Table.Briefing: Research

Grüne Gentechnik 2.0 + EU-Kommissarin im Silicon Valley + Iter: später und teurer

Liebe Leserin, lieber Leser,

der Bundeskanzler hatte sich am Dienstag entschieden, auf dem Forschungsgipfel von Stifterverband, Leopoldina, Volkswagenstiftung und der Expertenkommission Forschung und Innovation (EFI) zu fehlen. Olaf Scholz nahm während der fast dreitägigen Koalitionsgespräche zwar verschiedene anderen Termine wahr. Aber nicht den Forschungsgipfel. Statt seiner eröffnete Arbeitsminister Hubertus Heil. Immerhin: “Blockaden lösen, Chancen nutzen” sei Titel beider Veranstaltungen.

Der Gipfel widmete sich dabei den beiden Schwerpunkten Digitalisierung des Gesundheitswesens und der Energiewende. In erster Runde fehlte nicht nur Gesundheitsminister Karl Lauterbach, auch kein anderer Abgesandter des Gesundheitsministeriums hatte sich in den Kreis der Entscheider bemüht. Was auf dem Gipfel dennoch diskutiert wurde, weiß Anne Brüning.

Die Staatsanwaltschaft München Eins hat im Fall der Vorwürfe der Steuergeldverschwendung innerhalb der Fraunhofer-Gesellschaft Ermittlungen aufgenommen. Nach dem Vorprüfungsverfahren gehe man davon aus, dass ein Anfangsverdacht besteht, “dass möglicherweise strafbare Handlungen begangen worden sein könnten”, bestätigte die Staatsanwaltschaft Table.Media, wie Sie im Table.Alert vom Dienstag gelesen haben. Falls es Ihrer Aufmerksamkeit entgangen ist, gibt es hier mehr.

Wenn heute um 10 Uhr das BMBF-Gespräch “Austausch zur Höchstbefristungsgrenze im Postdoc-Bereich” #WissZeitVG beginnt, nehmen auch beinah alle Präsidentinnen und Präsidenten vieler der großen außeruniversitären Forschungseinrichtungen teil. Eine wichtige Rolle in der Diskussion wird dem Wissenschaftsrat zugeschrieben. Tim Gabel berichtet.

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Ihre
Nicola Kuhrt
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Analyse

Novellierung des EU-Gentechnikrechts: Was Pflanzenforscher von der Politik erwarten

Keimling in der Petrischale: In der EU steht zur Debatte, ob die Freisetzung genomeditierter Pflanzen unter bestimmten Voraussetzungen dereguliert werden soll.

In der EU sind Forschung und Entwicklung im Bereich Grüne Gentechnik wie gefesselt. Die restriktive Regulierung basiert auf dem Wissensstand der Neunzigerjahre. Technologisch hat mit den Möglichkeiten der Genomeditierung wie der Genschere Crispr/Cas eine neue Ära begonnen. Damit lassen sich Pflanzen züchten, wie sie auch durch herkömmliche Methoden entstehen könnten, nur gezielter und schneller.

Eine Änderung der EU-Regulierung ist in Sicht. Die Kommission hat einen Vorschlag erarbeitet, der Anfang Juni vorgestellt werden soll. “Erwartet wird, dass der Entwurf Erleichterungen für bestimmte Genomeditierungsanwendungen vorsieht – zum Beispiel indem entsprechende Ausnahmen formuliert oder die Zulassungsbedingungen vereinfacht werden”, sagt der Rechtswissenschaftler und EU-Lebensmittelrechtsexperte Kai Purnhagen von der Universität Bayreuth.

Die Position Deutschlands wird das Zünglein an der Waage sein

Dass derartige Erleichterungen überfällig sind, steht für die Scientific Community außer Frage. Zuletzt hatten DFG und Leopoldina im Januar dazu erneut Position bezogen und an die Politik appelliert, bei der Gesetzesreform wissensbasierte Entscheidungen zu treffen. Bislang haben sich dazu jedoch nur FDP und CDU bekannt. Die meisten Grünen-Politiker sind gegen die Novellierung, in der SPD zögert man offenbar noch. “Es wird wohl von der Meinungsbildung innerhalb der SPD abhängen, wie sich die deutsche Regierung im Rahmen des EU-Gesetzgebungsprozesses positioniert”, sagt Purnhagen.

Am Ende könnte das deutsche Abstimmungsverhalten im EU-Rat darüber entscheiden, ob es zu einer evidenzbasierten Novellierung kommt oder nicht. Denn die EU-Länder sind in dieser Frage gespalten. Die eine Hälfte (dazu gehören Frankreich und Österreich) ist gegen eine Lockerung des Gentechnikrechts, die andere (die Niederlande, die skandinavischen Länder, Tschechien und die Slowakei) dafür. “Da es dabei um eine qualifizierte Mehrheit geht, bei der es auch darauf ankommt, welchen Bevölkerungsanteil ein Land innerhalb der EU hat, würde schon die Enthaltung Deutschlands wie ein Nein wirken”, sagt Purnhagen.

Die Diskussion innerhalb der Bundesregierung habe begonnen, sagte Forschungsministerin Bettina Stark-Watzinger kürzlich in einem Interview. Sie nehme durchaus eine Öffnung wahr. Ihre eigene Position: “Das Gentechnikrecht muss innovationsfreundlicher und wissenschaftsbasiert werden und bezogen auf Geneditierung auch risikoangepasst.”

Pflanzenforscher sind verhalten optimistisch

Dieser Rückhalt kommt an. “Wir sind froh über die klare Positionierung von Frau Stark-Watzinger. Für uns ist Genomeditierung ein wichtiges Werkzeug in der Pflanzenzucht. Es ist bei weitem nicht das einzige, aber es wird Zeit, dass wir es nutzen, denn es kann Zeit sparen auf dem Weg vom Labor aufs Feld”, sagt Stefan Lütke Entrup, Geschäftsführer der Gemeinschaft zur Förderung von Pflanzeninnovation (GFPI), die im Auftrag von 55 Pflanzenzüchtungsunternehmen agiert.

Etwas Aufwind verspüren auch Grundlagenforscher. “Das Interesse an unserer Arbeit ist neuerdings groß. Vor allem die jüngere Generation erkennt, dass die Genomeditierung sehr wohl zur Bewältigung der Probleme, die der Klimawandel und die Ressourcenknappheit mit sich bringen, einen wichtigen Beitrag liefern kann”, sagt Nicolaus von Wirén, Leiter der Abteilung für Physiologie und Zellbiologie am Leibniz-Institut für Pflanzengenetik und Kulturpflanzenforschung (IPK) in Gatersleben.

Ein Blick auf die Fördermittelverteilung des BMBF im Leistungsbereich Pflanzenforschung zeigt: Gatersleben, Potsdam und Köln sind die drei wichtigsten Standorte hierzulande.

Außerhalb Europas ist die Forschung in Bewegung

Sollte die Deregulierung der Genomeditierung scheitern, hätte das Folgen für den Forschungsstandort. “Die Forschung findet dort statt, wo Freisetzung von genomeditierten Pflanzen nicht so restriktiv gehandhabt wird wie hier. Wir riskieren auch, dass viele Forscher abwandern”, sagt von Wirén. Vor allem in China, Amerika und Afrika sei in dieser Hinsicht derzeit viel in Bewegung und auch das International Rice Research Institute in Indien mache inzwischen Feldversuche mit eigenen genomeditierten Sorten. 

Die Entwicklung der BMBF-Fördergelder, die vom Ministerium direkt der Pflanzenforschung zugeordnet werden, spiegelt wider, dass der Bereich hierzulande nicht gerade boomt (siehe Grafik). Für die Pflanzenforschung in Deutschland sind neben den Fördermitteln des BMBF auch die der DFG sowie des European Research Council wichtig und eigentlich auch die des BMEL.

Das aktuell bedeutendste Förderprogramm des BMBF “Pflanzenzüchtungsforschung für die Bioökonomie” befindet sich derzeit in der dritten Phase. Von 2022 bis 2025 sind dafür 11 Millionen Euro vorgesehen. In Phase 2 (2019 bis 2023) waren es 21,3 Millionen Euro.

Bessere Förderung gewünscht

Insbesondere vom Landwirtschaftsministerium sind viele Forscher jedoch enttäuscht. “Nach dem Regierungswechsel gab es bei den Förderprogrammen zunächst eine große Lücke”, berichtet von Wirén. “Wir haben fast ein Jahr auf Entscheidungen zu bereits gestellten Forschungsanträgen gewartet. Wir mussten dann feststellen, dass ein Teil der neuen Ausschreibungen hinsichtlich der wissenschaftlichen Methoden nicht mehr offen ist, sondern Methoden gefördert werden, die dem ökologischen Landbau zu eigen sind.” Damit sperre man sich gegen wissenschaftliche Erkenntnisse. “Sinnvoller wäre es, bei Forschungsprojekten ihren Beitrag zur Verbesserung der Nachhaltigkeit in landwirtschaftlichen Anbausystemen zu bewerten.” 

Auch die GFPI wünscht sich stärkere Unterstützung vonseiten der Ministerien, sagt Lütke Entrup. “Aktuell hoffen wir auf Bewilligung eines Forschungsantrags im Rahmen des Programms zur Innovationsförderung des BMEL. Wir wollen für drei Kulturarten – Gerste, Kartoffeln und Raps – ein Genomeditierungssystem für die breite Anwendung weiterentwickeln.” Damit seien jedoch nur drei von 115 züchterisch bearbeiteten Kulturarten in Deutschland abgedeckt. “Es gäbe also viel mehr zu tun.”

Großbritannien macht die Liberalisierung vor

Derweil geht es in Großbritannien nach dem Brexit voran mit der Grünen Gentechnik. Dort trat am 23. März der “Genetic Technology (Precision Breeding) Act” in Kraft, der die kommerzielle Entwicklung geneditierter Lebensmittel ermöglicht. Er lässt nur genetische Veränderungen zu, die auch auf natürlichem Wege oder durch herkömmliche, bereits heute angewandte Kreuzungsprogramme hätten erzeugt werden können. Datenanalyse: Marie Gundlach

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Europa als globales Kraftzentrum für Deep-Tech-Innovationen positionieren

EU-Kommissarin Mariya Gabriel: Deep-Tech-Innovation in den Branchen Fertigung, Maschinenbau, Landwirtschaft und Energie stärken.

Das Silicon Valley gilt weltweit als der Olymp der Innovationen. Mit welchen Erwartungen kamen Sie als Europäerin nach Kalifornien? 

Ich hatte das Valley im vergangenen Oktober das erste Mal besucht, um dort unsere neue EU-Innovationsagenda vorzustellen. Schon damals konnte ich die anhaltende Faszination des Silicon Valley für digitale Pioniere spüren. Jetzt im März hatten wir ein größeres Event organisiert – die European Innovation Days – mit dem Ziel, Innovatoren und Investoren aus den USA auf die Chancen des Standorts Europa aufmerksam zu machen. Dies richtete sich sowohl an Gründer, die ein Start-up in Europa eröffnen wollen, als auch an Experten, die an einer Tätigkeit für europäische Firmen oder Wissenschaftseinrichtungen interessiert sind. Unsere Absicht war es, Innovatoren aus dem Silicon Valley in das europäische Ökosystem für Deep-Tech-Innovation zu locken.   

Wie haben Sie die europäische Innovationslandschaft inhaltlich präsentiert? 

Wie von der Neuen Europäische Innovationsagenda vorgegeben, wollten wir Europa als globales Kraftzentrum für Deep-Tech-Innovation positionieren. Das stützte sich insbesondere auf die Branchen mit hohem Technologieanteil wie Bauwesen, Landwirtschaft, Ingenieurwesen, Energie und Transport. Vor Ort stellten wir fest, dass sich Europa auch in anderen Branchen, einschließlich der Luft- und Raumfahrt, bei Innovationen auf Augenhöhe mit den USA sehen lassen kann.  

Der Höhepunkt der EU-Innovationstage war die “European Innovation Agora”, die alle Akteure des europäischen Innovationsökosystems präsentierte und großes Interesse aus dem amerikanischen Ökosystem auf sich zog. Dort wurde auch die “EU Innovation Talent Platform” ins Leben gerufen, um Innovatoren im Silicon Valley dauerhaft in Verbindung mit den europäischen Angeboten zu bringen.  

Zurück aus den USA, was sind Ihre “lessons learned”?  

Die wichtigste Lektion ist, dass die EU und die USA gleichberechtigte Partner sind, wenn es um Innovationen im Deep-Tech-Bereich geht. Die auch darauf ausgerichtet sind, unsere großen gesellschaftlichen Herausforderungen zu lösen. Es zeigte sich, dass Europa für das Innovationsökosystem des Silicon Valley ein verlässlicher Partner auf Augenhöhe ist, wenn es um Innovationen im Hardware- wie auch im biologischen Bereich geht. Für uns ist DeepTech die neue Innovationswelle, bei der Europa eine führende Rolle einnehmen soll.  

Bei unserem Auftreten in Silicon Valley wurden wir auch darin bestärkt, unsere Bemühungen auf die Sektoren zu konzentrieren, in denen die EU im Bereich der Deep-Tech-Innovation stärker als die Wettbewerber ist. Das sind Branchen wie Fertigung, Maschinenbau, Landwirtschaft und Energie, um die wichtigsten zu nennen.  

Wie geht es weiter? Welche Kooperationsplanungen haben Sie für die Zukunft?  

Die neu gestartete EU Innovation Talent Platform wird einen klaren Weg für diejenigen aufzeigen, die nach Europa kommen wollen, um hier ihre Start-ups im Bereich Deep-Tech-Innovationen zu gründen und auszubauen. Wir gehen davon aus, dass diese Plattform zur zentralen Anlaufstelle für Innovatoren wird, die nach Europa ziehen wollen.  

Es gab während unseres Aufenthalts auch ein Treffen mit den Konsulaten von 13 EU-Mitgliedstaaten im Silicon Valley, bei dem die Idee für einen “Team-Europa-Ansatz” entstanden ist. Das bedeutet, mit allen Konsulaten zusammenzuarbeiten, um unsere Aktivitäten im Silicon Valley zu ergänzen. Das bezieht sich auch auf die ersten Interessensbekundungen von Start-ups, die an einem Umzug in die EU interessiert sind. In der Planung ist auch eine weitere Mission in der Bay Area im kommenden Oktober, um die Brücken zwischen EU- und US-Ökosystemen mit bidirektionalen Bewegungen von Kapital und Talenten im Bereich der Deep-Tech-Innovation zu festigen. Die nächste Mission soll sich auf bestimmte Industriesektoren konzentrieren, in denen Europa besonders stark ist. Die Auswahl trifft die Begleitgruppe vom März zusammen mit dem “European Sounding Board for Innovation“. Außerdem überlegen wir, die europäischen Innovationsleistungen auch in anderen Regionen der USA, wie etwa in Austin, Texas zu präsentieren. 

Die bulgarische Europa-Politikerin Maryia Gabriel bekleidet seit 2019 das Amt der EU-Kommissarin für Forschung, Innovation und Bildung, Kultur und Jugend. 

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Iter: Kostspielige Verzögerungen drohen

Baustelle des ITER-Kernforschungszentrums im südfranzösischen Cadarache.

22 Milliarden Euro wird der Kernfusionsreaktor Iter mindestens kosten. Allein im EU-Finanzrahmen 2021-2027 sind 5,6 Milliarden für die Finanzierung des Reaktors vorgesehen. Dass diese Summen nicht ausreichen werden, ist in der Forschungspolitik kein Geheimnis mehr. Auch im Forschungsausschuss am Mittwoch, als der Bericht zum Priorisierungsverfahren für große Forschungsinfrastrukturen (FIS-Roadmap) auf der Tagesordnung stand, wurde Iter zum Thema.

Erst in der vergangenen Woche hatte das BMBF bekannt gegeben, dass der Bund und das Land Hessen rund eine halbe Milliarde Euro mehr für den Teilchenbeschleuniger Fair zahlen müssen. Daher lag die Frage von Petra Sitte (Linke) nah, ob auch beim Iter bald die nächsten Mehrkosten für den deutschen Steuerzahler drohen. Der berichterstattende BMBF-Staatssekretär Mario Brandenburg verwies zunächst auf die indirekte Beteiligung Deutschlands an dem Forschungbau – Iter wird mit EU-Mitteln bezahlt. Dann folgte seine persönliche Einschätzung: die derzeitigen Verzögerungen werden Kostensteigerungen nach sich ziehen.

Kostenkalkulation beruht auf Zahlen von 2016

Fest steht: Die Kostensimulation des Iter beruht derzeit auf einer veralteten Hochrechnung von 2016. Eine neue Berechnung hinsichtlich des Kosten- und Zeitplans sei in Arbeit, bestätigt ein Sprecher der Iter-Organisation. In den letzten Jahren kam es nicht zuletzt durch die Corona-Pandemie zu signifikanten Verzögerungen.

Nach der letzten offiziellen Timeline sollte das erste Plasma im Dezember 2025 gezündet werden. Die Experimente mit Tritium und Deuterium waren für 2035 angesetzt. Diese Timeline sei nicht mehr realistisch, so der Sprecher. Der Krieg in der Ukraine bringt den Zeitplan weiter durcheinander. Russland gehört zu den Iter-Staaten: Eines der zentralen Bauteile des Iter, ein Riesenmagnet, wurde unter der Aufsicht der russischen Atombehörde Rosatom hergestellt: 200 Tonnen schwer, 9 Meter Durchmesser. Herstellungsdauer: etwa zehn Jahre.

Atomaufsichtsbehörde übt Kritik

Auch deswegen ist das Reaktorprojekt eine der wenigen Ausnahmen der EU-Sanktionen gegen Moskau. Mitte Februar ist das Schiff mit dem Magneten aus Sankt Petersburg in Marseille eingelaufen. In Cadarache arbeiteten zurzeit etwa 70 russische Wissenschaftler. Iter sei keine politische Behörde, Russland habe versprochen, seine Verpflichtungen einzuhalten, so heißt es. Kritik gibt es, wenn überhaupt, dann nur versteckt. Im EU-Haushaltsplan von 2023 ist von einem “Reputationsrisiko” die Rede. Der Iter-Vertrag sieht derweil den Rückzug eines Partnerlandes gar nicht vor.

Die Verzögerungen des Iter-Projektes sind allerdings auch auf Probleme mit der französischen Nuklear-Aufsichtsbehörde ASN zurückzuführen. In deren Protokollen ist die Rede von “mangelnder Sicherheitskultur“, “nicht-behobenen Nichtkonformitäten” und “Schwierigkeiten, Informationen und Dokumente zu erhalten”. Das sei eine starke Kritik, sagt Mathieu Masson, stellvertretender Leiter der Sektion Marseille der ASN und für die Iter-Kontrollen verantwortlich.

Signifikante Abweichungen bei Bauteilen

Er erläutert: “Was wir als ‘Sicherheitskultur’ bezeichnen, ist die Fähigkeit des Betreibers, die Risiken, die seine Tätigkeit mit sich bringt, zu beherrschen.” Derzeit befinde sich Iter in der Bauphase, die Herausforderungen an die Sicherheit seien daher gering. “Aber wir müssen sicher sein, dass das Risikomanagement für die Planungs- und Bauphase zufriedenstellend ist, bevor irreversible Bauvorgänge anstehen”, fordert Masson.

Ein solcher Bauvorgang ist die Montage des Vakuumgefäßes, in dem das für die Plasmafusion notwendige Magnetfeld erzeugt wird. Hier herrscht Baustopp, denn die dazu nötigen Teile zeigen signifikante Abweichungen auf. Der Grund: Die Teile stammen von verschiedenen Herstellern auf verschiedenen Kontinenten.

