
Luc Rémont, der neue Vorstandsvorsitzende des französischen Energiekonzerns EDF, war vorbereitet – und dennoch war es eine schwierige Übung. Am 17. Februar musste er einen historischen Verlust von 17,9 Milliarden Euro im Jahr 2022 ankündigen und eine Verschuldung von 64,5 Milliarden Euro, die sich seit 2018 verdoppelt hat.
Ist EDF also ein finanzieller Klotz am Bein der Regierung in Paris? Der Konzern, der im vergangenen Jahr vollständig verstaatlicht wurde, bietet einen sehr willkommenen politischen Hebel im Land der Gelbwesten – insbesondere, um soziale Spannungen abzubauen. Ein Beispiel? Im Jahr 2022 verfügte die Regierung, dass das Unternehmen die Strompreisbremse finanzieren würde, um Haushalte und Unternehmen vor steigenden Energiepreisen zu schützen. Die so entstandenen Kosten für EDF belaufen sich auf acht Milliarden Euro, denn die Strompreisstruktur in Frankreich zwingt momentan EDF dazu, den Verbrauchern Strom zu verkaufen, der zehnmal billiger ist als die Produktionskosten.
Die Schulden, so astronomisch sie auch sein mögen, können überschaubar bleiben, wenn – und nur wenn – es der EDF gelingt, neues Geld hereinzuholen. Das heißt, indem sie mehr und teureren Strom verkauft. Also wendet sich Paris an Brüssel. Und hier kommt das Brüsseler Quartett ins Spiel: Taxonomie, Wasserstoff, die Reform des Strommarktes und die grüne Industrie, die auf das süße Akronym NZIA (Net Zero Industry Act) hört.
Wieder Zoff mit Berlin
Während Paris die Schlacht um die Taxonomie gewonnen hat, ist der Ausgang in Bezug auf die Definition von grünem Wasserstoff noch ungewiss. Die Frage lautet nämlich, ob durch Kernenergie erzeugter Wasserstoff als grün zählt, weil emissionsfrei. Dieses Thema wird am kommenden Dienstag auf der Agenda in Brüssel stehen, wo ein technischer Trilog über die Überarbeitung der Richtlinie über erneuerbare Energien stattfinden wird. Die Diskussionen dienen der Vorbereitung des abschließenden Trilogs, der weiterhin für den 29. März geplant ist.
Bei der Reform des Strommarktes konnte sich Paris aus der Affäre ziehen. Frankreich erreichte nämlich, dass die Kernenergie nicht von der Regelung ausgenommen wurde. Zur Erinnerung: In einem Entwurf hatte sich die EU-Kommission in ihrer Regelung für die Modernisierungskosten zunächst nur auf neue Atomkraftwerke beschränkt. Auf der Zielgeraden und unter dem Druck von Paris wurde die Regelung schließlich auf die Modernisierungskosten ausgeweitet, die in den bestehenden Atomkraftwerken anfallen werden.
Dass teilweise fast die Hälfte der französischen Kraftwerke zu Wartungszwecken abgeschaltet war, zeigt, wie wichtig dieser Punkt ist. In Brüssel besteht jedoch kein Zweifel daran, dass Berlin in den nun beginnenden Verhandlungen zwischen den EU-27-Staaten seine kritische Stellung zur Atomkraft verteidigen wird.
„Historische Verbindung zur Atomtechnologie“
Bleibt noch die grüne Industrie. Frankreichs Wirtschaftsminister Bruno Le Maire wartete nicht einmal die offizielle Vorstellung der NZIA-Gesetzesvorschläge der Kommission am gestrigen Donnerstag ab, um die Feindseligkeiten zu eröffnen. Als er vergangene Woche in Paris vor der Presse sprach, sagte der deutschsprachige Minister der Regierung Macron: „Wir wollen, dass die Kernenergie als saubere Energie im Net-Zero Industry Act berücksichtigt wird. Es gibt keinen Grund, warum Solarpaneele und Rotorblätter von Windkraftanlagen darin aufgenommen werden sollten und nicht die Kernenergie.“
Und dann ergänzte er noch: „Niemand sollte an der Fähigkeit Frankreichs zweifeln, seine strategischen Interessen zu verteidigen.“
Für den (unwahrscheinlichen) Fall, dass man am französischen Willen, seine Atomindustrie zu verteidigen, zweifeln könnte, hier noch ein Zitat aus der Rede der Ministerin für die Energiewende, Agnès Pannier-Runacher, in der Nationalversammlung in dieser Woche: „Unser Land hat eine historische Verbindung zur Atomtechnologie, die auf einen starken und ehrgeizigen politischen Willen zurückzuführen ist: den von General de Gaulle und seinen Nachfolgern“.
Ob der Energiekonzern EDF in der Lage sein wird, Mittel für den Schuldenabbau und Investitionen in erneuerbare Energien und Netze sowie in die Kernenergie zu generieren, hängt vom Ausgang dieses Kräftemessens ab.