die EU-Lieferkettenrichtlinie sorgt einmal mehr für Ärger innerhalb der Ampelkoalition: Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) schickte gestern einen Brief an die übrigen EU-Mitgliedstaaten, in dem er Deutschlands Enthaltung in der Abstimmung am morgigen Freitag begründete und seine Kritik an der geplanten Richtlinie ausgiebig wiederholte. Dies sei nicht in der Bundesregierung abgestimmt, kritisierte ein hochrangiger Regierungsbeamter. Die FDP beherrsche die Grundregeln des Regierungshandelns nicht.
Trotzdem scheint es realistisch, dass die Trilogeinigung im Rat durchgeht. Die belgische Ratspräsidentschaft ist optimistisch, eine qualifizierte Mehrheit unter den Mitgliedstaaten zu erhalten. Dabei haben etliche Mitgliedstaaten in den letzten Sitzungen der Arbeitsgruppen noch einmal ihre Bedenken benannt. Diese beziehen sich etwa auf die zivilrechtliche Haftung. Schweden wird das Gesetz vermutlich ablehnen, bei vielen anderen ist die Position noch nicht klar. Die österreichische Regierung ist ähnlich gespalten wie die deutsche und könnte sich ebenfalls enthalten.
Sicher ist bereits die Position Frankreichs: Dort ist man zufrieden mit dem Ergebnis und will laut Informationen von Table.Media zustimmen. Schließlich wurde auf Druck Frankreichs eine Überprüfungsklausel eingebaut, die den Finanzsektor erstmal nicht einbezieht.
Für eine qualifizierte Mehrheit im Rat sind die Stimmen von mindestens 15 Mitgliedstaaten nötig, die zusammen mindestens 65 Prozent der EU-Gesamtbevölkerung ausmachen.
Aufgrund der Enthaltung Deutschlands wird deshalb auch die Stimme des bevölkerungsreichen Italiens entscheidend sein. Dort interessiert das EU-Lieferkettengesetz in der Öffentlichkeit kaum jemanden, weiß meine Kollegin Almut Siefert aus Rom. Nachfragen nach dem Abstimmungsverhalten Italiens werden in Wirtschafts- und Finanzministerium mit Gleichgültigkeit quittiert – worum geht es genau? Entscheiden muss nun Regierungschefin Giorgia Meloni persönlich.
Wir halten Sie auf dem Laufenden!
Wann und ob es zur Entscheidung in Sachen der EU-Schuldenregeln kommen wird, ist kurz vor Ablauf der Verhandlungsfrist offen. Die belgische Ratspräsidentschaft scheint kaum Spielraum mit in die Verhandlungen zu dem Dossier zu bringen. Der Standpunkt war auf Ratsebene hart umkämpft. Wie Parlamentsquellen Table.Media bestätigen, hätten sowohl der belgische Finanzminister sowie der belgische EU-Botschafter in den bisherigen Trilog-Sitzungen darauf gepocht, dass sie nicht von der Ratsposition abweichen könnten.
Ein zentraler Streitpunkt zwischen Rat und Parlament ist der Effekt der neuen Schuldenregeln auf öffentliche Investitionen. Das Parlament befürchtet, dass die strikte Position des Rats die Mitgliedstaaten zu investitionsschädlichen Budgetkürzungen zwingen würde. Dies würde Klimaschutz-Investitionen verhindern und die Wirtschaft schwächen.
In der vergangenen Woche hatte die Kommission mögliche Kompromissvorschläge des Parlaments in einem Non-Paper, das Table.Media vorliegt, auf ihre Auswirkungen auf Investitionen und ökonomische Nachhaltigkeit hin analysiert. Die Idee dahinter: Die Ratspräsidentschaft sollte von den Mitgliedstaaten Feedback zu den Vorschlägen einholen, um abzuwägen, wo Potenzial für einen Kompromiss besteht.
Doch die belgische Ratspräsidentschaft hat laut mehreren Parlamentsquellen kein Feedback von den Mitgliedstaaten eingeholt, was Vertreterinnen und Vertreter des Parlaments als Verweigerungstaktik bewerten. Sie befürchten, dass die Ratspräsidentschaft das Parlament am letzten Trilog-Tag diesen Freitag (9. Februar) nach dem Motto “friss oder stirb” vor vollendete Tatsachen stellen wird.
Der 9. Februar ist die Deadline, die sich die Administrationen des Rats und des Parlaments für die letzten Trilog-Verhandlungen gegeben haben. Was bis dann nicht entschieden ist, kann aufgrund der juristischen Übersetzungsarbeiten, die nach der politischen Einigung noch nötig sind, nicht rechtzeitig für die letzte Parlamentssession dieser Legislatur fertiggestellt werden.
Irene Tinagli, Vorsitzende des Wirtschaftsausschusses des Parlaments, will sich jedoch nicht unter Druck setzen lassen. Sie warnte während den Verhandlungen am Mittwoch, dass sie für Freitag keinen finalen Trilog ansetzen würde, wenn die belgische Ratspräsidentschaft sich nicht kollaborativer zeige. Ein Trilog ohne fixe Endzeit wird jeweils für die voraussichtlich letzte Trilog-Verhandlung angesetzt, die oft bis tief in die Nacht dauert. Ohne ihn gibt es keine Einigung.
Damit würde sich die Saga um die EU-Schuldenregeln in die nächste Legislatur verlängern. Ob das Parlament bereit ist, diese Drohung gegenüber dem Rat wahrzumachen, ist momentan noch unklar. Es ist gut möglich, dass sich das Parlament mit einem rein symbolischen Entgegenkommen des Rats zufriedengibt.
Insbesondere die Sozialdemokraten befinden sich in einer schwierigen Situation. Sie stellen mit der Co-Berichterstatterin Margarida Marques und mit Tinagli zwei zentrale Positionen in diesen Verhandlungen. Zudem stehen sie in der Kritik von Gewerkschaften und Grünen, die argumentieren, dass die geplante Reform zu einer neuen europäischen Austeritätspolitik führen würde.
In diesem Licht ist auch der Vorstoß der gewerkschaftsnahen deutschen Sozialdemokratin Gabriele Bischoff zu deuten, welche als Berichterstatterin des Arbeitsausschusses an den Verhandlungen teilnimmt.
Sie fordert, dass das Ziel der sozialen Konvergenz explizit in den Verordnungstext aufgenommen wird. Damit will sie der Befürchtung entgegenwirken, dass die neuen Fiskalregeln auf Kosten der unteren Einkommensschichten geht. Bislang weigert sich die belgische Ratspräsidentschaft aber auch hier, der Parlamentsposition entgegenzukommen.
Es ist ein weiterer Sargnagel für die Farm-to-Fork-Strategie: In einer Rede vor dem Europäischen Parlament am Dienstag kündigte Ursula von der Leyen an, dass die EU-Kommission den Vorschlag für die SUR-Verordnung zurückzieht, die eine Halbierung des Pestizideinsatzes bis 2030 zum Ziel hat. Die Kommission könnte laut ihr einen “neuen, viel ausgereifteren Vorschlag” entwickeln. Sollte dieser überhaupt kommen, dann allerdings erst nach den Europawahlen.
Die Rücknahme der SUR ist eines der Zugeständnisse im Zuge der Bauernproteste, die zuletzt die agrarpolitische Debatte in Brüssel und Straßburg geprägt haben. Diese protestierenden Landwirte hätten “uns gezeigt, dass viele von ihnen sich eingeengt fühlen, dass ihre Bedürfnisse nicht erfüllt werden”, sagte Maroš Šefčovič, der für den Green Deal zuständige Kommissionsvize, am Mittwoch bei einer kurzfristig anberaumten Parlamentsdebatte zur “Stärkung der Landwirte und Landbevölkerung”.
Die Proteste tragen zur Katerstimmung in Sachen Umwelt- und Klimaschutz in der Landwirtschaft bei, die auch die Politik nach der Europawahl prägen dürfte. Doch der Green Deal war im Agrar- und Ernährungsbereich schon vorher ins Schleudern geraten.
In der Farm-to-Fork-Strategie, dem Agrar- und Ernährungszweig des Green Deals, hatte sich die Kommission 2020 große Ziele gesetzt: Nahrungsmittel sollten nachhaltiger und gesünder produziert, verarbeitet und konsumiert werden, dazu wollte sie die Lebensmittelverschwendung begrenzen. Geblieben ist davon wenig:
Für den Europaabgeordneten Pascal Canfin (Renew), Vorsitzender des einflussreichen ENVI-Ausschusses, ist die Strategie der “Entpolarisierung, die für alles andere funktioniert hat”, bei der Landwirtschaft gescheitert. Und tatsächlich: In Sachen Klima und Energie wurde vieles umgesetzt in dieser Legislatur, so zum Beispiel die Reform des europäischen Emissionshandels (von dem die Landwirtschaft übrigens ausgenommen ist).
