund zerstören können. Die USA entwickeln autonome, bewaffnete Roboter-U-Boote. Und auch China hat bereits ein unbemanntes Unterwasserfahrzeug vorgestellt (HSU001). Die Aufrüstung hat in diesem Bereich gerade erst begonnen. Doch wer soll die Kabel vor Angriffen schützen? 

    Seabed Warfare wird relevanter  

    Gehringer plädiert dafür, die Nato als militärische Ebene einzubeziehen. Das Joint Force Command Norfolk im Osten der USA, zuständig unter anderem für den Schutz von Unterseeinfrastruktur, reiche nicht. “So ein Projekt muss eine Aufgabe der gesamten Nato sein.”  

    Konkrete Überlegungen aus der Politik gibt es dazu bereits. Vor der Berliner Sicherheitskonferenz Ende November hatten sich Bundeskanzler Olaf Scholz und der norwegische Ministerpräsident Jonas Støre für eine Koordinierungsstelle der Nato ausgesprochen, von der aus Gas-Pipelines und Internetleitungen auf dem Meeresboden geschützt werden sollen.  

    Scholz plädierte für eine effiziente Abstimmung zwischen Polizei und Militär, Akteure wie die Europäische Union und privatwirtschaftliche Unternehmen müssten gut eingebunden werden. Norwegen ist Deutschlands wichtigster Energielieferant, Deutschlands Thyssen Krupp Marine Systems (TKMS) liefert seit Jahren Norwegen seine U-Boote der Klasse 212. 

    Wichtig wäre aus Gehringers Sicht auch, dass die Nato-Mitgliedsländer die Unterwasser-Infrastruktur von vornherein bei ihrer Ausstattung mitbedenken. Für die Bundeswehr sieht er laut dem Papier eine Verdoppelung der U-Boote-Flotte, von sechs auf zwölf, und autonome Unterwasserfahrzeuge wie die “Seekatze” für notwendig an. Mit der Einbeziehung der Nato ergäben sich laut Gehringer weitere Vorteile: “Damit hätte die Nato eine ständige Aufgabe, es gäbe einheitliche Übungen, mehr Forschung und eine abgestimmte Seabed Warfare-Strategie.” 

    “Gemeinschaftliches Verantwortungsgefühl”

    Auch die EU spielt bei dem Schutz der Unterseestrukturen eine wichtige Rolle. Knapp 170 Hochgeschwindigkeits-Datenkabel erreichen das EU-Festland auf dem Weg durch die Meere, Deutschland hat derzeit vier Landungspunkte mit acht Kabeln. Als neuralgisch gilt vor allem die primär mit Marseille verbundene Strecke entlang des Suez-Kanals, über die Europa mit Asien verbunden ist. 

    “Marseille spielt eine Hauptrolle für den Datenverkehr in Europa, Deutschland hat wenige Landungspunkte. Das heißt aber nicht, dass die Verantwortung deshalb hauptsächlich bei Frankreich liegen sollte. Wir brauchen vielmehr ein gemeinschaftliches Verantwortungsgefühl für eine Infrastruktur, von der wir alle abhängig sind, ähnlich wie bei den Nordstream-Pipelines”, sagt Gehringer. 

    EU hat Vorgaben frisch überarbeitet 

    Die Schutzvorschriften für IT-Infrastruktur wurde erst im vergangenen Jahr mit der NIS2-Richtlinie überarbeitet. Der Europaabgeordnete Bart Groothuis (Renew) hat sie für das Parlament verhandelt. Er fordert eine enge Verzahnung über die Mitgliedstaaten, EU und Nato hinweg, sodass im Falle eines Ereignisses Einblicke in das Geschehnis schneller möglich sind: “Was genau ist passiert, wer steckt dahinter, was war der Grund dafür, dass genau dieses Internetkabel gekappt wurde?”

    Dafür müsse es eine zentrale Stelle geben, fordert Groothuis, der vor seinem Abgeordnetenmandat in Brüssel Abteilungsleiter für die Cyberabwehr im niederländischen Verteidigungsministerium war. Auch die Küstenwachen müssten in das System eng eingebunden sein. 

    “Im digitalen Bereich sind wir damit auf dem Weg hin zu besserem Schutz”, attestiert Gehringer der EU. Mit der Richtlinie zum Schutz Kritischer Einheiten (CER) müssen die Mitgliedstaaten nun zudem den physischen Schutz der Kritischen Infrastrukturen verbessern. In Deutschland soll dies das neue Gesetz leisten, das 2023 von Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) vorgeschlagen wird und für das im Dezember im Kabinett erste Eckpunkte beschlossen wurden. “Das Kritis-Dachgesetz ist ebenfalls ein erster, richtiger Schritt, zeigt aber, dass wir gerade erst anfangen, uns in Ansätzen mit dem Schutz Kritischer Infrastruktur zu beschäftigen”, sagt Gehringer. 

