Eigentlich müssten bei uns Akademien wie die Leopoldina und die Akademie für Technikwissenschaften (acatech) den Mund aufmachen und zu Themen wie Stilllegung von Atomkraftwerken versus Renaissance der Atomenergie, Impact des deutschen Forschungssystems, Fusionsforschung, ChatGPT oder aktuellster Forschung zu embryoähnlichen Strukturen aus menschlichen Zellen wissenschaftlichen Rat geben – vor allem auch für die vielen Abgeordneten des Deutschen Bundestages, die selten einen technisch-naturwissenschaftlicher Hintergrund haben. Gerade die Leopoldina, die hochgradig infrastrukturfinanziert ist und damit nicht so drittmittelabhängig, könnte ihre Stimme mit Impact erheben. Laut zumindest war sie ja in Corona-Zeiten.
Doch das Schweigen der Lämmer ist unüberhörbar. Liegt es an der anscheinenden Strategielosigkeit der acatech seit dem Abschied ihres früheren Präsidenten Henning Kagermann, der es trotz hoher Drittmittelabhängigkeit geschafft hat, als unabhängiger Makler zu agieren? Oder liegt es bei der Leopoldina an ihrer offensichtlichen Wirkungslosigkeit?
Die Leopoldina hätte doch in der Corona-Krise alle Chancen dieser Welt gehabt, um renommierter Sprecher ihrer Zunft zu werden. Doch als sie alternativlose Empfehlungen abgab, schwand ihre Reputation als vertrauenswürdige Institution. Sei es, wie es sei. Die Lämmer schweigen. Eine interessante Frage nicht nur für die Abgeordneten des Deutschen Bundestages, warum sie keine Beratung zu für sie wichtigen Fragen erhalten. Auch die Öffentlichkeit will beraten sein. Stakeholder-Dialoge, wie sie beide Akademien machen, sind zwar immer nützliche Marketinginstrumente, ersetzen aber nicht die Expertise.
Interessant ist auch, dass ihre Chefs (Frauen gibt es da keine) nicht im Zukunftsrat des Bundeskanzlers sitzen, dagegen aber die Chefs von Fraunhofer und Max Planck, der inzwischen geschasste Neugebauer und der inzwischen pensionierte Stratmann, beides Empfänger von Steuergeld. Sie werden sicher bald ausgewechselt, dafür kommt ein anderer Vertreter ihrer Institution.
Für ordentliche Politikberatung braucht es mindestens fünf Prinzipien :
Beispiele, bei denen Wissenschaft gut beraten und ihr Rat auch richtig von der Politik gehört wurde, sind rar, wenn wir einmal die Hartz-Kommission mit vielen Nicht-Wissenschaftlern als Mitglieder außen vor lassen.
Elon Musk war der sehr viel bessere und schnellere Mover und Shaker rund um Mobilität am Boden, nicht die sich jahrelang quälende, von acatech gesteuerte Nationale Plattform Elektromobilität (NPE). Auch der von acatech überchoreografierte Innovationsdialog der ehemaligen Bundeskanzlerin Merkel war überwiegend ohne Konsequenz oder in der Umsetzung – wie bei der KI-Strategie oder beim Quantencomputing – zerfasert zwischen Ministerien, Koalitionsstrukturen und Bürokratien.
Ein ähnliches Schicksal drohte auch der Bundesagentur für Sprunginnovationen. Jetzt sind Berater zuallererst für die gute Analytik und nicht zuvorderst für Umsetzung verantwortlich, das entbindet sie jedoch nicht der Verantwortung, dafür praktikable Vorschläge zu machen. Ob der jetzige Beratungsprozess besser wird, steht in den Sternen. Ich höre sehr unterschiedliche Stimmen.
Natürlich hat eine Beratungsinstitution oder ihr Repräsentant beziehungsweise ihre Repräsentantin deutlich mehr Gewicht, wenn es sich politischen Zielen unterordnet. Dann gehen wir aber schon in Richtung USA, mit ihren von den Republikanern oder von den Demokraten abhängigen Thinktanks. Oder gar hin zu opportunistischen Chamäleons, die bei Regierungswechseln die Farbe wechseln. Instrumentalisierte oder sich unterwerfende Wissenschaftsorganisationen, wie es einige hierzulande schon sind.
Innovating Innovation : Thomas Kuhn wird der Satz zugeschrieben, Wissenschaft entwickele sich von Beerdigung zu Beerdigung weiter. Heute dominante Annahmen sind mit Fortentwicklung der Wissenschaft morgen obsolet. Gerade die umstrittenen und Kontroversen auslösenden Köpfe unserer Forschungs- und Innovationswelt müssen in Beratungsgremien angemessen vertreten sein.