nach der Veröffentlichung des Eckpunktepapiers des BMBF am vergangenen Freitag überschlugen sich über das Wochenende die Ereignisse rund um das Wissenschaftszeitvertragsgesetz. Allein rund 2.000 Professorinnen und Professoren (Stand 22.3.) haben eine Stellungnahme gegen die geplante Novellierung unterschrieben. Dort und auch bei Twitter wurde insbesondere die vorgesehene Höchstbefristungsdauer von drei Jahren in der Postdoc-Phase kritisiert. Das BMBF ruderte daraufhin zurück und will neu beraten. Andere rufen nach dem Wissenschaftsrat. Die aktuellen Entwicklungen hat Tim Gabel mit Steffen Mau im Interview besprochen und in seiner Analyse zusammengefasst.
Befristete Arbeitsverhältnisse tragen ihren Teil zu den vielfältigen Abhängigkeiten von Postdocs und Doktoranden bei. Sie sind auch die am stärksten betroffene Gruppe von Machtmissbrauch in der Wissenschaft. Auf einer Tagung an der Universität Wuppertal, in Kooperation mit der HRK und dem Deutschen Hochschulverband, wurde die Wuppertaler Erklärung vorbereitet. Ob die dort formulierten Maßnahmen für eine angepasste Governance in der Wissenschaft besser ankamen als der Entwurf des WissZeitVG, weiß Anne Brüning.
Olaf Scholz wird nächste Woche zum Forschungsgipfel erwartet. Robert Schlögl, Vize-Präsident der Leopoldina möchte das Forum nutzen und endlich die Blockaden bei der Energiewende lösen. Mehr Miteinander fordert er von Politik und Wissenschaft im Gespräch mit Table.Media.
Der Teilchenbeschleuniger Fair in Darmstadt wird weitergebaut. Mehr als 500 Millionen Euro an weiteren Mitteln ist das den Gesellschaftern Bund und Land Hessen wert. Ob das reicht, erfahren Sie in den News.
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Nach der umfassenden Kritik an den Reformvorschlägen zum WissZeitVG hält das BMBF an seinem Plan fest, die Fertigstellung des Referentenentwurfs voranzutreiben: “Schon die bisherige Beteiligung der Stakeholder hat gezeigt, dass die Erwartungen zum Teil weit auseinandergehen. Wir haben die Beteiligten kurzfristig nochmals eingeladen, um die Debatte vor Fertigstellung des Referentenentwurfs fortzusetzen”, sagte eine Sprecherin des Ministeriums gegenüber Table.Media.
Am Mittwoch hatte der Parlamentarische Staatssekretär Jens Brandenburg auf Twitter bekannt gegeben, dass er “Vertreter/-innen der Gewerkschaften, Beschäftigteninitiativen, Hochschulen und Forschungseinrichtungen” zu einer Diskussionsrunde für Donnerstag, den 30. März, um 10 Uhr ins BMBF eingeladen hat. Er kündigte an, dass die Runde auch per Livestream übertragen wird. Den Link dazu will er vorher über Twitter bekannt geben. Die BMBF-Sprecherin wies darauf hin, dass das BMBF die Debatte zur Höchstdauer der Qualifizierungbefristungen in der Postdoc-Phase sehr ernst nehme.
Umgehende Kritik daran äußerte der Berliner Soziologe Steffen Mau im Gespräch mit Table.Media. Mau hatte sich an der Initiative der Wissenschaftlerin Paula-Irene Villa-Braslavsky beteiligt. Rund 2.000 Professorinnen und Professoren hatten bereits wenige Tage nach Veröffentlichung der Reformvorschläge eine Petition gegen das Eckpunktepapier des BMBF zum WissZeitVG unterschrieben. Sie zeigten sich mit der Initiative #IchbinHanna solidarisch, die für bessere Arbeitsbedingungen von Beschäftigten in der Wissenschaft eintritt.
Nach den umfassenden Protesten sei das BMBF gezwungen, nicht mehr mit marginalen Änderungen zurückzukommen, sondern die politische Fantasie anzustrengen, sagte Mau. “Wenn man es dennoch nur mit Kosmetik der Höchstbefristungsdauer versucht, reicht das meiner Ansicht nach nicht mehr aus. Es gibt die Chance zu zeigen, dass man tatsächlich eine ,Zukunftskoalition’ ist und sich Reformen zutraut. Diese Chance sollte man auch ergreifen”, erklärte der Wissenschaftler. Im Interview mit Table.Media schlägt Mau vor, den Wissenschaftsrat mit der weiteren Organisation der Reform zu betrauen.
Die “recht oberflächliche” und “nicht gerade mutige Reform-Idee der Ampel” werde so nicht funktionieren, meint auch Amrei Bahr, Mitbegründerin der Initiative #IchbinHanna. “Die Reaktionen und das schnelle Eingeständnis des BMBF zeigen aus meiner Sicht, dass wir ein sehr viel grundlegenderes Nachdenken darüber brauchen, wie so ein Gesetz und damit eben auch das ganze Wissenschaftssystem gestaltet werden kann. Da muss man jetzt einfach mal an die Fundamente ran.”
Die Hochschulrektorenkonferenz (HRK) wolle zunächst den Fortgang des Gesetzgebungsverfahrens und etwaige Erklärungen des BMBF und der parlamentarischen Berichterstatter abwarten, sagte ein Sprecher. Eine vertiefte fachliche Diskussion zur geplanten WissZeitVG-Novellierung sei erst auf Basis des angekündigten Referentenentwurfs möglich. Zuvor hatte der Senat der HRK die BMBF-Eckpunkte in seiner Sitzung am Dienstag eingehend diskutiert. Dabei stießen einige der vom BMBF vorgelegten Eckpunkte, unter anderem “die deutlich zu kurze Befristungsmöglichkeit in der Postdoc-Phase” und “der generelle Vorrang der Qualifizierungsbefristung im Drittmittelbereich” im HRK-Senat auf deutliche Kritik.
Sonja Staack, Hochschulexpertin der Gewerkschaft ver.di, findet es entscheidend, dass die Betroffenen jetzt selbst mit an den Tisch kommen: “Wir erwarten, dass ihr Frust über das Befristungsunwesen und ihre Zukunftsängste ernst genommen werden, und dass mit dem Gesetzentwurf der ernsthafte Versuch unternommen wird, die Berufswege in die Wissenschaft zu verändern“, sagte Staack.
Vonseiten der an der koalitionsinternen Debatte zum Eckpunktepapier beteiligten Parlamentarier gibt man sich gesprächsbereit: “Sie dürfen darauf vertrauen, dass wir die Rückmeldungen der Beschäftigten im Mittelbau sehr ernst nehmen”, sagte Carolin Wagner (SPD), Mitglied des Forschungsausschusses. Seit Sonntagabend sei sie auf Basis der Eckpunkte erneut im Gespräch “mit verschiedenen Seiten” und werde dies auch weiter so handhaben.
Auch Nina Stahr, forschungspolitische Sprecherin der Grünen-Bundestagsfraktion, begrüßt, dass das BMBF in Sachen WissZeitVG noch einmal gezielt in den Dialog gehen will. “Eine Reform des WissZeitVG kann nicht alle Probleme im Arbeitsfeld Wissenschaft allein lösen. Dafür braucht es flankierende Maßnahmen, die es nur gibt, wenn das BMBF in einen guten Austausch mit den Ländern geht und alle Ebenen sich ihrer Verantwortung bewusst sind”, erklärte Stahr.
Ihr Ausschuss-Kollege Stephan Seiter (FDP), der ebenfalls an der Regierungsdebatte zu den Reformvorschlägen beteiligt war, weist darauf hin, dass er seit Beginn der Diskussion vor der Druckerhöhung im Postdoc gewarnt habe. “Ich befürchte, dass die Verkürzung der Befristungsdauer, ohne ergänzende Maßnahmen der Länder in der Postdoc-Gestaltung, großen Zeitdruck auslösen kann“, sagte er gegenüber Table.Media. Die Reaktionen seien teils aber auch einer “übertriebenen Erwartungshaltung an die Wirkung des WissZeitVG” geschuldet.
Dass die BMBF-Staatssekretärin Sabine Döring noch am Sonntag über Twitter das Eckpunktepapier wieder in die “Montagehalle” zurückgezogen hat – knapp 48 Stunden nach dessen Veröffentlichung – darüber gibt sich auch die Opposition irritiert: “Die Bundesbildungsministerin ist verreist und alle fragen sich, wie es jetzt weitergeht”, sagt Thomas Jarzombek, forschungspolitischer Sprecher der Union-Bundestagsfraktion. Ein professionelles Vorgehen der Bundesregierung sehe anders aus. “Die Bundesbildungsministerin fordere ich auf, im Sinne aller Betroffenen jetzt schnell für Klarheit über das weitere Verfahren zu sorgen.”
Am 28. März laden die Expertenkommission Forschung und Innovation, die Leopoldina, der Stifterverband und die VolkswagenStiftung zum Forschungsgipfel nach Berlin. Dort diskutieren die führenden Köpfe der Wissenschaft unter anderem mit Bundeskanzler Olaf Scholz. “Blockaden lösen” heißt das Motto. Ein Themenfeld, um das es gehen wird, ist die Energiewende.
Robert Schlögl, Vizepräsident der Leopoldina, Präsident der Alexander von Humboldt-Stiftung und Chemiker, hat zusammen mit einer Arbeitsgruppe der Leopoldina vorab ein Diskussionspapier veröffentlicht, das die wesentlichen Herausforderungen für die Transformation des Energiesystems in den Blick nimmt. Im Gespräch mit Table.Media legt Schlögl dar, was er sich vom Forschungsgipfel erhofft und wo er Blockaden im System sieht.
Das größte Hindernis sieht Schlögl aktuell durch die verschiedenen Positionen und Zielsetzungen innerhalb der Politik. “Man ist sich nicht einig, wohin man eigentlich will”, sagt er. Die einen wollten ein möglichst autarkes neues System bauen, die anderen ein offenes System erhalten. “Der E-Fuels-Streit ist nur ein Symptom eines tiefer liegenden Konflikts.” Für Schlögl steht fest: “Wir können uns nicht von einem globalen Energiesystem abkoppeln – das kostet uns die Zukunft.”
Als Beispiel für klare strategische Zielsetzungen nennt er die USA. Dort würden langfristige Ziele gesetzt und “dann der einfachste Weg zum Ziel gewählt”. Und das seien nicht Subventionen, sondern gezielte Incentives für die Wirtschaft. Diese motivierten die Industrie, die Energiewende aktiv mit voranzutreiben und zu investieren – anstatt zu erwarten, dass der Staat alles regelt und bezahlt.
In Deutschland werde, wie beim Kohleausstieg geschehen, alles “bis ins letzte Detail geregelt, was in den nächsten 15 Jahren passieren soll”. Dabei änderten sich die Rahmenbedingungen ständig und es bräuchte ein flexibles Management komplexer Prozesse.
Ein wichtiger Baustein der Energiewende ist grüner Wasserstoff. Robert Schlögl sieht Deutschland hier bei Forschung und Entwicklung in einer führenden Position. “Der Aufbau von großen Wasserstofferzeugern und chemischen Anlagen, die Wasserstoff in transportfähige Formen konvertieren, ist eine unserer Kernkompetenzen. Wenn das jetzt beherzt vorangetrieben würde, könnten wir den Weltmarkt mitbestimmen.”
Die Aktivitäten in diesem Bereich sollten sich nicht nur auf den Aufbau der Infrastrukturen beschränken, sondern auch auf die Wasserstoffproduktion in Deutschland in den Blick nehmen. Allerdings fehle bisher die Möglichkeit, Erkenntnisse aus der Forschung in die Anwendung zu bringen.
Ein Grund dafür seien zahlreiche regulatorische Hindernisse. Das EU-Beihilferecht sorge dafür, dass in Forschungsprojekten die Herstellung von Wasserstoff oder seiner Derivate in systemrelevanten Mengen und über anwendungsrelevante Zeiträume nicht möglich ist. “Das ist aber erforderlich, um wirklich Prozesse zu testen und den Proof of Concept zu erbringen.”
Die Unterstützung der Forschung und Entwicklung im Bereich Wasserstoff sollte nach Ansicht Schlögls zunächst technologieoffen erfolgen. Am Ende sei wichtig, dass das Energiesystem so effizient wie möglich ist und nicht jede einzelne Komponente. “Wenn wir zum Beispiel am Ende nicht genug erneuerbare Energien haben, dann ist das eigentlich effiziente E-Auto systemisch nicht effizient.”
Auch für die Technologien, mit denen CO₂ aus der Atmosphäre entfernt und recycelt werden soll, sieht Schlögl die deutsche Forschung gut aufgestellt. Für die Entnahme von Kohlendioxid (Carbon Dioxide Removal – CDR) fordert das Leopoldina-Diskussionspapier sowohl die EU als auch die Bundesregierung auf, explizite Ziele bis 2050 zu formulieren. In der Folge seien entsprechende Regulierungen erforderlich, um den Aufbau und den Einsatz der Technologien zu befördern.
Carbon Capture and Utilization (CCU) ermöglicht es in Zukunft, den Kohlenstoffkreislauf zu schließen, der schätzungsweise noch drei bis vier Gigatonnen (GT) im Jahr umfasst und damit wesentlich weniger als heute (etwa 10 GT). Dabei kann der Kohlenstoff recycelt und beispielsweise für E-Fuels verwendet werden – bei Kosten, die dann aber in etwa doppelt so hoch wären wie für heutige Kraftstoffe.
Bei all diesen Aktivitäten und Erkenntnissen stellt sich die Frage nach einer übergeordneten Koordinierung. Schlögl bescheinigt dem Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF), die Aktivitäten gut zusammenzubringen. Hier gibt es eine Art Pyramide in der Forschungsförderung von zahlreichen Projekten der Grundlagenforschung hin zu wenigen großen Projekten der Anwendung.
Bei Wasserstoff und CCU stehen am Ende der Kette die Kopernikus-Projekte, die aktuelle Forschungsansätze abbilden und gemeinsam mit Stakeholdern und der Industrie Technologien zur Anwendung bringen wollen. Problematisch findet Schlögl jedoch, dass alle Projekte enden, bevor die Erkenntnisse industriell verwertbar sind. “Das ist ein Fehler. Hier verlieren wir den Anschluss.”
Ein weiterer Kritikpunkt Schlögls: Seit dieser Legislaturperiode werde die Forschungsförderung seitens anderer Ministerien wesentlich ausgebaut. Insbesondere das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) und das Bundesministerium für Digitales und Verkehr (BMDV) geben dabei aus seiner Perspektive ihre Fördermittel jedoch recht unsystematisch in die Wissenschaftscommunity.