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    Schweden beteiligt sich an europäischer Raketenabwehr

    Schweden will sich der European Sky Shield Initiative (ESSI) anschließen. Dies hat Premierminister Ulf Kristersson am Sonntag bei einer Sicherheitskonferenz in Sälen angekündigt. Außerdem will sich Stockholm an Nato-Luftsicherungsmissionen über dem Baltikum, Island und dem Schwarzen Meer beteiligen.

    Mit dem Beitritt in die von Deutschland angeführte Luftsicherungs-Initiative, an der bisher 15 Staaten beteiligt sind, würde Schweden einen Schritt in Richtung Nato-Integration gehen.

    Türkei blockiert noch den Nato-Beitritt

    Doch wie schnell die nordischen Staaten vollständige Mitglieder der Allianz werden, ist noch offen. Sowohl Ungarn als auch die Türkei haben diesen Schritt noch nicht unterstützt. Ungarn soll in den nächsten Wochen zustimmen; Ankara weigert sich noch.

    Recep Tayyip Erdoğan fordert von Schweden die Auslieferung mehrerer Personen, die er als kurdische Terroristen oder Putschisten bezeichnet, unter anderem des Journalisten Bülent Keneş. Kristersson sagte bei der Konferenz: “Die Türkei bestätigt, dass wir gemacht haben, was wir versprochen haben. Aber sie sagt auch, dass sie Dinge will, die wir ihr nicht geben können und wollen. Die Entscheidung liegt jetzt bei der Türkei.”

    Die schwedische Regierung hat bereits Zugeständnisse an die Türkei gemacht, ein Embargo zur Lieferung von Waffen gecancelt und sich von der kurdischen YPG distanziert, die in Nordsyrien den IS bekämpfte. Finnlands Außenminister Pekka Haavisto, der ebenfalls bei der Konferenz war, sagte, man werde notfalls auf Schweden warten. “Wir haben die Nato-Bewerbung gemeinsam eingereicht, wir werden das Verfahren auch gemeinsam zum Abschluss bringen.” bub

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    Mali wendet sich weiter vom Westen ab

    Der Einsatz der Bundeswehr in Mali ist die inzwischen letzte große Auslandsmission der deutschen Streitkräfte – wird aber angesichts des Kriegs in Europa kaum noch beachtet. Das westafrikanische Land orientiert sich immer mehr nach Moskau, während die westliche Bedeutung an der UN-Blauhelmtruppe MINUSMA schwindet.

    Die jüngste, im Westen praktisch unbeachtete Veränderung: Der niederländische Generalleutnant Kees Matthijssen gab das Kommando über die UN-Truppe ab. Bis auf Weiteres leitet sein bisheriger Stellvertreter, der senegalesische Generalmajor Mamadou Gaye, die internationale Mission. Damit endete auch die Reihe der bisherigen, meist aus westlichen Ländern stammenden Kommandeure.

    Die von Militärs geführte malische Übergangsregierung räumte zudem einen Streit mit den Nachbarländern ab, der im vergangenen Jahr auch für Druck auf westliche Streitkräfte in der UN-Mission genutzt worden war: Der Interimspräsident, Oberst Assimi Goïta, begnadigte 49 Soldatinnen und Soldaten der Elfenbeinküste, die Ende vergangenen Jahres als angebliche Söldner zu langjährigen Haftstrafen verurteilt worden waren.

    Ivorische Soldaten ausgenutzt

    Die Ivorer waren im Sommer 2022 bei der Einreise nach Mali festgenommen worden. Sie wurden später verurteilt wegen “Verbrechen des Attentats und der Verschwörung gegen die Regierung; Gefährdung der äußeren Sicherheit des Staates; Besitz, Tragen und Transport von Kriegs- oder Verteidigungswaffen und -munition, die vorsätzlich in Verbindung mit einem individuellen oder kollektiven Unternehmen eingesetzt werden, das darauf abzielt, die öffentliche Ordnung durch Einschüchterung oder Terror zu stören”.

    Tatsächlich waren die Soldatinnen und Soldaten im Auftrag der UN-Mission unterwegs: Sie sollten ein Camp am Flughafen der Hauptstadt Bamako bewachen, in dem zahlreiche Soldaten anderer Nationen untergebracht waren, auch Deutsche.