Hartmut Zohm, Physiker am beteiligten Max-Planck-Institut für Plasmaphysik (IPP), sieht die Probleme im Grundanliegen des Iter begründet: “Das ist vielleicht im Sinne dessen, dass jeder Iter-Partner die Technologie lernt”, sagt Hartmut Zohm. Allerdings sei es nicht effizient. “Ein Unternehmen würde nie auf die Idee kommen, vier Räder für das gleiche Auto von vier Herstellern auf drei Kontinenten bauen zu lassen.”

Projekt ist politisch aufgeladen

Zohm kritisiert, dass das Iter-Team in Cadarache keine Kontrolle über die Hersteller hat. Die Ingenieure können erst dann kontrollieren, ob Bauteile konform sind und passen, wenn sie in Cadarache ankommen. Mit teuren Folgen, denn manche Teile müssen nun erst einmal angepasst oder repariert werden, bevor die ASN grünes Licht für die Zusammensetzung gibt.

Auf die Probleme hatte Anfang des Jahres auch die Wissenschaftliche Direktorin des IPP, Sibylle Günter im Interview mit Table.Media hingewiesen. Das Projekt Iter sei von Beginn an politisch aufgeladen, so die Wissenschaftlerin. “Es sollte schon im Kalten Krieg zeigen: Wir arbeiten trotz der Auseinandersetzungen zusammen. Jeder Partner soll jede Technologie lernen. Daher werden Bauteile gleicher Art von jedem Partner zugeliefert. Die kommen am Iter an und dann beten alle, dass das zusammenpasst”, sagte Sybille Günter.

EU verbucht Iter-Ausgaben als Klimakosten

Fraglich ist derweil auch, wie motiviert die EU ist, die Kosten für den Iter-Reaktor im Rahmen zu halten. Iter hilft nämlich dabei, ein selbstgestecktes Ziel bei den Klimaausgaben zu erreichen. Obwohl eine kommerzielle Stromproduktion durch Kernfusion erst nach 2050 denkbar ist, verbucht die EU die Ausgaben für den Kernfusionsreaktor Iter als Klimafinanzierung. So hat es der EU-Rat bereits 2019 entschieden.

“Obwohl Iter kurz- und mittelfristig nicht direkt zu den Energie- und Klimazielen beiträgt, ist das Potenzial für die Dekarbonisierung der Energielandschaft nach 2050 sehr bedeutend”, liest man dazu im aktuellen Entwurf des EU-Haushaltsplans 2023. Der eigentliche Grund könnte aber sein: Schon unter dem letzten Finanzrahmen schaffte es die EU nicht, das Ziel von 20 Prozent Klimaausgaben zu erreichen, das sie sich selbst setzte, kritisierte der Europäische Rechnungshof 2022 in einem Bericht. Iter hilft hier aus.

Kein signifikanter Beitrag zu 2050er-Klimazielen

Die Prüfer äußerten die Befürchtung, dass die Klimaziele auch unter dem aktuellen Finanzrahmen nicht erreicht werden. “Um klimarelevant zu sein, muss der Haushalt eng mit der Verringerung der Treibhausgasemissionen verknüpft sein”, schlussfolgerten die Prüfer. Darüber, inwiefern das bei Iter zutrifft, äußerten sie sich nicht, denn im letzten Finanzrahmen galten die Beiträge noch nicht als Klimafinanzierung.

Die EU-Kommission hatte ihrerseits in den letzten Jahren rund eine Million Euro für verschiedenste Studien ausgegeben, um den wirtschaftlichen Mehrwert des Versuchsreaktors herauszuarbeiten. In einer Studie von 2018 über die Auswirkungen der Iter-Aktivitäten in der EU heißt es dort: “Auch wenn Iter zum Ziel hat, einen Beitrag zur Entwicklung einer kommerziellen Fusionstechnologie zu leisten, liegt dies noch so weit in der Zukunft, dass es nicht der entscheidende Treiber” ist. Und: “Es ist nicht realistisch, dass ITER und DEMO – der Demonstrationsreaktor, der im Anschluss an Iter gebaut werden soll – einen signifikanten Beitrag zu den 2050er Energie- und Klimazielen leisten.” Mit Tim Gabel

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Europas erster Lithium-Konverter entsteht in Brandenburg

Eine Bahntrasse am Waldrand südlich der deutsch-polnischen Grenzstadt Guben, einige Hundert Meter von der Neiße entfernt: Hier sollen bald Güterwaggons gefüllt mit Lithium-Gestein aus Kanada ankommen. Auf der angrenzenden Brachfläche, wo bislang nur einige Sandberge zu sehen sind, soll in zwei Jahren Europas erster Lithium-Konverter den Betrieb aufnehmen. Das deutsch-kanadische Unternehmen Rock Tech baut hier eine Industrieanlage, die das lithiumhaltige Gestein zu Lithiumhydroxid weiterverarbeitet – was pro Jahr für 500.000 Batterien für Elektroautos reichen soll. Beim Spatenstich hat Rock Tech gestern die Baupläne vorgestellt.

Lokale Wertschöpfung, Ziele für die Kreislaufwirtschaft, schnelle Genehmigungsverfahren und ein gleichzeitiger Ausbau strategischer Rohstoffpartnerschaften: Das Projekt in Brandenburg ist ein Paradebeispiel der europäischen Rohstoffstrategie, welche die EU-Kommission vor Kurzem durch einen Gesetzesvorschlag untermauert hat.

24.000 Tonnen Lithiumhydroxid pro Jahr soll der Konverter in Guben ab 2026 herstellen und an die lokale Kathoden- und Batterieproduktion liefern. 40 Prozent des Materials wird Mercedes-Benz für die E-Auto-Produktion abnehmen.

Chance für nachhaltigen Strukturwandel

“Brandenburg deckt damit künftig die komplette Wertschöpfungskette von der Rohstoffaufbereitung über die Batterie- und Zellfertigung bis zu E-Autobau sowie Batterierecycling ab”, sagte der brandenburgische Wirtschaftsminister Jörg Steinbach (SPD) während der Veranstaltung.

Nach Angaben der Wirtschaftsförderung Brandenburg (WFBB) sind bereits 33 Unternehmen und neun Forschungsinstitute im Bundesland an der Wertschöpfungskette für Batterien beteiligt; weitere Investitionen sind im Bau oder in Vorbereitung. Neben der Lithiumverarbeitung durch Rock Tech und dem Tesla-Werk in Grünheide stellt etwa BASF in seinem Werk in Schwarzheide Kathodenmaterial her. Das Unternehmen plant außerdem, Anfang 2024 am selben Standort eine Recyclinganlage für schwarze Masse aus Batterien in Betrieb zu nehmen.

Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) erklärte, Brandenburg zeige, wie eine auf die klimaneutrale Zukunft ausgerichtete Wirtschaftspolitik sein müsse. Die neuen Arbeitsplätze in der Batterie-Wertschöpfungskette ersetzten solche, die durch den Kohleausstieg wegfielen. Gleichzeitig forderte er Respekt vor den Menschen, die von diesen Veränderungen betroffen seien.

Rohstoffe aus Kanada und Australien

In gewisser Weise findet in diesem Projekt der Critical Raw Materials Act Anwendung, bevor er überhaupt in Kraft getreten ist. Das Genehmigungsverfahren erfuhr starke politische Unterstützung und wurde beschleunigt – zwei Jahre nach der Entscheidung für den Standort Guben kann Rock Tech dank einer Genehmigung zum vorzeitigen Beginn bereits mit den Testarbeiten und Vorbereitungen beginnen. Eine zweite Teilgenehmigung steht noch aus, wird aber bis Ende des Jahres erwartet.

Das Lithium-Mineral Spodumen soll zunächst vor allem aus Rock Techs Bergbauprojekt im kanadischen Ontario bezogen werden. Kanada gilt als einer der vielversprechendsten Rohstoffpartner der EU. Auch aus Australien, wo es die weltweit größten Spodumen-Vorkommen gibt, könnte der Rohstoff in Zukunft geliefert werden. Die EU und Australien wollen demnächst ein Freihandelsabkommen abschließen, das auch ein Kapitel zu kritischen Rohstoffen enthalten soll.

Europa drohe nicht mehr nur von China und Südkorea abgehängt zu werden, sondern nun auch von Nordamerika, sagte Dirk Harbecke, CEO von Rock Tech. Die Subventionsprogramme des Inflation Reduction Acts machten es für viele Firmen attraktiver, Produktionsstätten in den USA aufzubauen. “Wir brauchen aber eine stabile Versorgungskette für Batteriezellen hier bei uns in Europa”, betonte er. “Und dafür brauchen wir auch die Unterstützung der Politik”.

Hoffnung auf EU-Förderung

Von den kürzlich angekündigten EU-Förderprogrammen zur Unterstützung von strategischen Zukunftstechnologien erhofft Harbecke sich auch positive Auswirkungen für den Lithium-Konverter. Die EU-Kommission schlägt im Net Zero Industry Act vormindestens 85 Prozent des jährlichen EU-Bedarfs an Batterien solle aus eigener Produktion stammen. Die Projekte sollen finanzielle Förderung über den Innovationsfonds und über InvestEU erhalten.

Der gleichzeitig vorgestellte Critical Raw Materials Act sieht vor, bis 2030 mindestens 40 Prozent des jährlichen EU-Bedarfs an strategischen Rohstoffen wie Lithium durch heimische Weiterverarbeitung zu decken. Ob der Lithium-Konverter sich als sogenanntes strategisches Projekt bewerben kann, um von der entsprechenden Förderung zu profitieren, sei noch nicht klar, erklärte ein Sprecher von Rock Tech.

Bei der Europäischen Investitionsbank (EIB) wird jedoch bereits eine Förderung in Höhe von 150 Millionen Euro geprüft, was knapp einem Viertel der erwarteten Kosten entspricht. Neben dem Projekt in Guben plant Rock Tech drei weitere Konverter in Europa und einen in Nordamerika.

Ziel: Kreislaufwirtschaft und Zero Waste

Rock Tech hat sich nach eigenen Angaben zum Ziel gesetzt, das “erste zirkuläre Lithiumunternehmen der Welt zu werden”. Im Gubener Lithium-Konverter soll bis 2030 etwa 50 Prozent Recyclingmaterial eingesetzt werden – dies sei jedoch abhängig davon, wie gut der Markt funktioniere, erklärte ein Sprecher.

Geht es nach dem Kommissionsentwurf für den Critical Raw Materials Act, sollen 2030 mindestens 15 Prozent des Rohstoffbedarfs aus dem Recycling stammen. Die lange Nutzung der Batterien verzögert jedoch den Hochlauf der Kapazitäten: Batterien von E-Fahrzeugen sind rund 15 Jahre im Gebrauch. Experten rechnen damit, dass der europäische Recyclingmarkt für Lithium-Ionen-Batterien, zeitversetzt mit dem Wachstum der Elektromobilität, in den kommenden zwanzig Jahren stark wachsen und spätestens Mitte der 2020er-Jahre anziehen wird.

Um Innovationen für kreislauffähige Lithium- und Wasserstoffproduktion zu entwickeln, beteiligt sich Rock Tech gemeinsam mit der Baustoffindustrie am Deutschen Lithiuminstitut (ITEL) in Halle. Dort soll neben der CO₂-neutralen Produktion auch die Nutzung der Nebenprodukte erforscht werden, die beispielsweise für die Gips- und Zementindustrie verwendet werden könnten. Die angekündigte Zero Waste-Strategie bleibt erst einmal nur ein Versprechen.

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Innovationen: Von Schweden, Finnland und UK lernen

Die Zahlen des Europäischen Patentamts (EPA) für 2022 signalisieren, dass Deutschland sich anstrengen muss, wenn es bei Patentanmeldungen nicht zurückfallen will. Insgesamt stiegen die Patentanmeldungen bei der EPA um 2,5 Prozent auf 193.460. Unter dem Spitzenquintett verzeichneten die USA, China und Frankreich eine Zunahme, Japan ein leichtes Minus und nur Deutschland einen deutlichen Rückgang um 4,7 Prozent.

In den vergangenen zehn Jahren fiel der Anteil deutscher Anmeldungen bei der EPA sogar von 17,9 Prozent auf 12,8. Wenn es darum geht, den Trend zu stoppen und bei Innovation zu punkten, könnte Deutschland einiges von anderen Ländern lernen. Das ist das Ergebnis einer Gemeinschaftsstudie des Thinktanks Progressives Zentrum und der Hertie School of Governance, die am Montagabend in Berlin vorgestellt wurde.

Gezielt haben sich die Studien-Autoren Maik Bohne, Anke Hassel und Daniela Blaschke dafür entschieden, Deutschland in puncto Innovation nicht mit den USA oder China zu vergleichen, sondern mit einer Reihe anderer Staaten, die hinsichtlich ihrer Struktur eine größere Ähnlichkeit aufweisen. Deutschland hinke bei der Innovation hinterher, sagte Anke Hassel, die an der Hertie School of Governance Public Policy lehrt.

Es gebe einige Blockaden, die sich negativ auf Innovationen auswirkten, “andere Länder sind dort anders aufgestellt”. Die Wissenschaftlerin erklärt dies unter anderem damit, dass Deutschland über eine lange Zeit mit seinem Wirtschaftsmodell erfolgreich gewesen sei. Andere Länder seien früher gezwungen gewesen, sich zu verändern, ob die Niederlande, Finnland oder Schweden. Die Wissenschaftler identifizieren in der Studie unterschiedliche Strategien anderer Länder.

Niederlande machen Gründungen von Unternehmen leicht

Die Niederlande belegen im Global Innovation Index 2022 den fünften Platz, wozu besonders die hohe Gründungsdynamik beiträgt. Dabei gibt es gleichzeitig international führende Großunternehmen wie Philips, ASML, Unilever und Shell sowie eine große Zahl von Start-ups. Das Land liegt auf dem zweiten Platz, wenn es darum geht, Unternehmensgründungen leicht zu machen. Allerdings beschäftigen die neu gegründeten Firmen wenige Menschen.

Die Niederlande würden ihre Innovationspolitik “konsistent ausgestalten und das Land verbindlich auf gemeinsame Innovationsschwerpunkte ausrichten”, heißt es in der Studie. Dazu legte das Land 2011 zehn Topsektoren fest, unter anderem Landwirtschaft und Ernährung, Chemie, Wasser & maritime Wirtschaft und Digitalisierung. Für diese Sektoren gebe es konkrete gesellschaftliche Missionen wie die Einführung einer vollständigen zirkulären Wirtschaft bis 2040. Zudem legte die Regierung fest, welche finanziellen Ressourcen für die Umsetzung der Missionen jeweils hinterlegt sein müssen und welche Forschungskapazitäten geschaffen werden sollen.

Innovationsräte in Schweden und Finnland

Die beiden skandinavischen Länder Finnland und Schweden sind bei Innovationen stark, Schweden liegt beim Global Innovation Index auf Rang 3, Finnland auf Rang 9, einen hinter Deutschland, was auf Rang 8 liegt. Allerdings punkten die beiden skandinavischen Länder damit, dass es “leicht scheint”, dort Ideen in die gesellschaftliche und wirtschaftliche Praxis zu übertragen. Beide Länder haben auch gute übergreifende Rahmenbedingungen für unternehmerische Aktivitäten geschaffen. Finnland hat sich nach dem Abstieg des Mobilfunkkonzerns Nokia zu einem “Hotspot für Start-up-Unternehmen entwickelt”.

Eine wichtige Rolle spielte dabei die Entscheidung in Espoo mehrere Bildungseinrichtungen zur Aalto-Universität zusammenzulegen. Rund um den Campus werden jährlich 80 neue Unternehmen gegründet. Bei der Zahl der angemeldeten Patente liegt die Stadt in Europa heute auf Platz sechs. Die Prägung der Menschen in Finnland beginne bereits in der Schule, heißt es. Beide Länder hätten sich auf einen politischen Grundkonsens mit Blick auf Innovationen geeinigt.

Schweden richtete seine Strategie an sechs übergreifenden Missionen aus: Gesundheit, Bioökonomie, Energieversorgung, Transport, Klimawandel und Ressourcen sowie sichere Gesellschaft. Auch Finnland habe sich für einen systemischen Ansatz entschieden und nahm sich vor, jährlich vier Prozent des BIP für Forschungs- und Innovationsaktivitäten bereitzustellen. Derzeit arbeite die Regierung an einer missionsübergreifenden Innovationsagenda.

In beiden Ländern gibt es Innovationsräte, die institutionell bei den Ministerpräsidenten aufgehängt sind. In Schweden tagt der Rat halbjährlich in wechselnden Regionen und analysiert die dortigen Innovationsökosysteme. Die Räte spielen in beiden Ländern eine wichtige Rolle für die strategische Vorausschau und Konsensfindung.

Innovationsagenturen in Großbritannien

Trotz aller Probleme zählt Großbritannien zu den innovationsstärksten Ländern weltweit. Auffallend sei die “ungebrochene Gründungsmentalität”, heißt es in der Studie. In dem Land könnten sich mehr als die Hälfte der Menschen vorstellen, ein Unternehmen zu gründen, ohne Angst vor einem Scheitern zu haben. Als eines von wenigen Ländern verfüge Großbritannien über ein eigenes Innovationsministerium. Vier Missionen verfolge die Regierung: sauberes Wachstum, Künstliche Intelligenz und Datenwirtschaft, alternde Bevölkerung und Zukunft der Mobilität.

Einzigartig sei, dass diese Missionen von zwei Innovationsagenturen in sehr konkrete Programme umgesetzt würden. So entstand ein Programm, das eine “auch für Deutschland sehr interessante Initiative etabliert”. Bei dem Knowledge Transfer Partnership Programme würden Unternehmen und NGO gezielt mit Nachwuchswissenschaftlern an ausgewählten Hochschulen zusammengebracht. Am Anfange stehe stets “ein Innovationswunsch aus der Praxis, für den konkrete Lösungen gefunden werden sollten”. Die Partnerschaft finanzieren Innovationsagentur, beteiligte NGO sowie Unternehmen anteilig über einen Zeitraum von zwölf bis 36 Monaten.

Wichtig sei, dass es in den Ländern nicht bei der Formulierung von abstrakten Missionen bleibe. Sie würden stets “in ein aktives Management überführt – mit konkreten Zielen, Agenden, Maßnahmen und einer auskömmlichen finanziellen Ausstattung”, heißt es in der Studie. Eine solche Missionsorientierung und Operationalisierung ihrer Ziele empfiehlt Politikberaterin Anke Hassel der Ampelkoalition.

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Termine

4. April 2023, 9:30 Uhr, Hotel Hilton, Berlin
Vortrags- und Diskussionsveranstaltung sowie Delegiertenversammlung 73. DHV-Tag “Wissenschaft und Politik: Zu viel Nähe, zu wenig Distanz – oder umgekehrt?” Mehr

5. April 2023, 18:30 Uhr, online
Live-Talk Futures Lounge der Initiative D2030: Die “Zukunftsstrategie” der Bundesregierung: Melange oder Transformationspfad? Zwei Sichtweisen Mehr

3. Mai 2023, 10:00-18:30 Uhr, Alte Münze, Berlin
Festival InnoNation Festival des Bundesverbands der Deutschen Industrie Mehr

5. Mai 2023, 9:30-11:45 Uhr, Südwerk Bürgerzentrum Südstadt, Karlsruhe
Konferenz WissKon – NaWik-Konferenz für kommunizierende Forschende: Rücken- und Gegenwind für die Wissenschaftskommunikation Mehr

News

Ab 2024: Land Bayern finanziert Zweidrittel der Acatech

Die Gemeinsame Wissenschaftskonferenz (GWK) hat die Finanzstruktur der Deutschen Akademie der Technikwissenschaften (acatech) geändert. Bisher wird die institutionelle Förderung von Bund und Ländern in Höhe von 3,75 Millionen Euro je zu einem Drittel durch den Bund, den Freistaat Bayern und durch alle Länder erbracht. Mit Inkrafttreten der neuen Ausführungsregelung zum 1. Januar 2024 übernimmt der Bund weiterhin ein Drittel und das Land Bayern künftig zwei Drittel der institutionellen Förderung, deren Höhe insgesamt gleich bleibt. Bayern übernimmt also zusätzlich den bisherigen Länderanteil von 1,25 Millionen Euro.  