Eine Abstimmung mit dem BMBF erfolge nicht. Wie auch die Expertenkommission Forschung und Innovation (EFI) kritisiert er die mangelnde Koordination der Ministerien untereinander. Ein koordinierendes Gremium im Bundeskanzleramt sieht er jedoch auch skeptisch. “Die Energiewende ist schließlich ein länger andauerndes Projekt, das entscheidend für die Zukunft unserer Gesellschaft ist. Daher gehört eine Koordination eher ins Parlament, in einen neuen Energieausschuss vielleicht.” Dort könnte man längerfristiger denken, als es das BMBF derzeit tut. Wichtig sei, dass ein koordinierender Akteur über die Budgethoheit verfügt. Und dass die Managementaufgabe angenommen wird.
Aber nicht nur die Politik muss sich zusammenraufen. Auch die deutsche Wissenschaft leide darunter, dass es keine gemeinsame Zielsetzung gibt, findet Schlögl. Dabei seien die Voraussetzungen eigentlich hervorragend – mit einer klaren Rollenverteilung zwischen den Wissenschaftsorganisationen. Aber “es wird zu wenig miteinander geredet und mehr übereinander“. Die Koordination großer Aufgaben funktioniere dadurch nicht gut. “Jeder macht, was er will.”
Vom Forschungsgipfel erhofft sich Schlögl, dass die Aufmerksamkeit steigt und es eine gemeinsame Initiative gibt. Eine, die Zielsetzungen klärt, Dinge zusammenbringt und Forschungsprojekten über das Tal des Todes hilft.
Ein Universitätsprofessor, der seinen Mitarbeiterinnen gemeinsame Sexclub-Besuche abverlangt. Eine Institutsdirektorin, die in einem intransparenten Verfahren degradiert wird. Ein Arbeitsgruppenleiter, der voraussetzt, dass seine Mitarbeiter regelmäßig bis drei Uhr nachts arbeiten.
Derlei Fälle kamen auf der Tagung “Governance in Wissenschaftsorganisationen” am 16. und 17. März in Wuppertal zur Sprache, die in Kooperation mit der Hochschulrektorenkonferenz (HRK) und dem Deutschen Hochschulverband stattfand. Dass die Fälle systemische Probleme widerspiegeln und besonders häufig Frauen und Forschende in der Qualifikationsphase betreffen, untermauerten die vorgestellten Ergebnisse von Umfragen, etwa des PostdocNet Survey der Max-Planck-Gesellschaft (siehe Grafiken). Im Umgang mit Konflikten und Vorwürfen gibt es noch großen Verbesserungsbedarf. Einen Anschub dazu soll die “Wuppertaler Erklärung zur vertrauenswürdigen Wissenschaftsgovernance” liefern, deren Entwurf auf der Tagung vorgelegt wurde.
Das Papier formuliert elf Grundsätze – vom Bedarf beobachterunabhängiger Kriterien für Fehlverhalten über Erwartungsmanagement bis zum Appell an den Grundsatz “in dubio pro reo”. Einige Handlungsfelder sind besonders herausfordernd.
Umgang mit Abhängigkeit als Konfliktursache: Eine Besonderheit im Wissenschaftsbetrieb ist die starke einseitige Abhängigkeit in der Qualifikationsphase. Die Betreuer von Doktoranden und Postdocs sind häufig zugleich Vorgesetzte sowie Prüfer oder Gutachter. Eine stärkere Trennung dieser Verhältnisse würde das Konfliktrisiko deutlich verringern. Vorschläge dazu wurden auf der Tagung formuliert, etwa mehr Labormanager für die Organisation der Arbeit zusätzlich zur wissenschaftlichen Gruppenleitung zu etablieren.
Gerichtsfestigkeit: Innerhalb einer Organisation sollte ausdrücklich geklärt werden, welche Formen des Fehlverhaltens unter das Arbeits- und Dienstrecht oder unter das Strafrecht fallen, heißt es in dem Erklärungsentwurf. Die internen Abläufe der Organisation müssen klar geregelt sein, um einer rechtlichen Überprüfung standzuhalten. Darüber hinaus seien Anlaufstellen für Fälle von Fehlverhalten auf Leitungsebene erforderlich.
Rechtsgrundsätze: Ausführlich geht die Erklärung darauf ein, dass in einem Verfahren alle Beteiligten die gleichen Rechte und Pflichten genießen. Dass dies bisher nicht selbstverständlich ist, zeigt eine 2021 in den Beiträgen zur Hochschulforschung veröffentlichte Studie. Die Autorinnen Heike Egner und Anja Uhlenwinkel haben darin Entlassungen und öffentliche Degradierungen von Professorinnen in Deutschland, Österreich und der Schweiz untersucht. Wie sie von den Betroffenen erfuhren, wurden rechtsstaatliche Prinzipien wie Transparenz des Verfahrens und Recht auf Stellungnahme und Anhörung in erheblichem Maße missachtet.
Auf vertrauenswürdige Governance zu pochen, erwarten die einen vor allem vom BMBF und den Landesministerien, andere sprechen sich dafür aus, dass die Wissenschaft selbst tätig wird.
Gegen die Verordnung “von oben” scheint das Grundgesetz zu sprechen, das in Artikel 5 die Freiheit von Wissenschaft, Forschung und Lehre sichert und damit vor staatlichen Eingriffen und Einflussnahme schützt. Dass an die Exekutive dennoch Anforderungen gestellt werden können, in puncto Compliance die Aufsicht über Wissenschaftsorganisationen zu übernehmen, legte Sascha Herms dar, Fachanwalt für Arbeitsrecht und Lehrbeauftragter an der Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin.
“Als Grundrechtsverpflichteter muss der Staat sogar seinen Einfluss als Finanzierer zur Durchsetzung wissenschaftsadäquater Organisation, Verfahren und Handelns nutzen”, sagte er. Bei den Hochschulen sieht Herms die jeweiligen Landesministerien in der Pflicht, bei den außeruniversitären Einrichtungen das BMBF.
“Die deutschen Wissenschaftsorganisationen brauchen endlich richtige Aufsichtsgremien”, bekräftigte Thomas Sattelberger, ehemaliger Parlamentarischer Staatssekretär im BMBF. Der Staat sollte dabei als Katalysator wirken und zum Beispiel die Mittelvergabe mit entsprechenden Anforderungen verknüpfen. Auch die Idee eines zentralen Science Governance Boards stellte Sattelberger in den Raum.
Auf der Tagung war vor allem der außeruniversitäre Sektor im Fokus. Doch auch an Hochschulen ist externe Aufsicht ein Thema. “Der Vergleich mit den Hochschulen ist nicht einfach, da die Governancestrukturen sich doch stark unterscheiden und die Außeruniversitären stärker hierarchisch strukturiert sind als wir Hochschulen”, sagte Oliver Günther, Vizepräsident für Governance, Lehre und Studium der HRK und Präsident der Universität Potsdam. “Auch an den Hochschulen gibt es freilich Reformbedarf.”
Viele Hochschulen arbeiteten mit Hochschulräten. “Deren Leistungsbilanz ist sicherlich durchwachsen, insbesondere gibt es immer wieder auch Kollisionen mit der hochschulischen Selbstverwaltung”, sagte er. Hier seien die Hochschulleitungen gefragt, gegebenenfalls zu vermitteln und grundsätzlich über Anreize und Sanktionen darauf zu achten, dass es zu Diskriminierung, Machtmissbrauch und ähnlichen Fehlentwicklungen gar nicht erst kommen kann.
Gegen eine zentrale Einrichtung zur Überwachung sprach sich zum Beispiel die Generalsekretärin der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) Heide Ahrens aus. Als erfolgreiches Beispiel für Regeln, die sich die Wissenschaft selbst gibt, sieht sie den Kodex “Leitlinien zur Sicherung guter wissenschaftlicher Praxis”, mit dem die DFG die Antragsberechtigung für Fördermittel an bestimmte Standards bindet.
Der Zuständigkeitsbereich der DFG beschränkt sich jedoch auf wissenschaftliches Fehlverhalten. Bei Fällen nicht-wissenschaftlichen Fehlverhaltens wird die DFG nicht tätig, denn sie berühren das Arbeits- beziehungsweise Disziplinarrecht, nicht das Verbandsrecht.
Die Wuppertaler Erklärung soll nun finalisiert werden. “Danach lassen wir sie informell in der Hochschulrektorenkonferenz und bei den außeruniversitären Forschungseinrichtungen zirkulieren”, sagte Birgitta Wolff, Rektorin der Universität Wuppertal, die die Tagung zusammen mit Carola Jungwirth von der Universität Passau und Isabell Welpe vom Bayerischen Staatsinstitut für Hochschulforschung und Hochschulplanung organisiert hat.
Im Anschluss gehe es ans Change Management. Dieses sieht sie in vielen kleinen Schritten. “Neue Governance-Ideen in der Wissenschaft mit einem Masterplan einzuführen, ist keine gute Idee. Besser ist es, mit einer Allianz von Akteurinnen und Akteuren, die wirklich etwas ändern wollen, voranzugehen”, sagte sie. Ihr schweben Pilotprojekte vor – und weitere Forschung zu dem Thema. “Wir sollten nichts fordern, von dem wir nicht wissen, ob es wirkt. Deshalb brauchen wir mehr Evidenz.”
In Reallaboren, also zeitlich und räumlich begrenzten Testumgebungen, können innovative Ideen oder Geschäftsmodelle unter realen Bedingungen erprobt werden. Autonome Fahrzeuge lassen sich auf öffentlichen Straßen, neue Energieversorgungsmodelle und die Nutzung von Drohnen unter realen Bedingungen testen.
“Gerade in für wegweisende Neuerungen so unsicheren Zeiten wie heute, in denen Deutschland großen Herausforderungen wie der Klimakrise gegenübersteht, sind Reallabore so wichtig wie nie zuvor. Sie müssen dringend ausgebaut werden”, sagt Uwe Cantner, Vorsitzender der Expertenkommission für Forschung und Innovation (EFI). “Wir Deutschen neigen dazu, jede Neuerung bis in die letzte Konsequenz zu durchdenken.” Reallabore seien da eine Möglichkeit, langwierige Prozesse zu vermeiden und wichtige Innovationen zu befördern und in die Anwendung zu bringen.
In der Gesundheitsforschung haben Reallabore eine lange Tradition. “Studien, das Testen und Ausprobieren – all das ist im Gesundheitsbereich unerlässlich, um Technologien und neue Anwendungen in der Praxis zu testen”, sagt Sebastian Hilke von Bayern Innovativ. Die Innovationsplattform ist einer der elf Konsortialpartner des Reallabors TEAM-X, das vergangenes Jahr vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) mit dem Innovationspreis Reallabor in der Kategorie Ausblick ausgezeichnet wurde. TEAM-X will Lösungen, die auf digitalen Gesundheitsdaten beruhen, im Bereich der Pflege- und Frauengesundheit in realer Umgebung testen. Patienten, Ärzte, Pfleger – sie alle sollen einbezogen werden.
Doch die breite Etablierung von Reallaboren steht noch vor einigen Hürden: Aktuell bestehen in einigen Innovationsbereichen keine rechtlichen Grundlagen für Reallabore. Und wo es solche gibt, fehlen einheitliche Standards. Die unklare Rechtslage und Genehmigungspraktiken machen es insbesondere für Mittelständler, Start-ups und Genehmigungsbehörden schwer, sie zu verstehen und anzuwenden. Unternehmen würden daher oft ins Ausland ausweichen, kommunale Innovationsprojekte bleiben so laut BMWK aus.
Vorschläge lieferte kürzlich Matthias Wanner vom Wuppertal Institut für Klima, Umwelt und Energie in der Sitzung des Forschungsausschusses vom 15. März. Laut Wanner müssten Reallabore ausreichend finanziert werden und ihre Laufzeit soll von drei auf mindestens fünf Jahre verlängert werden. Messbare Wirkungen von Reallabor- und Living-Lab-Projekten müssten bereits im Vorfeld gefordert und in das Studiendesign integriert werden. Darüber hinaus seien die rechtlichen Genehmigungs- und Haftungsfragen (sozio-) technischer Experimente zu klären.
In einem geplanten Reallabore-Gesetz sollen nun bundesweit einheitliche und innovationsfreundliche Rahmenbedingungen für Reallabore gesetzt und neue Freiräume zur Erprobung von Innovationen ermöglicht werden.
Ein erstes Konzept wurde bereits vom BMWK veröffentlicht. Die Bundesregierung will das Gesetz noch in der laufenden Legislaturperiode in Kraft setzen. Im Sommer 2023 soll ein breiter öffentlicher Konsultationsprozess durchgeführt werden, um weitere Anwendungsfelder und -bereiche für Reallabore zu identifizieren, teilte das BMWK Table.Media mit.
Übergreifende Standards für Reallabore und Experimentierklauseln: Diese Standards sollen festgesetzt werden, zum Beispiel bezüglich Zugang, Befristung, Verlängerung, Evaluation, Skalierung sowie neuer Experimentierklauseln, die relevante Fachgesetze ergänzen, sodass Reallabore in wichtigen Zukunftsbereichen möglich werden.
Neue Reallabore ermöglichen: Es braucht neue Experimentierklauseln, zum Beispiel bei datengetriebenen KI-Anwendungen im Bereich moderner Mobilität oder bei innovativen digitalen Identifizierungsverfahren wie für den digitalen Führerschein. Bestehende Experimentierklauseln müssen zudem überprüft werden.
One-Stop-Shop für Reallabore: Begleitend ist vorgesehen, einen One-Stop-Shop für Reallabore zu etablieren, der als zentrale Beratungsstelle für Unternehmen, Forschung und Kommunen dient und Wissen aus den Reallaboren an den Gesetzgeber weitergibt.
Ein Experimentierklausel-Check: Dieser soll die kontinuierliche Identifikation und Umsetzung neuer Anwendungsfelder für Experimentierklauseln und Reallabore ermöglichen.
Auf die Finanzierung wird im Gesetz nicht eingegangen. Aber: “Es wird sich auf jeden Fall etwas mit dem Gesetz verbessern”, sagt Cantner. Doch: “Es darf nicht dazu kommen, dass es so viele Regulierungen geben wird, dass es die Lust nimmt, Reallabore umzusetzen. Ich habe leider die Bedenken, dass genau das passieren wird”, sagt der EFI-Chef.
Auch ein weiteres zentrales Problem wird mit dem Gesetz nicht gelöst. Die meisten Reallabore verschwinden nach der Projektzeit von der Bildfläche. “Oft werden nach den Laufzeiten sehr erfolgreicher Reallabore keine weiteren Konsequenzen gezogen. Es wird nicht weiter skaliert”, sagt Cantner. Das müsse sich ändern. Auch Matthias Wanner warnt, dass Reallabore “kein Selbstzweck”, sondern ein Instrument zur nachhaltigen Veränderung der Gesellschaft darstellen. Sie seien daher kein “Wanderzirkus”, sondern sollten langfristig durch Ansprechpartner vor Ort lokal verankert sein.