Diese Diskrepanz dürfte auch darauf zurückgehen, dass die Gruppe derer, die die Kosten von Klima- und Umweltschutzmaßnahmen tragen, in der Landwirtschaft klar definiert und gut organisiert ist. Anders als beispielsweise beim Emissionshandel, der Mehrkosten für eine diffuse Gruppe an Wirtschafts- und Industriesektoren verursacht und für den Verbraucher schwer zu durchschauen ist.
Hinzu kommt, dass der Green Deal von Teilen des politischen Spektrums immer stärker als reiner “Klimadeal” interpretiert wurde. Bei den Agrardossiers geht es dagegen häufig um Arten- und Umweltschutz, so zum Beispiel bei der SUR, aber auch beim Renaturierungsgesetz. Dieses ist zwar nicht Teil der Farm-to-Fork-Strategie, betrifft die Landwirtschaft aber unmittelbar. Ob der Schutz der Biodiversität – im Gegensatz zum Klimaschutz – wirklich hoch genug zu bewerten ist, um dafür Einschränkungen der (Land-)Wirtschaft in Kauf zu nehmen, ist vor allem bei der EVP, aber auch in Teilen von Renew umstritten.
Doch auch die Kommission selbst hat dazu beigetragen, dass von ihren Ambitionen am Ende wenig übrig blieb. Das gab von der Leyen beim Rückzug der SUR teils selbst zu: Der Vorschlag habe “polarisiert”, räumt sie ein. Die Farm-to-Fork-Strategie entstand unter dem Eindruck der Europawahl 2019, bei der die Grünen nach Massendemonstrationen von Fridays for Future Rekordergebnisse erzielten. Die Kommission unterschätzte dabei die Sprengkraft ihrer Vorschläge, die wegen des langwierigen politischen Prozesses in der EU erst gegen Ende der Legislaturperiode stärker diskutiert wurden. In der Zwischenzeit hatte sich die Stimmung gedreht: Durch Pandemie und den Ukrainekrieg war das Thema Ernährungssicherheit stärker in den Fokus gerückt.
Gleichzeitig begannen die Parteien bereits, sich für die nächste Wahl in Stellung zu bringen, was Kompromisse zu heiklen Themen erschwerte. Dazu kommen nun die Bauernproteste, die wohl weiter dazu beitragen, dass auch in der nächsten Legislaturperiode die Kompromissbildung bei Agrardossiers noch schwieriger werden dürfte. Zudem sagen Prognosen voraus, dass sich die Mehrheitsverhältnisse im Parlament nach rechts verschieben. “Wenn es keine demokratische Unterstützung für den Green Deal mehr gibt, wird er enden. Das ist eine der großen Herausforderungen der Wahl”, betont Pascal Canfin.
Auch bei den Grünen bangt man: “Bei den letzten Europawahlen 2019 gab es die Klimamärsche und es war politisch teuer, sich gegen den Green Deal zu stellen. Heute ist es politisch rentabel“, sagt der Grünen-Fraktionschef Philippe Lamberts. Die Grünen müssten daher bei der Wahl “das Spiel ihres Lebens” liefern.
10.02.2023 – 14:00-15:30 Uhr, Karlsruhe
FES, Podiumsdiskussion Zukunftsfähiges Europa: Klimaschutz und Wirtschaft gemeinsam denken
Bei der Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) diskutieren Referenten, darunter der SPD-Europaabgeordnete René Repasi, wie der Weg zu einer klimaneutralen Wirtschaft im europäischen Verbund gestaltet und koordiniert werden kann. INFOS & ANMELDUNG
12.02.2024 – 15:00-16:15 Uhr, online
DGAP, Panel Discussion Election Season and US Foreign Policy: Implications for Ukraine Support
US foreign policy experts hosted by the German Council on Foreign Relations (DGAP) will assess how the US elections could affect the support for Ukraine and will discuss the factors shaping US policy on Ukraine. INFO & REGISTRATION
13.02.2024 – 11:00-12:30 Uhr, Berlin
HBS, Podiumsdiskussion Indonesien am Wendepunkt – Entwicklung, Infrastruktur und der Zustand der Demokratie
Bei der Heinrich-Böll-Stiftung (HBS) erörtern Wissenschaftlerinnen und Aktivisten aus Deutschland und Indonesien in Hinblick auf die indonesischen Präsidentschaftswahlen, wie es um die Demokratie in Indonesien steht, wie internationale Entwicklungen die Lage vor Ort beeinflussen und welche Interventionsmöglichkeiten die deutsche und europäische Politik haben. INFOS & ANMELDUNG
13.02.2024 – 14:00-15:30 Uhr, online
ASEW, Seminar Erfahrungsaustausch CO2-Kostenaufteilungsgesetz 02.24
Die Arbeitsgemeinschaft für sparsame Energie- und Wasserversorgung (ASEW) bietet eine Plattform zum Austausch über das CO₂-Kostenaufteilungsgesetz und beantwortet Fragen zur konkreten Umsetzung der Informationspflichten. INFOS & ANMELDUNG
Das Scheitern der CO₂-Flottengrenzwerte für LKW im Rat wird nicht mehr ausgeschlossen. Da die FDP-Minister in der Bundesregierung das Trilogergebnis ablehnen, wird sich Deutschland bei der Abstimmung im Rat nach jetzigem Stand enthalten müssen. Die belgische Ratspräsidentschaft hatte die ursprünglich für Mittwoch geplante Abstimmung auf Freitag verschoben, nachdem die Bundesregierung ihre Enthaltung signalisiert hatte. Die Verhandlungen zwischen Kanzleramt, Verkehrs- und Umweltministerium laufen aber noch. BMU und Kanzleramt hoffen, eine Enthaltung noch verhindern zu können.
Da Italien und mehrere Mitgliedstaaten aus Osteuropa gegen den Vorschlag stimmen wollen, würde bei einer Enthaltung Deutschlands die qualifizierte Mehrheit verfehlt und damit der Vorschlag im Rat scheitern. Für Nachverhandlungen rennt zudem die Zeit davon, da die Frist bald endet, nach der eine Abstimmung im Parlament vor der Europawahl nicht mehr möglich sein wird. Die Kommission müsste den Vorschlag dann dem nächsten EU-Parlament erneut vorlegen, um erneut zu einer Einigung zu kommen.
Die FDP besteht darauf, dass CO₂-neutrale Kraftstoffe auf die Flottengrenzwerte angerechnet werden. Sowohl im Parlament als auch im Rat hat diese Forderung keine Mehrheit gefunden. Daher waren E-Fuels auch nicht Gegenstand der politischen Einigung. Die FDP-Bundestagsfraktion hatte zuletzt FDP-Verkehrsminister Volker Wissing aufgefordert, für eine Enthaltung Deutschlands im Rat zu sorgen.
Der Branchenverband VDA stellte sich am Mittwoch nicht hinter den Vorstoß der FDP. Vielmehr betonte er, dass der Zeitplan für die Umsetzung schon jetzt ehrgeizig sei und die Hersteller keine weiteren Verzögerungen im Verfahren brauchen könnten. mgr/luk
Trotz Zugeständnissen des Europaparlaments ist kurz vor Ende der Legislaturperiode vollkommen unklar, ob die EU in Zukunft Scheinselbstständigkeit auf den großen Digitalplattformen stärker bekämpft. Die belgische Ratspräsidentschaft geht am Donnerstag ohne Mandat des Rates in den letzten Trilog zur Plattformarbeitsrichtlinie.
Wie Table.Media erfuhr, konnte die Mitgliedsstaaten im AStV 1 am Mittwoch keine qualifizierte Mehrheit für den aktuellen Kompromisstext finden. Mehrere Ländervertreter beklagten fehlende Rechtssicherheit, wenn ganz auf Kriterien zur Einleitung einer Anstellungsvermutung verzichtet werde, hieß es. Dennoch soll der Trilog an diesem Donnerstag stattfinden. Die belgische Ratspräsidentschaft dürfte dann versuchen, weitere Zugeständnisse vom Parlament zu bekommen. Deutschland enthält sich bisher. Die Mehrheitsfindung bei dem Dossier ist deswegen besonders schwierig.
Eine mit den Positionen des Rates vertraute Quelle führte aus: “Es muss zumindest in den Erwägungsgründen eine genaue Klarstellung geben, wie die Kriterien zur Anstellungsvermutung aussehen sollen.” Ansonsten könne es europaweit unterschiedliche Auslegungen geben, wann ein Plattformarbeiter selbstständig oder angestellt ist. “Das wäre ein Problem für die Beschäftigten und die Plattformen selbst.”
