in einigen EU-Staaten – etwa in Schweden und Italien – kooperieren EVP-Mitgliedsparteien mit Parteien, die weiter rechts stehen. Und auch EVP-Chef Manfred Weber blickt in diese Richtung. Auf der Suche nach neuen Partnern für seine schwächelnde Parteienfamilie geht er unter anderem auf die EKR-Fraktion zu, wie Markus Grabitz berichtet. Italiens Ministerpräsidentin Giorgia Meloni soll er in den vergangenen Monaten mehrfach getroffen haben. Dagegen regt sich Protest – auch in den eigenen Reihen.
Allein in der EU stieg die Nachfrage nach Textilien in wenigen Jahrzehnten um 40 Prozent. Immer mehr, immer schneller – das ist oft die Devise in der Branche. Unter den oft verheerenden Auswirkungen leiden besonders Menschen außerhalb der EU. Um den ökologischen und sozialen Fußabdruck zu verkleinern, setzt die EU-Kommission vor allem auf das Recycling von Textilien. Doch entsprechende Techniken stehen noch am Anfang. Recycling-Betriebe stoßen auf eine ganze Reihe an Hindernissen, etwa die Frage, mit welchen Materialien sie es überhaupt zu tun haben. Caspar Dohmen und Charlotte Wirth haben recherchiert.
Und noch ein Hinweis: Am Dienstag ist mit dem ersten Africa.Table das jüngste Professional Briefing von Table.Media an den Start gegangen. Africa.Table wird fortan jeden Dienstag ein realistisches Bild des afrikanischen Kontinents zeichnen – über Krisen, die kaum zu bewältigen scheinen, aber auch über Länder, die in großen Schritten vorankommen und dem globalen Norden in vielen Aspekten voraus sind. Hier können Sie sich kostenlos für den Africa.Table anmelden.
In den Umfragen stehen die EVP-Mitgliedsparteien nicht gut da. Wenn am Sonntag Europawahl wäre, würde die EVP-Fraktion im Parlament in einer Berechnung des Politologen Manuel Müller von 176 auf 166 Sitze absacken. Die Daten stammen zwar noch aus Umfragen vor Bekanntwerden des Korruptionsskandals, der die sozialistische Fraktion betrifft, doch in der Momentaufnahme von Anfang Dezember verlieren die EVP-Mitgliedsparteien in Italien, Spanien, Frankreich und Portugal Boden.
Für die EVP, die seit 1999 stärkste Fraktion im Parlament ist, geht der Trend seit Jahrzehnten nach unten. Anfang des Jahrtausends stellte die EVP zeitweise 295 Abgeordnete (von seinerzeit 788), derzeit gibt es 176 EVP-Abgeordnete.
Manfred Weber, seit 2014 Fraktionschef und seit Sommer auch Parteichef, muss den Niedergang stoppen. Die EVP kann nur aus der Position der Stärke Anspruch erheben, wichtige Posten in der EU zu besetzen und die Gesetzgebung maßgeblich zu beeinflussen.
Derzeit stellt eine EVP-Mitgliedspartei in zehn von 27 Mitgliedstaaten den Staats- oder Regierungschef. Da sind zuletzt einige dazu gekommen, etwa in Irland, wo die Führung der Regierung an den Christdemokraten Leo Varadkar ging. Es könnte sein, dass in diesem Jahr noch EU-Staaten hinzukommen: In Spanien, Polen und Finnland wird gewählt. Und die Herausforderer mit EVP-Parteibuch sind nicht chancenlos.
In Spanien könnte die christdemokratische PP auf die populistische Vox angewiesen sein, in Schweden tolerieren die rechten Schwedendemokraten eine Minderheitsregierung unter Beteiligung der Christdemokraten. In Italien ist die christdemokratische FI Juniorpartner von den Fratelli d’Italia, die ihre Wurzeln im Faschismus haben. In etlichen EU-Staaten kooperieren EVP-Mitgliedsparteien also bereits mit weiter rechts stehenden Organisationen.
Weber selbst sind politisch derbe Töne weitgehend fremd, doch bei der Suche nach neuen Unterstützern und Mitgliedern für die Fraktion richtet auch er seinen Blick eher nach rechts. Er sondiert seit Längerem bei Mitgliedern der 63 Abgeordnete umfassenden EKR-Fraktion. Im Blick hat er insbesondere italienische Abgeordnete der Fratelli d’Italia. Deren Chefin, Italiens Ministerpräsidentin Giorgia Meloni, soll er in den vergangenen Monaten allein dreimal getroffen haben. Derzeit sind acht Abgeordnete ihrer Partei im Europaparlament. Es könnten nach der Europawahl im Mai 2024 aber deutlich mehr werden. In den Umfragen sind die Fratelli derzeit die stärkste Partei in Italien.
Auch mit der Nieuw Vlaamse Alliantie (NVA) aus Belgien hat Weber geredet, die derzeit drei Abgeordnete in Straßburg stellt. Infrage für Abwerbungsversuche kommen auch noch die Rechtspopulisten von Vox in Spanien oder die tschechische Regierungspartei ODS. In der vergangenen Straßburger Sitzungswoche hatte sich Weber mit den Chefs der nationalen Gruppen in der EVP in den kleinen Ort Obernai südlich von Straßburg zurückgezogen. Dabei informierte er sie auch über den Stand der Abwerbungsversuche.
Nicht nur bei Sozialisten, Grünen und Kommunisten erntet er Protest für die Gespräche mit Parteien, die als Postfaschisten, Separatisten und Rechtspopulisten gelten. Auch aus der EVP heraus gibt es Widerstand: Sein Vorgänger im Amt des EVP-Parteichefs, Donald Tusk, der im Herbst die Wahl gegen die PiS, eine EKR-Mitgliedspartei, gewinnen will, hat Weber dem Vernehmen nach vor die Wahl gestellt: sie oder wir. Auch die flämischen Christdemokraten haben Weber ein Ultimatum gestellt, hört man. Er soll beiden Schwesterparteien zugesichert haben, dass bis zur Europawahl nichts passiert.
Für die Zeit nach der Wahl schließt Weber aber Übertritte aus der EKR oder eine lockere Unterstützung nicht aus. Anders als bei nationalen Wahlen, wo die Zusammensetzung der Fraktionen noch am Wahlabend so gut wie feststeht, formieren sich nach Europawahlen die Fraktionen erst allmählich. Je nach Zugeständnissen kann manche Fraktion auf dem Transfermarkt wichtige Neuverpflichtungen machen. Offenbar sind viele in der EKR-Fraktion die Dominanz der polnischen PiS-Abgeordneten leid. 24 von 63 Abgeordneten stellt die PiS derzeit in Straßburg. Bei der EKR ist intern schon die Rede von einem “polish run business”. Davon könnte Weber profitieren.
Auch in der liberalen Fraktion von Renew hofft Weber auf Unterstützer oder Überläufer. Vornehmlich unter Franzosen. Im EVP-Lager rechnet man damit, dass die Fliehkräfte von Emmanuel Macrons Sammlungsbewegung Renaissance spätestens nach der Europawahl dafür sorgen, dass die Partei in einen links- und einen rechtsliberalen Flügel zerfällt.
Weber ist offen für neue Allianzen, auch mit neuen rechten Parteien – zumal viele traditionelle Partner wie die Républicains in Frankreich und die Forza Italia massiv an Bedeutung verloren haben. Weber hat Mindestbedingungen an mögliche Partner definiert: Sie müssen proeuropäisch sein, klar zur Nato stehen und sich für die soziale Marktwirtschaft aussprechen.
Als Parteichef muss Weber die inhaltliche und personelle Aufstellung der EVP für die Europawahl organisieren. Bei einem großen Parteitag im Januar 2024 soll der Spitzenkandidat gewählt werden – oder die Spitzenkandidatin. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat sich nach eigenen Worten noch nicht entschieden, ob sie eine zweite Amtszeit anstrebt. Obwohl ihr Verhältnis zu Weber und den deutschen Christdemokraten nicht gut ist, wird aber nicht damit gerechnet, dass man ihr Steine in den Weg legt, wenn sie weitermachen wollte.
Von der Leyen, die als Kommissionspräsidentin qua Amt dem EVP-Präsidium angehört, müsste bis zum Sommer ihre Kandidatur für das Europaparlament in ihrem CDU-Landesverband anmelden. Sollte sie nicht mehr antreten, wird mit Parlamentspräsidentin Roberta Metsola als Spitzenkandidatin gerechnet. Das Manko der 44-jährigen Malteserin ist, dass sie über keine Regierungserfahrung verfügt.
