Table.Briefing: Research

Sprind-Freiheitsgesetz kommt + PFAS-Verbot: Chance für Innovation + Hürden bei Genomforschung

Liebe Leserin, lieber Leser,

erste Abgesänge waren schon angestimmt – doch nun soll das Freiheitsgesetz für die Agentur für Sprunginnovationen wirklich kommen. Wie wir erfuhren, seien die Streitigkeiten so weit beigelegt, dass das Vorhaben jetzt in die Ressortabstimmung gehen kann. Verabschiedet werden könnte es dann im Oktober.

Gute Nachrichten für die Wissenschaft meldet auch das Statistische Bundesamt: Noch nie wurde so viel Geld für Forschung und Entwicklung ausgegeben wie im Jahr 2021. Die Details lesen Sie in unseren News.

Weiter geht es für das Modellvorhaben Genomsequenzierung. Nach einem Jahr Verzögerung kann es zum 1. Januar 2024 starten. Gemeinsam mit dem Projekt genomDE soll dieses Deutschland im Bereich der Genomsequenzierung und der damit verbundenen Versorgung und Forschung international konkurrenzfähig machen. Noch gibt es einige Hürden, weiß Markus Weisskopf.

Dass Regulierungen und Verbote auch Chancen für Innovationen bieten können, lässt sich am Thema PFAS zeigen. Die Chemikalien sind weiter verbreitet als bislang gedacht und gesundheitlich bedenklich. Jetzt ist ein EU-Verbot auf den Weg gebracht worden und das befeuert die Suche nach Alternativen. Tim Gabel hat die Details.

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Nicola Kuhrt
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Analyse

PFAS-Verbot: Motor für Innovationen

Eine strengere Regulierung von PFAS (per- und polyfluorierten Alkylsubstanzen) wird bei wissenschaftlichen Experten befürwortet und als Motor für Innovationen in vielen Industriezweigen gesehen. “In vielen Bereichen gibt es bereits Alternativen, die von der Industrie schon längst entwickelt worden sind”, sagt Henner Hollert, Professor für Evolutionsökologie und Umwelttoxikologie an der Goethe-Universität in Frankfurt. Die Unternehmen seien auch ohne Verbot in Vorleistung gegangen und könnten jetzt von der Beschränkung profitieren.

Die Chemikaliengruppe rückt derzeit verstärkt in den Fokus:

  • Im Februar wurde ein Verbotsvorschlag der Europäischen Chemikalienagentur (ECHA) von fünf EU-Staaten eingereicht. Er sieht vor, sämtliche Verbindungen dieser Substanzklasse mit Übergangsfristen zwischen 18 Monaten und 12 Jahren zu verbieten. Die Länge dieser Fristen richtet sich danach, wie verfügbar und verwendbar die PFAS-Alternativen sind. Sollte die EU-Kommission diesen Vorschlag annehmen, müssten Alternativen für etwa 10.000 Anwendungen gefunden werden.
  • Am 31. März wird der Bundesrat über einen Entwurf zur Zweiten Verordnung zur Novellierung der Trinkwasserverordnung entscheiden, der erstmals Wasserversorger dazu anhält, Grenzwerte für bestimmte kritische Stoffe aus der PFAS-Gruppe im Trinkwasser zu kontrollieren. Allerdings mit einer Übergangsfrist bis zum 12. Januar 2026. Grundlage ist eine EU-Trinkwasserrichtlinie, die in diesem Jahr in nationales Recht überführt werden muss.
  • Eine Recherche von SZ, NDR und WDR zeigte kürzlich, dass Verunreinigungen mit PFAS in Deutschland ein viel größeres Problem sind, als bisher bekannt war – und zwar in allen 16 Bundesländern (siehe Grafik).

In den vergangenen Jahrzehnten kamen Bedenken wegen der Nutzung PFAS-haltiger Produkte auf. Sie werden in natürlicher Umgebung kaum abgebaut und sammeln sich daher in Gewässern und Böden an und werden über die Luft über zum Teil große Distanzen transportiert. Viele PFAS akkumulieren auch in Nahrungsnetzen und verbleiben über viele Jahre im menschlichen Körper.

Mögliche gesundheitliche Folgen nicht in Kauf nehmen

Für einige Verbindungen konnte nachgewiesen werden, dass sie gesundheitliche Folgen haben können. “Im Tierversuch wurden einige Einzelsubstanzen getestet und je nach Substanz wurde bei den entsprechend hohen eingesetzten Dosierungen eine Reihe von schädlichen Wirkungen gefunden: Lebervergrößerung, Störungen des Fettstoffwechsels, abgeschwächte Immunreaktionen, Störungen der Reproduktionsorgane bis hin zu krebserzeugenden Eigenschaften”, sagt Martin Göttlicher, Direktor des Instituts für Molekulare Toxikologie und Pharmakologie am Helmholtz-Zentrum in München.

Es gebe keinen Grund für akute Panikmache, meint der Wissenschaftler. Trotzdem unterstützt er den Verbotsvorschlag aufgrund der Nicht-Abbaubarkeit vieler PFAS. Das mache die Bestrebungen plausibel, “dass man solche Substanzen nicht ungebremst weiter in die Umwelt bringen soll”, meint Göttlicher.

Zu der Chemikaliengruppe gehören mehrere tausend Substanzen, die wasser-, schmutz- und/oder fettabweisend sind. Dies macht sie bisher zu nützlichen Bestandteilen in unzähligen Alltags- und Industrieprodukten: in wasserdichter Kleidung, beschichteten Pfannen, Kosmetik, Arzneimitteln, Verpackungen für Fast Food oder Löschschäumen.

Einzelne Verbote haben Innovationen beschleunigt

Dass Verbote ein Motor für die Industrie sein können, beobachtet Martin Cornelsen, Geschäftsführer der Cornelsen Umwelttechnologie GmbH: “Das Segment der Feuerlöschmittel belegt aus meiner Sicht, dass durch eine entsprechende Regulierung Innovationen ausgelöst werden können. Gegen die EU-Verordnung, die die Verwendung von PFAS-haltigen Löschschäumen verboten hat, gab es am Anfang auch eine gewisse Verweigerungshaltung. Aber seitdem sind viele fluorfreie Alternativen auf den Markt gekommen, die nach allem, was man hört, einen adäquaten Ersatz darstellen”, sagt Cornelsen.

Gemeinsam mit dem Fraunhofer-Institut für Umwelt-, Sicherheits- und Energietechnik in Oberhausen hat sein Unternehmen Technologien für eine Reinigung PFAS-verunreinigter Wässer entwickelt. Bis heute würden PFAS-Verunreinigungen in der Öffentlichkeit eher als bedauerliche Einzelfälle und Ausnahmen wahrgenommen, sagt Cornelsen, “es ist gut, dass jetzt über die weite Verbreitung des Problems berichtet worden ist”, sagt Cornelsen.

Erster bekannter Fall von belasteten Gewässern bereits 2005

Der Unternehmer war einer der ersten Experten, die sich mit der Substanzklasse auseinandergesetzt haben. “Ich bin 2005 vom Umweltamt des Hochsauerlandkreises angesprochen worden, weil auf einem Acker in Brilon unerlaubt und unbewusst PFAS-haltige Dünger aufgebracht wurden und durch Auswaschungen in die Ruhr gelangt sind”, sagt Cornelsen. Die Ruhr ist für das bevölkerungsreiche Ruhrgebiet eine wichtige Quelle der Trinkwasserversorgung.

Cornelsen hat im Jahr 2015 einen Flüssigwirkstoff auf den Markt gebracht, mit dem das Unternehmen PFAS ausfällen und entfernen kann. Dies könne aber nur Teil der Lösung sein, sagt der Entwickler selbst. Niemand könne heute mehr sagen, dass man PFAS nicht entfernen kann, wenn Verunreinigungen bekannt sind, “doch die Behörden müssen parallel auch die Emmissionsquellen identifizieren, Schadensfälle systematisch erfassen und durch Regulierungen dafür sorgen, dass PFAS nicht weiter ungebremst in Produkte und die Umwelt eingebracht wird”, sagt Cornelsen.

Ausnahmeregeln für essenzielle Anwendungen

Für spezielle Anwendungen müssten gute Alternativen erst entwickelt werden – dafür räume der Vorschlag der ECHA aus Hollerts Sicht jedoch genügend Zeit ein. “Gerade bei Verbraucherprodukten wie Textilien oder Verpackungen gibt es längst Ersatz und ein Verbot ist hier überfällig”, sagt der Biologe Hollert.

In einigen Bereichen mit nicht-essenzieller Anwendung wie bei wasser- und schmutzabweisenden Papier-, Textil- oder Lederprodukten, Kosmetika und Küchengeräten und -utensilien könnte sich ein Verbot einfach gestalten, sagt auch Christian Zwiener von der Arbeitsgruppe Umweltanalytik an der Universität Tübingen. “Der Ersatz von PFAS in sogenannten essenziellen Anwendungen in der industriellen Produktion, der Medizin oder für die persönliche Schutzausrüstung von Feuerwehr, Polizei und vergleichbaren Anwendungen erfordert sicher einen längerfristigen Prozess mit angepassten Ausnahmeregeln”, sagt Zwiener.

Lobbyarbeit hat Gefahreneinstufung jahrelang herabgesetzt

Auf die Frage, wieso die PFAS bisher nur in Ausnahmefällen reguliert wurden, obwohl deren negative Auswirkungen schon länger bekannt sind, sagt Andreas Schäffer vom Lehrstuhl für Umweltbiologie und -chemodynamik der RWTH Aachen: “Die verzögerte Risikobewertung von PFAS durch Behörden trotz Hinweisen auf toxische Wirkungen ist zumindest teilweise auf die Manipulation durch die Hersteller dieser Chemikalien zurückzuführen.” So wären zum Beispiel toxikologische Befunde – einschließlich Krebs bei Menschen, die Perfluoroktansäure (PFOA) ausgesetzt waren – durch Lobbyarbeit bei den nationalen Behörden in Frage gestellt worden, um die Gefahreneinstufung von PFOA herabzusetzen, sagt Schäffer.

Wie massiv der Widerstand ist, haben auch die Journalisten von NDR, WDR und SZ bei ihrer Recherche erfahren. Danach kämpfen mehr als 100 Industrieorganisationen gegen den Verbotsvorschlag der ECHA – mit teils fragwürdigen Argumenten. Auch die deutschen Chemiekonzerne BASF und Bayer sind gegen ein umfassendes Verbot. Die beiden Firmen schrieben den Journalisten auf Anfrage, ein mögliches Verbot dürfe nicht die Verwendung von PFAS in Schlüsselsektoren verhindern. BASF nennt etwa Batterien, Halbleiter, Elektrofahrzeuge und erneuerbare Energien.

Entscheidung der EU über Verbot voraussichtlich 2025

Der Entwurf des Verbotsvorschlags wird nun zunächst an die einschlägigen Expertenausschüsse im EU-Parlament gehen. Danach wird in einer öffentlichen Konsultation interessierten Parteien die Möglichkeit eingeräumt, in einem Zeitraum von sechs Monaten zu kommentieren. Zu einer Entscheidung der Kommission wird es dann aber frühestens im Jahr 2025 kommen.

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Modellvorhaben Genomsequenzierung: Mit Verspätung in die Weltspitze

Deutschland möchte bei der Genomsequenzierung vorankommen und damit einen wichtigen Schritt hin zu besseren individuellen Therapien gegen Krebs oder seltene Erkrankungen gehen. Neben der Förderung des Projekts genomDE soll das Modellvorhaben Genomsequenzierung einen wichtigen Beitrag dafür leisten.  

Insbesondere im Bereich der Ganzgenomsequenzierung und in der Zusammenführung von klinischen und genomischen Daten hatte man sich hier bereits früher Fortschritte erhofft. Doch der Start des Modellvorhabens – dessen Konzeption noch aus der Ära Jens Spahn stammt – musste um ein Jahr auf den 1. Januar 2024 verschoben werden. Dieser Starttermin, so teilte das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) Table.Media mit, solle nun eingehalten werden. 

Verbesserte Versorgung durch Zusammenführung klinischer und genomischer Daten

Grundlage des Modellvorhabens ist die umfangreiche Sequenzierung von Patientengenomen und die darauf aufbauende Datenzusammenführung von klinischen und genomischen Daten in einer Dateninfrastruktur. Diese erleichtert dann eine Analyse der gewonnenen Daten zur Verbesserung der medizinischen Versorgung. Aber auch die Forschung und Entwicklung soll von dem Aufbau eines sicheren Datenbanksystems profitieren. Die Dateninfrastruktur und die Datensätze sollen dabei auch mit dem Europäischen Gesundheitsdatenraum und mit der 1+ Million Genomes-Initiative kompatibel und interoperabel sein.

In der Umsetzung des Modellvorhabens sind neben genomDE auch das BfArM (Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte) und das Robert Koch Institut (für die Dateninfrastruktur) involviert, sowie der Verband der Universitätsklinika Deutschlands (VUD) und der GKV-Spitzenverband.