24. März 2023, 11:00-12:30 Uhr, Online
Diskussionsrunde DAAD: Feminist Foreign Policy: Ein neues Paradigma für internationale Wissenschaftskooperationen? Mehr
28. März 2023, Berlin und online
Forschungsgipfel 2023 Blockaden lösen, Chancen nutzen – Ein Innovationssystem für die Transformation Mehr
4. April 2023, 9:30 Uhr, Hotel Hilton, Berlin
Vortrags- und Diskussionsveranstaltung sowie Delegiertenversammlung 73. DHV-Tag “Wissenschaft und Politik: Zu viel Nähe, zu wenig Distanz – oder umgekehrt?” Mehr
5. April 2023, 18:30 Uhr, online
Live-Talk Futures Lounge der Initiative D2030: Die “Zukunftsstrategie” der Bundesregierung: Melange oder Transformationspfad? Zwei Sichtweisen Mehr
3. Mai 2023, 10:00-18:30 Uhr, Alte Münze, Berlin
Festival InnoNation Festival des Bundesverbands der Deutschen Industrie Mehr
“Das Wissenschaftsfreiheitsgesetz ist auf bundesfinanzierte institutionell geförderte Wissenschaftseinrichtungen ausgerichtet”: Das hat die Bundesregierung in ihrer Antwort auf eine Kleine Anfrage der CDU/CSU-Fraktion zum Besserstellungsverbot klargestellt. Wie Research.Table berichtete, fühlen sich die industrienahen Forschungseinrichtungen (IFE) gegenüber den großen außeruniversitären Forschungseinrichtungen (auF) benachteiligt. Sie fallen im Gegensatz zu den auF derzeit nicht unter die Ausnahmen des WissFG.
Die Bundesregierung begründet diese Unterscheidung in ihrer Antwort jetzt erstmals: Die auF seien einem “wissenschaftsadäquaten Controlling unterworfen und verfügen regelmäßig über Überwachungsorgane, über die dem öffentlichen Zuwendungsgeber in der Überwachung der operativen Geschäftsführung ein wesentlicher Einfluss eingeräumt ist.”
Die Unionsfraktion erneuerte nach der Antwort ihre Kritik an der Bundesregierung: “Die Benachteiligung durch das Besserstellungsverbot ist für viele gemeinnützige Industrieforschungseinrichtungen ein großes Problem bei der Anwerbung von Fachkräften”, sagte der forschungspolitische Sprecher Thomas Jarzombek (CDU). Die wissenschaftliche Leistungsfähigkeit werde hierdurch geschwächt. Die Bundesregierung sei viel zu passiv und müsse diesen strukturellen Standortnachteil dringend beheben.
Einer Regelung über das Haushaltsgesetz, die ebenfalls möglich wäre, erteilte die Bundesregierung in der Antwort gleichfalls eine Absage. Auf die entsprechende Frage der Unionsfraktion verweist die Bundesregierung wieder auf das WissFG: “Die Einrichtungen, für die Erleichterungen gelten, sind dort abschließend aufgeführt”. Es bestünde aber nach wie vor die Möglichkeit für Institute in Einzelfällen Ausnahmen vom Besserstellungsverbot beim Bundeswirtschaftsministerium (BMWK) zu beantragen.
Erstmals hat die Bundesregierung dabei auch Zahlen zu den vorliegenden Ausnahmeanträgen veröffentlicht. Nach einer vorgelegten Liste haben derzeit 44 IFE Anträge auf Ausnahmen vom Besserstellungsverbot an das BMWK geschickt. 40 davon hat das BMWK nach einer Prüfung bereits an das Bundesfinanzministerium (BMF) weitergeleitet. Das BMF entscheidet letztendlich über die Ausnahmen. tg
Zum möglichen Verbot einer abgekürzt PFAS genannten Chemikaliengruppe in der EU haben am Mittwoch öffentliche sechsmonatige Konsultationen begonnen. “Die Konsultation soll jedem, der über Informationen über PFAS verfügt, die Gelegenheit geben, sich zu äußern”, teilte die EU-Chemikalienagentur ECHA in Helsinki mit. Nach Ablauf der Frist am 25. September will die Agentur ein mögliches Verbot aufgrund der vorliegenden Informationen beurteilen und sich eine Meinung darüber bilden. Die Entscheidung trifft die Europäische Kommission schließlich gemeinsam mit den EU-Mitgliedsstaaten.
Die Stoffe der Chemikaliengruppe, zu der geschätzt mehr als 10.000 einzelne Substanzen gehören, sind in Alltagsprodukten wie Anoraks, Pfannen und Kosmetik verarbeitet. Sie finden aber auch in Industrieprozessen Anwendung. Weil sie extrem langlebig sind, werden PFAS auch Ewigkeitschemikalien genannt.
Deutschland, die Niederlande, Dänemark, Norwegen und Schweden hatten im Januar vorgeschlagen, die Herstellung, Verwendung und das Inverkehrbringen von PFAS fast komplett zu verbieten. Der Vorschlag sieht je nach Anwendung Übergangsfristen von bis zu 13,5 Jahren vor. Für einige wenige Bereiche gäbe es unbegrenzte Ausnahmen.
Die Industrie sträubt sich gegen ein breites Verbot der Stoffe. Lediglich für wenige von ihnen sei direkt nachgewiesen, dass sie gefährlich sind. Allerdings sind auch nur wenige der Stoffe bislang gut untersucht – und die meisten der gut untersuchten Stoffe gelten als mittel- bis hochtoxisch. Die Initiatoren des Vorschlags halten ein Verbot deshalb für eine wichtige Vorsichtsmaßnahme, um Gesundheit und Umwelt zu schützen. In der Wissenschaft wird ein Verbot auch als Chance für Innovationen im Bereich ungefährlicher Alternativen gesehen. tg
Die am Montag vorgelegte Stellungnahme des Deutschen Ethikrats zu den Herausforderungen durch Künstliche Intelligenz (KI) hat überwiegend positive Resonanz erzeugt. Mit kritischen Worten meldete sich jedoch der KI-Verband zu Wort. Die Stellungnahme gehe zu wenig auf die positiven Auswirkungen von KI ein, erklärte Verbandsgeschäftsführer Daniel Abbou. Die Möglichkeiten, die KI im wirtschaftlichen Kontext haben werde, insbesondere in Bezug auf den Fachkräftemangel, würden ignoriert.
Lobende Worte fand hingegen Forschungsministerin Bettina Stark-Watzinger. Der Ethikrat verdeutliche “die vielfältigen Potenziale und Chancen”, die mit dem Einsatz von Künstlicher Intelligenz in zentralen gesellschaftlichen Anwendungsbereichen verbunden seien, erklärte sie. Diese seien unbedingt zu nutzen. Gleichzeitig gebe der Bericht Orientierung, wie möglichen Risiken wie etwa der Diskriminierung bei der Anwendung von KI begegnet werden könne. “Die Stellungnahme ist ein wichtiger Beitrag zur weiteren Debatte, auch im Hinblick auf die Fortentwicklung der KI-Strategie der Bundesregierung”, sagte Stark-Watzinger.
Im Rahmen dieser 2018 gestarteten Strategie stellt der Bund bis 2025 etwa fünf Milliarden Euro zur Verfügung. Ziel ist es, Deutschland zu einem weltweit führenden Standort für die Erforschung, Entwicklung und Anwendung von Künstlicher Intelligenz zu machen. Dass dies noch nicht erreicht ist, zeigt eine im Dezember 2022 veröffentlichte Studie der Stiftung Neue Verantwortung. Demnach verlassen 40 Prozent der KI-Forschenden Deutschland nach der Promotion, weil sie keine attraktiven Unis und Firmen finden. In den USA bleiben nur 20 Prozent nicht im Land.
Die 287 Seiten umfassende Ethikrats-Stellungnahme “Mensch und Maschine – Herausforderungen durch Künstliche Intelligenz”, untersucht die Auswirkungen digitaler Technologien auf das menschliche Selbstverständnis und Miteinander. “Der Einsatz von KI muss menschliche Entfaltung erweitern und darf sie nicht vermindern. KI darf den Menschen nicht ersetzen. Das sind grundlegende Regeln für die ethische Bewertung”, sagte Alena Buyx, Vorsitzende des Deutschen Ethikrates, bei der Vorstellung der Stellungnahme.
Auf vier Bereiche geht die Arbeitsgruppe näher ein und formuliert Empfehlungen: Medizin, schulische Bildung, öffentliche Kommunikation und Meinungsbildung sowie öffentliche Verwaltung. Für den Medizinbereich richten sich Empfehlungen unter anderem auf die Qualitätssicherung bei der Entwicklung und Nutzung von KI-Produkten und die Vermeidung ärztlicher Kompetenzverluste. Darüber hinaus wird das Ziel formuliert, die Privatsphäre von Patientinnen und Patienten mit intensiver Datennutzung in der medizinischen Forschung in Einklang zu bringen. Das Vertrauensverhältnis zwischen allen beteiligten Personen sei zu schützen und die vollständige Ersetzung medizinischer Fachkräfte zu vermeiden, betont der Ethikrat. abg
Bettina Stark-Watzinger strebt eine engere Forschungskooperation mit Taiwan an. Am Dienstag unterzeichnete die Forschungsministerin mit ihrem Amtskollegen Wu Tsung-tsong in Taipeh ein Wissenschafts- und Technologie-Abkommen. Dieses stehe für “den Ausbau der Zusammenarbeit auf der Basis demokratischer Werte wie Transparenz, Offenheit, Reziprozität und Wissenschaftsfreiheit”, sagte Stark-Watzinger. Es öffne ein “neues Kapitel im Bereich Forschung und Innovation” in den Beziehungen zu Taiwan.
Der “Fachbesuch” der Ministerin in Taiwan wird von China scharf kritisiert – auch wenn Stark-Watzinger betont, sie sei “nicht aus Gründen geopolitischer Natur” in Taiwan, sondern um Kooperationen im Bereich “Forschung und Innovation” zu befördern. China sieht jedoch offizielle Reisen ausländischer Politiker nach Taiwan stets als politischen Akt. Das chinesische Außenministerium bezeichnete den Besuch als “böswillig”.
Dass das technologisch innovative Taiwan für konkrete Projekte ein attraktiver Partner ist, steht für Kai Gehring (Grüne), Vorsitzender des Forschungsausschusses, derweil außer Frage. “Für die Bewältigung großer Herausforderungen wie der Klimakrise, für die Sicherung deutscher und europäischer technologischer Souveränität sowie den Ausbau unserer Innovationsökosysteme ist eine engere Kooperation mit Taiwan in den Bereichen Bildung, Wissenschaft, Forschung und Digitalisierung sehr sinnvoll”, sagte er gegenüber Table.Media. Gehring ist als Ausschussvorsitzender und Parlamentarier nach Taiwan mitgereist.
Vor allem über die Bereiche Halbleiter, grüner Wasserstoff und Batterieforschung wurde gesprochen. Gehring berichtet, dass im Halbleiterbereich gemeinsame Forschung und ein Fachkräfteaustausch angestoßen wurden. Im Bereich grüner Wasserstoff werde die Zusammenarbeit zur Erforschung von Green Steel und zum Transport von Wasserstoff nach erfolgreichen Vorgesprächen geprüft.
Gehring verweist auch auf die gut laufende Kooperation im Bereich Batterieforschung des BMBF mit Taiwan seit 2016, die weiter ausgebaut werden soll. Gemeinsame Förderrichtlinien und weitere Kooperationsinstrumente würden zurzeit auf Arbeitsebene besprochen und geprüft, erläutert der Grünen-Politiker.
Spätestens beim Thema Chips bekommt der Besuch auch eine geopolitische Note. “Natürlich besucht eine deutsche Ministerin Taiwan nicht zufällig. Es ist klar, dass der Besuch darauf abzielt, die Räder im Hinblick auf den Zugang Deutschlands zu Chips zu schmieren“, kommentiert etwa Chang Meng-jen in der Zeitung Taipei Times, die der Demokratischen Freiheitspartei in Taiwan nahesteht. Der Koordinator für Diplomatie und internationale Beziehungen an der Fu Jen Catholic University blickt dabei auf Taiwans Halbleiter-Giganten TSMC, der den Bau einer Fabrik in Dresden erwägt, aber auch von Singapur umworben wird. Christiane Kühl / Markus Weisskopf
Der Bund und das Land Hessen stellen zur Finanzierung der ersten Ausbaustufe ‘First Science’ weitere 518 Millionen Euro zur Verfügung. Ende Februar war bekannt geworden, dass circa eine halbe Milliarde Euro an zusätzlichen Mitteln notwendig sein würden, um diese erste Stufe des Teilchenbeschleunigers am GSI Helmholtzzentrum für Schwerionenforschung in Darmstadt zu finanzieren.
Forschungsministerin Bettina Stark-Watzinger zeigte sich erfreut, “dass wir jetzt einen Durchbruch erreicht haben, der die FAIR-Ausbaustufe ‘First Science’ ermöglicht, bekannte Risiken berücksichtigt und einen Baustopp verhindert. Nun sind die internationalen Gesellschafter gefordert, ebenfalls ihre entsprechenden Anteile aufzubringen.” Diese haben laut Mitteilung des GSI die Mehrkosten anerkannt und wollen zeitnah weitere Zusagen machen.
Die hessische Wissenschaftsministerin Angela Dorn ergänzt: “Angesichts der bereits in der Vergangenheit und nun erneut infolge des völkerrechtswidrigen Angriffs der Russischen Föderation auf die Ukraine gestiegenen Kosten stehen wir in besonderer Verantwortung. Wir haben das Controlling verbessert und darauf hingewirkt, dass das Vorhaben durch ein unabhängiges Expertengremium evaluiert wurde. Auf dieser Basis haben wir uns für die zügige Fertigstellung des Bauabschnitts ‘First Science’ eingesetzt, denn dieser ermöglicht in einem vertretbaren Kostenrahmen eine international konkurrenzfähige Forschung.”
Die Linken-Politikerin Petra Sitte hält die jetzt verhandelte Lösung ebenfalls für vertretbar. Jetzt müsse aber “die Umsetzung eng begleitet und regelmäßig Bericht gegeben werden”.
Hauptgeldgeber des Großprojekts und zugleich Gesellschafter sind der Bund und das Land Hessen. Als ausländische Partner sind auch Finnland, Frankreich, Indien, Polen, Rumänien, Russland, Schweden und Slowenien Gesellschafter. Nach dem Überfall auf die Ukraine wurde die Zusammenarbeit mit Russland ausgesetzt.
