Table.Briefing: Europe

Renaturierung im ENVI gescheitert + Taxonomie + Indien

Liebe Leserin, lieber Leser,

den Klimawandel und dessen Auswirkungen bekämpfen mit gigantischen Spiegeln, die das Sonnenlicht zurück in die Atmosphäre lenken, oder Injektionen von Aerosolen in die Stratosphäre, die die Durchlässigkeit des Sonnenlichts verringern: Was momentan noch nach Science-Fiction klingt, könnte eines Tages Realität werden. Geforscht wird zu solchen Methoden längst. Allerdings gibt es auch Risiken beim Geo-Engineering der Atmosphäre.

Die EU-Kommission will Gefahren durch derartige Eingriffe in die Debatte über die Erderwärmung und dessen Bekämpfung einbringen. Sie wird heute einen Rechtsrahmen für die Bewertung der sicherheitspolitischen Auswirkungen der Erderwärmung ankündigen. Es geht darum, Konflikte und großflächige Migration aufgrund von Wasser- und Nahrungsmittelknappheit zu verhindern. Und dazu gehört eben auch die Bewertung potenzieller Gefahren durch künstliche Eingriffe in die Atmosphäre.

Eine umfassende Debatte und Bewertung fordert insbesondere auch die Wissenschaft. Zwar erkennen Forscherinnen und Forscher des UN-Umweltprogramms (UNEP) die Veränderung der Sonnenstrahlung als die “einzige Option, die den Planeten innerhalb weniger Jahre abkühlen könnte”, an. Doch sie weisen auch auf Gefahren der Technik hin. Darunter: Mögliche Zerstörung der Ozonschicht, lokale Überkompensation des Klimawandels und Risiken für Menschen und Ökosysteme. Zudem beziffern sie die Kosten auf “Dutzende von Milliarden US-Dollar pro Jahr pro ein Grad Abkühlung” – Kosten für mögliche Schäden sind nicht mit einberechnet.

Die Ankündigung eines Rechtrahmens, das Für und Wider von Klima-Engineering zu bewerten: Das ist der weltweite Auftakt, solche neuartigen Methoden zu regulieren – lange bevor sie Praxis-Stadium erreichen.

Ich wünsche Ihnen eine spannende Lektüre.

Ihr
Lukas Knigge
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Analyse

Renaturierung im ENVI gescheitert: Abstimmung im Plenum entscheidet

Die Stimmung war aufgeladen, der Raum voll besetzt: Der Umweltausschuss (ENVI) hat am gestrigen Dienstag in der Schlussabstimmung zum Gesetz für die Wiederherstellung der Natur (Nature Restoration Law) gegen den Bericht gestimmt. Bei der Abstimmung gab es einen Stimmengleichstand (44:44). Somit empfiehlt der Ausschuss eine Ablehnung des gesamten Gesetzesvorschlages im Plenum des Europäischen Parlaments.

Bereits Mitte Juni hatte es eine Abstimmung im Umweltausschuss gegeben, die turbulente Sitzung musste aber abgebrochen werden. Der zuvor von der EVP eingebrachte Antrag zur Ablehnung des gesamten Vorschlags hatte keine Mehrheit bekommen.

Jetzt wird es für Befürworter und Gegner des Gesetzes darum gehen, im Europäischen Parlament eine Mehrheit für ihr Ziel zu organisieren. Und dies in einer politischen angespannten Lage, in der sich beide Seiten “Fake News” und “Wahlmanipulation” vorwerfen.

Schon das Datum über die Abstimmung im Parlament steht zur Debatte: Die EVP wünscht sich eine Abstimmung im September, wegen einer schon “vollen politischen” Agenda, während Renew, S&D, Grüne und Linke für eine Abstimmung in der nächsten Plenarsitzung plädieren, voraussichtlich am 11. Juli.

Ein neuer Text im Plenum

Im Plenum wird ein anderer Text zur Abstimmung stehen als jener, der gestern im Ausschuss abgelehnt wurde. Die Befürworter des Textes hoffen, dass sich das Parlament am 11. Juli gegen diese Ablehnung und für einen neuen Verhandlungstext ausspricht, der noch erarbeitet werden muss. Dieser würde sowohl Elemente des Kompromisses enthalten, der im Parlament bis zum Ausscheiden der EVP ausgehandelt worden war, als auch Elemente des Textes, der am 20. Juni im Umweltrat verabschiedet wurde.

Berichterstatter César Luena (S&D) kündigte an, dass der Text zu den Prioritäten der spanischen Ratspräsidentschaft gehören werde. Die derzeitige spanische Regierung ist eine starke Befürworterin des Textes – aber die Wahlen, die am 23. Juli in Spanien stattfinden, könnten die politische Lage noch mal grundlegend verändern.

Timmermanns bereit, “Zeile für Zeile” zu verhandeln

Es ist das erste Mal, dass der Umweltausschuss des Parlaments einen Green-Deal-Vorschlag ablehnt. Zuvor hatten bereits die beiden angeschlossenen Ausschüsse für Landwirtschaft und Fischerei den Text abgelehnt. Der Green Deal ist das Prestigevorhaben von Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen. Die Abstimmungen über das Renaturierungsgesetz verfolge sie daher “sehr aufmerksam”, sagte ein Sprecher der Kommission gestern. Die Kommission lehnt jeden Kommentar über den Umweltausschuss ab, da “der parlamentarische Prozess noch nicht abgeschlossen ist”.

Frans Timmermans, Vizepräsident der EU-Kommission und Zuständiger für den Green Deal, hat immer wieder betont, dass die Kommission keinen anderen Gesetzesvorschlag vorlegen werde. Genau das will aber die EVP. Stattdessen wiederholte der Sprecher der Kommission, Timmermans sei bereit, “Zeile für Zeile” des jetzigen Textes neu zu verhandeln.

Luena appellierte an Kommissionspräsidentin von der Leyen und forderte sie auf, die “Machenschaften” des EVP-Chefs Manfred Weber, der den Text in seiner jetzigen Form annullieren will, bis zur nächsten Plenarsitzung zu stoppen. Es gebe “einen intensiven Kampf” innerhalb der EVP zwischen dem Lager Webers auf der einen Seite und von der Leyens auf der anderen, obwohl sie derselben Partei angehörten.

Canfin wirft Weber Manipulation vor

Die Abstimmung am Dienstag fand in einer aufgeheizten politischen Atmosphäre statt, die von Feindseligkeit gegen den Gesetzesentwurf geprägt war. Luena und der ENVI-Vorsitzende Pascal Canfin (Renew) warfen der EVP vor, das Gesetz zu verwässern und sich mit rechtsextremen Parteien zusammenzutun, um es scheitern zu lassen. “Über dieses Gesetz sind viele Lügen und Falschbehauptungen verbreitet worden”, sagte Luena. “Im politischen Kampf muss man mit Daten, mit Wissen, mit Ideen argumentieren, aber nicht mit Lügen.”

Canfin warf Weber vor, “ein Drittel” der konservativen Mitglieder im ENVI-Ausschuss durch “naturschutzskeptische” Abgeordnete ersetzt zu haben, um die Ablehnung des Gesetzentwurfs zu erreichen. “Das war eine ganz klare Manipulation der ENVI-Abstimmung”, sagte Canfin. “Im Plenum kann das nicht passieren, denn Manfred Weber kann im Plenum keine Mitglieder austauschen.” Als Vorsitzender eines Ausschusses sei es “sehr entsetzlich” zu sehen, dass eine politische Fraktion in der Lage ist, “in diesem Ausmaß zu manipulieren”, fügte er hinzu.

Schneider: “Falscher Ansatz” der Kommission

Christine Schneider und Peter Liese (CDU) schlugen zurück und bezeichneten die Äußerungen von Canfin als “schockierend” und “inakzeptabel”. Canfin sei der “schlechteste und parteiischste” Vorsitzende des ENVI-Ausschusses, den er seit 1994 erlebt habe, so Liese. “Das hat es noch nie gegeben.”

Liese gab zu, dass seine Partei bei der Abstimmung “viele Auswechslungen” vorgenommen habe, weil “wir auf der sicheren Seite sein wollten”. Sein tschechischer Kollege Stanislav Polčák sei der Einzige gewesen, der den Wunsch geäußert habe, für das Gesetz zu stimmen. Polčák hat an der Abstimmung am Dienstag nicht teilgenommen.

“Unsere Probleme mit dem Gesetz sind immer noch dieselben”, sagte Schneider und nannte den Text “impraktikabel, rückwärtsgewandt und ideologisch programmiert”. Sie blieb bei ihrer Position, wonach die EU-Kommission bei diesem Gesetz “einen vollkommen falschen Ansatz” gewählt habe. Es würde zu einem Rückgang der land- und forstwirtschaftlichen Flächen führen und damit die Ernährungssicherheit gefährden, warnte sie.

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EU-Taxonomie: Kommission vervollständigt Umweltziele

Die EU-Kommission hat im Rahmen eines Gesetzespakets zum nachhaltigen Finanzwesen neue Kriterien für die grüne Taxonomie vorgestellt. Damit ergänzt sie den Katalog der Wirtschaftsaktivitäten, die nach diesem Klassifizierungssystem als nachhaltig gelten und somit klima- und umweltfreundliche Investitionen anziehen sollen. Diese wurden zuvor von der Plattform für nachhaltige Finanzen, dem Beratungsgremium der Kommission, erarbeitet.