Auch die Patientenverbände sind eingebunden 

Das wie das Modellvorhaben vom BMG geförderte Projekt genomDE besteht aus 14 Partnern und bezieht medizinische Fachgesellschaften genauso ein, wie Patientenverbände oder bereits bestehende technische Infrastrukturen. Im Rahmen des Projekts werden bereits seit 2021 weitere Versorgungsstrukturen aufgebaut, vorhandene genommedizinische Strukturen vernetzt und Standards in den Sequenzierungstechnologien etabliert. Ein wichtiger Aspekt des Konsortiums beinhaltet zudem die Einbindung von Patientenvertretungen, um die Akzeptanz von genomDE zu erhöhen und frühzeitig Fragen zu Nutzen oder Risiken zu beantworten. 

Bei genomDE beschäftigen sich die verschiedenen Arbeitsgruppen bereits seit Bekanntwerden des Modellvorhabens damit, die nötigen Voraussetzungen für eine erfolgreiche Durchführung zu schaffen. Auf der anderen Seite wurden durch den Spitzenverband der gesetzlichen Krankenversicherungen (GKV-SV) nach den im Gesetz festgelegten und strengen Qualitätskriterien 20 Universitätskliniken ausgewählt, die die Sequenzierungen sowie die Therapien bei seltenen Erkrankungen und in der Onkologie durchführen sollen.  

Diese Schritte fehlen noch zum Start 

Alles auf dem Weg also? Noch fehlen wichtige Bausteine: 

  • Der Verband der Universitätsklinika und der GKV-SV müssen sich noch über die Konditionen im Modellversuch einigen. Welche Leistungen werden seitens der teilnehmenden Universitätskliniken erbracht? Welche Vergütungen gibt es? 
  • Hinsichtlich der Dateninfrastruktur des Modellvorhabens Genomsequenzierung bereitet derzeit das BMG noch gesetzlichen Anpassungen des § 64e SGB V vor. Ein konkreter Zeitplan steht dafür laut eines Sprechers des BMG noch nicht fest. 
  • Im Rahmen der Haushaltsverhandlungen werden laut BMG auch über die Mittel für “eine kosteneffiziente dezentrale Dateninfrastruktur” nach einem Konzept von genomDE beraten. 
  • Genom.de und BfArM müssen – vermutlich basierend auf einem Fachkonzept von genomDE – die entsprechende Dateninfrastruktur aufsetzen. 

Konstruktive Zusammenarbeit im Konsortium 

Im Konsortium von genomDE ist man weiterhin optimistisch. “Sämtliche Partner sind mit großem Engagement dabei und es ist zu spüren, dass alle an einem Erfolg des Vorhabens interessiert sind”, sagt Christine Mundlos vom Patientennetzwerk Achse e.V.. Auch Olaf Rieß, Ärztlicher Direktor am Institut für Medizinische Genetik und Angewandte Genomik des Universitätsklinikums Tübingen, betont die konstruktive Atmosphäre in den Arbeitsgruppen von genomDE.  

Dort werde jetzt dem BMG zugearbeitet, um die Gesetzesanpassung möglichst schnell auf den Weg zu bringen. Gleichzeitig betont Rieß, dass bereits vor dem Gesetzentwurf zum Modellvorhaben – und hoffentlich auch noch lange Zwit danach – stetig an Verbesserungen der Rahmenbedingungen für die Genomsequenzierung gearbeitet würde. Jetzt gelte es, genomDE und das Modellvorhaben in ein gutes Zusammenspiel zu bringen. 

Herausforderung Dateninfrastruktur 

Ob das gelingt, wird sich direkt beim Aufbau der Dateninfrastruktur zeigen. Aus Akteurskreisen heißt es, dass ein Aufbau der kompletten Dateninfrastruktur bis zum 1. Januar 2024 schwierig werde. Wenn man eine dezentrale Struktur andenke und diese auf bereits bestehenden Infrastrukturen aufbaue, wäre ein Start für gewisse Teile bis dahin möglich. Dann könnten zu Beginn zunächst Sequenzierungs- und klinische Daten erfasst und gespeichert werden.  

Eine vergleichende Analyse für die optimale Versorgung und Therapie der Patienten sowie die Nutzung für Forschungszwecke könnten dann nach einem Stufenplan anschließend dazu kommen. Eine Nutzung der bereits vorhandenen Strukturen sowie ein dezentraler Ansatz der Datenspeicherung hätte auch den Vorteil, dass viele Fragen des Datenschutzes bereits geklärt oder einfacher zu klären wären. Aus der Forschungsperspektive jedoch wäre eine Plattform mit einem zentralen und einfachen Zugang attraktiver. Nicht ohne Grund hat sich Biontech gerade erst für ein Forschungs- und Entwicklungszentrum im Vereinigten Königreich entschieden, wo diese Daten zentral vorliegen. Anspruch muss also sein, die künftige Dateninfrastruktur so aufzubauen, dass nicht nur eine verbesserte Diagnose und Versorgung der Patienten, sondern auch exzellente Forschung möglich ist.  

Auf dem Weg in die Weltspitze 

Bleibt noch die Kritik des Berufsverbandes der Humangenetiker. Hier ist man verärgert darüber, dass lediglich Uni-Kliniken am Modellversuch teilnehmen können. Doch das BMG bleibt auf Rückfrage bei seiner Position: Das Modellvorhaben soll sich für seine Laufzeit “auch nach den geplanten gesetzlichen Anpassungen des § 64e SGB V auf die schon derzeit vorgesehenen Leistungserbringer fokussieren.” 

Die beteiligten Akteure sind sich einig, dass noch viel Arbeit bevorstehe. Aber: “Mit dem Projekt genomDE und dem neuen Modellvorhaben können wir im Bereich der Genomsequenzierung und der folgenden Anwendung der Daten in Versorgung und Forschung in die Weltspitze aufschließen“, meint Olaf Rieß. 

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E-Fuels: Evidenz spricht gegen Pkw-Markt

Volker Wissing und Bettina Stark-Watzinger (beide FDP) sprechen sich dafür aus, dass Pkw mit Verbrennungsmotor nicht verboten werden, wenn sie mit E-Fuels fahren. Für viele Wissenschaftler ist das kein gängiges Konzept.

Verkehrsminister Volker Wissing hat sich beim Thema E-Fuels durchgesetzt. Seit der Kabinettsklausur vom Wochenende trägt auch Bundeskanzler Olaf Scholz seinen Kurs mit. Das bereits ausgehandelte EU-Verbot der Neuzulassung von Pkw mit Verbrennungsmotor ab 2035 ist damit auf unbestimmte Zeit blockiert.

Noch ist völlig unklar, wie es jetzt weitergeht. Wissing verlangt von der EU-Kommission eine rechtsverbindliche Auskunft darüber, unter welchen Umständen Pkw mit Verbrennungsmotor auch nach dem 1. Januar 2035 zugelassen werden können – sofern sie ausschließlich mit E-Fuels betrieben werden. Doch genau das sieht das vorliegende Gesetz ausdrücklich nicht vor. Es will das Verbrenner-Aus. Lediglich für einige wenige Fahrzeuge sind Ausnahmen denkbar, beispielsweise für Krankenwagen. Wissing stellt das Gesetz damit im Kern infrage.

Forschungsministerin beschwört Technologieoffenheit

Wenn E-Fuels unter Einsatz erneuerbarer Energie hergestellt werden, gelten sie als bilanziell CO₂-neutral. Argument der Befürworter ist, dass sie so zumindest eine klimaschonende Brückentechnologie darstellen könnten.

Bundesforschungsministerin Bettina Stark-Watzinger sprang ihrem Parteikollegen auf Twitter bei: “Wir alle wollen Klimaneutralität. Den Verbrennungsmotor zu verbieten, ist aber falsch. Wir setzen das Ziel, den Weg finden kluge Ingenieure. Auf nur eine Antriebsart zu setzen, nimmt uns Chancen. Wir brauchen mehr Technologieoffenheit, nicht weniger”, schrieb die Politikerin dort.

Experten halten E-Fuels für unnötige Verschwendung

Doch nach Ansicht von Forschern und wissenschaftlichen Daten eignet sich die Brückentechnologie der E-Fuels nur bei Flugzeugen und Schiffen, vielleicht noch bei schweren Lkw. Bei Pkw sieht die Sache dagegen völlig anders aus. Denn hier gibt es mit dem Elektroantrieb eine wesentlich effizientere Alternative. Trotzdem auf E-Fuels zu setzen, gilt in Expertenkreisen als unnötige Verschwendung anderweitig dringend benötigter erneuerbarer Energien.

Das legte erst im Februar wieder eine Studie des Fraunhofer ISI dar. Die Forschenden prognostizieren allein für den Flug- und Schiffsverkehr einen Bedarf von 209 Terawattstunden an alternativen Antriebsenergieträgern. Daher sei es unwahrscheinlich, dass Wasserstoff und damit auch mit grünem Wasserstoff erzeugte E-Fuels beim Verkehr zu Land eingesetzt werden, “weil es hier mit der direkten Elektrifizierung eine Alternative gibt”, schreiben die Wissenschaftler.

Produktionsmengen sind auf Jahrzehnte hinweg begrenzt

Martin Doppelbauer, der eine Professur für “Hybrid Electric Vehicles” (HEV) am Karlsruher Institut für Technologie (KIT) innehat, teilt diese Auffassung. “Für den Massenmarkt Pkw-Verkehr stellen E-Fuels überhaupt keine Alternative zur Elektromobilität dar”, sagt Doppelbauer. Ihre Herstellung sei enorm aufwendig und brauche viel elektrische Energie und Anlagentechnik. “Sie sind daher grundsätzlich teuer und die Produktionsmengen werden auch auf Jahrzehnte hin stark begrenzt sein.”

Nicht einmal für den Bestand an Altfahrzeugen sind sie aus seiner Sicht eine sinnvolle Option: “Der Grund ist schlicht die benötigte Menge, die nicht herstellbar und nicht bezahlbar ist.” Aktuell prognostizieren Experten Kosten zwischen vier und fünf Euro pro Liter.

Evidenz: E-Fuels werden für Autos absehbar keine Rolle spielen

Falko Ueckerdt vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK) hatte bereits vor zwei Jahren in einem Übersichtsartikel auf Probleme wie hohe Kosten und eine zu langsame Technologieentwicklung bei den E-Fuels hingewiesen. In einem Bericht von Spektrum der Wissenschaft erklärte der Physiker jetzt, dass es zunehmend Evidenz dafür gebe, dass E-Fuels für Autos keine oder allenfalls eine untergeordnete Rolle spielen werden. “Dann ist es sinnvoll, wenn die Politik das Signal gibt: Es lohnt sich nicht, wir brauchen einen Antriebswechsel, nämlich den Elektromotor.”

In einigen Jahrzehnten könnte sich das Blatt durch effizientere Kraftwerke und eine um ein Vielfaches günstigere Produktion von grünem Wasserstoff noch einmal wenden. Würden jetzt E-Fuels im Pkw-Bereich eingesetzt, “könnte dies Herstellern und Käufern eine falsche Zukunftsperspektive geben und die erforderliche Transformation verschleppen und verteuern”, meint Wolf-Peter Schill. Der stellvertretende Leiter der Abteilung Energie, Verkehr, Umwelt im Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) schrieibt in einem Wochenbericht: “E-Fuels sollten stattdessen gleich in den Bereichen eingesetzt werden, in denen eine direkte Elektrifizierung aus heutiger Sicht nicht sinnvoll erscheint.” Carsten Hübner

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Termine

15. März 2023, 16:00 Uhr, Berlin und Youtube-Livestream
Preisverleihung Verleihung der Gottfried Wilhelm Leibniz-Preise 2023 der DFG Mehr

28. März 2023, Berlin und online
Forschungsgipfel 2023 Blockaden lösen, Chancen nutzen – Ein Innovationssystem für die Transformation Mehr

3. April 2023, 17:30 Uhr, Konzerthaus, Berlin
Preisverleihung Deutscher Hochschulverband (DHV): Gala der deutschen Wissenschaft Mehr

4. April 2023, 9:30 Uhr, Hotel Hilton, Berlin
Vortrags- und Diskussionsveranstaltung sowie Delegiertenversammlung 73. DHV-Tag “Wissenschaft und Politik: Zu viel Nähe, zu wenig Distanz – oder umgekehrt?” Mehr

3. Mai 2023, 10:00-18:30 Uhr, Alte Münze, Berlin
Festival InnoNation Festival des Bundesverbands der Deutschen Industrie Mehr

News

Sprind entfesselt: Freiheitsgesetz soll kommen

Das Warten hat offenbar ein Ende: Seit mehr als einem Jahr hofft Rafael Laguna de la Vera auf den Start des angekündigten Freiheitsgesetzes, das seiner Bundesagentur für Sprunginnovationen (Sprind) eine “flexible und schnellere Projektförderung” ermöglichen soll. Immer wieder wurde der Start angekündigt – und wegen interner Streitigkeiten verschoben. Wie Table.Media erfuhr, sind die Abstimmungen auf den Fachebenen nun doch so weit geklärt, dass das Gesetz in die entscheidenden Ressorts gegeben werden und im Oktober starten kann.

Vor Wochen hatte Gründungsdirektor Laguna in einem Interview noch seinen Rücktritt angedeutet, sollte das Freiheitsgesetz nicht eingeführt werden, er vermutete damals, die Freigabe des Regelwerks hänge noch im Bundesfinanzministerium fest.