“Lasst uns Fast Fashion aus der Mode bringen”, sagte die SPD-Europaabgeordnete Delara Burkhardt, als sie vergangene Woche ihren Initiativbericht zu kreislauffähigen Textilien vorstellte. Die Sozialdemokratin will mit dem Modell brechen, wonach immer neue textile Trends immer schneller und günstiger produziert werden. Allein in der EU stieg die Nachfrage nach Textilien in wenigen Jahrzehnten um 40 Prozent.
Wie weit die Textilindustrie von einer sozialen und ökologischen Zukunftsfähigkeit entfernt ist, zeigen einige Zahlen: In Europa liegt der Sektor, gemessen an den negativen Auswirkungen auf Umwelt und Klimawandel, auf Platz 4. Die größten Auswirkungen spüren die Menschen außerhalb der EU: Laut einer Studie der gemeinsamen Forschungsstelle der EU-Kommission (JRC) entstehen 76 Prozent der Treibhausgasemissionen außerhalb Europas. Über 90 Prozent der Wasser- und Landnutzung für die Textilherstellung findet in Nicht-EU-Ländern statt.
Auch die soziale Komponente macht sich im EU-Ausland bemerkbar: Unter den schädlichen Einkaufspraktiken der großen Handelsmarken leiden die zumeist weiblichen Arbeiterinnen am Anfang der Lieferkette. Es sei Zeit für ein EU-Gesetz gegen schädliche Praktiken in der Textilbranche, sagte am Montag der Vorsitzende des Handelsausschusses, Bernd Lange (SPD).
“Wir müssen den Markt gezielt dazu nutzen, nachhaltige Produktionsstandards zu setzen“, fordert Delara Burkhardt. Sie plädiert etwa dafür, dass die Überproduktion von Kleidungsstücken und Schuhen behoben und die Zerstörung nicht verkaufter Textilien verboten wird. Ihr Initiativbericht lehnt sich an die Strategie für nachhaltige und kreislauffähige Textilien an, die die EU-Kommission vergangenes Jahr vorgestellt hat. Demnach sollen bis 2030 alle Textilerzeugnisse im Binnenmarkt größtenteils aus Recyclingfasern bestehen und frei sein von gefährlichen Stoffen.
Um das zu erreichen, setzt die Kommission auf ein ganzes Mosaik an Instrumenten: von der Ökodesignverordnung über die Abfallrahmenrichtlinie bis hin zu der REACH-Verordnung zur Regulierung von Chemikalien.
Ein Beispiel: Ab 2025 sollen im Rahmen der Abfallrahmenrichtlinie Textilien getrennt eingesammelt werden. Dies könnte eine große Chance für den Recyclingmarkt bedeuten. Aber noch stecken die meisten Technologien, um Textile zu sortieren und Textilfasern zu recyceln, in den Kinderschuhen. Das räumt auch die EU-Kommission ein: Sortiersysteme und moderne Recyclingsysteme müssten dringend entwickelt werden, schreibt sie in ihrer Strategie.
Das Recyceln von Textilgeweben ist kompliziert, weil sie häufig aus Mischgewebe aus den unterschiedlichsten Fasern bestehen. Bislang lohne sich die Forschung für bessere Recyclingverfahren nur für hochpreisige und in großen Mengen verfügbare Fasern, sagt der Textilforscher Thomas Fischer. Insbesondere im Fast-Fashion–Bereich setzen sich Kleider fast ausschließlich aus synthetischen oder erdölbasierten Materialien zusammen. Darunter sind auch Stoffe, die die Kommission als gefährlich einstuft, etwa weil sie karzinogen oder sind oder negative Folgen für die Fruchtbarkeit von Frauen und Männern haben können.
Neue Recyclingtechniken wie das Fiber-to-Fiber-Recycling oder chemische Recyclingtechnologien sollen Abhilfe schaffen, doch sie sind entweder noch nicht marktreif oder benötigen hohe Investitionen, um sich für die Massenproduktion zu eignen.
Hinzu kommt, dass die Recyclingindustrie bis heute nicht bereit ist, die großen Masse an gebrauchten Textilien zu verarbeiten, die spätestens ab 2025 anfallen – ganz gleich, welche Technik sie nutzt. Die Kapazitäten müssten dazu jährlich mit bis zu 90.000 Tonnen Textilien zusätzlich fertig werden, rechnet der JRC vor.
Ein weiteres Problem ist, dass Recycling-Betrieben oft wichtige Informationen zur Zusammensetzung der Textilien fehlen, gibt Delara Burkhardt zu bedenken. Es reiche daher nicht, dass Recyclingunternehmen sich anpassen. Auch die Transparenzregeln für Textilproduzenten und die Zusammensetzung von Produkten müssten sich ändern.
Im Rahmen der Ökodesignverordnung sollen beispielsweise strengere Anforderungen an Konzeption und Design von Produkten gelten, damit sie sich zur für die Wiederverwendung oder das Recycling eignen. Mit diesem Ansatz orientiert sich die EU-Kommission am Prinzip der Slow Fashion, der bisher einen Nischenplatz in der globalen Textilproduktion einnimmt. Der Gesetzesvorschlag der Kommission wird momentan in Parlament und Rat diskutiert. Mit Trilogen ist erst in der zweiten Jahreshälfte zu rechnen.
Es sei schwierig, die Kaufgewohnheiten der Verbraucher zu ändern, räumt die Kommission in ihrer Strategie ein. Viel eher müssten Unternehmen auf neue Geschäftsmodelle setzen, um ihre Kunden zum Umdenken zu bewegen: Etwa indem sie das Produkt als Dienstleistung werten und Reparaturdienste oder Second-Hand-Kollektionen anbieten.
Doch dieser Ansatz dürfte sich äußerst schwierig gestalten, schlussfolgert eine Studie der finnischen Aalto University School of Science zu kreislauffähigen Geschäftsmodellen. Firmenkulturen, Kompetenzen und Prozesse seien seit Jahrzehnten darauf ausgelegt, immer mehr, immer schneller und immer neue Produkte zu produzieren. Die Forscher sprechen von Verhaltensbarrieren, die sehr schwer zu ändern seien. Hinzu komme, dass kreislauffähige Geschäftsmodelle sich finanziell oft nicht lohnen: “Produkte, die für die Kreislaufwirtschaft konzipiert wurden, passen oft nicht in das bisherige Portfolio der Produzenten: Sie sind entweder zu teuer oder lassen sich nicht in der nötigen Menge produzieren.”
Delara Burkhardt ist da optimistischer: Eine strengere Regulierung des Marktes setze schließlich die nötigen Anreize für Investitionen, die für die Transformation hin zu einer nachhaltigeren Textilbranche nötig sind. Caspar Dohmen und Charlotte Wirth
Das Europaparlament will den Technologietransfer nach China in der Chipindustrie einschränken. “In Anbetracht des offensiven Spionageprogramms der chinesischen Regierung wollen wir keine Übertragung von Intellectual Property nach China mehr“, sagte der niederländische Abgeordnete Bart Groothuis, Schattenberichterstatter der Liberalen im federführenden Industrieausschuss.
Der Ausschuss nahm am Dienstag mit großer Mehrheit Änderungen am Kommissionsvorschlag zum Chips Act an, nach denen ein entsprechender Artikel (27 a) hinzugefügt würde. Der Bericht von Berichterstatter Dan Nica (S&D) ist die Grundlage für die abschließenden Verhandlungen des Europaparlaments mit den Mitgliedstaaten, die Zustimmung des Plenums im Februar gilt als Formsache. Ziel des Chips Act ist es, Europa als Standort für Forschung und Produktion in dem strategisch wichtigen Sektor zu stärken und besser auf Lieferengpässe vorzubereiten.
Die Abgeordneten fordern, dass Halbleiterfirmen Geschäftsgeheimnisse und IP-geschützte Informationen nur in Drittstaaten transferieren dürfen, mit denen Abkommen zum Schutz des geistigen Eigentums existieren. Unternehmen, die im Rahmen des Chips Act staatliche Förderung erhalten, sollen sich in Vereinbarungen mit der Kommission oder dem zuständigen Mitgliedstaat verpflichten, solche Informationen nicht zu transferieren. Ausgenommen sind vorhandene Werke oder Technologie für ältere Chipgenerationen. Bei Verstößen müssten die Firmen demnach die Staatshilfen zurückzahlen.
