Table.Briefing: Europe

Scholz-Macron + EU-Koordinierung der Ampel + Europe First

  • IRA: Scholz fordert Fakten von der EU-Kommission
  • Wo die Europapolitik der Ampel noch hakt
  • Chef der EU-Handelskammer in China: “Germany and Europe First”
  • Zweite Amtszeit? Von der Leyen “noch nicht entschieden”
  • SPD plädiert für mehr EU-Eigenmittel
  • Antidumping-Zölle auf Fahrräder bleiben
  • Zehntausende protestieren in Madrid gegen Regierung
  • Presseschau
  • Verena Fennemann: Netzwerken für die Forschung
Liebe Leserin, lieber Leser,

in der historischen Perspektive schrumpfen die jüngsten Verstimmungen zwischen Berlin und Paris deutlich zusammen. Und so umarmte Emmanuel Macron seinen Gast Olaf Scholz herzlich, als er ihn am 60. Jahrestag des Élysée-Vertrages in Paris begrüßte. Auch inhaltlich betonten beide Seiten beim Treffen der Kabinette die Schnittmengen – bei der Antwort auf den Inflation Reduction Act oder bei Reformen der EU.

In Paris tut man sich aber weiterhin schwer zu verstehen, wie die Ampel-Koalition ihre europapolitischen Positionen formuliert. Tatsächlich läuft die Abstimmung in der Bundesregierung längst nicht immer glatt – trotz guten Willens und etlicher Koordinierungsrunden, wie Sie in meiner Analyse nachlesen können.

Ein wichtiger Akteur dabei steht nach unseren Informationen vor der Ablösung: Carsten Pillath, Staatssekretär für Europa und Internationales im Bundesfinanzministerium. Christian Lindner hatte den Brüssel-erfahrenen, parteilich ungebundenen Beamten nach Amtsantritt zu sich geholt, nun muss der 66-Jährige laut informierten Kreisen wieder weichen. Lindner setzt damit den Personalumbau fort – der FDP-Politiker hatte zuletzt bereits mehrere Abteilungsleiter ausgetauscht und die Posten mit eigenen Leuten besetzt. Das BMF äußerte sich auf Anfrage nicht dazu.

Ich möchte Sie noch auf unser Table.Live-Briefing am heutigen Montag aufmerksam machen. Meine Kollegin Corinna Visser diskutiert mit MEP Damian Boeselager (Grüne/EFA), Alena Kühlein (DIHK) und Sicco Lehmann-Brauns (Siemens) über den Data Act und die Frage, ob das Gesetz auch sein Ziel erreichen wird. Die Industrie jedenfalls hat daran große Zweifel. Hier können Sie sich kostenlos anmelden. Beginn der Online-Veranstaltung ist um 11 Uhr.

Kommen Sie gut in die neue Woche!

Ihr
Till Hoppe
Bild von Till  Hoppe

Analyse

IRA: Scholz fordert Fakten von der EU-Kommission

Bundeskanzler Olaf Scholz fordert Fakten von der EU-Kommission, um über eine europäische Antwort auf den Inflation Reduction Act (IRA) Washingtons entscheiden zu können. Ein “sehr sorgfältiges Assessment” der Förderung bestimmter klimafreundlicher Technologien in den USA und in Europa sei “dringend erforderlich”, sagte Scholz am Sonntagabend beim deutsch-französischen Ministerrat in Paris. Auf dieser Basis könne man “gemeinsam bewerten und gucken, ob zusätzliche Maßnahmen notwendig sein werden”. Das Bild werde wahrscheinlich von Bereich zu Bereich unterschiedlich ausfallen.

Der Kanzler tritt damit etwas auf die Bremse angesichts der Forderungen aus Paris und Brüssel, den IRA mit neuen EU-Finanzierungsinstrumenten und einer weitreichenden Lockerung der Beihilfebestimmungen zu beantworten. Die EU-Kommission arbeitet unter Hochdruck an der geforderten Gegenüberstellung der Instrumente, mit denen unterschiedliche Clean-Tech-Sektoren auf beiden Seiten des Atlantiks gefördert werden. Die Bewertung dürfte Teil des Pakets sein, das Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen am 1. Februar vorstellen will.

Entscheidungen erst im März

In EU-Kreisen wird damit gerechnet, dass von der Leyen zunächst eine Mitteilung vorlegen wird. Die legislativen Teile ihres Pakets dürften noch etwas länger brauchen. Die Staats- und Regierungschefs wollen bei einem Sondergipfel am 9. und 10. Februar darüber beraten. Entscheidungen werden aber erst beim regulären EU-Gipfel im März erwartet. Ratspräsident Charles Michel skizzierte seine Vorstellungen derweil im Interview mit dem “Handelsblatt”.

Scholz sagte, Frankreich und Deutschland seien sich weitgehend einig, dass die Hilfen für Unternehmen in Europa viel zu bürokratisch seien, die Entscheidungsprozesse zu lange dauerten und für die Unternehmen nicht gut vorhersehbar seien. Er sei daher sehr froh über die Äußerungen aus der Kommission, die in die gleiche Richtung gingen. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron sagte, es gebe eine “starke Übereinstimmung” mit Deutschland hinsichtlich der Antwort auf den IRA.

Macron will vergleichbare Hilfen wie in den USA

Macron forderte, die Förderung für Clean-Tech-Unternehmen in Europa müsse “stark vereinfacht” werden und vergleichbar sein mit der Unterstützung in den USA. Dafür sollten neue Finanzierungsmechanismen entwickelt und die vorhandenen genutzt werden.

Scholz pocht in Einklang mit Wirtschaftsminister Robert Habeck und Finanzminister Christian Lindner bislang darauf, dass noch genügend Mittel vorhanden seien: Von den mehr als 700 Milliarden Euro des europäischen Aufbaufonds seien erst 20 Prozent ausgezahlt, sagte er bei seiner Rede in Davos. “Seine volle Kraft wird er also noch in den kommenden Jahren entfalten.”

Berlin verweigert sich nicht

In der deutsch-französischen Erklärung ist verklausuliert davon die Rede, “Verfahren für staatliche Hilfen und ausreichende Finanzierung zu gewährleisten und dabei die verfügbaren finanziellen Mittel und Finanzinstrumente sowie Maßnahmen der Wettbewerbsfähigkeit und Solidarität umfassend zu nutzen”. Dafür soll auch die Europäische Investitionsbank (EIB) dazu bewegt werden, eine höhere Risikofinanzierung für Unternehmertum und Innovationen bereitzustellen. Zudem fordern Berlin und Paris “ehrgeizigere Schritte hin zu einer Kapitalmarktunion sowie die Weiterführung der Gespräche zur Vollendung der Bankenunion”.

Wie es in Berlin heißt, könnte sich die Bundesregierung darauf einlassen, kurzfristig die nicht abgeflossenen Mittel aus dem Aufbaufonds im Rahmen von REPowerEU für die Förderung klimafreundlicher Industrien zu nutzen. Einen neuen Souveränitätsfonds, wie ihn von der Leyen und Macron auf mittlere Sicht fordern, sieht nicht nur FDP-Finanzminister Lindner skeptisch.

Werben für EU-Reformen

Recht einig zeigen sich Berlin und Paris mit Blick auf die Erweiterung der EU und institutionelle Reformen. Beide bekräftigen etwa ihr “uneingeschränktes und unmissverständliches Bekenntnis” zur Mitgliedschaftsperspektive der westlichen Balkanstaaten und rufen zur Beschleunigung des Beitrittsprozesses “auf der Grundlage glaubwürdiger Reformen” auf.

In der Abschlusserklärung des Ministerrats sprachen sich beide Regierungen dafür aus, auch in bestimmten Bereichen der Außen- und Sicherheitspolitik und in Steuerfragen künftig mit qualifizierter Mehrheit statt mit Einstimmigkeit zu entscheiden – “um Blockaden, wie sie entstanden sind, aufzulösen”.

Vertragsreform im Konsens

Beide “empfehlen zu diesem Zweck die Anwendung der entsprechenden Passerelleklauseln oder der konstruktiven Enthaltung als mögliche Lösungswege im Rahmen der bestehenden Verträge”, wie es in der Erklärung heißt. Gelegentlich könne auch verstärkte Zusammenarbeit einer bestimmten Zahl von Mitgliedstaaten ein nützliches Instrument sein.

Beide Länder stünden zudem einer Revision der EU-Verträge “offen gegenüber, falls sich diese als nötig erweisen sollte, um unsere selbst gesteckten Ziele zu erreichen”. Voraussetzung sei aber, dass ein Konsens zwischen den 27 Mitgliedstaaten gefunden werde. Von einer Einigkeit in der Frage sind die Mitgliedstaaten bislang aber weit entfernt.