Kritik an dem geplanten Gesetz gab es auch seitens der SPD. Haushälterin Wiebke Esdar (SPD) erklärte, dass eigentlich alles, was es zur Entfesselung der Sprind brauche, nicht durch ein eigenes Gesetz gelöst werden müsse. Alles, was gefordert ist, wäre auch mit kleineren Regelungen zu schaffen. So wurde bereits durch Ausnahmeregelungen einiges erreicht, insbesondere durch die Optimierung der Governance-Struktur (Verschiebung von Kompetenzen von der Gesellschafterin zum Aufsichtsrat), vergaberechtliche Flexibilisierung unterhalb der EU-Schwellenwerte für die Tochtergesellschaften sowie die anteilige Zuweisung von Selbstbewirtschaftungsmitteln im Haushaltsgesetz 2022. 

Offenbar konnten sich aber nun doch alle Seiten auf eine gemeinsame Richtung einigen und das Freiheitsgesetz geht auf den Weg.

Gefeiert wird bei Sprind aktuell sowieso: Gerade konnte die Agentur die Gründung von vier neuen Töchtern bekannt geben, darunter die Pulsed Light Technologies GmbH. Das Unternehmen soll – als 100-prozentige Tochter-GmbH der Sprind – Infrastruktur zur Energiegewinnung durch Laser getriebene Fusion entwickeln. nik

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Neuer Rekord bei Forschungsausgaben

Die Ausgaben für Forschung und Entwicklung in Deutschland sind im Jahr 2021 auf einen Höchststand gestiegen. Sie legten gegenüber dem Vorjahr um 5,6 Prozent auf 112,6 Milliarden Euro zu, wie das Statistische Bundesamt am Mittwoch mitteilte. Der Anteil am Bruttoinlandsprodukt (BIP) lag bei 3,1 Prozent. Deutschland übertraf den Angaben zufolge damit das fünfte Jahr in Folge das in der EU-Wachstumsstrategie “Europa 2020” festgelegte Ziel, mindestens 3 Prozent des BIP für Forschung und Entwicklung aufzuwenden.

Im Koalitionsvertrag hatte sich die Ampel-Regierung vorgenommen, bis 2025 3,5 Prozent des BIP für Forschung und Entwicklung auszugeben. Berücksichtigt werden die gesamten Ausgaben für Forschung und Entwicklung in öffentlichen und öffentlich geförderten Einrichtungen, an Hochschulen sowie in der Wirtschaft.

Einen deutlichen Zuwachs von 7,5 Prozent auf 16,8 Milliarden Euro verzeichneten 2021 die öffentlichen und öffentlich geförderten Einrichtungen, zu denen beispielsweise die Institute der Max-Planck- und Fraunhofer-Gesellschaft zählen. An Hochschulen wurden 20,6 Milliarden Euro für Forschung und Entwicklung ausgeben (plus 3,3 Prozent). Die Ausgaben der Wirtschaft stiegen um 5,9 Prozent auf 75,2 Milliarden Euro. tg/dpa

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Kampagne gegen Tierversuche: Dialog impossible

Gegen die sechste Auflage der Kampagne “Herz aus Stein” regt sich in der Scientific Community heftiger Widerstand. Mit dem Negativpreis zeichnet der Verein “Ärzte gegen Tierversuche” die angeblich “schlimmsten Tierversuche des Jahres” aus. Forschende fühlen sich dadurch an den Pranger gestellt. Die nominierten Tierversuche werden vor allem über die Sozialen Medien dem Publikum präsentiert und zur Abstimmung gestellt. Unter den jeweiligen Beiträgen auf Facebook finden sich häufig Hasskommentare gegen die einzelnen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler. 

Forschende beklagen persönliche Angriffe

Olivia Masseck, stellvertretende Vorsitzende der Initiative Tierversuche verstehen, beklagt, dass seitens der Tierversuchsgegner unter anderem mit Bildern gearbeitet werde, die zu einer starken Emotionalisierung führen. Die Forschenden würden hier persönlich angegriffen. “Auf dieser Basis ist kein sachlicher Dialog denkbar.” Das machte die Initiative auch in einer eigenen Pressemitteilung zum Negativpreis deutlich.  

Gaby Neumann vom “Ärzte gegen Tierversuche” hält dagegen, dass Tierversuchsgegner des Vereins als “’Aktivisten’, ‘Tierrechtler’ und ‘keine Ärzte’ abgetan werden”. Daher sei es auch aus ihrer Perspektive “eher unwahrscheinlich, dass ein konstruktiver Dialog möglich ist”. Zudem erklärt sie, dass der Verein sich von persönlichen Anfeindungen distanzieren würde, wenn er davon Kenntnis erlange. 

Florian Dehmelt empfindet die Kampagne für Forschende auf der persönlichen Ebene ebenfalls als unzumutbar. Allerdings muss die Wissenschaft an sich seiner Meinung nach auch polemische Öffentlichkeitsarbeit von Interessensgruppen aushalten. Dehmelt ist Wissenschaftler an der Uni Tübingen und Mitglied beim Verein Pro-Test, der sich für mehr und bessere Kommunikation rund um Tierversuche einsetzt. Er und seine Mitstreiter stellen sich oft den kritischen Fragen der Öffentlichkeit – auch mal am Wochenende auf dem Marktplatz.

Existierende Probleme ansprechen

“Ich wünsche mir, dass wir die Debatte von Extremfällen hin zur eigentlich relevanten, unspektakulären Mitte verschieben. Wir sollten tatsächlich existierende Probleme bei Tierversuchen aktiv ansprechen und lösen, sowie niederschwellige Möglichkeiten zum persönlichen Austausch mit an Tierversuchen Beteiligten schaffen – vor allem abseits von Krisen. Und: Wir können hier schwerlich eine rein sachliche Debatte einfordern, Gefühle gehören auf jeden Fall mit dazu. Es geht schließlich um Schmerzen, Leid und Tod.”  

“Tierversuche verstehen” ist aus Dehmelts Sicht eine wertvolle Initiative. Diese könnte sich jedoch noch stärker um diejenigen bemühen, die an einem Dialog interessiert sind und keinesfalls ein “Team Wissenschaft” vs. “Team Tier”-Narrativ befördern. Für mehr Dialog setzt sich auch Masseck ein. “Tierversuche verstehen” strebe noch mehr als bisher an, in Schulen und Universitäten sowie in der Öffentlichkeit zum Thema Tierexperimente zu informieren, um einen Dialog auf der Grundlage von Fakten und Informationen führen zu können. Auf dem Weg in Richtung mehr Dialog und Transparenz müsse dann auch die Wissenschaftscommunity mitgenommen werden. mw 

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Zivilklausel: Uni Kassel beendet Zusammenarbeit mit Rüstungsfirmen

Wie viele Universitäten hat auch die Uni Kassel eine Zivilklausel. Seit 2013 besteht die Selbstverpflichtung, ausschließlich für zivile und friedliche Zwecke zu forschen. Es gibt an der Gesamthochschule aber das Programm, “Studium im Praxisverbund” (Stip), das eine direkte Verbindung zu den Rüstungsfirmen Krauss-Maffei Wegmann und Rheinmetall darstellt. “Stip” bot die Möglichkeit eines dualen Studiums für Auszubildende der beiden Rüstungsfirmen. Diese Zusammenarbeit hat die Uni Kassel nun beendet, wie die Hessische/Niedersächsische Allgemeine (HNA) berichtet. Die entsprechende Vereinbarung mit der Firma Kraus Maffei Wegmann (KMW) sei kürzlich zum Ende des Jahres gekündigt worden.

Eine ähnliche Vereinbarung mit der Firma Rheinmetall ruhe bereits seit 2014. Es ist mit dem Unternehmen vereinbart, diese Kooperation zum Jahresende ebenfalls zu beenden. Darüber stand die Universität seit Ende 2021 in Gesprächen mit den beiden Unternehmen. Grund ist, dass sich der Senat der Universität gegen eine Zusammenarbeit mit Rüstungsunternehmen ausgesprochen habe.

Das “Stip”-Programm habe mit Forschung nichts zu tun, daher habe man dieses lange Zeit nicht mit der Zivilklausel in Verbindung gebracht.

Beim “Studium im Praxisverbund” gab es einen Vertrag zwischen Unternehmen und Universität. In gewissen Punkten sollte es den Auszubildenden erleichtern, ihr Studium mit der Ausbildung zu vereinbaren und erfolgreich zu absolvieren, erklärt ein Sprecher Table.Media. Dazu gehört etwa die Erstellung individueller Studienpläne im Rahmen geltender Prüfungsordnungen. Ausbildung und Studium blieben aber unabhängig voneinander. Die Studierenden verfügten nicht über Privilegien, stellt der Sprecher klar. NCs galten auch für sie und es gab keine speziellen Tutorien. Studieninhalte und Prüfungsablauf richteten sich nach der Prüfungsordnung. nik

  • Zivilklausel

Presseschau

Zeit – Academic Freedom Index: Freiheitlich handeln! Dem neuen Academic Freedom Index zufolge ist in 22 Ländern die Wissenschaftsfreiheit rückläufig. In vielen weiteren Ländern stagniert die Wissenschaftsfreiheit auf einem enttäuschend niedrigen Niveau. Es gibt noch viel zu tun, bilanziert die Politologin Katrin Kinzelbach in einem Gastbeitrag. Sie schlägt für den Europäischen Forschungsraum vor, niedrige Werte auf dem Academic Freedom Index vom Europaparlament untersuchen zu lassen. Ebenso denkbar sei es, die Vergabe von EU-Forschungsmitteln an institutionelle Autonomie zu knüpfen. Mehr

Financial Times – Rishi Sunak holds back on rejoining Horizon after Brexit breakthrough. Der britische Premier Rishi Sunak zögert Berichten zufolge, Großbritannien trotz des jüngsten Windsor-Abkommens wieder in das EU-Wissenschaftsprogramm Horizon einzugliedern. Er sei skeptisch, was den Wert und die Kosten des Programms angeht und erwäge andere Optionen, darunter den eigenen globalen Forschungsplan seines Ministers George Freeman. Ursprünglich sollte Großbritannien 15 Milliarden Pfund zum bereits laufenden Programm Horizon Europe beitragen. Mehr

Times Higher Education – Horizon Europe’s second pillar needs some restructuring. Lehren aus der Zwischenevaluierung des Programms Horizont Europa beleuchtet Jan Palmovski, Generalsekretär von The Guild, der Vereinigung der forschungsintensiven Universitäten. Zu den in der Konsultation geäußerten Bedenken gegen die zweite Säule des Programms zählt die einseitige Ausrichtung auf Calls mit hohem Technologiereifegrad. Auch wurden die neuen Initiativen und Instrumente als zu kompliziert wahrgenommen und davor gewarnt, den bestehenden Haushalt mit neuen politischen Prioritäten zu überfrachten. Die beteiligten Stakeholder warnen zudem vor unrealistischen Impact-Erwartungen an die Forscher. Mehr

The Economist – A bioethicist and a professor of medicine on regulating AI in health care. Die Bioethikerin Effy Vayena und der Medizinprofessor Andrew Morris skizzieren drei Ansätze für die Regulierung von KI im Gesundheitswesen. Der erste ist die Koordinierung: Sie fordern die Regulierungsbehörden weltweit auf, zusammenzuarbeiten, um das Governance-Vakuum zu füllen. Zweitens sollte der Regulierungsansatz an die Bedürfnisse von Unternehmen und Verbrauchern angepasst werden können. Drittens werden neue Geschäfts- und Investitionsmodelle für die Zusammenarbeit zwischen Technologieanbietern und Gesundheitssystemen benötigt. Für den Erfolg solcher Partnerschaften sind klare Verpflichtungen zu Transparenz und öffentlicher Rechenschaftspflicht erforderlich. Mehr

Deutschlandfunk – Frauenkarrieren in der Wissenschaft: “Gebt mir einen Talk, keine Blumen”. Über systemische und private Schwierigkeiten in der Wissenschaft berichten in der DLF-Reihe “Wissenschaft im Brennpunkt” drei Forscherinnen: Nobelpreisträgerin Christiane Nüsslein-Volhard musste bei einem Fachartikel zu ihrer Doktorarbeit die Erstautorenschaft an einen Mann abtreten, weil dieser Frau und Kind hatte und eine Karriere angeblich mehr brauchte. Physikerin Viola Priesemann lehnte einen Ruf an eine Universität in einer anderen Stadt ab, weil sie als junge Mutter nicht pendeln wollte. Und Nicole Boivin ist überzeugt, dass gegen sie geäußerte Vorwürfe von Machtmissbrauch und Mobbing damit zu tun hatten, dass sich zuvor im Streit über einen Umzug des Instituts den Unmut ihrer männlichen Kollegen zugezogen hatte. Boivin wurde von der Max-Planck-Direktorin zur Gruppenleiterin degradiert. Mehr

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Europe.Table: Raw Materials Act: Das plant die EU-Kommission. Laut der EU-Kommission soll die EU bis 2030 einen erheblichen Anteil ihres Bedarfs an kritischen Rohstoffen selbst decken. Dafür sollen lokale Wertschöpfungsketten rasant gestärkt werden: Europe.Table hat sich den geleakten Entwurf für den Critical Raw Materials Act angesehen. Mehr.