Der Vorstoß der Abgeordneten dürfte in Washington gerne gesehen werden: Die US-Regierung hatte im Oktober weitreichende Ausfuhrbeschränkungen verhängt, die den Zugang chinesischer Hersteller zu moderner Chiptechnologie erschweren soll. Washington drängt insbesondere die Niederlande, Heimat des führenden Chipmaschinenbauers ASML, nachzuziehen. Den Haag willigte ein, die Ausfuhr modernster EUV-Maschinen zu stoppen. Die Regierung zögert aber bei Technologie, die ASML bereits nach China geliefert hat.
Der neue China-Artikel ist einer von mehreren Änderungen, die die Europaabgeordneten am Kommissionsvorschlag vornehmen wollen. Die Mitgliedstaaten hatten ihre Verhandlungsposition für den Trilog bereits Anfang Dezember beschlossen.
An diesen Stellen schärft das Parlament nun nach:
Der Ausschuss für Binnenmarkt und Verbraucherschutz (IMCO) hat den Entwurf der EU-Kommission zu politischer Werbung im Internet deutlich nachgeschärft. Nach den am Dienstag in Brüssel beschlossenen Änderungsanträgen soll die Auswertung personenbezogener Daten eingeschränkt werden. Für gezielte politische Werbung sollen künftig nur noch jene persönlichen Informationen genutzt werden dürfen, die von den Bürgern ausdrücklich zu diesem Zweck freigegeben worden sind.
Die Kommission hatte ihren Vorschlag für eine Verordnung über die Transparenz und das Targeting politischer Werbung im November 2021 vorgelegt. Die Verordnung soll die Europawahl im kommenden Jahr absichern und Missbrauch und Manipulationen wie bei Cambridge Analytica oder beim Brexit-Referendum verhindern helfen. Der Rat hatte seine Position im Dezember 2022 festgelegt. Nach einem abschließenden Votum im Plenum des Europaparlaments im Februar ist nun der Weg für Verhandlungen im Trilog frei. Mit einer Einigung wird im Sommer gerechnet.
Allerdings liegen die Positionen noch weit auseinander. Der Rat hatte den Vorschlag der Kommission abgeschwächt, das Parlament will ihn nachschärfen. Die Abgeordneten fordern eine EU-weite Datenbank für alle politischen Anzeigen im Internet. Dies soll die Transparenz erhöhen und dabei helfen, Desinformation und ausländische Einmischung zu erkennen. Beim Targeting sollen nur jene Informationen genutzt werden, die von den Bürgern ausdrücklich zur Verfügung gestellt werden. “Überwachungswerbung” soll verboten werden.
“Es geht darum, Haftung und Transparenz zu stärken”, sagte der zuständige Berichterstatter Sandro Gozi (Renew). Die Änderungen würden ein “starkes Signal” vor der Europawahl aussenden und mögliche Manipulationen erschweren. Allerdings habe man auch Kompromisse machen müssen. Politische Werbung im Internet solle auch künftig möglich sein, die Abgrenzung von kommerziellen Anzeigen sei nicht immer trennscharf. Auch habe man sich bei den neuen Regeln nicht ausschließlich auf Parteien und Politiker begrenzen können.
Die Reichweite der neuen Regeln sorgt bereits seit Wochen für hitzige Diskussionen. Kritiker fürchten, dass die EU die freie politische Meinungsäußerung einschränken könnte. Davor warnen auch Google und andere Plattformen. Im Europaparlament sieht man jedoch keine Gefahr. Selbst gepostete Inhalte seien von den vorgeschlagenen Targeting-Regeln ausgeschlossen, sagt Patrick Breyer, Europaabgeordneter der Piratenpartei. Die Amplifizierung organischer Inhalte werde nicht neu geregelt.
Mehr Härte fordert er dagegen gegenüber Parteien und Politikern. Die vom Rat befürworteten Targeting-Regeln seien “eine Farce” und würden die Manipulation von Wahlen und Volksabstimmungen unvermindert weiter gehen lassen. Das Parlament müsse daher im kommenden Trilog “hart bleiben, um unsere demokratischen Wahlen und Abstimmungen zu schützen”.
Alexandra Geese von den Grünen sagte: “Ich freue mich, dass wir im Ergebnis erreicht haben, dass unsere demokratischen Wahlen besser gegen Manipulation und verdeckte Einflussnahme geschützt werden.” Sensible Daten wie die sexuelle Orientierung oder politische Meinung einer Person dürften nicht mehr für politische Werbezwecke missbraucht werden. “Parteien, die unterschiedlichen Wählergruppen widersprüchliche Inhalte zuspielen, fliegen auf.”
Vier Ausschüsse haben am Dienstag über ihre Position zur nachhaltigen Unternehmensführung (Due Diligence) abgestimmt. Die jeweiligen Stellungnahmen werden die Arbeit für Berichterstatterin Lara Wolters (S&D) erschweren, da sie sehr unterschiedlich ausfallen.
Während der Wolters-Bericht den Kommissionsentwurf stark verschärft, plädiert der Ausschuss für Industrie, Forschung und Energie (ITRE) für einen pragmatischeren Ansatz. So soll die Sorgfaltspflicht nicht, wie von Wolters vorgeschlagen, für die gesamte Wertschöpfungskette (also Upstream und Downstream-Aktivitäten) gelten, sondern sich auf direkte Geschäftspartner beschränken. Zudem will der Ausschuss die Anzahl der Unternehmen, auf die sich das Lieferkettengesetz beziehen soll, auf Unternehmen ab 5.000 Mitarbeitern einschränken (1000 Mitarbeiter in Hochrisikosektoren).
Man müsse die Betriebe entlasten, statt ihnen weitere Bürden aufzuerlegen, sagte Schattenberichterstatterin Angelika Niebler (CSU) über die Abstimmung. Grünen-Abgeordnete Anna Cavazzini bezeichnete das ITRE-Votum ihrerseits als fatal: “Eine rechts-liberale Mehrheit will das Lieferkettengesetz aufweichen, bis es keinen Effekt mehr hat”, bedauerte sie.
Der Handelsausschuss (INTA) unter der Feder von Barry Andrews (Renew) hat den Wolters-Bericht wiederum gestärkt. Im Gegensatz zum ITRE weitet die Stellungnahme die Anwendung des Gesetzes auf mittlere Unternehmen aus. Zudem sollen sich die Sorgfaltspflichten der Unternehmen auf die gesamte Wertschöpfungskette erstrecken und sich nicht nur auf direkte Zulieferer beschränken. Außerdem nimmt der Text den Finanzsektor in die Liste der Hochrisikosektoren auf, für die besondere Sorgfaltspflichten gelten.
Berichterstatter Barry Andrews zeigt sich besonders erfreut, “dass wir den Geltungsbereich der Sorgfaltspflichtvorschriften erweitert haben, um sicherzustellen, dass mehr Unternehmen ihrer Verpflichtung gegenüber den Menschenrechten und der Umwelt nachkommen”.
Der Wirtschafts- und Währungsausschuss (ECON) hat sich seinerseits dafür ausgesprochen, dass auch Finanzdienstleister bestimmte Sorgfaltspflichten leisten müssen. Allerdings gilt dies nur für die erste Stufe der Lieferkette. Dennoch setzt der Ausschuss damit ein Zeichen an die EU-Mitgliedstaaten, denn im Rat wurde bis zuletzt darum gestritten, dass der Finanzsektor fast gänzlich vom Gesetz ausgenommen ist - mit Erfolg (Europe.Table berichtete).
Der ECON hat sich insbesondere dazu entschlossen, die Ausnahme der Kommission zu streichen, nach der Sorgfaltspflichten für den Finanzsektor auf die vorvertragliche Phase begrenzt werden. Im Gegensatz zur Stellungnahme des Handelsausschusses plädiert der ECON-Ausschuss jedoch nicht dazu, die Finanzbranche zu den Hochrisikosektoren zu zählen.
NGOs geben sich mit diesem Vorstoß jedoch nicht zufrieden: “Die heute beschlossenen Maßnahmen reichen nicht, um Banken davon abzubringen, Menschenrechtsverletzungen und die Zerstörung der Umwelt zu finanzieren”, schreibt Global Witness in einer Stellungnahme.