    Mit der Aburteilung und anschließenden Begnadigung, die erwartet worden war, wollte die malische Staatsführung ein doppeltes Ziel erreichen: Den Nachbarn wie der Elfenbeinküste deutlich machen, dass sich das Land von ausländischem Druck auch afrikanischer Staaten nicht beeindrucken lässt. Und gleichzeitig auch den – inzwischen nur widerwillig geduldeten westlichen Nationen zu zeigen, dass Mali auf ihre Unterstützung kaum noch Wert lege.

    Bundeswehr könnte auch schneller abziehen

    Für die Bundeswehr ist der Abzug aus der UN-Mission ohnehin eingeläutet: Wenn das derzeitige Bundestagsmandat im Mai ausläuft, soll es nur noch als Abzugsauftrag für ein Jahr verlängert werden. Selbst diese Übergangszeit, so machte Verteidigungsministerin Christine Lambrecht im Dezember ihrem malischen Kollegen Sadio Camara klar, ist an Bedingungen geknüpft: ohne die für Anfang 2024 zugesagten Wahlen könnte auch eher Schluss sein. tw

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    Mehr als 13.800 ukrainische Kinder nach Russland verschleppt

    Die Zahl der ukrainischen Kinder, die seit Anfang des Krieges nach Russland gebracht worden sind, ist nach Angaben der ukrainischen Regierung auf 13.876 gestiegen. Mehr als 8.600 von ihnen sollen zur Ausreise nach Russland gezwungen, also deportiert worden sein.

    Allein in der Zeit um den Jahreswechsel seien mehr als 410 Kinder aus der besetzten Stadt Horliwka in der Region Donezk in die russischen Städte Rostow, Moskau und andere verbracht worden, meldet das ukrainische Portal RBK. Kiew befürchtet, dass die Kinder in Russland umerzogen werden und ihre ukrainische Identität und Kultur verlieren sollen.

    Laut dem ukrainischen Regierungsportal “Diti Wijni” (Kinder des Krieges) gelingt es immer wieder, Kinder zu finden, die als vermisst oder verschwunden gelten. 8818 konnten bisher wiedergefunden werden. 453 Kinder sind nach offiziellen Angaben getötet worden. vf

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    Öffentlicher Diskurs über den Einsatz von KI in Waffensystemen gefordert

    Künstliche Intelligenz (KI) ist längst Bestandteil militärischer Systeme weltweit. Vor allem die großen Militärmächte wie die USA und China, aber auch Israel und Südkorea geben Milliarden aus, um in der Forschung die Nase vorn zu haben. Großbritannien, Frankreich sowie Russland spielen ebenfalls mit bei der Technologie der Stunde, von der noch keiner weiß, welche Auswirkungen sie auf die Kriege der Zukunft haben wird.

    Autonome Waffensysteme gelten als die dritte Revolution in der Kriegsführung – nach der Erfindung des Schießpulvers und der Atombombe. Bemühungen der Vereinten Nationen, den Faktor Mensch -“the human in the loop” – in KI gestützten Systemen zu definieren, sind bislang ins Leere gelaufen.

    Selbst in Europa gibt es ganz unterschiedliche Herangehensweisen. Während Frankreich auf eine eigene KI-Strategie in der Militärtechnologie setzt, sieht man das Thema in Deutschland traditionell eher skeptisch. Fachleute sind sich aber einig, dass man das Thema nicht den KI-Supermächten überlassen kann.

    “Der Einsatz Künstlicher Intelligenz stellt die Bundeswehr und die deutsche Gesellschaft vor die Frage, ob und in welchem Ausmaß KI militärisch genutzt werden kann und vor allem, inwieweit sie es darf. Wo liegen Möglichkeiten und Grenzen?” Die Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS) wird am 17. Januar dazu einen Sammelband über die “Bundeswehr der Zukunft -Verantwortung und Künstliche Intelligenz” vorstellen.

    KI stellt Innere Führung in Frage

    Herausgeber sind der ehemalige Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU), Vorsitzender der KAS, und der Physikprofessor Wolfgang Koch, Chief Scientist des Fraunhofer-Instituts für Kommunikation, Informationsverarbeitung und Ergonomie. Der Band der CDU-nahen Stiftung versammelt Expertise aus Wissenschaft, Militär, Politik, Ethik und Literatur. Security.Table liegt der 475-seitige Band vorab vor.

    So diskutieren Peter Tauber, Parlamentarischer Staatssekretär a.D. (Verteidigungsministerium) und der Militärhistoriker Sönke Neitzel die Entwicklung des Prinzips der Inneren Führung. “Clausewitz’ ‘Chaos der Schlacht’ gilt heute nicht mehr in diesem Ausmaß aufgrund von modernen Führungs- und Aufklärungsprozessen, die von Technologie gestützt werden. Beispielsweise lässt sich von Ramstein aus eine Drohne führen oder Befehle bis nach Afghanistan in Sekundenschnelle vermitteln.”