Als eine der größten und komplexesten Teilchenbeschleuniger-Anlagen weltweit wird Fair für die Forschung mit Antiprotonen und Ionen mit internationalen Partnern entwickelt und gebaut. An der Entwicklung der Experimente und des Wissenschaftsprogramms von Fair sind schätzungsweise 3.000 Forschende aus etwa 50 Ländern beteiligt. mw
Nature – GPT-4 is here – what scientists think. Das Upgrade GPT-4 von OpenAI kann nun mit Bildern umgehen und hat Wissenschaftler mit seinen menschenähnlichen Texten verblüfft. Verärgerung gibt es allerdings über den mangelnden Zugang zum zugrunde liegenden Code oder den “Trainingsmethoden”. Dies gebe Anlass zu Bedenken hinsichtlich der Sicherheit der Technologie und mache sie für die Forschung weniger nützlich. Mehr
Labor-Journal – Nach der Zulassung ist vor dem Rückzug. Pharmahersteller müssen beweisen, dass ihre neuen Arzneimittel wirken und den Patienten nicht schaden. Das ist Voraussetzung für eine Zulassung, etwa durch die Europäische Arzneimittel-Agentur (EMA). In Deutschland gibt es mit dem Arzneimittelmarktneuordnungsgesetz (AMNOG) aber noch eine weitere Hürde, denn hier geht es um Zusatznutzen und jede Menge Geld. Da bleibt manches Medikament auf der Strecke. Beispiel: der Anti-Krebs-Antikörper Amivantamab. Mehr
Deutschlandfunk – Können Innovationen das Klima retten? Um das Klima zu schützen, setzen manche Wissenschaftler auf technische Lösungen: Sonnenspiegel im All, CO₂-Sauger oder künstliche Bäume. Mehr
Riffreporter – IPCC-Leitautor: “Die E-Fuels-Debatte zeigt, die Politik hört der Wissenschaft nicht zu”. Viele Empfehlungen der Wissenschaftler im IPCC werden ignoriert, was sich besonders deutlich in der aktuellen E-Fuels-Debatte zeige. Felix Creutzig beklagt den großen Einfluss von Lobbyisten auf die Klimapolitik und die Tatenlosigkeit Deutschlands im Verkehrssektor. Gerade die großen Parteien seien hier in der Verantwortung, auch den Älteren die Notwendigkeit für eine Transformation zu vermitteln. Mehr
Andere würden sie vermutlich als “laut lachend” beschreiben, sagt die SPD-Politikerin Wiebke Esdar in #Blitzgefragt, einer Youtube-Serie ihrer Bundestagsfraktion. Guten Humor zeigte sie auch vor einigen Jahren im TV-Talk “Bielefelder Bettgeschichten”, zu dessen Konzept es gehört, mit dem Moderator buchstäblich unter eine Decke zu kriechen. Wiebke Esdar erschien im rosafarbenen Rüschennachthemd ihrer Oma. Auch heute noch wäre sie für einen solchen Spaß zu haben, sagt die Haushaltspolitikerin mit Zuständigkeit Bildung und Forschung. “Solange ich mich nicht verächtlich mache, weil ich um jeden Preis Aufmerksamkeit bekommen möchte.” Schließlich sei es in unserer kunterbunten Welt für Politiker nicht einfach, die eigenen Messages an die Menschen zu bringen.
Im Interview mit Table.Media tritt die Ostwestfälin deutlich nüchterner auf. “Wenn man in die Politik geht, muss man Spaß an der inhaltlichen Auseinandersetzung haben”, betont sie. Deshalb treffe sie sachliche Kritik, etwa an ihrer Haltung zu einem möglichen Sprind-Freiheitsgesetz auch nicht persönlich. In der Finanzpolitik sieht die Sprecherin der Parlamentarischen Linken eine Möglichkeit, sich für soziale Gerechtigkeit einzusetzen. Wie gut das in der “Zeitenwende” und unter einem FDP-Finanzminister möglich ist? “Wenn es um Steuererhöhungen geht, haben wir – wie allgemein bekannt – große Konfliktlinien mit Christian Lindner”, gibt sie zu.
Die zusätzlichen Belastungen durch die Energiemangellage und Corona sieht Wiebke Esdar als Argument dafür, die Einnahmen hochzuschrauben. Denn auch in der Forschungs- und Bildungspolitik tauchen neue Herausforderungen auf, während die Finanzierung für wichtige Projekte wie das Startchancen-Programm noch nicht abschließend geklärt ist: gestiegene Energiekosten, der Wegfall russischer Kooperationspartner oder die Unterstützung von Forschenden aus Russland. Seit Beginn des Ukrainekriegs seien zudem schon andere unerwartete Entscheidungen getroffen wurden, betont sie, von Waffenlieferungen in Krisengebiete über die Gaspreisbremse bis hin zum Turbo-Bau von LNG-Terminals.
Wiebke Esdar muss die bestehenden Kostenkalkulationen also noch einmal unter die Lupe nehmen, um Vorhaben neu zu priorisieren und Abstriche zu machen. Von ihrer Fraktion fühlt sie sich dabei unterstützt. Die Frage, ob der Einfluss der Parlamentarischen Linken in der SPD zurzeit schwindet, verneint sie klar: “Das Verhältnis der Strömungen untereinander ist gerade ziemlich entspannt – aber das ist wahrscheinlich keine journalistische Meldung wert.”
Der Umgang mit Zahlen macht der 39-Jährigen Spaß – schon seit dem Psychologiestudium, in dem sie sich als Postdoc auf die Hochschulforschung spezialisiert hat und sich nebenbei in der Finanzkommission ihrer Uni engagierte. “Das Kalkulieren mit Wahrscheinlichkeiten hilft mir dabei, mir ein Bild von etwas zu machen, mich auf dieser Grundlage zu positionieren und so Entscheidungen zu treffen”, erklärt sie. Auch als Aufsichtsratsvorsitzende der Stadtwerke Bielefeld und stellvertretende Vorsitzender der Stadtwerke Gütersloh profitiert die Politikerin von ihrem Faible für die Mathematik.
Seit einem halben Jahr wohnt Wiebke Esdar in der ostwestfälischen Stadt Werther, in der ihr Mann SPD-Bürgermeister ist – rund zehn Kilometer von Bielefeld entfernt. Die Gespräche am Mittagstisch kreisen in der Familie weniger um das kommunal- oder bundespolitische Geschehen als vielmehr um den dreijährigen Sohn, die Gestaltung der gemeinsamen Freizeit und die Organisation des Alltags: Gerade erst wurden die Öffnungszeiten der Kita in Folge des Fachkräftemangels gekürzt. Diese Perspektive nimmt Wiebke Esdar ebenso mit nach Berlin wie ihre Biografie und ihre Kontakte aus der Wissenschaft. Denn, so sagt sie: “Wenn Menschen mit verschiedenen Hintergründen ihre Lebensrealität ins Parlament tragen, funktioniert Politik am besten.” Janna Degener-Storr
China.Table. Neue Indizien für Pelztierthese. In Proben vom berüchtigten Wildtiermarkt in Wuhan aus dem Jahr 2020 hat eine französische Biologin das neue Coronavirus besonders häufig zusammen mit Erbmaterial des Marderhunds nachgewiesen. Mehr
Africa.Table. Liebings Milliardenprojekte bei Wasserstoff. Stefan Liebing, der scheidende Vorsitzende des Afrika-Vereins der deutschen Wirtschaft, hat ein Projekt im Volumen von 32 Milliarden Euro zur Gewinnung grünen Wasserstoffs in Mauretanien an Land gezogen. Mehr
Climate.Table. Die zentralen Aussagen des IPCC-Berichts. Delegationen aus Wissenschaft und Regierungen haben sich auf den Synthesebericht des 6. Sachstandsberichts (AR6) geeinigt. Der IPCC-Bericht warnt so deutlich wie nie zuvor, drängt zur Eile und zeigt Wege für Lösungen. Mehr
Climate.Table. Deals und Überraschungen beim IPCC-Bericht. Ein Hintergrundbericht darüber, wie die Wissenschaft im Ringen mit den Delegationen ihre Botschaften platziert hat, was überraschend war und wie die Staaten ihre Interessen durchgesetzt haben. Mehr
Bildung.Table. Neue Chatbot-Variante kann noch mehr. ChatGPT-4 ist noch leistungsstärker als seine Vorgängervariante. Ein deutscher Lehrer prophezeit: In der Schule wird kein Stein auf dem anderen bleiben. Die Kultusminister sind verblüfft, lassen aber mit neuen Rahmenbedingungen noch auf sich warten. Mehr
Bildung.Table. Unis warnen vor frühem Berufsstart ins Lehramt. Auch angesichts akuten Lehrermangels sind 15 Hochschulen dagegen, Lehramtsstudierende zu früh im Schulunterricht einzusetzen. Für ideal halten sie das erst im Master. Die Unis im Verbund German U15 bilden ein Drittel aller Lehreranwärter aus. Mehr
Jan Gerken ist neuer Kanzler an der TU Dresden. Der Wirtschaftswissenschaftler wird zum 1. Mai von der Universität Stuttgart nach Dresden wechseln.
Barbara Helwing, Direktorin des Vorderasiatischen Museums Berlin, wurde in den dreiköpfigen Vorsitz des Rats für Informationsinfrastrukturen (RfII) gewählt. Helwing folgt damit Stefan Liebig (Institut für Soziologie, FU Berlin), der aus dem RfII zum Ende der zweiten Mandatsphase ausgeschieden ist. Petra Gehring und Lars Bernard wurden im Amt bestätigt.
Johannes Kern ist neuer Prorektor und Dekan der Fakultät Wirtschaft an der Dualen Hochschule Baden-Württemberg Lörrach (DHBW).
Gyburg Uhlmann wird ab dem 1. April als Gründungs-Chair das Department Liberal Arts and Sciences an der neu gegründeten Technischen Universität Nürnberg aufbauen und hat dort den Ruf auf die Professur für Klassische Philologie angenommen. Die Leibniz-Preisträgerin ist Expertin für Digital Humanities und gilt als erfahrene Hochschulpolitikerin.
Matthias Vieth ist neuer Vizepräsident für Studium, Lehre und studentische Angelegenheiten an der Hochschule Darmstadt. Vieth ist dort seit 2016 Professor für Betriebswirtschaftslehre am Fachbereich Wirtschaft und leitet aktuell den Bachelorstudiengang BWL.
“Die Wissenschaft versagt bei der Selbstkontrolle” lautet die Überschrift eines aktuellen Artikels in der ZEIT zu Machtmissbrauch in der Forschung. Die Rheinische Post schreibt von “Wissenschaft als Männerclub” und Times Higher Education (THE) betitelt jüngst “Keep academics without people skills away from PhD Supervision“. Compliance und Führungsthemen in der Wissenschaft gelangen langsam ins Rampenlicht. Doch der Vorstandsskandal bei Fraunhofer übertrifft alles. Während Ministerin Bettina Stark-Watzinger die Fraunhofer-Gesellschaft auffordert, zu einer “modernen Governance und tragfähigen Compliance-Standards zu kommen” und einen “schnellstmöglichen personellen Neustart im Vorstand” durchzuführen – und damit die sofortige Ablösung des amtierenden Präsidenten Reimund Neugebauer einklagt -, besitzt dieser die Chuzpe, sich in der Wagenburg einzuschließen und alle Kritik auszusitzen. Welch massive und persönliche Verachtung aller guten Grundsätze der Unternehmensführung und Kontrolle!
An Neugebauers Beispiel wird deutlich, dass die ethische Kapazität eines Menschen, auch und gerade in Spitzenpositionen, begrenzt ist. Größenwahn und der Glaube, die eigene Person sei eins mit der Organisation und damit unverzichtbar, gehen hier Hand in Hand. Genau da liegt die Herausforderung guter Governance und Compliance, die das Vertrauen in die Führung stärkt, die Spielräume der Akteure für opportunistisches Verhalten einschränkt und die zielgerichtete Zusammenarbeit der Leitung mit ihrem Kontrollorgan sichert.
Und hier liegt – jenseits aller Personalien – bei Fraunhofer und auch bei Max Planck das Problem: Beide haben kein Kontrollorgan. Wie die katholische Kirche sind sie Organisationen ohne Checks und Balances. Der Präsident der Max-Planck-Gesellschaft ist gleichzeitig ihr Senatsvorsitzender. Dies führte beispielsweise zu Interessenskollisionen und Statuten-Verstößen bei der Amtsenthebung der renommierten Professorin Nicole Boivin als Direktorin am Max-Planck-Institut in Jena. Beim Senatsbeschluss zu ihrer Degradierung waren von den 50 Mitgliedern des Senats circa ein Viertel nicht nur als Mitglieder der Max-Planck-Gesellschaft, sondern als Nutznießer der Causa Boivin befangen. In richtigen Aufsichtsgremien hätte dies transparent gemacht werden müssen und zur Abstinenz bei Abstimmungen geführt. Selbst in der mittelalterlichen Inquisition gab es noch eine Unterscheidung zwischen Anklägern und Richtern.
Und bei Fraunhofer ist beispielsweise der Präsident gleichzeitig nicht-stimmberechtigter Vorsitzender der Senats-Auswahlkommission. Schon das ist untragbar. Zudem rekrutiert er in dieser Rolle statuten- und compliancewidrig Senatskandidatinnen und -kandidaten und präjudiziert so spätere Auswahlprozesse.
Und wenn es um das Führungsverständnis geht, dann schlägt die Max-Planck-Gesellschaft dem Fass den Boden aus. Ihr sogenanntes Harnack-Prinzip beruht auf folgender Äußerung des ersten Präsidenten der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft (heute Max-Planck-Gesellschaft), des Kirchen- und Dogmenhistorikers Adolf von Harnack aus dem Jahre 1928: “In so hohem Grade ist der Direktor die Hauptperson, dass man auch sagen kann: Die Gesellschaft wählt einen Direktor und baut um ihn herum ein Institut.” Diese Aussage wurde später Max-Planck-intern als “lockere wie plastische Formulierung” bezeichnet, die Harnack selbst wohl kaum als das leitende Strukturprinzip der Kaiser-Wilhelm-Institute bezeichnet hätte. Sie würde zu organisatorischer Uniformität führen: Forschungsinstitute mit absolutem Führungsanspruch durch eine einzige Person.
Zu Kaiserzeiten gewachsen, heute jenseits von Anachronismus. Doch leider in voller Blüte! Und da verwundert es erst recht, dass der bald scheidende Max-Planck-Präsident Martin Stratmann angesichts der schon damals aktuellen Fälle von Machtmissbrauch ein Essay in der FAZ vom 8.9.2018 unter dem waghalsigen Titel “Mehr Harnack wagen” veröffentlichte. Nein, die Max-Planck-Gesellschaft braucht mehr Checks und Balances und viel weniger Harnack! Beispielsweise, indem die Verwaltungsleitungsfunktionen der Institute sich in Personalführungsfragen professionalisieren und in einer “dotted line” an die Generalverwaltung angebunden werden. Mehr Balance in Struktur und Kompetenz. Denn die besten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sind eben nicht zwangsläufig die besten Führungskräfte.