Für die grüne EU-Taxonomie hatte die Kommission bislang delegierte Rechtsakte zu den zwei klimabezogenen Zielen sowie zu Erdgas und Atomkraft angenommen. Nun schlägt sie weitere Taxonomiekriterien für Wirtschaftstätigkeiten vor, die einen wesentlichen Beitrag zu einem oder mehreren der übrigen vier (nicht klimabezogenen) Ziele leisten:

  • nachhaltige Nutzung und Schutz von Wasser- und Meeresressourcen,
  • Übergang zu einer Kreislaufwirtschaft,
  • Vermeidung und Verminderung der Umweltverschmutzung,
  • Schutz und Wiederherstellung der Biodiversität und der Ökosysteme.

Darüber hinaus hat die Kommission Änderungen am delegierten Rechtsakt zur EU-Klimataxonomie angenommen. Durch diese wird das Spektrum der Wirtschaftstätigkeiten erweitert, die zum Klimaschutz und zur Anpassung an den Klimawandel beitragen und bisher nicht unter die Taxonomie fielen. Dazu gehören vor allem das verarbeitende Gewerbe und der Verkehrssektor.

Spezifische Kriterien für alle Wirtschaftsbereiche

Unter anderem sollen die folgenden Wirtschaftsaktivitäten unter bestimmten Kriterien in die EU-Taxonomie fallen:

  • Wasser: Leckagekontrolltechnologien, Wasserversorgung, kommunale Abwasserbehandlung, Katastrophenschutz, naturbasierte Lösungen für die Vermeidung von Überschwemmungen und Dürren
  • Abfallbehandlung: Phosphorrückgewinnung aus Abwässern; Sammlung, Transport, Sortierung und stoffliche Verwertung von Abfällen; Behandlung gefährlicher Abfälle; Verwertung von Bioabfällen durch anaerobe Vergärung oder Kompostierung; Sanierung von rechtswidrigen Deponien und stillgelegten oder illegalen Abfalldeponien
  • Bauwesen: Bau neuer Gebäude, Renovierung bestehender Gebäude, Abriss von Gebäuden und Bauwerken, Instandhaltung von Straßen und Autobahnen, Verwendung von Beton im Bauwesen
  • Reparatur und Gebrauchtwaren: Reparatur, Überholung und Wiederaufarbeitung; Verkauf von Ersatzteilen, Vorbereitung auf die Wiederverwendung von Altprodukten und Produktkomponenten, Verkauf von Gebrauchtwaren, Handel mit gebrauchten Waren zur Wiederverwendung
  • Produktion: Herstellung von Verpackungsmitteln aus Kunststoff; Herstellung von elektrischen und elektronischen Geräten, Herstellung von Arzneimitteln; pharmazeutischen Wirkstoffen (API) und aktiven Substanzen
  • Beherbergung: Hotels, Ferienanlagen, Campingplätze und ähnliche Unterkünfte
  • Umweltschutz: Erhaltung und Wiederherstellung von Lebensräumen, Ökosystemen und Arten

Anpassung an aktuelle Gesetzesentwürfe

Für alle Wirtschaftsaktivitäten gelten die “Do No Significant Harm”-Kriterien, nach denen die jeweilige Aktivität einen substanziellen Beitrag zu mindestens einem Umweltziel leisten und keinem der anderen Ziele schaden darf. Darüber hinaus schreiben die Rechtsakte eine Reihe spezifischer technischer Kriterien für jede einzelne Aktivität vor.

Zum Beispiel sollen die aufgeführten Unterbringungsaktivitäten einen erheblichen Beitrag zum Schutz und zur Wiederherstellung der biologischen Vielfalt und der Ökosysteme leisten (und dürfen keinem der anderen Ziele schaden). Dies reicht von Hotels über Ferienwohnungen und Jugendherbergen bis hin zum Biwakplatz im Wald, vorausgesetzt die Betriebe sind durch eine Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) zertifiziert und erfüllen bestimmte Mindeststandards bei Umweltverträglichkeit und Nachhaltigkeit

Betreiber von Aktivitäten zur Erhaltung und Wiederherstellung von Lebensräumen, Ökosystemen und Arten müssen beispielsweise unabhängig zertifiziert sein und einen Bewirtschaftungsplan im 10-Jahres-Rhythmus umsetzen.

Für die Herstellung von Kunststoffverpackungen waren in der öffentlichen Konsultation der Kommission Anpassungen gefordert worden. Interessengruppen hatten angeregt, die Kriterien der Taxonomie an andere EU-Gesetzgebung anzupassen: etwa an die derzeit verhandelte Überarbeitung der Verpackungsverordnung, die Wasserrahmenrichtlinie oder die ebenfalls momentan überarbeitete Ökodesign-Richtlinie.

Strengere Kriterien als in Verpackungsverordnung

Nun gelten für Kunststoffverpackungen in der Taxonomie strengere Kriterien als die in der anstehenden überarbeiteten Gesetzgebung. Diese beziehen sich auf die Verwendung von Rezyklat, das Ökodesign und die Rezyklierbarkeit des Produkts. Der Anteil von Rezyklat in Verpackungen etwa muss nach der Taxonomie bis 2028 mindestens 35 Prozent (bei berührungsunempfindlichen Verpackungen) betragen, bei berührungsempfindlichen Verpackungen (etwa für Lebensmittel) gilt der Zielwert von zehn Prozent. Ab 2028 werden diese Werte auf 65 bzw. 50 Prozent erhöht. Der Kommissionsentwurf für die Verpackungsverordnung sieht ab 2030 einen Mindestwert von bis zu 35 Prozent, ab 2040 von bis zu 65 Prozent vor.

Die Reaktionen auf die delegierten Rechtsakte fielen im Grundsatz positiv aus. Der Bundesverband der deutschen Entsorgungs-, Wasser- und Kreislaufwirtschaft (BDE) erklärte, die EU-Taxonomieverordnung sei ein “sachgerechtes und vernünftiges Instrument für mehr Nachhaltigkeit”. Besonders erfreulich sei, dass die Kreislaufwirtschaft ausdrücklich genannt werde. Aus Sicht des Verbandes sei bedauerlich, dass die energetische Abfallverwertung bislang nicht als nachhaltige Tätigkeit berücksichtigt wurde, da sie als Schadstoffsenke für gefährliche Stoffe in Abfällen und durch die Rückgewinnung von Metallen einen wichtigen Beitrag zu den Umweltzielen der Taxonomie leiste.

Der Klima-Thinktank E3G kritisiert in einer Stellungnahme, einige Aktivitäten, die ursprünglich von der Plattform für nachhaltige Finanzen vorgeschlagen wurden, seien nicht in den Kommissionsvorschlag aufgenommen worden. Dazu gehörten insbesondere Sektoren mit hohen Umweltauswirkungen wie Chemikalien, Textilien, Landwirtschaft und Fischerei. “Für diese sollten wissenschaftlich fundierte, ehrgeizige Kriterien entwickelt und in die Taxonomie aufgenommen werden”, schreibt Tsvetelina Kuzmanova von E3G. Ebenso hätten bereits bestehende schwache Kriterien, etwa für den Forstsektor, ebenfalls verbessert werden müssen.

Die delegierten Rechtsakte werden nun dem Parlament und dem Rat zu einer zweimonatigen Prüfung vorgelegt und treten voraussichtlich ab Januar 2024 in Kraft.

  • Biodiversität
  • Klima & Umwelt
  • Kreislaufwirtschaft
  • Nachhaltigkeit
  • Taxonomie

News

Data Act: Parlament und Rat einigen sich im Trilog

Kurz vor Mitternacht haben Parlament und Rat am Dienstagabend eine Einigung über eine neue Verordnung zu harmonisierten Vorschriften für einen fairen Zugang zu und die faire Nutzung von Daten (Data Act) erzielt. “Die heutige Einigung wird den digitalen Wandel in der Union beschleunigen“, sagte Erik Slottner, schwedischer Minister für öffentliche Verwaltung, voraus. Der Data Act werde zu einem Binnenmarkt für Daten beitragen. Er werde dafür sorgen, dass Daten innerhalb der EU frei fließen können.

Die vorläufige Einigung muss jetzt noch von Rat und Parlament gebilligt werden. Der kommende spanische Ratsvorsitz plant, den Text den Ständigen Vertretern der Mitgliedstaaten (AStV) so bald wie möglich zur Annahme vorzulegen. Beide Seiten haben sich darauf geeinigt, dass das Gesetz 18 Monate nach der Veröffentlichung in Kraft treten soll.

Rat setzt sich beim Streitthema Geschäftsgeheimnis durch

Damian Boeselager (Volt), als Schattenberichterstatter für die Fraktion der Grünen/EFA an den Verhandlungen beteiligt, nannte den Data Act ein wegweisendes Gesetz. “Es wird meiner Überzeugung nach dazu beitragen, Europa in eine Zukunft der digitalen Innovation und des Wettbewerbs zu führen.”

Allerdings zeigte er sich nicht in allen Punkten zufrieden mit dem erzielten Kompromiss. Beim umstrittenen Thema Geschäftsgeheimnis sprach er von einem Debakel. Es sei den Herstellern gelungen, “mit ihren Heerscharen von Lobbyisten und Anwälten”, einige Rechte zum Teilen von Daten zu verwässern.