    Idit Shafran Gittleman und Eyal Berelovich, zwei israelische Wissenschaftler aus renommierten Think-Tanks, reflektieren die sehr unterschiedliche Debatte über bewaffnete Drohnen in Deutschland und Israel. Dort gehe es “um fachliche Fragen zur Bedienung der innovativen Waffensysteme und deren optimaler Integration. In Deutschland werden vor allem rechtliche und ethische Fragen bezüglich ihres Einsatzes diskutiert”.

    Bevölkerung will Verteidigungsfähigkeit Deutschlands

    Natascha Zowislo-Grünewald, Kommunikationswissenschaftlerin an der Bundeswehr-Universität München, räumt mit einem Vorurteil auf: “Die feststellbare Zögerlichkeit Deutschlands in Fragen der Verteidigungs- und Sicherheitspolitik hat ihre Ursachen eher in den Werthaltungen der Eliten und deren (falschen) Beurteilungen der Bevölkerungsmeinung. Der Grundkonsens zur Verteidigungsfähigkeit Deutschlands ist in breitem Maße vorhanden.”

    Genau aus diesem Grund fordern die Schriftstellerin Nora Bossong und der Historiker Florian Keisinger, der bei Airbus die Kampagne für das Future Combat Air System (FCAS) leitet, einen öffentlichen Diskurs. “Ziel sollte die Entwicklung eines normativen Rahmens sein, der in der Anwendung von KI in Waffensystemen die menschliche Kontrolle sicherstellt und zugleich den sicherheitspolitischen Realitäten des 21. Jahrhunderts Rechnung trägt. Zu letzteren gehört, dass Deutschland und Europa in der Lage sein müssen, Angriffe mit KI-unterstützten Waffensystemen abzuwehren. Der generelle Verzicht auf KI wäre dagegen ein falsches Signal, sowohl was die eigene Verteidigungsfähigkeit als auch den Schutz der Soldatinnen und Soldaten anbelangt.” nana

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    Presseschau

    Presseschau

    Podcast: 49security – Krisen von morgen (Miniserie): In fünf Folgen betrachtet der Podcast, was Deutschland und die EU tun, um Konflikten vorzubeugen und Gewalt zu verhindern, bevor sie ausbricht. Gäste sind unter anderem Vanessa Gottwick und Carlo Masala (beide Bundeswehr Universität München), Florence Gaub (Future Council on Complex Risks), Tobias Lindner und Deike Potzel (beide Auswärtiges Amt).

    International Crisis Group – 10 Conflicts to Watch in 2023: Langsam hören die Kolleginnen und Kollegen auf, frohes Neues zu wünschen. Letzte Gelegenheit für einen Blick auf ein Jahr, in dem vieles nicht froh und gut sein wird. Hier erfahren Sie, welche Krisenherde Sie 2023 im Auge behalten sollten und was man darüber wissen sollte. Von der Ukraine bis Haiti.

    Doku: ARD Wissen – Deutschland im Ernstfall (zweiteilig): Lena Ganschow erklärt in der Dokumentationsreihe, wie Infrastrukturen durch Roboterhunde, Seekatzen, Drohnen und andere Geräte gesichert werden. Teil eins dreht sich um den Schutz kritischer Infrastruktur, Teil zwei um die Sicherheit der Energieversorgung.

    The Atlantic – What the Rioters in Brazil Learned From Americans: Die Bilder der Brasilianerinnen und Brasilianer, die das Parlament stürmten, weckten auch bei Anne Applebaum Assoziationen zum Sturm auf das Kapitol. Applebaum erklärt, wieso der Unterschied relevant ist, dass der brasilianische Sturm nicht durch amerikanischen Einfluss, aber nach amerikanischem Vorbild geschah.

    The Economist – Ukraine’s women snipers take the fight to Putin (Paywall): Ein Wermutstropfen am Text des Economist ist, dass man gerne noch mehr über Sultan, Phoenix und Oksana lesen würde. Für die Scharfschützinnen ist das Risiko größer als für Männer. “Wenn eine Scharfschützin gefangen genommen wird, wird sie vergewaltigt, gedemütigt, gefoltert und dann hingerichtet”, sagt Oksana.

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    Sabine Thillaye – Französisch-deutsche Vermittlerin aus Remscheid

    Porträtfoto von Sabine Thillaye, Mitglied im französischen Verteidigungsausschuss.
    Sabine Thillaye ist Mitglied im französischen Verteidigungsausschuss.