Der Schritt habe rein administrative Gründe, erklärt ein acatech-Sprecher. “Die anteilige Finanzierung durch den Bund und alle Bundesländer ist administrativ sehr anspruchsvoll. Die neue Regelung bringt eine erhebliche administrative Vereinfachung für alle Beteiligten.”  

Einfluss des Bundes bleibt erhalten

Dass ab dem kommendem Jahr dann doch mehr Projekte aus Bayern eine acatech-Unterstützung finden könnten, stehe nicht zu befürchten, erklärt eine Sprecherin der GWK. Der Charakter der Akademie als eine deutschlandweite und darüber hinaus agierende Institution sei in der neuen Regelung festgehalten. “Es ist auch klargestellt, dass mit der Förderung der gesamtstaatliche Zweck verfolgt wird, Initiativen zur Förderung der Technik in Deutschland und dabei vor allem das öffentliche Verständnis für die Bedeutung zukunftsweisender Technologien zu stärken.” Die Einflussmöglichkeiten des Bundes steigen zudem über neue Konsultationsmechanismen. Der Bund sei in der Projektförderung von acatech engagiert und nehme auch darüber Einfluss. nik 

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Sorge vor Wissenschaftsskepsis in Österreich

In Österreich mehren sich wissenschaftsskeptische Äußerungen und Handlungen der Politik. Zuerst sprach Kanzler Nehammer von einer “Expertenhörigkeit” während der Coronapandemie und davon, dass diese Experten nun ihre “Entscheidungen” erklären sollten. Dann von einem “Untergangsirrsinn” in Bezug auf Warnungen vor dem Klimawandel. In der vergangenen Woche folgte das Arbeitsübereinkommen und damit die Koalition der ÖVP mit der FPÖ in Niederösterreich. Damit verbunden: Eine Empfehlung an die Hochschulen, nicht mehr zu gendern; eine Art Corona-Versöhnungsfonds, mit dem Strafen aus der Corona-Zeit zurückerstattet werden sollen sowie ein geplantes Verbot von Werbung für Impfungen. Dazu kommt eine fremdenfeindliche Ausrichtung im Bereich der Integrationspolitik, die durch zahlreiche Äußerungen von FPÖ-Politikern unterlegt wird

Mangelnde Wertschätzung der Wissenschaft durch die Politik

Die Reaktionen aus der Wissenschaft folgten prompt: Die österreichische Universitätenkonferenz (uniko) zeigt sich in einer Stellungnahme “angesichts der jüngsten innenpolitischen Entwicklungen äußerst besorgt über die Ignoranz wissenschaftlicher Evidenz bzw. die mangelnde Wertschätzung gegenüber Forscherinnen und Forschern”. Dies stehe in krassem Gegensatz zu den jüngsten Bemühungen, das Vertrauen in die Wissenschaft zu stärken. Erst Ende 2022 hatte Wissenschaftsminister Martin Polaschek einen 10-Punkte-Plan für mehr Vertrauen präsentiert. 

Auch einzelne Forscher sind empört. Für den Virologen Andreas Bergthaler waren die politischen Entwicklungen ein Grund, sich früher als geplant aus der Corona-Beratungskommission Gecko zurückzuziehen. Und Onkologe Christoph Zielinski sieht in einem Kommentar für den Standard Österreich auf dem Weg in eine wissenschaftsfeindliche “Bananenrepublik”. mw

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Katharina Fegebank zur Wissenschaftsministerin des Jahres gewählt

Im Jahr 2020 war sie schon einmal ganz vorne. Nun ist die Hamburger Wissenschaftssenatorin Katharina Fegebank (Bündnis 90/Grüne) von den Mitgliedern des Deutschen Hochschulverbands (DHV) erneut zur Wissenschaftsministerin des Jahres gewählt worden. Die Abstimmung erfolgte Ende 2022 per Online-Umfrage unter den 33.000 Mitgliedern des Verbands, 2.388 beteiligten sich – und bewerteten Fegebanks hochschul- und wissenschaftspolitische Leistungen mit der Note 2,72.

Armin Willingmann (SPD), Wissenschaftsminister in Sachsen-Anhalt erhielt bei der an Schulnoten orientierten Bewertung mit 2,82 die zweitbeste Note. Auf Platz drei kommt mit 2,86 Theresia Bauer (Bündnis 90/Die Grünen), bis Ende September 2022 Wissenschaftsministerin in Baden-Württemberg.

Stark-Watzinger auf Platz 12

Auf Platz 12: Bundesforschungsministerin Bettina Stark-Watzinger (Note 3,81). Angekreidet werden ihr mangelnde Durchsetzungskraft und fehlende Sichtbarkeit, aber auch Kürzungen bei der Forschungsförderung. Den letzten Platz im Ranking hat mit der Note 4,22 Bettina Martin (SPD) aus Mecklenburg-Vorpommern.

Die “Wissenschaftsministerin des Jahres” wird im Rahmen der Gala der Deutschen Wissenschaft geehrt, die am 3. April am Vorabend des 73. DHV-Tags in Berlin stattfinden wird. Dort wird auch der ebenfalls per Online-Umfrage ermittelte Rektor des Jahres ausgezeichnet: Es ist Michael Hoch von der Universität Bonn, der die Note 1,6 erhielt. abg

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Forschungsgipfel in Berlin: Ruf nach Tempo bei der Transformation

Die Digitalisierung der Gesundheitswirtschaft und die Energiewende müssen nachhaltig beschleunigt werden. Diese Botschaft ging vom Forschungsgipfel am Dienstag in Berlin aus. Im Kern ging es auf der Veranstaltung von Stifterverband, Leopoldina, Volkswagenstiftung und der Expertenkommission Forschung und Innovation (EFI) vor allem um die Frage, wie die digitale Transformation in Deutschland endlich gelingen kann. “Wir müssen schneller werden, und wir werden schneller”, sagte Arbeitsminister Hubertus Heil, der als Keynote-Speaker kurzfristig für Bundeskanzler Olaf Scholz eingesprungen war.

Von dem Motto des Forschungsgipfels “Blockaden lösen, Chancen nutzen” solle auch ein starkes Signal an den Koalitionsausschuss ausgehen, dem der Kanzler wegen der vertagten Diskussion weiter beiwohnen musste, sagte Heil. Die Bundesregierung habe mit der Allianz für Transformation und dem im Koalitionsvertrag vereinbarten Ziel, 3,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Forschung und Entwicklung zur Verfügung zu stellen, die notwendigen Weichen gestellt. Aus Sicht des Arbeitsministers brauche es angesichts des Fachkräftemangels aber auch ein effizientes Einwanderungsrecht.

Die elektronische Patientenakte beschleunigen

Die Regierung dürfe nicht in den alten Trott zurückfallen, sagte Uwe Cantner, Vorsitzender der Expertenkommission Forschung und Innovation (EFI). Vorhandende Strategien müssen nun mit einer Roadmap versehen werden. Auf “exogene Schocks” wie die Gaskrise und die Pandemie sei gut reagiert worden. Krisen wie sie durch den Klimawandel entstehen können, seien aber schon jetzt absehbar. Konzepte für eine längerfristige, nachhaltige Beschleunigung mahnte auch Michael Kaschke, Präsident des Stifterverbands an.

Wie groß die Chancen einer erfolgreichen Transformation sind, wurde am Beispiel der Digitalisierung der Gesundheitswirtschaft deutlich. So beziffert eine Studie der Unternehmensberatung McKinsey das Nutzenpotenzial einer effizienteren digitalen Gesundheitsversorgung auf 42 Milliarden Euro – pro Jahr. “Das ist eine große Chance, aber der Schlüssel sind die Daten”, sagte Irene Bertschek, stellvertretende EFI-Vorsitzende. So schnell wie möglich müsse Deutschland ein Gesundheitsdatennutzungsgesetz verabschieden und mit der Opt-out-Regelung die Nutzung der elektronischen Patientenakte beschleunigen.

Im Vorfeld hatten die Initiatoren des Gipfels Diskussionspapiere vorgelegt, die teils schon im Titel den Auftrag an die Politik in sich trugen “Eine Beschleunigungsformel für Deutschland” nennt der Stifterverband sein Roadmapping für Zukunftsmissionen. In ihrem Leitfaden für die Transformation der Energiesysteme mahnt die Leopoldina mit den Worten “den kritischen Zeitpunkt nicht verpassen”. Die EFI hatte ihr Gutachten bereits im Februar vorgelegt und die Bundesregierung zu mehr Tempo aufgefordert. In Deep Dives, die allen Interessierten offenstehen, soll über die Transformation des Energiesystems und die Digitalisierung der Gesundheitswirtschaft am heutigen Donnerstag und morgigen Freitag weiter beraten werden. abg/tg

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Steffen Mau erhält Communicator-Preis

Für seinen “mutigen Kommunikationsansatz” sowie eine beeindruckende Vielfalt an Formaten wird der Berliner Soziologe Steffen Mau (54) mit dem Communicator-Preis 2023 der DFG und des Stifterverbands geehrt. Die mit 50.000 Euro dotierte Auszeichnung wird im Rahmen der DFG-Jahresversammlung am 26. Juni in Saarbrücken überreicht.

Mau gelinge es, Sachkenntnis und Orientierungswissen über Transformationsprozesse in öffentliche Debatten einzubringen und in der Kommunikation anschlussfähig zu bleiben für die Erfahrungen und Perspektiven seines Publikums, teilte die DFG mit.

Der gebürtige Rostocker ist seit 2015 Professor für Makrosoziologie an der Humboldt-Universität zu Berlin. Er befasst sich unter anderem mit sozialer Ungleichheit und Ungerechtigkeit, mit dem Strukturwandel der Mittelschicht und mit neuen Grenzregimen. Bekannt wurde er durch sein 2019 erschienenes Sachbuch “Lütten Klein”, in dem es um sein Leben in der ostdeutschen Transformationsgesellschaft geht. In mehr als 40 Einzelveranstaltungen allein in Ostdeutschland stellte er sich damit den Fragen eines größtenteils nicht akademischen Publikums.

Aktuell engagiert sich Mau in der Debatte um das WissZeitVG

Mau engagiert sich auch für politische Bildung und Demokratieförderung. Seine soziologischen Sachbücher und Essays werden in der Schriftenreihe der Bundeszentrale für politische Bildung einem breiten Publikum zugänglich gemacht. 2012 bis 2018 war er Mitglied der Wissenschaftlichen Kommission des Wissenschaftsrats. Seine wissenschaftlichen Arbeiten wurden bereits vielfach ausgezeichnet, 2021 etwa mit dem Leibniz-Preis.

Aktuell engagiert sich Mau in der Debatte um das WissZeitVG, die von ihm mit initiierte Petition erläuterte er im Interview mit Table.Media. In der Diskussion am heutigen Donnerstag mit BMBF-Staatssekretär Jens Brandenburg gehört er zu den Vertretern der Professorenschaft. abg

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WissZeitVG: Postdoc-Kompromiss gesucht

Nach der umfassenden Kritik an den Eckpunkten des BMBF zur Reform des WissZeitVG, will das Ministerium am heutigen Donnerstag noch einmal mit Interessengruppen und Stakeholdern ins Gespräch kommen. Unter dem Titel “Austausch zur Höchstbefristungsgrenze im Postdoc-Bereich” will das BMBF Alternativen für eine Höchstbefristung von drei Jahren in der Postdoc-Phase diskutieren. Der entsprechende Vorschlag im Eckpunktepapier war Auslöser für eine Vielzahl von Protesten. Zur Diskussion, die von 10 bis 12 Uhr per Livestream übertragen wird, lassen sich auch aus dem virtuellen Raum Fragen an die Moderation beitragen.

Die Veranstaltung ist hochkarätig besetzt: neben dem aktuellen Communicator-Preisträger Steffen Mau (#ProfsfürHanna), haben sich auch der Vorsitzende des Wissenschaftsrats, Wolfgang Wick, die Präsidentin der DFG, Katja Becker und Rüdiger Bachmann von der University of Notre Dame angekündigt. Auch die Präsidenten der Max-Planck-Gesellschaft und der Helmholtz-Gemeinschaft, Martin Stratmann und Otmar Wiestler sind zugegen. Bundesforschungsministerin Bettina Stark-Watzinger kehrt morgen erst im Laufe des Tages von ihrer Reise nach Südafrika und Namibia zurück. Sie wird durch den Parlamentarischen Staatssekretär Jens Brandenburg vertreten.

Postdoktoranden-Netzwerke nicht eingeladen

Vonseiten der Beschäftigten nehmen Amrei Bahr (#ichbinHanna), Mathias Kuhnt (NGAWiss) und Andreas Keller (GEW) teil. Die Seite der Hochschulen vertreten Yvonne Dorf (DHV) und Anja Steinbeck (HRK). Die Gleichstellungsbeauftragten sind durch Canan Denli (bukof) vertreten, für die Junge Akademie ist Robert Kretschmer vor Ort. Nicht dabei sind die deutschen Postdoktoranden-Netzwerke, die sich dazu gestern in einer gemeinsamen Stellungnahme äußerten. “Wir sind frustriert, dass keines der großen deutschen Postdoktorandennetzwerke vom BMBF zu diesem Thema konsultiert wurde, obwohl uns dieses Gesetz direkt betreffen wird”, heißt es in der Erklärung.

Als möglicher Kompromiss für eine Reformierung der Postdoc-Phase wird derzeit das Anschlusszusage-Modell gehandelt. Das besagt, dass bereits in der befristeten Phase eine unbefristete Stelle in Aussicht ist, wenn bestimmte Zielvereinbarungen erfüllt werden. Der Ausbau der Tenure-Track-Professuren wäre hier ein denkbarer Weg. Dafür sind aber die Länder verantwortlich.

Wissenschaftsrat könnte vermitteln

Eine wichtige Rolle in der Diskussion am Donnerstag wird dem Wissenschaftsrat zugeschrieben, weil in diesem neben dem Bund auch Länder, Hochschulen und Forschungsorganisationen vertreten sind. Bereits in der vergangenen Woche hatte der Soziologe Steffen Mau im Interview mit Table.Media das Gremium zur Koordinierung der Reform vorgeschlagen: “Dort könnte ein umfassender Vorschlag ausgearbeitet werden und man müsste auch keinen Kuhhandel unter Parlamentariern machen, sondern könnte sich darauf konzentrieren, das Wissenschaftssystem wettbewerbsfähig zu machen”, sagte Mau. Vonseiten des Forschungsausschusses wurde darauf hingewiesen, dass der Wissenschaftsrat für eine ausführliche Beschäftigung mit dem Thema Jahre Zeit brauchen würde. In der Diskussion am Donnerstag könnte aber zumindest seine Vermittlungskompetenz gefordert sein. tg

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Datengesetz: Unsicherheiten und Unterschiede beseitigen

Mit dem im Koalitionsvertrag vorgesehenen Forschungsdatengesetz will die Bundesregierung den Zugang zu Daten für die Wissenschaft verbessern. Derzeit läuft dazu eine Konsultation des BMBF, an der sich Interessengruppen noch bis zum 11. April beteiligen können. Die Bundesregierung erhofft sich unterschiedliche Meinungen und Statements, damit das Gesetz als Grundlage für den Aufbau der Nationalen Forschungsdateninfrastruktur (NFDI) alle Bedürfnisse berücksichtigen kann.

“Die Bereitschaft, Forschungsdaten zur Verfügung zu stellen, benötigt Commitment und Vertrauen von allen Datenakteuren. Wir hoffen, dass klare Gesetze dazu beitragen, Unsicherheiten beim Umgang mit Daten abzubauen, das Forschungsmanagement zu stärken und Erkenntnisse sowie dadurch Innovationen zu fördern”, sagte dazu York Sure-Vetter, Direktor des Vereins Nationale Forschungsdateninfrastruktur.

Wirrwarr bei Zuständigkeiten und Akteuren droht

Immer mehr wissenschaftliche Entdeckungen würden mit bereits vorhandenen Forschungsdaten gemacht. Der NFDI setze sich dafür ein, dass diese Daten nach den FAIR-Prinzipien (auffindbar, zugänglich, interoperabel und wiederverwendbar) zur Verfügung gestellt werden. Dies solle das Gesetz unterstützen, fordert Sure-Vetter. Eine unkomplizierte Nutzung von Daten müsse durch das Gesetz auch im Sinne der internationalen Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands geregelt sein, sagte dazu der EFI-Vorsitzende Uwe Cantner.

Es müsse die Möglichkeit eröffnen, dass verschiedene Datensätze für Forschungszwecke miteinander verbunden werden können. “Hürden in der Nutzung, wie etwa die unterschiedlichen Regelungen und Auslegungen in verschiedenen Bundesländern sind zu beseitigen oder zu verhindern”, fordert Cantner. Ein Wirrwarr droht aber nicht nur bei verschiedenen Datensätzen, sondern auch im Bereich der Zuständigkeiten. Ein beim Kanzleramt entstehendes Dateninstitut soll das gesamte Datenökosystem koordinieren.

NFDI-Verein sucht das Gespräch zu anderen Akteuren

Das Bundesgesundheitsministerium will seinerseits bis Ende des Jahres 2026 mindestens 300 Forschungsvorhaben unter Nutzung von Daten aus dem Forschungsdatenzentrum (FDZ) durchgeführt beziehungsweise initiiert haben. Grundlage dafür soll das Gesundheitsdatennutzungsgesetz sein, das gemeinsam mit dem Digitalgesetz und dem Forschungsdatengesetz für einen besseren Zugang zu Forschungsdaten sorgen soll. Das BMBF hat im wichtigen Bereich Gesundheit darüber hinaus ein neu eingerichtetes Forschungsdatenportal Gesundheit zu bieten, das auf die Medizininformatik-Initiative zurückgeht.