Hersteller können “Notbremse” ziehen

So sei es zum Beispiel möglich, dass Hersteller unter “außergewöhnlichen Umständen”, in denen die Weitergabe von Geschäftsgeheimnissen zu “schwerwiegenden und nicht wiedergutzumachenden wirtschaftlichen Verlusten” führen könnte, die ihre “wirtschaftliche Lebensfähigkeit” untergraben würde, rechtmäßige Datenanfragen ablehnen. Sie könnten also quasi eine Notbremse ziehen.

Boeselager hält dies für äußerst bedenklich, da Daten, die Geschäftsgeheimnisse betreffen, ohnehin gesichert werden müssten, bevor sie weitergegeben werden können. “Dies ist ein Schlupfloch, mit dem ich überhaupt nicht einverstanden bin.”

EVP sieht Verbesserungen im Trilog

Anders sieht das Christian Ehler (CDU), industrie- und forschungspolitischer Sprecher der EVP-Fraktion: “Der Trilog hat insbesondere Verbesserungen zur Wahrung von Geschäftsgeheimnissen gebracht.” Der Schutz des Eigentums und die Integrität der Daten stehe beim Data Act im Vordergrund.

Angelika Niebler (CSU), Mitglied im zuständigen Industrieausschuss, ist überzeugt, dass der Data Act Datensilos öffnen und das Teilen von nicht-personenbezogenen Daten grundsätzlich erleichtern werde. “Damit schaffen wir mehr Wettbewerb, denn rund um Daten können sich auf Basis neuer Geschäftsideen neue Dienstleistungen entwickeln, wie zum Beispiel für Reparaturen und Wartungen.”  vis

Luftreinhaltung: Umweltausschuss will schärfere Grenzwerte

Der EP-Umweltausschuss (ENVI) will bei der Luftreinhaltungsrichtlinie die Grenzwerte für 2030 gegenüber dem Kommissionsvorschlag verschärfen. Dies gilt für die Luftschadstoffe Feinstaub (PM2,5; PM10), Schwefeldioxid, Nitrogendioxid und Ozon. Außerdem fordert der Ausschuss, dass bei Überarbeitungen der Richtlinie die von der Leitlinie der WHO vorgeschlagenen Grenzwerte eins zu eins umgesetzt werden.

Der Ausschuss macht sich auch dafür stark, dass es mehr Messpunkte gibt als von der Kommission vorgesehen. Der Bericht von Javi López (S+D) wurde mit 46 zu 41 Stimmen angenommen. Das Plenum wird in der Sitzungswoche im Juli in Straßburg abstimmen, danach kann der Trilog beginnen.

Schattenberichterstatter Norbert Lins (CDU) will die jetzt geltenden Grenzwerte verschärfen, befürchtet aber, dass bereits die Grenzwerte, die die Kommission vorschlägt, für neue Fahrverbote und Produktionsverbote in der Industrie sorgen würden: “Diese Revision sollte Kosten und Aufwand mit dem Endergebnis abwägen. Anreize statt Verbote sind der richtige Weg.” mgr

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  • Klima & Umwelt
  • Luftqualität

Handelsabkommen mit Indien gerät in Verzug

Die Verhandlungen zwischen der EU und Indien kommen nicht schnell genug voran, um wie erhofft bis Jahresende abgeschlossen zu werden. “Wir sind nicht so weit, wie wir sein sollten“, sagte ein EU-Beamter gestern in Brüssel. Beide Seiten träfen sich zwar in hoher Frequenz, die Positionen lägen aber oft noch weit auseinander.

EU-Kommission und die indische Regierung hatten die zuvor jahrelang ruhende Arbeit an einem Freihandelsabkommen im vergangenen Juni wieder aufgenommen. Die Europäer erhoffen sich von vertieften Handelsbeziehungen auch mehr politischen Einfluss, nachdem sich Neu-Delhi im Ukraine-Krieg neutral positioniert hat. Angesichts der geopolitischen Bedeutung hatte Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen das Ziel ausgegeben, bereits bis Ende dieses Jahres zu einer Einigung zu kommen.

Die Unterhändler der Kommission waren vergangene Woche zur fünften Verhandlungsrunde nach Neu-Delhi gereist. Bei zwei weniger bedeutenden Teilen des Abkommens sind sich beide Seiten im Grundsatz bereits einig – den Kapiteln zu mittelständischen Unternehmen und zu öffentlicher Beschaffung. Zudem vereinbarten sie, bis Ende Juli Angebote zur Öffnung ihrer Märkte auszutauschen. Hier werde sich hoffentlich zeigen, dass es beide Seiten ernst meinten, hieß es in Brüssel.

Nachhaltigkeitskapitel als Stolperstein

Indien sträubt sich traditionell dagegen, seinen Markt für ausländische Exporteure zu öffnen. An diesem Punkt waren auch die 2007 aufgenommen Handelsgespräche mit der EU gescheitert. Ebenfalls große Probleme habe Neu-Delhi mit den Forderungen der Europäer nach einem ehrgeizigen Nachhaltigkeitskapitel, so der EU-Beamte. Die Kommission versucht inzwischen, auch auf Druck des Europaparlaments, in neuen Handelsabkommen weitreichende Verpflichtungen der Partner zum Schutz von Klima und Arbeitnehmerrechten zu verankern. Erster Anwendungsfall ist das Handelsabkommen mit Neuseeland, das die EU-Staaten gestern im Rat absegneten.

Nicolas Köhler-Suzuki, Forscher am Jacques Delors Institut in Paris, sprach sich dafür aus, den Ansatz im Falle Indiens zu überdenken. Gegenüber kleineren Handelspartnern wie Vietnam oder Südkorea könne die EU ihre Nachhaltigkeitsvorstellungen durchsetzen, nicht aber gegenüber einem wirtschaftlich gewichtigen Land wie Indien, sagte er bei der Vorstellung einer Studie zu den Wirtschaftsbeziehungen zwischen EU und Indien. Zudem sei zweifelhaft, ob das formale Festschreiben von Nachhaltigkeitsverpflichtungen in einem Handelsabkommen viel in der Praxis ändere. Womöglich sei die Wirkung größer, wenn die Partner mehr mit der EU handelten und für die Wareneinfuhr die im Binnenmarkt geltenden Standards erfüllen müssten. tho

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Migration: Tunesien-Deal erst nach dem Gipfel

Das geplante Partnerschaftsabkommen mit Tunesien verzögert sich. Ein “Memorandum of Understanding” sei noch nicht fertig und werde auch nicht mehr rechtzeitig zum EU-Gipfel am Donnerstag und Freitag vorliegen, sagte eine Sprecherin der EU-Kommission. Die Gespräche mit der Regierung in Tunis würden erst in der kommenden Woche wieder aufgenommen. Eine Begründung für die Verzögerung nannte die Sprecherin nicht.

Ursprünglich war geplant, dass Kommissar Olivér Várhelyi den Tunesien-Deal am Dienstag abschließt. Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hatte ihn als “Blaupause” zur Bekämpfung der irregulären Migration bezeichnet. Neben einem Kapitel zur illegalen und legalen Migration soll das Abkommen auch Kapitel zu Handel, Energie und Verkehr enthalten. Zudem sind umfangreiche EU-Finanzhilfen von bis zu einer Milliarde Euro geplant.

Deutschland und Italien setzen sich für Abkommen ein

Die Verzögerung ist eine schlechte Nachricht für Deutschland und Italien. Beide Länder hatten sich besonders für den Deal starkgemacht. Italien ist das wichtigste Aufnahmeland für Bootsflüchtlinge aus Tunesien, Deutschland das größte Aufnahmeland für Asylbewerber. Das Abkommen mit Tunesien gilt als wichtige Voraussetzung für den Kompromiss zur europäischen Asyl- und Migrationspolitik, den die EU-Innenminister ausgehandelt hatten. 

Das Thema Migration steht auch auf der Agenda des EU-Gipfels. Von der Leyen wollte das MoU dort vorstellen und sich grünes Licht für einen Abschluss holen. Stattdessen droht nun Streit über das weitere Vorgehen. ebo

  • EU-Gipfel
  • Europapolitik
  • Tunesien

DSA: Zalando geht gegen Einstufung als VLOP vor

Der Onlinehändler Zalando hat gegen die Einstufung als “besonders große Onlineplattform” gemäß Digital Services Act (DSA) Beschwerde beim Europäischen Gericht eingelegt. Das teilte die Firma am Dienstag mit. Das Unternehmen beanstandet die Einstufung aus mehreren Gründen.

Als Hauptkritikpunkt führt Robert Gentz, Gründer und Co-Geschäftsführer von Zalando, die Einstufung aufgrund der Nutzerzahlen an. Weder gebe es eine eindeutige Methodologie noch standardisierte Kriterien dafür, was “aktive Empfänger des Dienstes” seien, schrieb Gentz auf Linkedin. Zalando habe die Zahl der Besucher seiner Angebote gemeldet. Andere hätten eingeloggte oder gleich gar keine Zahlen geliefert, so Gentz.

Dadurch habe die Kommission bei ihrer Einstufung als “Very Large Online Platform” (VLOP) nach Meinung von Zalando “auf zufälliger und uneinheitlicher Basis” entschieden. Auffällig war bei der Bekanntgabe etwa, dass kein einziger chinesischer Anbieter – mit Ausnahme von TikTok und AliExpress – die Schwellenwerte für VLOPs überschritten haben will.