  • Energie
  • Inflation Reduction Act
  • Klima & Umwelt
  • REPowerEU

Wo die Europapolitik der Ampel noch hakt

Dreiecksbeziehungen sind kompliziert, insbesondere wenn die Partner recht unterschiedliche Charaktere haben. Entsprechend hat es des Öfteren gekracht in der Ampel-Koalition, auch bei europapolitischen Themen. Zuletzt konnten sich SPD, Grüne und FDP nicht auf eine gemeinsame Position zur Lohntransparenz-Richtlinie einigen, nach der Unternehmen künftig Daten zum Gehaltsunterschied zwischen Männern und Frauen veröffentlichen sollen. Deutschland enthielt sich kurz vor Weihnachten im Rat.

Dabei hatten sich die Ampel-Partner fest vorgenommen, das sprichwörtliche German Vote in Brüssel solle Vergangenheit sein. Der Koalitionsvertrag versprach eine “stringentere Koordinierung” und ein “geschlossenes Auftreten gegenüber den europäischen Partnern”. So wollten die drei Parteien ihre dezidiert proeuropäische Ausrichtung untermauern.

Berlin wird seltener überstimmt

Ausweislich der Zahlen ist das den Ampel-Koordinatoren auch besser gelungen als den Vorgängerregierungen:  In den 2010er-Jahren sei Deutschland mit am häufigsten im Rat überstimmt worden, sagt Nicolai von Ondarza von der Stiftung Wissenschaft und Politik, sogar häufiger als das oft außenstehende Polen. Während das allein 2013 14-mal vorgekommen sei, habe es zwischen 2020 und Oktober 2022 zumindest bei öffentlichen Abstimmungen nur drei Fälle gegeben. “Das deutet darauf hin, dass es der Bundesregierung besser gelungen ist, ihre Positionen in Brüssel zu vertreten.”

Die Zahlen sind aber nur ein Teil des Bildes: “Manche Enthaltung wurde nur durch den Anschluss an ein unvermeidliches Ergebnis auf den letzten Metern vermieden”, sagte Bernd Hüttemann, Generalsekretär der Europäischen Bewegung Deutschland, bei einer Veranstaltung von Europe.Table zur europapolitischen Koordinierung am Donnerstag. Die deutsche Europapolitik sei weiter fragmentiert und reaktiv, es fehle eine klare Strategie.

“Keine Ahnung, wer entscheidet”

Andere Mitgliedstaaten tun sich schwer, Abläufe und Machtgefüge in der Ampel-Koalition zu durchschauen. In Paris fragt man sich, wer in Berlin über EU-Fragen entscheidet. Auch Diplomaten aus anderen Hauptstädten klagen darüber, sie bekämen von unterschiedlichen Ministerien in Berlin abweichende Auskünfte auf die gleiche Frage. 

Teils sind die Dissonanzen den unterschiedlichen Ausrichtungen von SPD, Grünen und FDP geschuldet: In der Koalition gebe es dezidiert unterschiedliche Meinungen etwa zur weiteren Finanzierung der EU, sagte Anton Hofreiter, der Vorsitzende des Europaausschusses im Bundestag, auf der Veranstaltung. “Solche Differenzen lassen sich nicht auf Verwaltungsebene weg koordinieren, da müssen wir uns politisch einigen.”

Kanzleramt weniger dominant als früher

Doch auch die Koordinierungsmaschinerie der Regierung läuft längst nicht immer rund. Das Kanzleramt ist weniger dominant als zur Zeit von Angela Merkel, der Abstimmungsbedarf dadurch höher. Merkel und ihr Europa-Berater Uwe Corsepius setzten stark auf den Europäischen Rat als zentrales Organ zur Bewältigung der vielen Krisen, von der Schulden- bis zur Flüchtlingskrise. Die CDU-Politikerin konnte dabei auf die Expertise unionsgeführter Häuser wie Finanz- oder Innenministerium zurückgreifen.

Ein vergleichbarer SPD-Unterbau fehlt Scholz häufig, etwa in der Energiekrise. Der Kanzler und seine Berater wählen daher bisweilen die Flucht nach vorne: Die europapolitische Grundsatzrede von Scholz in Prag war dem Vernehmen nach nicht mit Außenministerin Annalena Baerbock abgestimmt, obwohl sich dies eigentlich geziemt hätte.

Wie die Koordinierung funktioniert

Die Abstimmung in der Ampel für die Europapolitik laufen auf mehreren Ebenen:

  • Der Normalmodus: Das federführende Ministerium stimmt sich zu einem Dossier auf Arbeitsebene mit anderen beteiligten Häusern ab. Jede Position, die Deutschland formal in den Brüsseler Rat einbringt, muss innerhalb der Bundesregierung geeint sein. Die Koordinierung läuft bilateral oder über das Auswärtige Amt (für die Themen des AStV 2) bzw. das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (AStV 1). Um die Sitzungen des Ausschusses der ständigen Vertreter vorzubereiten, tagt jeden Dienstag eine Runde, in der sich AA, BMWK, Bundesfinanzministerium und Kanzleramt mit der Ständigen Vertretung in Brüssel abstimmen.
  • Im Streitfall: Können sich die Häuser auf Arbeitsebene nicht einigen, werden zunächst Abteilungsleiter und dann Staatssekretäre eingeschaltet. Diese treffen sich in der großen Runde aller Ministerien alle sechs bis acht Wochen. Die Runde ist aber zu groß, um schwierige Kompromisse schmieden zu können. Für die politisch strittigen Themen gibt es daher eine informelle Runde von Staatssekretären und Europa-Abteilungsleiterinnen der vier Kernressorts: Für das Kanzleramt sitzen dort Jörg Kukies und Undine Ruge, für das AA Andreas Michaelis und Sibylle Sorg, für das BMWK Sven Giegold und Kirsten Scholl, für das BMF Carsten Pillath und Judith Hermes. Allerdings zeichnen sich zwei Veränderungen ab: Michaelis dürfte im Sommer als Botschafter nach Washington gehen, Pillath steht nach Informationen von Europe.Table vor der Ablösung.
  • Wenn es hochpolitisch wird: In der Koalition hochstrittige Themen werden auf der Chefebene besprochen von Olaf Scholz, Robert Habeck und Christian Lindner, etwa am Rande einer Kabinettssitzung. Davor gibt es noch eine Runde von Vertrauten der drei: Kanzleramtsminister Wolfgang Schmidt, BMWK-Staatssekretärin Anja Hajduk und BMF-Staatssekretär Steffen Saebisch.

Eigene Staatssekretärsrunde zu Fit for 55

Um die Positionierung zu den 17 Legislativvorschlägen des Klimaschutzpakets Fit for 55 zu koordinieren, haben die Koalitionspartner im vergangenen Jahr eine eigene Staatssekretärsrunde der beteiligten Häuser eingesetzt unter der Leitung Giegolds. Dort wurden die politisch relevanten Themen Ressort für Ressort und mit Blick auf die horizontalen Zusammenhänge besprochen. “So konnten wir uns früh positionieren und die Ratspräsidentschaft etwa vor dem entscheidenden Energie- und Umweltrat Ende Juni 2022 bei der Kompromissfindung unterstützen”, sagt Kirsten Scholl, Europaabteilungsleiterin im BMWK.

Bei einzelnen Fit-for-55-Dossiers aber misslang die Koordinierung. So stritten die grüne Umweltministerin Steffi Lemke mit den FDP-Kollegen Lindner und Volker Wissing vor der entscheidenden Ratssitzung öffentlich darüber, ob auch nach 2035 noch neue Autos mit Verbrennungsmotoren fahren dürfen, wenn nahezu CO2-frei hergestellte E-Fuels zum Einsatz kommen. Dabei hatte Lemkes Haus die ablehnende Haltung der Bundesregierung auf Arbeitsebene bereits durchgesetzt. Die FDP-Häuser hätten die Leitungsebene zu spät eingebunden, heißt es in Koalitionskreisen.

Unklar, wer Kompromisse schmiedet

Beim CO2-Grenzausgleich CBAM oder dem EU-Lieferkettengesetz brauchte die Bundesregierung zudem viele Monate, um sich auf eine Position zu verständigen. Wenn ein europapolitisch bedingter Koalitionsstreit nicht die Chefebene von Scholz, Habeck und Lindner erreicht, sei bisweilen unklar, wer die nötigen Kompromisspakete schnüren könne, heißt es in der Koalition.