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Heads

Michael Förtsch – Hoffnungsträger der deutschen Quantentechnologie

Spitzentechnologie in Produkte zu verwandeln, das ist seine Leidenschaft: Michael Förtsch ist CEO der Stuttgarter Q.ANT GmbH.

“Quantentechnologie ist kein Sprint, sondern ein Marathon.” Das sagt Michael Förtsch und er muss es wissen: Schließlich ist er nicht nur promovierter Quantenphysiker, sondern auch Gründer und CEO der Stuttgarter Q.ANT GmbH. Förtsch und sein Team entwickeln neuartige photonische Quantensensoren und Quantencomputerchips. Diese arbeiten mit Licht, was den Vorteil hat, Quantentechnologie bei Raumtemperatur zu ermöglichen. Die Herausforderung dabei ist es, das Licht mit sehr definierten Eigenschaften zu erzeugen und es kontrolliert zu beeinflussen. Wenn man diese Technologie beherrscht, lassen sich beispielsweise Quantensensoren mit einer deutlich verbesserten Empfindlichkeit oder Quantencomputer mit einer großen Zahl an Qubits realisieren. 

Im Bereich des Computings verspricht der Einsatz von Qubits den Zugang zu bisher unlösbaren Rechenproblemen. Q.ANT entwickelt hier beispielsweise seine eigenen Quantencomputerprozessoren und die daran angepassten Algorithmen. Diese sollen in einigen Jahren in Kombination mit heutigen Hochleistungsrechnern beispielsweise bei der Erforschung neuer Materialien oder Medikamente helfen. Auch im Bereich der Sensorik stellt Quantentechnologie neue Möglichkeiten in Aussicht: So entwickelt Q.ANT derzeit einen Sensor, der das Magnetfeld von Muskelsignalen auslesbar macht, um damit beispielsweise Prothesen steuern zu können. Das ist, sagt Förtsch, “ein großer Schritt in Richtung HMI – Human Machine Interaction.”

Karriere in Lichtgeschwindigkeit

Der Einzug von Produkten mit Quantentechnologien in den alltäglichen Gebrauch werde “aber noch Jahre in Anspruch nehmen”, betont Förtsch, dem es lieb wäre, wenn man den Hype um Quantentechnologien kleiner hielte. Seine Leidenschaft sei es schon immer gewesen, “Spitzentechnologie in Produkte zu verwandeln”. Dafür braucht es aber nicht nur wissenschaftliche Expertise, sondern auch Erwartungsmanagement hinsichtlich der Möglichkeiten und Grenzen von Quantentechnologien: “Wir arbeiten mit den Kunden am Verständnis der Technologie.”

Hier hilft es vielleicht, dass der erst 37-Jährige zunächst Lehramt studiert hat, bevor er nach einer rasanten Promotion in Physik und einem dreijährigen internationalen Forschungsaufenthalt ein weiteres Mal umsattelte. 2015 wechselte der “bayerische Kosmopolit” zum Stuttgarter Maschinenbauer Trumpf und sammelte dort das nötige Business Know-how. 2018 regte ihn Peter Leibinger, CTO bei Trumpf, zur Gründung von Q.ANT an.

Der lange Atem des deutschen Forschungstransfers

Seine Warnung vor Hypes bezieht Förtsch auch auf – seiner Ansicht nach kritikwürdige – Profitinteressen von Venture Capital. Es würden manchmal Hoffnungen geweckt, um dann von diesen zu profitieren. Deshalb steht Förtsch dem Standort Deutschland positiv gegenüber. Dieser zeichne sich durch eine Haltung zwischen staatlicher Finanzierung und moderatem Venture Capital aus.

Förtsch, selbst Berater des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) hinsichtlich neuer Forschungsschwerpunkte für Quantensysteme, plädiert für fokussierte und kontinuierliche Fördermaßnahmen: “Man muss nicht jede halbgare Idee über Jahre hinweg mit ein bisschen Geld zwangsbeatmen.” Stattdessen sei es entscheidend, klare Erwartungshaltungen zu kommunizieren und Projekte im Zweifel auch fallen zu lassen. Lobend stellt er heraus, dass Deutschland 2020 mit einem Förderprogramm über zwei Milliarden Euro für fünf Jahre auch eine gute finanzielle Grundlage für die Förderung von Quantentechnologien geschaffen habe. Jetzt gehe es darum, neue Förderinstrumente für die Zeit nach 2026 zu finden. Die Bundesagentur für Sprunginnovation (Sprind), Hightech- sowie Deep-Tech-Fonds böten da schon gute Möglichkeiten. Martin Renz

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Personalien

Brigitte Bach (57) wird Sprecherin der Geschäftsführung des Austrian Institute of Technology (AIT), Österreichs größter Forschungs- und Technologieorganisation. Die Physikerin ist Vorständin der Salzburg AG für Energie, Verkehr und Telekommunikation. Weitere Neubesetzungen in der AIT-Geschäftsführung: Andreas Kugi (55) übernimmt den Bereich Wissenschaftliche Exzellenz und Alexander Svejkovsky (50) kümmert sich um Finanzen, Prozesse, Administration. Kugi ist Vorstand des Instituts für Automatisierungs- und Regelungstechnik und Professor für komplexe dynamische Systeme an der TU Wien, Svejkovsky war bisher CFO am AIT.

Martina Müller-Schilling, Direktorin der Klinik und Poliklinik für Innere Medizin I des Universitätsklinikums Regensburg, wurde in den Vorstand der United European Gastroenterology (UEG) an. Dort widmet sie sich der Aufgabe, die nationalen Fachgesellschaften der 49 Mitgliedsländer in der UEG-Föderation zu vernetzen und zu stärken.

Ulrich Schneckener (55), Universität Osnabrück, wurde in seinem Amt als Vorsitzender des Vorstands der Deutschen Stiftung Friedensforschung (DSF) bestätigt. Susanne Buckley-Zistel, Universität Marburg, übernimmt erneut den stellvertretenden Vorsitz.

Moritz Schularick (48) wird neuer Präsident des Kiel Instituts für Weltwirtschaft (IfW) und hat an der Christian-Albrechts-Universität Kiel den Ruf zum Professor für Volkswirtschaftslehre angenommen. Schularick ist derzeit Professor für Makroökonomie an der Universität Bonn und an Sciences Po in Paris. Das IfW wird zurzeit von Interimspräsident Holger Görg geleitet.

Ändert sich etwas in Ihrer Organisation? Schicken Sie uns gerne einen Hinweis für diese Rubrik an research@table.media!

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Rigorosum

Das Augsburger Puppentheater mit dem “Entrepreneurial State” 

Erstmals traf ich Mariana Mazzucato, Professorin und Direktorin am University College, London, im Jahr 2018. Ihr Name war in aller Munde aufgrund ihres aufsehenerregenden Buches “The Entrepreneurial State”, in welchem sie nachvollziehbar argumentiert, dass Internet, GPS, Mikroprozessoren und Silicon Valley in den USA ohne den unternehmerischen Staat nicht möglich gewesen wären. Wir diskutierten auf dem Panel die spannende Frage ”Beyond Market Failures: How the State Creates Value”.  

Schon damals fiel mir auf, wie US-amerikanisch Mazzucato sozialisiert war. Ich musste sie darauf hinweisen, dass eine deutschen Beamtenschaft nicht gleichzusetzen ist mit den amerikanischen “Civil Servants”. Schließlich haben deutsche Beamte nicht nur lebenslänglich, sondern sie verlassen auch nicht zu Tausenden ihre Jobs – so wie es bei einem Administrationswechsel in den USA geschieht. Das sogenannte ‘PLUM Book’ nennt bei jedem Regierungswechsel in den USA über 9.000 Positionen, die überprüft werden sollen. Über 1.500 benötigen die Bestätigung durch parlamentarische Gremien. Und für US-Spitzenbeamte und -Politiker ist crossektoraler Wechsel Normalität.  

Fehlende Agilität des Apparats und der Staatsdiener

Bei uns drücken sich die Wirtschaftsleute um die zumal selten wertgeschätzte Ochsentour. Und die in die Wirtschaft wechselnden Politiker und Top-Beamte landen überwiegend in Lobbyisten- und Stiftungsjobs. Schon das Aufwachsen in Beamten-Silos führt dazu, dass der “Entrepreneurial State” hierzulande mit nicht zu vielen unternehmerischen Talenten bestückt ist. Über die fehlende Agilität des Apparates und der Prozesse der öffentlichen Verwaltung habe ich dabei noch gar nicht gesprochen. 

Deswegen verwundert es auch nicht, dass der wirtschaftsunerfahrene Wirtschaftsminister Robert Habeck Professorin Mazzucato als Kronzeugin seines staatsgläubigen, wirtschaftskritischen Denkens aufruft. Deshalb verwundert es nicht, dass ökologische Forschungsmissionen seines Hauses nicht problemlösungsorientiert sind, sondern selbst die Technologie vorschreiben. Deshalb verwundert es auch nicht, dass die sozialdemokratische Zeitung “vorwärts” Mazzucato als Spiritus Rector für die SPD-Zukunftsmissionen sieht. Ist das Blatt doch ebenso wie Mazzucato Protagonist eines Staates, der frühzeitig in die Felder der Forschung, der Technologie wie der Innovationsförderung interveniert. Nur eben in deutscher Mentalität und Struktur – und nicht in innovationserprobtem US-Spirit und deren agilen Innovationsarchitekturen.  

Technologiebasiertes Staatsversagen nicht nur in Coronakrise 

Der deutsche Staat ist eben ein Innovationsnachzügler mit seiner Deutschland-Geschwindigkeit. Egal ob das digitale Staatsversagen in der Coronakrise, ob das technologisch stümperhafte Management der Energiewende oder Vertreiben von Biotechnologie und Raumfahrt aus diesem Lande: Schon in den Koalitionsverhandlungen musste ich einem der Verhandlungsführer der beiden anderen Ampel-Parteien energisch widersprechen, als dieser missionsorientierte Forschungs- und Innovationspolitik und KfW miteinander verweben wollte.  

Er lächelte mich vielsagend an, als ich ihn darauf hinwies, dass Mazzucato in den Koalitionsverhandlungen nicht anwesend sei. Doch der Geist ist der Flasche entwichen. Wenn heute die Expertenkommission Forschung und Innovation dem Kanzleramt die Steuerung und Kontrolle von Innovationsstrategie überlassen will, wenn heute von Missionsagenturen für die im Rahmen der Zukunftsstrategie benannten Missionen die Rede ist, dann kann ich nur warnen. Dahinter verstecken sich die Allmachtsfantasien staatsbürokratischer Politik.  

Sprind – Lackmustest für den Politik-Apparat 

Wenn es dann hart auf hart kommt, dann lassen die deutschen Mazzucato-Anhänger nicht von der Macht los. Die Art und Weise, wie bisher fast ein Jahr lang das Sprind-Freiheitsgesetz sabotiert wird, spricht Bände! Das wäre übrigens ein erster Lackmustest für einen deutschen Politikapparat: ob er seine und die Fesseln anderer abstreifen will. So aber ist das Mazzucato-Narrativ nichts anderes als Augsburger Puppentheater, bei dem Mariana das Publikum innovativ bezirzen soll, während die Regisseure ihre eigene staats-dirigistische Innovationsagenda verfolgen. 

Innovating Innovation: Wie wäre es mit durchaus unternehmerisch aktiven, staatlich finanzierten Organisationen, die folgende Charakteristika besitzen: 1) gesetzgeberisch geregelte freiheitliche Rahmenbedingungen für deren Arbeit, 2) schlanke, flexible und agile Organisation und Prozesse, 3) unternehmerisch kompetente und vergütete Akteure. Wie in den USA oder Großbritannien.

  • Sprind

Research.Table Redaktion

RESEARCH.TABLE REDAKTION

Licenses:
    Liebe Leserin, lieber Leser,

    erste Abgesänge waren schon angestimmt – doch nun soll das Freiheitsgesetz für die Agentur für Sprunginnovationen wirklich kommen. Wie wir erfuhren, seien die Streitigkeiten so weit beigelegt, dass das Vorhaben jetzt in die Ressortabstimmung gehen kann. Verabschiedet werden könnte es dann im Oktober.

    Gute Nachrichten für die Wissenschaft meldet auch das Statistische Bundesamt: Noch nie wurde so viel Geld für Forschung und Entwicklung ausgegeben wie im Jahr 2021. Die Details lesen Sie in unseren News.

    Weiter geht es für das Modellvorhaben Genomsequenzierung. Nach einem Jahr Verzögerung kann es zum 1. Januar 2024 starten. Gemeinsam mit dem Projekt genomDE soll dieses Deutschland im Bereich der Genomsequenzierung und der damit verbundenen Versorgung und Forschung international konkurrenzfähig machen. Noch gibt es einige Hürden, weiß Markus Weisskopf.

    Dass Regulierungen und Verbote auch Chancen für Innovationen bieten können, lässt sich am Thema PFAS zeigen. Die Chemikalien sind weiter verbreitet als bislang gedacht und gesundheitlich bedenklich. Jetzt ist ein EU-Verbot auf den Weg gebracht worden und das befeuert die Suche nach Alternativen. Tim Gabel hat die Details.