Einziges Unternehmen in Europa, das als VLOP gilt

Zudem, so argumentiert die Firma, habe die Kommission alle Nutzer gezählt. Dabei würden 64 Prozent der Nutzer über Retail-Drittangebote zugreifen, die nicht Zalando zuzurechnen seien. Daher dürften diese nicht Bestandteil der Einstufung nach DSA sein. Außerdem gehe von Zalando keinerlei “systemische Gefahr” aus.

Zalando will sein Vorgehen als Kampf gegen überflüssige Bürokratie verstanden wissen. Als einziges als VLOP eingestuftes europäisches Unternehmen würde die Firma der direkten DSA-Aufsicht durch die EU-Kommission unterfallen und zusätzliche Pflichten erfüllen müssen. Das Verfahren vor dem Europäischen Gericht, der unteren der beiden Kammern auf EU-Ebene, dürfte dabei nur der Anfang einer längeren Auseinandersetzung sein. fst

  • Digital Services Act
  • Europäische Kommission
  • Zalando

Amazon-Klage gegen Bundeskartellamt könnte vor dem EuGH landen

Der juristische Kampf von Amazon gegen das Bundeskartellamt könnte zunächst den Europäischen Gerichtshof beschäftigen. Das deutete sich am Dienstag vor dem Bundesgerichtshof in Karlsruhe an. Das Bundeskartellamt hatte vor einem Jahr festgestellt, dass Amazon eine “überragende marktübergreifende Bedeutung für den Wettbewerb” zukommt. Dieser Feststellungsbeschluss bildete die Grundlage dafür, dass das Bundeskartellamt seit November 2022 zwei Prüfverfahren betreibt.

Kartellamts-Chef Andreas Mundt sagte damals, die Behörde untersuche in den beiden Verfahren, “ob und wie Amazon die Geschäftschancen von Händlern, die im Wettbewerb zu Amazons eigenem Handelsgeschäft auf dem Amazon-Marktplatz tätig sind, beeinträchtigt”.

Amazon: Bundeskartellamt umgeht Europarecht

Amazon wehrt sich bereits gegen den Feststellungsbeschluss des Bundeskartellamts vom Juli 2022. Nur über den verhandelte der BGH am Dienstag. Der Internethändler, der auch einen Internet-Marktplatz betreibt, wendet unter anderem ein, dass das Bundeskartellamt höherrangiges Europarecht umgangen hat.

Zuständig für die Amazon-Beschwerde ist in erster und letzter Instanz der BGH in Karlsruhe. Der Kartellsenat des BGH erwägt eine Vorlage an den EuGH in Luxemburg, wie der Vorsitzende des BGH-Kartellsenats Wolfgang Kirchhoff sagte. Gleichzeitig überlege der Kartellsenat, in der Zwischenzeit den nach deutschem Recht zu entscheidenden Teil des Verfahrens weiterzuführen, so Kirchhoff weiter. Der Vorsitzende Richter begründete solch ein bisher einmaliges Parallelverfahren damit, dass das Verfahren so effizienter betrieben werden könnte. Der Anwalt von Amazon, Reiner Hall, zeigte sich überrascht.

Der BGH will demnächst sowohl über die Vorlage an den EuGH als auch über die Fortsetzung des Verfahrens am BGH entscheiden. Ein Termin, wann diese Zwischenentscheidungen fallen könnte, wurde zunächst nicht mitgeteilt. rtr

  • Amazon
  • Digitalisierung
  • Kartellrecht

E-Evidence: EU-weiter Zugang für Ermittler wird einfacher

Polizei und Justizbehörden können künftig bei der Verfolgung von Straftaten leichter grenzüberschreitend Zugang zu elektronischen Beweismitteln wie E-Mails oder SMS bekommen. Die EU-Länder verabschiedeten am Dienstag in Brüssel ein entsprechendes Gesetz.

Nach den neuen Regeln können Justizbehörden elektronische Beweismittel direkt von Telekommunikations- oder Social-Media-Unternehmen mit Sitz in einem anderen EU-Staat anfordern. Diese müssen dann innerhalb von zehn Tagen beziehungsweise im Notfall sogar innerhalb von acht Stunden antworten.

Anordnung soll Löschen von Beweismitteln verhindern

Eine sogenannte Sicherungsanordnung soll zudem verhindern, dass Beweismittel durch die Anbieter gelöscht werden. Will jemand seinen Dienst in der EU anbieten, muss ein gesetzlicher Vertreter benannt werden, an den sich die Justizbehörden richten können.

In mehr als 50 Prozent aller strafrechtlichen Ermittlungen wird den Angaben zufolge ein grenzüberschreitendes Ersuchen für elektronische Beweise gestellt. Bisher war es demnach ein komplizierter Prozess, bei Dienstleistern in einem anderen EU-Land an elektronische Beweise zu kommen. dpa

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  • Telekommunikation

Presseschau

Das Naturschutzgesetz der EU droht zu scheitern SUEDDEUTSCHE
Fläche so groß wie die Schweiz – tropischer Urwald zerstört SPIEGEL
Erste Details nach Einigung der Ampel: Staat fördert klimafreundliche Heizungen mit bis zu 70 Prozent SPIEGEL
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EU-Staaten bereiten Freihandelsabkommen mit Neuseeland vor NAU
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EU-Rüstungsindustrie möchte als ‘nachhaltig’ eingestuft werden EURACTIV
Wahlrecht für EU-Parlament soll bleiben FAZ
Zalando sues EU Commission over online content rules, seen as first challenge REUTERS
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Fusion von Orange und MásMóvil: EU-Kommission zeigt sich besorgt EURACTIV
“Seit Jahren steigt der Verpackungsmüll”: Steffi Lemke will Mehrwegpflicht nachschärfen TAGESSPIEGEL
Gegen grüne “Heuchelei”: Polen baut neuen Großflughafen EURACTIV
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Neue Befugnisse des Kartellamts: Deutschlands Kontrolle der Digitalkonzerne ist möglich RND

Heads

Jan-Christoph Oetjen: Europa als Mobilitätsprojekt

Jan-Christoph Oetjen (FDP) ist Abgeordneter des Europäischen Parlaments und stellvertretender Vorsitzender des Verkehrsausschusses.

Ob der Sprung aus Rotenburg ins weit entfernte Brüssel schwerfiel? Für Jan-Christoph Oetjen, der seit 2019 für die liberale Fraktion im Europaparlament sitzt, war die Distanz nicht allzu groß: “Hier ist man von der Arbeitsweise her eigentlich dicht an der Kommunalpolitik dran.” Und das ist ganz nach dem Geschmack des 45-Jährigen: “Parteipolitik spielt eine untergeordnete Rolle, es bilden sich immer neue Mehrheiten, man kann kreuz und quer was bewegen.”

Da sei ein anderes Aufgabenprofil als im Landtag in Niedersachsen gefragt, der von der Spannung zwischen Regierung und Opposition geprägt ist. In diesen Landtag war Oetjen, neben andauerndem kommunalpolitischem Engagement, zwischen 2003 und 2019 dreimal für die FDP wiedergewählt worden.

Im Mittelpunkt der Debatte um E-Fuels

Verändert haben sich seit diesen Tagen aber die Dimensionen. Denn das Europaparlament ist, im Vergleich zum niedersächsischen Landtag, “so groß, dass ich mich am Anfang beim Rückweg ins Büro regelrecht verlaufen habe”, wie Oetjen erzählt. Und: Die Tragweite der Entscheidungen sei eine andere. Zuletzt hat er das bei der Frage nach den CO₂-Emissionsnormen für Pkw gespürt, die für ihn, stellvertretender Vorsitzender des Verkehrsausschusses, eine außergewöhnliche Situation dargestellt hat.

Den Kritikern der E-Fuels entgegnet Oetjen zuerst einmal, dass es stimme, dass Pkw elektrisch am effizientesten betrieben werden können und darum Elektroautos eine zentrale Stellung zukommen wird. Man müsse aber bedenken, dass der Ausbau der betreffenden Infrastruktur nicht nur in Deutschland und Frankreich durchgesetzt werden muss, sondern auch in Nordfinnland, Rumänien, La Réunion. Ob das bis 2035 machbar sei, da ist sich Oetjen nicht sicher.

Außerdem gibt sich Oetjen skeptisch, inwiefern politisch ausgehandelt werden kann, welche Technologien zukunftsweisend sein werden. E-Fuels werden in jedem Fall weiterproduziert werden, das ist allein durch den Bedarf der Schiff– und Luftfahrt garantiert. Wenn dann einmal ein Angebot für Pkw besteht, das keine Abnehmer findet – etwa wegen zu hoher Kosten oder eines zu geringen Wirkungsgrads – dann wäre das kein Verlust: “Dann ist das keine politische Entscheidung gewesen, dann haben das die Bürger und Bürgerinnen durch ihren Konsum entschieden.”

Die Mobilität der Zukunft: “Digital, borderless, sustainable”

Die Grundzüge eines innovativen Verkehrskonzeptes für Europa kann Oetjen auf drei Schlagwörter herunterbrechen: “digital, borderless, sustainable”. Es ist ihm ein großes Anliegen, dass besonders in Fragen der Mobilität das Denken bis an die Landesgrenzen ein Ende nimmt. Hier bestünden Aufgaben, in denen sich zeige, dass in Europa Lücken geblieben seien: “Zwischen Baden-Württemberg und dem Elsass gibt es heute weniger Brücken als vor dem Ersten Weltkrieg, und wo keine Brücken sind, da ist kein Verkehr.”