Im Eifer des innenpolitischen Gefechts übersahen die Ampel-Partner zudem bisweilen die europäische Dimension ihres Handels. So verkündeten sie im Oktober die Einigung auf einen 200 Milliarden Euro großen “Abwehrschirm” gegen die hohen Energiepreise, ohne die EU-Partner vorzuwarnen – die Reaktionen auf den “Doppelwumms” fielen entsprechend harsch aus. In der Regierung räumt man hier in puncto Kommunikation Versäumnisse ein. Man dürfe aber auch nicht übersehen, dass die teils pauschale Kritik aus anderen Hauptstädten am deutschen Hilfspaket interessengeleitet sei: Die deutsche Öffentlichkeit werde genutzt, um die Bundesregierung unter Druck zu setzen.

  • Ampel-Koalition
  • CBAM
  • Europapolitik
  • Klima & Umwelt

Jörg Wuttke: “Germany and Europe First”

Jörg Wuttke ist Chef der EU-Handelskammer in China.

Herr Wuttke, die Bundesregierung arbeitet an einer neuen China-Strategie. Die bekannt gewordenen Entwürfe legen den Schwerpunkt auf Rivalität und den Abbau von Abhängigkeiten. Der richtige Ansatz?  

Wenn das Papier hinten aus dem Wolf des Abstimmens durchkommt, wird es vermutlich schon wieder ganz anders aussehen.  

Hoffen Sie, dass wenig davon übrigbleibt? 

Nein. Wir hoffen, dass alle Aspekte vertreten sind: China als Partner, Konkurrent und Rivale. Wie die Gewichtung sein soll, hängt davon ab, wo die größten Vorteile liegen. Es kommt jetzt darauf an, dass wir eine klare, robuste Politik des Europe und Germany First machen. 

Germany First? Das klingt nach Donald Trump. 

Germany und Europe First – das ist für mich dasselbe. Ja, wir müssen schauen, wo unsere Interessen liegen. Es geht auch nicht um Protektionismus, sondern um Fokussierung. Die Chinesen machen längst China First. Darauf müssen wir robust reagieren. 

Bedeutet das mehr Industriepolitik? 

Industriepolitik halte ich in bestimmten Feldern für wichtig, die abgesichert sein müssen. Dazu gehören Pharmavorprodukte wie Antibiotika-Wirkstoffe und Vitamin B, Industriemetalle wie Seltene Erden, Magnesium. Hier dürfen wir nicht erpressbar sein. China wird nicht zögern, solche Abhängigkeiten auch politisch einzusetzen. Deswegen brauchen wir Alternativen. 

“Nicht weniger China, cleverer China”

Der Abbau von Abhängigkeiten bedeutet letztlich weniger China?  

Das ist nicht weniger China, das ist cleverer China. Denn eins ist klar: So wie bisher lief, geht es nicht weiter. Wir sind gut im Verkaufen, aber wir stoßen ständig auf Marktzugangshemmnisse. 

Die USA spielen ihre Wirtschaftsmacht in ihrer Konfrontation mit China konsequent aus. Sollte die EU ebenfalls mit Handelshürden arbeiten? 

Zölle auf chinesische Importe laufen nur auf eine Besteuerung der eigenen Konsumenten hinaus. Ich glaube nicht, dass wir dadurch etwas erreichen werden. Auch nach Amerika gehen heute mehr Container aus China als je zuvor. Wir sehen hier in Wirklichkeit ein Scheitern der Sanktionspolitik. Wir müssen das Thema Gegenseitigkeit geschickter angehen. 

Und wie? 

In der Diskussion um den Einstieg bei einem Terminal des Hamburger Hafens etwa hätte das Augenmerk darauf liegen sollen, dass chinesische Reedereien in Europa zwischen den Häfen untereinander verschiffen können, also von Piräus nach Antwerpen, von Valencia nach Hamburg. Wir dürfen das als Europäer in China nicht. Wir müssen von Dalian erst nach Pusan in Südkorea und können dann erst weiter nach Shanghai. Hier hätte man sagen können: OK, Ihr beteiligt Euch am Hamburger Hafen, aber das machen wir nur, wenn Ihr unseren Schiffen in China die gleichen Möglichkeiten erlaubt. 

China schützt seine Branchen durch eine ausgeprägte Industriepolitik. Die staatlichen und ökonomischen Akteure arbeiten Hand in Hand. Ziehen Politik und Wirtschaft in Europa ausreichend an einem Strang? 

Bei aller Industriepolitik müssen wir aufpassen, nicht Chinas System zu übernehmen. Wir sollten bei unserer liberalen DNA bleiben und schauen, wie wir mit der Konkurrenz umgehen können. Ich halte nichts von einem “Made in Europe 2025” in Anlehnung an “Made in China 2025”, bei den Behörden den Firmen vorgeben, wie hoch ihr Marktanteil zum Zielzeitpunkt sein soll. Wir müssen die chinesischen Firmen zwingen, mit offenem Visier zu spielen. Wir müssen schauen, wie weit sie subventioniert sind und dann eben Schlüsse daraus ziehen, inwieweit sie hier mitspielen dürfen. 

Also befürworten Sie ein strengeres Investment-Screening?  

Ein Screening für Investitionen kann sinnvoll sein. Chinesische Privatunternehmen sollten grundsätzlich aber weiter in Europa investieren dürfen. Am wichtigsten ist der Marktzugang in China.  

“Diversifizierung findet längst statt”

Die Führung in Peking hat ihre Drohungen gegen Taiwan massiv verstärkt. Wie sollten wir darauf reagieren? 

Ich bin absolut für eine tiefere wirtschaftliche Einbindung Taiwans. Wir sollten aber auf die roten Linien achten und dazu beitragen, den Status quo zu erhalten. Jede Salamitaktik, die das auflöst, führt zu Problemen, die dann kaum zu kontrollieren sind. 

Aber sollten wir uns nicht darauf vorbereiten, dass es zu einem Angriff Chinas kommen könnte? 

Die rote Linie ist dazu da, genau ein solches Szenario zu verhindern. Ein Krieg um Taiwan würde den Krieg Russlands gegen die Ukraine klein aussehen lassen. Ein Krieg um Taiwan wäre nicht einfach eine Bedrohung des westlichen Investments in China, sondern würde zu einer globalen Kernschmelze führen. Die Kriegsvariante wirkt aber künstlich, es gibt keine Anzeichen, dass es dazu kommt. Die Gefahr, nicht in China zu sein, erscheint mir größer, als zu viel in China zu sein. Ich persönlich bin gegen vorauseilende Angst. In Deutschland und Europa herrscht jetzt schon eklatanter Arbeitskräftemangel, wer soll die ganzen Waren dann herstellen?  

Und Autoexperte Dudenhöffer sagt, wenn VW sich jetzt aus China zurückzieht, wäre es das Ende der deutschen Automobilindustrie. 

Für die Automobilbranche gilt: Wer in China nicht dabei ist, ist bei der Skalierung der technischen Fähigkeiten nicht dabei. Es geht ja nicht nur darum, Autos zu verkaufen. In China entwickelt sich derzeit der Markt für Elektroautos. Zugleich läuft der Wandel vom Benziner hin zum Computer auf Rädern. Wer dort nicht mitspielt, lernt nicht dazu. Die Amerikaner buttern genau deshalb genauso in China rein wie wir. Das gilt für viele andere Branchen auch, für Chemie, für Infrastruktur. 

Was Sie jetzt aufgezählt haben, lässt ja von dem wohlfeilen Gedanken, man könne einfach von China weg diversifizieren, nur wenig übrig.  

Im Gegenteil, in Wirklichkeit findet die Diversifizierung längst statt. Wir registrieren, dass keine europäische Firma China verlässt. Wir sehen zugleich, dass die Firmenchefs immer öfter in den Asean-Staaten oder in Indien unterwegs sind. Für viele lohnt es sich, denn China ist teurer geworden. Natürlich ist Kambodscha kein Ersatz für China, weil es oft nur eine einzige Straße gibt, wo dann sich die Lastwagen dann stauen. In Shenzhen führen die Autobahnen vierspurig auf den größten Hafen der Welt zu. Aber wir müssen unsere Hausaufgaben machen und nach neuen Standorten schauen, vielleicht auch wieder in Europa oder Amerika. 

  • China
  • Handelspolitik

News

Zweite Amtszeit? Von der Leyen “noch nicht entschieden”

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen legt sich nicht fest, ob sie eine weitere Amtszeit anstrebt. “Ich habe mich noch nicht entschieden”, sagte die CDU-Politikerin im Interview mit dem Deutschlandfunk. “Ich habe jetzt drei Jahre Mandat hinter mir, zwei Jahre noch vor mir und habe noch keine Entscheidung getroffen.” Die nächste Europawahl ist für Frühling 2024 angesetzt.