Im März stimmt der federführende Rechtsausschuss über seine Position zum Gesetz ab. Im Mai folgt das Votum im Plenum, sodass spätestens in der zweiten Jahreshälfte die Trilogverhandlungen beginnen sollen. Der Rat hat sich bereits im Dezember auf eine allgemeine Ausrichtung geeinigt. cw
Europa könnte einer Studie zufolge seine Abhängigkeit von Lithium-Ionen-Akkus aus China bis 2027 beenden. Die EU sei auf dem besten Weg, bis dahin die heimische Nachfrage nach Elektrofahrzeugen und Energiespeichern vollständig decken zu können, heißt es in einer Prognose von Transport & Environment (T&E). Die NGO hat für den Bericht die Ankündigungen von Batterieherstellern ausgewertet.
Allerdings weist die Prognose auch auf mögliche Stolpersteine auf dem Weg zur Batterieunabhängigkeit Europas hin. Brüssel fehle eine politische Strategie, um den US-Subventionen im Zuge des Inflation Reduction Acts (IRA) entgegenzuwirken. Denn diese könnten dazu führen, dass Batteriehersteller wie Tesla in Brandenburg oder Northvolt in Schleswig-Holstein Investitionen in Europa zurückstellten. “In Europa müssen mehr finanzielle Mittel bereitgestellt werden oder wir riskieren, geplante Batteriefabriken und Arbeitsplätze an Amerika zu verlieren“, sagte Sebastian Bock, Direktor von T&E in Deutschland.
Auch zwei Drittel des europäischen Bedarfs an Kathoden können dem Bericht zufolge bis 2027 in der EU produziert werden. Zu den geplanten Projekten zur Kathodenproduktion gehöre beispielsweise eine im Bau befindliche BASF-Anlage in Schwarzheide, so T&E.
Die Organisation prognostiziert, dass auch die Abhängigkeit von China bei der Veredelung und Verarbeitung von Batteriemetallen merklich sinken könnte: Bis 2030 könnten mehr als 50 Prozent des Bedarfs in Europa an veredeltem Lithium aus europäischer Produktion stammen. Als Beispiele dazu nennt der Bericht RockTech Lithium und Vulcan Energy Resources in Deutschland. Die Materialien könnten aus Minen im EU-Ausland oder direkt aus europäischen Projekten bezogen werden. In Schweden wurde beispielsweise jüngst ein großes Vorkommen an Seltenen Erden entdeckt. ari
Der Import von klimaneutral hergestelltem Wasserstoff in die EU könnte laut einer neuen Studie bis 2030 konkurrenzfähig zu Wasserstoff aus heimischer Produktion werden. Zu diesem Ergebnis kommen Berechnungen des Beratungsunternehmens Aurora Energy Research.
Demnach könnten Spanien, Marokko, Australien und Chile bis 2030 grünen Wasserstoff zu wettbewerbsfähigen Kosten trotz zusätzlicher Kosten für Transport und gegebenenfalls Umwandlung nach Deutschland liefern. “Diese Länder haben ein hohes Potenzial für die Nutzung erneuerbarer Energiequellen und könnten den Grünstrom für die Wasserstoffproduktion zu sehr niedrigen Kosten erzeugen“, sagte Aurora-Direktor Hanns Koenig am Dienstag laut einer Mitteilung. Als Grünstrom wird Strom aus erneuerbaren Energiequellen bezeichnet.
Laut Aurora liegen die Produktionskosten pro Kilogramm grünem Wasserstoff im Jahr 2030 in Australien, Chile und Spanien bei 3,10 Euro je Kilogramm und in Marokko bei 3,20 Euro. Für in Deutschland hergestellten grünen Wasserstoff gehen die Energiemarktexperten laut einer früheren Studie für das Jahr 2030 von Produktionskosten zwischen 3,90 Euro und 5 Euro je Kilogramm aus.
Am günstigsten wäre laut Aurora Wasserstoff, der per Pipeline geliefert werde, was prinzipiell aus Spanien und Marokko möglich wäre. Spanischer Wasserstoff würde in diesem Fall mit 3,46 Euro pro Kilogramm deutlich weniger als Wasserstoff aus Deutschland kosten.
Wasserstoff soll eine wichtige Rolle bei der Erreichung der EU-Klimaziele spielen. In der EU sollen laut REPowerEU bis 2030 rund 10 Millionen Tonnen grüner Wasserstoff erzeugt und weitere 10 Millionen Tonnen grüner Wasserstoff importiert werden. dpa
Nach gescheiterten Versuchen der Regierungsbildung finden in Bulgarien Neuwahlen statt. Bulgariens Präsident Rumen Radew sagte am Dienstag, man werde den 2. April als Termin festlegen. Es sind die fünften Parlamentswahlen in Bulgarien innerhalb von zwei Jahren.
Zuletzt war es den Sozialisten als dritte mögliche Partei nicht gelungen, eine Regierung zu bilden. In Ermangelung einer stabilen gewählten Koalition wurde das Land in den vergangenen zwei Jahren größtenteils von Übergangsregierungen regiert, die von Radew ernannt wurden.
Dieser kündigte an, das Parlament am 3. Februar aufzulösen. Er sprach sich dafür aus, dass die Gesetzgeber die Zeit bis dahin nutzen, Gesetze zu verabschieden, die vor allem der Bekämpfung der Bestechung dienen und dem Land den Zugang zu umfangreichen EU-Hilfen sichern.
Radew sagte, dass er den derzeitigen Interims-Premierminister Galab Donew erneut mit der Führung des Landes betrauen werde, bis nach den vorgezogenen Neuwahlen eine neue Regierung gebildet wird.
Die anhaltenden politischen Turbulenzen dürften Bulgariens Pläne erschweren, 2024 der Eurozone beizutreten. rtr
Seit gestern sind in der EU ganz offiziell Hausgrillen als Lebensmittelzutat erlaubt. Eine Ausweitung der “Novel-Food-Verordnung” ermöglicht, die Insekten gefroren, getrocknet oder als Pulver zu verarbeiten. Ab morgen gilt das auch für Larven des Getreideschimmelkäfers.
“Äußerst nahrhaft, reich an Proteinen und Omega-3-Fettsären”, freuen sich die einen. “Absolut ekelhaft”, sagen die anderen. In jedem Fall: genug Sprengstoff. Dabei ist die Debatte nicht neu. Wanderheuschrecken und Mehlwürmer sind schon seit Monaten als Novel Food auf dem Markt. In manchen Regionen der Welt gehören Insekten seit Jahrhunderten zu den Grundnahrungsmitteln.
Doch die Diskussion wird in schöner Regelmäßigkeit aufgewärmt. Und jede Fliege – respektive Grille – in der Suppe ist ein gefundenes Fressen für die Nörgler-Community, um sich beim Koch oder in den sozialen Netzwerken über die Gesamtsituation zu beschweren.
Der bayrische Teilzeit-Ernährungswissenschaftler Hubert Aiwanger (freie Wähler) etwa hat es satt, “dass Fleischverzehr von Rind/Schwein/Geflügel kritisiert wird, aber Insekten ins Essen sollen. Früher wurde ein Lebensmittelbetrieb bei Mehlwürmern und Schaben geschlossen, heute soll es ,in’ sein, damit Veganer ihr tierisches Eiweiß bekommen”, schrieb der Landes-Wirtschaftsminister auf Twitter.
Und weil die Idee der veganen Ernährung darin besteht, auf tierische Produkte generell und damit auch auf Insekten zu verzichten, setzte Aiwanger nach: “Der Veganer weiß am Ende gar nicht, dass ihm Insekten untergemischt werden.” Das geschehe ohne das Wissen der Konsumenten und womöglich sogar aus Fürsorge.
Die EU-Kommission erklärte: “Niemand wird gezwungen, Insekten zu essen. Nein: Die EU mischt nicht heimlich Insektenpulver in den Kuchenteig.” Vielmehr gebe es eine klare Kennzeichnungspflicht.
Doch was ist mit dem Wohl der Insekten? Die bestehenden EU-Vorschriften für Nutztierhaltung sind kaum auf die Aufzucht und Schlachtung von Grillen, Heuschrecken oder Mehlwürmern anwendbar, da sind sich die meisten Experten einig.
Martin Häusling, agrarpolitischer Sprecher der Grünen im EU-Parlament, fordert, “dass die Insekten ohne Antibiotika, Hormone oder andere Chemikalien produziert werden” und der Bioverband Naturland hat eigene Richtlinien für die ökologische Insektenzucht inklusive Fütterung festgelegt.