Darum zeigt sich Oetjen begeistert für Konzepte, die Tickets für Mobilitätsdienstleistungen über Staatsgrenzen hinweg buchbar machen wollen, in denen vom E-Roller bis zum Fernzug alles in einer App zusammengetragen wird, unabhängig vom Standort. Denn niedrigschwellige Austauschmöglichkeiten seien essenziell für das Gelingen des europäischen Projekts.

Oetjen selbst wurde mit 13 Jahren mit dem Zug für einen Schüleraustausch nach Frankreich geschickt, ist seitdem bekennender Europäer.  Heute ist er verheiratet mit einer Französin, die Kinder wachsen in zwei Kulturen auf. Der Zukunftsauftrag steht Oetjen klar vor Augen: “Das wird eine der Hauptaufgaben bleiben – Europa zum Leben zu bringen.” Julius Schwarzwälder

  • Mobilität

Europe.Table Redaktion

EUROPE.TABLE REDAKTION

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    Liebe Leserin, lieber Leser,

    den Klimawandel und dessen Auswirkungen bekämpfen mit gigantischen Spiegeln, die das Sonnenlicht zurück in die Atmosphäre lenken, oder Injektionen von Aerosolen in die Stratosphäre, die die Durchlässigkeit des Sonnenlichts verringern: Was momentan noch nach Science-Fiction klingt, könnte eines Tages Realität werden. Geforscht wird zu solchen Methoden längst. Allerdings gibt es auch Risiken beim Geo-Engineering der Atmosphäre.

    Die EU-Kommission will Gefahren durch derartige Eingriffe in die Debatte über die Erderwärmung und dessen Bekämpfung einbringen. Sie wird heute einen Rechtsrahmen für die Bewertung der sicherheitspolitischen Auswirkungen der Erderwärmung ankündigen. Es geht darum, Konflikte und großflächige Migration aufgrund von Wasser- und Nahrungsmittelknappheit zu verhindern. Und dazu gehört eben auch die Bewertung potenzieller Gefahren durch künstliche Eingriffe in die Atmosphäre.

    Eine umfassende Debatte und Bewertung fordert insbesondere auch die Wissenschaft. Zwar erkennen Forscherinnen und Forscher des UN-Umweltprogramms (UNEP) die Veränderung der Sonnenstrahlung als die “einzige Option, die den Planeten innerhalb weniger Jahre abkühlen könnte”, an. Doch sie weisen auch auf Gefahren der Technik hin. Darunter: Mögliche Zerstörung der Ozonschicht, lokale Überkompensation des Klimawandels und Risiken für Menschen und Ökosysteme. Zudem beziffern sie die Kosten auf “Dutzende von Milliarden US-Dollar pro Jahr pro ein Grad Abkühlung” – Kosten für mögliche Schäden sind nicht mit einberechnet.

    Die Ankündigung eines Rechtrahmens, das Für und Wider von Klima-Engineering zu bewerten: Das ist der weltweite Auftakt, solche neuartigen Methoden zu regulieren – lange bevor sie Praxis-Stadium erreichen.

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    Lukas Knigge
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    Renaturierung im ENVI gescheitert: Abstimmung im Plenum entscheidet

    Die Stimmung war aufgeladen, der Raum voll besetzt: Der Umweltausschuss (ENVI) hat am gestrigen Dienstag in der Schlussabstimmung zum Gesetz für die Wiederherstellung der Natur (Nature Restoration Law) gegen den Bericht gestimmt. Bei der Abstimmung gab es einen Stimmengleichstand (44:44). Somit empfiehlt der Ausschuss eine Ablehnung des gesamten Gesetzesvorschlages im Plenum des Europäischen Parlaments.

    Bereits Mitte Juni hatte es eine Abstimmung im Umweltausschuss gegeben, die turbulente Sitzung musste aber abgebrochen werden. Der zuvor von der EVP eingebrachte Antrag zur Ablehnung des gesamten Vorschlags hatte keine Mehrheit bekommen.

    Jetzt wird es für Befürworter und Gegner des Gesetzes darum gehen, im Europäischen Parlament eine Mehrheit für ihr Ziel zu organisieren. Und dies in einer politischen angespannten Lage, in der sich beide Seiten “Fake News” und “Wahlmanipulation” vorwerfen.

    Schon das Datum über die Abstimmung im Parlament steht zur Debatte: Die EVP wünscht sich eine Abstimmung im September, wegen einer schon “vollen politischen” Agenda, während Renew, S&D, Grüne und Linke für eine Abstimmung in der nächsten Plenarsitzung plädieren, voraussichtlich am 11. Juli.

    Ein neuer Text im Plenum

    Im Plenum wird ein anderer Text zur Abstimmung stehen als jener, der gestern im Ausschuss abgelehnt wurde. Die Befürworter des Textes hoffen, dass sich das Parlament am 11. Juli gegen diese Ablehnung und für einen neuen Verhandlungstext ausspricht, der noch erarbeitet werden muss. Dieser würde sowohl Elemente des Kompromisses enthalten, der im Parlament bis zum Ausscheiden der EVP ausgehandelt worden war, als auch Elemente des Textes, der am 20. Juni im Umweltrat verabschiedet wurde.

    Berichterstatter César Luena (S&D) kündigte an, dass der Text zu den Prioritäten der spanischen Ratspräsidentschaft gehören werde. Die derzeitige spanische Regierung ist eine starke Befürworterin des Textes – aber die Wahlen, die am 23. Juli in Spanien stattfinden, könnten die politische Lage noch mal grundlegend verändern.

    Timmermanns bereit, “Zeile für Zeile” zu verhandeln

    Es ist das erste Mal, dass der Umweltausschuss des Parlaments einen Green-Deal-Vorschlag ablehnt. Zuvor hatten bereits die beiden angeschlossenen Ausschüsse für Landwirtschaft und Fischerei den Text abgelehnt. Der Green Deal ist das Prestigevorhaben von Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen. Die Abstimmungen über das Renaturierungsgesetz verfolge sie daher “sehr aufmerksam”, sagte ein Sprecher der Kommission gestern. Die Kommission lehnt jeden Kommentar über den Umweltausschuss ab, da “der parlamentarische Prozess noch nicht abgeschlossen ist”.

    Frans Timmermans, Vizepräsident der EU-Kommission und Zuständiger für den Green Deal, hat immer wieder betont, dass die Kommission keinen anderen Gesetzesvorschlag vorlegen werde. Genau das will aber die EVP. Stattdessen wiederholte der Sprecher der Kommission, Timmermans sei bereit, “Zeile für Zeile” des jetzigen Textes neu zu verhandeln.

    Luena appellierte an Kommissionspräsidentin von der Leyen und forderte sie auf, die “Machenschaften” des EVP-Chefs Manfred Weber, der den Text in seiner jetzigen Form annullieren will, bis zur nächsten Plenarsitzung zu stoppen. Es gebe “einen intensiven Kampf” innerhalb der EVP zwischen dem Lager Webers auf der einen Seite und von der Leyens auf der anderen, obwohl sie derselben Partei angehörten.

    Canfin wirft Weber Manipulation vor

    Die Abstimmung am Dienstag fand in einer aufgeheizten politischen Atmosphäre statt, die von Feindseligkeit gegen den Gesetzesentwurf geprägt war. Luena und der ENVI-Vorsitzende Pascal Canfin (Renew) warfen der EVP vor, das Gesetz zu verwässern und sich mit rechtsextremen Parteien zusammenzutun, um es scheitern zu lassen. “Über dieses Gesetz sind viele Lügen und Falschbehauptungen verbreitet worden”, sagte Luena. “Im politischen Kampf muss man mit Daten, mit Wissen, mit Ideen argumentieren, aber nicht mit Lügen.”

    Canfin warf Weber vor, “ein Drittel” der konservativen Mitglieder im ENVI-Ausschuss durch “naturschutzskeptische” Abgeordnete ersetzt zu haben, um die Ablehnung des Gesetzentwurfs zu erreichen. “Das war eine ganz klare Manipulation der ENVI-Abstimmung”, sagte Canfin. “Im Plenum kann das nicht passieren, denn Manfred Weber kann im Plenum keine Mitglieder austauschen.” Als Vorsitzender eines Ausschusses sei es “sehr entsetzlich” zu sehen, dass eine politische Fraktion in der Lage ist, “in diesem Ausmaß zu manipulieren”, fügte er hinzu.

    Schneider: “Falscher Ansatz” der Kommission

    Christine Schneider und Peter Liese (CDU) schlugen zurück und bezeichneten die Äußerungen von Canfin als “schockierend” und “inakzeptabel”. Canfin sei der “schlechteste und parteiischste” Vorsitzende des ENVI-Ausschusses, den er seit 1994 erlebt habe, so Liese. “Das hat es noch nie gegeben.”

    Liese gab zu, dass seine Partei bei der Abstimmung “viele Auswechslungen” vorgenommen habe, weil “wir auf der sicheren Seite sein wollten”. Sein tschechischer Kollege Stanislav Polčák sei der Einzige gewesen, der den Wunsch geäußert habe, für das Gesetz zu stimmen. Polčák hat an der Abstimmung am Dienstag nicht teilgenommen.