Der Wortlaut dieser Kriterien sowie die Erfüllungsschwelle waren von vornherein ein großer Streitpunkt zwischen Rat und Parlament. In dem ursprünglichen Vorschlag der EU-Kommission waren EU-weit geltende Kriterien vorgesehen worden, von denen eine gewisse Mindestanzahl erfüllt werden muss, um einen Anstellungsverdacht auszulösen. Der Rat hatte stets auf eine möglichst enge Definition der Kriterien gepocht und zudem für eine hohe Auslöseschwelle plädiert. Das Parlament hatte im siebten Trilog angeboten, dass die Mitgliedstaaten selbst entscheiden sollen, unter welchen Bedingungen die sogenannte Anstellungsvermutung ausgelöst wird.
Am Freitag ist erneut ein AStV1-Treffen angesetzt, wo die Richtlinie Thema sein wird. Es ist der Stichtag, bis zu dem verhandelte Gesetze noch rechtzeitig für die Bestätigung im Rat und Parlament in allen Ländersprachen der EU formalisiert werden können. Ansonsten könnte das Verfahren nur noch möglicherweise durch das Corrigendum-Verfahren gerettet werden. Ob dies geschehen kann, ist derzeit aber unklar.
“Die Tatsache, dass auf Ratsseite um unseren alternativen Vorschlag gerungen wird, zeigt, dass jeder den Ernst der Lage verstanden hat. 28 Millionen Betroffene schauen nun genau hin, ob wir unserer gemeinsamen Verantwortung gerecht werden”, sagte der CDU-Schattenberichterstatter Dennis Radtke Table.Media.
Rat und Parlament liefern sich seit Monaten einen erbitterten Streit um das Gesetz zur Plattformarbeit. Im Dezember hatte es bereits eine Einigung im Trilog gegeben. Der Rat hatte den Kompromiss allerdings abgelehnt – ein seltener Vorgang. Das Dossier gilt neben der Mindestlohnrichtlinie als wichtigster Vorstoß im Bereich Arbeit und Soziales in dieser Legislaturperiode. lei
Die EKR-Fraktion im Europaparlament hat den Abgeordneten Nicolas Bay von Reconquête aufgenommen. Damit öffnet sich die Parteienfamilie unter der Führung der italienischen Regierungschefin Giorgia Meloni einer Kraft der extremen Rechten. Reconquête – eine Anspielung auf die Wiedereroberung Spaniens durch die Christen – wurde 2021 von Éric Zemmour gegründet, um bei der Präsidentschaftswahl 2022 in Frankreich anzutreten. Er holte sieben Prozent der Stimmen. Bei den Parlamentswahlen wenige Monate später blieb die Partei unter der Fünf-Prozent-Sperrklausel.
Die Partei lehnt den Islam ab und positioniert sich gegen den “wachsenden Einfluss der LGBTQ-Bewegung”. Vizepräsidenten sind der Europaabgeordnete Bay und Marion Maréchal. Sie ist die Enkelin von Front National-Gründer Jean-Marie Le Pen und mit Vicenzo Sofo, einem Europaabgeordneten der Fratelli d’Italia, verheiratet. Nachdem sie sich mit ihrer Tante Marine Le Pen, der Chefin des Rassemblement National, überworfen hatte, war sie aus deren Partei ausgetreten. Beim gemeinsamen Auftritt mit EKR-Fraktionschef Nicolas Procaccini im Europaparlament sagte sie: “Die EKR ist für Reconquête die natürliche Familie.”
Im neuen Europaparlament will Maréchal, die die Reconquête-Liste bei den Europawahlen anführt, in der EKR-Fraktion gegen den “Zentralismus der EU” kämpfen und für das Prinzip der Subsidiarität. “Ich will dem Macronismus im Europaparlament entgegentreten.” Auf Nachfrage wies Bay darauf hin, dass er im Europaparlament stets gegen den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine und für die Unterstützung des Landes gestimmt habe.
Die EKR hat in der Prager Erklärung Grundsätze festgelegt, auf die sich Mitglieder der Fraktion verpflichten müssen. Nach jetzigem Stand gibt es keine Pläne von Reconquête, der Parteienfamilie EKR beizutreten. Es wird damit gerechnet, dass Reconquête bei der Europawahl etwa fünf Abgeordnete stellen kann. Motivation von EKR-Chefin Meloni für die Aufnahme der Reconquête dürfte auch sein, bei der Europawahl stärker abzuschneiden als die rechtsextreme ID. Der Rassemblement National von Marine Le Pen dominiert die ID-Fraktion, in der auch die deutsche AfD Mitglied ist. mgr
Mit 307 zu 263 Stimmen hat das Parlamentsplenum am Mittwoch seine Verhandlungsposition zur vorgeschlagenen Lockerung des EU-Gentechnikrechts angenommen. Die Abgeordneten stellten sich damit im Grundsatz hinter den Vorschlag der Europäischen Kommission, die Regeln für bestimmte genetisch veränderte Pflanzen zu lockern – allerdings mit einer wichtigen Einschränkung. Denn das Parlament votierte dafür, dass auch künftig alle Produkte, die aus gentechnisch veränderten Pflanzen hergestellt werden, mit der Aufschrift “neuartige genomische Verfahren” versehen werden müssen. Dass ein Produkt mithilfe neuer Züchtungstechniken erzeugt wurde, soll zudem entlang der gesamten Lieferkette rückverfolgbar bleiben.
Die Kommission hatte im Gegensatz dazu für gentechnisch veränderte Pflanzen, die so auch hätten auf konventionelle Weise entstehen können, eine deutliche Lockerung der Kennzeichnungspflicht vorgeschlagen. Nur Saatgut sollte demnach noch gekennzeichnet werden müssen, verarbeitete Produkte bis hin zum Supermarktregal nicht mehr. Dass das Parlamentsplenum für strengere Vorgaben zu Kennzeichnung und Nachverfolgbarkeit stimmte, ist ein wichtiger Punktsieg für die Grünen sowie Teile der Sozialdemokraten. Die verpflichtende Kennzeichnung sei “elementar”, sie werde es Verbrauchern ermöglicht, “eine bewusste Kaufentscheidung zu treffen”, sagt Martin Häusling, Schattenberichterstatter der Grünen, zu Table.Media.
Zudem enthält nun angenommene Text – wie bereits jener des Umweltausschusses – eine Klausel, die Patente auf gentechnisch veränderte Pflanzen und Saatgut ausschließt, jedoch im Widerspruch zum Europäischen Patentübereinkommen steht. Trotz der Einschränkungen trugen aber Grüne, Linke und etwa die Hälfte der Sozialdemokraten den Gesamttext am Ende nicht mit.
Die EVP und Renew, die sich für die Reform des Gentechnikrechts starkgemacht hatte, feierte die Verabschiedung des Texts dagegen als Erfolg. “Es ist ein historischer Tag, an dem das Europäische Parlament für die Wissenschaft gestimmt hat”, freute sich die EVP-Berichterstatterin Jessica Polfjärd nach der Abstimmung.
Lob kam auch vom Deutschen Bauernverband (DBV), der die Parlamentsposition als “gelungene Abwägung” begrüßt, sowie aus der Wissenschaft. Es gehe darum, neue Züchtungstechniken “zum Nutzen und Wohl der Gesellschaft und Umwelt einzusetzen”, betont Nicolaus von Wirén, geschäftsführender Direktor des IPK Leibniz-Institutes.
Aufseiten der Mitgliedstaaten zeichnet sich allerdings weiterhin kein Kompromiss zu dem Dossier ab. Die belgische Ratspräsidentschaft hatte das Thema ebenfalls am Mittwoch auf die Agenda der EU-Botschafter gesetzt. Diese erreichten aber keine Einigung, die Verhandlungen gehen nun wieder auf Arbeitsebene weiter, wie ein Sprecher bestätigte. jd
Das EU-Parlament hat am Mittwoch in Straßburg eine Resolution verabschiedet, mit der sie deutliche Kritik an Norwegens Entscheidung, Gebiete für den Tiefseebergbau freizugeben, übt. 523 von 616 Abgeordneten stimmten für den Entwurf. Sie fordern in der Resolution die EU-Kommission, die Mitgliedstaaten und alle weiteren Länder auf, sich für ein internationales Moratorium für den Tiefseebergbau einzusetzen, bis dessen Auswirkungen auf die Umwelt hinreichend erforscht seien.