Von der Leyen äußerte sich auch zum Korruptionsskandal im EU-Parlament. “Das Ganze ist wirklich bestürzend und sehr, sehr schmerzhaft”, sagte sie. Grundsätzlich arbeite sie ausgesprochen gut mit dem Parlament zusammen. Es sei “unendlich schmerzhaft”, wenn es einige Abgeordnete gebe, die sich mit krimineller Energie korrumpieren ließen. Es sei wichtig, wieder das Vertrauen der Menschen zu gewinnen – in dem man gute Politik mache. dpa/tho

SPD will mehr Eigenmittel für EU

Die SPD-Spitze spricht sich für mehr eigene Einnahmen der EU aus, die sich bisher zum allergrößten Teil aus Zuwendungen der Mitgliedstaaten finanziert. “Eine handlungsfähige EU braucht eine ausreichende Finanzierung. Deshalb wollen wir genuine Eigenmittel für die EU einführen, die zukünftig die Grundlage für die Finanzierung des EU-Haushalts bilden sollen”, heißt es in einem Papier der SPD-Führung zur Außen- und Europapolitik, die Reuters vorlag. Darüber hinaus müsse der Stabilitäts- und Wachstumspakt weiterentwickelt werden, um Investitionen in den klimagerechten Umbau der Wirtschaft und die Digitalisierung zu ermöglichen.

Eigene Steuer- und Abgaben der EU sind in der Staatengemeinschaft und auch in Deutschland bisher umstritten. Es gibt zudem die Debatte, ob die EU erneut einen schuldenfinanzierten Fonds auflegen soll. Während die EU-Kommission und Staaten wie Frankreich auf einen Souveränitätsfonds drängen, bremst Kanzler Olaf Scholz (SPD) und verweist darauf, dass bisher nur ein geringer Teil der 750 Milliarden Euro aus dem Corona-Aufbaufonds genutzt worden sei.

Die SPD-Spitze vermeidet deshalb eine klare Wortwahl, um keine Kluft zum Kanzler aufzureißen. Zuvor hatte aber bereits die SPD-Fraktion beschlossen, dass man einen weiteren Fonds zumindest prüfen sollte. Nun heißt es: “Wir setzten uns dafür ein, dass aus dem Beispiel des Wiederaufbaufonds und der in der Krise gestärkten europäischen Solidarität ein dauerhafter Integrationsfortschritt wird.” Zudem soll der politische Druck für eine weitere Vertiefung der Kapitalmarktunion und der Vollendung der Bankenunion “mit angemessener Aufsicht” erhöht werden. rtr

  • EU-Haushalt
  • Klima & Umwelt

EU behält Antidumping-Zölle bei

Die Europäische Union behält Antidumping-Zölle auf Aluminium-Straßenräder aus China bei. Diese sind also weitere fünf Jahre gültig, wie die Brüsseler Behörde entschied. Die Zölle auf Aluminium-Straßenräder aus China liegen derzeit bei 22,3 Prozent. So sollten faire Wettbewerbsbedingungen auf dem EU-Markt zwischen Importen aus China und der heimischen Produktion hergestellt werden, erklärte die Kommission. Die Verlängerung erfolgte nach einer Überprüfung, die zu dem Schluss gekommen war, dass die Räder weiterhin auf dem EU-Markt gedumpt werden. ari

  • Handelspolitik

Zehntausende protestieren in Madrid gegen Regierung

In Madrid haben am Samstag rund 30.000 Menschen gegen die linke Minderheitsregierung von Ministerpräsident Pedro Sánchez protestiert. Die Kundgebungsteilnehmer bezeichneten Sánchez als Verräter und forderten seinen Rücktritt. Redner warfen der Regierung vor, Bündnisse mit Separatisten in Katalonien und anderen Regionen einzugehen. Zu der Kundgebung hatten rund Hundert Gruppen aufgerufen, darunter die konservative Volkspartei und die liberalen Ciudadanos.

Sánchez erklärte bei einer Kundgebung der Sozialisten im 200 Kilometer entfernten Valladolid, die Protestierer in Madrid stünden für ein einseitiges und deswegen diskriminierendes Spanien. Im Mai finden in Spanien Regionalwahlen statt und Ende des Jahres Parlamentswahlen. rtr

Presseschau

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Heads

Verena Fennemann – Netzwerken für die Forschung

Verena Fennemann leitet das EU-Büro der Fraunhofer-Gesellschaft in Brüssel.

Jeden Tag läuft Verena Fennemann auf ihrem Arbeitsweg dort vorbei, wo die, wie sie sagt, große Politik gemacht wird. Die Fachhochschulabsolventin aus Dortmund hat einen bemerkenswerten Karriereweg vorzuweisen: Heute leitet sie das EU-Büro der Fraunhofer-Gesellschaft in Brüssel.

“Europa ist meine Heimat”, betont Fennemann und lässt daran keinen Zweifel. Sie schätzt ihren Wohnort dafür, dass alles schnell und fußläufig erreichbar sei. “Das ist das Schöne an Brüssel: Es ist ein Dorf mit Weltstadt-Charakter”, so Fennemann. In ihrem Freundeskreis nenne man die Stadt deshalb auch das “European Village”, verrät sie.

Zwei Jahrzehnte Fraunhofer

Zur Fraunhofer-Gesellschaft ist Verena Fennemann im Alter von 25 Jahren gekommen. Heute ist sie 46 und blickt auf mehr als zwei Jahrzehnte Fraunhofer-Karriere zurück. Und das, obwohl es so eigentlich nicht geplant gewesen sei. Alles habe sich immer gut gefügt. Sie hatte viele Glücksmomente, sagt sie.

Als Fennemann Anfang der 2000er zum ersten Mal Brüssel bereist, ist sie alles andere als angetan. Durch die ganzen EU-Beitrittswellen habe sich die belgische Hauptstadt jedoch sehr zum Positiven gewandelt.

Angefangen hat Fennemann ihre Karriere bei Fraunhofer als Forscherin, war für drei Jahre als Expertin an die Kommission abgeordnet. Immer im Fokus der studierten Umweltingeneurin: EU-Projekte sowie der Aufbau und die Pflege eines europaweiten Netzwerks. Fennemann erkennt die Chancen der einzelnen Organisationen innerhalb europäischer Verbundprojekte. Durch ihre Expertise und Erfahrung war sie auch schon in Deutschland bei der EU-Antragstellung und weiteren europäischem Fragen die Ansprechpartnerin Nummer eins. Beschäftigt war die überzeugte Europäerin früher in der Umwelt- und Ressourcenlogistik.

Der Wille zur Veränderung

Das Team im Brüsseler Fraunhofer-EU-Büro, das Fennemann seit 2019 leitet, ist sehr weiblich. Und das, obwohl sie sich bemühe, “die Männerquote” hochzuhalten, scherzt sie. Die Arbeit von Fennemann, die sich unter anderem im Förderprogramm für Forschung und Innovation “Horizon Europe” engagiert, zeichnet sich durch Spaß an Technologie und Wissbegierde aus.

Nicht nur die Corona-Pandemie, sondern auch der Angriffskrieg in der Ukraine und weitere, drängende Herausforderungen hätten Wind in die Debatten gebracht, stellt sie fest. Finanzierungsfragen seien innerhalb der EU jedoch häufig eine große Diskussion, die sich über viele Bereiche erstrecke. “Ich will nicht sagen, dass wir damit nicht wettbewerbsfähig sein können, aber es passt auch überhaupt nicht zu den Ambitionen”, merkt Fennemann an.

Besonders in Bezug auf Förderprogramme sei die Abwägung nicht leicht, wo finanzielle Anpassungen vorgenommen werden könnten. Sie sagt: “Unser Credo ist momentan: Neue Initiativen brauchen neues Geld.” Und das scheint nicht ihr einziges Credo zu sein. Wie Europa den gegenwärtigen und künftigen Krisen begegnen müsse, das ist für Verena Fennemann völlig klar: “Es geht nur mit gemeinsamer Kraftanstrengung und dem Willen, etwas verändern zu wollen.” Julia Klann

Europe.Table Redaktion

EUROPE.TABLE REDAKTION

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    in der historischen Perspektive schrumpfen die jüngsten Verstimmungen zwischen Berlin und Paris deutlich zusammen. Und so umarmte Emmanuel Macron seinen Gast Olaf Scholz herzlich, als er ihn am 60. Jahrestag des Élysée-Vertrages in Paris begrüßte. Auch inhaltlich betonten beide Seiten beim Treffen der Kabinette die Schnittmengen – bei der Antwort auf den Inflation Reduction Act oder bei Reformen der EU.