    “Unsere Probleme mit dem Gesetz sind immer noch dieselben”, sagte Schneider und nannte den Text “impraktikabel, rückwärtsgewandt und ideologisch programmiert”. Sie blieb bei ihrer Position, wonach die EU-Kommission bei diesem Gesetz “einen vollkommen falschen Ansatz” gewählt habe. Es würde zu einem Rückgang der land- und forstwirtschaftlichen Flächen führen und damit die Ernährungssicherheit gefährden, warnte sie.

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    EU-Taxonomie: Kommission vervollständigt Umweltziele

    Die EU-Kommission hat im Rahmen eines Gesetzespakets zum nachhaltigen Finanzwesen neue Kriterien für die grüne Taxonomie vorgestellt. Damit ergänzt sie den Katalog der Wirtschaftsaktivitäten, die nach diesem Klassifizierungssystem als nachhaltig gelten und somit klima- und umweltfreundliche Investitionen anziehen sollen. Diese wurden zuvor von der Plattform für nachhaltige Finanzen, dem Beratungsgremium der Kommission, erarbeitet.

    Für die grüne EU-Taxonomie hatte die Kommission bislang delegierte Rechtsakte zu den zwei klimabezogenen Zielen sowie zu Erdgas und Atomkraft angenommen. Nun schlägt sie weitere Taxonomiekriterien für Wirtschaftstätigkeiten vor, die einen wesentlichen Beitrag zu einem oder mehreren der übrigen vier (nicht klimabezogenen) Ziele leisten:

    • nachhaltige Nutzung und Schutz von Wasser- und Meeresressourcen,
    • Übergang zu einer Kreislaufwirtschaft,
    • Vermeidung und Verminderung der Umweltverschmutzung,
    • Schutz und Wiederherstellung der Biodiversität und der Ökosysteme.

    Darüber hinaus hat die Kommission Änderungen am delegierten Rechtsakt zur EU-Klimataxonomie angenommen. Durch diese wird das Spektrum der Wirtschaftstätigkeiten erweitert, die zum Klimaschutz und zur Anpassung an den Klimawandel beitragen und bisher nicht unter die Taxonomie fielen. Dazu gehören vor allem das verarbeitende Gewerbe und der Verkehrssektor.

    Spezifische Kriterien für alle Wirtschaftsbereiche

    Unter anderem sollen die folgenden Wirtschaftsaktivitäten unter bestimmten Kriterien in die EU-Taxonomie fallen:

    • Wasser: Leckagekontrolltechnologien, Wasserversorgung, kommunale Abwasserbehandlung, Katastrophenschutz, naturbasierte Lösungen für die Vermeidung von Überschwemmungen und Dürren
    • Abfallbehandlung: Phosphorrückgewinnung aus Abwässern; Sammlung, Transport, Sortierung und stoffliche Verwertung von Abfällen; Behandlung gefährlicher Abfälle; Verwertung von Bioabfällen durch anaerobe Vergärung oder Kompostierung; Sanierung von rechtswidrigen Deponien und stillgelegten oder illegalen Abfalldeponien
    • Bauwesen: Bau neuer Gebäude, Renovierung bestehender Gebäude, Abriss von Gebäuden und Bauwerken, Instandhaltung von Straßen und Autobahnen, Verwendung von Beton im Bauwesen
    • Reparatur und Gebrauchtwaren: Reparatur, Überholung und Wiederaufarbeitung; Verkauf von Ersatzteilen, Vorbereitung auf die Wiederverwendung von Altprodukten und Produktkomponenten, Verkauf von Gebrauchtwaren, Handel mit gebrauchten Waren zur Wiederverwendung
    • Produktion: Herstellung von Verpackungsmitteln aus Kunststoff; Herstellung von elektrischen und elektronischen Geräten, Herstellung von Arzneimitteln; pharmazeutischen Wirkstoffen (API) und aktiven Substanzen
    • Beherbergung: Hotels, Ferienanlagen, Campingplätze und ähnliche Unterkünfte
    • Umweltschutz: Erhaltung und Wiederherstellung von Lebensräumen, Ökosystemen und Arten

    Anpassung an aktuelle Gesetzesentwürfe

    Für alle Wirtschaftsaktivitäten gelten die “Do No Significant Harm”-Kriterien, nach denen die jeweilige Aktivität einen substanziellen Beitrag zu mindestens einem Umweltziel leisten und keinem der anderen Ziele schaden darf. Darüber hinaus schreiben die Rechtsakte eine Reihe spezifischer technischer Kriterien für jede einzelne Aktivität vor.

    Zum Beispiel sollen die aufgeführten Unterbringungsaktivitäten einen erheblichen Beitrag zum Schutz und zur Wiederherstellung der biologischen Vielfalt und der Ökosysteme leisten (und dürfen keinem der anderen Ziele schaden). Dies reicht von Hotels über Ferienwohnungen und Jugendherbergen bis hin zum Biwakplatz im Wald, vorausgesetzt die Betriebe sind durch eine Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) zertifiziert und erfüllen bestimmte Mindeststandards bei Umweltverträglichkeit und Nachhaltigkeit

    Betreiber von Aktivitäten zur Erhaltung und Wiederherstellung von Lebensräumen, Ökosystemen und Arten müssen beispielsweise unabhängig zertifiziert sein und einen Bewirtschaftungsplan im 10-Jahres-Rhythmus umsetzen.

    Für die Herstellung von Kunststoffverpackungen waren in der öffentlichen Konsultation der Kommission Anpassungen gefordert worden. Interessengruppen hatten angeregt, die Kriterien der Taxonomie an andere EU-Gesetzgebung anzupassen: etwa an die derzeit verhandelte Überarbeitung der Verpackungsverordnung, die Wasserrahmenrichtlinie oder die ebenfalls momentan überarbeitete Ökodesign-Richtlinie.

    Strengere Kriterien als in Verpackungsverordnung

    Nun gelten für Kunststoffverpackungen in der Taxonomie strengere Kriterien als die in der anstehenden überarbeiteten Gesetzgebung. Diese beziehen sich auf die Verwendung von Rezyklat, das Ökodesign und die Rezyklierbarkeit des Produkts. Der Anteil von Rezyklat in Verpackungen etwa muss nach der Taxonomie bis 2028 mindestens 35 Prozent (bei berührungsunempfindlichen Verpackungen) betragen, bei berührungsempfindlichen Verpackungen (etwa für Lebensmittel) gilt der Zielwert von zehn Prozent. Ab 2028 werden diese Werte auf 65 bzw. 50 Prozent erhöht. Der Kommissionsentwurf für die Verpackungsverordnung sieht ab 2030 einen Mindestwert von bis zu 35 Prozent, ab 2040 von bis zu 65 Prozent vor.

    Die Reaktionen auf die delegierten Rechtsakte fielen im Grundsatz positiv aus. Der Bundesverband der deutschen Entsorgungs-, Wasser- und Kreislaufwirtschaft (BDE) erklärte, die EU-Taxonomieverordnung sei ein “sachgerechtes und vernünftiges Instrument für mehr Nachhaltigkeit”. Besonders erfreulich sei, dass die Kreislaufwirtschaft ausdrücklich genannt werde. Aus Sicht des Verbandes sei bedauerlich, dass die energetische Abfallverwertung bislang nicht als nachhaltige Tätigkeit berücksichtigt wurde, da sie als Schadstoffsenke für gefährliche Stoffe in Abfällen und durch die Rückgewinnung von Metallen einen wichtigen Beitrag zu den Umweltzielen der Taxonomie leiste.

    Der Klima-Thinktank E3G kritisiert in einer Stellungnahme, einige Aktivitäten, die ursprünglich von der Plattform für nachhaltige Finanzen vorgeschlagen wurden, seien nicht in den Kommissionsvorschlag aufgenommen worden. Dazu gehörten insbesondere Sektoren mit hohen Umweltauswirkungen wie Chemikalien, Textilien, Landwirtschaft und Fischerei. “Für diese sollten wissenschaftlich fundierte, ehrgeizige Kriterien entwickelt und in die Taxonomie aufgenommen werden”, schreibt Tsvetelina Kuzmanova von E3G. Ebenso hätten bereits bestehende schwache Kriterien, etwa für den Forstsektor, ebenfalls verbessert werden müssen.

    Die delegierten Rechtsakte werden nun dem Parlament und dem Rat zu einer zweimonatigen Prüfung vorgelegt und treten voraussichtlich ab Januar 2024 in Kraft.

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    Data Act: Parlament und Rat einigen sich im Trilog

    Kurz vor Mitternacht haben Parlament und Rat am Dienstagabend eine Einigung über eine neue Verordnung zu harmonisierten Vorschriften für einen fairen Zugang zu und die faire Nutzung von Daten (Data Act) erzielt. “Die heutige Einigung wird den digitalen Wandel in der Union beschleunigen“, sagte Erik Slottner, schwedischer Minister für öffentliche Verwaltung, voraus. Der Data Act werde zu einem Binnenmarkt für Daten beitragen. Er werde dafür sorgen, dass Daten innerhalb der EU frei fließen können.

    Die vorläufige Einigung muss jetzt noch von Rat und Parlament gebilligt werden. Der kommende spanische Ratsvorsitz plant, den Text den Ständigen Vertretern der Mitgliedstaaten (AStV) so bald wie möglich zur Annahme vorzulegen. Beide Seiten haben sich darauf geeinigt, dass das Gesetz 18 Monate nach der Veröffentlichung in Kraft treten soll.