Das norwegische Parlament hatte am 9. Januar einen Beschluss gefasst, wonach ein Gebiet von 281.200 Quadratkilometern in der Arktis für mögliche Bergbauprojekte am Meeresboden erkundet werden darf. Der Prozess ist ergebnisoffen; weitere Entscheidungen über Abbaupläne oder Abbaugenehmigungen sind von der norwegischen Regierung abhängig. Erste Abbaupläne müssen ebenfalls vom Parlament genehmigt werden.
Das Parlament ruft dazu auf, das Vorsorgeprinzip anzuwenden und erinnert Norwegen an seine Verpflichtungen als Vertragspartei relevanter Verträge, unter anderem über die Bewirtschaftung der Fischbestände im betroffenen Gebiet.
Mehrere EU-Mitgliedstaaten, darunter Deutschland, Frankreich, Schweden und Finnland, setzen sich im Rahmen von Verhandlungen in der Internationale Meeresbodenbehörde (ISA) für eine vorsorgliche Pause oder ein vollständiges Verbot des Tiefseebergbaus ein. leo
Das Europaparlament hat gestern die Verhandlungen mit dem Rat über Regeln für den Import und Export von Feuerwaffen für den zivilen Gebrauch abgebrochen. Die belgische Ratspräsidentschaft habe keinerlei Bereitschaft gezeigt, über den Anwendungsbereich der Neufassung der sogenannten Feuerwaffen-Verordnung zu verhandeln, sagte EP-Berichterstatter Bernd Lange (SPD) zu Table.Media. “Diese Friss-oder-Stirb-Haltung kann das Europäische Parlament nicht hinnehmen.”
Die EU-Kommission hatte im Herbst 2022 vorgeschlagen, die EU-Vorschriften für Ein- und Ausfuhr von Gewehren und Pistolen für den zivilen Gebrauch zu aktualisieren. Laut Lange wollten die Mitgliedstaaten aber insbesondere beim Export alle irgendwie militärisch nutzbaren Waffen ausnehmen, sodass die neuen Regeln für einen engeren Kreis gelten würden als nach der derzeitigen Verordnung von 2012.
“Schon jetzt landen viele in der EU produzierten Waffen in lateinamerikanischen Ländern und werden dort für illegale Aktivitäten verwendet”, kritisiert der Vorsitzende des Handelsausschusses. “Dem müssen wir durch strenge Exportregel einen Riegel vorschieben.” Er forderte der Rat auf, sich hier doch noch zu bewegen. tho
Die EU-Grenzschutzagentur Frontex rechnet in diesem Jahr im Vergleich zu 2023 mit einer steigenden Zahl von Migranten, die nach Europa kommen. Der Strom derer, die vor Krieg flüchteten oder Armut entkommen wollten, werde sich nicht vollständig aufhalten lassen, sagte der Chef der EU-Behörde, Hans Leijtens, in einem Interview gegenüber der Nachrichtenagentur Reuters.
“Wir müssen die Migration steuern, weil wir die ungesteuerte Zuwanderung nach Europa nicht bewältigen können”, sagte Leijtens. “Aber ein kompletter Stopp – das scheint mir sehr schwierig, um nicht zu sagen unmöglich.”
Im vergangenen Jahr registrierte Frontex 380.000 irreguläre Grenzübertritte, so viele wie seit 2016 nicht mehr. Damit sind seit 2020 jedes Jahr immer mehr Menschen illegal nach Europa eingewandert. Dieser Trend wird laut Leijtens anhalten. Er erwarte, dass mehr Menschen aus Subsahara-Afrika versuchen würden, nach Europa zu gelangen. Offen sei, ob der Gaza-Krieg eine Migration nach Europa auslösen werde.
Allein im Januar ist die irreguläre Einwanderung aus Westafrika in die EU im Vergleich zum Vorjahresmonat um mehr als das Zehnfache gestiegen. Laut bisher unveröffentlichen Frontex-Daten für Januar werde die Atlantik-Route am häufigsten für die Überfahrt nach Europa genutzt. Nach Angaben der Vereinten Nationen starben im vergangenen Jahr mehr als 3.700 Migranten auf dem Weg nach Europa. rtr
Zum Thema Europa ist der französische Europaabgeordnete und Agrarexperte Christophe Clergeau (S&D) über Jacques Delors und Michel Rocard gekommen. Die entschieden pro-europäische Haltung der beiden Sozialisten unterschied sich deutlich von der öffentlichen Meinung in Frankreich, die schnell in Richtung Euroskeptizismus drehen kann.
2019 wurde Clergeau zum nationalen Europasekretär der Sozialistischen Partei ernannt. Zugleich ist er Regionalrat von Pays de la Loire, seiner Heimatregion im mittleren Westen Frankreichs. Sein Mandat als Regionalrat ermögliche es ihm, mit einem Fuß auf dem Boden zu bleiben, erklärt Clergeau. Der europäische Kreis schloss sich, als er am 2. Juni letzten Jahres ins Europäische Parlament nachrückte, als Éric Andrieu sein Mandat niederlegte.
Clergeau hat gute Chancen, wiedergewählt zu werden. Er steht auf einem guten Platz auf der gemeinsamen Liste der Sozialistischen Partei und der vom französischen Europaabgeordneten Raphaël Glucksmann gegründeten Bewegung “Place publique” für die Europawahl. Mitglieder der Parti Socialiste werden an diesem Donnerstag über die Liste abstimmen, die am 10. Februar offiziell bestätigt werden soll. Ab dann wird Raphaël Glucksmann die gemeinsame Liste in den Europawahlkampf führen können. Dies wird die französischen Grünen und Renaissance, den französischen Zweig von Renew, alles andere als erfreuen, da alle drei politischen Gruppierungen versuchen werden, Stimmen aus demselben Lager der pro-europäischen und liberalen Wähler zu angeln.
Im Europaparlament sitzt Clergeau in den Ausschüssen für Landwirtschaft, Umwelt (Biodiversität, Klimawandel und Gesundheit) und Entwicklungshilfe für die Nord-Süd-Beziehungen. Mit Landwirtschaft kennt er sich aus: 1997 war er Kabinettschef von Louis Le Pensec, dem damaligen sozialistischen Landwirtschaftsminister. 1999 verließ er Paris und ging als Lehr- und Forschungsbeauftragter zu AgroCampus Ouest nach Rennes. Die Hochschule bildet schwerpunktmäßig für die Landwirtschaft aus.
Während sich der europäische Agrarsektor in einer tiefen Krise befindet, ist der gelernte Ökonom und Geschichtswissenschaftler Clergeau der Ansicht, dass der politische Diskurs die Probleme des Agrarsektors “nicht mehr anspricht”. Er diagnostiziert einen “Agrarkonservatismus”, der in seinem Widerstand gegen die Agrarwende “immer radikaler” werde.
“Man wird die Landwirtschaft, die Umwelt und die Gesundheit gegeneinander ausspielen, obwohl diese drei Elemente untrennbar miteinander verbunden sind”, erklärt Clergeau. Für die S&D führt er die Verhandlungen um die neuen Gentechniken (NGTs) als Schattenberichterstatter. Durch die Einführung neuer Technologien und die Kontrolle von Normen können diese Gegensätze aufgehoben werden, erklärt er. Eine Position, die sein Lager gegen ihn aufbringen könnte. Er fordert, dass NGTs auch weiterhin genauso streng reguliert werden sollen wie herkömmliche Gentechnik. Diese Position steht im Gegensatz zu der Haltung der Koordinatorin der sozialistischen Fraktion im Landwirtschaftsausschuss, Clara Aguilera, die sich für die Entwicklung von NGT, auch in der biologischen Landwirtschaft, ausgesprochen hat.
Clergeau plädiert auch für die Regulierung der Agrarmärkte. “Die Preisschwankungen auf den Agrarmärkten ermöglichen es den Landwirten, vor allem denjenigen, die kleine und mittlere Betriebe führen, nicht, einen angemessenen Lohn zu erhalten”, sagt der Europaparlamentarier. Er sieht die Landwirte durch den Wirtschaftsliberalismus, der sich in der Agrarwelt durchsetzt, benachteiligt.
Und der Europaabgeordnete findet diese Marktlogik auch in der gemeinsamen Agrarpolitik der EU (GAP) wieder: “Die finanzielle Unterstützung, die von der GAP kommt, privilegiert die große Produktion und treibt die Vergrößerung der landwirtschaftlichen Betriebe voran. Und es ist eine Hilfe ohne Bedingungen.” Handelsabkommen sind für ihn ein weiteres Gesicht dieses Wirtschaftsliberalismus, “sie setzen die Landwirte untereinander in Konkurrenz, die nicht denselben Standards unterliegen”, sagt er. “Deshalb bevorzuge ich die Regulierung der Märkte, um die Einkommen der Landwirte zu sichern.” Claire Stam
die EU-Lieferkettenrichtlinie sorgt einmal mehr für Ärger innerhalb der Ampelkoalition: Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) schickte gestern einen Brief an die übrigen EU-Mitgliedstaaten, in dem er Deutschlands Enthaltung in der Abstimmung am morgigen Freitag begründete und seine Kritik an der geplanten Richtlinie ausgiebig wiederholte. Dies sei nicht in der Bundesregierung abgestimmt, kritisierte ein hochrangiger Regierungsbeamter. Die FDP beherrsche die Grundregeln des Regierungshandelns nicht.