    In Paris tut man sich aber weiterhin schwer zu verstehen, wie die Ampel-Koalition ihre europapolitischen Positionen formuliert. Tatsächlich läuft die Abstimmung in der Bundesregierung längst nicht immer glatt – trotz guten Willens und etlicher Koordinierungsrunden, wie Sie in meiner Analyse nachlesen können.

    Ein wichtiger Akteur dabei steht nach unseren Informationen vor der Ablösung: Carsten Pillath, Staatssekretär für Europa und Internationales im Bundesfinanzministerium. Christian Lindner hatte den Brüssel-erfahrenen, parteilich ungebundenen Beamten nach Amtsantritt zu sich geholt, nun muss der 66-Jährige laut informierten Kreisen wieder weichen. Lindner setzt damit den Personalumbau fort – der FDP-Politiker hatte zuletzt bereits mehrere Abteilungsleiter ausgetauscht und die Posten mit eigenen Leuten besetzt. Das BMF äußerte sich auf Anfrage nicht dazu.

    Ich möchte Sie noch auf unser Table.Live-Briefing am heutigen Montag aufmerksam machen. Meine Kollegin Corinna Visser diskutiert mit MEP Damian Boeselager (Grüne/EFA), Alena Kühlein (DIHK) und Sicco Lehmann-Brauns (Siemens) über den Data Act und die Frage, ob das Gesetz auch sein Ziel erreichen wird. Die Industrie jedenfalls hat daran große Zweifel. Hier können Sie sich kostenlos anmelden. Beginn der Online-Veranstaltung ist um 11 Uhr.

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    IRA: Scholz fordert Fakten von der EU-Kommission

    Bundeskanzler Olaf Scholz fordert Fakten von der EU-Kommission, um über eine europäische Antwort auf den Inflation Reduction Act (IRA) Washingtons entscheiden zu können. Ein “sehr sorgfältiges Assessment” der Förderung bestimmter klimafreundlicher Technologien in den USA und in Europa sei “dringend erforderlich”, sagte Scholz am Sonntagabend beim deutsch-französischen Ministerrat in Paris. Auf dieser Basis könne man “gemeinsam bewerten und gucken, ob zusätzliche Maßnahmen notwendig sein werden”. Das Bild werde wahrscheinlich von Bereich zu Bereich unterschiedlich ausfallen.

    Der Kanzler tritt damit etwas auf die Bremse angesichts der Forderungen aus Paris und Brüssel, den IRA mit neuen EU-Finanzierungsinstrumenten und einer weitreichenden Lockerung der Beihilfebestimmungen zu beantworten. Die EU-Kommission arbeitet unter Hochdruck an der geforderten Gegenüberstellung der Instrumente, mit denen unterschiedliche Clean-Tech-Sektoren auf beiden Seiten des Atlantiks gefördert werden. Die Bewertung dürfte Teil des Pakets sein, das Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen am 1. Februar vorstellen will.

    Entscheidungen erst im März

    In EU-Kreisen wird damit gerechnet, dass von der Leyen zunächst eine Mitteilung vorlegen wird. Die legislativen Teile ihres Pakets dürften noch etwas länger brauchen. Die Staats- und Regierungschefs wollen bei einem Sondergipfel am 9. und 10. Februar darüber beraten. Entscheidungen werden aber erst beim regulären EU-Gipfel im März erwartet. Ratspräsident Charles Michel skizzierte seine Vorstellungen derweil im Interview mit dem “Handelsblatt”.

    Scholz sagte, Frankreich und Deutschland seien sich weitgehend einig, dass die Hilfen für Unternehmen in Europa viel zu bürokratisch seien, die Entscheidungsprozesse zu lange dauerten und für die Unternehmen nicht gut vorhersehbar seien. Er sei daher sehr froh über die Äußerungen aus der Kommission, die in die gleiche Richtung gingen. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron sagte, es gebe eine “starke Übereinstimmung” mit Deutschland hinsichtlich der Antwort auf den IRA.

    Macron will vergleichbare Hilfen wie in den USA

    Macron forderte, die Förderung für Clean-Tech-Unternehmen in Europa müsse “stark vereinfacht” werden und vergleichbar sein mit der Unterstützung in den USA. Dafür sollten neue Finanzierungsmechanismen entwickelt und die vorhandenen genutzt werden.

    Scholz pocht in Einklang mit Wirtschaftsminister Robert Habeck und Finanzminister Christian Lindner bislang darauf, dass noch genügend Mittel vorhanden seien: Von den mehr als 700 Milliarden Euro des europäischen Aufbaufonds seien erst 20 Prozent ausgezahlt, sagte er bei seiner Rede in Davos. “Seine volle Kraft wird er also noch in den kommenden Jahren entfalten.”

    Berlin verweigert sich nicht

    In der deutsch-französischen Erklärung ist verklausuliert davon die Rede, “Verfahren für staatliche Hilfen und ausreichende Finanzierung zu gewährleisten und dabei die verfügbaren finanziellen Mittel und Finanzinstrumente sowie Maßnahmen der Wettbewerbsfähigkeit und Solidarität umfassend zu nutzen”. Dafür soll auch die Europäische Investitionsbank (EIB) dazu bewegt werden, eine höhere Risikofinanzierung für Unternehmertum und Innovationen bereitzustellen. Zudem fordern Berlin und Paris “ehrgeizigere Schritte hin zu einer Kapitalmarktunion sowie die Weiterführung der Gespräche zur Vollendung der Bankenunion”.

    Wie es in Berlin heißt, könnte sich die Bundesregierung darauf einlassen, kurzfristig die nicht abgeflossenen Mittel aus dem Aufbaufonds im Rahmen von REPowerEU für die Förderung klimafreundlicher Industrien zu nutzen. Einen neuen Souveränitätsfonds, wie ihn von der Leyen und Macron auf mittlere Sicht fordern, sieht nicht nur FDP-Finanzminister Lindner skeptisch.

    Werben für EU-Reformen

    Recht einig zeigen sich Berlin und Paris mit Blick auf die Erweiterung der EU und institutionelle Reformen. Beide bekräftigen etwa ihr “uneingeschränktes und unmissverständliches Bekenntnis” zur Mitgliedschaftsperspektive der westlichen Balkanstaaten und rufen zur Beschleunigung des Beitrittsprozesses “auf der Grundlage glaubwürdiger Reformen” auf.

    In der Abschlusserklärung des Ministerrats sprachen sich beide Regierungen dafür aus, auch in bestimmten Bereichen der Außen- und Sicherheitspolitik und in Steuerfragen künftig mit qualifizierter Mehrheit statt mit Einstimmigkeit zu entscheiden – “um Blockaden, wie sie entstanden sind, aufzulösen”.

    Vertragsreform im Konsens

    Beide “empfehlen zu diesem Zweck die Anwendung der entsprechenden Passerelleklauseln oder der konstruktiven Enthaltung als mögliche Lösungswege im Rahmen der bestehenden Verträge”, wie es in der Erklärung heißt. Gelegentlich könne auch verstärkte Zusammenarbeit einer bestimmten Zahl von Mitgliedstaaten ein nützliches Instrument sein.

    Beide Länder stünden zudem einer Revision der EU-Verträge “offen gegenüber, falls sich diese als nötig erweisen sollte, um unsere selbst gesteckten Ziele zu erreichen”. Voraussetzung sei aber, dass ein Konsens zwischen den 27 Mitgliedstaaten gefunden werde. Von einer Einigkeit in der Frage sind die Mitgliedstaaten bislang aber weit entfernt.

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    Wo die Europapolitik der Ampel noch hakt

    Dreiecksbeziehungen sind kompliziert, insbesondere wenn die Partner recht unterschiedliche Charaktere haben. Entsprechend hat es des Öfteren gekracht in der Ampel-Koalition, auch bei europapolitischen Themen. Zuletzt konnten sich SPD, Grüne und FDP nicht auf eine gemeinsame Position zur Lohntransparenz-Richtlinie einigen, nach der Unternehmen künftig Daten zum Gehaltsunterschied zwischen Männern und Frauen veröffentlichen sollen. Deutschland enthielt sich kurz vor Weihnachten im Rat.

    Dabei hatten sich die Ampel-Partner fest vorgenommen, das sprichwörtliche German Vote in Brüssel solle Vergangenheit sein. Der Koalitionsvertrag versprach eine “stringentere Koordinierung” und ein “geschlossenes Auftreten gegenüber den europäischen Partnern”. So wollten die drei Parteien ihre dezidiert proeuropäische Ausrichtung untermauern.