Für die Zusammenarbeit aller Akteure sei die Klärung der Aufgaben, Ziele und Zuständigkeiten essenziell, meint York Sure-Vetter vom NFDI-Verein, “um keine Doppelstrukturen zu befördern oder divergierenden Strukturen aufzubauen”. Dazu sei der NFDI-Verein bereits im Dialog mit den FDM-Landesinitiativen, EOSC, Gaia-X, der Medizininformatik-Initiative oder Akteuren aus der Wirtschaft, wie dem Bundesverband der Deutschen Industrie e.V. (BDI). Ob bereits Regelungen zu spezifischen Zuständigkeiten in das Gesetz aufgenommen würden, könne der NFDI aktuell nicht beurteilen, sagte Sure-Vetter. tg

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Presseschau

Nature – The US should get serious about mining critical minerals for clean energy: Die USA sind bei für die Energiewende wichtigen Mineralien wie Mangan, Niob und Tantal auf Importe angewiesen. Die Erschließung neuer Minen braucht Zeit und das Recycling von Metallen oder der Tiefseebergbau sind zwar Optionen, können aber die steigende Nachfrage nicht decken. Saleem Ali plädiert für den Aufbau eines neuen Büros für nachhaltige Mineralien, das die Exploration und Investitionen ebenso managt wie den Umweltschutz. Mehr

Science – A global approach for natural history museum collections: Einen ersten Schritt zum Aufbau eines globalen Netzwerks zur Verbesserung der Zugänglichkeit der Sammlungen haben 73 naturhistorische Museen gemacht. Sie erarbeiteten aus Daten einer Studie ein gemeinsames Vokabular von Sammlungstypen und geografischen Herkunftsgebieten. Die Naturkundemuseen der Welt wollen ihre unvergleichliche Sammlung digitalisieren und damit zugänglich machen. Mehr

Geschichte der Gegenwart – Was würde Max Weber zum WissZeitVG sagen?:  Diese spannende Frage stellen Lisa Janotta und Álvaro Morcillo Laiz. Das WissZeitVG rahmt – gemeinsam mit dem Drittmittelwesen – die wissenschaftliche Wettbewerbsordnung. Einige Passagen von Weber ließen sich wohl als Argument für die derzeitige “Bestenauslese” verstehen. Im Weiteren zeigen die Autoren jedoch auf, dass Max Weber, der ‘Anwalt der Geistesaristokratie’, entsetzt darüber wäre, in welchem Maß die audit culture nicht den “Einfall”, sondern die Akquise belohnt. Mehr

FAZ Neues Arbeitsgesetz: Denken am Wochenende verboten. Als Tragikomödie bezeichnen Ralf Poscher, Direktor des Max-Planck-Instituts zur Erforschung von Kriminalität, Sicherheit und Recht und Andreas Voßkuhle, ehemaliger Präsident des Bundesverfassungsgerichts, in einem Gastbeitrag ein vom Bundesarbeitsministerium geplantes Gesetz. Es soll eine Arbeitszeiterfassungspflicht für alle Arbeitnehmer vorsehen und, entgegen der Auffassung der EU-Kommission, auch die Wissenschaft erfassen. Sie erläutern, warum das den Wissenschaftsstandort Deutschland gefährdet und nicht mit der Wissenschaftsfreiheit vereinbar ist. Mehr

Standpunkt

Wissenschaft und Politik brauchen Spielregeln und bessere Übersetzungsleistung

Von Birgitta Wolff
Birgitta Wolff ist seit September 2022 Rektorin der Bergischen Universität Wuppertal. Auf dem DHV-Tag am 4. April spricht sie über das Verhältnis von Wissenschaft und Politik. Wolff ist Mitglied der CDU und war 2011 bis 2013 Wissenschaftsministerin in Sachsen-Anhalt.

Hochschulen und ihre Leitungen verfügen über ein hohes Maß an finanzieller und inhaltlicher Freiheit. Das ist gut und richtig so und verschafft den Akteurinnen und Akteuren der Wissenschaft einen immensen Spielraum. Wer sorgt für diesen Spielraum? Die Steuerzahlenden und die Akteurinnen und Akteure in der Politik, die – als demokratisch legitimierte Sachwaltende – deren Interessen vertreten und mit ihren Regeln der Finanzierung von Hochschulen sowie Initiativen, Förder- und Forschungsprogrammen den Geldhahn öffnen.

Diese Verbindung verpflichtet Universitäten zu einem verantwortungsvollen Wirtschaften und einer Orientierung ihrer eigenen Ansprüche an den gesellschaftlichen Herausforderungen. Die Hochschulen, die sich von der Gesellschaft finanzieren lassen, sollen gerade durch ihre Freiheit dieser dienen. Aus diesem Grund darf und muss die Politik ein Wörtchen mitreden können, sind Parlamente berechtigt, Wünsche an und Ziele für die Wissenschaft zu benennen. Sie sollten das allerdings technologieoffen tun und dabei nicht ausschließen, dass auch andere wissenschaftliche Ziele verfolgt werden. Die diskursive Herstellung eines grundsätzlichen Einvernehmens über gesellschaftliche Ziele von Wissenschaft darf nicht mit Eingriffen in das konkrete wissenschaftliche Agenda Setting verwechselt werden. Denn nur in ihrer Freiheit kann Wissenschaft letztlich der Gesellschaft dienen.

Compliance zwischen Wahrheits- und Mehrheitssuche

Mit Wissenschaft und Politik haben wir es mit zwei unterschiedlichen Systemen zu tun. Das führt zu Spannungen: In der Wissenschaft suchen wir im Sinne Niklas Luhmanns nach “Wahrheiten”, in der Politik nach “Mehrheiten”. Das ist nicht unbedingt deckungsgleich. Ein Agieren in diesem Spannungsfeld gelingt am ehesten, wenn man das jeweils andere System versteht und weiß, wie die darin agierenden Menschen ticken und welcher Systemlogik sie in ihrem Handeln folgen. Ständige Übersetzungsleistungen sind gefordert. Aber warum?

Die unterschiedlichen Systemlogiken können dazu führen, dass wissenschaftliche Erkenntnis dann Gehör findet, wenn sie politischen Interessen dient, aber wo dies nicht der Fall ist, zunächst auch unbeachtet bleibt bis sich neue Machtkonstellationen ergeben. Die Logik der politischen Mehrheitssuche kann auch Wissenschaft anfällig dafür machen, sich vereinnahmen zu lassen. Das zu vermeiden ist nicht immer leicht, wenn doch Adressatinnen und Adressaten von wissenschaftlicher Politikberatung auch Geldgebende sein können. Hinreichende Rollenklarheit und die Einhaltung wissenschaftlicher Compliance-Regeln sind hier das Gebot, zum Beispiel die Offenlegung von Finanzquellen und Beratungsbeziehungen. Die Reputation in der Wissenschaftscommunity ist dabei zugleich ein Pfand, das die Angehörigen dieser Community in der Regel sorgfältig pflegen. Dies kann Politik zum Schutz vor “Fake Science” nutzen.

Resonanz erzeugen: Zielgruppengerecht kommunizieren

Neben einem Verständnis für das jeweils andere System ist die Art und Weise der Kommunikation entscheidend: Um sich auf Arbeitsebene auf Augenhöhe zu begegnen, benötigt die Politik eigentlich “nur” für sie verständlichere Informationen, nicht unbedingt mehr. Heißt: Damit Wissenschaft Gehör findet, muss sie zielgruppengerecht kommunizieren, nicht lange wissenschaftliche Stories erzählen. Politikerinnen und Politiker sind durchaus geübt darin, die für sie wichtigen und hilfreichen Kanäle in die Wissenschaft nach Bedarf selber zu schaffen, auch jenseits offizieller Beratungsgremien- und Austauschstrukturen. Das kann gut sein, denn so lernen beide Seiten voneinander und geben niedrigschwellig und informell Einblicke in ihre Systeme. Das kann aber auch schlecht sein, weil womöglich intransparent und nicht immer wissenschaftlich qualitätsgesichert. Politisch einflussreiche Wissenschaft ist nicht unbedingt die, die die Titelseite der Bildzeitung beherrscht, sondern eher die, deren Protagonistinnen und Protagonisten im Mobiltelefon von Entscheidungsträgern abgespeichert sind.

Transparenter, aber mitunter weniger individuell und flexibel sind andere Formate, die die Wissenschaft teilweise selbst steuert. Die Leopoldina beispielsweise bringt sich als Nationalakademie gemäß ihrer Satzung in die wissenschaftsbasierte Beratung von Öffentlichkeit und Politik ein. Sie fördert ihrer Tradition nach Wissenschaften zum Wohle des Menschen und der Natur. Ihre Mitglieder haben definitionsgemäß alle eine Reputation zu verlieren – sonst wären sie nicht Mitglieder. Aber die Diskursprozesse in der jeweiligen Fachcommunity dauern länger als individuelle Positionierungen. Für die Politik mitunter ein Nachteil.

Eine bedarfsgerechte Vielfalt an Austauschformaten zwischen Wissenschaft und Politik erhöht die Chance von Kommunikationserfolgen zwischen den Systemen. Dass der Bedarf an “Übersetzungsleistung” noch nicht gedeckt ist, zeigen nicht zuletzt die noch immer zu hörenden Rufe nach qualifizierter Wissenschaftskommunikation. Wir können noch besser werden.

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Heads

Antonio Krüger – der KI-Problemlöser 

Antonio Krüger, Leiter des Deutschen Forschungszentrums für Künstliche Intelligenz (DFKI)
Forschungslandschaft muss zur KI-Förderung “mutiges Geld in die Hand nehmen”: DFKI-Leiter Antonio Krüger.

Ein vollautomatisiertes Haus hat Antonio Krüger nicht, aber immerhin einen Staubsaugerroboter. Und wie viele andere nutzt auch er jede Menge Apps, die auf KI basieren – selbst gegen personalisierte Empfehlungen von Spotify hat der Informatik-Professor nichts einzuwenden. “Gut gemachte Personalisierung hilft insbesondere in der digitalen Welt, die Spreu vom Weizen zu trennen“, sagt er. Der 55-Jährige begeistert sich seit jeher für Rock ‘n’ Roll- und Punkmusik, aber auch für Science-Fiction und technische Utopien.  

Überhaupt tritt der Leiter des Deutschen Forschungszentrums für Künstliche Intelligenz weder abgehoben noch nerdig auf, sondern vor allem dynamisch, entspannt und gut gelaunt. Er erzählt von seinen zwei erwachsenen Kindern und von seinem Karriereweg: Mit 16 Jahren besaß er – in den Achtzigerjahren – seinen ersten Computer und besuchte häufig die Bibliothek, um sich Lehrmaterial zu besorgen. “Ich fand schon immer Probleme interessant, die für Computer schwierig zu lösen sind“, sagt er. Damit sei schon früh klar gewesen, dass er sich mit “KI” beschäftigen muss – denn das stehe nicht nur für “künstliche Intelligenz”, sondern auch für “künftige Informatik”.

KI ist mehr als nur maschinelles Lernen

Als gebürtiger Hamburger landete Antonio Krüger für das Studium und die Promotion eher zufällig in Saarbrücken – und dieser Schritt legte die Weichen für seine spätere Karriere. In der saarländischen Landeshauptstadt passierte damals viel, unter anderem wurde hier 1988 das DFKI gegründet. Außerdem gibt es auf dem Campus zwei Max-Planck-Institute und das Helmholtz-Zentrum für Informationssicherheit. “Diese Dynamik nahm mich mit, da konnte ich mich weiterentwickeln”, erinnert sich Antonio Krüger, der nach fünf Jahren als Professor in Münster wieder zurück nach Saarbrücken ging.  

Wünschen würde sich der Experte, dass die Öffentlichkeit – Politiker, Wirtschaftsvertreter und Wissenschaftler eingeschlossen – beim Stichwort “KI” nicht nur an das Maschinelles Lernen denkt, das in den letzten zehn Jahren stark an Bedeutung gewonnen hat. “In Zukunft werden wir funktionierende KI-Systeme haben, die aus vielen unterschiedlichen Bausteinen bestehen“, sagt Antonio Krüger. Bis es so weit ist, muss gerade die europäische Forschungslandschaft aber noch lernen, mutiges Geld in die Hand zu nehmen, um zügiger in große Modelle zu investieren – und sich dadurch unabhängiger von den USA zu machen, findet der Experte: “Wenn ich mir ansehe, wie viele Milliarden Euro für alles Mögliche zur Verfügung gestellt wird, kann ich nicht verstehen, warum man sich bei der LEAM-Initiative so ziert“. Janna Degener-Storr

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Mehr von Table.Media

Bildung.Table: Mecklenburg-Vorpommern baut digitale Landesschule auf. Das Bundesland hat einen Weg gefunden, um digitale Bildung elegant bei kurzfristigen Lehrerausfällen einzusetzen. Schon im Herbst startet die bundesweit erste “allgemeinbildende digitale Landesschule”. Mehr

Bildung.Table: Digitalpakt 2 ohne Verfassungsänderung. Eigentlich wollte die Ampel einen ambitionierten neuen Digitalpakt. Teurer sollte er werden, schneller und unkomplizierter. Nun zeigt sich: Das Vorhaben hat für die Regierungskoalition nicht mehr die höchste Priorität. Das hat Folgen. Mehr

Europe.Table. BASF-Chef kritisiert abnehmende Wettbewerbsfähigkeit der EU. Einem Bericht des European Round Table for Industry zufolge sind in der EU die Investitionen in Forschung und Entwicklung relativ gering. BASF-Chef Martin Brudermüller fordert die europäischen Gesetzgeber auf, gegenzusteuern. Mehr

Personalien

Ariane Derks hat die Geschäftsleitung des Projektes “Lausitz Science Park” (LSP) übernommen. Sie verantwortet in ihrer Position den Aufbau einer Betreibergesellschaft für den Technologie- und Innovationspark, ein Vorhaben der Strukturentwicklung unter der Federführung der BTU in Cottbus. Zuletzt war Derks Geschäftsführerin des Deutschen Marketing Verbands und der DMV GmbH sowie als Head of Corporate Social Responsibility bei der Thyssenkrupp AG tätig.

Michaela Eikermann (Essen) ist die neue Vorsitzende des Netzwerks Evidenzbasierte Medizin. Ihr zur Seite stehen Tanja Krones (Zürich) und Nicole Skoetz (Köln) als Stellvertreterinnen Stefan Sauerland (Köln) als schriftführendes Vorstandsmitglied.

Jörg Overmann wurde zum Sprecher der Sektion C – Lebenswissenschaften – der Leibniz-Gemeinschaft gewählt. Der wissenschaftliche Direktor des Leibniz-Instituts DSMZ Deutsche Sammlung von Mikroorganismen und Zellkulturen ist damit gleichzeitig auch Mitglied des Präsidiums der Leibniz-Gemeinschaft.

Kai-Oliver Schocke übernimmt zum 1. April das Amt des Präsidenten der Frankfurt University of Applied Sciences (Frankfurt UAS). Seit 2019 leitete der Professor für Logistik und Produktionsmanagement den Fachbereich Wirtschaft und Recht der Frankfurt UAS. Er folgt auf Frank E.P. Dievernich nach, der die Hochschule von 2014 bis Mitte 2022 führte. 

Christoph Wanner wird ab April je zur Hälfte als Seniorprofessor am Deutschen Zentrum für Herzinsuffizienz und an der Clinical Trial Service Unit der University of Oxford tätig sein, wo er eine neue Studie mit rund 11.000 Patienten organisieren wird. Am Universitätsklinikum Würzburg hat er fast 30 Jahre lang die Nephrologie in der Medizinischen Klinik geleitet und geht dort in den Ruhestand.

Ändert sich etwas in Ihrer Organisation? Schicken Sie uns gerne einen Hinweis für diese Rubrik an research@table.media!

Sattelbergers Rigorosum

Wenn das BMBF vor Soziologen in die Knie geht 

Wenig länger als der Zeitraum eines bösen Hangovers: von Freitagmorgen kurz vor neun bis Sonntag um fünf Uhr nachmittags dauerte es, bis die neue Bildungsstaatssekretärin Sabine Döring nach einem moderaten Shitstorm auf Twitter den Referentenentwurf des Wissenschaftszeitvertragsgesetze zurück in den Maschinenraum beorderte. Die vormalige Philosophie-Professorin twitterte, dass sie bedingt durch ihre erst jüngst erfolgte Berufung jetzt auch daran mitarbeiten könne. 

WissZeitVG: Einknicken unnötig 

Liebe Ex-Kollegen/-innen des Bundesministeriums für Bildung und Forschung, bitte aufpassen und jetzt einen kühlen Kopf bewahren. Das empfiehlt ein in Twitterschlachten erfahrener Experte. Das, was sie erlebt haben, das war kein Tornado, sondern ein April-Wasserguss. Ein so bedingungsloses Einknicken vor diesem war und ist unnötig, ja politisch hochriskant. Denn die Gefahr ist groß, sich voreilig von bestimmten Interessensgruppen vereinnahmen lassen!  

Die Kritik am #Wissenschaftszeitvertragsgesetz hat ihre Schlagseite. Schon #IchbinHanna und jetzt erst recht die Unterschriftenliste #ProfsfürHanna haben einen massiven Bias. Sie werden überwiegend von der Fachkultur Sozialwissenschaften insbesondere der Soziologie dominiert. Da hätte ich keine Einwände, wenn es transparent wäre, vielleicht sogar nach Fachkulturen differenziert. Derzeit studieren von den über 2,9 Millionen immatrikulierten Studenten circa 41.000 Soziologie. Selbst wenn man unsachgemäß Hunderttausende Sozial- und Geisteswissenschaftler dazu rechnen würde, wären es meiner Schätzung nach nur knapp ein Fünftel der Studierenden. 

Auch bei der Fachkultur der Promovierenden dominieren nicht die Sozialwissenschaften. 

Protest gegen das WissZeitVG bedient Einzelinteressen 

In Baden-Württemberg beispielsweise begannen 2021 gut 43 Prozent ihre Promotion in einem MINT-Fach. Mehr als ein Drittel (34 Prozent) strebte einen Abschluss in der Fächergruppe Humanmedizin/Gesundheitswissenschaften an. Knapp 12 Prozent entschieden sich für ein Fach der Rechts-, Wirtschafts- und Sozialwissenschaften, 7 Prozent für ein geisteswissenschaftliches Fach. Alle anderen Fächergruppen kamen zusammen auf knapp 4 Prozent der Promotionsanfängerinnen und -anfänger.      

Überall wird sichtbar, dass mit der aktuellen Kampagne Partikular-Interessen bedient werden. Damit treffe ich noch keine Aussage, ob berechtigt oder nicht. Die lautstarke Agitprop-Fähigkeit, der sogenannten “weichen” Fächer steht in keinem Verhältnis zu ihrem proportionalen Anteil. Übrigens sind diese Fächer in der GEW wie in politischen Parteien links der Mitte ebenfalls überproportional vertreten. Auch Andreas Keller, Vorstand der GEW zuständig für Hochschule und Forschung, entstammt dieser Fachkultur. Auf Social Media antwortete er mir auf diese meine Argumente, nein, die Minderheit seien die Unibosse. Schade, es gab einige Jahre, in denen wir sehr konsensual miteinander umgingen. Aber das Blasen einer Kampagnen-Posaune macht oft taub für andere Realitäten.     

Wie so oft schweigt die übergroße Mehrheit. Sind #MINT -Disziplinen und andere Disziplinen etwa anspruchsloser oder gar zufriedener? Ich bin so frei zu sagen, dass die Wetterfestigkeit, die Souveränität und die Zukunftsfähigkeit dieser Nation im Augenblick deutlich mehr von den harten als den weichen Fächern abhängt.  

Es braucht crosssektorale Laufbahn-Beratung 

Innovating Innovation: Ein neues Wissenschaftszeitvertragsgesetz wird sich immer in Zielkonflikten bewegen. Zwischen dem berechtigten Interesse derer, die eine Wissenschaftskarriere verfolgen wollen, dem nach einer deutlich stabileren Lebensplanung, dem der Generationen-Gerechtigkeit für die danach kommenden Generationen an Forschenden, die ihre Entwicklungswege nicht auf Jahre zugesperrt erleben wollen, dem der Hochschulen nach Flexibilität in der Personaldisposition und dem Interesse vieler Stakeholder, dass Hochschulen durch ständige Mobilität nach draußen und nach drinnen innovationsstark bleiben können. Wir brauchen ein Befristungsrecht, das sich nicht an den dogmatischen Wünschen einer Fachkultur orientiert, sondern die ganze Bandbreite im Blick hat, vor allem aber die Zielkonflikte ausbalanciert. Und dafür fand ich den Referentenentwurf so schlecht nicht.  

Nur eines fehlte. Ich habe zum Beispiel immer davon gesprochen, dass es in frühen Semestern crosssektorale Laufbahn-Beratung geben muss. Vielleicht ist das in manchen Disziplinen besonders nötig und weniger bei MINT. Ich kenne viele Sozial -Wissenschaftler/-innen, die gar nicht wussten, dass es auch in der Wirtschaft und der Zivilgesellschaft nicht wenige solcher Karrierepfade für sie gibt. Und sozial-wissenschaftliche Kompetenz ist dort dringend nötig!  

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Research.Table Redaktion

RESEARCH.TABLE REDAKTION

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    Liebe Leserin, lieber Leser,

    der Bundeskanzler hatte sich am Dienstag entschieden, auf dem Forschungsgipfel von Stifterverband, Leopoldina, Volkswagenstiftung und der Expertenkommission Forschung und Innovation (EFI) zu fehlen. Olaf Scholz nahm während der fast dreitägigen Koalitionsgespräche zwar verschiedene anderen Termine wahr. Aber nicht den Forschungsgipfel. Statt seiner eröffnete Arbeitsminister Hubertus Heil. Immerhin: “Blockaden lösen, Chancen nutzen” sei Titel beider Veranstaltungen.