Trotzdem scheint es realistisch, dass die Trilogeinigung im Rat durchgeht. Die belgische Ratspräsidentschaft ist optimistisch, eine qualifizierte Mehrheit unter den Mitgliedstaaten zu erhalten. Dabei haben etliche Mitgliedstaaten in den letzten Sitzungen der Arbeitsgruppen noch einmal ihre Bedenken benannt. Diese beziehen sich etwa auf die zivilrechtliche Haftung. Schweden wird das Gesetz vermutlich ablehnen, bei vielen anderen ist die Position noch nicht klar. Die österreichische Regierung ist ähnlich gespalten wie die deutsche und könnte sich ebenfalls enthalten.
Sicher ist bereits die Position Frankreichs: Dort ist man zufrieden mit dem Ergebnis und will laut Informationen von Table.Media zustimmen. Schließlich wurde auf Druck Frankreichs eine Überprüfungsklausel eingebaut, die den Finanzsektor erstmal nicht einbezieht.
Für eine qualifizierte Mehrheit im Rat sind die Stimmen von mindestens 15 Mitgliedstaaten nötig, die zusammen mindestens 65 Prozent der EU-Gesamtbevölkerung ausmachen.
Aufgrund der Enthaltung Deutschlands wird deshalb auch die Stimme des bevölkerungsreichen Italiens entscheidend sein. Dort interessiert das EU-Lieferkettengesetz in der Öffentlichkeit kaum jemanden, weiß meine Kollegin Almut Siefert aus Rom. Nachfragen nach dem Abstimmungsverhalten Italiens werden in Wirtschafts- und Finanzministerium mit Gleichgültigkeit quittiert – worum geht es genau? Entscheiden muss nun Regierungschefin Giorgia Meloni persönlich.
Wir halten Sie auf dem Laufenden!
Wann und ob es zur Entscheidung in Sachen der EU-Schuldenregeln kommen wird, ist kurz vor Ablauf der Verhandlungsfrist offen. Die belgische Ratspräsidentschaft scheint kaum Spielraum mit in die Verhandlungen zu dem Dossier zu bringen. Der Standpunkt war auf Ratsebene hart umkämpft. Wie Parlamentsquellen Table.Media bestätigen, hätten sowohl der belgische Finanzminister sowie der belgische EU-Botschafter in den bisherigen Trilog-Sitzungen darauf gepocht, dass sie nicht von der Ratsposition abweichen könnten.
Ein zentraler Streitpunkt zwischen Rat und Parlament ist der Effekt der neuen Schuldenregeln auf öffentliche Investitionen. Das Parlament befürchtet, dass die strikte Position des Rats die Mitgliedstaaten zu investitionsschädlichen Budgetkürzungen zwingen würde. Dies würde Klimaschutz-Investitionen verhindern und die Wirtschaft schwächen.
In der vergangenen Woche hatte die Kommission mögliche Kompromissvorschläge des Parlaments in einem Non-Paper, das Table.Media vorliegt, auf ihre Auswirkungen auf Investitionen und ökonomische Nachhaltigkeit hin analysiert. Die Idee dahinter: Die Ratspräsidentschaft sollte von den Mitgliedstaaten Feedback zu den Vorschlägen einholen, um abzuwägen, wo Potenzial für einen Kompromiss besteht.
Doch die belgische Ratspräsidentschaft hat laut mehreren Parlamentsquellen kein Feedback von den Mitgliedstaaten eingeholt, was Vertreterinnen und Vertreter des Parlaments als Verweigerungstaktik bewerten. Sie befürchten, dass die Ratspräsidentschaft das Parlament am letzten Trilog-Tag diesen Freitag (9. Februar) nach dem Motto “friss oder stirb” vor vollendete Tatsachen stellen wird.
Der 9. Februar ist die Deadline, die sich die Administrationen des Rats und des Parlaments für die letzten Trilog-Verhandlungen gegeben haben. Was bis dann nicht entschieden ist, kann aufgrund der juristischen Übersetzungsarbeiten, die nach der politischen Einigung noch nötig sind, nicht rechtzeitig für die letzte Parlamentssession dieser Legislatur fertiggestellt werden.
Irene Tinagli, Vorsitzende des Wirtschaftsausschusses des Parlaments, will sich jedoch nicht unter Druck setzen lassen. Sie warnte während den Verhandlungen am Mittwoch, dass sie für Freitag keinen finalen Trilog ansetzen würde, wenn die belgische Ratspräsidentschaft sich nicht kollaborativer zeige. Ein Trilog ohne fixe Endzeit wird jeweils für die voraussichtlich letzte Trilog-Verhandlung angesetzt, die oft bis tief in die Nacht dauert. Ohne ihn gibt es keine Einigung.
Damit würde sich die Saga um die EU-Schuldenregeln in die nächste Legislatur verlängern. Ob das Parlament bereit ist, diese Drohung gegenüber dem Rat wahrzumachen, ist momentan noch unklar. Es ist gut möglich, dass sich das Parlament mit einem rein symbolischen Entgegenkommen des Rats zufriedengibt.
Insbesondere die Sozialdemokraten befinden sich in einer schwierigen Situation. Sie stellen mit der Co-Berichterstatterin Margarida Marques und mit Tinagli zwei zentrale Positionen in diesen Verhandlungen. Zudem stehen sie in der Kritik von Gewerkschaften und Grünen, die argumentieren, dass die geplante Reform zu einer neuen europäischen Austeritätspolitik führen würde.
In diesem Licht ist auch der Vorstoß der gewerkschaftsnahen deutschen Sozialdemokratin Gabriele Bischoff zu deuten, welche als Berichterstatterin des Arbeitsausschusses an den Verhandlungen teilnimmt.
Sie fordert, dass das Ziel der sozialen Konvergenz explizit in den Verordnungstext aufgenommen wird. Damit will sie der Befürchtung entgegenwirken, dass die neuen Fiskalregeln auf Kosten der unteren Einkommensschichten geht. Bislang weigert sich die belgische Ratspräsidentschaft aber auch hier, der Parlamentsposition entgegenzukommen.
Es ist ein weiterer Sargnagel für die Farm-to-Fork-Strategie: In einer Rede vor dem Europäischen Parlament am Dienstag kündigte Ursula von der Leyen an, dass die EU-Kommission den Vorschlag für die SUR-Verordnung zurückzieht, die eine Halbierung des Pestizideinsatzes bis 2030 zum Ziel hat. Die Kommission könnte laut ihr einen “neuen, viel ausgereifteren Vorschlag” entwickeln. Sollte dieser überhaupt kommen, dann allerdings erst nach den Europawahlen.
Die Rücknahme der SUR ist eines der Zugeständnisse im Zuge der Bauernproteste, die zuletzt die agrarpolitische Debatte in Brüssel und Straßburg geprägt haben. Diese protestierenden Landwirte hätten “uns gezeigt, dass viele von ihnen sich eingeengt fühlen, dass ihre Bedürfnisse nicht erfüllt werden”, sagte Maroš Šefčovič, der für den Green Deal zuständige Kommissionsvize, am Mittwoch bei einer kurzfristig anberaumten Parlamentsdebatte zur “Stärkung der Landwirte und Landbevölkerung”.
Die Proteste tragen zur Katerstimmung in Sachen Umwelt- und Klimaschutz in der Landwirtschaft bei, die auch die Politik nach der Europawahl prägen dürfte. Doch der Green Deal war im Agrar- und Ernährungsbereich schon vorher ins Schleudern geraten.
In der Farm-to-Fork-Strategie, dem Agrar- und Ernährungszweig des Green Deals, hatte sich die Kommission 2020 große Ziele gesetzt: Nahrungsmittel sollten nachhaltiger und gesünder produziert, verarbeitet und konsumiert werden, dazu wollte sie die Lebensmittelverschwendung begrenzen. Geblieben ist davon wenig:
Für den Europaabgeordneten Pascal Canfin (Renew), Vorsitzender des einflussreichen ENVI-Ausschusses, ist die Strategie der “Entpolarisierung, die für alles andere funktioniert hat”, bei der Landwirtschaft gescheitert. Und tatsächlich: In Sachen Klima und Energie wurde vieles umgesetzt in dieser Legislatur, so zum Beispiel die Reform des europäischen Emissionshandels (von dem die Landwirtschaft übrigens ausgenommen ist).