    Berlin wird seltener überstimmt

    Ausweislich der Zahlen ist das den Ampel-Koordinatoren auch besser gelungen als den Vorgängerregierungen:  In den 2010er-Jahren sei Deutschland mit am häufigsten im Rat überstimmt worden, sagt Nicolai von Ondarza von der Stiftung Wissenschaft und Politik, sogar häufiger als das oft außenstehende Polen. Während das allein 2013 14-mal vorgekommen sei, habe es zwischen 2020 und Oktober 2022 zumindest bei öffentlichen Abstimmungen nur drei Fälle gegeben. “Das deutet darauf hin, dass es der Bundesregierung besser gelungen ist, ihre Positionen in Brüssel zu vertreten.”

    Die Zahlen sind aber nur ein Teil des Bildes: “Manche Enthaltung wurde nur durch den Anschluss an ein unvermeidliches Ergebnis auf den letzten Metern vermieden”, sagte Bernd Hüttemann, Generalsekretär der Europäischen Bewegung Deutschland, bei einer Veranstaltung von Europe.Table zur europapolitischen Koordinierung am Donnerstag. Die deutsche Europapolitik sei weiter fragmentiert und reaktiv, es fehle eine klare Strategie.

    “Keine Ahnung, wer entscheidet”

    Andere Mitgliedstaaten tun sich schwer, Abläufe und Machtgefüge in der Ampel-Koalition zu durchschauen. In Paris fragt man sich, wer in Berlin über EU-Fragen entscheidet. Auch Diplomaten aus anderen Hauptstädten klagen darüber, sie bekämen von unterschiedlichen Ministerien in Berlin abweichende Auskünfte auf die gleiche Frage. 

    Teils sind die Dissonanzen den unterschiedlichen Ausrichtungen von SPD, Grünen und FDP geschuldet: In der Koalition gebe es dezidiert unterschiedliche Meinungen etwa zur weiteren Finanzierung der EU, sagte Anton Hofreiter, der Vorsitzende des Europaausschusses im Bundestag, auf der Veranstaltung. “Solche Differenzen lassen sich nicht auf Verwaltungsebene weg koordinieren, da müssen wir uns politisch einigen.”

    Kanzleramt weniger dominant als früher

    Doch auch die Koordinierungsmaschinerie der Regierung läuft längst nicht immer rund. Das Kanzleramt ist weniger dominant als zur Zeit von Angela Merkel, der Abstimmungsbedarf dadurch höher. Merkel und ihr Europa-Berater Uwe Corsepius setzten stark auf den Europäischen Rat als zentrales Organ zur Bewältigung der vielen Krisen, von der Schulden- bis zur Flüchtlingskrise. Die CDU-Politikerin konnte dabei auf die Expertise unionsgeführter Häuser wie Finanz- oder Innenministerium zurückgreifen.

    Ein vergleichbarer SPD-Unterbau fehlt Scholz häufig, etwa in der Energiekrise. Der Kanzler und seine Berater wählen daher bisweilen die Flucht nach vorne: Die europapolitische Grundsatzrede von Scholz in Prag war dem Vernehmen nach nicht mit Außenministerin Annalena Baerbock abgestimmt, obwohl sich dies eigentlich geziemt hätte.

    Wie die Koordinierung funktioniert

    Die Abstimmung in der Ampel für die Europapolitik laufen auf mehreren Ebenen:

    • Der Normalmodus: Das federführende Ministerium stimmt sich zu einem Dossier auf Arbeitsebene mit anderen beteiligten Häusern ab. Jede Position, die Deutschland formal in den Brüsseler Rat einbringt, muss innerhalb der Bundesregierung geeint sein. Die Koordinierung läuft bilateral oder über das Auswärtige Amt (für die Themen des AStV 2) bzw. das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (AStV 1). Um die Sitzungen des Ausschusses der ständigen Vertreter vorzubereiten, tagt jeden Dienstag eine Runde, in der sich AA, BMWK, Bundesfinanzministerium und Kanzleramt mit der Ständigen Vertretung in Brüssel abstimmen.
    • Im Streitfall: Können sich die Häuser auf Arbeitsebene nicht einigen, werden zunächst Abteilungsleiter und dann Staatssekretäre eingeschaltet. Diese treffen sich in der großen Runde aller Ministerien alle sechs bis acht Wochen. Die Runde ist aber zu groß, um schwierige Kompromisse schmieden zu können. Für die politisch strittigen Themen gibt es daher eine informelle Runde von Staatssekretären und Europa-Abteilungsleiterinnen der vier Kernressorts: Für das Kanzleramt sitzen dort Jörg Kukies und Undine Ruge, für das AA Andreas Michaelis und Sibylle Sorg, für das BMWK Sven Giegold und Kirsten Scholl, für das BMF Carsten Pillath und Judith Hermes. Allerdings zeichnen sich zwei Veränderungen ab: Michaelis dürfte im Sommer als Botschafter nach Washington gehen, Pillath steht nach Informationen von Europe.Table vor der Ablösung.
    • Wenn es hochpolitisch wird: In der Koalition hochstrittige Themen werden auf der Chefebene besprochen von Olaf Scholz, Robert Habeck und Christian Lindner, etwa am Rande einer Kabinettssitzung. Davor gibt es noch eine Runde von Vertrauten der drei: Kanzleramtsminister Wolfgang Schmidt, BMWK-Staatssekretärin Anja Hajduk und BMF-Staatssekretär Steffen Saebisch.

    Eigene Staatssekretärsrunde zu Fit for 55

    Um die Positionierung zu den 17 Legislativvorschlägen des Klimaschutzpakets Fit for 55 zu koordinieren, haben die Koalitionspartner im vergangenen Jahr eine eigene Staatssekretärsrunde der beteiligten Häuser eingesetzt unter der Leitung Giegolds. Dort wurden die politisch relevanten Themen Ressort für Ressort und mit Blick auf die horizontalen Zusammenhänge besprochen. “So konnten wir uns früh positionieren und die Ratspräsidentschaft etwa vor dem entscheidenden Energie- und Umweltrat Ende Juni 2022 bei der Kompromissfindung unterstützen”, sagt Kirsten Scholl, Europaabteilungsleiterin im BMWK.

    Bei einzelnen Fit-for-55-Dossiers aber misslang die Koordinierung. So stritten die grüne Umweltministerin Steffi Lemke mit den FDP-Kollegen Lindner und Volker Wissing vor der entscheidenden Ratssitzung öffentlich darüber, ob auch nach 2035 noch neue Autos mit Verbrennungsmotoren fahren dürfen, wenn nahezu CO2-frei hergestellte E-Fuels zum Einsatz kommen. Dabei hatte Lemkes Haus die ablehnende Haltung der Bundesregierung auf Arbeitsebene bereits durchgesetzt. Die FDP-Häuser hätten die Leitungsebene zu spät eingebunden, heißt es in Koalitionskreisen.

    Unklar, wer Kompromisse schmiedet

    Beim CO2-Grenzausgleich CBAM oder dem EU-Lieferkettengesetz brauchte die Bundesregierung zudem viele Monate, um sich auf eine Position zu verständigen. Wenn ein europapolitisch bedingter Koalitionsstreit nicht die Chefebene von Scholz, Habeck und Lindner erreicht, sei bisweilen unklar, wer die nötigen Kompromisspakete schnüren könne, heißt es in der Koalition.

    Im Eifer des innenpolitischen Gefechts übersahen die Ampel-Partner zudem bisweilen die europäische Dimension ihres Handels. So verkündeten sie im Oktober die Einigung auf einen 200 Milliarden Euro großen “Abwehrschirm” gegen die hohen Energiepreise, ohne die EU-Partner vorzuwarnen – die Reaktionen auf den “Doppelwumms” fielen entsprechend harsch aus. In der Regierung räumt man hier in puncto Kommunikation Versäumnisse ein. Man dürfe aber auch nicht übersehen, dass die teils pauschale Kritik aus anderen Hauptstädten am deutschen Hilfspaket interessengeleitet sei: Die deutsche Öffentlichkeit werde genutzt, um die Bundesregierung unter Druck zu setzen.

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    Jörg Wuttke: “Germany and Europe First”

    Jörg Wuttke ist Chef der EU-Handelskammer in China.

    Herr Wuttke, die Bundesregierung arbeitet an einer neuen China-Strategie. Die bekannt gewordenen Entwürfe legen den Schwerpunkt auf Rivalität und den Abbau von Abhängigkeiten. Der richtige Ansatz?  

    Wenn das Papier hinten aus dem Wolf des Abstimmens durchkommt, wird es vermutlich schon wieder ganz anders aussehen.  

    Hoffen Sie, dass wenig davon übrigbleibt? 

    Nein. Wir hoffen, dass alle Aspekte vertreten sind: China als Partner, Konkurrent und Rivale. Wie die Gewichtung sein soll, hängt davon ab, wo die größten Vorteile liegen. Es kommt jetzt darauf an, dass wir eine klare, robuste Politik des Europe und Germany First machen. 