    Der Gipfel widmete sich dabei den beiden Schwerpunkten Digitalisierung des Gesundheitswesens und der Energiewende. In erster Runde fehlte nicht nur Gesundheitsminister Karl Lauterbach, auch kein anderer Abgesandter des Gesundheitsministeriums hatte sich in den Kreis der Entscheider bemüht. Was auf dem Gipfel dennoch diskutiert wurde, weiß Anne Brüning.

    Die Staatsanwaltschaft München Eins hat im Fall der Vorwürfe der Steuergeldverschwendung innerhalb der Fraunhofer-Gesellschaft Ermittlungen aufgenommen. Nach dem Vorprüfungsverfahren gehe man davon aus, dass ein Anfangsverdacht besteht, “dass möglicherweise strafbare Handlungen begangen worden sein könnten”, bestätigte die Staatsanwaltschaft Table.Media, wie Sie im Table.Alert vom Dienstag gelesen haben. Falls es Ihrer Aufmerksamkeit entgangen ist, gibt es hier mehr.

    Wenn heute um 10 Uhr das BMBF-Gespräch “Austausch zur Höchstbefristungsgrenze im Postdoc-Bereich” #WissZeitVG beginnt, nehmen auch beinah alle Präsidentinnen und Präsidenten vieler der großen außeruniversitären Forschungseinrichtungen teil. Eine wichtige Rolle in der Diskussion wird dem Wissenschaftsrat zugeschrieben. Tim Gabel berichtet.

    Wir wünschen Ihnen eine anregende Lektüre,

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    Ihre
    Nicola Kuhrt
    Bild von Nicola  Kuhrt

    Analyse

    Novellierung des EU-Gentechnikrechts: Was Pflanzenforscher von der Politik erwarten

    Keimling in der Petrischale: In der EU steht zur Debatte, ob die Freisetzung genomeditierter Pflanzen unter bestimmten Voraussetzungen dereguliert werden soll.

    In der EU sind Forschung und Entwicklung im Bereich Grüne Gentechnik wie gefesselt. Die restriktive Regulierung basiert auf dem Wissensstand der Neunzigerjahre. Technologisch hat mit den Möglichkeiten der Genomeditierung wie der Genschere Crispr/Cas eine neue Ära begonnen. Damit lassen sich Pflanzen züchten, wie sie auch durch herkömmliche Methoden entstehen könnten, nur gezielter und schneller.

    Eine Änderung der EU-Regulierung ist in Sicht. Die Kommission hat einen Vorschlag erarbeitet, der Anfang Juni vorgestellt werden soll. “Erwartet wird, dass der Entwurf Erleichterungen für bestimmte Genomeditierungsanwendungen vorsieht – zum Beispiel indem entsprechende Ausnahmen formuliert oder die Zulassungsbedingungen vereinfacht werden”, sagt der Rechtswissenschaftler und EU-Lebensmittelrechtsexperte Kai Purnhagen von der Universität Bayreuth.

    Die Position Deutschlands wird das Zünglein an der Waage sein

    Dass derartige Erleichterungen überfällig sind, steht für die Scientific Community außer Frage. Zuletzt hatten DFG und Leopoldina im Januar dazu erneut Position bezogen und an die Politik appelliert, bei der Gesetzesreform wissensbasierte Entscheidungen zu treffen. Bislang haben sich dazu jedoch nur FDP und CDU bekannt. Die meisten Grünen-Politiker sind gegen die Novellierung, in der SPD zögert man offenbar noch. “Es wird wohl von der Meinungsbildung innerhalb der SPD abhängen, wie sich die deutsche Regierung im Rahmen des EU-Gesetzgebungsprozesses positioniert”, sagt Purnhagen.

    Am Ende könnte das deutsche Abstimmungsverhalten im EU-Rat darüber entscheiden, ob es zu einer evidenzbasierten Novellierung kommt oder nicht. Denn die EU-Länder sind in dieser Frage gespalten. Die eine Hälfte (dazu gehören Frankreich und Österreich) ist gegen eine Lockerung des Gentechnikrechts, die andere (die Niederlande, die skandinavischen Länder, Tschechien und die Slowakei) dafür. “Da es dabei um eine qualifizierte Mehrheit geht, bei der es auch darauf ankommt, welchen Bevölkerungsanteil ein Land innerhalb der EU hat, würde schon die Enthaltung Deutschlands wie ein Nein wirken”, sagt Purnhagen.

    Die Diskussion innerhalb der Bundesregierung habe begonnen, sagte Forschungsministerin Bettina Stark-Watzinger kürzlich in einem Interview. Sie nehme durchaus eine Öffnung wahr. Ihre eigene Position: “Das Gentechnikrecht muss innovationsfreundlicher und wissenschaftsbasiert werden und bezogen auf Geneditierung auch risikoangepasst.”

    Pflanzenforscher sind verhalten optimistisch

    Dieser Rückhalt kommt an. “Wir sind froh über die klare Positionierung von Frau Stark-Watzinger. Für uns ist Genomeditierung ein wichtiges Werkzeug in der Pflanzenzucht. Es ist bei weitem nicht das einzige, aber es wird Zeit, dass wir es nutzen, denn es kann Zeit sparen auf dem Weg vom Labor aufs Feld”, sagt Stefan Lütke Entrup, Geschäftsführer der Gemeinschaft zur Förderung von Pflanzeninnovation (GFPI), die im Auftrag von 55 Pflanzenzüchtungsunternehmen agiert.

    Etwas Aufwind verspüren auch Grundlagenforscher. “Das Interesse an unserer Arbeit ist neuerdings groß. Vor allem die jüngere Generation erkennt, dass die Genomeditierung sehr wohl zur Bewältigung der Probleme, die der Klimawandel und die Ressourcenknappheit mit sich bringen, einen wichtigen Beitrag liefern kann”, sagt Nicolaus von Wirén, Leiter der Abteilung für Physiologie und Zellbiologie am Leibniz-Institut für Pflanzengenetik und Kulturpflanzenforschung (IPK) in Gatersleben.

    Ein Blick auf die Fördermittelverteilung des BMBF im Leistungsbereich Pflanzenforschung zeigt: Gatersleben, Potsdam und Köln sind die drei wichtigsten Standorte hierzulande.

    Außerhalb Europas ist die Forschung in Bewegung

    Sollte die Deregulierung der Genomeditierung scheitern, hätte das Folgen für den Forschungsstandort. “Die Forschung findet dort statt, wo Freisetzung von genomeditierten Pflanzen nicht so restriktiv gehandhabt wird wie hier. Wir riskieren auch, dass viele Forscher abwandern”, sagt von Wirén. Vor allem in China, Amerika und Afrika sei in dieser Hinsicht derzeit viel in Bewegung und auch das International Rice Research Institute in Indien mache inzwischen Feldversuche mit eigenen genomeditierten Sorten. 

    Die Entwicklung der BMBF-Fördergelder, die vom Ministerium direkt der Pflanzenforschung zugeordnet werden, spiegelt wider, dass der Bereich hierzulande nicht gerade boomt (siehe Grafik). Für die Pflanzenforschung in Deutschland sind neben den Fördermitteln des BMBF auch die der DFG sowie des European Research Council wichtig und eigentlich auch die des BMEL.

    Das aktuell bedeutendste Förderprogramm des BMBF “Pflanzenzüchtungsforschung für die Bioökonomie” befindet sich derzeit in der dritten Phase. Von 2022 bis 2025 sind dafür 11 Millionen Euro vorgesehen. In Phase 2 (2019 bis 2023) waren es 21,3 Millionen Euro.

    Bessere Förderung gewünscht

    Insbesondere vom Landwirtschaftsministerium sind viele Forscher jedoch enttäuscht. “Nach dem Regierungswechsel gab es bei den Förderprogrammen zunächst eine große Lücke”, berichtet von Wirén. “Wir haben fast ein Jahr auf Entscheidungen zu bereits gestellten Forschungsanträgen gewartet. Wir mussten dann feststellen, dass ein Teil der neuen Ausschreibungen hinsichtlich der wissenschaftlichen Methoden nicht mehr offen ist, sondern Methoden gefördert werden, die dem ökologischen Landbau zu eigen sind.” Damit sperre man sich gegen wissenschaftliche Erkenntnisse. “Sinnvoller wäre es, bei Forschungsprojekten ihren Beitrag zur Verbesserung der Nachhaltigkeit in landwirtschaftlichen Anbausystemen zu bewerten.” 

    Auch die GFPI wünscht sich stärkere Unterstützung vonseiten der Ministerien, sagt Lütke Entrup. “Aktuell hoffen wir auf Bewilligung eines Forschungsantrags im Rahmen des Programms zur Innovationsförderung des BMEL. Wir wollen für drei Kulturarten – Gerste, Kartoffeln und Raps – ein Genomeditierungssystem für die breite Anwendung weiterentwickeln.” Damit seien jedoch nur drei von 115 züchterisch bearbeiteten Kulturarten in Deutschland abgedeckt. “Es gäbe also viel mehr zu tun.”

    Großbritannien macht die Liberalisierung vor

    Derweil geht es in Großbritannien nach dem Brexit voran mit der Grünen Gentechnik. Dort trat am 23. März der “Genetic Technology (Precision Breeding) Act” in Kraft, der die kommerzielle Entwicklung geneditierter Lebensmittel ermöglicht. Er lässt nur genetische Veränderungen zu, die auch auf natürlichem Wege oder durch herkömmliche, bereits heute angewandte Kreuzungsprogramme hätten erzeugt werden können. Datenanalyse: Marie Gundlach

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    Europa als globales Kraftzentrum für Deep-Tech-Innovationen positionieren

    EU-Kommissarin Mariya Gabriel: Deep-Tech-Innovation in den Branchen Fertigung, Maschinenbau, Landwirtschaft und Energie stärken.

    Das Silicon Valley gilt weltweit als der Olymp der Innovationen. Mit welchen Erwartungen kamen Sie als Europäerin nach Kalifornien? 

    Ich hatte das Valley im vergangenen Oktober das erste Mal besucht, um dort unsere neue EU-Innovationsagenda vorzustellen. Schon damals konnte ich die anhaltende Faszination des Silicon Valley für digitale Pioniere spüren. Jetzt im März hatten wir ein größeres Event organisiert – die European Innovation Days – mit dem Ziel, Innovatoren und Investoren aus den USA auf die Chancen des Standorts Europa aufmerksam zu machen. Dies richtete sich sowohl an Gründer, die ein Start-up in Europa eröffnen wollen, als auch an Experten, die an einer Tätigkeit für europäische Firmen oder Wissenschaftseinrichtungen interessiert sind. Unsere Absicht war es, Innovatoren aus dem Silicon Valley in das europäische Ökosystem für Deep-Tech-Innovation zu locken.   

    Wie haben Sie die europäische Innovationslandschaft inhaltlich präsentiert? 

    Wie von der Neuen Europäische Innovationsagenda vorgegeben, wollten wir Europa als globales Kraftzentrum für Deep-Tech-Innovation positionieren. Das stützte sich insbesondere auf die Branchen mit hohem Technologieanteil wie Bauwesen, Landwirtschaft, Ingenieurwesen, Energie und Transport. Vor Ort stellten wir fest, dass sich Europa auch in anderen Branchen, einschließlich der Luft- und Raumfahrt, bei Innovationen auf Augenhöhe mit den USA sehen lassen kann.  

    Der Höhepunkt der EU-Innovationstage war die “European Innovation Agora”, die alle Akteure des europäischen Innovationsökosystems präsentierte und großes Interesse aus dem amerikanischen Ökosystem auf sich zog. Dort wurde auch die “EU Innovation Talent Platform” ins Leben gerufen, um Innovatoren im Silicon Valley dauerhaft in Verbindung mit den europäischen Angeboten zu bringen.  

    Zurück aus den USA, was sind Ihre “lessons learned”?  

    Die wichtigste Lektion ist, dass die EU und die USA gleichberechtigte Partner sind, wenn es um Innovationen im Deep-Tech-Bereich geht. Die auch darauf ausgerichtet sind, unsere großen gesellschaftlichen Herausforderungen zu lösen. Es zeigte sich, dass Europa für das Innovationsökosystem des Silicon Valley ein verlässlicher Partner auf Augenhöhe ist, wenn es um Innovationen im Hardware- wie auch im biologischen Bereich geht. Für uns ist DeepTech die neue Innovationswelle, bei der Europa eine führende Rolle einnehmen soll.  

    Bei unserem Auftreten in Silicon Valley wurden wir auch darin bestärkt, unsere Bemühungen auf die Sektoren zu konzentrieren, in denen die EU im Bereich der Deep-Tech-Innovation stärker als die Wettbewerber ist. Das sind Branchen wie Fertigung, Maschinenbau, Landwirtschaft und Energie, um die wichtigsten zu nennen.  

    Wie geht es weiter? Welche Kooperationsplanungen haben Sie für die Zukunft?  

    Die neu gestartete EU Innovation Talent Platform wird einen klaren Weg für diejenigen aufzeigen, die nach Europa kommen wollen, um hier ihre Start-ups im Bereich Deep-Tech-Innovationen zu gründen und auszubauen. Wir gehen davon aus, dass diese Plattform zur zentralen Anlaufstelle für Innovatoren wird, die nach Europa ziehen wollen.  

    Es gab während unseres Aufenthalts auch ein Treffen mit den Konsulaten von 13 EU-Mitgliedstaaten im Silicon Valley, bei dem die Idee für einen “Team-Europa-Ansatz” entstanden ist. Das bedeutet, mit allen Konsulaten zusammenzuarbeiten, um unsere Aktivitäten im Silicon Valley zu ergänzen. Das bezieht sich auch auf die ersten Interessensbekundungen von Start-ups, die an einem Umzug in die EU interessiert sind. In der Planung ist auch eine weitere Mission in der Bay Area im kommenden Oktober, um die Brücken zwischen EU- und US-Ökosystemen mit bidirektionalen Bewegungen von Kapital und Talenten im Bereich der Deep-Tech-Innovation zu festigen. Die nächste Mission soll sich auf bestimmte Industriesektoren konzentrieren, in denen Europa besonders stark ist. Die Auswahl trifft die Begleitgruppe vom März zusammen mit dem “European Sounding Board for Innovation“. Außerdem überlegen wir, die europäischen Innovationsleistungen auch in anderen Regionen der USA, wie etwa in Austin, Texas zu präsentieren. 

    Die bulgarische Europa-Politikerin Maryia Gabriel bekleidet seit 2019 das Amt der EU-Kommissarin für Forschung, Innovation und Bildung, Kultur und Jugend. 

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    Iter: Kostspielige Verzögerungen drohen

    Baustelle des ITER-Kernforschungszentrums im südfranzösischen Cadarache.

    22 Milliarden Euro wird der Kernfusionsreaktor Iter mindestens kosten. Allein im EU-Finanzrahmen 2021-2027 sind 5,6 Milliarden für die Finanzierung des Reaktors vorgesehen. Dass diese Summen nicht ausreichen werden, ist in der Forschungspolitik kein Geheimnis mehr. Auch im Forschungsausschuss am Mittwoch, als der Bericht zum Priorisierungsverfahren für große Forschungsinfrastrukturen (FIS-Roadmap) auf der Tagesordnung stand, wurde Iter zum Thema.

    Erst in der vergangenen Woche hatte das BMBF bekannt gegeben, dass der Bund und das Land Hessen rund eine halbe Milliarde Euro mehr für den Teilchenbeschleuniger Fair zahlen müssen. Daher lag die Frage von Petra Sitte (Linke) nah, ob auch beim Iter bald die nächsten Mehrkosten für den deutschen Steuerzahler drohen. Der berichterstattende BMBF-Staatssekretär Mario Brandenburg verwies zunächst auf die indirekte Beteiligung Deutschlands an dem Forschungbau – Iter wird mit EU-Mitteln bezahlt. Dann folgte seine persönliche Einschätzung: die derzeitigen Verzögerungen werden Kostensteigerungen nach sich ziehen.

    Kostenkalkulation beruht auf Zahlen von 2016

    Fest steht: Die Kostensimulation des Iter beruht derzeit auf einer veralteten Hochrechnung von 2016. Eine neue Berechnung hinsichtlich des Kosten- und Zeitplans sei in Arbeit, bestätigt ein Sprecher der Iter-Organisation. In den letzten Jahren kam es nicht zuletzt durch die Corona-Pandemie zu signifikanten Verzögerungen.

    Nach der letzten offiziellen Timeline sollte das erste Plasma im Dezember 2025 gezündet werden. Die Experimente mit Tritium und Deuterium waren für 2035 angesetzt. Diese Timeline sei nicht mehr realistisch, so der Sprecher. Der Krieg in der Ukraine bringt den Zeitplan weiter durcheinander. Russland gehört zu den Iter-Staaten: Eines der zentralen Bauteile des Iter, ein Riesenmagnet, wurde unter der Aufsicht der russischen Atombehörde Rosatom hergestellt: 200 Tonnen schwer, 9 Meter Durchmesser. Herstellungsdauer: etwa zehn Jahre.

    Atomaufsichtsbehörde übt Kritik

    Auch deswegen ist das Reaktorprojekt eine der wenigen Ausnahmen der EU-Sanktionen gegen Moskau. Mitte Februar ist das Schiff mit dem Magneten aus Sankt Petersburg in Marseille eingelaufen. In Cadarache arbeiteten zurzeit etwa 70 russische Wissenschaftler. Iter sei keine politische Behörde, Russland habe versprochen, seine Verpflichtungen einzuhalten, so heißt es. Kritik gibt es, wenn überhaupt, dann nur versteckt. Im EU-Haushaltsplan von 2023 ist von einem “Reputationsrisiko” die Rede. Der Iter-Vertrag sieht derweil den Rückzug eines Partnerlandes gar nicht vor.

    Die Verzögerungen des Iter-Projektes sind allerdings auch auf Probleme mit der französischen Nuklear-Aufsichtsbehörde ASN zurückzuführen. In deren Protokollen ist die Rede von “mangelnder Sicherheitskultur“, “nicht-behobenen Nichtkonformitäten” und “Schwierigkeiten, Informationen und Dokumente zu erhalten”. Das sei eine starke Kritik, sagt Mathieu Masson, stellvertretender Leiter der Sektion Marseille der ASN und für die Iter-Kontrollen verantwortlich.

    Signifikante Abweichungen bei Bauteilen

    Er erläutert: “Was wir als ‘Sicherheitskultur’ bezeichnen, ist die Fähigkeit des Betreibers, die Risiken, die seine Tätigkeit mit sich bringt, zu beherrschen.” Derzeit befinde sich Iter in der Bauphase, die Herausforderungen an die Sicherheit seien daher gering. “Aber wir müssen sicher sein, dass das Risikomanagement für die Planungs- und Bauphase zufriedenstellend ist, bevor irreversible Bauvorgänge anstehen”, fordert Masson.

    Ein solcher Bauvorgang ist die Montage des Vakuumgefäßes, in dem das für die Plasmafusion notwendige Magnetfeld erzeugt wird. Hier herrscht Baustopp, denn die dazu nötigen Teile zeigen signifikante Abweichungen auf. Der Grund: Die Teile stammen von verschiedenen Herstellern auf verschiedenen Kontinenten.

    Hartmut Zohm, Physiker am beteiligten Max-Planck-Institut für Plasmaphysik (IPP), sieht die Probleme im Grundanliegen des Iter begründet: “Das ist vielleicht im Sinne dessen, dass jeder Iter-Partner die Technologie lernt”, sagt Hartmut Zohm. Allerdings sei es nicht effizient. “Ein Unternehmen würde nie auf die Idee kommen, vier Räder für das gleiche Auto von vier Herstellern auf drei Kontinenten bauen zu lassen.”