Diese Diskrepanz dürfte auch darauf zurückgehen, dass die Gruppe derer, die die Kosten von Klima- und Umweltschutzmaßnahmen tragen, in der Landwirtschaft klar definiert und gut organisiert ist. Anders als beispielsweise beim Emissionshandel, der Mehrkosten für eine diffuse Gruppe an Wirtschafts- und Industriesektoren verursacht und für den Verbraucher schwer zu durchschauen ist.
Hinzu kommt, dass der Green Deal von Teilen des politischen Spektrums immer stärker als reiner “Klimadeal” interpretiert wurde. Bei den Agrardossiers geht es dagegen häufig um Arten- und Umweltschutz, so zum Beispiel bei der SUR, aber auch beim Renaturierungsgesetz. Dieses ist zwar nicht Teil der Farm-to-Fork-Strategie, betrifft die Landwirtschaft aber unmittelbar. Ob der Schutz der Biodiversität – im Gegensatz zum Klimaschutz – wirklich hoch genug zu bewerten ist, um dafür Einschränkungen der (Land-)Wirtschaft in Kauf zu nehmen, ist vor allem bei der EVP, aber auch in Teilen von Renew umstritten.
Doch auch die Kommission selbst hat dazu beigetragen, dass von ihren Ambitionen am Ende wenig übrig blieb. Das gab von der Leyen beim Rückzug der SUR teils selbst zu: Der Vorschlag habe “polarisiert”, räumt sie ein. Die Farm-to-Fork-Strategie entstand unter dem Eindruck der Europawahl 2019, bei der die Grünen nach Massendemonstrationen von Fridays for Future Rekordergebnisse erzielten. Die Kommission unterschätzte dabei die Sprengkraft ihrer Vorschläge, die wegen des langwierigen politischen Prozesses in der EU erst gegen Ende der Legislaturperiode stärker diskutiert wurden. In der Zwischenzeit hatte sich die Stimmung gedreht: Durch Pandemie und den Ukrainekrieg war das Thema Ernährungssicherheit stärker in den Fokus gerückt.
Gleichzeitig begannen die Parteien bereits, sich für die nächste Wahl in Stellung zu bringen, was Kompromisse zu heiklen Themen erschwerte. Dazu kommen nun die Bauernproteste, die wohl weiter dazu beitragen, dass auch in der nächsten Legislaturperiode die Kompromissbildung bei Agrardossiers noch schwieriger werden dürfte. Zudem sagen Prognosen voraus, dass sich die Mehrheitsverhältnisse im Parlament nach rechts verschieben. “Wenn es keine demokratische Unterstützung für den Green Deal mehr gibt, wird er enden. Das ist eine der großen Herausforderungen der Wahl”, betont Pascal Canfin.
Auch bei den Grünen bangt man: “Bei den letzten Europawahlen 2019 gab es die Klimamärsche und es war politisch teuer, sich gegen den Green Deal zu stellen. Heute ist es politisch rentabel“, sagt der Grünen-Fraktionschef Philippe Lamberts. Die Grünen müssten daher bei der Wahl “das Spiel ihres Lebens” liefern.
10.02.2023 – 14:00-15:30 Uhr, Karlsruhe
FES, Podiumsdiskussion Zukunftsfähiges Europa: Klimaschutz und Wirtschaft gemeinsam denken
Bei der Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) diskutieren Referenten, darunter der SPD-Europaabgeordnete René Repasi, wie der Weg zu einer klimaneutralen Wirtschaft im europäischen Verbund gestaltet und koordiniert werden kann. INFOS & ANMELDUNG
12.02.2024 – 15:00-16:15 Uhr, online
DGAP, Panel Discussion Election Season and US Foreign Policy: Implications for Ukraine Support
US foreign policy experts hosted by the German Council on Foreign Relations (DGAP) will assess how the US elections could affect the support for Ukraine and will discuss the factors shaping US policy on Ukraine. INFO & REGISTRATION
13.02.2024 – 11:00-12:30 Uhr, Berlin
HBS, Podiumsdiskussion Indonesien am Wendepunkt – Entwicklung, Infrastruktur und der Zustand der Demokratie
Bei der Heinrich-Böll-Stiftung (HBS) erörtern Wissenschaftlerinnen und Aktivisten aus Deutschland und Indonesien in Hinblick auf die indonesischen Präsidentschaftswahlen, wie es um die Demokratie in Indonesien steht, wie internationale Entwicklungen die Lage vor Ort beeinflussen und welche Interventionsmöglichkeiten die deutsche und europäische Politik haben. INFOS & ANMELDUNG
13.02.2024 – 14:00-15:30 Uhr, online
ASEW, Seminar Erfahrungsaustausch CO2-Kostenaufteilungsgesetz 02.24
Die Arbeitsgemeinschaft für sparsame Energie- und Wasserversorgung (ASEW) bietet eine Plattform zum Austausch über das CO₂-Kostenaufteilungsgesetz und beantwortet Fragen zur konkreten Umsetzung der Informationspflichten. INFOS & ANMELDUNG
Das Scheitern der CO₂-Flottengrenzwerte für LKW im Rat wird nicht mehr ausgeschlossen. Da die FDP-Minister in der Bundesregierung das Trilogergebnis ablehnen, wird sich Deutschland bei der Abstimmung im Rat nach jetzigem Stand enthalten müssen. Die belgische Ratspräsidentschaft hatte die ursprünglich für Mittwoch geplante Abstimmung auf Freitag verschoben, nachdem die Bundesregierung ihre Enthaltung signalisiert hatte. Die Verhandlungen zwischen Kanzleramt, Verkehrs- und Umweltministerium laufen aber noch. BMU und Kanzleramt hoffen, eine Enthaltung noch verhindern zu können.
Da Italien und mehrere Mitgliedstaaten aus Osteuropa gegen den Vorschlag stimmen wollen, würde bei einer Enthaltung Deutschlands die qualifizierte Mehrheit verfehlt und damit der Vorschlag im Rat scheitern. Für Nachverhandlungen rennt zudem die Zeit davon, da die Frist bald endet, nach der eine Abstimmung im Parlament vor der Europawahl nicht mehr möglich sein wird. Die Kommission müsste den Vorschlag dann dem nächsten EU-Parlament erneut vorlegen, um erneut zu einer Einigung zu kommen.
Die FDP besteht darauf, dass CO₂-neutrale Kraftstoffe auf die Flottengrenzwerte angerechnet werden. Sowohl im Parlament als auch im Rat hat diese Forderung keine Mehrheit gefunden. Daher waren E-Fuels auch nicht Gegenstand der politischen Einigung. Die FDP-Bundestagsfraktion hatte zuletzt FDP-Verkehrsminister Volker Wissing aufgefordert, für eine Enthaltung Deutschlands im Rat zu sorgen.
Der Branchenverband VDA stellte sich am Mittwoch nicht hinter den Vorstoß der FDP. Vielmehr betonte er, dass der Zeitplan für die Umsetzung schon jetzt ehrgeizig sei und die Hersteller keine weiteren Verzögerungen im Verfahren brauchen könnten. mgr/luk
Trotz Zugeständnissen des Europaparlaments ist kurz vor Ende der Legislaturperiode vollkommen unklar, ob die EU in Zukunft Scheinselbstständigkeit auf den großen Digitalplattformen stärker bekämpft. Die belgische Ratspräsidentschaft geht am Donnerstag ohne Mandat des Rates in den letzten Trilog zur Plattformarbeitsrichtlinie.
Wie Table.Media erfuhr, konnte die Mitgliedsstaaten im AStV 1 am Mittwoch keine qualifizierte Mehrheit für den aktuellen Kompromisstext finden. Mehrere Ländervertreter beklagten fehlende Rechtssicherheit, wenn ganz auf Kriterien zur Einleitung einer Anstellungsvermutung verzichtet werde, hieß es. Dennoch soll der Trilog an diesem Donnerstag stattfinden. Die belgische Ratspräsidentschaft dürfte dann versuchen, weitere Zugeständnisse vom Parlament zu bekommen. Deutschland enthält sich bisher. Die Mehrheitsfindung bei dem Dossier ist deswegen besonders schwierig.
Eine mit den Positionen des Rates vertraute Quelle führte aus: “Es muss zumindest in den Erwägungsgründen eine genaue Klarstellung geben, wie die Kriterien zur Anstellungsvermutung aussehen sollen.” Ansonsten könne es europaweit unterschiedliche Auslegungen geben, wann ein Plattformarbeiter selbstständig oder angestellt ist. “Das wäre ein Problem für die Beschäftigten und die Plattformen selbst.”