Bis zum Ende des Jahres will die Kommission die EU-Vorschriften zum Tierschutz überarbeiten. Dass es dann ein eigenes Kapitel für intensive Massen-Insektenhaltung geben wird, gilt aber als unwahrscheinlich. Denn es fehlt schlicht die Zeit für eine umfangreiche Folgenabschätzung. Timo Landenberger
in einigen EU-Staaten – etwa in Schweden und Italien – kooperieren EVP-Mitgliedsparteien mit Parteien, die weiter rechts stehen. Und auch EVP-Chef Manfred Weber blickt in diese Richtung. Auf der Suche nach neuen Partnern für seine schwächelnde Parteienfamilie geht er unter anderem auf die EKR-Fraktion zu, wie Markus Grabitz berichtet. Italiens Ministerpräsidentin Giorgia Meloni soll er in den vergangenen Monaten mehrfach getroffen haben. Dagegen regt sich Protest – auch in den eigenen Reihen.
Allein in der EU stieg die Nachfrage nach Textilien in wenigen Jahrzehnten um 40 Prozent. Immer mehr, immer schneller – das ist oft die Devise in der Branche. Unter den oft verheerenden Auswirkungen leiden besonders Menschen außerhalb der EU. Um den ökologischen und sozialen Fußabdruck zu verkleinern, setzt die EU-Kommission vor allem auf das Recycling von Textilien. Doch entsprechende Techniken stehen noch am Anfang. Recycling-Betriebe stoßen auf eine ganze Reihe an Hindernissen, etwa die Frage, mit welchen Materialien sie es überhaupt zu tun haben. Caspar Dohmen und Charlotte Wirth haben recherchiert.
Und noch ein Hinweis: Am Dienstag ist mit dem ersten Africa.Table das jüngste Professional Briefing von Table.Media an den Start gegangen. Africa.Table wird fortan jeden Dienstag ein realistisches Bild des afrikanischen Kontinents zeichnen – über Krisen, die kaum zu bewältigen scheinen, aber auch über Länder, die in großen Schritten vorankommen und dem globalen Norden in vielen Aspekten voraus sind. Hier können Sie sich kostenlos für den Africa.Table anmelden.
In den Umfragen stehen die EVP-Mitgliedsparteien nicht gut da. Wenn am Sonntag Europawahl wäre, würde die EVP-Fraktion im Parlament in einer Berechnung des Politologen Manuel Müller von 176 auf 166 Sitze absacken. Die Daten stammen zwar noch aus Umfragen vor Bekanntwerden des Korruptionsskandals, der die sozialistische Fraktion betrifft, doch in der Momentaufnahme von Anfang Dezember verlieren die EVP-Mitgliedsparteien in Italien, Spanien, Frankreich und Portugal Boden.
Für die EVP, die seit 1999 stärkste Fraktion im Parlament ist, geht der Trend seit Jahrzehnten nach unten. Anfang des Jahrtausends stellte die EVP zeitweise 295 Abgeordnete (von seinerzeit 788), derzeit gibt es 176 EVP-Abgeordnete.
Manfred Weber, seit 2014 Fraktionschef und seit Sommer auch Parteichef, muss den Niedergang stoppen. Die EVP kann nur aus der Position der Stärke Anspruch erheben, wichtige Posten in der EU zu besetzen und die Gesetzgebung maßgeblich zu beeinflussen.
Derzeit stellt eine EVP-Mitgliedspartei in zehn von 27 Mitgliedstaaten den Staats- oder Regierungschef. Da sind zuletzt einige dazu gekommen, etwa in Irland, wo die Führung der Regierung an den Christdemokraten Leo Varadkar ging. Es könnte sein, dass in diesem Jahr noch EU-Staaten hinzukommen: In Spanien, Polen und Finnland wird gewählt. Und die Herausforderer mit EVP-Parteibuch sind nicht chancenlos.
In Spanien könnte die christdemokratische PP auf die populistische Vox angewiesen sein, in Schweden tolerieren die rechten Schwedendemokraten eine Minderheitsregierung unter Beteiligung der Christdemokraten. In Italien ist die christdemokratische FI Juniorpartner von den Fratelli d’Italia, die ihre Wurzeln im Faschismus haben. In etlichen EU-Staaten kooperieren EVP-Mitgliedsparteien also bereits mit weiter rechts stehenden Organisationen.
Weber selbst sind politisch derbe Töne weitgehend fremd, doch bei der Suche nach neuen Unterstützern und Mitgliedern für die Fraktion richtet auch er seinen Blick eher nach rechts. Er sondiert seit Längerem bei Mitgliedern der 63 Abgeordnete umfassenden EKR-Fraktion. Im Blick hat er insbesondere italienische Abgeordnete der Fratelli d’Italia. Deren Chefin, Italiens Ministerpräsidentin Giorgia Meloni, soll er in den vergangenen Monaten allein dreimal getroffen haben. Derzeit sind acht Abgeordnete ihrer Partei im Europaparlament. Es könnten nach der Europawahl im Mai 2024 aber deutlich mehr werden. In den Umfragen sind die Fratelli derzeit die stärkste Partei in Italien.
Auch mit der Nieuw Vlaamse Alliantie (NVA) aus Belgien hat Weber geredet, die derzeit drei Abgeordnete in Straßburg stellt. Infrage für Abwerbungsversuche kommen auch noch die Rechtspopulisten von Vox in Spanien oder die tschechische Regierungspartei ODS. In der vergangenen Straßburger Sitzungswoche hatte sich Weber mit den Chefs der nationalen Gruppen in der EVP in den kleinen Ort Obernai südlich von Straßburg zurückgezogen. Dabei informierte er sie auch über den Stand der Abwerbungsversuche.
Nicht nur bei Sozialisten, Grünen und Kommunisten erntet er Protest für die Gespräche mit Parteien, die als Postfaschisten, Separatisten und Rechtspopulisten gelten. Auch aus der EVP heraus gibt es Widerstand: Sein Vorgänger im Amt des EVP-Parteichefs, Donald Tusk, der im Herbst die Wahl gegen die PiS, eine EKR-Mitgliedspartei, gewinnen will, hat Weber dem Vernehmen nach vor die Wahl gestellt: sie oder wir. Auch die flämischen Christdemokraten haben Weber ein Ultimatum gestellt, hört man. Er soll beiden Schwesterparteien zugesichert haben, dass bis zur Europawahl nichts passiert.
Für die Zeit nach der Wahl schließt Weber aber Übertritte aus der EKR oder eine lockere Unterstützung nicht aus. Anders als bei nationalen Wahlen, wo die Zusammensetzung der Fraktionen noch am Wahlabend so gut wie feststeht, formieren sich nach Europawahlen die Fraktionen erst allmählich. Je nach Zugeständnissen kann manche Fraktion auf dem Transfermarkt wichtige Neuverpflichtungen machen. Offenbar sind viele in der EKR-Fraktion die Dominanz der polnischen PiS-Abgeordneten leid. 24 von 63 Abgeordneten stellt die PiS derzeit in Straßburg. Bei der EKR ist intern schon die Rede von einem “polish run business”. Davon könnte Weber profitieren.
Auch in der liberalen Fraktion von Renew hofft Weber auf Unterstützer oder Überläufer. Vornehmlich unter Franzosen. Im EVP-Lager rechnet man damit, dass die Fliehkräfte von Emmanuel Macrons Sammlungsbewegung Renaissance spätestens nach der Europawahl dafür sorgen, dass die Partei in einen links- und einen rechtsliberalen Flügel zerfällt.
Weber ist offen für neue Allianzen, auch mit neuen rechten Parteien – zumal viele traditionelle Partner wie die Républicains in Frankreich und die Forza Italia massiv an Bedeutung verloren haben. Weber hat Mindestbedingungen an mögliche Partner definiert: Sie müssen proeuropäisch sein, klar zur Nato stehen und sich für die soziale Marktwirtschaft aussprechen.
Als Parteichef muss Weber die inhaltliche und personelle Aufstellung der EVP für die Europawahl organisieren. Bei einem großen Parteitag im Januar 2024 soll der Spitzenkandidat gewählt werden – oder die Spitzenkandidatin. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat sich nach eigenen Worten noch nicht entschieden, ob sie eine zweite Amtszeit anstrebt. Obwohl ihr Verhältnis zu Weber und den deutschen Christdemokraten nicht gut ist, wird aber nicht damit gerechnet, dass man ihr Steine in den Weg legt, wenn sie weitermachen wollte.
Von der Leyen, die als Kommissionspräsidentin qua Amt dem EVP-Präsidium angehört, müsste bis zum Sommer ihre Kandidatur für das Europaparlament in ihrem CDU-Landesverband anmelden. Sollte sie nicht mehr antreten, wird mit Parlamentspräsidentin Roberta Metsola als Spitzenkandidatin gerechnet. Das Manko der 44-jährigen Malteserin ist, dass sie über keine Regierungserfahrung verfügt.