    Projekt ist politisch aufgeladen

    Zohm kritisiert, dass das Iter-Team in Cadarache keine Kontrolle über die Hersteller hat. Die Ingenieure können erst dann kontrollieren, ob Bauteile konform sind und passen, wenn sie in Cadarache ankommen. Mit teuren Folgen, denn manche Teile müssen nun erst einmal angepasst oder repariert werden, bevor die ASN grünes Licht für die Zusammensetzung gibt.

    Auf die Probleme hatte Anfang des Jahres auch die Wissenschaftliche Direktorin des IPP, Sibylle Günter im Interview mit Table.Media hingewiesen. Das Projekt Iter sei von Beginn an politisch aufgeladen, so die Wissenschaftlerin. “Es sollte schon im Kalten Krieg zeigen: Wir arbeiten trotz der Auseinandersetzungen zusammen. Jeder Partner soll jede Technologie lernen. Daher werden Bauteile gleicher Art von jedem Partner zugeliefert. Die kommen am Iter an und dann beten alle, dass das zusammenpasst”, sagte Sybille Günter.

    EU verbucht Iter-Ausgaben als Klimakosten

    Fraglich ist derweil auch, wie motiviert die EU ist, die Kosten für den Iter-Reaktor im Rahmen zu halten. Iter hilft nämlich dabei, ein selbstgestecktes Ziel bei den Klimaausgaben zu erreichen. Obwohl eine kommerzielle Stromproduktion durch Kernfusion erst nach 2050 denkbar ist, verbucht die EU die Ausgaben für den Kernfusionsreaktor Iter als Klimafinanzierung. So hat es der EU-Rat bereits 2019 entschieden.

    “Obwohl Iter kurz- und mittelfristig nicht direkt zu den Energie- und Klimazielen beiträgt, ist das Potenzial für die Dekarbonisierung der Energielandschaft nach 2050 sehr bedeutend”, liest man dazu im aktuellen Entwurf des EU-Haushaltsplans 2023. Der eigentliche Grund könnte aber sein: Schon unter dem letzten Finanzrahmen schaffte es die EU nicht, das Ziel von 20 Prozent Klimaausgaben zu erreichen, das sie sich selbst setzte, kritisierte der Europäische Rechnungshof 2022 in einem Bericht. Iter hilft hier aus.

    Kein signifikanter Beitrag zu 2050er-Klimazielen

    Die Prüfer äußerten die Befürchtung, dass die Klimaziele auch unter dem aktuellen Finanzrahmen nicht erreicht werden. “Um klimarelevant zu sein, muss der Haushalt eng mit der Verringerung der Treibhausgasemissionen verknüpft sein”, schlussfolgerten die Prüfer. Darüber, inwiefern das bei Iter zutrifft, äußerten sie sich nicht, denn im letzten Finanzrahmen galten die Beiträge noch nicht als Klimafinanzierung.

    Die EU-Kommission hatte ihrerseits in den letzten Jahren rund eine Million Euro für verschiedenste Studien ausgegeben, um den wirtschaftlichen Mehrwert des Versuchsreaktors herauszuarbeiten. In einer Studie von 2018 über die Auswirkungen der Iter-Aktivitäten in der EU heißt es dort: “Auch wenn Iter zum Ziel hat, einen Beitrag zur Entwicklung einer kommerziellen Fusionstechnologie zu leisten, liegt dies noch so weit in der Zukunft, dass es nicht der entscheidende Treiber” ist. Und: “Es ist nicht realistisch, dass ITER und DEMO – der Demonstrationsreaktor, der im Anschluss an Iter gebaut werden soll – einen signifikanten Beitrag zu den 2050er Energie- und Klimazielen leisten.” Mit Tim Gabel

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    Europas erster Lithium-Konverter entsteht in Brandenburg

    Eine Bahntrasse am Waldrand südlich der deutsch-polnischen Grenzstadt Guben, einige Hundert Meter von der Neiße entfernt: Hier sollen bald Güterwaggons gefüllt mit Lithium-Gestein aus Kanada ankommen. Auf der angrenzenden Brachfläche, wo bislang nur einige Sandberge zu sehen sind, soll in zwei Jahren Europas erster Lithium-Konverter den Betrieb aufnehmen. Das deutsch-kanadische Unternehmen Rock Tech baut hier eine Industrieanlage, die das lithiumhaltige Gestein zu Lithiumhydroxid weiterverarbeitet – was pro Jahr für 500.000 Batterien für Elektroautos reichen soll. Beim Spatenstich hat Rock Tech gestern die Baupläne vorgestellt.

    Lokale Wertschöpfung, Ziele für die Kreislaufwirtschaft, schnelle Genehmigungsverfahren und ein gleichzeitiger Ausbau strategischer Rohstoffpartnerschaften: Das Projekt in Brandenburg ist ein Paradebeispiel der europäischen Rohstoffstrategie, welche die EU-Kommission vor Kurzem durch einen Gesetzesvorschlag untermauert hat.

    24.000 Tonnen Lithiumhydroxid pro Jahr soll der Konverter in Guben ab 2026 herstellen und an die lokale Kathoden- und Batterieproduktion liefern. 40 Prozent des Materials wird Mercedes-Benz für die E-Auto-Produktion abnehmen.

    Chance für nachhaltigen Strukturwandel

    “Brandenburg deckt damit künftig die komplette Wertschöpfungskette von der Rohstoffaufbereitung über die Batterie- und Zellfertigung bis zu E-Autobau sowie Batterierecycling ab”, sagte der brandenburgische Wirtschaftsminister Jörg Steinbach (SPD) während der Veranstaltung.

    Nach Angaben der Wirtschaftsförderung Brandenburg (WFBB) sind bereits 33 Unternehmen und neun Forschungsinstitute im Bundesland an der Wertschöpfungskette für Batterien beteiligt; weitere Investitionen sind im Bau oder in Vorbereitung. Neben der Lithiumverarbeitung durch Rock Tech und dem Tesla-Werk in Grünheide stellt etwa BASF in seinem Werk in Schwarzheide Kathodenmaterial her. Das Unternehmen plant außerdem, Anfang 2024 am selben Standort eine Recyclinganlage für schwarze Masse aus Batterien in Betrieb zu nehmen.

    Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) erklärte, Brandenburg zeige, wie eine auf die klimaneutrale Zukunft ausgerichtete Wirtschaftspolitik sein müsse. Die neuen Arbeitsplätze in der Batterie-Wertschöpfungskette ersetzten solche, die durch den Kohleausstieg wegfielen. Gleichzeitig forderte er Respekt vor den Menschen, die von diesen Veränderungen betroffen seien.

    Rohstoffe aus Kanada und Australien

    In gewisser Weise findet in diesem Projekt der Critical Raw Materials Act Anwendung, bevor er überhaupt in Kraft getreten ist. Das Genehmigungsverfahren erfuhr starke politische Unterstützung und wurde beschleunigt – zwei Jahre nach der Entscheidung für den Standort Guben kann Rock Tech dank einer Genehmigung zum vorzeitigen Beginn bereits mit den Testarbeiten und Vorbereitungen beginnen. Eine zweite Teilgenehmigung steht noch aus, wird aber bis Ende des Jahres erwartet.

    Das Lithium-Mineral Spodumen soll zunächst vor allem aus Rock Techs Bergbauprojekt im kanadischen Ontario bezogen werden. Kanada gilt als einer der vielversprechendsten Rohstoffpartner der EU. Auch aus Australien, wo es die weltweit größten Spodumen-Vorkommen gibt, könnte der Rohstoff in Zukunft geliefert werden. Die EU und Australien wollen demnächst ein Freihandelsabkommen abschließen, das auch ein Kapitel zu kritischen Rohstoffen enthalten soll.

    Europa drohe nicht mehr nur von China und Südkorea abgehängt zu werden, sondern nun auch von Nordamerika, sagte Dirk Harbecke, CEO von Rock Tech. Die Subventionsprogramme des Inflation Reduction Acts machten es für viele Firmen attraktiver, Produktionsstätten in den USA aufzubauen. “Wir brauchen aber eine stabile Versorgungskette für Batteriezellen hier bei uns in Europa”, betonte er. “Und dafür brauchen wir auch die Unterstützung der Politik”.

    Hoffnung auf EU-Förderung

    Von den kürzlich angekündigten EU-Förderprogrammen zur Unterstützung von strategischen Zukunftstechnologien erhofft Harbecke sich auch positive Auswirkungen für den Lithium-Konverter. Die EU-Kommission schlägt im Net Zero Industry Act vormindestens 85 Prozent des jährlichen EU-Bedarfs an Batterien solle aus eigener Produktion stammen. Die Projekte sollen finanzielle Förderung über den Innovationsfonds und über InvestEU erhalten.

    Der gleichzeitig vorgestellte Critical Raw Materials Act sieht vor, bis 2030 mindestens 40 Prozent des jährlichen EU-Bedarfs an strategischen Rohstoffen wie Lithium durch heimische Weiterverarbeitung zu decken. Ob der Lithium-Konverter sich als sogenanntes strategisches Projekt bewerben kann, um von der entsprechenden Förderung zu profitieren, sei noch nicht klar, erklärte ein Sprecher von Rock Tech.

    Bei der Europäischen Investitionsbank (EIB) wird jedoch bereits eine Förderung in Höhe von 150 Millionen Euro geprüft, was knapp einem Viertel der erwarteten Kosten entspricht. Neben dem Projekt in Guben plant Rock Tech drei weitere Konverter in Europa und einen in Nordamerika.

    Ziel: Kreislaufwirtschaft und Zero Waste

    Rock Tech hat sich nach eigenen Angaben zum Ziel gesetzt, das “erste zirkuläre Lithiumunternehmen der Welt zu werden”. Im Gubener Lithium-Konverter soll bis 2030 etwa 50 Prozent Recyclingmaterial eingesetzt werden – dies sei jedoch abhängig davon, wie gut der Markt funktioniere, erklärte ein Sprecher.

    Geht es nach dem Kommissionsentwurf für den Critical Raw Materials Act, sollen 2030 mindestens 15 Prozent des Rohstoffbedarfs aus dem Recycling stammen. Die lange Nutzung der Batterien verzögert jedoch den Hochlauf der Kapazitäten: Batterien von E-Fahrzeugen sind rund 15 Jahre im Gebrauch. Experten rechnen damit, dass der europäische Recyclingmarkt für Lithium-Ionen-Batterien, zeitversetzt mit dem Wachstum der Elektromobilität, in den kommenden zwanzig Jahren stark wachsen und spätestens Mitte der 2020er-Jahre anziehen wird.

    Um Innovationen für kreislauffähige Lithium- und Wasserstoffproduktion zu entwickeln, beteiligt sich Rock Tech gemeinsam mit der Baustoffindustrie am Deutschen Lithiuminstitut (ITEL) in Halle. Dort soll neben der CO₂-neutralen Produktion auch die Nutzung der Nebenprodukte erforscht werden, die beispielsweise für die Gips- und Zementindustrie verwendet werden könnten. Die angekündigte Zero Waste-Strategie bleibt erst einmal nur ein Versprechen.

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    Innovationen: Von Schweden, Finnland und UK lernen

    Die Zahlen des Europäischen Patentamts (EPA) für 2022 signalisieren, dass Deutschland sich anstrengen muss, wenn es bei Patentanmeldungen nicht zurückfallen will. Insgesamt stiegen die Patentanmeldungen bei der EPA um 2,5 Prozent auf 193.460. Unter dem Spitzenquintett verzeichneten die USA, China und Frankreich eine Zunahme, Japan ein leichtes Minus und nur Deutschland einen deutlichen Rückgang um 4,7 Prozent.

    In den vergangenen zehn Jahren fiel der Anteil deutscher Anmeldungen bei der EPA sogar von 17,9 Prozent auf 12,8. Wenn es darum geht, den Trend zu stoppen und bei Innovation zu punkten, könnte Deutschland einiges von anderen Ländern lernen. Das ist das Ergebnis einer Gemeinschaftsstudie des Thinktanks Progressives Zentrum und der Hertie School of Governance, die am Montagabend in Berlin vorgestellt wurde.

    Gezielt haben sich die Studien-Autoren Maik Bohne, Anke Hassel und Daniela Blaschke dafür entschieden, Deutschland in puncto Innovation nicht mit den USA oder China zu vergleichen, sondern mit einer Reihe anderer Staaten, die hinsichtlich ihrer Struktur eine größere Ähnlichkeit aufweisen. Deutschland hinke bei der Innovation hinterher, sagte Anke Hassel, die an der Hertie School of Governance Public Policy lehrt.

    Es gebe einige Blockaden, die sich negativ auf Innovationen auswirkten, “andere Länder sind dort anders aufgestellt”. Die Wissenschaftlerin erklärt dies unter anderem damit, dass Deutschland über eine lange Zeit mit seinem Wirtschaftsmodell erfolgreich gewesen sei. Andere Länder seien früher gezwungen gewesen, sich zu verändern, ob die Niederlande, Finnland oder Schweden. Die Wissenschaftler identifizieren in der Studie unterschiedliche Strategien anderer Länder.

    Niederlande machen Gründungen von Unternehmen leicht

    Die Niederlande belegen im Global Innovation Index 2022 den fünften Platz, wozu besonders die hohe Gründungsdynamik beiträgt. Dabei gibt es gleichzeitig international führende Großunternehmen wie Philips, ASML, Unilever und Shell sowie eine große Zahl von Start-ups. Das Land liegt auf dem zweiten Platz, wenn es darum geht, Unternehmensgründungen leicht zu machen. Allerdings beschäftigen die neu gegründeten Firmen wenige Menschen.

    Die Niederlande würden ihre Innovationspolitik “konsistent ausgestalten und das Land verbindlich auf gemeinsame Innovationsschwerpunkte ausrichten”, heißt es in der Studie. Dazu legte das Land 2011 zehn Topsektoren fest, unter anderem Landwirtschaft und Ernährung, Chemie, Wasser & maritime Wirtschaft und Digitalisierung. Für diese Sektoren gebe es konkrete gesellschaftliche Missionen wie die Einführung einer vollständigen zirkulären Wirtschaft bis 2040. Zudem legte die Regierung fest, welche finanziellen Ressourcen für die Umsetzung der Missionen jeweils hinterlegt sein müssen und welche Forschungskapazitäten geschaffen werden sollen.

    Innovationsräte in Schweden und Finnland

    Die beiden skandinavischen Länder Finnland und Schweden sind bei Innovationen stark, Schweden liegt beim Global Innovation Index auf Rang 3, Finnland auf Rang 9, einen hinter Deutschland, was auf Rang 8 liegt. Allerdings punkten die beiden skandinavischen Länder damit, dass es “leicht scheint”, dort Ideen in die gesellschaftliche und wirtschaftliche Praxis zu übertragen. Beide Länder haben auch gute übergreifende Rahmenbedingungen für unternehmerische Aktivitäten geschaffen. Finnland hat sich nach dem Abstieg des Mobilfunkkonzerns Nokia zu einem “Hotspot für Start-up-Unternehmen entwickelt”.

    Eine wichtige Rolle spielte dabei die Entscheidung in Espoo mehrere Bildungseinrichtungen zur Aalto-Universität zusammenzulegen. Rund um den Campus werden jährlich 80 neue Unternehmen gegründet. Bei der Zahl der angemeldeten Patente liegt die Stadt in Europa heute auf Platz sechs. Die Prägung der Menschen in Finnland beginne bereits in der Schule, heißt es. Beide Länder hätten sich auf einen politischen Grundkonsens mit Blick auf Innovationen geeinigt.

    Schweden richtete seine Strategie an sechs übergreifenden Missionen aus: Gesundheit, Bioökonomie, Energieversorgung, Transport, Klimawandel und Ressourcen sowie sichere Gesellschaft. Auch Finnland habe sich für einen systemischen Ansatz entschieden und nahm sich vor, jährlich vier Prozent des BIP für Forschungs- und Innovationsaktivitäten bereitzustellen. Derzeit arbeite die Regierung an einer missionsübergreifenden Innovationsagenda.

    In beiden Ländern gibt es Innovationsräte, die institutionell bei den Ministerpräsidenten aufgehängt sind. In Schweden tagt der Rat halbjährlich in wechselnden Regionen und analysiert die dortigen Innovationsökosysteme. Die Räte spielen in beiden Ländern eine wichtige Rolle für die strategische Vorausschau und Konsensfindung.

    Innovationsagenturen in Großbritannien

    Trotz aller Probleme zählt Großbritannien zu den innovationsstärksten Ländern weltweit. Auffallend sei die “ungebrochene Gründungsmentalität”, heißt es in der Studie. In dem Land könnten sich mehr als die Hälfte der Menschen vorstellen, ein Unternehmen zu gründen, ohne Angst vor einem Scheitern zu haben. Als eines von wenigen Ländern verfüge Großbritannien über ein eigenes Innovationsministerium. Vier Missionen verfolge die Regierung: sauberes Wachstum, Künstliche Intelligenz und Datenwirtschaft, alternde Bevölkerung und Zukunft der Mobilität.

    Einzigartig sei, dass diese Missionen von zwei Innovationsagenturen in sehr konkrete Programme umgesetzt würden. So entstand ein Programm, das eine “auch für Deutschland sehr interessante Initiative etabliert”. Bei dem Knowledge Transfer Partnership Programme würden Unternehmen und NGO gezielt mit Nachwuchswissenschaftlern an ausgewählten Hochschulen zusammengebracht. Am Anfange stehe stets “ein Innovationswunsch aus der Praxis, für den konkrete Lösungen gefunden werden sollten”. Die Partnerschaft finanzieren Innovationsagentur, beteiligte NGO sowie Unternehmen anteilig über einen Zeitraum von zwölf bis 36 Monaten.

    Wichtig sei, dass es in den Ländern nicht bei der Formulierung von abstrakten Missionen bleibe. Sie würden stets “in ein aktives Management überführt – mit konkreten Zielen, Agenden, Maßnahmen und einer auskömmlichen finanziellen Ausstattung”, heißt es in der Studie. Eine solche Missionsorientierung und Operationalisierung ihrer Ziele empfiehlt Politikberaterin Anke Hassel der Ampelkoalition.

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    Termine

    4. April 2023, 9:30 Uhr, Hotel Hilton, Berlin
    Vortrags- und Diskussionsveranstaltung sowie Delegiertenversammlung 73. DHV-Tag “Wissenschaft und Politik: Zu viel Nähe, zu wenig Distanz – oder umgekehrt?” Mehr

    5. April 2023, 18:30 Uhr, online
    Live-Talk Futures Lounge der Initiative D2030: Die “Zukunftsstrategie” der Bundesregierung: Melange oder Transformationspfad? Zwei Sichtweisen Mehr

    3. Mai 2023, 10:00-18:30 Uhr, Alte Münze, Berlin
    Festival InnoNation Festival des Bundesverbands der Deutschen Industrie Mehr

    5. Mai 2023, 9:30-11:45 Uhr, Südwerk Bürgerzentrum Südstadt, Karlsruhe
    Konferenz WissKon – NaWik-Konferenz für kommunizierende Forschende: Rücken- und Gegenwind für die Wissenschaftskommunikation Mehr

    News

    Ab 2024: Land Bayern finanziert Zweidrittel der Acatech

    Die Gemeinsame Wissenschaftskonferenz (GWK) hat die Finanzstruktur der Deutschen Akademie der Technikwissenschaften (acatech) geändert. Bisher wird die institutionelle Förderung von Bund und Ländern in Höhe von 3,75 Millionen Euro je zu einem Drittel durch den Bund, den Freistaat Bayern und durch alle Länder erbracht. Mit Inkrafttreten der neuen Ausführungsregelung zum 1. Januar 2024 übernimmt der Bund weiterhin ein Drittel und das Land Bayern künftig zwei Drittel der institutionellen Förderung, deren Höhe insgesamt gleich bleibt. Bayern übernimmt also zusätzlich den bisherigen Länderanteil von 1,25 Millionen Euro.  