    Wir wünschen Ihnen eine inspirierende Lektüre!

    Wenn Ihnen der Research.Table gefällt, leiten Sie uns bitte weiter. Wenn Ihnen diese Mail weitergeleitet wurde: Hierkönnen Sie sich für den Research.Table kostenlos anmelden. 

    Ihre
    Nicola Kuhrt
    Bild von Nicola  Kuhrt

    Analyse

    PFAS-Verbot: Motor für Innovationen

    Eine strengere Regulierung von PFAS (per- und polyfluorierten Alkylsubstanzen) wird bei wissenschaftlichen Experten befürwortet und als Motor für Innovationen in vielen Industriezweigen gesehen. “In vielen Bereichen gibt es bereits Alternativen, die von der Industrie schon längst entwickelt worden sind”, sagt Henner Hollert, Professor für Evolutionsökologie und Umwelttoxikologie an der Goethe-Universität in Frankfurt. Die Unternehmen seien auch ohne Verbot in Vorleistung gegangen und könnten jetzt von der Beschränkung profitieren.

    Die Chemikaliengruppe rückt derzeit verstärkt in den Fokus:

    • Im Februar wurde ein Verbotsvorschlag der Europäischen Chemikalienagentur (ECHA) von fünf EU-Staaten eingereicht. Er sieht vor, sämtliche Verbindungen dieser Substanzklasse mit Übergangsfristen zwischen 18 Monaten und 12 Jahren zu verbieten. Die Länge dieser Fristen richtet sich danach, wie verfügbar und verwendbar die PFAS-Alternativen sind. Sollte die EU-Kommission diesen Vorschlag annehmen, müssten Alternativen für etwa 10.000 Anwendungen gefunden werden.
    • Am 31. März wird der Bundesrat über einen Entwurf zur Zweiten Verordnung zur Novellierung der Trinkwasserverordnung entscheiden, der erstmals Wasserversorger dazu anhält, Grenzwerte für bestimmte kritische Stoffe aus der PFAS-Gruppe im Trinkwasser zu kontrollieren. Allerdings mit einer Übergangsfrist bis zum 12. Januar 2026. Grundlage ist eine EU-Trinkwasserrichtlinie, die in diesem Jahr in nationales Recht überführt werden muss.
    • Eine Recherche von SZ, NDR und WDR zeigte kürzlich, dass Verunreinigungen mit PFAS in Deutschland ein viel größeres Problem sind, als bisher bekannt war – und zwar in allen 16 Bundesländern (siehe Grafik).

    In den vergangenen Jahrzehnten kamen Bedenken wegen der Nutzung PFAS-haltiger Produkte auf. Sie werden in natürlicher Umgebung kaum abgebaut und sammeln sich daher in Gewässern und Böden an und werden über die Luft über zum Teil große Distanzen transportiert. Viele PFAS akkumulieren auch in Nahrungsnetzen und verbleiben über viele Jahre im menschlichen Körper.

    Mögliche gesundheitliche Folgen nicht in Kauf nehmen

    Für einige Verbindungen konnte nachgewiesen werden, dass sie gesundheitliche Folgen haben können. “Im Tierversuch wurden einige Einzelsubstanzen getestet und je nach Substanz wurde bei den entsprechend hohen eingesetzten Dosierungen eine Reihe von schädlichen Wirkungen gefunden: Lebervergrößerung, Störungen des Fettstoffwechsels, abgeschwächte Immunreaktionen, Störungen der Reproduktionsorgane bis hin zu krebserzeugenden Eigenschaften”, sagt Martin Göttlicher, Direktor des Instituts für Molekulare Toxikologie und Pharmakologie am Helmholtz-Zentrum in München.

    Es gebe keinen Grund für akute Panikmache, meint der Wissenschaftler. Trotzdem unterstützt er den Verbotsvorschlag aufgrund der Nicht-Abbaubarkeit vieler PFAS. Das mache die Bestrebungen plausibel, “dass man solche Substanzen nicht ungebremst weiter in die Umwelt bringen soll”, meint Göttlicher.

    Zu der Chemikaliengruppe gehören mehrere tausend Substanzen, die wasser-, schmutz- und/oder fettabweisend sind. Dies macht sie bisher zu nützlichen Bestandteilen in unzähligen Alltags- und Industrieprodukten: in wasserdichter Kleidung, beschichteten Pfannen, Kosmetik, Arzneimitteln, Verpackungen für Fast Food oder Löschschäumen.

    Einzelne Verbote haben Innovationen beschleunigt

    Dass Verbote ein Motor für die Industrie sein können, beobachtet Martin Cornelsen, Geschäftsführer der Cornelsen Umwelttechnologie GmbH: “Das Segment der Feuerlöschmittel belegt aus meiner Sicht, dass durch eine entsprechende Regulierung Innovationen ausgelöst werden können. Gegen die EU-Verordnung, die die Verwendung von PFAS-haltigen Löschschäumen verboten hat, gab es am Anfang auch eine gewisse Verweigerungshaltung. Aber seitdem sind viele fluorfreie Alternativen auf den Markt gekommen, die nach allem, was man hört, einen adäquaten Ersatz darstellen”, sagt Cornelsen.

    Gemeinsam mit dem Fraunhofer-Institut für Umwelt-, Sicherheits- und Energietechnik in Oberhausen hat sein Unternehmen Technologien für eine Reinigung PFAS-verunreinigter Wässer entwickelt. Bis heute würden PFAS-Verunreinigungen in der Öffentlichkeit eher als bedauerliche Einzelfälle und Ausnahmen wahrgenommen, sagt Cornelsen, “es ist gut, dass jetzt über die weite Verbreitung des Problems berichtet worden ist”, sagt Cornelsen.

    Erster bekannter Fall von belasteten Gewässern bereits 2005

    Der Unternehmer war einer der ersten Experten, die sich mit der Substanzklasse auseinandergesetzt haben. “Ich bin 2005 vom Umweltamt des Hochsauerlandkreises angesprochen worden, weil auf einem Acker in Brilon unerlaubt und unbewusst PFAS-haltige Dünger aufgebracht wurden und durch Auswaschungen in die Ruhr gelangt sind”, sagt Cornelsen. Die Ruhr ist für das bevölkerungsreiche Ruhrgebiet eine wichtige Quelle der Trinkwasserversorgung.

    Cornelsen hat im Jahr 2015 einen Flüssigwirkstoff auf den Markt gebracht, mit dem das Unternehmen PFAS ausfällen und entfernen kann. Dies könne aber nur Teil der Lösung sein, sagt der Entwickler selbst. Niemand könne heute mehr sagen, dass man PFAS nicht entfernen kann, wenn Verunreinigungen bekannt sind, “doch die Behörden müssen parallel auch die Emmissionsquellen identifizieren, Schadensfälle systematisch erfassen und durch Regulierungen dafür sorgen, dass PFAS nicht weiter ungebremst in Produkte und die Umwelt eingebracht wird”, sagt Cornelsen.

    Ausnahmeregeln für essenzielle Anwendungen

    Für spezielle Anwendungen müssten gute Alternativen erst entwickelt werden – dafür räume der Vorschlag der ECHA aus Hollerts Sicht jedoch genügend Zeit ein. “Gerade bei Verbraucherprodukten wie Textilien oder Verpackungen gibt es längst Ersatz und ein Verbot ist hier überfällig”, sagt der Biologe Hollert.

    In einigen Bereichen mit nicht-essenzieller Anwendung wie bei wasser- und schmutzabweisenden Papier-, Textil- oder Lederprodukten, Kosmetika und Küchengeräten und -utensilien könnte sich ein Verbot einfach gestalten, sagt auch Christian Zwiener von der Arbeitsgruppe Umweltanalytik an der Universität Tübingen. “Der Ersatz von PFAS in sogenannten essenziellen Anwendungen in der industriellen Produktion, der Medizin oder für die persönliche Schutzausrüstung von Feuerwehr, Polizei und vergleichbaren Anwendungen erfordert sicher einen längerfristigen Prozess mit angepassten Ausnahmeregeln”, sagt Zwiener.

    Lobbyarbeit hat Gefahreneinstufung jahrelang herabgesetzt

    Auf die Frage, wieso die PFAS bisher nur in Ausnahmefällen reguliert wurden, obwohl deren negative Auswirkungen schon länger bekannt sind, sagt Andreas Schäffer vom Lehrstuhl für Umweltbiologie und -chemodynamik der RWTH Aachen: “Die verzögerte Risikobewertung von PFAS durch Behörden trotz Hinweisen auf toxische Wirkungen ist zumindest teilweise auf die Manipulation durch die Hersteller dieser Chemikalien zurückzuführen.” So wären zum Beispiel toxikologische Befunde – einschließlich Krebs bei Menschen, die Perfluoroktansäure (PFOA) ausgesetzt waren – durch Lobbyarbeit bei den nationalen Behörden in Frage gestellt worden, um die Gefahreneinstufung von PFOA herabzusetzen, sagt Schäffer.

    Wie massiv der Widerstand ist, haben auch die Journalisten von NDR, WDR und SZ bei ihrer Recherche erfahren. Danach kämpfen mehr als 100 Industrieorganisationen gegen den Verbotsvorschlag der ECHA – mit teils fragwürdigen Argumenten. Auch die deutschen Chemiekonzerne BASF und Bayer sind gegen ein umfassendes Verbot. Die beiden Firmen schrieben den Journalisten auf Anfrage, ein mögliches Verbot dürfe nicht die Verwendung von PFAS in Schlüsselsektoren verhindern. BASF nennt etwa Batterien, Halbleiter, Elektrofahrzeuge und erneuerbare Energien.

    Entscheidung der EU über Verbot voraussichtlich 2025

    Der Entwurf des Verbotsvorschlags wird nun zunächst an die einschlägigen Expertenausschüsse im EU-Parlament gehen. Danach wird in einer öffentlichen Konsultation interessierten Parteien die Möglichkeit eingeräumt, in einem Zeitraum von sechs Monaten zu kommentieren. Zu einer Entscheidung der Kommission wird es dann aber frühestens im Jahr 2025 kommen.

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    Modellvorhaben Genomsequenzierung: Mit Verspätung in die Weltspitze

    Deutschland möchte bei der Genomsequenzierung vorankommen und damit einen wichtigen Schritt hin zu besseren individuellen Therapien gegen Krebs oder seltene Erkrankungen gehen. Neben der Förderung des Projekts genomDE soll das Modellvorhaben Genomsequenzierung einen wichtigen Beitrag dafür leisten.  

    Insbesondere im Bereich der Ganzgenomsequenzierung und in der Zusammenführung von klinischen und genomischen Daten hatte man sich hier bereits früher Fortschritte erhofft. Doch der Start des Modellvorhabens – dessen Konzeption noch aus der Ära Jens Spahn stammt – musste um ein Jahr auf den 1. Januar 2024 verschoben werden. Dieser Starttermin, so teilte das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) Table.Media mit, solle nun eingehalten werden. 

    Verbesserte Versorgung durch Zusammenführung klinischer und genomischer Daten

    Grundlage des Modellvorhabens ist die umfangreiche Sequenzierung von Patientengenomen und die darauf aufbauende Datenzusammenführung von klinischen und genomischen Daten in einer Dateninfrastruktur. Diese erleichtert dann eine Analyse der gewonnenen Daten zur Verbesserung der medizinischen Versorgung. Aber auch die Forschung und Entwicklung soll von dem Aufbau eines sicheren Datenbanksystems profitieren. Die Dateninfrastruktur und die Datensätze sollen dabei auch mit dem Europäischen Gesundheitsdatenraum und mit der 1+ Million Genomes-Initiative kompatibel und interoperabel sein.

    In der Umsetzung des Modellvorhabens sind neben genomDE auch das BfArM (Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte) und das Robert Koch Institut (für die Dateninfrastruktur) involviert, sowie der Verband der Universitätsklinika Deutschlands (VUD) und der GKV-Spitzenverband.

    Auch die Patientenverbände sind eingebunden 

    Das wie das Modellvorhaben vom BMG geförderte Projekt genomDE besteht aus 14 Partnern und bezieht medizinische Fachgesellschaften genauso ein, wie Patientenverbände oder bereits bestehende technische Infrastrukturen. Im Rahmen des Projekts werden bereits seit 2021 weitere Versorgungsstrukturen aufgebaut, vorhandene genommedizinische Strukturen vernetzt und Standards in den Sequenzierungstechnologien etabliert. Ein wichtiger Aspekt des Konsortiums beinhaltet zudem die Einbindung von Patientenvertretungen, um die Akzeptanz von genomDE zu erhöhen und frühzeitig Fragen zu Nutzen oder Risiken zu beantworten. 

    Bei genomDE beschäftigen sich die verschiedenen Arbeitsgruppen bereits seit Bekanntwerden des Modellvorhabens damit, die nötigen Voraussetzungen für eine erfolgreiche Durchführung zu schaffen. Auf der anderen Seite wurden durch den Spitzenverband der gesetzlichen Krankenversicherungen (GKV-SV) nach den im Gesetz festgelegten und strengen Qualitätskriterien 20 Universitätskliniken ausgewählt, die die Sequenzierungen sowie die Therapien bei seltenen Erkrankungen und in der Onkologie durchführen sollen.  