Innovating Innovation: Ich rate der Ministerin, einen unabhängigen System-Review zur Governance im Wissenschaftssystem zu beauftragen. Mit Konsequenzen für Mittelvergabe im Pakt für Forschung & Innovation, falls die Organisationen beispielsweise keine Zertifizierung ihres Compliance-Systems durch einen unabhängigen Auditor vorweisen können. Zudem wäre ein Science Governance-Codex vergleichbar zum Corporate Government Codex als “soft law” hilfreich für die Selbstreinigung. Doch im Augenblick ist die Situation so verfahren, dass eigentlich nur das Forschungsministerium Geburtshelfer und Katalysator für den Reinigungsprozess sein kann.
nach der Veröffentlichung des Eckpunktepapiers des BMBF am vergangenen Freitag überschlugen sich über das Wochenende die Ereignisse rund um das Wissenschaftszeitvertragsgesetz. Allein rund 2.000 Professorinnen und Professoren (Stand 22.3.) haben eine Stellungnahme gegen die geplante Novellierung unterschrieben. Dort und auch bei Twitter wurde insbesondere die vorgesehene Höchstbefristungsdauer von drei Jahren in der Postdoc-Phase kritisiert. Das BMBF ruderte daraufhin zurück und will neu beraten. Andere rufen nach dem Wissenschaftsrat. Die aktuellen Entwicklungen hat Tim Gabel mit Steffen Mau im Interview besprochen und in seiner Analyse zusammengefasst.
Befristete Arbeitsverhältnisse tragen ihren Teil zu den vielfältigen Abhängigkeiten von Postdocs und Doktoranden bei. Sie sind auch die am stärksten betroffene Gruppe von Machtmissbrauch in der Wissenschaft. Auf einer Tagung an der Universität Wuppertal, in Kooperation mit der HRK und dem Deutschen Hochschulverband, wurde die Wuppertaler Erklärung vorbereitet. Ob die dort formulierten Maßnahmen für eine angepasste Governance in der Wissenschaft besser ankamen als der Entwurf des WissZeitVG, weiß Anne Brüning.
Olaf Scholz wird nächste Woche zum Forschungsgipfel erwartet. Robert Schlögl, Vize-Präsident der Leopoldina möchte das Forum nutzen und endlich die Blockaden bei der Energiewende lösen. Mehr Miteinander fordert er von Politik und Wissenschaft im Gespräch mit Table.Media.
Der Teilchenbeschleuniger Fair in Darmstadt wird weitergebaut. Mehr als 500 Millionen Euro an weiteren Mitteln ist das den Gesellschaftern Bund und Land Hessen wert. Ob das reicht, erfahren Sie in den News.
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Nach der umfassenden Kritik an den Reformvorschlägen zum WissZeitVG hält das BMBF an seinem Plan fest, die Fertigstellung des Referentenentwurfs voranzutreiben: “Schon die bisherige Beteiligung der Stakeholder hat gezeigt, dass die Erwartungen zum Teil weit auseinandergehen. Wir haben die Beteiligten kurzfristig nochmals eingeladen, um die Debatte vor Fertigstellung des Referentenentwurfs fortzusetzen”, sagte eine Sprecherin des Ministeriums gegenüber Table.Media.
Am Mittwoch hatte der Parlamentarische Staatssekretär Jens Brandenburg auf Twitter bekannt gegeben, dass er “Vertreter/-innen der Gewerkschaften, Beschäftigteninitiativen, Hochschulen und Forschungseinrichtungen” zu einer Diskussionsrunde für Donnerstag, den 30. März, um 10 Uhr ins BMBF eingeladen hat. Er kündigte an, dass die Runde auch per Livestream übertragen wird. Den Link dazu will er vorher über Twitter bekannt geben. Die BMBF-Sprecherin wies darauf hin, dass das BMBF die Debatte zur Höchstdauer der Qualifizierungbefristungen in der Postdoc-Phase sehr ernst nehme.
Umgehende Kritik daran äußerte der Berliner Soziologe Steffen Mau im Gespräch mit Table.Media. Mau hatte sich an der Initiative der Wissenschaftlerin Paula-Irene Villa-Braslavsky beteiligt. Rund 2.000 Professorinnen und Professoren hatten bereits wenige Tage nach Veröffentlichung der Reformvorschläge eine Petition gegen das Eckpunktepapier des BMBF zum WissZeitVG unterschrieben. Sie zeigten sich mit der Initiative #IchbinHanna solidarisch, die für bessere Arbeitsbedingungen von Beschäftigten in der Wissenschaft eintritt.
Nach den umfassenden Protesten sei das BMBF gezwungen, nicht mehr mit marginalen Änderungen zurückzukommen, sondern die politische Fantasie anzustrengen, sagte Mau. “Wenn man es dennoch nur mit Kosmetik der Höchstbefristungsdauer versucht, reicht das meiner Ansicht nach nicht mehr aus. Es gibt die Chance zu zeigen, dass man tatsächlich eine ,Zukunftskoalition’ ist und sich Reformen zutraut. Diese Chance sollte man auch ergreifen”, erklärte der Wissenschaftler. Im Interview mit Table.Media schlägt Mau vor, den Wissenschaftsrat mit der weiteren Organisation der Reform zu betrauen.
Die “recht oberflächliche” und “nicht gerade mutige Reform-Idee der Ampel” werde so nicht funktionieren, meint auch Amrei Bahr, Mitbegründerin der Initiative #IchbinHanna. “Die Reaktionen und das schnelle Eingeständnis des BMBF zeigen aus meiner Sicht, dass wir ein sehr viel grundlegenderes Nachdenken darüber brauchen, wie so ein Gesetz und damit eben auch das ganze Wissenschaftssystem gestaltet werden kann. Da muss man jetzt einfach mal an die Fundamente ran.”
Die Hochschulrektorenkonferenz (HRK) wolle zunächst den Fortgang des Gesetzgebungsverfahrens und etwaige Erklärungen des BMBF und der parlamentarischen Berichterstatter abwarten, sagte ein Sprecher. Eine vertiefte fachliche Diskussion zur geplanten WissZeitVG-Novellierung sei erst auf Basis des angekündigten Referentenentwurfs möglich. Zuvor hatte der Senat der HRK die BMBF-Eckpunkte in seiner Sitzung am Dienstag eingehend diskutiert. Dabei stießen einige der vom BMBF vorgelegten Eckpunkte, unter anderem “die deutlich zu kurze Befristungsmöglichkeit in der Postdoc-Phase” und “der generelle Vorrang der Qualifizierungsbefristung im Drittmittelbereich” im HRK-Senat auf deutliche Kritik.
Sonja Staack, Hochschulexpertin der Gewerkschaft ver.di, findet es entscheidend, dass die Betroffenen jetzt selbst mit an den Tisch kommen: “Wir erwarten, dass ihr Frust über das Befristungsunwesen und ihre Zukunftsängste ernst genommen werden, und dass mit dem Gesetzentwurf der ernsthafte Versuch unternommen wird, die Berufswege in die Wissenschaft zu verändern“, sagte Staack.
Vonseiten der an der koalitionsinternen Debatte zum Eckpunktepapier beteiligten Parlamentarier gibt man sich gesprächsbereit: “Sie dürfen darauf vertrauen, dass wir die Rückmeldungen der Beschäftigten im Mittelbau sehr ernst nehmen”, sagte Carolin Wagner (SPD), Mitglied des Forschungsausschusses. Seit Sonntagabend sei sie auf Basis der Eckpunkte erneut im Gespräch “mit verschiedenen Seiten” und werde dies auch weiter so handhaben.
Auch Nina Stahr, forschungspolitische Sprecherin der Grünen-Bundestagsfraktion, begrüßt, dass das BMBF in Sachen WissZeitVG noch einmal gezielt in den Dialog gehen will. “Eine Reform des WissZeitVG kann nicht alle Probleme im Arbeitsfeld Wissenschaft allein lösen. Dafür braucht es flankierende Maßnahmen, die es nur gibt, wenn das BMBF in einen guten Austausch mit den Ländern geht und alle Ebenen sich ihrer Verantwortung bewusst sind”, erklärte Stahr.
Ihr Ausschuss-Kollege Stephan Seiter (FDP), der ebenfalls an der Regierungsdebatte zu den Reformvorschlägen beteiligt war, weist darauf hin, dass er seit Beginn der Diskussion vor der Druckerhöhung im Postdoc gewarnt habe. “Ich befürchte, dass die Verkürzung der Befristungsdauer, ohne ergänzende Maßnahmen der Länder in der Postdoc-Gestaltung, großen Zeitdruck auslösen kann“, sagte er gegenüber Table.Media. Die Reaktionen seien teils aber auch einer “übertriebenen Erwartungshaltung an die Wirkung des WissZeitVG” geschuldet.
Dass die BMBF-Staatssekretärin Sabine Döring noch am Sonntag über Twitter das Eckpunktepapier wieder in die “Montagehalle” zurückgezogen hat – knapp 48 Stunden nach dessen Veröffentlichung – darüber gibt sich auch die Opposition irritiert: “Die Bundesbildungsministerin ist verreist und alle fragen sich, wie es jetzt weitergeht”, sagt Thomas Jarzombek, forschungspolitischer Sprecher der Union-Bundestagsfraktion. Ein professionelles Vorgehen der Bundesregierung sehe anders aus. “Die Bundesbildungsministerin fordere ich auf, im Sinne aller Betroffenen jetzt schnell für Klarheit über das weitere Verfahren zu sorgen.”
Am 28. März laden die Expertenkommission Forschung und Innovation, die Leopoldina, der Stifterverband und die VolkswagenStiftung zum Forschungsgipfel nach Berlin. Dort diskutieren die führenden Köpfe der Wissenschaft unter anderem mit Bundeskanzler Olaf Scholz. “Blockaden lösen” heißt das Motto. Ein Themenfeld, um das es gehen wird, ist die Energiewende.
Robert Schlögl, Vizepräsident der Leopoldina, Präsident der Alexander von Humboldt-Stiftung und Chemiker, hat zusammen mit einer Arbeitsgruppe der Leopoldina vorab ein Diskussionspapier veröffentlicht, das die wesentlichen Herausforderungen für die Transformation des Energiesystems in den Blick nimmt. Im Gespräch mit Table.Media legt Schlögl dar, was er sich vom Forschungsgipfel erhofft und wo er Blockaden im System sieht.
Das größte Hindernis sieht Schlögl aktuell durch die verschiedenen Positionen und Zielsetzungen innerhalb der Politik. “Man ist sich nicht einig, wohin man eigentlich will”, sagt er. Die einen wollten ein möglichst autarkes neues System bauen, die anderen ein offenes System erhalten. “Der E-Fuels-Streit ist nur ein Symptom eines tiefer liegenden Konflikts.” Für Schlögl steht fest: “Wir können uns nicht von einem globalen Energiesystem abkoppeln – das kostet uns die Zukunft.”
Als Beispiel für klare strategische Zielsetzungen nennt er die USA. Dort würden langfristige Ziele gesetzt und “dann der einfachste Weg zum Ziel gewählt”. Und das seien nicht Subventionen, sondern gezielte Incentives für die Wirtschaft. Diese motivierten die Industrie, die Energiewende aktiv mit voranzutreiben und zu investieren – anstatt zu erwarten, dass der Staat alles regelt und bezahlt.
In Deutschland werde, wie beim Kohleausstieg geschehen, alles “bis ins letzte Detail geregelt, was in den nächsten 15 Jahren passieren soll”. Dabei änderten sich die Rahmenbedingungen ständig und es bräuchte ein flexibles Management komplexer Prozesse.
Ein wichtiger Baustein der Energiewende ist grüner Wasserstoff. Robert Schlögl sieht Deutschland hier bei Forschung und Entwicklung in einer führenden Position. “Der Aufbau von großen Wasserstofferzeugern und chemischen Anlagen, die Wasserstoff in transportfähige Formen konvertieren, ist eine unserer Kernkompetenzen. Wenn das jetzt beherzt vorangetrieben würde, könnten wir den Weltmarkt mitbestimmen.”
Die Aktivitäten in diesem Bereich sollten sich nicht nur auf den Aufbau der Infrastrukturen beschränken, sondern auch auf die Wasserstoffproduktion in Deutschland in den Blick nehmen. Allerdings fehle bisher die Möglichkeit, Erkenntnisse aus der Forschung in die Anwendung zu bringen.
Ein Grund dafür seien zahlreiche regulatorische Hindernisse. Das EU-Beihilferecht sorge dafür, dass in Forschungsprojekten die Herstellung von Wasserstoff oder seiner Derivate in systemrelevanten Mengen und über anwendungsrelevante Zeiträume nicht möglich ist. “Das ist aber erforderlich, um wirklich Prozesse zu testen und den Proof of Concept zu erbringen.”
Die Unterstützung der Forschung und Entwicklung im Bereich Wasserstoff sollte nach Ansicht Schlögls zunächst technologieoffen erfolgen. Am Ende sei wichtig, dass das Energiesystem so effizient wie möglich ist und nicht jede einzelne Komponente. “Wenn wir zum Beispiel am Ende nicht genug erneuerbare Energien haben, dann ist das eigentlich effiziente E-Auto systemisch nicht effizient.”
Auch für die Technologien, mit denen CO₂ aus der Atmosphäre entfernt und recycelt werden soll, sieht Schlögl die deutsche Forschung gut aufgestellt. Für die Entnahme von Kohlendioxid (Carbon Dioxide Removal – CDR) fordert das Leopoldina-Diskussionspapier sowohl die EU als auch die Bundesregierung auf, explizite Ziele bis 2050 zu formulieren. In der Folge seien entsprechende Regulierungen erforderlich, um den Aufbau und den Einsatz der Technologien zu befördern.
Carbon Capture and Utilization (CCU) ermöglicht es in Zukunft, den Kohlenstoffkreislauf zu schließen, der schätzungsweise noch drei bis vier Gigatonnen (GT) im Jahr umfasst und damit wesentlich weniger als heute (etwa 10 GT). Dabei kann der Kohlenstoff recycelt und beispielsweise für E-Fuels verwendet werden – bei Kosten, die dann aber in etwa doppelt so hoch wären wie für heutige Kraftstoffe.
Bei all diesen Aktivitäten und Erkenntnissen stellt sich die Frage nach einer übergeordneten Koordinierung. Schlögl bescheinigt dem Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF), die Aktivitäten gut zusammenzubringen. Hier gibt es eine Art Pyramide in der Forschungsförderung von zahlreichen Projekten der Grundlagenforschung hin zu wenigen großen Projekten der Anwendung.
Bei Wasserstoff und CCU stehen am Ende der Kette die Kopernikus-Projekte, die aktuelle Forschungsansätze abbilden und gemeinsam mit Stakeholdern und der Industrie Technologien zur Anwendung bringen wollen. Problematisch findet Schlögl jedoch, dass alle Projekte enden, bevor die Erkenntnisse industriell verwertbar sind. “Das ist ein Fehler. Hier verlieren wir den Anschluss.”