    Der Schritt habe rein administrative Gründe, erklärt ein acatech-Sprecher. “Die anteilige Finanzierung durch den Bund und alle Bundesländer ist administrativ sehr anspruchsvoll. Die neue Regelung bringt eine erhebliche administrative Vereinfachung für alle Beteiligten.”  

    Einfluss des Bundes bleibt erhalten

    Dass ab dem kommendem Jahr dann doch mehr Projekte aus Bayern eine acatech-Unterstützung finden könnten, stehe nicht zu befürchten, erklärt eine Sprecherin der GWK. Der Charakter der Akademie als eine deutschlandweite und darüber hinaus agierende Institution sei in der neuen Regelung festgehalten. “Es ist auch klargestellt, dass mit der Förderung der gesamtstaatliche Zweck verfolgt wird, Initiativen zur Förderung der Technik in Deutschland und dabei vor allem das öffentliche Verständnis für die Bedeutung zukunftsweisender Technologien zu stärken.” Die Einflussmöglichkeiten des Bundes steigen zudem über neue Konsultationsmechanismen. Der Bund sei in der Projektförderung von acatech engagiert und nehme auch darüber Einfluss. nik 

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    Sorge vor Wissenschaftsskepsis in Österreich

    In Österreich mehren sich wissenschaftsskeptische Äußerungen und Handlungen der Politik. Zuerst sprach Kanzler Nehammer von einer “Expertenhörigkeit” während der Coronapandemie und davon, dass diese Experten nun ihre “Entscheidungen” erklären sollten. Dann von einem “Untergangsirrsinn” in Bezug auf Warnungen vor dem Klimawandel. In der vergangenen Woche folgte das Arbeitsübereinkommen und damit die Koalition der ÖVP mit der FPÖ in Niederösterreich. Damit verbunden: Eine Empfehlung an die Hochschulen, nicht mehr zu gendern; eine Art Corona-Versöhnungsfonds, mit dem Strafen aus der Corona-Zeit zurückerstattet werden sollen sowie ein geplantes Verbot von Werbung für Impfungen. Dazu kommt eine fremdenfeindliche Ausrichtung im Bereich der Integrationspolitik, die durch zahlreiche Äußerungen von FPÖ-Politikern unterlegt wird

    Mangelnde Wertschätzung der Wissenschaft durch die Politik

    Die Reaktionen aus der Wissenschaft folgten prompt: Die österreichische Universitätenkonferenz (uniko) zeigt sich in einer Stellungnahme “angesichts der jüngsten innenpolitischen Entwicklungen äußerst besorgt über die Ignoranz wissenschaftlicher Evidenz bzw. die mangelnde Wertschätzung gegenüber Forscherinnen und Forschern”. Dies stehe in krassem Gegensatz zu den jüngsten Bemühungen, das Vertrauen in die Wissenschaft zu stärken. Erst Ende 2022 hatte Wissenschaftsminister Martin Polaschek einen 10-Punkte-Plan für mehr Vertrauen präsentiert. 

    Auch einzelne Forscher sind empört. Für den Virologen Andreas Bergthaler waren die politischen Entwicklungen ein Grund, sich früher als geplant aus der Corona-Beratungskommission Gecko zurückzuziehen. Und Onkologe Christoph Zielinski sieht in einem Kommentar für den Standard Österreich auf dem Weg in eine wissenschaftsfeindliche “Bananenrepublik”. mw

    • Österreich
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    Katharina Fegebank zur Wissenschaftsministerin des Jahres gewählt

    Im Jahr 2020 war sie schon einmal ganz vorne. Nun ist die Hamburger Wissenschaftssenatorin Katharina Fegebank (Bündnis 90/Grüne) von den Mitgliedern des Deutschen Hochschulverbands (DHV) erneut zur Wissenschaftsministerin des Jahres gewählt worden. Die Abstimmung erfolgte Ende 2022 per Online-Umfrage unter den 33.000 Mitgliedern des Verbands, 2.388 beteiligten sich – und bewerteten Fegebanks hochschul- und wissenschaftspolitische Leistungen mit der Note 2,72.

    Armin Willingmann (SPD), Wissenschaftsminister in Sachsen-Anhalt erhielt bei der an Schulnoten orientierten Bewertung mit 2,82 die zweitbeste Note. Auf Platz drei kommt mit 2,86 Theresia Bauer (Bündnis 90/Die Grünen), bis Ende September 2022 Wissenschaftsministerin in Baden-Württemberg.

    Stark-Watzinger auf Platz 12

    Auf Platz 12: Bundesforschungsministerin Bettina Stark-Watzinger (Note 3,81). Angekreidet werden ihr mangelnde Durchsetzungskraft und fehlende Sichtbarkeit, aber auch Kürzungen bei der Forschungsförderung. Den letzten Platz im Ranking hat mit der Note 4,22 Bettina Martin (SPD) aus Mecklenburg-Vorpommern.

    Die “Wissenschaftsministerin des Jahres” wird im Rahmen der Gala der Deutschen Wissenschaft geehrt, die am 3. April am Vorabend des 73. DHV-Tags in Berlin stattfinden wird. Dort wird auch der ebenfalls per Online-Umfrage ermittelte Rektor des Jahres ausgezeichnet: Es ist Michael Hoch von der Universität Bonn, der die Note 1,6 erhielt. abg

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    Forschungsgipfel in Berlin: Ruf nach Tempo bei der Transformation

    Die Digitalisierung der Gesundheitswirtschaft und die Energiewende müssen nachhaltig beschleunigt werden. Diese Botschaft ging vom Forschungsgipfel am Dienstag in Berlin aus. Im Kern ging es auf der Veranstaltung von Stifterverband, Leopoldina, Volkswagenstiftung und der Expertenkommission Forschung und Innovation (EFI) vor allem um die Frage, wie die digitale Transformation in Deutschland endlich gelingen kann. “Wir müssen schneller werden, und wir werden schneller”, sagte Arbeitsminister Hubertus Heil, der als Keynote-Speaker kurzfristig für Bundeskanzler Olaf Scholz eingesprungen war.

    Von dem Motto des Forschungsgipfels “Blockaden lösen, Chancen nutzen” solle auch ein starkes Signal an den Koalitionsausschuss ausgehen, dem der Kanzler wegen der vertagten Diskussion weiter beiwohnen musste, sagte Heil. Die Bundesregierung habe mit der Allianz für Transformation und dem im Koalitionsvertrag vereinbarten Ziel, 3,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Forschung und Entwicklung zur Verfügung zu stellen, die notwendigen Weichen gestellt. Aus Sicht des Arbeitsministers brauche es angesichts des Fachkräftemangels aber auch ein effizientes Einwanderungsrecht.

    Die elektronische Patientenakte beschleunigen

    Die Regierung dürfe nicht in den alten Trott zurückfallen, sagte Uwe Cantner, Vorsitzender der Expertenkommission Forschung und Innovation (EFI). Vorhandende Strategien müssen nun mit einer Roadmap versehen werden. Auf “exogene Schocks” wie die Gaskrise und die Pandemie sei gut reagiert worden. Krisen wie sie durch den Klimawandel entstehen können, seien aber schon jetzt absehbar. Konzepte für eine längerfristige, nachhaltige Beschleunigung mahnte auch Michael Kaschke, Präsident des Stifterverbands an.

    Wie groß die Chancen einer erfolgreichen Transformation sind, wurde am Beispiel der Digitalisierung der Gesundheitswirtschaft deutlich. So beziffert eine Studie der Unternehmensberatung McKinsey das Nutzenpotenzial einer effizienteren digitalen Gesundheitsversorgung auf 42 Milliarden Euro – pro Jahr. “Das ist eine große Chance, aber der Schlüssel sind die Daten”, sagte Irene Bertschek, stellvertretende EFI-Vorsitzende. So schnell wie möglich müsse Deutschland ein Gesundheitsdatennutzungsgesetz verabschieden und mit der Opt-out-Regelung die Nutzung der elektronischen Patientenakte beschleunigen.

    Im Vorfeld hatten die Initiatoren des Gipfels Diskussionspapiere vorgelegt, die teils schon im Titel den Auftrag an die Politik in sich trugen “Eine Beschleunigungsformel für Deutschland” nennt der Stifterverband sein Roadmapping für Zukunftsmissionen. In ihrem Leitfaden für die Transformation der Energiesysteme mahnt die Leopoldina mit den Worten “den kritischen Zeitpunkt nicht verpassen”. Die EFI hatte ihr Gutachten bereits im Februar vorgelegt und die Bundesregierung zu mehr Tempo aufgefordert. In Deep Dives, die allen Interessierten offenstehen, soll über die Transformation des Energiesystems und die Digitalisierung der Gesundheitswirtschaft am heutigen Donnerstag und morgigen Freitag weiter beraten werden. abg/tg

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    Steffen Mau erhält Communicator-Preis

    Für seinen “mutigen Kommunikationsansatz” sowie eine beeindruckende Vielfalt an Formaten wird der Berliner Soziologe Steffen Mau (54) mit dem Communicator-Preis 2023 der DFG und des Stifterverbands geehrt. Die mit 50.000 Euro dotierte Auszeichnung wird im Rahmen der DFG-Jahresversammlung am 26. Juni in Saarbrücken überreicht.

    Mau gelinge es, Sachkenntnis und Orientierungswissen über Transformationsprozesse in öffentliche Debatten einzubringen und in der Kommunikation anschlussfähig zu bleiben für die Erfahrungen und Perspektiven seines Publikums, teilte die DFG mit.

    Der gebürtige Rostocker ist seit 2015 Professor für Makrosoziologie an der Humboldt-Universität zu Berlin. Er befasst sich unter anderem mit sozialer Ungleichheit und Ungerechtigkeit, mit dem Strukturwandel der Mittelschicht und mit neuen Grenzregimen. Bekannt wurde er durch sein 2019 erschienenes Sachbuch “Lütten Klein”, in dem es um sein Leben in der ostdeutschen Transformationsgesellschaft geht. In mehr als 40 Einzelveranstaltungen allein in Ostdeutschland stellte er sich damit den Fragen eines größtenteils nicht akademischen Publikums.

    Aktuell engagiert sich Mau in der Debatte um das WissZeitVG

    Mau engagiert sich auch für politische Bildung und Demokratieförderung. Seine soziologischen Sachbücher und Essays werden in der Schriftenreihe der Bundeszentrale für politische Bildung einem breiten Publikum zugänglich gemacht. 2012 bis 2018 war er Mitglied der Wissenschaftlichen Kommission des Wissenschaftsrats. Seine wissenschaftlichen Arbeiten wurden bereits vielfach ausgezeichnet, 2021 etwa mit dem Leibniz-Preis.

    Aktuell engagiert sich Mau in der Debatte um das WissZeitVG, die von ihm mit initiierte Petition erläuterte er im Interview mit Table.Media. In der Diskussion am heutigen Donnerstag mit BMBF-Staatssekretär Jens Brandenburg gehört er zu den Vertretern der Professorenschaft. abg

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    • DFG

    WissZeitVG: Postdoc-Kompromiss gesucht

    Nach der umfassenden Kritik an den Eckpunkten des BMBF zur Reform des WissZeitVG, will das Ministerium am heutigen Donnerstag noch einmal mit Interessengruppen und Stakeholdern ins Gespräch kommen. Unter dem Titel “Austausch zur Höchstbefristungsgrenze im Postdoc-Bereich” will das BMBF Alternativen für eine Höchstbefristung von drei Jahren in der Postdoc-Phase diskutieren. Der entsprechende Vorschlag im Eckpunktepapier war Auslöser für eine Vielzahl von Protesten. Zur Diskussion, die von 10 bis 12 Uhr per Livestream übertragen wird, lassen sich auch aus dem virtuellen Raum Fragen an die Moderation beitragen.

    Die Veranstaltung ist hochkarätig besetzt: neben dem aktuellen Communicator-Preisträger Steffen Mau (#ProfsfürHanna), haben sich auch der Vorsitzende des Wissenschaftsrats, Wolfgang Wick, die Präsidentin der DFG, Katja Becker und Rüdiger Bachmann von der University of Notre Dame angekündigt. Auch die Präsidenten der Max-Planck-Gesellschaft und der Helmholtz-Gemeinschaft, Martin Stratmann und Otmar Wiestler sind zugegen. Bundesforschungsministerin Bettina Stark-Watzinger kehrt morgen erst im Laufe des Tages von ihrer Reise nach Südafrika und Namibia zurück. Sie wird durch den Parlamentarischen Staatssekretär Jens Brandenburg vertreten.

    Postdoktoranden-Netzwerke nicht eingeladen

    Vonseiten der Beschäftigten nehmen Amrei Bahr (#ichbinHanna), Mathias Kuhnt (NGAWiss) und Andreas Keller (GEW) teil. Die Seite der Hochschulen vertreten Yvonne Dorf (DHV) und Anja Steinbeck (HRK). Die Gleichstellungsbeauftragten sind durch Canan Denli (bukof) vertreten, für die Junge Akademie ist Robert Kretschmer vor Ort. Nicht dabei sind die deutschen Postdoktoranden-Netzwerke, die sich dazu gestern in einer gemeinsamen Stellungnahme äußerten. “Wir sind frustriert, dass keines der großen deutschen Postdoktorandennetzwerke vom BMBF zu diesem Thema konsultiert wurde, obwohl uns dieses Gesetz direkt betreffen wird”, heißt es in der Erklärung.

    Als möglicher Kompromiss für eine Reformierung der Postdoc-Phase wird derzeit das Anschlusszusage-Modell gehandelt. Das besagt, dass bereits in der befristeten Phase eine unbefristete Stelle in Aussicht ist, wenn bestimmte Zielvereinbarungen erfüllt werden. Der Ausbau der Tenure-Track-Professuren wäre hier ein denkbarer Weg. Dafür sind aber die Länder verantwortlich.

    Wissenschaftsrat könnte vermitteln

    Eine wichtige Rolle in der Diskussion am Donnerstag wird dem Wissenschaftsrat zugeschrieben, weil in diesem neben dem Bund auch Länder, Hochschulen und Forschungsorganisationen vertreten sind. Bereits in der vergangenen Woche hatte der Soziologe Steffen Mau im Interview mit Table.Media das Gremium zur Koordinierung der Reform vorgeschlagen: “Dort könnte ein umfassender Vorschlag ausgearbeitet werden und man müsste auch keinen Kuhhandel unter Parlamentariern machen, sondern könnte sich darauf konzentrieren, das Wissenschaftssystem wettbewerbsfähig zu machen”, sagte Mau. Vonseiten des Forschungsausschusses wurde darauf hingewiesen, dass der Wissenschaftsrat für eine ausführliche Beschäftigung mit dem Thema Jahre Zeit brauchen würde. In der Diskussion am Donnerstag könnte aber zumindest seine Vermittlungskompetenz gefordert sein. tg

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    • WissZeitVG

    Datengesetz: Unsicherheiten und Unterschiede beseitigen

    Mit dem im Koalitionsvertrag vorgesehenen Forschungsdatengesetz will die Bundesregierung den Zugang zu Daten für die Wissenschaft verbessern. Derzeit läuft dazu eine Konsultation des BMBF, an der sich Interessengruppen noch bis zum 11. April beteiligen können. Die Bundesregierung erhofft sich unterschiedliche Meinungen und Statements, damit das Gesetz als Grundlage für den Aufbau der Nationalen Forschungsdateninfrastruktur (NFDI) alle Bedürfnisse berücksichtigen kann.

    “Die Bereitschaft, Forschungsdaten zur Verfügung zu stellen, benötigt Commitment und Vertrauen von allen Datenakteuren. Wir hoffen, dass klare Gesetze dazu beitragen, Unsicherheiten beim Umgang mit Daten abzubauen, das Forschungsmanagement zu stärken und Erkenntnisse sowie dadurch Innovationen zu fördern”, sagte dazu York Sure-Vetter, Direktor des Vereins Nationale Forschungsdateninfrastruktur.

    Wirrwarr bei Zuständigkeiten und Akteuren droht

    Immer mehr wissenschaftliche Entdeckungen würden mit bereits vorhandenen Forschungsdaten gemacht. Der NFDI setze sich dafür ein, dass diese Daten nach den FAIR-Prinzipien (auffindbar, zugänglich, interoperabel und wiederverwendbar) zur Verfügung gestellt werden. Dies solle das Gesetz unterstützen, fordert Sure-Vetter. Eine unkomplizierte Nutzung von Daten müsse durch das Gesetz auch im Sinne der internationalen Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands geregelt sein, sagte dazu der EFI-Vorsitzende Uwe Cantner.

    Es müsse die Möglichkeit eröffnen, dass verschiedene Datensätze für Forschungszwecke miteinander verbunden werden können. “Hürden in der Nutzung, wie etwa die unterschiedlichen Regelungen und Auslegungen in verschiedenen Bundesländern sind zu beseitigen oder zu verhindern”, fordert Cantner. Ein Wirrwarr droht aber nicht nur bei verschiedenen Datensätzen, sondern auch im Bereich der Zuständigkeiten. Ein beim Kanzleramt entstehendes Dateninstitut soll das gesamte Datenökosystem koordinieren.

    NFDI-Verein sucht das Gespräch zu anderen Akteuren

    Das Bundesgesundheitsministerium will seinerseits bis Ende des Jahres 2026 mindestens 300 Forschungsvorhaben unter Nutzung von Daten aus dem Forschungsdatenzentrum (FDZ) durchgeführt beziehungsweise initiiert haben. Grundlage dafür soll das Gesundheitsdatennutzungsgesetz sein, das gemeinsam mit dem Digitalgesetz und dem Forschungsdatengesetz für einen besseren Zugang zu Forschungsdaten sorgen soll. Das BMBF hat im wichtigen Bereich Gesundheit darüber hinaus ein neu eingerichtetes Forschungsdatenportal Gesundheit zu bieten, das auf die Medizininformatik-Initiative zurückgeht.