    Diese Schritte fehlen noch zum Start 

    Alles auf dem Weg also? Noch fehlen wichtige Bausteine: 

    • Der Verband der Universitätsklinika und der GKV-SV müssen sich noch über die Konditionen im Modellversuch einigen. Welche Leistungen werden seitens der teilnehmenden Universitätskliniken erbracht? Welche Vergütungen gibt es? 
    • Hinsichtlich der Dateninfrastruktur des Modellvorhabens Genomsequenzierung bereitet derzeit das BMG noch gesetzlichen Anpassungen des § 64e SGB V vor. Ein konkreter Zeitplan steht dafür laut eines Sprechers des BMG noch nicht fest. 
    • Im Rahmen der Haushaltsverhandlungen werden laut BMG auch über die Mittel für “eine kosteneffiziente dezentrale Dateninfrastruktur” nach einem Konzept von genomDE beraten. 
    • Genom.de und BfArM müssen – vermutlich basierend auf einem Fachkonzept von genomDE – die entsprechende Dateninfrastruktur aufsetzen. 

    Konstruktive Zusammenarbeit im Konsortium 

    Im Konsortium von genomDE ist man weiterhin optimistisch. “Sämtliche Partner sind mit großem Engagement dabei und es ist zu spüren, dass alle an einem Erfolg des Vorhabens interessiert sind”, sagt Christine Mundlos vom Patientennetzwerk Achse e.V.. Auch Olaf Rieß, Ärztlicher Direktor am Institut für Medizinische Genetik und Angewandte Genomik des Universitätsklinikums Tübingen, betont die konstruktive Atmosphäre in den Arbeitsgruppen von genomDE.  

    Dort werde jetzt dem BMG zugearbeitet, um die Gesetzesanpassung möglichst schnell auf den Weg zu bringen. Gleichzeitig betont Rieß, dass bereits vor dem Gesetzentwurf zum Modellvorhaben – und hoffentlich auch noch lange Zwit danach – stetig an Verbesserungen der Rahmenbedingungen für die Genomsequenzierung gearbeitet würde. Jetzt gelte es, genomDE und das Modellvorhaben in ein gutes Zusammenspiel zu bringen. 

    Herausforderung Dateninfrastruktur 

    Ob das gelingt, wird sich direkt beim Aufbau der Dateninfrastruktur zeigen. Aus Akteurskreisen heißt es, dass ein Aufbau der kompletten Dateninfrastruktur bis zum 1. Januar 2024 schwierig werde. Wenn man eine dezentrale Struktur andenke und diese auf bereits bestehenden Infrastrukturen aufbaue, wäre ein Start für gewisse Teile bis dahin möglich. Dann könnten zu Beginn zunächst Sequenzierungs- und klinische Daten erfasst und gespeichert werden.  

    Eine vergleichende Analyse für die optimale Versorgung und Therapie der Patienten sowie die Nutzung für Forschungszwecke könnten dann nach einem Stufenplan anschließend dazu kommen. Eine Nutzung der bereits vorhandenen Strukturen sowie ein dezentraler Ansatz der Datenspeicherung hätte auch den Vorteil, dass viele Fragen des Datenschutzes bereits geklärt oder einfacher zu klären wären. Aus der Forschungsperspektive jedoch wäre eine Plattform mit einem zentralen und einfachen Zugang attraktiver. Nicht ohne Grund hat sich Biontech gerade erst für ein Forschungs- und Entwicklungszentrum im Vereinigten Königreich entschieden, wo diese Daten zentral vorliegen. Anspruch muss also sein, die künftige Dateninfrastruktur so aufzubauen, dass nicht nur eine verbesserte Diagnose und Versorgung der Patienten, sondern auch exzellente Forschung möglich ist.  

    Auf dem Weg in die Weltspitze 

    Bleibt noch die Kritik des Berufsverbandes der Humangenetiker. Hier ist man verärgert darüber, dass lediglich Uni-Kliniken am Modellversuch teilnehmen können. Doch das BMG bleibt auf Rückfrage bei seiner Position: Das Modellvorhaben soll sich für seine Laufzeit “auch nach den geplanten gesetzlichen Anpassungen des § 64e SGB V auf die schon derzeit vorgesehenen Leistungserbringer fokussieren.” 

    Die beteiligten Akteure sind sich einig, dass noch viel Arbeit bevorstehe. Aber: “Mit dem Projekt genomDE und dem neuen Modellvorhaben können wir im Bereich der Genomsequenzierung und der folgenden Anwendung der Daten in Versorgung und Forschung in die Weltspitze aufschließen“, meint Olaf Rieß. 

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    E-Fuels: Evidenz spricht gegen Pkw-Markt

    Volker Wissing und Bettina Stark-Watzinger (beide FDP) sprechen sich dafür aus, dass Pkw mit Verbrennungsmotor nicht verboten werden, wenn sie mit E-Fuels fahren. Für viele Wissenschaftler ist das kein gängiges Konzept.

    Verkehrsminister Volker Wissing hat sich beim Thema E-Fuels durchgesetzt. Seit der Kabinettsklausur vom Wochenende trägt auch Bundeskanzler Olaf Scholz seinen Kurs mit. Das bereits ausgehandelte EU-Verbot der Neuzulassung von Pkw mit Verbrennungsmotor ab 2035 ist damit auf unbestimmte Zeit blockiert.

    Noch ist völlig unklar, wie es jetzt weitergeht. Wissing verlangt von der EU-Kommission eine rechtsverbindliche Auskunft darüber, unter welchen Umständen Pkw mit Verbrennungsmotor auch nach dem 1. Januar 2035 zugelassen werden können – sofern sie ausschließlich mit E-Fuels betrieben werden. Doch genau das sieht das vorliegende Gesetz ausdrücklich nicht vor. Es will das Verbrenner-Aus. Lediglich für einige wenige Fahrzeuge sind Ausnahmen denkbar, beispielsweise für Krankenwagen. Wissing stellt das Gesetz damit im Kern infrage.

    Forschungsministerin beschwört Technologieoffenheit

    Wenn E-Fuels unter Einsatz erneuerbarer Energie hergestellt werden, gelten sie als bilanziell CO₂-neutral. Argument der Befürworter ist, dass sie so zumindest eine klimaschonende Brückentechnologie darstellen könnten.

    Bundesforschungsministerin Bettina Stark-Watzinger sprang ihrem Parteikollegen auf Twitter bei: “Wir alle wollen Klimaneutralität. Den Verbrennungsmotor zu verbieten, ist aber falsch. Wir setzen das Ziel, den Weg finden kluge Ingenieure. Auf nur eine Antriebsart zu setzen, nimmt uns Chancen. Wir brauchen mehr Technologieoffenheit, nicht weniger”, schrieb die Politikerin dort.

    Experten halten E-Fuels für unnötige Verschwendung

    Doch nach Ansicht von Forschern und wissenschaftlichen Daten eignet sich die Brückentechnologie der E-Fuels nur bei Flugzeugen und Schiffen, vielleicht noch bei schweren Lkw. Bei Pkw sieht die Sache dagegen völlig anders aus. Denn hier gibt es mit dem Elektroantrieb eine wesentlich effizientere Alternative. Trotzdem auf E-Fuels zu setzen, gilt in Expertenkreisen als unnötige Verschwendung anderweitig dringend benötigter erneuerbarer Energien.

    Das legte erst im Februar wieder eine Studie des Fraunhofer ISI dar. Die Forschenden prognostizieren allein für den Flug- und Schiffsverkehr einen Bedarf von 209 Terawattstunden an alternativen Antriebsenergieträgern. Daher sei es unwahrscheinlich, dass Wasserstoff und damit auch mit grünem Wasserstoff erzeugte E-Fuels beim Verkehr zu Land eingesetzt werden, “weil es hier mit der direkten Elektrifizierung eine Alternative gibt”, schreiben die Wissenschaftler.

    Produktionsmengen sind auf Jahrzehnte hinweg begrenzt

    Martin Doppelbauer, der eine Professur für “Hybrid Electric Vehicles” (HEV) am Karlsruher Institut für Technologie (KIT) innehat, teilt diese Auffassung. “Für den Massenmarkt Pkw-Verkehr stellen E-Fuels überhaupt keine Alternative zur Elektromobilität dar”, sagt Doppelbauer. Ihre Herstellung sei enorm aufwendig und brauche viel elektrische Energie und Anlagentechnik. “Sie sind daher grundsätzlich teuer und die Produktionsmengen werden auch auf Jahrzehnte hin stark begrenzt sein.”

    Nicht einmal für den Bestand an Altfahrzeugen sind sie aus seiner Sicht eine sinnvolle Option: “Der Grund ist schlicht die benötigte Menge, die nicht herstellbar und nicht bezahlbar ist.” Aktuell prognostizieren Experten Kosten zwischen vier und fünf Euro pro Liter.

    Evidenz: E-Fuels werden für Autos absehbar keine Rolle spielen

    Falko Ueckerdt vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK) hatte bereits vor zwei Jahren in einem Übersichtsartikel auf Probleme wie hohe Kosten und eine zu langsame Technologieentwicklung bei den E-Fuels hingewiesen. In einem Bericht von Spektrum der Wissenschaft erklärte der Physiker jetzt, dass es zunehmend Evidenz dafür gebe, dass E-Fuels für Autos keine oder allenfalls eine untergeordnete Rolle spielen werden. “Dann ist es sinnvoll, wenn die Politik das Signal gibt: Es lohnt sich nicht, wir brauchen einen Antriebswechsel, nämlich den Elektromotor.”

    In einigen Jahrzehnten könnte sich das Blatt durch effizientere Kraftwerke und eine um ein Vielfaches günstigere Produktion von grünem Wasserstoff noch einmal wenden. Würden jetzt E-Fuels im Pkw-Bereich eingesetzt, “könnte dies Herstellern und Käufern eine falsche Zukunftsperspektive geben und die erforderliche Transformation verschleppen und verteuern”, meint Wolf-Peter Schill. Der stellvertretende Leiter der Abteilung Energie, Verkehr, Umwelt im Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) schrieibt in einem Wochenbericht: “E-Fuels sollten stattdessen gleich in den Bereichen eingesetzt werden, in denen eine direkte Elektrifizierung aus heutiger Sicht nicht sinnvoll erscheint.” Carsten Hübner

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    Termine

    15. März 2023, 16:00 Uhr, Berlin und Youtube-Livestream
    Preisverleihung Verleihung der Gottfried Wilhelm Leibniz-Preise 2023 der DFG Mehr

    28. März 2023, Berlin und online
    Forschungsgipfel 2023 Blockaden lösen, Chancen nutzen – Ein Innovationssystem für die Transformation Mehr

    3. April 2023, 17:30 Uhr, Konzerthaus, Berlin
    Preisverleihung Deutscher Hochschulverband (DHV): Gala der deutschen Wissenschaft Mehr

    4. April 2023, 9:30 Uhr, Hotel Hilton, Berlin
    Vortrags- und Diskussionsveranstaltung sowie Delegiertenversammlung 73. DHV-Tag “Wissenschaft und Politik: Zu viel Nähe, zu wenig Distanz – oder umgekehrt?” Mehr

    3. Mai 2023, 10:00-18:30 Uhr, Alte Münze, Berlin
    Festival InnoNation Festival des Bundesverbands der Deutschen Industrie Mehr

    News

    Sprind entfesselt: Freiheitsgesetz soll kommen

    Das Warten hat offenbar ein Ende: Seit mehr als einem Jahr hofft Rafael Laguna de la Vera auf den Start des angekündigten Freiheitsgesetzes, das seiner Bundesagentur für Sprunginnovationen (Sprind) eine “flexible und schnellere Projektförderung” ermöglichen soll. Immer wieder wurde der Start angekündigt – und wegen interner Streitigkeiten verschoben. Wie Table.Media erfuhr, sind die Abstimmungen auf den Fachebenen nun doch so weit geklärt, dass das Gesetz in die entscheidenden Ressorts gegeben werden und im Oktober starten kann.

    Vor Wochen hatte Gründungsdirektor Laguna in einem Interview noch seinen Rücktritt angedeutet, sollte das Freiheitsgesetz nicht eingeführt werden, er vermutete damals, die Freigabe des Regelwerks hänge noch im Bundesfinanzministerium fest.

    Kritik an dem geplanten Gesetz gab es auch seitens der SPD. Haushälterin Wiebke Esdar (SPD) erklärte, dass eigentlich alles, was es zur Entfesselung der Sprind brauche, nicht durch ein eigenes Gesetz gelöst werden müsse. Alles, was gefordert ist, wäre auch mit kleineren Regelungen zu schaffen. So wurde bereits durch Ausnahmeregelungen einiges erreicht, insbesondere durch die Optimierung der Governance-Struktur (Verschiebung von Kompetenzen von der Gesellschafterin zum Aufsichtsrat), vergaberechtliche Flexibilisierung unterhalb der EU-Schwellenwerte für die Tochtergesellschaften sowie die anteilige Zuweisung von Selbstbewirtschaftungsmitteln im Haushaltsgesetz 2022. 

    Offenbar konnten sich aber nun doch alle Seiten auf eine gemeinsame Richtung einigen und das Freiheitsgesetz geht auf den Weg.

