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Freiheitliche Innovationsarchitekturen erproben!

Seit 2016 ringen fortschrittliche Teile der deutschen Forschungsszene um eine unabhängige Agentur für radikale Innovationen. Zu ihnen zählt Henning Kagermann, ehemaliger Acatech-Chef und seit vielen Jahren nicht nur Mahner für, sondern auch Treiber von technologischem Fortschritt. Natürlich auch Dietmar Harhoff, ehemaliger Chef der Expertenkommission Forschung und Innovation (EFI) und Martin Stratmann, Max-Planck-Präsident, beides kühle Analytiker der deutschen Innovationsszene.   

Sie alle einte der Wunsch, nicht nur tayloristisch eine „Lücke im Forschungssystem“, nämlich das Fehlen disruptiver Innovationen, zu schließen, sondern Deutschland wieder an die Spitze der Innovationsnationen zu bringen. Doch seit über sechs Jahren quält sich Deutschland, quälen sich insbesondere Deutschlands Politiker, mit dieser Agentur. Sie wurde zwar 2019 gegründet, aber sie war von Beginn an ein David, dessen Hände und Füße gefesselt waren und der trotzdem ohne Schleuder in den Kampf gegen die Goliaths dieser Welt geschickt wurde. Das legalistische Konstrukt war und ist so böse gestrickt, dass sich Innovatoren zuerst selbst enteignen müssen, um dann in einer staatsfinanzierten Forschungsgesellschaft Geld zu erhalten.

Als Staatssekretär kämpfte ich hartnäckig für die Unabhängigkeit der Agentur. Um was ging es dabei?  

  • Es ging, und es geht bis heute, um die Freiheit dieser Agentur, eigene unternehmerische Entscheidungen zu treffen, wie zum Beispiel die Vergabe von Darlehen oder den Erwerb einer Beteiligung an Innovationsunternehmen.
  • Es geht um die Freiheit, das eigene Innovationsbudget über mehrere Jahre hinweg selbst disponieren zu können und nicht kameralistisch jedes Jahr am Tropf der Haushälter des Bundestags zu hängen. Innovation kann nicht in Jahresscheiben geschnitten werden. 
  • Es geht darum, nicht jährlich als Bittsteller Ausnahmen einzufordern, um marktgerechte Vergütungen zahlen zu können.

Dieses Ringen um Freiheit ist, wenn man es grundsätzlicher denkt, ein Ringen um exterritoriale Räume für Innovation in einer Deutschland AG der Forschung. Und diese Räume braucht es, um aus dem „Innovators Dilemma“ auszubrechen, das der leider viel zu früh verstorbene Clayton Christensen beschrieben hat.

Danach werden erfolgsverwöhnte Institutionen immer inkrementeller statt radikaler in ihrer Innovationskraft. Es gelingt ihnen nicht, beides zu erhalten: „Strukturen der Neugierde und radikaler Veränderung“ und solche der Effizienzoptimierung des Bestehenden. Diese sogenannte Ambidextrie („Beidhändigkeit“) wurde bereits von zahlreichen Organisationswissenschaftlern (von J.G. March 1991 über M.L. Tushman und C.A. O’Reilly 1996 bis J. Birkinshaw, 2016) erforscht.  

Dass dies über die Sprind hinaus auf weitere Teile des deutschen Forschungssystems übertragen werden kann, sieht der heutige Chef der Expertenkommission Forschung und Innovation, Uwe Cantner nicht. Im Gegensatz zu seinem Vorgänger Harhoff, der für dezentrale autonome Forschungsagenturen plädiert, glaubt Cantner an die Sisyphus-Arbeit der Reform der öffentlichen Verwaltung des Forschungssystems.   

Da befindet er sich faktisch – ob auch subjektiv sei dahingestellt – in einer unheiligen Allianz. Forschungspolitikerinnen- und politiker, diskret voran SPD-Haushälterin Wiebke Esdar, versperren so zusammen mit bürokratischen Kräften im Finanzministerium Innovationsagenturen wie der Sprind die nötigen Freiheitsräume. Sie setzen lieber auf dosierte, inkrementelle und ministeriell beaufsichtigte Veränderungsschritte. In Wirklichkeit ist dies mikropolitisch gesteuerte Innovationsaktivität.  

Ganz anders jüngst Großbritannien: Dort hat der britische Wissenschaftsminister George Freeman vergangene Woche die Gründung der Advanced Research and Invention Agency (Aria) als unabhängige staatliche Institution bekannt gegeben. Arias Budget beträgt 800 Millionen Pfund für vier Jahre, die recht frei ausgeben werden können. Der britische Staat vertraue auf die Experten der Agency, die über die Auswahl förderfähiger Projekte entscheiden, erklärte Freeman – eine Spitze gegen deutsche Innovationspolitik. Die bloße Ankündigung ist natürlich noch keine Realität, das wissen wir alle. Aber ein solcher Freiheitsgrad wurde in Deutschland nicht einmal angekündigt.  

Darum: „Innovating Innovation“: Deutschland wird nur erfolgreich sein, wenn es als Antwort auf reformresistente staatliche Förderpolitik echte Freiheitsräume für Innovation schafft.  

Exterritoriale Strukturen jenseits bisheriger Logik! Das beginnt mit Makerspaces an deutschen Schulen, geht über unabhängige Innovationsagenturen wie Sprind oder „Dati“ bis hin zur Förderung von Deep-Tech-Regionen analog den britischen University Enterprise Zones wie in Cambridge und Manchester. So wie viele Firmen heute schon mit ihren Innovation Hubs experimentieren!

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