Ein weiterer Kritikpunkt Schlögls: Seit dieser Legislaturperiode werde die Forschungsförderung seitens anderer Ministerien wesentlich ausgebaut. Insbesondere das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) und das Bundesministerium für Digitales und Verkehr (BMDV) geben dabei aus seiner Perspektive ihre Fördermittel jedoch recht unsystematisch in die Wissenschaftscommunity.
Eine Abstimmung mit dem BMBF erfolge nicht. Wie auch die Expertenkommission Forschung und Innovation (EFI) kritisiert er die mangelnde Koordination der Ministerien untereinander. Ein koordinierendes Gremium im Bundeskanzleramt sieht er jedoch auch skeptisch. “Die Energiewende ist schließlich ein länger andauerndes Projekt, das entscheidend für die Zukunft unserer Gesellschaft ist. Daher gehört eine Koordination eher ins Parlament, in einen neuen Energieausschuss vielleicht.” Dort könnte man längerfristiger denken, als es das BMBF derzeit tut. Wichtig sei, dass ein koordinierender Akteur über die Budgethoheit verfügt. Und dass die Managementaufgabe angenommen wird.
Aber nicht nur die Politik muss sich zusammenraufen. Auch die deutsche Wissenschaft leide darunter, dass es keine gemeinsame Zielsetzung gibt, findet Schlögl. Dabei seien die Voraussetzungen eigentlich hervorragend – mit einer klaren Rollenverteilung zwischen den Wissenschaftsorganisationen. Aber “es wird zu wenig miteinander geredet und mehr übereinander“. Die Koordination großer Aufgaben funktioniere dadurch nicht gut. “Jeder macht, was er will.”
Vom Forschungsgipfel erhofft sich Schlögl, dass die Aufmerksamkeit steigt und es eine gemeinsame Initiative gibt. Eine, die Zielsetzungen klärt, Dinge zusammenbringt und Forschungsprojekten über das Tal des Todes hilft.
Ein Universitätsprofessor, der seinen Mitarbeiterinnen gemeinsame Sexclub-Besuche abverlangt. Eine Institutsdirektorin, die in einem intransparenten Verfahren degradiert wird. Ein Arbeitsgruppenleiter, der voraussetzt, dass seine Mitarbeiter regelmäßig bis drei Uhr nachts arbeiten.
Derlei Fälle kamen auf der Tagung “Governance in Wissenschaftsorganisationen” am 16. und 17. März in Wuppertal zur Sprache, die in Kooperation mit der Hochschulrektorenkonferenz (HRK) und dem Deutschen Hochschulverband stattfand. Dass die Fälle systemische Probleme widerspiegeln und besonders häufig Frauen und Forschende in der Qualifikationsphase betreffen, untermauerten die vorgestellten Ergebnisse von Umfragen, etwa des PostdocNet Survey der Max-Planck-Gesellschaft (siehe Grafiken). Im Umgang mit Konflikten und Vorwürfen gibt es noch großen Verbesserungsbedarf. Einen Anschub dazu soll die “Wuppertaler Erklärung zur vertrauenswürdigen Wissenschaftsgovernance” liefern, deren Entwurf auf der Tagung vorgelegt wurde.
Das Papier formuliert elf Grundsätze – vom Bedarf beobachterunabhängiger Kriterien für Fehlverhalten über Erwartungsmanagement bis zum Appell an den Grundsatz “in dubio pro reo”. Einige Handlungsfelder sind besonders herausfordernd.
Umgang mit Abhängigkeit als Konfliktursache: Eine Besonderheit im Wissenschaftsbetrieb ist die starke einseitige Abhängigkeit in der Qualifikationsphase. Die Betreuer von Doktoranden und Postdocs sind häufig zugleich Vorgesetzte sowie Prüfer oder Gutachter. Eine stärkere Trennung dieser Verhältnisse würde das Konfliktrisiko deutlich verringern. Vorschläge dazu wurden auf der Tagung formuliert, etwa mehr Labormanager für die Organisation der Arbeit zusätzlich zur wissenschaftlichen Gruppenleitung zu etablieren.
Gerichtsfestigkeit: Innerhalb einer Organisation sollte ausdrücklich geklärt werden, welche Formen des Fehlverhaltens unter das Arbeits- und Dienstrecht oder unter das Strafrecht fallen, heißt es in dem Erklärungsentwurf. Die internen Abläufe der Organisation müssen klar geregelt sein, um einer rechtlichen Überprüfung standzuhalten. Darüber hinaus seien Anlaufstellen für Fälle von Fehlverhalten auf Leitungsebene erforderlich.
Rechtsgrundsätze: Ausführlich geht die Erklärung darauf ein, dass in einem Verfahren alle Beteiligten die gleichen Rechte und Pflichten genießen. Dass dies bisher nicht selbstverständlich ist, zeigt eine 2021 in den Beiträgen zur Hochschulforschung veröffentlichte Studie. Die Autorinnen Heike Egner und Anja Uhlenwinkel haben darin Entlassungen und öffentliche Degradierungen von Professorinnen in Deutschland, Österreich und der Schweiz untersucht. Wie sie von den Betroffenen erfuhren, wurden rechtsstaatliche Prinzipien wie Transparenz des Verfahrens und Recht auf Stellungnahme und Anhörung in erheblichem Maße missachtet.
Auf vertrauenswürdige Governance zu pochen, erwarten die einen vor allem vom BMBF und den Landesministerien, andere sprechen sich dafür aus, dass die Wissenschaft selbst tätig wird.
Gegen die Verordnung “von oben” scheint das Grundgesetz zu sprechen, das in Artikel 5 die Freiheit von Wissenschaft, Forschung und Lehre sichert und damit vor staatlichen Eingriffen und Einflussnahme schützt. Dass an die Exekutive dennoch Anforderungen gestellt werden können, in puncto Compliance die Aufsicht über Wissenschaftsorganisationen zu übernehmen, legte Sascha Herms dar, Fachanwalt für Arbeitsrecht und Lehrbeauftragter an der Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin.
“Als Grundrechtsverpflichteter muss der Staat sogar seinen Einfluss als Finanzierer zur Durchsetzung wissenschaftsadäquater Organisation, Verfahren und Handelns nutzen”, sagte er. Bei den Hochschulen sieht Herms die jeweiligen Landesministerien in der Pflicht, bei den außeruniversitären Einrichtungen das BMBF.
“Die deutschen Wissenschaftsorganisationen brauchen endlich richtige Aufsichtsgremien”, bekräftigte Thomas Sattelberger, ehemaliger Parlamentarischer Staatssekretär im BMBF. Der Staat sollte dabei als Katalysator wirken und zum Beispiel die Mittelvergabe mit entsprechenden Anforderungen verknüpfen. Auch die Idee eines zentralen Science Governance Boards stellte Sattelberger in den Raum.
Auf der Tagung war vor allem der außeruniversitäre Sektor im Fokus. Doch auch an Hochschulen ist externe Aufsicht ein Thema. “Der Vergleich mit den Hochschulen ist nicht einfach, da die Governancestrukturen sich doch stark unterscheiden und die Außeruniversitären stärker hierarchisch strukturiert sind als wir Hochschulen”, sagte Oliver Günther, Vizepräsident für Governance, Lehre und Studium der HRK und Präsident der Universität Potsdam. “Auch an den Hochschulen gibt es freilich Reformbedarf.”
Viele Hochschulen arbeiteten mit Hochschulräten. “Deren Leistungsbilanz ist sicherlich durchwachsen, insbesondere gibt es immer wieder auch Kollisionen mit der hochschulischen Selbstverwaltung”, sagte er. Hier seien die Hochschulleitungen gefragt, gegebenenfalls zu vermitteln und grundsätzlich über Anreize und Sanktionen darauf zu achten, dass es zu Diskriminierung, Machtmissbrauch und ähnlichen Fehlentwicklungen gar nicht erst kommen kann.
Gegen eine zentrale Einrichtung zur Überwachung sprach sich zum Beispiel die Generalsekretärin der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) Heide Ahrens aus. Als erfolgreiches Beispiel für Regeln, die sich die Wissenschaft selbst gibt, sieht sie den Kodex “Leitlinien zur Sicherung guter wissenschaftlicher Praxis”, mit dem die DFG die Antragsberechtigung für Fördermittel an bestimmte Standards bindet.
Der Zuständigkeitsbereich der DFG beschränkt sich jedoch auf wissenschaftliches Fehlverhalten. Bei Fällen nicht-wissenschaftlichen Fehlverhaltens wird die DFG nicht tätig, denn sie berühren das Arbeits- beziehungsweise Disziplinarrecht, nicht das Verbandsrecht.
Die Wuppertaler Erklärung soll nun finalisiert werden. “Danach lassen wir sie informell in der Hochschulrektorenkonferenz und bei den außeruniversitären Forschungseinrichtungen zirkulieren”, sagte Birgitta Wolff, Rektorin der Universität Wuppertal, die die Tagung zusammen mit Carola Jungwirth von der Universität Passau und Isabell Welpe vom Bayerischen Staatsinstitut für Hochschulforschung und Hochschulplanung organisiert hat.
Im Anschluss gehe es ans Change Management. Dieses sieht sie in vielen kleinen Schritten. “Neue Governance-Ideen in der Wissenschaft mit einem Masterplan einzuführen, ist keine gute Idee. Besser ist es, mit einer Allianz von Akteurinnen und Akteuren, die wirklich etwas ändern wollen, voranzugehen”, sagte sie. Ihr schweben Pilotprojekte vor – und weitere Forschung zu dem Thema. “Wir sollten nichts fordern, von dem wir nicht wissen, ob es wirkt. Deshalb brauchen wir mehr Evidenz.”
In Reallaboren, also zeitlich und räumlich begrenzten Testumgebungen, können innovative Ideen oder Geschäftsmodelle unter realen Bedingungen erprobt werden. Autonome Fahrzeuge lassen sich auf öffentlichen Straßen, neue Energieversorgungsmodelle und die Nutzung von Drohnen unter realen Bedingungen testen.
“Gerade in für wegweisende Neuerungen so unsicheren Zeiten wie heute, in denen Deutschland großen Herausforderungen wie der Klimakrise gegenübersteht, sind Reallabore so wichtig wie nie zuvor. Sie müssen dringend ausgebaut werden”, sagt Uwe Cantner, Vorsitzender der Expertenkommission für Forschung und Innovation (EFI). “Wir Deutschen neigen dazu, jede Neuerung bis in die letzte Konsequenz zu durchdenken.” Reallabore seien da eine Möglichkeit, langwierige Prozesse zu vermeiden und wichtige Innovationen zu befördern und in die Anwendung zu bringen.
In der Gesundheitsforschung haben Reallabore eine lange Tradition. “Studien, das Testen und Ausprobieren – all das ist im Gesundheitsbereich unerlässlich, um Technologien und neue Anwendungen in der Praxis zu testen”, sagt Sebastian Hilke von Bayern Innovativ. Die Innovationsplattform ist einer der elf Konsortialpartner des Reallabors TEAM-X, das vergangenes Jahr vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) mit dem Innovationspreis Reallabor in der Kategorie Ausblick ausgezeichnet wurde. TEAM-X will Lösungen, die auf digitalen Gesundheitsdaten beruhen, im Bereich der Pflege- und Frauengesundheit in realer Umgebung testen. Patienten, Ärzte, Pfleger – sie alle sollen einbezogen werden.
Doch die breite Etablierung von Reallaboren steht noch vor einigen Hürden: Aktuell bestehen in einigen Innovationsbereichen keine rechtlichen Grundlagen für Reallabore. Und wo es solche gibt, fehlen einheitliche Standards. Die unklare Rechtslage und Genehmigungspraktiken machen es insbesondere für Mittelständler, Start-ups und Genehmigungsbehörden schwer, sie zu verstehen und anzuwenden. Unternehmen würden daher oft ins Ausland ausweichen, kommunale Innovationsprojekte bleiben so laut BMWK aus.
Vorschläge lieferte kürzlich Matthias Wanner vom Wuppertal Institut für Klima, Umwelt und Energie in der Sitzung des Forschungsausschusses vom 15. März. Laut Wanner müssten Reallabore ausreichend finanziert werden und ihre Laufzeit soll von drei auf mindestens fünf Jahre verlängert werden. Messbare Wirkungen von Reallabor- und Living-Lab-Projekten müssten bereits im Vorfeld gefordert und in das Studiendesign integriert werden. Darüber hinaus seien die rechtlichen Genehmigungs- und Haftungsfragen (sozio-) technischer Experimente zu klären.
In einem geplanten Reallabore-Gesetz sollen nun bundesweit einheitliche und innovationsfreundliche Rahmenbedingungen für Reallabore gesetzt und neue Freiräume zur Erprobung von Innovationen ermöglicht werden.
Ein erstes Konzept wurde bereits vom BMWK veröffentlicht. Die Bundesregierung will das Gesetz noch in der laufenden Legislaturperiode in Kraft setzen. Im Sommer 2023 soll ein breiter öffentlicher Konsultationsprozess durchgeführt werden, um weitere Anwendungsfelder und -bereiche für Reallabore zu identifizieren, teilte das BMWK Table.Media mit.
Übergreifende Standards für Reallabore und Experimentierklauseln: Diese Standards sollen festgesetzt werden, zum Beispiel bezüglich Zugang, Befristung, Verlängerung, Evaluation, Skalierung sowie neuer Experimentierklauseln, die relevante Fachgesetze ergänzen, sodass Reallabore in wichtigen Zukunftsbereichen möglich werden.
Neue Reallabore ermöglichen: Es braucht neue Experimentierklauseln, zum Beispiel bei datengetriebenen KI-Anwendungen im Bereich moderner Mobilität oder bei innovativen digitalen Identifizierungsverfahren wie für den digitalen Führerschein. Bestehende Experimentierklauseln müssen zudem überprüft werden.
One-Stop-Shop für Reallabore: Begleitend ist vorgesehen, einen One-Stop-Shop für Reallabore zu etablieren, der als zentrale Beratungsstelle für Unternehmen, Forschung und Kommunen dient und Wissen aus den Reallaboren an den Gesetzgeber weitergibt.
Ein Experimentierklausel-Check: Dieser soll die kontinuierliche Identifikation und Umsetzung neuer Anwendungsfelder für Experimentierklauseln und Reallabore ermöglichen.
Auf die Finanzierung wird im Gesetz nicht eingegangen. Aber: “Es wird sich auf jeden Fall etwas mit dem Gesetz verbessern”, sagt Cantner. Doch: “Es darf nicht dazu kommen, dass es so viele Regulierungen geben wird, dass es die Lust nimmt, Reallabore umzusetzen. Ich habe leider die Bedenken, dass genau das passieren wird”, sagt der EFI-Chef.