    Gefeiert wird bei Sprind aktuell sowieso: Gerade konnte die Agentur die Gründung von vier neuen Töchtern bekannt geben, darunter die Pulsed Light Technologies GmbH. Das Unternehmen soll – als 100-prozentige Tochter-GmbH der Sprind – Infrastruktur zur Energiegewinnung durch Laser getriebene Fusion entwickeln. nik

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    Neuer Rekord bei Forschungsausgaben

    Die Ausgaben für Forschung und Entwicklung in Deutschland sind im Jahr 2021 auf einen Höchststand gestiegen. Sie legten gegenüber dem Vorjahr um 5,6 Prozent auf 112,6 Milliarden Euro zu, wie das Statistische Bundesamt am Mittwoch mitteilte. Der Anteil am Bruttoinlandsprodukt (BIP) lag bei 3,1 Prozent. Deutschland übertraf den Angaben zufolge damit das fünfte Jahr in Folge das in der EU-Wachstumsstrategie “Europa 2020” festgelegte Ziel, mindestens 3 Prozent des BIP für Forschung und Entwicklung aufzuwenden.

    Im Koalitionsvertrag hatte sich die Ampel-Regierung vorgenommen, bis 2025 3,5 Prozent des BIP für Forschung und Entwicklung auszugeben. Berücksichtigt werden die gesamten Ausgaben für Forschung und Entwicklung in öffentlichen und öffentlich geförderten Einrichtungen, an Hochschulen sowie in der Wirtschaft.

    Einen deutlichen Zuwachs von 7,5 Prozent auf 16,8 Milliarden Euro verzeichneten 2021 die öffentlichen und öffentlich geförderten Einrichtungen, zu denen beispielsweise die Institute der Max-Planck- und Fraunhofer-Gesellschaft zählen. An Hochschulen wurden 20,6 Milliarden Euro für Forschung und Entwicklung ausgeben (plus 3,3 Prozent). Die Ausgaben der Wirtschaft stiegen um 5,9 Prozent auf 75,2 Milliarden Euro. tg/dpa

    • Forschung

    Kampagne gegen Tierversuche: Dialog impossible

    Gegen die sechste Auflage der Kampagne “Herz aus Stein” regt sich in der Scientific Community heftiger Widerstand. Mit dem Negativpreis zeichnet der Verein “Ärzte gegen Tierversuche” die angeblich “schlimmsten Tierversuche des Jahres” aus. Forschende fühlen sich dadurch an den Pranger gestellt. Die nominierten Tierversuche werden vor allem über die Sozialen Medien dem Publikum präsentiert und zur Abstimmung gestellt. Unter den jeweiligen Beiträgen auf Facebook finden sich häufig Hasskommentare gegen die einzelnen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler. 

    Forschende beklagen persönliche Angriffe

    Olivia Masseck, stellvertretende Vorsitzende der Initiative Tierversuche verstehen, beklagt, dass seitens der Tierversuchsgegner unter anderem mit Bildern gearbeitet werde, die zu einer starken Emotionalisierung führen. Die Forschenden würden hier persönlich angegriffen. “Auf dieser Basis ist kein sachlicher Dialog denkbar.” Das machte die Initiative auch in einer eigenen Pressemitteilung zum Negativpreis deutlich.  

    Gaby Neumann vom “Ärzte gegen Tierversuche” hält dagegen, dass Tierversuchsgegner des Vereins als “’Aktivisten’, ‘Tierrechtler’ und ‘keine Ärzte’ abgetan werden”. Daher sei es auch aus ihrer Perspektive “eher unwahrscheinlich, dass ein konstruktiver Dialog möglich ist”. Zudem erklärt sie, dass der Verein sich von persönlichen Anfeindungen distanzieren würde, wenn er davon Kenntnis erlange. 

    Florian Dehmelt empfindet die Kampagne für Forschende auf der persönlichen Ebene ebenfalls als unzumutbar. Allerdings muss die Wissenschaft an sich seiner Meinung nach auch polemische Öffentlichkeitsarbeit von Interessensgruppen aushalten. Dehmelt ist Wissenschaftler an der Uni Tübingen und Mitglied beim Verein Pro-Test, der sich für mehr und bessere Kommunikation rund um Tierversuche einsetzt. Er und seine Mitstreiter stellen sich oft den kritischen Fragen der Öffentlichkeit – auch mal am Wochenende auf dem Marktplatz.

    Existierende Probleme ansprechen

    “Ich wünsche mir, dass wir die Debatte von Extremfällen hin zur eigentlich relevanten, unspektakulären Mitte verschieben. Wir sollten tatsächlich existierende Probleme bei Tierversuchen aktiv ansprechen und lösen, sowie niederschwellige Möglichkeiten zum persönlichen Austausch mit an Tierversuchen Beteiligten schaffen – vor allem abseits von Krisen. Und: Wir können hier schwerlich eine rein sachliche Debatte einfordern, Gefühle gehören auf jeden Fall mit dazu. Es geht schließlich um Schmerzen, Leid und Tod.”  

    “Tierversuche verstehen” ist aus Dehmelts Sicht eine wertvolle Initiative. Diese könnte sich jedoch noch stärker um diejenigen bemühen, die an einem Dialog interessiert sind und keinesfalls ein “Team Wissenschaft” vs. “Team Tier”-Narrativ befördern. Für mehr Dialog setzt sich auch Masseck ein. “Tierversuche verstehen” strebe noch mehr als bisher an, in Schulen und Universitäten sowie in der Öffentlichkeit zum Thema Tierexperimente zu informieren, um einen Dialog auf der Grundlage von Fakten und Informationen führen zu können. Auf dem Weg in Richtung mehr Dialog und Transparenz müsse dann auch die Wissenschaftscommunity mitgenommen werden. mw 

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    • Tierversuche
    • Wissenschaftskommunikation

    Zivilklausel: Uni Kassel beendet Zusammenarbeit mit Rüstungsfirmen

    Wie viele Universitäten hat auch die Uni Kassel eine Zivilklausel. Seit 2013 besteht die Selbstverpflichtung, ausschließlich für zivile und friedliche Zwecke zu forschen. Es gibt an der Gesamthochschule aber das Programm, “Studium im Praxisverbund” (Stip), das eine direkte Verbindung zu den Rüstungsfirmen Krauss-Maffei Wegmann und Rheinmetall darstellt. “Stip” bot die Möglichkeit eines dualen Studiums für Auszubildende der beiden Rüstungsfirmen. Diese Zusammenarbeit hat die Uni Kassel nun beendet, wie die Hessische/Niedersächsische Allgemeine (HNA) berichtet. Die entsprechende Vereinbarung mit der Firma Kraus Maffei Wegmann (KMW) sei kürzlich zum Ende des Jahres gekündigt worden.

    Eine ähnliche Vereinbarung mit der Firma Rheinmetall ruhe bereits seit 2014. Es ist mit dem Unternehmen vereinbart, diese Kooperation zum Jahresende ebenfalls zu beenden. Darüber stand die Universität seit Ende 2021 in Gesprächen mit den beiden Unternehmen. Grund ist, dass sich der Senat der Universität gegen eine Zusammenarbeit mit Rüstungsunternehmen ausgesprochen habe.

    Das “Stip”-Programm habe mit Forschung nichts zu tun, daher habe man dieses lange Zeit nicht mit der Zivilklausel in Verbindung gebracht.

    Beim “Studium im Praxisverbund” gab es einen Vertrag zwischen Unternehmen und Universität. In gewissen Punkten sollte es den Auszubildenden erleichtern, ihr Studium mit der Ausbildung zu vereinbaren und erfolgreich zu absolvieren, erklärt ein Sprecher Table.Media. Dazu gehört etwa die Erstellung individueller Studienpläne im Rahmen geltender Prüfungsordnungen. Ausbildung und Studium blieben aber unabhängig voneinander. Die Studierenden verfügten nicht über Privilegien, stellt der Sprecher klar. NCs galten auch für sie und es gab keine speziellen Tutorien. Studieninhalte und Prüfungsablauf richteten sich nach der Prüfungsordnung. nik

    • Zivilklausel

    Presseschau

    Zeit – Academic Freedom Index: Freiheitlich handeln! Dem neuen Academic Freedom Index zufolge ist in 22 Ländern die Wissenschaftsfreiheit rückläufig. In vielen weiteren Ländern stagniert die Wissenschaftsfreiheit auf einem enttäuschend niedrigen Niveau. Es gibt noch viel zu tun, bilanziert die Politologin Katrin Kinzelbach in einem Gastbeitrag. Sie schlägt für den Europäischen Forschungsraum vor, niedrige Werte auf dem Academic Freedom Index vom Europaparlament untersuchen zu lassen. Ebenso denkbar sei es, die Vergabe von EU-Forschungsmitteln an institutionelle Autonomie zu knüpfen. Mehr

    Financial Times – Rishi Sunak holds back on rejoining Horizon after Brexit breakthrough. Der britische Premier Rishi Sunak zögert Berichten zufolge, Großbritannien trotz des jüngsten Windsor-Abkommens wieder in das EU-Wissenschaftsprogramm Horizon einzugliedern. Er sei skeptisch, was den Wert und die Kosten des Programms angeht und erwäge andere Optionen, darunter den eigenen globalen Forschungsplan seines Ministers George Freeman. Ursprünglich sollte Großbritannien 15 Milliarden Pfund zum bereits laufenden Programm Horizon Europe beitragen. Mehr

    Times Higher Education – Horizon Europe’s second pillar needs some restructuring. Lehren aus der Zwischenevaluierung des Programms Horizont Europa beleuchtet Jan Palmovski, Generalsekretär von The Guild, der Vereinigung der forschungsintensiven Universitäten. Zu den in der Konsultation geäußerten Bedenken gegen die zweite Säule des Programms zählt die einseitige Ausrichtung auf Calls mit hohem Technologiereifegrad. Auch wurden die neuen Initiativen und Instrumente als zu kompliziert wahrgenommen und davor gewarnt, den bestehenden Haushalt mit neuen politischen Prioritäten zu überfrachten. Die beteiligten Stakeholder warnen zudem vor unrealistischen Impact-Erwartungen an die Forscher. Mehr

    The Economist – A bioethicist and a professor of medicine on regulating AI in health care. Die Bioethikerin Effy Vayena und der Medizinprofessor Andrew Morris skizzieren drei Ansätze für die Regulierung von KI im Gesundheitswesen. Der erste ist die Koordinierung: Sie fordern die Regulierungsbehörden weltweit auf, zusammenzuarbeiten, um das Governance-Vakuum zu füllen. Zweitens sollte der Regulierungsansatz an die Bedürfnisse von Unternehmen und Verbrauchern angepasst werden können. Drittens werden neue Geschäfts- und Investitionsmodelle für die Zusammenarbeit zwischen Technologieanbietern und Gesundheitssystemen benötigt. Für den Erfolg solcher Partnerschaften sind klare Verpflichtungen zu Transparenz und öffentlicher Rechenschaftspflicht erforderlich. Mehr

    Deutschlandfunk – Frauenkarrieren in der Wissenschaft: “Gebt mir einen Talk, keine Blumen”. Über systemische und private Schwierigkeiten in der Wissenschaft berichten in der DLF-Reihe “Wissenschaft im Brennpunkt” drei Forscherinnen: Nobelpreisträgerin Christiane Nüsslein-Volhard musste bei einem Fachartikel zu ihrer Doktorarbeit die Erstautorenschaft an einen Mann abtreten, weil dieser Frau und Kind hatte und eine Karriere angeblich mehr brauchte. Physikerin Viola Priesemann lehnte einen Ruf an eine Universität in einer anderen Stadt ab, weil sie als junge Mutter nicht pendeln wollte. Und Nicole Boivin ist überzeugt, dass gegen sie geäußerte Vorwürfe von Machtmissbrauch und Mobbing damit zu tun hatten, dass sich zuvor im Streit über einen Umzug des Instituts den Unmut ihrer männlichen Kollegen zugezogen hatte. Boivin wurde von der Max-Planck-Direktorin zur Gruppenleiterin degradiert. Mehr

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    Mehr von Table.Media

    China.Table. Uni Frankfurt setzt Kooperation mit Konfuzius-Institut aus. Die Frankfurter Goethe-Universität hat ihren Kooperationsvertrag mit dem Frankfurter Konfuzius-Institut nicht verlängert. Wie die Hochschule mitteilte, soll die Zusammenarbeit mit der Einrichtung “anlassbezogen” fortgesetzt werden. Mehr

    Climate.Table: “Keine Klimagerechtigkeit ohne Feminismus”. Die deutsche Außen- und Entwicklungspolitik soll feministisch werden, plant die Regierung. Das verändert auch die Klimapolitik. Denn Feminismus soll mehr Gleichberechtigung für alle bedeuten: Gesellschaften sollen gerechter werden – und so auch resilienter gegen die Erderwärmung. Mehr

    Climate.Table: UN-Meeresabkommen auch Erfolg für Klimaschutz: Das neue UNCLOS-Abkommen zum Schutz der Hohen See bringt auch Fortschritte beim Klimaschutz: Die Tier- und Pflanzenwelt im Meer soll besser vor Erwärmung und Versauerung geschützt werden, Emissionen und Schäden aus der Fischerei sollen reduziert werden. Auch der Kohlenstoffspeicher Ozean kann profitieren. Mehr 

    Bildung.Table: Berliner CDU beansprucht Bildungsressort. Seit 27 Jahren gestalten die Sozialdemokraten die Berliner Schulpolitik, nun greift die CDU nach dem Bildungsressort. Katharina Günther-Wünsch, Schulpraktikerin und profilierte Oppositionspolitikerin, soll Senatorin werden. Die 39-Jährige strebt damit auch an die Spitze der Kultusministerkonferenz. Mehr 

    Bildung.Table: Ex-Multiminister fordert Radikalkur. Deutschland stehe vor den “Trümmern eines reformunwilligen Bildungswesens”, schreibt Thomas de Maizière, neuerdings Bildungsreformer, in einem Impulspapier, das Table.Media exklusiv veröffentlicht. Warum er alle Verwaltungsvorschriften für Schulen aussetzen will, erklärt er im Interview. Mehr 

    Europe.Table: Raw Materials Act: Das plant die EU-Kommission. Laut der EU-Kommission soll die EU bis 2030 einen erheblichen Anteil ihres Bedarfs an kritischen Rohstoffen selbst decken. Dafür sollen lokale Wertschöpfungsketten rasant gestärkt werden: Europe.Table hat sich den geleakten Entwurf für den Critical Raw Materials Act angesehen. Mehr.