    Germany First? Das klingt nach Donald Trump. 

    Germany und Europe First – das ist für mich dasselbe. Ja, wir müssen schauen, wo unsere Interessen liegen. Es geht auch nicht um Protektionismus, sondern um Fokussierung. Die Chinesen machen längst China First. Darauf müssen wir robust reagieren. 

    Bedeutet das mehr Industriepolitik? 

    Industriepolitik halte ich in bestimmten Feldern für wichtig, die abgesichert sein müssen. Dazu gehören Pharmavorprodukte wie Antibiotika-Wirkstoffe und Vitamin B, Industriemetalle wie Seltene Erden, Magnesium. Hier dürfen wir nicht erpressbar sein. China wird nicht zögern, solche Abhängigkeiten auch politisch einzusetzen. Deswegen brauchen wir Alternativen. 

    “Nicht weniger China, cleverer China”

    Der Abbau von Abhängigkeiten bedeutet letztlich weniger China?  

    Das ist nicht weniger China, das ist cleverer China. Denn eins ist klar: So wie bisher lief, geht es nicht weiter. Wir sind gut im Verkaufen, aber wir stoßen ständig auf Marktzugangshemmnisse. 

    Die USA spielen ihre Wirtschaftsmacht in ihrer Konfrontation mit China konsequent aus. Sollte die EU ebenfalls mit Handelshürden arbeiten? 

    Zölle auf chinesische Importe laufen nur auf eine Besteuerung der eigenen Konsumenten hinaus. Ich glaube nicht, dass wir dadurch etwas erreichen werden. Auch nach Amerika gehen heute mehr Container aus China als je zuvor. Wir sehen hier in Wirklichkeit ein Scheitern der Sanktionspolitik. Wir müssen das Thema Gegenseitigkeit geschickter angehen. 

    Und wie? 

    In der Diskussion um den Einstieg bei einem Terminal des Hamburger Hafens etwa hätte das Augenmerk darauf liegen sollen, dass chinesische Reedereien in Europa zwischen den Häfen untereinander verschiffen können, also von Piräus nach Antwerpen, von Valencia nach Hamburg. Wir dürfen das als Europäer in China nicht. Wir müssen von Dalian erst nach Pusan in Südkorea und können dann erst weiter nach Shanghai. Hier hätte man sagen können: OK, Ihr beteiligt Euch am Hamburger Hafen, aber das machen wir nur, wenn Ihr unseren Schiffen in China die gleichen Möglichkeiten erlaubt. 

    China schützt seine Branchen durch eine ausgeprägte Industriepolitik. Die staatlichen und ökonomischen Akteure arbeiten Hand in Hand. Ziehen Politik und Wirtschaft in Europa ausreichend an einem Strang? 

    Bei aller Industriepolitik müssen wir aufpassen, nicht Chinas System zu übernehmen. Wir sollten bei unserer liberalen DNA bleiben und schauen, wie wir mit der Konkurrenz umgehen können. Ich halte nichts von einem “Made in Europe 2025” in Anlehnung an “Made in China 2025”, bei den Behörden den Firmen vorgeben, wie hoch ihr Marktanteil zum Zielzeitpunkt sein soll. Wir müssen die chinesischen Firmen zwingen, mit offenem Visier zu spielen. Wir müssen schauen, wie weit sie subventioniert sind und dann eben Schlüsse daraus ziehen, inwieweit sie hier mitspielen dürfen. 

    Also befürworten Sie ein strengeres Investment-Screening?  

    Ein Screening für Investitionen kann sinnvoll sein. Chinesische Privatunternehmen sollten grundsätzlich aber weiter in Europa investieren dürfen. Am wichtigsten ist der Marktzugang in China.  

    “Diversifizierung findet längst statt”

    Die Führung in Peking hat ihre Drohungen gegen Taiwan massiv verstärkt. Wie sollten wir darauf reagieren? 

    Ich bin absolut für eine tiefere wirtschaftliche Einbindung Taiwans. Wir sollten aber auf die roten Linien achten und dazu beitragen, den Status quo zu erhalten. Jede Salamitaktik, die das auflöst, führt zu Problemen, die dann kaum zu kontrollieren sind. 

    Aber sollten wir uns nicht darauf vorbereiten, dass es zu einem Angriff Chinas kommen könnte? 

    Die rote Linie ist dazu da, genau ein solches Szenario zu verhindern. Ein Krieg um Taiwan würde den Krieg Russlands gegen die Ukraine klein aussehen lassen. Ein Krieg um Taiwan wäre nicht einfach eine Bedrohung des westlichen Investments in China, sondern würde zu einer globalen Kernschmelze führen. Die Kriegsvariante wirkt aber künstlich, es gibt keine Anzeichen, dass es dazu kommt. Die Gefahr, nicht in China zu sein, erscheint mir größer, als zu viel in China zu sein. Ich persönlich bin gegen vorauseilende Angst. In Deutschland und Europa herrscht jetzt schon eklatanter Arbeitskräftemangel, wer soll die ganzen Waren dann herstellen?  

    Und Autoexperte Dudenhöffer sagt, wenn VW sich jetzt aus China zurückzieht, wäre es das Ende der deutschen Automobilindustrie. 

    Für die Automobilbranche gilt: Wer in China nicht dabei ist, ist bei der Skalierung der technischen Fähigkeiten nicht dabei. Es geht ja nicht nur darum, Autos zu verkaufen. In China entwickelt sich derzeit der Markt für Elektroautos. Zugleich läuft der Wandel vom Benziner hin zum Computer auf Rädern. Wer dort nicht mitspielt, lernt nicht dazu. Die Amerikaner buttern genau deshalb genauso in China rein wie wir. Das gilt für viele andere Branchen auch, für Chemie, für Infrastruktur. 

    Was Sie jetzt aufgezählt haben, lässt ja von dem wohlfeilen Gedanken, man könne einfach von China weg diversifizieren, nur wenig übrig.  

    Im Gegenteil, in Wirklichkeit findet die Diversifizierung längst statt. Wir registrieren, dass keine europäische Firma China verlässt. Wir sehen zugleich, dass die Firmenchefs immer öfter in den Asean-Staaten oder in Indien unterwegs sind. Für viele lohnt es sich, denn China ist teurer geworden. Natürlich ist Kambodscha kein Ersatz für China, weil es oft nur eine einzige Straße gibt, wo dann sich die Lastwagen dann stauen. In Shenzhen führen die Autobahnen vierspurig auf den größten Hafen der Welt zu. Aber wir müssen unsere Hausaufgaben machen und nach neuen Standorten schauen, vielleicht auch wieder in Europa oder Amerika. 

    • China
    • Handelspolitik

    News

    Zweite Amtszeit? Von der Leyen “noch nicht entschieden”

    EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen legt sich nicht fest, ob sie eine weitere Amtszeit anstrebt. “Ich habe mich noch nicht entschieden”, sagte die CDU-Politikerin im Interview mit dem Deutschlandfunk. “Ich habe jetzt drei Jahre Mandat hinter mir, zwei Jahre noch vor mir und habe noch keine Entscheidung getroffen.” Die nächste Europawahl ist für Frühling 2024 angesetzt.

    Von der Leyen äußerte sich auch zum Korruptionsskandal im EU-Parlament. “Das Ganze ist wirklich bestürzend und sehr, sehr schmerzhaft”, sagte sie. Grundsätzlich arbeite sie ausgesprochen gut mit dem Parlament zusammen. Es sei “unendlich schmerzhaft”, wenn es einige Abgeordnete gebe, die sich mit krimineller Energie korrumpieren ließen. Es sei wichtig, wieder das Vertrauen der Menschen zu gewinnen – in dem man gute Politik mache. dpa/tho

    SPD will mehr Eigenmittel für EU

    Die SPD-Spitze spricht sich für mehr eigene Einnahmen der EU aus, die sich bisher zum allergrößten Teil aus Zuwendungen der Mitgliedstaaten finanziert. “Eine handlungsfähige EU braucht eine ausreichende Finanzierung. Deshalb wollen wir genuine Eigenmittel für die EU einführen, die zukünftig die Grundlage für die Finanzierung des EU-Haushalts bilden sollen”, heißt es in einem Papier der SPD-Führung zur Außen- und Europapolitik, die Reuters vorlag. Darüber hinaus müsse der Stabilitäts- und Wachstumspakt weiterentwickelt werden, um Investitionen in den klimagerechten Umbau der Wirtschaft und die Digitalisierung zu ermöglichen.