Auch ein weiteres zentrales Problem wird mit dem Gesetz nicht gelöst. Die meisten Reallabore verschwinden nach der Projektzeit von der Bildfläche. “Oft werden nach den Laufzeiten sehr erfolgreicher Reallabore keine weiteren Konsequenzen gezogen. Es wird nicht weiter skaliert”, sagt Cantner. Das müsse sich ändern. Auch Matthias Wanner warnt, dass Reallabore “kein Selbstzweck”, sondern ein Instrument zur nachhaltigen Veränderung der Gesellschaft darstellen. Sie seien daher kein “Wanderzirkus”, sondern sollten langfristig durch Ansprechpartner vor Ort lokal verankert sein.
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“Das Wissenschaftsfreiheitsgesetz ist auf bundesfinanzierte institutionell geförderte Wissenschaftseinrichtungen ausgerichtet”: Das hat die Bundesregierung in ihrer Antwort auf eine Kleine Anfrage der CDU/CSU-Fraktion zum Besserstellungsverbot klargestellt. Wie Research.Table berichtete, fühlen sich die industrienahen Forschungseinrichtungen (IFE) gegenüber den großen außeruniversitären Forschungseinrichtungen (auF) benachteiligt. Sie fallen im Gegensatz zu den auF derzeit nicht unter die Ausnahmen des WissFG.
Die Bundesregierung begründet diese Unterscheidung in ihrer Antwort jetzt erstmals: Die auF seien einem “wissenschaftsadäquaten Controlling unterworfen und verfügen regelmäßig über Überwachungsorgane, über die dem öffentlichen Zuwendungsgeber in der Überwachung der operativen Geschäftsführung ein wesentlicher Einfluss eingeräumt ist.”
Die Unionsfraktion erneuerte nach der Antwort ihre Kritik an der Bundesregierung: “Die Benachteiligung durch das Besserstellungsverbot ist für viele gemeinnützige Industrieforschungseinrichtungen ein großes Problem bei der Anwerbung von Fachkräften”, sagte der forschungspolitische Sprecher Thomas Jarzombek (CDU). Die wissenschaftliche Leistungsfähigkeit werde hierdurch geschwächt. Die Bundesregierung sei viel zu passiv und müsse diesen strukturellen Standortnachteil dringend beheben.
Einer Regelung über das Haushaltsgesetz, die ebenfalls möglich wäre, erteilte die Bundesregierung in der Antwort gleichfalls eine Absage. Auf die entsprechende Frage der Unionsfraktion verweist die Bundesregierung wieder auf das WissFG: “Die Einrichtungen, für die Erleichterungen gelten, sind dort abschließend aufgeführt”. Es bestünde aber nach wie vor die Möglichkeit für Institute in Einzelfällen Ausnahmen vom Besserstellungsverbot beim Bundeswirtschaftsministerium (BMWK) zu beantragen.
Erstmals hat die Bundesregierung dabei auch Zahlen zu den vorliegenden Ausnahmeanträgen veröffentlicht. Nach einer vorgelegten Liste haben derzeit 44 IFE Anträge auf Ausnahmen vom Besserstellungsverbot an das BMWK geschickt. 40 davon hat das BMWK nach einer Prüfung bereits an das Bundesfinanzministerium (BMF) weitergeleitet. Das BMF entscheidet letztendlich über die Ausnahmen. tg
Zum möglichen Verbot einer abgekürzt PFAS genannten Chemikaliengruppe in der EU haben am Mittwoch öffentliche sechsmonatige Konsultationen begonnen. “Die Konsultation soll jedem, der über Informationen über PFAS verfügt, die Gelegenheit geben, sich zu äußern”, teilte die EU-Chemikalienagentur ECHA in Helsinki mit. Nach Ablauf der Frist am 25. September will die Agentur ein mögliches Verbot aufgrund der vorliegenden Informationen beurteilen und sich eine Meinung darüber bilden. Die Entscheidung trifft die Europäische Kommission schließlich gemeinsam mit den EU-Mitgliedsstaaten.
Die Stoffe der Chemikaliengruppe, zu der geschätzt mehr als 10.000 einzelne Substanzen gehören, sind in Alltagsprodukten wie Anoraks, Pfannen und Kosmetik verarbeitet. Sie finden aber auch in Industrieprozessen Anwendung. Weil sie extrem langlebig sind, werden PFAS auch Ewigkeitschemikalien genannt.
Deutschland, die Niederlande, Dänemark, Norwegen und Schweden hatten im Januar vorgeschlagen, die Herstellung, Verwendung und das Inverkehrbringen von PFAS fast komplett zu verbieten. Der Vorschlag sieht je nach Anwendung Übergangsfristen von bis zu 13,5 Jahren vor. Für einige wenige Bereiche gäbe es unbegrenzte Ausnahmen.
Die Industrie sträubt sich gegen ein breites Verbot der Stoffe. Lediglich für wenige von ihnen sei direkt nachgewiesen, dass sie gefährlich sind. Allerdings sind auch nur wenige der Stoffe bislang gut untersucht – und die meisten der gut untersuchten Stoffe gelten als mittel- bis hochtoxisch. Die Initiatoren des Vorschlags halten ein Verbot deshalb für eine wichtige Vorsichtsmaßnahme, um Gesundheit und Umwelt zu schützen. In der Wissenschaft wird ein Verbot auch als Chance für Innovationen im Bereich ungefährlicher Alternativen gesehen. tg
Die am Montag vorgelegte Stellungnahme des Deutschen Ethikrats zu den Herausforderungen durch Künstliche Intelligenz (KI) hat überwiegend positive Resonanz erzeugt. Mit kritischen Worten meldete sich jedoch der KI-Verband zu Wort. Die Stellungnahme gehe zu wenig auf die positiven Auswirkungen von KI ein, erklärte Verbandsgeschäftsführer Daniel Abbou. Die Möglichkeiten, die KI im wirtschaftlichen Kontext haben werde, insbesondere in Bezug auf den Fachkräftemangel, würden ignoriert.
Lobende Worte fand hingegen Forschungsministerin Bettina Stark-Watzinger. Der Ethikrat verdeutliche “die vielfältigen Potenziale und Chancen”, die mit dem Einsatz von Künstlicher Intelligenz in zentralen gesellschaftlichen Anwendungsbereichen verbunden seien, erklärte sie. Diese seien unbedingt zu nutzen. Gleichzeitig gebe der Bericht Orientierung, wie möglichen Risiken wie etwa der Diskriminierung bei der Anwendung von KI begegnet werden könne. “Die Stellungnahme ist ein wichtiger Beitrag zur weiteren Debatte, auch im Hinblick auf die Fortentwicklung der KI-Strategie der Bundesregierung”, sagte Stark-Watzinger.
Im Rahmen dieser 2018 gestarteten Strategie stellt der Bund bis 2025 etwa fünf Milliarden Euro zur Verfügung. Ziel ist es, Deutschland zu einem weltweit führenden Standort für die Erforschung, Entwicklung und Anwendung von Künstlicher Intelligenz zu machen. Dass dies noch nicht erreicht ist, zeigt eine im Dezember 2022 veröffentlichte Studie der Stiftung Neue Verantwortung. Demnach verlassen 40 Prozent der KI-Forschenden Deutschland nach der Promotion, weil sie keine attraktiven Unis und Firmen finden. In den USA bleiben nur 20 Prozent nicht im Land.
Die 287 Seiten umfassende Ethikrats-Stellungnahme “Mensch und Maschine – Herausforderungen durch Künstliche Intelligenz”, untersucht die Auswirkungen digitaler Technologien auf das menschliche Selbstverständnis und Miteinander. “Der Einsatz von KI muss menschliche Entfaltung erweitern und darf sie nicht vermindern. KI darf den Menschen nicht ersetzen. Das sind grundlegende Regeln für die ethische Bewertung”, sagte Alena Buyx, Vorsitzende des Deutschen Ethikrates, bei der Vorstellung der Stellungnahme.
Auf vier Bereiche geht die Arbeitsgruppe näher ein und formuliert Empfehlungen: Medizin, schulische Bildung, öffentliche Kommunikation und Meinungsbildung sowie öffentliche Verwaltung. Für den Medizinbereich richten sich Empfehlungen unter anderem auf die Qualitätssicherung bei der Entwicklung und Nutzung von KI-Produkten und die Vermeidung ärztlicher Kompetenzverluste. Darüber hinaus wird das Ziel formuliert, die Privatsphäre von Patientinnen und Patienten mit intensiver Datennutzung in der medizinischen Forschung in Einklang zu bringen. Das Vertrauensverhältnis zwischen allen beteiligten Personen sei zu schützen und die vollständige Ersetzung medizinischer Fachkräfte zu vermeiden, betont der Ethikrat. abg
Bettina Stark-Watzinger strebt eine engere Forschungskooperation mit Taiwan an. Am Dienstag unterzeichnete die Forschungsministerin mit ihrem Amtskollegen Wu Tsung-tsong in Taipeh ein Wissenschafts- und Technologie-Abkommen. Dieses stehe für “den Ausbau der Zusammenarbeit auf der Basis demokratischer Werte wie Transparenz, Offenheit, Reziprozität und Wissenschaftsfreiheit”, sagte Stark-Watzinger. Es öffne ein “neues Kapitel im Bereich Forschung und Innovation” in den Beziehungen zu Taiwan.
Der “Fachbesuch” der Ministerin in Taiwan wird von China scharf kritisiert – auch wenn Stark-Watzinger betont, sie sei “nicht aus Gründen geopolitischer Natur” in Taiwan, sondern um Kooperationen im Bereich “Forschung und Innovation” zu befördern. China sieht jedoch offizielle Reisen ausländischer Politiker nach Taiwan stets als politischen Akt. Das chinesische Außenministerium bezeichnete den Besuch als “böswillig”.
Dass das technologisch innovative Taiwan für konkrete Projekte ein attraktiver Partner ist, steht für Kai Gehring (Grüne), Vorsitzender des Forschungsausschusses, derweil außer Frage. “Für die Bewältigung großer Herausforderungen wie der Klimakrise, für die Sicherung deutscher und europäischer technologischer Souveränität sowie den Ausbau unserer Innovationsökosysteme ist eine engere Kooperation mit Taiwan in den Bereichen Bildung, Wissenschaft, Forschung und Digitalisierung sehr sinnvoll”, sagte er gegenüber Table.Media. Gehring ist als Ausschussvorsitzender und Parlamentarier nach Taiwan mitgereist.
Vor allem über die Bereiche Halbleiter, grüner Wasserstoff und Batterieforschung wurde gesprochen. Gehring berichtet, dass im Halbleiterbereich gemeinsame Forschung und ein Fachkräfteaustausch angestoßen wurden. Im Bereich grüner Wasserstoff werde die Zusammenarbeit zur Erforschung von Green Steel und zum Transport von Wasserstoff nach erfolgreichen Vorgesprächen geprüft.
Gehring verweist auch auf die gut laufende Kooperation im Bereich Batterieforschung des BMBF mit Taiwan seit 2016, die weiter ausgebaut werden soll. Gemeinsame Förderrichtlinien und weitere Kooperationsinstrumente würden zurzeit auf Arbeitsebene besprochen und geprüft, erläutert der Grünen-Politiker.
Spätestens beim Thema Chips bekommt der Besuch auch eine geopolitische Note. “Natürlich besucht eine deutsche Ministerin Taiwan nicht zufällig. Es ist klar, dass der Besuch darauf abzielt, die Räder im Hinblick auf den Zugang Deutschlands zu Chips zu schmieren“, kommentiert etwa Chang Meng-jen in der Zeitung Taipei Times, die der Demokratischen Freiheitspartei in Taiwan nahesteht. Der Koordinator für Diplomatie und internationale Beziehungen an der Fu Jen Catholic University blickt dabei auf Taiwans Halbleiter-Giganten TSMC, der den Bau einer Fabrik in Dresden erwägt, aber auch von Singapur umworben wird. Christiane Kühl / Markus Weisskopf
Der Bund und das Land Hessen stellen zur Finanzierung der ersten Ausbaustufe ‘First Science’ weitere 518 Millionen Euro zur Verfügung. Ende Februar war bekannt geworden, dass circa eine halbe Milliarde Euro an zusätzlichen Mitteln notwendig sein würden, um diese erste Stufe des Teilchenbeschleunigers am GSI Helmholtzzentrum für Schwerionenforschung in Darmstadt zu finanzieren.
Forschungsministerin Bettina Stark-Watzinger zeigte sich erfreut, “dass wir jetzt einen Durchbruch erreicht haben, der die FAIR-Ausbaustufe ‘First Science’ ermöglicht, bekannte Risiken berücksichtigt und einen Baustopp verhindert. Nun sind die internationalen Gesellschafter gefordert, ebenfalls ihre entsprechenden Anteile aufzubringen.” Diese haben laut Mitteilung des GSI die Mehrkosten anerkannt und wollen zeitnah weitere Zusagen machen.
Die hessische Wissenschaftsministerin Angela Dorn ergänzt: “Angesichts der bereits in der Vergangenheit und nun erneut infolge des völkerrechtswidrigen Angriffs der Russischen Föderation auf die Ukraine gestiegenen Kosten stehen wir in besonderer Verantwortung. Wir haben das Controlling verbessert und darauf hingewirkt, dass das Vorhaben durch ein unabhängiges Expertengremium evaluiert wurde. Auf dieser Basis haben wir uns für die zügige Fertigstellung des Bauabschnitts ‘First Science’ eingesetzt, denn dieser ermöglicht in einem vertretbaren Kostenrahmen eine international konkurrenzfähige Forschung.”
Die Linken-Politikerin Petra Sitte hält die jetzt verhandelte Lösung ebenfalls für vertretbar. Jetzt müsse aber “die Umsetzung eng begleitet und regelmäßig Bericht gegeben werden”.
Hauptgeldgeber des Großprojekts und zugleich Gesellschafter sind der Bund und das Land Hessen. Als ausländische Partner sind auch Finnland, Frankreich, Indien, Polen, Rumänien, Russland, Schweden und Slowenien Gesellschafter. Nach dem Überfall auf die Ukraine wurde die Zusammenarbeit mit Russland ausgesetzt.