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    • Klimawandel

    Heads

    Michael Förtsch – Hoffnungsträger der deutschen Quantentechnologie

    Spitzentechnologie in Produkte zu verwandeln, das ist seine Leidenschaft: Michael Förtsch ist CEO der Stuttgarter Q.ANT GmbH.

    “Quantentechnologie ist kein Sprint, sondern ein Marathon.” Das sagt Michael Förtsch und er muss es wissen: Schließlich ist er nicht nur promovierter Quantenphysiker, sondern auch Gründer und CEO der Stuttgarter Q.ANT GmbH. Förtsch und sein Team entwickeln neuartige photonische Quantensensoren und Quantencomputerchips. Diese arbeiten mit Licht, was den Vorteil hat, Quantentechnologie bei Raumtemperatur zu ermöglichen. Die Herausforderung dabei ist es, das Licht mit sehr definierten Eigenschaften zu erzeugen und es kontrolliert zu beeinflussen. Wenn man diese Technologie beherrscht, lassen sich beispielsweise Quantensensoren mit einer deutlich verbesserten Empfindlichkeit oder Quantencomputer mit einer großen Zahl an Qubits realisieren. 

    Im Bereich des Computings verspricht der Einsatz von Qubits den Zugang zu bisher unlösbaren Rechenproblemen. Q.ANT entwickelt hier beispielsweise seine eigenen Quantencomputerprozessoren und die daran angepassten Algorithmen. Diese sollen in einigen Jahren in Kombination mit heutigen Hochleistungsrechnern beispielsweise bei der Erforschung neuer Materialien oder Medikamente helfen. Auch im Bereich der Sensorik stellt Quantentechnologie neue Möglichkeiten in Aussicht: So entwickelt Q.ANT derzeit einen Sensor, der das Magnetfeld von Muskelsignalen auslesbar macht, um damit beispielsweise Prothesen steuern zu können. Das ist, sagt Förtsch, “ein großer Schritt in Richtung HMI – Human Machine Interaction.”

    Karriere in Lichtgeschwindigkeit

    Der Einzug von Produkten mit Quantentechnologien in den alltäglichen Gebrauch werde “aber noch Jahre in Anspruch nehmen”, betont Förtsch, dem es lieb wäre, wenn man den Hype um Quantentechnologien kleiner hielte. Seine Leidenschaft sei es schon immer gewesen, “Spitzentechnologie in Produkte zu verwandeln”. Dafür braucht es aber nicht nur wissenschaftliche Expertise, sondern auch Erwartungsmanagement hinsichtlich der Möglichkeiten und Grenzen von Quantentechnologien: “Wir arbeiten mit den Kunden am Verständnis der Technologie.”

    Hier hilft es vielleicht, dass der erst 37-Jährige zunächst Lehramt studiert hat, bevor er nach einer rasanten Promotion in Physik und einem dreijährigen internationalen Forschungsaufenthalt ein weiteres Mal umsattelte. 2015 wechselte der “bayerische Kosmopolit” zum Stuttgarter Maschinenbauer Trumpf und sammelte dort das nötige Business Know-how. 2018 regte ihn Peter Leibinger, CTO bei Trumpf, zur Gründung von Q.ANT an.

    Der lange Atem des deutschen Forschungstransfers

    Seine Warnung vor Hypes bezieht Förtsch auch auf – seiner Ansicht nach kritikwürdige – Profitinteressen von Venture Capital. Es würden manchmal Hoffnungen geweckt, um dann von diesen zu profitieren. Deshalb steht Förtsch dem Standort Deutschland positiv gegenüber. Dieser zeichne sich durch eine Haltung zwischen staatlicher Finanzierung und moderatem Venture Capital aus.

    Förtsch, selbst Berater des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) hinsichtlich neuer Forschungsschwerpunkte für Quantensysteme, plädiert für fokussierte und kontinuierliche Fördermaßnahmen: “Man muss nicht jede halbgare Idee über Jahre hinweg mit ein bisschen Geld zwangsbeatmen.” Stattdessen sei es entscheidend, klare Erwartungshaltungen zu kommunizieren und Projekte im Zweifel auch fallen zu lassen. Lobend stellt er heraus, dass Deutschland 2020 mit einem Förderprogramm über zwei Milliarden Euro für fünf Jahre auch eine gute finanzielle Grundlage für die Förderung von Quantentechnologien geschaffen habe. Jetzt gehe es darum, neue Förderinstrumente für die Zeit nach 2026 zu finden. Die Bundesagentur für Sprunginnovation (Sprind), Hightech- sowie Deep-Tech-Fonds böten da schon gute Möglichkeiten. Martin Renz

    • BMBF
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    Personalien

    Brigitte Bach (57) wird Sprecherin der Geschäftsführung des Austrian Institute of Technology (AIT), Österreichs größter Forschungs- und Technologieorganisation. Die Physikerin ist Vorständin der Salzburg AG für Energie, Verkehr und Telekommunikation. Weitere Neubesetzungen in der AIT-Geschäftsführung: Andreas Kugi (55) übernimmt den Bereich Wissenschaftliche Exzellenz und Alexander Svejkovsky (50) kümmert sich um Finanzen, Prozesse, Administration. Kugi ist Vorstand des Instituts für Automatisierungs- und Regelungstechnik und Professor für komplexe dynamische Systeme an der TU Wien, Svejkovsky war bisher CFO am AIT.

    Martina Müller-Schilling, Direktorin der Klinik und Poliklinik für Innere Medizin I des Universitätsklinikums Regensburg, wurde in den Vorstand der United European Gastroenterology (UEG) an. Dort widmet sie sich der Aufgabe, die nationalen Fachgesellschaften der 49 Mitgliedsländer in der UEG-Föderation zu vernetzen und zu stärken.

    Ulrich Schneckener (55), Universität Osnabrück, wurde in seinem Amt als Vorsitzender des Vorstands der Deutschen Stiftung Friedensforschung (DSF) bestätigt. Susanne Buckley-Zistel, Universität Marburg, übernimmt erneut den stellvertretenden Vorsitz.

    Moritz Schularick (48) wird neuer Präsident des Kiel Instituts für Weltwirtschaft (IfW) und hat an der Christian-Albrechts-Universität Kiel den Ruf zum Professor für Volkswirtschaftslehre angenommen. Schularick ist derzeit Professor für Makroökonomie an der Universität Bonn und an Sciences Po in Paris. Das IfW wird zurzeit von Interimspräsident Holger Görg geleitet.

    Ändert sich etwas in Ihrer Organisation? Schicken Sie uns gerne einen Hinweis für diese Rubrik an research@table.media!

    • Forschungsförderung
    • Weltwirtschaft

    Rigorosum

    Das Augsburger Puppentheater mit dem “Entrepreneurial State” 

    Erstmals traf ich Mariana Mazzucato, Professorin und Direktorin am University College, London, im Jahr 2018. Ihr Name war in aller Munde aufgrund ihres aufsehenerregenden Buches “The Entrepreneurial State”, in welchem sie nachvollziehbar argumentiert, dass Internet, GPS, Mikroprozessoren und Silicon Valley in den USA ohne den unternehmerischen Staat nicht möglich gewesen wären. Wir diskutierten auf dem Panel die spannende Frage ”Beyond Market Failures: How the State Creates Value”.  

    Schon damals fiel mir auf, wie US-amerikanisch Mazzucato sozialisiert war. Ich musste sie darauf hinweisen, dass eine deutschen Beamtenschaft nicht gleichzusetzen ist mit den amerikanischen “Civil Servants”. Schließlich haben deutsche Beamte nicht nur lebenslänglich, sondern sie verlassen auch nicht zu Tausenden ihre Jobs – so wie es bei einem Administrationswechsel in den USA geschieht. Das sogenannte ‘PLUM Book’ nennt bei jedem Regierungswechsel in den USA über 9.000 Positionen, die überprüft werden sollen. Über 1.500 benötigen die Bestätigung durch parlamentarische Gremien. Und für US-Spitzenbeamte und -Politiker ist crossektoraler Wechsel Normalität.  

    Fehlende Agilität des Apparats und der Staatsdiener

    Bei uns drücken sich die Wirtschaftsleute um die zumal selten wertgeschätzte Ochsentour. Und die in die Wirtschaft wechselnden Politiker und Top-Beamte landen überwiegend in Lobbyisten- und Stiftungsjobs. Schon das Aufwachsen in Beamten-Silos führt dazu, dass der “Entrepreneurial State” hierzulande mit nicht zu vielen unternehmerischen Talenten bestückt ist. Über die fehlende Agilität des Apparates und der Prozesse der öffentlichen Verwaltung habe ich dabei noch gar nicht gesprochen. 

    Deswegen verwundert es auch nicht, dass der wirtschaftsunerfahrene Wirtschaftsminister Robert Habeck Professorin Mazzucato als Kronzeugin seines staatsgläubigen, wirtschaftskritischen Denkens aufruft. Deshalb verwundert es nicht, dass ökologische Forschungsmissionen seines Hauses nicht problemlösungsorientiert sind, sondern selbst die Technologie vorschreiben. Deshalb verwundert es auch nicht, dass die sozialdemokratische Zeitung “vorwärts” Mazzucato als Spiritus Rector für die SPD-Zukunftsmissionen sieht. Ist das Blatt doch ebenso wie Mazzucato Protagonist eines Staates, der frühzeitig in die Felder der Forschung, der Technologie wie der Innovationsförderung interveniert. Nur eben in deutscher Mentalität und Struktur – und nicht in innovationserprobtem US-Spirit und deren agilen Innovationsarchitekturen.  

    Technologiebasiertes Staatsversagen nicht nur in Coronakrise 

    Der deutsche Staat ist eben ein Innovationsnachzügler mit seiner Deutschland-Geschwindigkeit. Egal ob das digitale Staatsversagen in der Coronakrise, ob das technologisch stümperhafte Management der Energiewende oder Vertreiben von Biotechnologie und Raumfahrt aus diesem Lande: Schon in den Koalitionsverhandlungen musste ich einem der Verhandlungsführer der beiden anderen Ampel-Parteien energisch widersprechen, als dieser missionsorientierte Forschungs- und Innovationspolitik und KfW miteinander verweben wollte.  

    Er lächelte mich vielsagend an, als ich ihn darauf hinwies, dass Mazzucato in den Koalitionsverhandlungen nicht anwesend sei. Doch der Geist ist der Flasche entwichen. Wenn heute die Expertenkommission Forschung und Innovation dem Kanzleramt die Steuerung und Kontrolle von Innovationsstrategie überlassen will, wenn heute von Missionsagenturen für die im Rahmen der Zukunftsstrategie benannten Missionen die Rede ist, dann kann ich nur warnen. Dahinter verstecken sich die Allmachtsfantasien staatsbürokratischer Politik.  

    Sprind – Lackmustest für den Politik-Apparat 

    Wenn es dann hart auf hart kommt, dann lassen die deutschen Mazzucato-Anhänger nicht von der Macht los. Die Art und Weise, wie bisher fast ein Jahr lang das Sprind-Freiheitsgesetz sabotiert wird, spricht Bände! Das wäre übrigens ein erster Lackmustest für einen deutschen Politikapparat: ob er seine und die Fesseln anderer abstreifen will. So aber ist das Mazzucato-Narrativ nichts anderes als Augsburger Puppentheater, bei dem Mariana das Publikum innovativ bezirzen soll, während die Regisseure ihre eigene staats-dirigistische Innovationsagenda verfolgen. 

    Innovating Innovation: Wie wäre es mit durchaus unternehmerisch aktiven, staatlich finanzierten Organisationen, die folgende Charakteristika besitzen: 1) gesetzgeberisch geregelte freiheitliche Rahmenbedingungen für deren Arbeit, 2) schlanke, flexible und agile Organisation und Prozesse, 3) unternehmerisch kompetente und vergütete Akteure. Wie in den USA oder Großbritannien.

    • Sprind

    Research.Table Redaktion

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