“Lasst uns Fast Fashion aus der Mode bringen”, sagte die SPD-Europaabgeordnete Delara Burkhardt, als sie vergangene Woche ihren Initiativbericht zu kreislauffähigen Textilien vorstellte. Die Sozialdemokratin will mit dem Modell brechen, wonach immer neue textile Trends immer schneller und günstiger produziert werden. Allein in der EU stieg die Nachfrage nach Textilien in wenigen Jahrzehnten um 40 Prozent.
Wie weit die Textilindustrie von einer sozialen und ökologischen Zukunftsfähigkeit entfernt ist, zeigen einige Zahlen: In Europa liegt der Sektor, gemessen an den negativen Auswirkungen auf Umwelt und Klimawandel, auf Platz 4. Die größten Auswirkungen spüren die Menschen außerhalb der EU: Laut einer Studie der gemeinsamen Forschungsstelle der EU-Kommission (JRC) entstehen 76 Prozent der Treibhausgasemissionen außerhalb Europas. Über 90 Prozent der Wasser- und Landnutzung für die Textilherstellung findet in Nicht-EU-Ländern statt.
Auch die soziale Komponente macht sich im EU-Ausland bemerkbar: Unter den schädlichen Einkaufspraktiken der großen Handelsmarken leiden die zumeist weiblichen Arbeiterinnen am Anfang der Lieferkette. Es sei Zeit für ein EU-Gesetz gegen schädliche Praktiken in der Textilbranche, sagte am Montag der Vorsitzende des Handelsausschusses, Bernd Lange (SPD).
“Wir müssen den Markt gezielt dazu nutzen, nachhaltige Produktionsstandards zu setzen“, fordert Delara Burkhardt. Sie plädiert etwa dafür, dass die Überproduktion von Kleidungsstücken und Schuhen behoben und die Zerstörung nicht verkaufter Textilien verboten wird. Ihr Initiativbericht lehnt sich an die Strategie für nachhaltige und kreislauffähige Textilien an, die die EU-Kommission vergangenes Jahr vorgestellt hat. Demnach sollen bis 2030 alle Textilerzeugnisse im Binnenmarkt größtenteils aus Recyclingfasern bestehen und frei sein von gefährlichen Stoffen.
Um das zu erreichen, setzt die Kommission auf ein ganzes Mosaik an Instrumenten: von der Ökodesignverordnung über die Abfallrahmenrichtlinie bis hin zu der REACH-Verordnung zur Regulierung von Chemikalien.
Ein Beispiel: Ab 2025 sollen im Rahmen der Abfallrahmenrichtlinie Textilien getrennt eingesammelt werden. Dies könnte eine große Chance für den Recyclingmarkt bedeuten. Aber noch stecken die meisten Technologien, um Textile zu sortieren und Textilfasern zu recyceln, in den Kinderschuhen. Das räumt auch die EU-Kommission ein: Sortiersysteme und moderne Recyclingsysteme müssten dringend entwickelt werden, schreibt sie in ihrer Strategie.
Das Recyceln von Textilgeweben ist kompliziert, weil sie häufig aus Mischgewebe aus den unterschiedlichsten Fasern bestehen. Bislang lohne sich die Forschung für bessere Recyclingverfahren nur für hochpreisige und in großen Mengen verfügbare Fasern, sagt der Textilforscher Thomas Fischer. Insbesondere im Fast-Fashion–Bereich setzen sich Kleider fast ausschließlich aus synthetischen oder erdölbasierten Materialien zusammen. Darunter sind auch Stoffe, die die Kommission als gefährlich einstuft, etwa weil sie karzinogen oder sind oder negative Folgen für die Fruchtbarkeit von Frauen und Männern haben können.
Neue Recyclingtechniken wie das Fiber-to-Fiber-Recycling oder chemische Recyclingtechnologien sollen Abhilfe schaffen, doch sie sind entweder noch nicht marktreif oder benötigen hohe Investitionen, um sich für die Massenproduktion zu eignen.
Hinzu kommt, dass die Recyclingindustrie bis heute nicht bereit ist, die großen Masse an gebrauchten Textilien zu verarbeiten, die spätestens ab 2025 anfallen – ganz gleich, welche Technik sie nutzt. Die Kapazitäten müssten dazu jährlich mit bis zu 90.000 Tonnen Textilien zusätzlich fertig werden, rechnet der JRC vor.
Ein weiteres Problem ist, dass Recycling-Betrieben oft wichtige Informationen zur Zusammensetzung der Textilien fehlen, gibt Delara Burkhardt zu bedenken. Es reiche daher nicht, dass Recyclingunternehmen sich anpassen. Auch die Transparenzregeln für Textilproduzenten und die Zusammensetzung von Produkten müssten sich ändern.
Im Rahmen der Ökodesignverordnung sollen beispielsweise strengere Anforderungen an Konzeption und Design von Produkten gelten, damit sie sich zur für die Wiederverwendung oder das Recycling eignen. Mit diesem Ansatz orientiert sich die EU-Kommission am Prinzip der Slow Fashion, der bisher einen Nischenplatz in der globalen Textilproduktion einnimmt. Der Gesetzesvorschlag der Kommission wird momentan in Parlament und Rat diskutiert. Mit Trilogen ist erst in der zweiten Jahreshälfte zu rechnen.
Es sei schwierig, die Kaufgewohnheiten der Verbraucher zu ändern, räumt die Kommission in ihrer Strategie ein. Viel eher müssten Unternehmen auf neue Geschäftsmodelle setzen, um ihre Kunden zum Umdenken zu bewegen: Etwa indem sie das Produkt als Dienstleistung werten und Reparaturdienste oder Second-Hand-Kollektionen anbieten.
Doch dieser Ansatz dürfte sich äußerst schwierig gestalten, schlussfolgert eine Studie der finnischen Aalto University School of Science zu kreislauffähigen Geschäftsmodellen. Firmenkulturen, Kompetenzen und Prozesse seien seit Jahrzehnten darauf ausgelegt, immer mehr, immer schneller und immer neue Produkte zu produzieren. Die Forscher sprechen von Verhaltensbarrieren, die sehr schwer zu ändern seien. Hinzu komme, dass kreislauffähige Geschäftsmodelle sich finanziell oft nicht lohnen: “Produkte, die für die Kreislaufwirtschaft konzipiert wurden, passen oft nicht in das bisherige Portfolio der Produzenten: Sie sind entweder zu teuer oder lassen sich nicht in der nötigen Menge produzieren.”
Delara Burkhardt ist da optimistischer: Eine strengere Regulierung des Marktes setze schließlich die nötigen Anreize für Investitionen, die für die Transformation hin zu einer nachhaltigeren Textilbranche nötig sind. Caspar Dohmen und Charlotte Wirth
Das Europaparlament will den Technologietransfer nach China in der Chipindustrie einschränken. “In Anbetracht des offensiven Spionageprogramms der chinesischen Regierung wollen wir keine Übertragung von Intellectual Property nach China mehr“, sagte der niederländische Abgeordnete Bart Groothuis, Schattenberichterstatter der Liberalen im federführenden Industrieausschuss.
Der Ausschuss nahm am Dienstag mit großer Mehrheit Änderungen am Kommissionsvorschlag zum Chips Act an, nach denen ein entsprechender Artikel (27 a) hinzugefügt würde. Der Bericht von Berichterstatter Dan Nica (S&D) ist die Grundlage für die abschließenden Verhandlungen des Europaparlaments mit den Mitgliedstaaten, die Zustimmung des Plenums im Februar gilt als Formsache. Ziel des Chips Act ist es, Europa als Standort für Forschung und Produktion in dem strategisch wichtigen Sektor zu stärken und besser auf Lieferengpässe vorzubereiten.
Die Abgeordneten fordern, dass Halbleiterfirmen Geschäftsgeheimnisse und IP-geschützte Informationen nur in Drittstaaten transferieren dürfen, mit denen Abkommen zum Schutz des geistigen Eigentums existieren. Unternehmen, die im Rahmen des Chips Act staatliche Förderung erhalten, sollen sich in Vereinbarungen mit der Kommission oder dem zuständigen Mitgliedstaat verpflichten, solche Informationen nicht zu transferieren. Ausgenommen sind vorhandene Werke oder Technologie für ältere Chipgenerationen. Bei Verstößen müssten die Firmen demnach die Staatshilfen zurückzahlen.