    Rat setzt sich beim Streitthema Geschäftsgeheimnis durch

    Damian Boeselager (Volt), als Schattenberichterstatter für die Fraktion der Grünen/EFA an den Verhandlungen beteiligt, nannte den Data Act ein wegweisendes Gesetz. “Es wird meiner Überzeugung nach dazu beitragen, Europa in eine Zukunft der digitalen Innovation und des Wettbewerbs zu führen.”

    Allerdings zeigte er sich nicht in allen Punkten zufrieden mit dem erzielten Kompromiss. Beim umstrittenen Thema Geschäftsgeheimnis sprach er von einem Debakel. Es sei den Herstellern gelungen, “mit ihren Heerscharen von Lobbyisten und Anwälten”, einige Rechte zum Teilen von Daten zu verwässern.

    Hersteller können “Notbremse” ziehen

    So sei es zum Beispiel möglich, dass Hersteller unter “außergewöhnlichen Umständen”, in denen die Weitergabe von Geschäftsgeheimnissen zu “schwerwiegenden und nicht wiedergutzumachenden wirtschaftlichen Verlusten” führen könnte, die ihre “wirtschaftliche Lebensfähigkeit” untergraben würde, rechtmäßige Datenanfragen ablehnen. Sie könnten also quasi eine Notbremse ziehen.

    Boeselager hält dies für äußerst bedenklich, da Daten, die Geschäftsgeheimnisse betreffen, ohnehin gesichert werden müssten, bevor sie weitergegeben werden können. “Dies ist ein Schlupfloch, mit dem ich überhaupt nicht einverstanden bin.”

    EVP sieht Verbesserungen im Trilog

    Anders sieht das Christian Ehler (CDU), industrie- und forschungspolitischer Sprecher der EVP-Fraktion: “Der Trilog hat insbesondere Verbesserungen zur Wahrung von Geschäftsgeheimnissen gebracht.” Der Schutz des Eigentums und die Integrität der Daten stehe beim Data Act im Vordergrund.

    Angelika Niebler (CSU), Mitglied im zuständigen Industrieausschuss, ist überzeugt, dass der Data Act Datensilos öffnen und das Teilen von nicht-personenbezogenen Daten grundsätzlich erleichtern werde. “Damit schaffen wir mehr Wettbewerb, denn rund um Daten können sich auf Basis neuer Geschäftsideen neue Dienstleistungen entwickeln, wie zum Beispiel für Reparaturen und Wartungen.”  vis

    Luftreinhaltung: Umweltausschuss will schärfere Grenzwerte

    Der EP-Umweltausschuss (ENVI) will bei der Luftreinhaltungsrichtlinie die Grenzwerte für 2030 gegenüber dem Kommissionsvorschlag verschärfen. Dies gilt für die Luftschadstoffe Feinstaub (PM2,5; PM10), Schwefeldioxid, Nitrogendioxid und Ozon. Außerdem fordert der Ausschuss, dass bei Überarbeitungen der Richtlinie die von der Leitlinie der WHO vorgeschlagenen Grenzwerte eins zu eins umgesetzt werden.

    Der Ausschuss macht sich auch dafür stark, dass es mehr Messpunkte gibt als von der Kommission vorgesehen. Der Bericht von Javi López (S+D) wurde mit 46 zu 41 Stimmen angenommen. Das Plenum wird in der Sitzungswoche im Juli in Straßburg abstimmen, danach kann der Trilog beginnen.

    Schattenberichterstatter Norbert Lins (CDU) will die jetzt geltenden Grenzwerte verschärfen, befürchtet aber, dass bereits die Grenzwerte, die die Kommission vorschlägt, für neue Fahrverbote und Produktionsverbote in der Industrie sorgen würden: “Diese Revision sollte Kosten und Aufwand mit dem Endergebnis abwägen. Anreize statt Verbote sind der richtige Weg.” mgr

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    Handelsabkommen mit Indien gerät in Verzug

    Die Verhandlungen zwischen der EU und Indien kommen nicht schnell genug voran, um wie erhofft bis Jahresende abgeschlossen zu werden. “Wir sind nicht so weit, wie wir sein sollten“, sagte ein EU-Beamter gestern in Brüssel. Beide Seiten träfen sich zwar in hoher Frequenz, die Positionen lägen aber oft noch weit auseinander.

    EU-Kommission und die indische Regierung hatten die zuvor jahrelang ruhende Arbeit an einem Freihandelsabkommen im vergangenen Juni wieder aufgenommen. Die Europäer erhoffen sich von vertieften Handelsbeziehungen auch mehr politischen Einfluss, nachdem sich Neu-Delhi im Ukraine-Krieg neutral positioniert hat. Angesichts der geopolitischen Bedeutung hatte Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen das Ziel ausgegeben, bereits bis Ende dieses Jahres zu einer Einigung zu kommen.

    Die Unterhändler der Kommission waren vergangene Woche zur fünften Verhandlungsrunde nach Neu-Delhi gereist. Bei zwei weniger bedeutenden Teilen des Abkommens sind sich beide Seiten im Grundsatz bereits einig – den Kapiteln zu mittelständischen Unternehmen und zu öffentlicher Beschaffung. Zudem vereinbarten sie, bis Ende Juli Angebote zur Öffnung ihrer Märkte auszutauschen. Hier werde sich hoffentlich zeigen, dass es beide Seiten ernst meinten, hieß es in Brüssel.

    Nachhaltigkeitskapitel als Stolperstein

    Indien sträubt sich traditionell dagegen, seinen Markt für ausländische Exporteure zu öffnen. An diesem Punkt waren auch die 2007 aufgenommen Handelsgespräche mit der EU gescheitert. Ebenfalls große Probleme habe Neu-Delhi mit den Forderungen der Europäer nach einem ehrgeizigen Nachhaltigkeitskapitel, so der EU-Beamte. Die Kommission versucht inzwischen, auch auf Druck des Europaparlaments, in neuen Handelsabkommen weitreichende Verpflichtungen der Partner zum Schutz von Klima und Arbeitnehmerrechten zu verankern. Erster Anwendungsfall ist das Handelsabkommen mit Neuseeland, das die EU-Staaten gestern im Rat absegneten.

    Nicolas Köhler-Suzuki, Forscher am Jacques Delors Institut in Paris, sprach sich dafür aus, den Ansatz im Falle Indiens zu überdenken. Gegenüber kleineren Handelspartnern wie Vietnam oder Südkorea könne die EU ihre Nachhaltigkeitsvorstellungen durchsetzen, nicht aber gegenüber einem wirtschaftlich gewichtigen Land wie Indien, sagte er bei der Vorstellung einer Studie zu den Wirtschaftsbeziehungen zwischen EU und Indien. Zudem sei zweifelhaft, ob das formale Festschreiben von Nachhaltigkeitsverpflichtungen in einem Handelsabkommen viel in der Praxis ändere. Womöglich sei die Wirkung größer, wenn die Partner mehr mit der EU handelten und für die Wareneinfuhr die im Binnenmarkt geltenden Standards erfüllen müssten. tho

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    Migration: Tunesien-Deal erst nach dem Gipfel

    Das geplante Partnerschaftsabkommen mit Tunesien verzögert sich. Ein “Memorandum of Understanding” sei noch nicht fertig und werde auch nicht mehr rechtzeitig zum EU-Gipfel am Donnerstag und Freitag vorliegen, sagte eine Sprecherin der EU-Kommission. Die Gespräche mit der Regierung in Tunis würden erst in der kommenden Woche wieder aufgenommen. Eine Begründung für die Verzögerung nannte die Sprecherin nicht.

    Ursprünglich war geplant, dass Kommissar Olivér Várhelyi den Tunesien-Deal am Dienstag abschließt. Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hatte ihn als “Blaupause” zur Bekämpfung der irregulären Migration bezeichnet. Neben einem Kapitel zur illegalen und legalen Migration soll das Abkommen auch Kapitel zu Handel, Energie und Verkehr enthalten. Zudem sind umfangreiche EU-Finanzhilfen von bis zu einer Milliarde Euro geplant.

    Deutschland und Italien setzen sich für Abkommen ein

    Die Verzögerung ist eine schlechte Nachricht für Deutschland und Italien. Beide Länder hatten sich besonders für den Deal starkgemacht. Italien ist das wichtigste Aufnahmeland für Bootsflüchtlinge aus Tunesien, Deutschland das größte Aufnahmeland für Asylbewerber. Das Abkommen mit Tunesien gilt als wichtige Voraussetzung für den Kompromiss zur europäischen Asyl- und Migrationspolitik, den die EU-Innenminister ausgehandelt hatten. 

    Das Thema Migration steht auch auf der Agenda des EU-Gipfels. Von der Leyen wollte das MoU dort vorstellen und sich grünes Licht für einen Abschluss holen. Stattdessen droht nun Streit über das weitere Vorgehen. ebo

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    DSA: Zalando geht gegen Einstufung als VLOP vor

    Der Onlinehändler Zalando hat gegen die Einstufung als “besonders große Onlineplattform” gemäß Digital Services Act (DSA) Beschwerde beim Europäischen Gericht eingelegt. Das teilte die Firma am Dienstag mit. Das Unternehmen beanstandet die Einstufung aus mehreren Gründen.

    Als Hauptkritikpunkt führt Robert Gentz, Gründer und Co-Geschäftsführer von Zalando, die Einstufung aufgrund der Nutzerzahlen an. Weder gebe es eine eindeutige Methodologie noch standardisierte Kriterien dafür, was “aktive Empfänger des Dienstes” seien, schrieb Gentz auf Linkedin. Zalando habe die Zahl der Besucher seiner Angebote gemeldet. Andere hätten eingeloggte oder gleich gar keine Zahlen geliefert, so Gentz.