    Für die Zusammenarbeit aller Akteure sei die Klärung der Aufgaben, Ziele und Zuständigkeiten essenziell, meint York Sure-Vetter vom NFDI-Verein, “um keine Doppelstrukturen zu befördern oder divergierenden Strukturen aufzubauen”. Dazu sei der NFDI-Verein bereits im Dialog mit den FDM-Landesinitiativen, EOSC, Gaia-X, der Medizininformatik-Initiative oder Akteuren aus der Wirtschaft, wie dem Bundesverband der Deutschen Industrie e.V. (BDI). Ob bereits Regelungen zu spezifischen Zuständigkeiten in das Gesetz aufgenommen würden, könne der NFDI aktuell nicht beurteilen, sagte Sure-Vetter. tg

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    Presseschau

    Nature – The US should get serious about mining critical minerals for clean energy: Die USA sind bei für die Energiewende wichtigen Mineralien wie Mangan, Niob und Tantal auf Importe angewiesen. Die Erschließung neuer Minen braucht Zeit und das Recycling von Metallen oder der Tiefseebergbau sind zwar Optionen, können aber die steigende Nachfrage nicht decken. Saleem Ali plädiert für den Aufbau eines neuen Büros für nachhaltige Mineralien, das die Exploration und Investitionen ebenso managt wie den Umweltschutz. Mehr

    Science – A global approach for natural history museum collections: Einen ersten Schritt zum Aufbau eines globalen Netzwerks zur Verbesserung der Zugänglichkeit der Sammlungen haben 73 naturhistorische Museen gemacht. Sie erarbeiteten aus Daten einer Studie ein gemeinsames Vokabular von Sammlungstypen und geografischen Herkunftsgebieten. Die Naturkundemuseen der Welt wollen ihre unvergleichliche Sammlung digitalisieren und damit zugänglich machen. Mehr

    Geschichte der Gegenwart – Was würde Max Weber zum WissZeitVG sagen?:  Diese spannende Frage stellen Lisa Janotta und Álvaro Morcillo Laiz. Das WissZeitVG rahmt – gemeinsam mit dem Drittmittelwesen – die wissenschaftliche Wettbewerbsordnung. Einige Passagen von Weber ließen sich wohl als Argument für die derzeitige “Bestenauslese” verstehen. Im Weiteren zeigen die Autoren jedoch auf, dass Max Weber, der ‘Anwalt der Geistesaristokratie’, entsetzt darüber wäre, in welchem Maß die audit culture nicht den “Einfall”, sondern die Akquise belohnt. Mehr

    FAZ Neues Arbeitsgesetz: Denken am Wochenende verboten. Als Tragikomödie bezeichnen Ralf Poscher, Direktor des Max-Planck-Instituts zur Erforschung von Kriminalität, Sicherheit und Recht und Andreas Voßkuhle, ehemaliger Präsident des Bundesverfassungsgerichts, in einem Gastbeitrag ein vom Bundesarbeitsministerium geplantes Gesetz. Es soll eine Arbeitszeiterfassungspflicht für alle Arbeitnehmer vorsehen und, entgegen der Auffassung der EU-Kommission, auch die Wissenschaft erfassen. Sie erläutern, warum das den Wissenschaftsstandort Deutschland gefährdet und nicht mit der Wissenschaftsfreiheit vereinbar ist. Mehr

    Standpunkt

    Wissenschaft und Politik brauchen Spielregeln und bessere Übersetzungsleistung

    Von Birgitta Wolff
    Birgitta Wolff ist seit September 2022 Rektorin der Bergischen Universität Wuppertal. Auf dem DHV-Tag am 4. April spricht sie über das Verhältnis von Wissenschaft und Politik. Wolff ist Mitglied der CDU und war 2011 bis 2013 Wissenschaftsministerin in Sachsen-Anhalt.

    Hochschulen und ihre Leitungen verfügen über ein hohes Maß an finanzieller und inhaltlicher Freiheit. Das ist gut und richtig so und verschafft den Akteurinnen und Akteuren der Wissenschaft einen immensen Spielraum. Wer sorgt für diesen Spielraum? Die Steuerzahlenden und die Akteurinnen und Akteure in der Politik, die – als demokratisch legitimierte Sachwaltende – deren Interessen vertreten und mit ihren Regeln der Finanzierung von Hochschulen sowie Initiativen, Förder- und Forschungsprogrammen den Geldhahn öffnen.

    Diese Verbindung verpflichtet Universitäten zu einem verantwortungsvollen Wirtschaften und einer Orientierung ihrer eigenen Ansprüche an den gesellschaftlichen Herausforderungen. Die Hochschulen, die sich von der Gesellschaft finanzieren lassen, sollen gerade durch ihre Freiheit dieser dienen. Aus diesem Grund darf und muss die Politik ein Wörtchen mitreden können, sind Parlamente berechtigt, Wünsche an und Ziele für die Wissenschaft zu benennen. Sie sollten das allerdings technologieoffen tun und dabei nicht ausschließen, dass auch andere wissenschaftliche Ziele verfolgt werden. Die diskursive Herstellung eines grundsätzlichen Einvernehmens über gesellschaftliche Ziele von Wissenschaft darf nicht mit Eingriffen in das konkrete wissenschaftliche Agenda Setting verwechselt werden. Denn nur in ihrer Freiheit kann Wissenschaft letztlich der Gesellschaft dienen.

    Compliance zwischen Wahrheits- und Mehrheitssuche

    Mit Wissenschaft und Politik haben wir es mit zwei unterschiedlichen Systemen zu tun. Das führt zu Spannungen: In der Wissenschaft suchen wir im Sinne Niklas Luhmanns nach “Wahrheiten”, in der Politik nach “Mehrheiten”. Das ist nicht unbedingt deckungsgleich. Ein Agieren in diesem Spannungsfeld gelingt am ehesten, wenn man das jeweils andere System versteht und weiß, wie die darin agierenden Menschen ticken und welcher Systemlogik sie in ihrem Handeln folgen. Ständige Übersetzungsleistungen sind gefordert. Aber warum?

    Die unterschiedlichen Systemlogiken können dazu führen, dass wissenschaftliche Erkenntnis dann Gehör findet, wenn sie politischen Interessen dient, aber wo dies nicht der Fall ist, zunächst auch unbeachtet bleibt bis sich neue Machtkonstellationen ergeben. Die Logik der politischen Mehrheitssuche kann auch Wissenschaft anfällig dafür machen, sich vereinnahmen zu lassen. Das zu vermeiden ist nicht immer leicht, wenn doch Adressatinnen und Adressaten von wissenschaftlicher Politikberatung auch Geldgebende sein können. Hinreichende Rollenklarheit und die Einhaltung wissenschaftlicher Compliance-Regeln sind hier das Gebot, zum Beispiel die Offenlegung von Finanzquellen und Beratungsbeziehungen. Die Reputation in der Wissenschaftscommunity ist dabei zugleich ein Pfand, das die Angehörigen dieser Community in der Regel sorgfältig pflegen. Dies kann Politik zum Schutz vor “Fake Science” nutzen.

    Resonanz erzeugen: Zielgruppengerecht kommunizieren

    Neben einem Verständnis für das jeweils andere System ist die Art und Weise der Kommunikation entscheidend: Um sich auf Arbeitsebene auf Augenhöhe zu begegnen, benötigt die Politik eigentlich “nur” für sie verständlichere Informationen, nicht unbedingt mehr. Heißt: Damit Wissenschaft Gehör findet, muss sie zielgruppengerecht kommunizieren, nicht lange wissenschaftliche Stories erzählen. Politikerinnen und Politiker sind durchaus geübt darin, die für sie wichtigen und hilfreichen Kanäle in die Wissenschaft nach Bedarf selber zu schaffen, auch jenseits offizieller Beratungsgremien- und Austauschstrukturen. Das kann gut sein, denn so lernen beide Seiten voneinander und geben niedrigschwellig und informell Einblicke in ihre Systeme. Das kann aber auch schlecht sein, weil womöglich intransparent und nicht immer wissenschaftlich qualitätsgesichert. Politisch einflussreiche Wissenschaft ist nicht unbedingt die, die die Titelseite der Bildzeitung beherrscht, sondern eher die, deren Protagonistinnen und Protagonisten im Mobiltelefon von Entscheidungsträgern abgespeichert sind.

    Transparenter, aber mitunter weniger individuell und flexibel sind andere Formate, die die Wissenschaft teilweise selbst steuert. Die Leopoldina beispielsweise bringt sich als Nationalakademie gemäß ihrer Satzung in die wissenschaftsbasierte Beratung von Öffentlichkeit und Politik ein. Sie fördert ihrer Tradition nach Wissenschaften zum Wohle des Menschen und der Natur. Ihre Mitglieder haben definitionsgemäß alle eine Reputation zu verlieren – sonst wären sie nicht Mitglieder. Aber die Diskursprozesse in der jeweiligen Fachcommunity dauern länger als individuelle Positionierungen. Für die Politik mitunter ein Nachteil.

    Eine bedarfsgerechte Vielfalt an Austauschformaten zwischen Wissenschaft und Politik erhöht die Chance von Kommunikationserfolgen zwischen den Systemen. Dass der Bedarf an “Übersetzungsleistung” noch nicht gedeckt ist, zeigen nicht zuletzt die noch immer zu hörenden Rufe nach qualifizierter Wissenschaftskommunikation. Wir können noch besser werden.

    • Deutschland
    • Forschung
    • Wissenschaftskommunikation

    Heads

    Antonio Krüger – der KI-Problemlöser 

    Antonio Krüger, Leiter des Deutschen Forschungszentrums für Künstliche Intelligenz (DFKI)
    Forschungslandschaft muss zur KI-Förderung “mutiges Geld in die Hand nehmen”: DFKI-Leiter Antonio Krüger.

    Ein vollautomatisiertes Haus hat Antonio Krüger nicht, aber immerhin einen Staubsaugerroboter. Und wie viele andere nutzt auch er jede Menge Apps, die auf KI basieren – selbst gegen personalisierte Empfehlungen von Spotify hat der Informatik-Professor nichts einzuwenden. “Gut gemachte Personalisierung hilft insbesondere in der digitalen Welt, die Spreu vom Weizen zu trennen“, sagt er. Der 55-Jährige begeistert sich seit jeher für Rock ‘n’ Roll- und Punkmusik, aber auch für Science-Fiction und technische Utopien.  

    Überhaupt tritt der Leiter des Deutschen Forschungszentrums für Künstliche Intelligenz weder abgehoben noch nerdig auf, sondern vor allem dynamisch, entspannt und gut gelaunt. Er erzählt von seinen zwei erwachsenen Kindern und von seinem Karriereweg: Mit 16 Jahren besaß er – in den Achtzigerjahren – seinen ersten Computer und besuchte häufig die Bibliothek, um sich Lehrmaterial zu besorgen. “Ich fand schon immer Probleme interessant, die für Computer schwierig zu lösen sind“, sagt er. Damit sei schon früh klar gewesen, dass er sich mit “KI” beschäftigen muss – denn das stehe nicht nur für “künstliche Intelligenz”, sondern auch für “künftige Informatik”.

    KI ist mehr als nur maschinelles Lernen

    Als gebürtiger Hamburger landete Antonio Krüger für das Studium und die Promotion eher zufällig in Saarbrücken – und dieser Schritt legte die Weichen für seine spätere Karriere. In der saarländischen Landeshauptstadt passierte damals viel, unter anderem wurde hier 1988 das DFKI gegründet. Außerdem gibt es auf dem Campus zwei Max-Planck-Institute und das Helmholtz-Zentrum für Informationssicherheit. “Diese Dynamik nahm mich mit, da konnte ich mich weiterentwickeln”, erinnert sich Antonio Krüger, der nach fünf Jahren als Professor in Münster wieder zurück nach Saarbrücken ging.  

    Wünschen würde sich der Experte, dass die Öffentlichkeit – Politiker, Wirtschaftsvertreter und Wissenschaftler eingeschlossen – beim Stichwort “KI” nicht nur an das Maschinelles Lernen denkt, das in den letzten zehn Jahren stark an Bedeutung gewonnen hat. “In Zukunft werden wir funktionierende KI-Systeme haben, die aus vielen unterschiedlichen Bausteinen bestehen“, sagt Antonio Krüger. Bis es so weit ist, muss gerade die europäische Forschungslandschaft aber noch lernen, mutiges Geld in die Hand zu nehmen, um zügiger in große Modelle zu investieren – und sich dadurch unabhängiger von den USA zu machen, findet der Experte: “Wenn ich mir ansehe, wie viele Milliarden Euro für alles Mögliche zur Verfügung gestellt wird, kann ich nicht verstehen, warum man sich bei der LEAM-Initiative so ziert“. Janna Degener-Storr

    • Künstliche Intelligenz

    Mehr von Table.Media

    Bildung.Table: Mecklenburg-Vorpommern baut digitale Landesschule auf. Das Bundesland hat einen Weg gefunden, um digitale Bildung elegant bei kurzfristigen Lehrerausfällen einzusetzen. Schon im Herbst startet die bundesweit erste “allgemeinbildende digitale Landesschule”. Mehr

    Bildung.Table: Digitalpakt 2 ohne Verfassungsänderung. Eigentlich wollte die Ampel einen ambitionierten neuen Digitalpakt. Teurer sollte er werden, schneller und unkomplizierter. Nun zeigt sich: Das Vorhaben hat für die Regierungskoalition nicht mehr die höchste Priorität. Das hat Folgen. Mehr

    Europe.Table. BASF-Chef kritisiert abnehmende Wettbewerbsfähigkeit der EU. Einem Bericht des European Round Table for Industry zufolge sind in der EU die Investitionen in Forschung und Entwicklung relativ gering. BASF-Chef Martin Brudermüller fordert die europäischen Gesetzgeber auf, gegenzusteuern. Mehr

    Personalien

    Ariane Derks hat die Geschäftsleitung des Projektes “Lausitz Science Park” (LSP) übernommen. Sie verantwortet in ihrer Position den Aufbau einer Betreibergesellschaft für den Technologie- und Innovationspark, ein Vorhaben der Strukturentwicklung unter der Federführung der BTU in Cottbus. Zuletzt war Derks Geschäftsführerin des Deutschen Marketing Verbands und der DMV GmbH sowie als Head of Corporate Social Responsibility bei der Thyssenkrupp AG tätig.

    Michaela Eikermann (Essen) ist die neue Vorsitzende des Netzwerks Evidenzbasierte Medizin. Ihr zur Seite stehen Tanja Krones (Zürich) und Nicole Skoetz (Köln) als Stellvertreterinnen Stefan Sauerland (Köln) als schriftführendes Vorstandsmitglied.

    Jörg Overmann wurde zum Sprecher der Sektion C – Lebenswissenschaften – der Leibniz-Gemeinschaft gewählt. Der wissenschaftliche Direktor des Leibniz-Instituts DSMZ Deutsche Sammlung von Mikroorganismen und Zellkulturen ist damit gleichzeitig auch Mitglied des Präsidiums der Leibniz-Gemeinschaft.

    Kai-Oliver Schocke übernimmt zum 1. April das Amt des Präsidenten der Frankfurt University of Applied Sciences (Frankfurt UAS). Seit 2019 leitete der Professor für Logistik und Produktionsmanagement den Fachbereich Wirtschaft und Recht der Frankfurt UAS. Er folgt auf Frank E.P. Dievernich nach, der die Hochschule von 2014 bis Mitte 2022 führte. 

    Christoph Wanner wird ab April je zur Hälfte als Seniorprofessor am Deutschen Zentrum für Herzinsuffizienz und an der Clinical Trial Service Unit der University of Oxford tätig sein, wo er eine neue Studie mit rund 11.000 Patienten organisieren wird. Am Universitätsklinikum Würzburg hat er fast 30 Jahre lang die Nephrologie in der Medizinischen Klinik geleitet und geht dort in den Ruhestand.

    Ändert sich etwas in Ihrer Organisation? Schicken Sie uns gerne einen Hinweis für diese Rubrik an research@table.media!

    Sattelbergers Rigorosum

    Wenn das BMBF vor Soziologen in die Knie geht 

    Wenig länger als der Zeitraum eines bösen Hangovers: von Freitagmorgen kurz vor neun bis Sonntag um fünf Uhr nachmittags dauerte es, bis die neue Bildungsstaatssekretärin Sabine Döring nach einem moderaten Shitstorm auf Twitter den Referentenentwurf des Wissenschaftszeitvertragsgesetze zurück in den Maschinenraum beorderte. Die vormalige Philosophie-Professorin twitterte, dass sie bedingt durch ihre erst jüngst erfolgte Berufung jetzt auch daran mitarbeiten könne. 

    WissZeitVG: Einknicken unnötig 

    Liebe Ex-Kollegen/-innen des Bundesministeriums für Bildung und Forschung, bitte aufpassen und jetzt einen kühlen Kopf bewahren. Das empfiehlt ein in Twitterschlachten erfahrener Experte. Das, was sie erlebt haben, das war kein Tornado, sondern ein April-Wasserguss. Ein so bedingungsloses Einknicken vor diesem war und ist unnötig, ja politisch hochriskant. Denn die Gefahr ist groß, sich voreilig von bestimmten Interessensgruppen vereinnahmen lassen!  

    Die Kritik am #Wissenschaftszeitvertragsgesetz hat ihre Schlagseite. Schon #IchbinHanna und jetzt erst recht die Unterschriftenliste #ProfsfürHanna haben einen massiven Bias. Sie werden überwiegend von der Fachkultur Sozialwissenschaften insbesondere der Soziologie dominiert. Da hätte ich keine Einwände, wenn es transparent wäre, vielleicht sogar nach Fachkulturen differenziert. Derzeit studieren von den über 2,9 Millionen immatrikulierten Studenten circa 41.000 Soziologie. Selbst wenn man unsachgemäß Hunderttausende Sozial- und Geisteswissenschaftler dazu rechnen würde, wären es meiner Schätzung nach nur knapp ein Fünftel der Studierenden. 

    Auch bei der Fachkultur der Promovierenden dominieren nicht die Sozialwissenschaften. 

    Protest gegen das WissZeitVG bedient Einzelinteressen 

    In Baden-Württemberg beispielsweise begannen 2021 gut 43 Prozent ihre Promotion in einem MINT-Fach. Mehr als ein Drittel (34 Prozent) strebte einen Abschluss in der Fächergruppe Humanmedizin/Gesundheitswissenschaften an. Knapp 12 Prozent entschieden sich für ein Fach der Rechts-, Wirtschafts- und Sozialwissenschaften, 7 Prozent für ein geisteswissenschaftliches Fach. Alle anderen Fächergruppen kamen zusammen auf knapp 4 Prozent der Promotionsanfängerinnen und -anfänger.      

    Überall wird sichtbar, dass mit der aktuellen Kampagne Partikular-Interessen bedient werden. Damit treffe ich noch keine Aussage, ob berechtigt oder nicht. Die lautstarke Agitprop-Fähigkeit, der sogenannten “weichen” Fächer steht in keinem Verhältnis zu ihrem proportionalen Anteil. Übrigens sind diese Fächer in der GEW wie in politischen Parteien links der Mitte ebenfalls überproportional vertreten. Auch Andreas Keller, Vorstand der GEW zuständig für Hochschule und Forschung, entstammt dieser Fachkultur. Auf Social Media antwortete er mir auf diese meine Argumente, nein, die Minderheit seien die Unibosse. Schade, es gab einige Jahre, in denen wir sehr konsensual miteinander umgingen. Aber das Blasen einer Kampagnen-Posaune macht oft taub für andere Realitäten.     

    Wie so oft schweigt die übergroße Mehrheit. Sind #MINT -Disziplinen und andere Disziplinen etwa anspruchsloser oder gar zufriedener? Ich bin so frei zu sagen, dass die Wetterfestigkeit, die Souveränität und die Zukunftsfähigkeit dieser Nation im Augenblick deutlich mehr von den harten als den weichen Fächern abhängt.  

    Es braucht crosssektorale Laufbahn-Beratung 

    Innovating Innovation: Ein neues Wissenschaftszeitvertragsgesetz wird sich immer in Zielkonflikten bewegen. Zwischen dem berechtigten Interesse derer, die eine Wissenschaftskarriere verfolgen wollen, dem nach einer deutlich stabileren Lebensplanung, dem der Generationen-Gerechtigkeit für die danach kommenden Generationen an Forschenden, die ihre Entwicklungswege nicht auf Jahre zugesperrt erleben wollen, dem der Hochschulen nach Flexibilität in der Personaldisposition und dem Interesse vieler Stakeholder, dass Hochschulen durch ständige Mobilität nach draußen und nach drinnen innovationsstark bleiben können. Wir brauchen ein Befristungsrecht, das sich nicht an den dogmatischen Wünschen einer Fachkultur orientiert, sondern die ganze Bandbreite im Blick hat, vor allem aber die Zielkonflikte ausbalanciert. Und dafür fand ich den Referentenentwurf so schlecht nicht.  

    Nur eines fehlte. Ich habe zum Beispiel immer davon gesprochen, dass es in frühen Semestern crosssektorale Laufbahn-Beratung geben muss. Vielleicht ist das in manchen Disziplinen besonders nötig und weniger bei MINT. Ich kenne viele Sozial -Wissenschaftler/-innen, die gar nicht wussten, dass es auch in der Wirtschaft und der Zivilgesellschaft nicht wenige solcher Karrierepfade für sie gibt. Und sozial-wissenschaftliche Kompetenz ist dort dringend nötig!  

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