Rigorosum
Erscheinungsdatum: 23. Mai 2024

Ein Jahr Fraunhofer-Präsident Hanselka: Endlich aufgeräumt oder etwas Kosmetik?

Vor genau einem Jahr endete in der Fraunhofer-Gesellschaft die Ära Neugebauer. Thomas Sattelberger skizzierte dazu in seinem damaligen Rigorosum die Schwerpunkte der nun anstehenden Reform unter dem neuen Präsidenten Holger Hanselka. Was ist seitdem passiert? Eine kritisch-konstruktive Analyse in zwei Teilen.

In zwei Tagen ist ein Jahr vergangen, seit Holger Hanselka vom Senat der Fraunhofer-Gesellschaft zum neuen Präsidenten gewählt wurde. Zeit, um eine Zwischenbilanz zu ziehen. Am 31. Mai 2023 erschien meine Kolumne „Fraunhofer – Der Spuk hat sein Ende – jetzt müssen Reformen beginnen“. Verschiedene Handlungsfelder, die ich nannte, möchte ich jetzt einer ersten konstruktiv-kritischen Zwischenbilanz unterziehen. Eine Fortsetzung in einer zweiten Zwischenbilanz erscheint in meiner nächsten Kolumne.

Richtig ist, dass zwei Vorstandsmitglieder, Reimund Neugebauer und Alexander Kurz, gehen mussten. Viele irritiert jedoch, dass die dritte im Bunde, die Vorständin für Personal, Unternehmenskultur und Recht, Elisabeth Ewen, nach wie vor an Bord ist. Unter dem ehemaligen Personalvorstand Kurz war sie die operative Personalchefin, bevor dieser Vorstand für Innovation, Transfer und Verwertung und sie Personalvorständin wurde.

Rechtlich bestens bewandert trugen Verträge, die Alexander Kurz unterschrieb, ihre Handschrift. Und die Reisestelle, die die luxuriösen Spesen der Vorstände abrechnete, lagen in ihrer Zuständigkeit. Als operative Personalchefin war sie zudem mitverantwortlich für die damalige desaströse Kulturarbeit. Whistleblower äußern die Vermutung, dass sie „Kronzeugin“ gegen Kurz geworden ist und dafür im Job verbleiben durfte.

Unabhängig davon stellt sich die Frage, ob jemand, der die alte Kultur der Autokratie und Verschwendung an der Spitze zumindest tolerierte, nach Aufnahme der staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen noch als Vorstand tragbar bleibt.

Übrigens gilt dieses grundsätzliche Argument auch für die personelle Zusammensetzung des Senats, der in Kenntnis der Vorwürfe diese „geschlossen… als durchweg haltlos“ bezeichnete. Mir ist nicht bekannt, dass sich der Senat mit seiner eigenen unwürdigen Rolle je befasst hätte oder diese untersucht worden wäre. Auch ist nicht bekannt, ob der damalige Senatsvorsitzende Jörg Fuhrmann wegen Verletzung der Aufsichtspflicht belangt wurde. Immerhin hat er sich direkt nach seiner Ernennung zum Senatsvorsitzenden gegen den schon damals wirkungslosen Widerstand des BMBF eine Directors and Officers (D O-)-Versicherung gegen grob fahrlässiges Fehlverhalten finanzieren lassen. Er wusste wohl, was auf ihn zukommt.

Dazu kommt, dass sich Senatsmitglieder unter Neugebauers Ägide als seine Handlanger betätigt haben. Auch liegen bis heute keine öffentlich transparenten Berichte der mit unterschiedlichen Sachverhalten der Aufklärung beauftragten Kanzleien Nörr, Heussen und Knauer sowie des Senatsausschusses unter Leitung der jetzigen Senatsvorsitzenden Hildegard Müller (zugleich Präsidentin des Verbands der Automobilindustrie, VDA) vor.

Wen wundert es dann noch, dass bis heute – auch unter neuer Führungsspitze – keine Befragung der 30.000 skandalgeschädigten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter erfolgt ist. Wie sehen diese die Qualität der Aufarbeitung des Skandals, die Zukunft der Gesellschaft und das Involvement der Mitarbeiterschaft? Das hat schon Reimund Neugebauer so gehalten. Als er bei einer ersten Mitarbeiterbefragung vor einem guten Jahrzehnt schlechteste Ergebnisse witterte, blieb alles unter Verschluss. Er hat nie wieder eine Befragung durchführen lassen.

Die feine Gesellschaft hat sich von zwei Verantwortlichen gesäubert, Neugebauer Co. sind weg, das System Neugebauer im Gestrüpp ist nicht angetastet. Die Rolle der TU Chemnitz und fragliche Ehrendoktorwürden für Vorstandsriegen der Automobilbranche ist nicht beleuchtet. Die Unternehmensrevision und die Compliance-Systeme ebenso nicht. Auch die politische Instrumentalisierung bei der Entscheidung zu Forschungsstandorten ist so ein Tabuthema.

Neugebauer hat in seiner Zeit die Zahl der Fraunhofer-Institute von 64 auf 76 erhöht. Der Bundesrechnungshof forderte daraufhin in seinem zweiten aktuellen Prüfbericht: „Um….Risiken für den Bundeshaushalt durch ein überproportionales institutionelles Wachstum der FhG zu vermeiden, sollte das BMBF die Anzahl der Fraunhofer-Institute limitieren“.