Der Wortlaut dieser Kriterien sowie die Erfüllungsschwelle waren von vornherein ein großer Streitpunkt zwischen Rat und Parlament. In dem ursprünglichen Vorschlag der EU-Kommission waren EU-weit geltende Kriterien vorgesehen worden, von denen eine gewisse Mindestanzahl erfüllt werden muss, um einen Anstellungsverdacht auszulösen. Der Rat hatte stets auf eine möglichst enge Definition der Kriterien gepocht und zudem für eine hohe Auslöseschwelle plädiert. Das Parlament hatte im siebten Trilog angeboten, dass die Mitgliedstaaten selbst entscheiden sollen, unter welchen Bedingungen die sogenannte Anstellungsvermutung ausgelöst wird.
Am Freitag ist erneut ein AStV1-Treffen angesetzt, wo die Richtlinie Thema sein wird. Es ist der Stichtag, bis zu dem verhandelte Gesetze noch rechtzeitig für die Bestätigung im Rat und Parlament in allen Ländersprachen der EU formalisiert werden können. Ansonsten könnte das Verfahren nur noch möglicherweise durch das Corrigendum-Verfahren gerettet werden. Ob dies geschehen kann, ist derzeit aber unklar.
“Die Tatsache, dass auf Ratsseite um unseren alternativen Vorschlag gerungen wird, zeigt, dass jeder den Ernst der Lage verstanden hat. 28 Millionen Betroffene schauen nun genau hin, ob wir unserer gemeinsamen Verantwortung gerecht werden”, sagte der CDU-Schattenberichterstatter Dennis Radtke Table.Media.
Rat und Parlament liefern sich seit Monaten einen erbitterten Streit um das Gesetz zur Plattformarbeit. Im Dezember hatte es bereits eine Einigung im Trilog gegeben. Der Rat hatte den Kompromiss allerdings abgelehnt – ein seltener Vorgang. Das Dossier gilt neben der Mindestlohnrichtlinie als wichtigster Vorstoß im Bereich Arbeit und Soziales in dieser Legislaturperiode. lei
Die EKR-Fraktion im Europaparlament hat den Abgeordneten Nicolas Bay von Reconquête aufgenommen. Damit öffnet sich die Parteienfamilie unter der Führung der italienischen Regierungschefin Giorgia Meloni einer Kraft der extremen Rechten. Reconquête – eine Anspielung auf die Wiedereroberung Spaniens durch die Christen – wurde 2021 von Éric Zemmour gegründet, um bei der Präsidentschaftswahl 2022 in Frankreich anzutreten. Er holte sieben Prozent der Stimmen. Bei den Parlamentswahlen wenige Monate später blieb die Partei unter der Fünf-Prozent-Sperrklausel.
Die Partei lehnt den Islam ab und positioniert sich gegen den “wachsenden Einfluss der LGBTQ-Bewegung”. Vizepräsidenten sind der Europaabgeordnete Bay und Marion Maréchal. Sie ist die Enkelin von Front National-Gründer Jean-Marie Le Pen und mit Vicenzo Sofo, einem Europaabgeordneten der Fratelli d’Italia, verheiratet. Nachdem sie sich mit ihrer Tante Marine Le Pen, der Chefin des Rassemblement National, überworfen hatte, war sie aus deren Partei ausgetreten. Beim gemeinsamen Auftritt mit EKR-Fraktionschef Nicolas Procaccini im Europaparlament sagte sie: “Die EKR ist für Reconquête die natürliche Familie.”
Im neuen Europaparlament will Maréchal, die die Reconquête-Liste bei den Europawahlen anführt, in der EKR-Fraktion gegen den “Zentralismus der EU” kämpfen und für das Prinzip der Subsidiarität. “Ich will dem Macronismus im Europaparlament entgegentreten.” Auf Nachfrage wies Bay darauf hin, dass er im Europaparlament stets gegen den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine und für die Unterstützung des Landes gestimmt habe.
Die EKR hat in der Prager Erklärung Grundsätze festgelegt, auf die sich Mitglieder der Fraktion verpflichten müssen. Nach jetzigem Stand gibt es keine Pläne von Reconquête, der Parteienfamilie EKR beizutreten. Es wird damit gerechnet, dass Reconquête bei der Europawahl etwa fünf Abgeordnete stellen kann. Motivation von EKR-Chefin Meloni für die Aufnahme der Reconquête dürfte auch sein, bei der Europawahl stärker abzuschneiden als die rechtsextreme ID. Der Rassemblement National von Marine Le Pen dominiert die ID-Fraktion, in der auch die deutsche AfD Mitglied ist. mgr
Mit 307 zu 263 Stimmen hat das Parlamentsplenum am Mittwoch seine Verhandlungsposition zur vorgeschlagenen Lockerung des EU-Gentechnikrechts angenommen. Die Abgeordneten stellten sich damit im Grundsatz hinter den Vorschlag der Europäischen Kommission, die Regeln für bestimmte genetisch veränderte Pflanzen zu lockern – allerdings mit einer wichtigen Einschränkung. Denn das Parlament votierte dafür, dass auch künftig alle Produkte, die aus gentechnisch veränderten Pflanzen hergestellt werden, mit der Aufschrift “neuartige genomische Verfahren” versehen werden müssen. Dass ein Produkt mithilfe neuer Züchtungstechniken erzeugt wurde, soll zudem entlang der gesamten Lieferkette rückverfolgbar bleiben.
Die Kommission hatte im Gegensatz dazu für gentechnisch veränderte Pflanzen, die so auch hätten auf konventionelle Weise entstehen können, eine deutliche Lockerung der Kennzeichnungspflicht vorgeschlagen. Nur Saatgut sollte demnach noch gekennzeichnet werden müssen, verarbeitete Produkte bis hin zum Supermarktregal nicht mehr. Dass das Parlamentsplenum für strengere Vorgaben zu Kennzeichnung und Nachverfolgbarkeit stimmte, ist ein wichtiger Punktsieg für die Grünen sowie Teile der Sozialdemokraten. Die verpflichtende Kennzeichnung sei “elementar”, sie werde es Verbrauchern ermöglicht, “eine bewusste Kaufentscheidung zu treffen”, sagt Martin Häusling, Schattenberichterstatter der Grünen, zu Table.Media.
Zudem enthält nun angenommene Text – wie bereits jener des Umweltausschusses – eine Klausel, die Patente auf gentechnisch veränderte Pflanzen und Saatgut ausschließt, jedoch im Widerspruch zum Europäischen Patentübereinkommen steht. Trotz der Einschränkungen trugen aber Grüne, Linke und etwa die Hälfte der Sozialdemokraten den Gesamttext am Ende nicht mit.
Die EVP und Renew, die sich für die Reform des Gentechnikrechts starkgemacht hatte, feierte die Verabschiedung des Texts dagegen als Erfolg. “Es ist ein historischer Tag, an dem das Europäische Parlament für die Wissenschaft gestimmt hat”, freute sich die EVP-Berichterstatterin Jessica Polfjärd nach der Abstimmung.
Lob kam auch vom Deutschen Bauernverband (DBV), der die Parlamentsposition als “gelungene Abwägung” begrüßt, sowie aus der Wissenschaft. Es gehe darum, neue Züchtungstechniken “zum Nutzen und Wohl der Gesellschaft und Umwelt einzusetzen”, betont Nicolaus von Wirén, geschäftsführender Direktor des IPK Leibniz-Institutes.
Aufseiten der Mitgliedstaaten zeichnet sich allerdings weiterhin kein Kompromiss zu dem Dossier ab. Die belgische Ratspräsidentschaft hatte das Thema ebenfalls am Mittwoch auf die Agenda der EU-Botschafter gesetzt. Diese erreichten aber keine Einigung, die Verhandlungen gehen nun wieder auf Arbeitsebene weiter, wie ein Sprecher bestätigte. jd
Das EU-Parlament hat am Mittwoch in Straßburg eine Resolution verabschiedet, mit der sie deutliche Kritik an Norwegens Entscheidung, Gebiete für den Tiefseebergbau freizugeben, übt. 523 von 616 Abgeordneten stimmten für den Entwurf. Sie fordern in der Resolution die EU-Kommission, die Mitgliedstaaten und alle weiteren Länder auf, sich für ein internationales Moratorium für den Tiefseebergbau einzusetzen, bis dessen Auswirkungen auf die Umwelt hinreichend erforscht seien.
