Rigorosum
Erscheinungsdatum: 04. Oktober 2024

Geburtstagsbitte zum 5-Jährigen: Liebe Sprind, bitte strategisch Kurs halten!

Thomas Sattelberger gratuliert der Sprind in Leipzig zum fünften Geburtstag. Er erinnert sich persönlich an den Start – und macht sich so seine Gedanken über die Zukunft der besonderen Bundesagentur für Sprunginnovationen.

Zum 5-jährigen Geburtstag der Sprind im Oktober kann ich gar nicht anders, als eine Kolumne zu schreiben. Jeder, der mich kennt, weiß, dass ich jahrelang für die Sprind gekämpft habe. Lange bevor sie gegründet wurde. Am 15.6.2018 habe ich einen Entschlussantrag in den Bundestag eingebracht zur Gründung einer „Agentur für Radikale Innovation“ inklusive Bundestagsrede.

Am 13. Februar 2019 habe ich in den Design Offices in Berlin eine Veranstaltung mit über 200 Gästen initiiert, bei der auch Brian Pierce, der damalige stellvertretende Direktor der Defense Advanced Research Projects Agency (DARPA), dem damaligen CDU-Staatssekretär Michael Meister einheizte. Hier ein Interview aus der WirtschaftsWoche.

Im Oktober 2019 wurde die Agentur dann endlich von der damaligen Bundesregierung der großen Koalition und Bundesministerin Anja Karliczek (CDU) als Bundesagentur für Sprunginnovationen in Leipzig gegründet. Leider auf einer verhunzten Grundlage, welche die Gründer, die mit der Sprind zusammenarbeiteten, zuerst ihrer Intellectual Property enteignete und in staatliche Forschungsunternehmen zwang.

So gingen viele Dutzende spannende Projekte zumindest für die Sprind vor die Hunde. Und als ich dann am 6. Dezember 2021 Parlamentarischer Staatssekretär für die Forschungs- und Innovationsthemen wurde, sind die widerspenstigen Kräfte des Forschungsministeriums in harter Arbeit auf Vorderfrau und Vordermann gebracht worden. Professorin Ina Schieferdecker, damalige Abteilungsleiterin 5 im BMBF, erinnert sich bestens daran.

Dass das Ministerium und mein Nachfolger als Staatssekretär dann das sogenannte „ Sprind-Freiheitsgesetz “ nur in kastrierter Form durch den Bundestag brachten, steht auf einem anderen, unerfreulichen Blatt. Durch die Beibehaltung der Fachaufsicht durch das Ministerium und Vetorechte des Finanzministeriums konnten milde gesagt 51 Prozent des ursprünglichen Zieles erreicht werden.

In all den Jahren konnte ich den von mir sehr geschätzten Rafael Laguna, den CEO der Sprind, erleben, wie er für „seine“ Agentur wo, wann und wie immer es ging, kämpfte. Und dass er dabei gezwungenermaßen opportunistisch mal im Finanzministerium, mal im Forschungsministerium, mal im Wirtschaftsministerium, mal im Bundeskanzleramt, mal bei allerlei Rot-Schwarz-Grünen-Gelben-Bundestagsabgeordneten antichambrierte, ja antichambrieren musste. Ein Unternehmer, der plötzlich im Labyrinth der Politik und in den Katakomben ministerieller Büropolitik agieren muss und eigentlich nur „sein Ding machen“ will. Deswegen sorgt es mich so sehr, wenn ich Indizien dafür sehe, dass die Sprind weiterhin der Ablieferung politischer Gefälligkeiten ausgesetzt ist und Gefahr läuft, strategischen Fokus zu verlieren.

In Zeiten der Blockade durch Haushälter, Forschungsministerium und Finanzministerium konnte ich verstehen, dass man sich irgendwie „nützlich“ machen wollte oder Nebenerwerbsquellen erschloss. Doch dass man sich jetzt dieses Multi-Millionen-Grab aufhalsen ließ, ist wirklich abwegig. Noch von Anja Karliczek initiiert, hat das Monster inzwischen drei Jahre Entwicklungs- und Testzeit sowie 200 Millionen Euro der projektierten 650 Millionen Euro zu Lasten des Steuerzahlers verschlungen.

Schon zu meinen Oppositionszeiten war ich skeptisch gegenüber dem damaligen Gegenentwurf meines Fraktionskollegen Jens Brandenburg. Er hat das größenwahnwitzige Projekt auch im Ministerium weiterverfolgt und es – so meine Hypothese – als der Misserfolg schon absehbar war, meinem Nachfolger Mario Brandenburg angedreht. Und der hat sich wohl jetzt des Themas mit dem neuen Namen „Bildungsraum“ politisch elegant an die Sprind entledigt.