Der Vorstoß der Abgeordneten dürfte in Washington gerne gesehen werden: Die US-Regierung hatte im Oktober weitreichende Ausfuhrbeschränkungen verhängt, die den Zugang chinesischer Hersteller zu moderner Chiptechnologie erschweren soll. Washington drängt insbesondere die Niederlande, Heimat des führenden Chipmaschinenbauers ASML, nachzuziehen. Den Haag willigte ein, die Ausfuhr modernster EUV-Maschinen zu stoppen. Die Regierung zögert aber bei Technologie, die ASML bereits nach China geliefert hat.
Der neue China-Artikel ist einer von mehreren Änderungen, die die Europaabgeordneten am Kommissionsvorschlag vornehmen wollen. Die Mitgliedstaaten hatten ihre Verhandlungsposition für den Trilog bereits Anfang Dezember beschlossen.
An diesen Stellen schärft das Parlament nun nach:
Der Ausschuss für Binnenmarkt und Verbraucherschutz (IMCO) hat den Entwurf der EU-Kommission zu politischer Werbung im Internet deutlich nachgeschärft. Nach den am Dienstag in Brüssel beschlossenen Änderungsanträgen soll die Auswertung personenbezogener Daten eingeschränkt werden. Für gezielte politische Werbung sollen künftig nur noch jene persönlichen Informationen genutzt werden dürfen, die von den Bürgern ausdrücklich zu diesem Zweck freigegeben worden sind.
Die Kommission hatte ihren Vorschlag für eine Verordnung über die Transparenz und das Targeting politischer Werbung im November 2021 vorgelegt. Die Verordnung soll die Europawahl im kommenden Jahr absichern und Missbrauch und Manipulationen wie bei Cambridge Analytica oder beim Brexit-Referendum verhindern helfen. Der Rat hatte seine Position im Dezember 2022 festgelegt. Nach einem abschließenden Votum im Plenum des Europaparlaments im Februar ist nun der Weg für Verhandlungen im Trilog frei. Mit einer Einigung wird im Sommer gerechnet.
Allerdings liegen die Positionen noch weit auseinander. Der Rat hatte den Vorschlag der Kommission abgeschwächt, das Parlament will ihn nachschärfen. Die Abgeordneten fordern eine EU-weite Datenbank für alle politischen Anzeigen im Internet. Dies soll die Transparenz erhöhen und dabei helfen, Desinformation und ausländische Einmischung zu erkennen. Beim Targeting sollen nur jene Informationen genutzt werden, die von den Bürgern ausdrücklich zur Verfügung gestellt werden. “Überwachungswerbung” soll verboten werden.
“Es geht darum, Haftung und Transparenz zu stärken”, sagte der zuständige Berichterstatter Sandro Gozi (Renew). Die Änderungen würden ein “starkes Signal” vor der Europawahl aussenden und mögliche Manipulationen erschweren. Allerdings habe man auch Kompromisse machen müssen. Politische Werbung im Internet solle auch künftig möglich sein, die Abgrenzung von kommerziellen Anzeigen sei nicht immer trennscharf. Auch habe man sich bei den neuen Regeln nicht ausschließlich auf Parteien und Politiker begrenzen können.
Die Reichweite der neuen Regeln sorgt bereits seit Wochen für hitzige Diskussionen. Kritiker fürchten, dass die EU die freie politische Meinungsäußerung einschränken könnte. Davor warnen auch Google und andere Plattformen. Im Europaparlament sieht man jedoch keine Gefahr. Selbst gepostete Inhalte seien von den vorgeschlagenen Targeting-Regeln ausgeschlossen, sagt Patrick Breyer, Europaabgeordneter der Piratenpartei. Die Amplifizierung organischer Inhalte werde nicht neu geregelt.
Mehr Härte fordert er dagegen gegenüber Parteien und Politikern. Die vom Rat befürworteten Targeting-Regeln seien “eine Farce” und würden die Manipulation von Wahlen und Volksabstimmungen unvermindert weiter gehen lassen. Das Parlament müsse daher im kommenden Trilog “hart bleiben, um unsere demokratischen Wahlen und Abstimmungen zu schützen”.
Alexandra Geese von den Grünen sagte: “Ich freue mich, dass wir im Ergebnis erreicht haben, dass unsere demokratischen Wahlen besser gegen Manipulation und verdeckte Einflussnahme geschützt werden.” Sensible Daten wie die sexuelle Orientierung oder politische Meinung einer Person dürften nicht mehr für politische Werbezwecke missbraucht werden. “Parteien, die unterschiedlichen Wählergruppen widersprüchliche Inhalte zuspielen, fliegen auf.”
Vier Ausschüsse haben am Dienstag über ihre Position zur nachhaltigen Unternehmensführung (Due Diligence) abgestimmt. Die jeweiligen Stellungnahmen werden die Arbeit für Berichterstatterin Lara Wolters (S&D) erschweren, da sie sehr unterschiedlich ausfallen.
Während der Wolters-Bericht den Kommissionsentwurf stark verschärft, plädiert der Ausschuss für Industrie, Forschung und Energie (ITRE) für einen pragmatischeren Ansatz. So soll die Sorgfaltspflicht nicht, wie von Wolters vorgeschlagen, für die gesamte Wertschöpfungskette (also Upstream und Downstream-Aktivitäten) gelten, sondern sich auf direkte Geschäftspartner beschränken. Zudem will der Ausschuss die Anzahl der Unternehmen, auf die sich das Lieferkettengesetz beziehen soll, auf Unternehmen ab 5.000 Mitarbeitern einschränken (1000 Mitarbeiter in Hochrisikosektoren).
Man müsse die Betriebe entlasten, statt ihnen weitere Bürden aufzuerlegen, sagte Schattenberichterstatterin Angelika Niebler (CSU) über die Abstimmung. Grünen-Abgeordnete Anna Cavazzini bezeichnete das ITRE-Votum ihrerseits als fatal: “Eine rechts-liberale Mehrheit will das Lieferkettengesetz aufweichen, bis es keinen Effekt mehr hat”, bedauerte sie.
Der Handelsausschuss (INTA) unter der Feder von Barry Andrews (Renew) hat den Wolters-Bericht wiederum gestärkt. Im Gegensatz zum ITRE weitet die Stellungnahme die Anwendung des Gesetzes auf mittlere Unternehmen aus. Zudem sollen sich die Sorgfaltspflichten der Unternehmen auf die gesamte Wertschöpfungskette erstrecken und sich nicht nur auf direkte Zulieferer beschränken. Außerdem nimmt der Text den Finanzsektor in die Liste der Hochrisikosektoren auf, für die besondere Sorgfaltspflichten gelten.
Berichterstatter Barry Andrews zeigt sich besonders erfreut, “dass wir den Geltungsbereich der Sorgfaltspflichtvorschriften erweitert haben, um sicherzustellen, dass mehr Unternehmen ihrer Verpflichtung gegenüber den Menschenrechten und der Umwelt nachkommen”.
Der Wirtschafts- und Währungsausschuss (ECON) hat sich seinerseits dafür ausgesprochen, dass auch Finanzdienstleister bestimmte Sorgfaltspflichten leisten müssen. Allerdings gilt dies nur für die erste Stufe der Lieferkette. Dennoch setzt der Ausschuss damit ein Zeichen an die EU-Mitgliedstaaten, denn im Rat wurde bis zuletzt darum gestritten, dass der Finanzsektor fast gänzlich vom Gesetz ausgenommen ist - mit Erfolg (Europe.Table berichtete).
Der ECON hat sich insbesondere dazu entschlossen, die Ausnahme der Kommission zu streichen, nach der Sorgfaltspflichten für den Finanzsektor auf die vorvertragliche Phase begrenzt werden. Im Gegensatz zur Stellungnahme des Handelsausschusses plädiert der ECON-Ausschuss jedoch nicht dazu, die Finanzbranche zu den Hochrisikosektoren zu zählen.
NGOs geben sich mit diesem Vorstoß jedoch nicht zufrieden: “Die heute beschlossenen Maßnahmen reichen nicht, um Banken davon abzubringen, Menschenrechtsverletzungen und die Zerstörung der Umwelt zu finanzieren”, schreibt Global Witness in einer Stellungnahme.