Als eine der größten und komplexesten Teilchenbeschleuniger-Anlagen weltweit wird Fair für die Forschung mit Antiprotonen und Ionen mit internationalen Partnern entwickelt und gebaut. An der Entwicklung der Experimente und des Wissenschaftsprogramms von Fair sind schätzungsweise 3.000 Forschende aus etwa 50 Ländern beteiligt. mw
Nature – GPT-4 is here – what scientists think. Das Upgrade GPT-4 von OpenAI kann nun mit Bildern umgehen und hat Wissenschaftler mit seinen menschenähnlichen Texten verblüfft. Verärgerung gibt es allerdings über den mangelnden Zugang zum zugrunde liegenden Code oder den “Trainingsmethoden”. Dies gebe Anlass zu Bedenken hinsichtlich der Sicherheit der Technologie und mache sie für die Forschung weniger nützlich. Mehr
Labor-Journal – Nach der Zulassung ist vor dem Rückzug. Pharmahersteller müssen beweisen, dass ihre neuen Arzneimittel wirken und den Patienten nicht schaden. Das ist Voraussetzung für eine Zulassung, etwa durch die Europäische Arzneimittel-Agentur (EMA). In Deutschland gibt es mit dem Arzneimittelmarktneuordnungsgesetz (AMNOG) aber noch eine weitere Hürde, denn hier geht es um Zusatznutzen und jede Menge Geld. Da bleibt manches Medikament auf der Strecke. Beispiel: der Anti-Krebs-Antikörper Amivantamab. Mehr
Deutschlandfunk – Können Innovationen das Klima retten? Um das Klima zu schützen, setzen manche Wissenschaftler auf technische Lösungen: Sonnenspiegel im All, CO₂-Sauger oder künstliche Bäume. Mehr
Riffreporter – IPCC-Leitautor: “Die E-Fuels-Debatte zeigt, die Politik hört der Wissenschaft nicht zu”. Viele Empfehlungen der Wissenschaftler im IPCC werden ignoriert, was sich besonders deutlich in der aktuellen E-Fuels-Debatte zeige. Felix Creutzig beklagt den großen Einfluss von Lobbyisten auf die Klimapolitik und die Tatenlosigkeit Deutschlands im Verkehrssektor. Gerade die großen Parteien seien hier in der Verantwortung, auch den Älteren die Notwendigkeit für eine Transformation zu vermitteln. Mehr
Andere würden sie vermutlich als “laut lachend” beschreiben, sagt die SPD-Politikerin Wiebke Esdar in #Blitzgefragt, einer Youtube-Serie ihrer Bundestagsfraktion. Guten Humor zeigte sie auch vor einigen Jahren im TV-Talk “Bielefelder Bettgeschichten”, zu dessen Konzept es gehört, mit dem Moderator buchstäblich unter eine Decke zu kriechen. Wiebke Esdar erschien im rosafarbenen Rüschennachthemd ihrer Oma. Auch heute noch wäre sie für einen solchen Spaß zu haben, sagt die Haushaltspolitikerin mit Zuständigkeit Bildung und Forschung. “Solange ich mich nicht verächtlich mache, weil ich um jeden Preis Aufmerksamkeit bekommen möchte.” Schließlich sei es in unserer kunterbunten Welt für Politiker nicht einfach, die eigenen Messages an die Menschen zu bringen.
Im Interview mit Table.Media tritt die Ostwestfälin deutlich nüchterner auf. “Wenn man in die Politik geht, muss man Spaß an der inhaltlichen Auseinandersetzung haben”, betont sie. Deshalb treffe sie sachliche Kritik, etwa an ihrer Haltung zu einem möglichen Sprind-Freiheitsgesetz auch nicht persönlich. In der Finanzpolitik sieht die Sprecherin der Parlamentarischen Linken eine Möglichkeit, sich für soziale Gerechtigkeit einzusetzen. Wie gut das in der “Zeitenwende” und unter einem FDP-Finanzminister möglich ist? “Wenn es um Steuererhöhungen geht, haben wir – wie allgemein bekannt – große Konfliktlinien mit Christian Lindner”, gibt sie zu.
Die zusätzlichen Belastungen durch die Energiemangellage und Corona sieht Wiebke Esdar als Argument dafür, die Einnahmen hochzuschrauben. Denn auch in der Forschungs- und Bildungspolitik tauchen neue Herausforderungen auf, während die Finanzierung für wichtige Projekte wie das Startchancen-Programm noch nicht abschließend geklärt ist: gestiegene Energiekosten, der Wegfall russischer Kooperationspartner oder die Unterstützung von Forschenden aus Russland. Seit Beginn des Ukrainekriegs seien zudem schon andere unerwartete Entscheidungen getroffen wurden, betont sie, von Waffenlieferungen in Krisengebiete über die Gaspreisbremse bis hin zum Turbo-Bau von LNG-Terminals.
Wiebke Esdar muss die bestehenden Kostenkalkulationen also noch einmal unter die Lupe nehmen, um Vorhaben neu zu priorisieren und Abstriche zu machen. Von ihrer Fraktion fühlt sie sich dabei unterstützt. Die Frage, ob der Einfluss der Parlamentarischen Linken in der SPD zurzeit schwindet, verneint sie klar: “Das Verhältnis der Strömungen untereinander ist gerade ziemlich entspannt – aber das ist wahrscheinlich keine journalistische Meldung wert.”
Der Umgang mit Zahlen macht der 39-Jährigen Spaß – schon seit dem Psychologiestudium, in dem sie sich als Postdoc auf die Hochschulforschung spezialisiert hat und sich nebenbei in der Finanzkommission ihrer Uni engagierte. “Das Kalkulieren mit Wahrscheinlichkeiten hilft mir dabei, mir ein Bild von etwas zu machen, mich auf dieser Grundlage zu positionieren und so Entscheidungen zu treffen”, erklärt sie. Auch als Aufsichtsratsvorsitzende der Stadtwerke Bielefeld und stellvertretende Vorsitzender der Stadtwerke Gütersloh profitiert die Politikerin von ihrem Faible für die Mathematik.
Seit einem halben Jahr wohnt Wiebke Esdar in der ostwestfälischen Stadt Werther, in der ihr Mann SPD-Bürgermeister ist – rund zehn Kilometer von Bielefeld entfernt. Die Gespräche am Mittagstisch kreisen in der Familie weniger um das kommunal- oder bundespolitische Geschehen als vielmehr um den dreijährigen Sohn, die Gestaltung der gemeinsamen Freizeit und die Organisation des Alltags: Gerade erst wurden die Öffnungszeiten der Kita in Folge des Fachkräftemangels gekürzt. Diese Perspektive nimmt Wiebke Esdar ebenso mit nach Berlin wie ihre Biografie und ihre Kontakte aus der Wissenschaft. Denn, so sagt sie: “Wenn Menschen mit verschiedenen Hintergründen ihre Lebensrealität ins Parlament tragen, funktioniert Politik am besten.” Janna Degener-Storr
China.Table. Neue Indizien für Pelztierthese. In Proben vom berüchtigten Wildtiermarkt in Wuhan aus dem Jahr 2020 hat eine französische Biologin das neue Coronavirus besonders häufig zusammen mit Erbmaterial des Marderhunds nachgewiesen. Mehr
Africa.Table. Liebings Milliardenprojekte bei Wasserstoff. Stefan Liebing, der scheidende Vorsitzende des Afrika-Vereins der deutschen Wirtschaft, hat ein Projekt im Volumen von 32 Milliarden Euro zur Gewinnung grünen Wasserstoffs in Mauretanien an Land gezogen. Mehr
Climate.Table. Die zentralen Aussagen des IPCC-Berichts. Delegationen aus Wissenschaft und Regierungen haben sich auf den Synthesebericht des 6. Sachstandsberichts (AR6) geeinigt. Der IPCC-Bericht warnt so deutlich wie nie zuvor, drängt zur Eile und zeigt Wege für Lösungen. Mehr
Climate.Table. Deals und Überraschungen beim IPCC-Bericht. Ein Hintergrundbericht darüber, wie die Wissenschaft im Ringen mit den Delegationen ihre Botschaften platziert hat, was überraschend war und wie die Staaten ihre Interessen durchgesetzt haben. Mehr
Bildung.Table. Neue Chatbot-Variante kann noch mehr. ChatGPT-4 ist noch leistungsstärker als seine Vorgängervariante. Ein deutscher Lehrer prophezeit: In der Schule wird kein Stein auf dem anderen bleiben. Die Kultusminister sind verblüfft, lassen aber mit neuen Rahmenbedingungen noch auf sich warten. Mehr
Bildung.Table. Unis warnen vor frühem Berufsstart ins Lehramt. Auch angesichts akuten Lehrermangels sind 15 Hochschulen dagegen, Lehramtsstudierende zu früh im Schulunterricht einzusetzen. Für ideal halten sie das erst im Master. Die Unis im Verbund German U15 bilden ein Drittel aller Lehreranwärter aus. Mehr
Jan Gerken ist neuer Kanzler an der TU Dresden. Der Wirtschaftswissenschaftler wird zum 1. Mai von der Universität Stuttgart nach Dresden wechseln.
Barbara Helwing, Direktorin des Vorderasiatischen Museums Berlin, wurde in den dreiköpfigen Vorsitz des Rats für Informationsinfrastrukturen (RfII) gewählt. Helwing folgt damit Stefan Liebig (Institut für Soziologie, FU Berlin), der aus dem RfII zum Ende der zweiten Mandatsphase ausgeschieden ist. Petra Gehring und Lars Bernard wurden im Amt bestätigt.
Johannes Kern ist neuer Prorektor und Dekan der Fakultät Wirtschaft an der Dualen Hochschule Baden-Württemberg Lörrach (DHBW).
Gyburg Uhlmann wird ab dem 1. April als Gründungs-Chair das Department Liberal Arts and Sciences an der neu gegründeten Technischen Universität Nürnberg aufbauen und hat dort den Ruf auf die Professur für Klassische Philologie angenommen. Die Leibniz-Preisträgerin ist Expertin für Digital Humanities und gilt als erfahrene Hochschulpolitikerin.
Matthias Vieth ist neuer Vizepräsident für Studium, Lehre und studentische Angelegenheiten an der Hochschule Darmstadt. Vieth ist dort seit 2016 Professor für Betriebswirtschaftslehre am Fachbereich Wirtschaft und leitet aktuell den Bachelorstudiengang BWL.
“Die Wissenschaft versagt bei der Selbstkontrolle” lautet die Überschrift eines aktuellen Artikels in der ZEIT zu Machtmissbrauch in der Forschung. Die Rheinische Post schreibt von “Wissenschaft als Männerclub” und Times Higher Education (THE) betitelt jüngst “Keep academics without people skills away from PhD Supervision“. Compliance und Führungsthemen in der Wissenschaft gelangen langsam ins Rampenlicht. Doch der Vorstandsskandal bei Fraunhofer übertrifft alles. Während Ministerin Bettina Stark-Watzinger die Fraunhofer-Gesellschaft auffordert, zu einer “modernen Governance und tragfähigen Compliance-Standards zu kommen” und einen “schnellstmöglichen personellen Neustart im Vorstand” durchzuführen – und damit die sofortige Ablösung des amtierenden Präsidenten Reimund Neugebauer einklagt -, besitzt dieser die Chuzpe, sich in der Wagenburg einzuschließen und alle Kritik auszusitzen. Welch massive und persönliche Verachtung aller guten Grundsätze der Unternehmensführung und Kontrolle!
An Neugebauers Beispiel wird deutlich, dass die ethische Kapazität eines Menschen, auch und gerade in Spitzenpositionen, begrenzt ist. Größenwahn und der Glaube, die eigene Person sei eins mit der Organisation und damit unverzichtbar, gehen hier Hand in Hand. Genau da liegt die Herausforderung guter Governance und Compliance, die das Vertrauen in die Führung stärkt, die Spielräume der Akteure für opportunistisches Verhalten einschränkt und die zielgerichtete Zusammenarbeit der Leitung mit ihrem Kontrollorgan sichert.
Und hier liegt – jenseits aller Personalien – bei Fraunhofer und auch bei Max Planck das Problem: Beide haben kein Kontrollorgan. Wie die katholische Kirche sind sie Organisationen ohne Checks und Balances. Der Präsident der Max-Planck-Gesellschaft ist gleichzeitig ihr Senatsvorsitzender. Dies führte beispielsweise zu Interessenskollisionen und Statuten-Verstößen bei der Amtsenthebung der renommierten Professorin Nicole Boivin als Direktorin am Max-Planck-Institut in Jena. Beim Senatsbeschluss zu ihrer Degradierung waren von den 50 Mitgliedern des Senats circa ein Viertel nicht nur als Mitglieder der Max-Planck-Gesellschaft, sondern als Nutznießer der Causa Boivin befangen. In richtigen Aufsichtsgremien hätte dies transparent gemacht werden müssen und zur Abstinenz bei Abstimmungen geführt. Selbst in der mittelalterlichen Inquisition gab es noch eine Unterscheidung zwischen Anklägern und Richtern.
Und bei Fraunhofer ist beispielsweise der Präsident gleichzeitig nicht-stimmberechtigter Vorsitzender der Senats-Auswahlkommission. Schon das ist untragbar. Zudem rekrutiert er in dieser Rolle statuten- und compliancewidrig Senatskandidatinnen und -kandidaten und präjudiziert so spätere Auswahlprozesse.
Und wenn es um das Führungsverständnis geht, dann schlägt die Max-Planck-Gesellschaft dem Fass den Boden aus. Ihr sogenanntes Harnack-Prinzip beruht auf folgender Äußerung des ersten Präsidenten der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft (heute Max-Planck-Gesellschaft), des Kirchen- und Dogmenhistorikers Adolf von Harnack aus dem Jahre 1928: “In so hohem Grade ist der Direktor die Hauptperson, dass man auch sagen kann: Die Gesellschaft wählt einen Direktor und baut um ihn herum ein Institut.” Diese Aussage wurde später Max-Planck-intern als “lockere wie plastische Formulierung” bezeichnet, die Harnack selbst wohl kaum als das leitende Strukturprinzip der Kaiser-Wilhelm-Institute bezeichnet hätte. Sie würde zu organisatorischer Uniformität führen: Forschungsinstitute mit absolutem Führungsanspruch durch eine einzige Person.
Zu Kaiserzeiten gewachsen, heute jenseits von Anachronismus. Doch leider in voller Blüte! Und da verwundert es erst recht, dass der bald scheidende Max-Planck-Präsident Martin Stratmann angesichts der schon damals aktuellen Fälle von Machtmissbrauch ein Essay in der FAZ vom 8.9.2018 unter dem waghalsigen Titel “Mehr Harnack wagen” veröffentlichte. Nein, die Max-Planck-Gesellschaft braucht mehr Checks und Balances und viel weniger Harnack! Beispielsweise, indem die Verwaltungsleitungsfunktionen der Institute sich in Personalführungsfragen professionalisieren und in einer “dotted line” an die Generalverwaltung angebunden werden. Mehr Balance in Struktur und Kompetenz. Denn die besten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sind eben nicht zwangsläufig die besten Führungskräfte.
Innovating Innovation: Ich rate der Ministerin, einen unabhängigen System-Review zur Governance im Wissenschaftssystem zu beauftragen. Mit Konsequenzen für Mittelvergabe im Pakt für Forschung & Innovation, falls die Organisationen beispielsweise keine Zertifizierung ihres Compliance-Systems durch einen unabhängigen Auditor vorweisen können. Zudem wäre ein Science Governance-Codex vergleichbar zum Corporate Government Codex als “soft law” hilfreich für die Selbstreinigung. Doch im Augenblick ist die Situation so verfahren, dass eigentlich nur das Forschungsministerium Geburtshelfer und Katalysator für den Reinigungsprozess sein kann.