Das norwegische Parlament hatte am 9. Januar einen Beschluss gefasst, wonach ein Gebiet von 281.200 Quadratkilometern in der Arktis für mögliche Bergbauprojekte am Meeresboden erkundet werden darf. Der Prozess ist ergebnisoffen; weitere Entscheidungen über Abbaupläne oder Abbaugenehmigungen sind von der norwegischen Regierung abhängig. Erste Abbaupläne müssen ebenfalls vom Parlament genehmigt werden.
Das Parlament ruft dazu auf, das Vorsorgeprinzip anzuwenden und erinnert Norwegen an seine Verpflichtungen als Vertragspartei relevanter Verträge, unter anderem über die Bewirtschaftung der Fischbestände im betroffenen Gebiet.
Mehrere EU-Mitgliedstaaten, darunter Deutschland, Frankreich, Schweden und Finnland, setzen sich im Rahmen von Verhandlungen in der Internationale Meeresbodenbehörde (ISA) für eine vorsorgliche Pause oder ein vollständiges Verbot des Tiefseebergbaus ein. leo
Das Europaparlament hat gestern die Verhandlungen mit dem Rat über Regeln für den Import und Export von Feuerwaffen für den zivilen Gebrauch abgebrochen. Die belgische Ratspräsidentschaft habe keinerlei Bereitschaft gezeigt, über den Anwendungsbereich der Neufassung der sogenannten Feuerwaffen-Verordnung zu verhandeln, sagte EP-Berichterstatter Bernd Lange (SPD) zu Table.Media. “Diese Friss-oder-Stirb-Haltung kann das Europäische Parlament nicht hinnehmen.”
Die EU-Kommission hatte im Herbst 2022 vorgeschlagen, die EU-Vorschriften für Ein- und Ausfuhr von Gewehren und Pistolen für den zivilen Gebrauch zu aktualisieren. Laut Lange wollten die Mitgliedstaaten aber insbesondere beim Export alle irgendwie militärisch nutzbaren Waffen ausnehmen, sodass die neuen Regeln für einen engeren Kreis gelten würden als nach der derzeitigen Verordnung von 2012.
“Schon jetzt landen viele in der EU produzierten Waffen in lateinamerikanischen Ländern und werden dort für illegale Aktivitäten verwendet”, kritisiert der Vorsitzende des Handelsausschusses. “Dem müssen wir durch strenge Exportregel einen Riegel vorschieben.” Er forderte der Rat auf, sich hier doch noch zu bewegen. tho
Die EU-Grenzschutzagentur Frontex rechnet in diesem Jahr im Vergleich zu 2023 mit einer steigenden Zahl von Migranten, die nach Europa kommen. Der Strom derer, die vor Krieg flüchteten oder Armut entkommen wollten, werde sich nicht vollständig aufhalten lassen, sagte der Chef der EU-Behörde, Hans Leijtens, in einem Interview gegenüber der Nachrichtenagentur Reuters.
“Wir müssen die Migration steuern, weil wir die ungesteuerte Zuwanderung nach Europa nicht bewältigen können”, sagte Leijtens. “Aber ein kompletter Stopp – das scheint mir sehr schwierig, um nicht zu sagen unmöglich.”
Im vergangenen Jahr registrierte Frontex 380.000 irreguläre Grenzübertritte, so viele wie seit 2016 nicht mehr. Damit sind seit 2020 jedes Jahr immer mehr Menschen illegal nach Europa eingewandert. Dieser Trend wird laut Leijtens anhalten. Er erwarte, dass mehr Menschen aus Subsahara-Afrika versuchen würden, nach Europa zu gelangen. Offen sei, ob der Gaza-Krieg eine Migration nach Europa auslösen werde.
Allein im Januar ist die irreguläre Einwanderung aus Westafrika in die EU im Vergleich zum Vorjahresmonat um mehr als das Zehnfache gestiegen. Laut bisher unveröffentlichen Frontex-Daten für Januar werde die Atlantik-Route am häufigsten für die Überfahrt nach Europa genutzt. Nach Angaben der Vereinten Nationen starben im vergangenen Jahr mehr als 3.700 Migranten auf dem Weg nach Europa. rtr
Zum Thema Europa ist der französische Europaabgeordnete und Agrarexperte Christophe Clergeau (S&D) über Jacques Delors und Michel Rocard gekommen. Die entschieden pro-europäische Haltung der beiden Sozialisten unterschied sich deutlich von der öffentlichen Meinung in Frankreich, die schnell in Richtung Euroskeptizismus drehen kann.
2019 wurde Clergeau zum nationalen Europasekretär der Sozialistischen Partei ernannt. Zugleich ist er Regionalrat von Pays de la Loire, seiner Heimatregion im mittleren Westen Frankreichs. Sein Mandat als Regionalrat ermögliche es ihm, mit einem Fuß auf dem Boden zu bleiben, erklärt Clergeau. Der europäische Kreis schloss sich, als er am 2. Juni letzten Jahres ins Europäische Parlament nachrückte, als Éric Andrieu sein Mandat niederlegte.
Clergeau hat gute Chancen, wiedergewählt zu werden. Er steht auf einem guten Platz auf der gemeinsamen Liste der Sozialistischen Partei und der vom französischen Europaabgeordneten Raphaël Glucksmann gegründeten Bewegung “Place publique” für die Europawahl. Mitglieder der Parti Socialiste werden an diesem Donnerstag über die Liste abstimmen, die am 10. Februar offiziell bestätigt werden soll. Ab dann wird Raphaël Glucksmann die gemeinsame Liste in den Europawahlkampf führen können. Dies wird die französischen Grünen und Renaissance, den französischen Zweig von Renew, alles andere als erfreuen, da alle drei politischen Gruppierungen versuchen werden, Stimmen aus demselben Lager der pro-europäischen und liberalen Wähler zu angeln.
Im Europaparlament sitzt Clergeau in den Ausschüssen für Landwirtschaft, Umwelt (Biodiversität, Klimawandel und Gesundheit) und Entwicklungshilfe für die Nord-Süd-Beziehungen. Mit Landwirtschaft kennt er sich aus: 1997 war er Kabinettschef von Louis Le Pensec, dem damaligen sozialistischen Landwirtschaftsminister. 1999 verließ er Paris und ging als Lehr- und Forschungsbeauftragter zu AgroCampus Ouest nach Rennes. Die Hochschule bildet schwerpunktmäßig für die Landwirtschaft aus.
Während sich der europäische Agrarsektor in einer tiefen Krise befindet, ist der gelernte Ökonom und Geschichtswissenschaftler Clergeau der Ansicht, dass der politische Diskurs die Probleme des Agrarsektors “nicht mehr anspricht”. Er diagnostiziert einen “Agrarkonservatismus”, der in seinem Widerstand gegen die Agrarwende “immer radikaler” werde.
“Man wird die Landwirtschaft, die Umwelt und die Gesundheit gegeneinander ausspielen, obwohl diese drei Elemente untrennbar miteinander verbunden sind”, erklärt Clergeau. Für die S&D führt er die Verhandlungen um die neuen Gentechniken (NGTs) als Schattenberichterstatter. Durch die Einführung neuer Technologien und die Kontrolle von Normen können diese Gegensätze aufgehoben werden, erklärt er. Eine Position, die sein Lager gegen ihn aufbringen könnte. Er fordert, dass NGTs auch weiterhin genauso streng reguliert werden sollen wie herkömmliche Gentechnik. Diese Position steht im Gegensatz zu der Haltung der Koordinatorin der sozialistischen Fraktion im Landwirtschaftsausschuss, Clara Aguilera, die sich für die Entwicklung von NGT, auch in der biologischen Landwirtschaft, ausgesprochen hat.
Clergeau plädiert auch für die Regulierung der Agrarmärkte. “Die Preisschwankungen auf den Agrarmärkten ermöglichen es den Landwirten, vor allem denjenigen, die kleine und mittlere Betriebe führen, nicht, einen angemessenen Lohn zu erhalten”, sagt der Europaparlamentarier. Er sieht die Landwirte durch den Wirtschaftsliberalismus, der sich in der Agrarwelt durchsetzt, benachteiligt.
Und der Europaabgeordnete findet diese Marktlogik auch in der gemeinsamen Agrarpolitik der EU (GAP) wieder: “Die finanzielle Unterstützung, die von der GAP kommt, privilegiert die große Produktion und treibt die Vergrößerung der landwirtschaftlichen Betriebe voran. Und es ist eine Hilfe ohne Bedingungen.” Handelsabkommen sind für ihn ein weiteres Gesicht dieses Wirtschaftsliberalismus, “sie setzen die Landwirte untereinander in Konkurrenz, die nicht denselben Standards unterliegen”, sagt er. “Deshalb bevorzuge ich die Regulierung der Märkte, um die Einkommen der Landwirte zu sichern.” Claire Stam