Im März stimmt der federführende Rechtsausschuss über seine Position zum Gesetz ab. Im Mai folgt das Votum im Plenum, sodass spätestens in der zweiten Jahreshälfte die Trilogverhandlungen beginnen sollen. Der Rat hat sich bereits im Dezember auf eine allgemeine Ausrichtung geeinigt. cw
Europa könnte einer Studie zufolge seine Abhängigkeit von Lithium-Ionen-Akkus aus China bis 2027 beenden. Die EU sei auf dem besten Weg, bis dahin die heimische Nachfrage nach Elektrofahrzeugen und Energiespeichern vollständig decken zu können, heißt es in einer Prognose von Transport & Environment (T&E). Die NGO hat für den Bericht die Ankündigungen von Batterieherstellern ausgewertet.
Allerdings weist die Prognose auch auf mögliche Stolpersteine auf dem Weg zur Batterieunabhängigkeit Europas hin. Brüssel fehle eine politische Strategie, um den US-Subventionen im Zuge des Inflation Reduction Acts (IRA) entgegenzuwirken. Denn diese könnten dazu führen, dass Batteriehersteller wie Tesla in Brandenburg oder Northvolt in Schleswig-Holstein Investitionen in Europa zurückstellten. “In Europa müssen mehr finanzielle Mittel bereitgestellt werden oder wir riskieren, geplante Batteriefabriken und Arbeitsplätze an Amerika zu verlieren“, sagte Sebastian Bock, Direktor von T&E in Deutschland.
Auch zwei Drittel des europäischen Bedarfs an Kathoden können dem Bericht zufolge bis 2027 in der EU produziert werden. Zu den geplanten Projekten zur Kathodenproduktion gehöre beispielsweise eine im Bau befindliche BASF-Anlage in Schwarzheide, so T&E.
Die Organisation prognostiziert, dass auch die Abhängigkeit von China bei der Veredelung und Verarbeitung von Batteriemetallen merklich sinken könnte: Bis 2030 könnten mehr als 50 Prozent des Bedarfs in Europa an veredeltem Lithium aus europäischer Produktion stammen. Als Beispiele dazu nennt der Bericht RockTech Lithium und Vulcan Energy Resources in Deutschland. Die Materialien könnten aus Minen im EU-Ausland oder direkt aus europäischen Projekten bezogen werden. In Schweden wurde beispielsweise jüngst ein großes Vorkommen an Seltenen Erden entdeckt. ari
Der Import von klimaneutral hergestelltem Wasserstoff in die EU könnte laut einer neuen Studie bis 2030 konkurrenzfähig zu Wasserstoff aus heimischer Produktion werden. Zu diesem Ergebnis kommen Berechnungen des Beratungsunternehmens Aurora Energy Research.
Demnach könnten Spanien, Marokko, Australien und Chile bis 2030 grünen Wasserstoff zu wettbewerbsfähigen Kosten trotz zusätzlicher Kosten für Transport und gegebenenfalls Umwandlung nach Deutschland liefern. “Diese Länder haben ein hohes Potenzial für die Nutzung erneuerbarer Energiequellen und könnten den Grünstrom für die Wasserstoffproduktion zu sehr niedrigen Kosten erzeugen“, sagte Aurora-Direktor Hanns Koenig am Dienstag laut einer Mitteilung. Als Grünstrom wird Strom aus erneuerbaren Energiequellen bezeichnet.
Laut Aurora liegen die Produktionskosten pro Kilogramm grünem Wasserstoff im Jahr 2030 in Australien, Chile und Spanien bei 3,10 Euro je Kilogramm und in Marokko bei 3,20 Euro. Für in Deutschland hergestellten grünen Wasserstoff gehen die Energiemarktexperten laut einer früheren Studie für das Jahr 2030 von Produktionskosten zwischen 3,90 Euro und 5 Euro je Kilogramm aus.
Am günstigsten wäre laut Aurora Wasserstoff, der per Pipeline geliefert werde, was prinzipiell aus Spanien und Marokko möglich wäre. Spanischer Wasserstoff würde in diesem Fall mit 3,46 Euro pro Kilogramm deutlich weniger als Wasserstoff aus Deutschland kosten.
Wasserstoff soll eine wichtige Rolle bei der Erreichung der EU-Klimaziele spielen. In der EU sollen laut REPowerEU bis 2030 rund 10 Millionen Tonnen grüner Wasserstoff erzeugt und weitere 10 Millionen Tonnen grüner Wasserstoff importiert werden. dpa
Nach gescheiterten Versuchen der Regierungsbildung finden in Bulgarien Neuwahlen statt. Bulgariens Präsident Rumen Radew sagte am Dienstag, man werde den 2. April als Termin festlegen. Es sind die fünften Parlamentswahlen in Bulgarien innerhalb von zwei Jahren.
Zuletzt war es den Sozialisten als dritte mögliche Partei nicht gelungen, eine Regierung zu bilden. In Ermangelung einer stabilen gewählten Koalition wurde das Land in den vergangenen zwei Jahren größtenteils von Übergangsregierungen regiert, die von Radew ernannt wurden.
Dieser kündigte an, das Parlament am 3. Februar aufzulösen. Er sprach sich dafür aus, dass die Gesetzgeber die Zeit bis dahin nutzen, Gesetze zu verabschieden, die vor allem der Bekämpfung der Bestechung dienen und dem Land den Zugang zu umfangreichen EU-Hilfen sichern.
Radew sagte, dass er den derzeitigen Interims-Premierminister Galab Donew erneut mit der Führung des Landes betrauen werde, bis nach den vorgezogenen Neuwahlen eine neue Regierung gebildet wird.
Die anhaltenden politischen Turbulenzen dürften Bulgariens Pläne erschweren, 2024 der Eurozone beizutreten. rtr
Seit gestern sind in der EU ganz offiziell Hausgrillen als Lebensmittelzutat erlaubt. Eine Ausweitung der “Novel-Food-Verordnung” ermöglicht, die Insekten gefroren, getrocknet oder als Pulver zu verarbeiten. Ab morgen gilt das auch für Larven des Getreideschimmelkäfers.
“Äußerst nahrhaft, reich an Proteinen und Omega-3-Fettsären”, freuen sich die einen. “Absolut ekelhaft”, sagen die anderen. In jedem Fall: genug Sprengstoff. Dabei ist die Debatte nicht neu. Wanderheuschrecken und Mehlwürmer sind schon seit Monaten als Novel Food auf dem Markt. In manchen Regionen der Welt gehören Insekten seit Jahrhunderten zu den Grundnahrungsmitteln.
Doch die Diskussion wird in schöner Regelmäßigkeit aufgewärmt. Und jede Fliege – respektive Grille – in der Suppe ist ein gefundenes Fressen für die Nörgler-Community, um sich beim Koch oder in den sozialen Netzwerken über die Gesamtsituation zu beschweren.
Der bayrische Teilzeit-Ernährungswissenschaftler Hubert Aiwanger (freie Wähler) etwa hat es satt, “dass Fleischverzehr von Rind/Schwein/Geflügel kritisiert wird, aber Insekten ins Essen sollen. Früher wurde ein Lebensmittelbetrieb bei Mehlwürmern und Schaben geschlossen, heute soll es ,in’ sein, damit Veganer ihr tierisches Eiweiß bekommen”, schrieb der Landes-Wirtschaftsminister auf Twitter.
Und weil die Idee der veganen Ernährung darin besteht, auf tierische Produkte generell und damit auch auf Insekten zu verzichten, setzte Aiwanger nach: “Der Veganer weiß am Ende gar nicht, dass ihm Insekten untergemischt werden.” Das geschehe ohne das Wissen der Konsumenten und womöglich sogar aus Fürsorge.
Die EU-Kommission erklärte: “Niemand wird gezwungen, Insekten zu essen. Nein: Die EU mischt nicht heimlich Insektenpulver in den Kuchenteig.” Vielmehr gebe es eine klare Kennzeichnungspflicht.
Doch was ist mit dem Wohl der Insekten? Die bestehenden EU-Vorschriften für Nutztierhaltung sind kaum auf die Aufzucht und Schlachtung von Grillen, Heuschrecken oder Mehlwürmern anwendbar, da sind sich die meisten Experten einig.
Martin Häusling, agrarpolitischer Sprecher der Grünen im EU-Parlament, fordert, “dass die Insekten ohne Antibiotika, Hormone oder andere Chemikalien produziert werden” und der Bioverband Naturland hat eigene Richtlinien für die ökologische Insektenzucht inklusive Fütterung festgelegt.
Bis zum Ende des Jahres will die Kommission die EU-Vorschriften zum Tierschutz überarbeiten. Dass es dann ein eigenes Kapitel für intensive Massen-Insektenhaltung geben wird, gilt aber als unwahrscheinlich. Denn es fehlt schlicht die Zeit für eine umfangreiche Folgenabschätzung. Timo Landenberger