Um Schlimmeres zu verhindern und um dem Thema noch einen strategie-adäquateren Dreh zu geben, habe ich 2023 eine erfolgreiche Gründer-Professorin an einer Universität mit einem außerordentlich hohen Anteil an Lehramts-Studierenden mit der damals zuständigen Sprind-Projektleiterin zusammengebracht.

Grundgedanke des diskutierten Konzeptes war der Aufbau einer Intrapreneur-Werkstatt, in der Studierende zusammen mit Lehrkräften und Schülern technologiebasierte Lösungen für schulische Herausforderungen entwickeln konnten. Die damalige Projektleiterin hat anders entschieden! Inzwischen werden von Sprind neue Stellen für das irgendwie konzipierte alte Monster ausgeschrieben.

Neben dem „ Bildungsraum “ gab und gibt es noch weitere diskussionswürdige Projekte, eines davon mit dem reißerischen Titel „Eine europäische Superwolke: IT-Infrastruktur für das dritte Jahrtausend“. Da schreiben die Sprind-Autoren „Sovereign Cloud Stack (SCS) heißt diese europäische Alternative. Kein Nachbau, kein Imitat der großen außereuropäischen IT-Plattformtechnologien, sondern ein eigenes, sprunginnovatives Projekt“.

Die Sprind validiert und zieht wie sonst nur Berater von Roland Berger Co ohne Implementierungsplan den Schluss: „Die Sprind ist als Förderer nicht mehr nötig und zieht sich zurück. Denn seit Mitte 2021 wird der SCS zu 100 Prozent vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK, zuvor BMWi) unterstützt“. Ein sprunginnovatives Projekt dem Staat zur Reifung zu überlassen, ist mehr als fahrlässig.

Was wurde aus der „ Sprunginnovation GAIA-X “? Eine ‚lebendige Leich‘, wie man in Bayern sagt. Wer sich blauäugig mit der Bürokratie einlässt und deren Managementkraft vertraut, hat auf Sand gebaut. Andersherum, wenn das Ministerium das Projekt der Sprind überlassen hätte, hätte es deutlich bessere Erfolgsaussichten gehabt.

Das 2. Projekt, der Innovationswettbewerb EUDI Wallet Prototype, zur Entwicklung von europäischen digitalen Brieftaschen für die digitale Identität, mit der Finanzierungsquelle der Innenministerin Nancy Faeser (SPD), ist natürlich nicht zu beanstanden. Die interessante Frage ist doch, ob diese Prototypen auch eine Chance der Implementierung erhalten und wer dafür in die Umsetzungszuständigkeit kommt.

Dazu kommt: Ob eigentlich die Haushälterin Wiebke Esdar (auch SPD) urteilen kann, ob das Projekt Disruptionspotential besitzt, bezweifle ich. Die Agentur muss doch eigentlich disruptive Vorhaben im „ Valley of Death “ fördern. Für mich riecht das nach inkrementeller Innovation, noch dazu mit zerbrechlicher politischer Umsetzung, die nicht zum Aufgabenbereich der Sprind gehört.

Übrigens stellen sich ähnliche Fragen bei einem 3. Projekt, dem Wettbewerb „ Deepfake Detection and Prevention “, den die Sprind im Auftrag des FDP-geführten Ministeriums für Digitales und Verkehr durchführt. Die Sprind muss höllisch aufpassen, dass sie nicht so wird wie ein Projektträger.

Noch in meiner letzten Sprind- Aufsichtsratssitzung im Frühjahr 2022 – also vor gut 28 Monaten – beschlossen wir ein Projekt, welches später in „IP-Transfer 3.0 – Neue Wege im IP-Transfer“ als gemeinsames Pilotprogramm der Sprind, des Stifterverbandes und des Fraunhofer-Instituts für System- und Innovationsforschung mündete.

Ich möchte in dieser Kolumne nicht ins Detail gehen, aber ich wette, dass von den 17 teilnehmenden Hochschulen höchstens ein Drittel die eigenen Projektergebnisse, vor allem ‚virtual shares for IP’, selbst umsetzt. Skalierung und erst recht deren Geschwindigkeit sieht anders aus. Wie kann es sein, dass Sprind für so ein Thema länger braucht, als die Erstellung des neuen Sprind-Gesetzes benötigte? Und dürfen bei der Sprind eigentlich solche Projekte sterben? Diesem Thema möchte ich eine eigene Kolumne widmen, aber den ärgerlichen Punkt jetzt schon setzen. Deutschland hätte IP-Transfer neuer Qualität bitter nötig.

Innovating innovation : Liebe Sprind, ich mag euch, ich unterstütze euch – aber ihr müsst Kurs halten. Und schneller werden.

Letzte Aktualisierung: 24. Juli 2025
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