Themenschwerpunkte


Max Planck, Fraunhofer & Co ohne Checks und Balances

„Die Wissenschaft versagt bei der Selbstkontrolle“ lautet die Überschrift eines aktuellen Artikels in der ZEIT zu Machtmissbrauch in der Forschung. Die Rheinische Post schreibt von „Wissenschaft als Männerclub“ und Times Higher Education (THE) betitelt jüngst „Keep academics without people skills away from PhD Supervision„. Compliance und Führungsthemen in der Wissenschaft gelangen langsam ins Rampenlicht. Doch der Vorstandsskandal bei Fraunhofer übertrifft alles. Während Ministerin Bettina Stark-Watzinger die Fraunhofer-Gesellschaft auffordert, zu einer „modernen Governance und tragfähigen Compliance-Standards zu kommen“ und einen „schnellstmöglichen personellen Neustart im Vorstand“ durchzuführen – und damit die sofortige Ablösung des amtierenden Präsidenten Reimund Neugebauer einklagt -, besitzt dieser die Chuzpe, sich in der Wagenburg einzuschließen und alle Kritik auszusitzen. Welch massive und persönliche Verachtung aller guten Grundsätze der Unternehmensführung und Kontrolle! 

Organisationen wie die katholische Kirche 

An Neugebauers Beispiel wird deutlich, dass die ethische Kapazität eines Menschen, auch und gerade in Spitzenpositionen, begrenzt ist. Größenwahn und der Glaube, die eigene Person sei eins mit der Organisation und damit unverzichtbar, gehen hier Hand in Hand. Genau da liegt die Herausforderung guter Governance und Compliance, die das Vertrauen in die Führung stärkt, die Spielräume der Akteure für opportunistisches Verhalten einschränkt und die zielgerichtete Zusammenarbeit der Leitung mit ihrem Kontrollorgan sichert. 

Und hier liegt – jenseits aller Personalien – bei Fraunhofer und auch bei Max Planck das Problem: Beide haben kein Kontrollorgan. Wie die katholische Kirche sind sie Organisationen ohne Checks und Balances. Der Präsident der Max-Planck-Gesellschaft ist gleichzeitig ihr Senatsvorsitzender. Dies führte beispielsweise zu Interessenskollisionen und Statuten-Verstößen bei der Amtsenthebung der renommierten Professorin Nicole Boivin als Direktorin am Max-Planck-Institut in Jena. Beim Senatsbeschluss zu ihrer Degradierung waren von den 50 Mitgliedern des Senats circa ein Viertel nicht nur als Mitglieder der Max-Planck-Gesellschaft, sondern als Nutznießer der Causa Boivin befangen. In richtigen Aufsichtsgremien hätte dies transparent gemacht werden müssen und zur Abstinenz bei Abstimmungen geführt. Selbst in der mittelalterlichen Inquisition gab es noch eine Unterscheidung zwischen Anklägern und Richtern. 

Und bei Fraunhofer ist beispielsweise der Präsident gleichzeitig nicht-stimmberechtigter Vorsitzender der Senats-Auswahlkommission. Schon das ist untragbar. Zudem rekrutiert er in dieser Rolle statuten- und compliancewidrig Senatskandidatinnen und -kandidaten und präjudiziert so spätere Auswahlprozesse.           

Forschungsorganisationen in Alleinherrschaft 

Und wenn es um das Führungsverständnis geht, dann schlägt die Max-Planck-Gesellschaft dem Fass den Boden aus. Ihr sogenanntes Harnack-Prinzip beruht auf folgender Äußerung des ersten Präsidenten der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft (heute Max-Planck-Gesellschaft), des Kirchen- und Dogmenhistorikers Adolf von Harnack aus dem Jahre 1928: „In so hohem Grade ist der Direktor die Hauptperson, dass man auch sagen kann: Die Gesellschaft wählt einen Direktor und baut um ihn herum ein Institut.“ Diese Aussage wurde später Max-Planck-intern als „lockere wie plastische Formulierung“ bezeichnet, die Harnack selbst wohl kaum als das leitende Strukturprinzip der Kaiser-Wilhelm-Institute bezeichnet hätte. Sie würde zu organisatorischer Uniformität führen: Forschungsinstitute mit absolutem Führungsanspruch durch eine einzige Person.  

Zu Kaiserzeiten gewachsen, heute jenseits von Anachronismus. Doch leider in voller Blüte! Und da verwundert es erst recht, dass der bald scheidende Max-Planck-Präsident Martin Stratmann angesichts der schon damals aktuellen Fälle von Machtmissbrauch ein Essay in der FAZ vom 8.9.2018 unter dem waghalsigen Titel „Mehr Harnack wagen“ veröffentlichte. Nein, die Max-Planck-Gesellschaft braucht mehr Checks und Balances und viel weniger Harnack! Beispielsweise, indem die Verwaltungsleitungsfunktionen der Institute sich in Personalführungsfragen professionalisieren und in einer „dotted line“ an die Generalverwaltung angebunden werden. Mehr Balance in Struktur und Kompetenz. Denn die besten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sind eben nicht zwangsläufig die besten Führungskräfte. 

Systemreview mit Konsequenzen überfällig 

Innovating Innovation: Ich rate der Ministerin, einen unabhängigen System-Review zur Governance im Wissenschaftssystem zu beauftragen. Mit Konsequenzen für Mittelvergabe im Pakt für Forschung & Innovation, falls die Organisationen beispielsweise keine Zertifizierung ihres Compliance-Systems durch einen unabhängigen Auditor vorweisen können. Zudem wäre ein Science Governance-Codex vergleichbar zum Corporate Government Codex als „soft law“ hilfreich für die Selbstreinigung. Doch im Augenblick ist die Situation so verfahren, dass eigentlich nur das Forschungsministerium Geburtshelfer und Katalysator für den Reinigungsprozess sein kann. 

   

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