    Eigene Steuer- und Abgaben der EU sind in der Staatengemeinschaft und auch in Deutschland bisher umstritten. Es gibt zudem die Debatte, ob die EU erneut einen schuldenfinanzierten Fonds auflegen soll. Während die EU-Kommission und Staaten wie Frankreich auf einen Souveränitätsfonds drängen, bremst Kanzler Olaf Scholz (SPD) und verweist darauf, dass bisher nur ein geringer Teil der 750 Milliarden Euro aus dem Corona-Aufbaufonds genutzt worden sei.

    Die SPD-Spitze vermeidet deshalb eine klare Wortwahl, um keine Kluft zum Kanzler aufzureißen. Zuvor hatte aber bereits die SPD-Fraktion beschlossen, dass man einen weiteren Fonds zumindest prüfen sollte. Nun heißt es: “Wir setzten uns dafür ein, dass aus dem Beispiel des Wiederaufbaufonds und der in der Krise gestärkten europäischen Solidarität ein dauerhafter Integrationsfortschritt wird.” Zudem soll der politische Druck für eine weitere Vertiefung der Kapitalmarktunion und der Vollendung der Bankenunion “mit angemessener Aufsicht” erhöht werden. rtr

    • EU-Haushalt
    • Klima & Umwelt

    EU behält Antidumping-Zölle bei

    Die Europäische Union behält Antidumping-Zölle auf Aluminium-Straßenräder aus China bei. Diese sind also weitere fünf Jahre gültig, wie die Brüsseler Behörde entschied. Die Zölle auf Aluminium-Straßenräder aus China liegen derzeit bei 22,3 Prozent. So sollten faire Wettbewerbsbedingungen auf dem EU-Markt zwischen Importen aus China und der heimischen Produktion hergestellt werden, erklärte die Kommission. Die Verlängerung erfolgte nach einer Überprüfung, die zu dem Schluss gekommen war, dass die Räder weiterhin auf dem EU-Markt gedumpt werden. ari

    • Handelspolitik

    Zehntausende protestieren in Madrid gegen Regierung

    In Madrid haben am Samstag rund 30.000 Menschen gegen die linke Minderheitsregierung von Ministerpräsident Pedro Sánchez protestiert. Die Kundgebungsteilnehmer bezeichneten Sánchez als Verräter und forderten seinen Rücktritt. Redner warfen der Regierung vor, Bündnisse mit Separatisten in Katalonien und anderen Regionen einzugehen. Zu der Kundgebung hatten rund Hundert Gruppen aufgerufen, darunter die konservative Volkspartei und die liberalen Ciudadanos.

    Sánchez erklärte bei einer Kundgebung der Sozialisten im 200 Kilometer entfernten Valladolid, die Protestierer in Madrid stünden für ein einseitiges und deswegen diskriminierendes Spanien. Im Mai finden in Spanien Regionalwahlen statt und Ende des Jahres Parlamentswahlen. rtr

    Presseschau

    Deutsch-Französischer Ministerrat: Macron und Scholz wollen Tempo bei der Industriepolitik in der EU machen HANDELSBLATT
    Wasserstoffleitung H2Med soll nach Deutschland verlängert werden SPIEGEL
    Deutsch-französische Vereinbarung: 60.000 Gratis-Bahntickets für junge Menschen RND
    EU-Ratspräsident schlägt Vier-Punkte-Plan gegen US-Subventionsprogramm vor HANDELSBLATT
    EU-Parlamentspräsidentin Roberta Metsola: “Ich hätte es anders machen können” HANDELSBLATT
    Von der Leyen: Korruptionsaffäre schmerzhaft ZDF
    Von der Leyen lässt Kandidatur bei nächster Europawahl offen DERSTANDARD
    EU-Sanktionen: Staatsanwaltschaft ermittelt wegen “Russischen Hauses” in Berlin RBB24
    Iran droht EU mit Blockade von Öltransporten BERLINER-ZEITUNG
    Neuer Anlauf: EU und USA vermitteln gemeinsam zwischen dem Kosovo und Serbien EURONEWS
    Anstieg um ein Drittel: Deutschland hat die meisten Asylbewerber in der EU WELT
    SPD-Wirtschaftsflügel fordert neues Hilfspaket für EU-Industrie OLDENBURGER-ONLINEZEITUNG
    LEAK: EU to slap penalties on companies making false green claims EURACTIV
    EU hilft Firmen in Sachsen und Tschechien bei Innovation N-TV
    Wein aus Italien: EU verärgert Winzer mit neuer Vorschrift MORGENPOST
    LEAK: EU Commission to propose mandatory measures to accelerate network rollout EURACTIV
    Open Data: EU-Behörden müssen hochwertige Verkehrs- und Wetterdaten freigeben HEISE
    Die EU wird hart gegen Lootboxen im Glücksspiel vorgehen GAMEREACTOR
    Arzneiforschung: EMA will noch nicht auf Tierversuche verzichten AERZTEZEITUNG

    Heads

    Verena Fennemann – Netzwerken für die Forschung

    Verena Fennemann leitet das EU-Büro der Fraunhofer-Gesellschaft in Brüssel.

    Jeden Tag läuft Verena Fennemann auf ihrem Arbeitsweg dort vorbei, wo die, wie sie sagt, große Politik gemacht wird. Die Fachhochschulabsolventin aus Dortmund hat einen bemerkenswerten Karriereweg vorzuweisen: Heute leitet sie das EU-Büro der Fraunhofer-Gesellschaft in Brüssel.

    “Europa ist meine Heimat”, betont Fennemann und lässt daran keinen Zweifel. Sie schätzt ihren Wohnort dafür, dass alles schnell und fußläufig erreichbar sei. “Das ist das Schöne an Brüssel: Es ist ein Dorf mit Weltstadt-Charakter”, so Fennemann. In ihrem Freundeskreis nenne man die Stadt deshalb auch das “European Village”, verrät sie.

    Zwei Jahrzehnte Fraunhofer

    Zur Fraunhofer-Gesellschaft ist Verena Fennemann im Alter von 25 Jahren gekommen. Heute ist sie 46 und blickt auf mehr als zwei Jahrzehnte Fraunhofer-Karriere zurück. Und das, obwohl es so eigentlich nicht geplant gewesen sei. Alles habe sich immer gut gefügt. Sie hatte viele Glücksmomente, sagt sie.

    Als Fennemann Anfang der 2000er zum ersten Mal Brüssel bereist, ist sie alles andere als angetan. Durch die ganzen EU-Beitrittswellen habe sich die belgische Hauptstadt jedoch sehr zum Positiven gewandelt.

    Angefangen hat Fennemann ihre Karriere bei Fraunhofer als Forscherin, war für drei Jahre als Expertin an die Kommission abgeordnet. Immer im Fokus der studierten Umweltingeneurin: EU-Projekte sowie der Aufbau und die Pflege eines europaweiten Netzwerks. Fennemann erkennt die Chancen der einzelnen Organisationen innerhalb europäischer Verbundprojekte. Durch ihre Expertise und Erfahrung war sie auch schon in Deutschland bei der EU-Antragstellung und weiteren europäischem Fragen die Ansprechpartnerin Nummer eins. Beschäftigt war die überzeugte Europäerin früher in der Umwelt- und Ressourcenlogistik.

    Der Wille zur Veränderung

    Das Team im Brüsseler Fraunhofer-EU-Büro, das Fennemann seit 2019 leitet, ist sehr weiblich. Und das, obwohl sie sich bemühe, “die Männerquote” hochzuhalten, scherzt sie. Die Arbeit von Fennemann, die sich unter anderem im Förderprogramm für Forschung und Innovation “Horizon Europe” engagiert, zeichnet sich durch Spaß an Technologie und Wissbegierde aus.

    Nicht nur die Corona-Pandemie, sondern auch der Angriffskrieg in der Ukraine und weitere, drängende Herausforderungen hätten Wind in die Debatten gebracht, stellt sie fest. Finanzierungsfragen seien innerhalb der EU jedoch häufig eine große Diskussion, die sich über viele Bereiche erstrecke. “Ich will nicht sagen, dass wir damit nicht wettbewerbsfähig sein können, aber es passt auch überhaupt nicht zu den Ambitionen”, merkt Fennemann an.

    Besonders in Bezug auf Förderprogramme sei die Abwägung nicht leicht, wo finanzielle Anpassungen vorgenommen werden könnten. Sie sagt: “Unser Credo ist momentan: Neue Initiativen brauchen neues Geld.” Und das scheint nicht ihr einziges Credo zu sein. Wie Europa den gegenwärtigen und künftigen Krisen begegnen müsse, das ist für Verena Fennemann völlig klar: “Es geht nur mit gemeinsamer Kraftanstrengung und dem Willen, etwas verändern zu wollen.” Julia Klann

    Europe.Table Redaktion

    EUROPE.TABLE REDAKTION

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