    Wenn es zwischen deutschen und französischen Politikern knirscht, haben wenige bessere Voraussetzungen als Sabine Thillaye, um zu erklären, warum. Thillaye ist in Remscheid geborene französische Abgeordnete in der Nationalversammlung. Sie ist Mitglied im Verteidigungsausschuss, im Ausschuss für europäische Angelegenheiten und Teil der Deutsch-Französischen Parlamentarischen Versammlung.

    Sie erörtert deutsch-französische Missverständnisse, erklärt, warum sich Probleme aufdrängen, wenn Franzosen und Deutsche von “concept” sprechen und verschiedene Dinge meinen, warum Deutsche anders zu Schulden stehen als Franzosen. “Ich habe das Gefühl, die Franzosen sehen eher das Zukunftspotenzial und die Deutschen eher das Risikopotenzial.”

    Projekt Europa hält sie fest

    Thillaye kann darüber referieren, wie sich Sprache auf Denksysteme auswirkt. “Ein Franzose wird in einem Gespräch seltener mal richtig nein sagen als ein Deutscher, der ja schon präziser ist, alleine weil wir viele Wörter zusammensetzen.”

    Erst wollte sie gar nicht nach Frankreich, lieber nach Brüssel, sich für Europa engagieren, dann heiratete sie einen Franzosen. Europa als Projekt ließ sie aber nicht los. Seit über 30 Jahren lebt sie in Frankreich, die französische Staatsbürgerschaft hat sie erst seit 2015. Macrons Betonung europäischer Fragen sei für sie, die vorher Unternehmerin war, mit ein Grund gewesen, in die Politik zu gehen. Bei Macrons Bewegung En Marche fing sie an, mittlerweile sitzt sie nach einem Streit mit Parteikollegen für die Demokraten in der Nationalversammlung.

    “In Deutschland gibt es ein sehr kurzfristiges Denken”

    Nachdem im Oktober der deutsch-französische Ministerrat abgesagt wurde, kam im Dezember eine Delegation aus dem französischen Verteidigungsausschuss nach Berlin. Vor einer kleinen Runde Journalisten sagte Thillaye da, dass man bei deutschen Politikern manchmal das Gefühl habe, man rede mit Lobbyisten, weil sie hauptsächlich die Interessen ihrer Wahlkreise vertreten. Die Treffen mit den Kolleginnen und Kollegen aus dem deutschen Verteidigungsausschuss seien dann aber “sehr positiv” gewesen.

    Danach habe sich Christine Lambrecht anderthalb Stunden Zeit für die Franzosen genommen. Nicht selbstverständlich für ein solches Treffen. Lambrecht, so schildert es Thillaye, bat um Verständnis für den Kauf der F-35-Flugzeuge, Deutschland habe ja eine Verantwortung gegenüber der Nato zur nuklearen Teilhabe. Dass Deutschland die amerikanischen Flieger gekauft hat, heiße nicht, dass man vom deutsch-französischen Rüstungsprojekt FCAS abrücken wolle.

    Die Sache mit den F-35 habe auch wieder mit kulturellen Unterschieden zu tun, sagt Thillaye. “In Deutschland gibt es ein sehr kurzfristiges Denken, weil man sagt: Wir wollen jetzt Effizienz zeigen, wir brauchen eine Antwort. Es herrscht ein Kriegszustand an unseren Grenzen, wie kommen wir da im kapazitären Bereich weiter?” In Frankreich denke man da eher längerfristig und sage: “Ja, mein Gott, wir brauchen ein eigenes Flugzeug oder Abwehrsystem.”

    Problembeseitigung über Messenger

    Dass FCAS scheitern könnte, glaubt auch Thillaye nicht. Zum Jahresende unterschrieben Industrievertreter den Vertrag für Phase 1B, dafür musste die Politik aber Druck machen. Das Treffen der Ministerinnen und Minister wird am 22. Januar nachgeholt. Die Regierungen können dann noch 60 Jahre Élysée-Vertrag mitfeiern. Auch eine Delegation aus dem deutschen Verteidigungsausschuss soll nach Frankreich kommen.

    Für die Abgeordneten, die “entsprechende Sprachkenntnisse” haben, soll eine Telegram- oder Signalgruppe entstehen, “damit man sich auch mal kurzfristig und schnell austauschen und reagieren kann, wenn solche Irritationen auftreten”. Wenn Thillaye mit ihren Problemdiagnosen recht hat, dürfte das helfen. Gabriel Bub

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