Eine harsche Ansage, auf die Holger Hanselka bis heute keine strategische Richtung bzw. Antworten gibt. Er selbst weiß bestens, dass ‘scientific concentration’ das Gebot der Stunde wäre, also die Schließung von Instituten oder ihre Fusionierung an einem Ort. Hinter der nüchternen Ansage des Bundesrechnungshofes steckt zudem eine bittere Vermutung. Wurden Fraunhofer-Institute oder Zweigstellen aus Gefälligkeit Politikern gegenüber gegründet? Zumindest gibt es auffällige „Zufälle“.

Die Forschungsfabrik Batterie in Münster mit einer Recycling-Fabrik in Ibbenbüren etwa ist prominentestes Beispiel, liegt letztere doch im Wahlkreis der damaligen Forschungsministerin Anja Karliczek (CDU). Fraunhofer war damals schon als Betreiberin der Forschungsfabrik gesetzt und ist es heute auch. Doch sie war compliancewidrig auch gleichzeitig Gutachterin, Mitglied der Gründungskommission - und Mitbewerberin. Ministerin Karliczek kam wegen der Begünstigung ihres Wahlkreises und wegen des Entscheidungsprozesses so unter Druck, dass sie sich öffentlich entschuldigen musste. Im politischen Berlin von heute ein höchst ungewöhnlicher Vorgang.

Weitere Beispiele sind:

Das „ Neue Lausitz Briefing #73“ vom 6. Juni 2023 kommentiert denn auch launig, dass Fraunhofer nicht nur eine Forschungsgemeinschaft, sondern auch eine schnelle Ausbautruppe in strukturschwachen Regionen sei. „Die Standortzuteilung sei in vielen Fällen nur politisch zu erklären, die Kleinteiligkeit sei ein Risiko für den Erfolg der Einrichtungen…Je kleinteiliger, je weiter abgelegen, desto schwieriger wird es, gute Leute zu bekommen. Das gilt auch für staatliche Forschungseinrichtungen.“

Hanselka müsste eigentlich rasch aufräumen, stattdessen betreibt er noch Symbolpolitik: Am Fraunhofer- Zentrum für Internationales Management und Wissensökonomie IMW gibt es eine Teilbetriebsschließung. Die verbleibenden Abteilungen werden in das Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung ISI integriert. Zudem soll das Fraunhofer-Institut für Naturwissenschaftlich-Technische Trendanalysen INT in das Fraunhofer-Institut für Kommunikation, Informationsverarbeitung und Ergonomie FKIE integriert werden.

Pillepalle! Offen bleibt zudem, ob das nur ein virtuelles Schauspiel oder durch örtliche Zusammenlegung erfolgt.

Seit Jahr und Tag gibt es das Fraunhofersche Quadranten-System mit der Koordinate ‚schwacher oder starker Bezug zur Industrie‘ sowie der Koordinate ,Unwirtschaftlichkeit oder Wirtschaftlichkeit des Geschäftsmodells‘ inklusive des berüchtigten roten Quadranten ‚unwirtschaftlich und industriefern‘ , in welchem sich 20 oder mehr Fraunhofer Standorte befinden müssten. Eigentlich wäre Hanselka gefordert, viel härter durchzugreifen, adressierte er doch wiederholt die Systemrelevanz Fraunhofers besonders für den Mittelstand, der über keine eigenen Forschungs- und Entwicklungskapazitäten verfügt. Sollte er je die präzisen Zahlen zu den Industrieerträgen aus diesem Segment des Mittelstands erhalten, wäre er erstaunt ob deren Winzigkeit.

Fraunhofer wird allemal finanziell unter Druck geraten, wenn es sich nicht schnellstens strategisch repositioniert. Die alte Maxime „Ein Drittel Grundfinanzierung, ein Drittel öffentliches Projektgeschäft und ein Drittel Industrie-Erträge“ wackelt heute schon. Das dreiprozentige Wachstum der Grundfinanzierung wird mehr als aufgefressen durch Energiekosten, Vergütungssteigerung und Inflation. Der Marktplatz öffentlichen Projektgeschäftes wird nicht nur enger, sondern er ist auch nicht finanziell verstetigt. Nach Auslauf der Projektförderung liegen die finanziellen Lasten bei Fraunhofer.

Um Fraunhofer wetterfest aufzustellen, muss eigentlich ein Modell her, das eine signifikante Steigerung der Industrie-Erträge vorsieht. Beispielsweise 30 Prozent Grundfinanzierung, 30 Prozent öffentliches Projektgeschäft und 40 Prozent Industrie-Erträge. Das wäre nicht nur klug, um den Transferdruck auf die einzelnen Institute zu erhöhen, sondern würde auch der unique selling proposition (USP) der gesamten Forschungsgesellschaft gut tun.

Jetzt wird sich zeigen, ob Sie bei echter Restrukturierung oder nur im Sonnenschein führen können. Jetzt wird es nicht nur um die Steigerung der Industrie-Erträge, sondern erst recht um die inhaltliche wie strukturelle Konsolidierung der Zentren gehen: 26 Institute sind „ irgendwie“ in der Batterieforschung tätig, zehn Institute machen „irgendetwas“ in Sensorik. Und keines ist weltweit in der Spitzengruppe. Die kleinteiligen Institute und Institutsteile der Ära Neugebauer kommen dazu. Und die Zentren im berühmt-berüchtigten roten Quadranten“! Jede Menge an Aufräumarbeit.

Letzte Aktualisierung: 24. Juli 2025
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