    Dadurch habe die Kommission bei ihrer Einstufung als “Very Large Online Platform” (VLOP) nach Meinung von Zalando “auf zufälliger und uneinheitlicher Basis” entschieden. Auffällig war bei der Bekanntgabe etwa, dass kein einziger chinesischer Anbieter – mit Ausnahme von TikTok und AliExpress – die Schwellenwerte für VLOPs überschritten haben will.

    Einziges Unternehmen in Europa, das als VLOP gilt

    Zudem, so argumentiert die Firma, habe die Kommission alle Nutzer gezählt. Dabei würden 64 Prozent der Nutzer über Retail-Drittangebote zugreifen, die nicht Zalando zuzurechnen seien. Daher dürften diese nicht Bestandteil der Einstufung nach DSA sein. Außerdem gehe von Zalando keinerlei “systemische Gefahr” aus.

    Zalando will sein Vorgehen als Kampf gegen überflüssige Bürokratie verstanden wissen. Als einziges als VLOP eingestuftes europäisches Unternehmen würde die Firma der direkten DSA-Aufsicht durch die EU-Kommission unterfallen und zusätzliche Pflichten erfüllen müssen. Das Verfahren vor dem Europäischen Gericht, der unteren der beiden Kammern auf EU-Ebene, dürfte dabei nur der Anfang einer längeren Auseinandersetzung sein. fst

    • Digital Services Act
    • Europäische Kommission
    • Zalando

    Amazon-Klage gegen Bundeskartellamt könnte vor dem EuGH landen

    Der juristische Kampf von Amazon gegen das Bundeskartellamt könnte zunächst den Europäischen Gerichtshof beschäftigen. Das deutete sich am Dienstag vor dem Bundesgerichtshof in Karlsruhe an. Das Bundeskartellamt hatte vor einem Jahr festgestellt, dass Amazon eine “überragende marktübergreifende Bedeutung für den Wettbewerb” zukommt. Dieser Feststellungsbeschluss bildete die Grundlage dafür, dass das Bundeskartellamt seit November 2022 zwei Prüfverfahren betreibt.

    Kartellamts-Chef Andreas Mundt sagte damals, die Behörde untersuche in den beiden Verfahren, “ob und wie Amazon die Geschäftschancen von Händlern, die im Wettbewerb zu Amazons eigenem Handelsgeschäft auf dem Amazon-Marktplatz tätig sind, beeinträchtigt”.

    Amazon: Bundeskartellamt umgeht Europarecht

    Amazon wehrt sich bereits gegen den Feststellungsbeschluss des Bundeskartellamts vom Juli 2022. Nur über den verhandelte der BGH am Dienstag. Der Internethändler, der auch einen Internet-Marktplatz betreibt, wendet unter anderem ein, dass das Bundeskartellamt höherrangiges Europarecht umgangen hat.

    Zuständig für die Amazon-Beschwerde ist in erster und letzter Instanz der BGH in Karlsruhe. Der Kartellsenat des BGH erwägt eine Vorlage an den EuGH in Luxemburg, wie der Vorsitzende des BGH-Kartellsenats Wolfgang Kirchhoff sagte. Gleichzeitig überlege der Kartellsenat, in der Zwischenzeit den nach deutschem Recht zu entscheidenden Teil des Verfahrens weiterzuführen, so Kirchhoff weiter. Der Vorsitzende Richter begründete solch ein bisher einmaliges Parallelverfahren damit, dass das Verfahren so effizienter betrieben werden könnte. Der Anwalt von Amazon, Reiner Hall, zeigte sich überrascht.

    Der BGH will demnächst sowohl über die Vorlage an den EuGH als auch über die Fortsetzung des Verfahrens am BGH entscheiden. Ein Termin, wann diese Zwischenentscheidungen fallen könnte, wurde zunächst nicht mitgeteilt. rtr

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    • Kartellrecht

    E-Evidence: EU-weiter Zugang für Ermittler wird einfacher

    Polizei und Justizbehörden können künftig bei der Verfolgung von Straftaten leichter grenzüberschreitend Zugang zu elektronischen Beweismitteln wie E-Mails oder SMS bekommen. Die EU-Länder verabschiedeten am Dienstag in Brüssel ein entsprechendes Gesetz.

    Nach den neuen Regeln können Justizbehörden elektronische Beweismittel direkt von Telekommunikations- oder Social-Media-Unternehmen mit Sitz in einem anderen EU-Staat anfordern. Diese müssen dann innerhalb von zehn Tagen beziehungsweise im Notfall sogar innerhalb von acht Stunden antworten.

    Anordnung soll Löschen von Beweismitteln verhindern

    Eine sogenannte Sicherungsanordnung soll zudem verhindern, dass Beweismittel durch die Anbieter gelöscht werden. Will jemand seinen Dienst in der EU anbieten, muss ein gesetzlicher Vertreter benannt werden, an den sich die Justizbehörden richten können.

    In mehr als 50 Prozent aller strafrechtlichen Ermittlungen wird den Angaben zufolge ein grenzüberschreitendes Ersuchen für elektronische Beweise gestellt. Bisher war es demnach ein komplizierter Prozess, bei Dienstleistern in einem anderen EU-Land an elektronische Beweise zu kommen. dpa

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    Presseschau

    Das Naturschutzgesetz der EU droht zu scheitern SUEDDEUTSCHE
    Fläche so groß wie die Schweiz – tropischer Urwald zerstört SPIEGEL
    Erste Details nach Einigung der Ampel: Staat fördert klimafreundliche Heizungen mit bis zu 70 Prozent SPIEGEL
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    EU-Staaten bereiten Freihandelsabkommen mit Neuseeland vor NAU
    Kampf gegen Drogen in der EU wird mit neuer Agentur gestärkt N-TV
    36 Mio. Europäer leiden an Long-Covid-Erkrankungen VIENNA
    EU-Rüstungsindustrie möchte als ‘nachhaltig’ eingestuft werden EURACTIV
    Wahlrecht für EU-Parlament soll bleiben FAZ
    Zalando sues EU Commission over online content rules, seen as first challenge REUTERS
    Britische Autobauer bitten EU um Aufschub bei Brexit-Zöllen SPIEGEL
    Fusion von Orange und MásMóvil: EU-Kommission zeigt sich besorgt EURACTIV
    “Seit Jahren steigt der Verpackungsmüll”: Steffi Lemke will Mehrwegpflicht nachschärfen TAGESSPIEGEL
    Gegen grüne “Heuchelei”: Polen baut neuen Großflughafen EURACTIV
    Air pollution: Environment Committee MEPs push for tougher rules EUROPARL
    Reducing pollution in EU groundwater and surface waters EUROPARL
    Canadian wildfire smoke clouds European skies POLITICO
    Neue Befugnisse des Kartellamts: Deutschlands Kontrolle der Digitalkonzerne ist möglich RND

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    Jan-Christoph Oetjen: Europa als Mobilitätsprojekt

    Jan-Christoph Oetjen (FDP) ist Abgeordneter des Europäischen Parlaments und stellvertretender Vorsitzender des Verkehrsausschusses.

    Ob der Sprung aus Rotenburg ins weit entfernte Brüssel schwerfiel? Für Jan-Christoph Oetjen, der seit 2019 für die liberale Fraktion im Europaparlament sitzt, war die Distanz nicht allzu groß: “Hier ist man von der Arbeitsweise her eigentlich dicht an der Kommunalpolitik dran.” Und das ist ganz nach dem Geschmack des 45-Jährigen: “Parteipolitik spielt eine untergeordnete Rolle, es bilden sich immer neue Mehrheiten, man kann kreuz und quer was bewegen.”

    Da sei ein anderes Aufgabenprofil als im Landtag in Niedersachsen gefragt, der von der Spannung zwischen Regierung und Opposition geprägt ist. In diesen Landtag war Oetjen, neben andauerndem kommunalpolitischem Engagement, zwischen 2003 und 2019 dreimal für die FDP wiedergewählt worden.

    Im Mittelpunkt der Debatte um E-Fuels

    Verändert haben sich seit diesen Tagen aber die Dimensionen. Denn das Europaparlament ist, im Vergleich zum niedersächsischen Landtag, “so groß, dass ich mich am Anfang beim Rückweg ins Büro regelrecht verlaufen habe”, wie Oetjen erzählt. Und: Die Tragweite der Entscheidungen sei eine andere. Zuletzt hat er das bei der Frage nach den CO₂-Emissionsnormen für Pkw gespürt, die für ihn, stellvertretender Vorsitzender des Verkehrsausschusses, eine außergewöhnliche Situation dargestellt hat.

    Den Kritikern der E-Fuels entgegnet Oetjen zuerst einmal, dass es stimme, dass Pkw elektrisch am effizientesten betrieben werden können und darum Elektroautos eine zentrale Stellung zukommen wird. Man müsse aber bedenken, dass der Ausbau der betreffenden Infrastruktur nicht nur in Deutschland und Frankreich durchgesetzt werden muss, sondern auch in Nordfinnland, Rumänien, La Réunion. Ob das bis 2035 machbar sei, da ist sich Oetjen nicht sicher.

    Außerdem gibt sich Oetjen skeptisch, inwiefern politisch ausgehandelt werden kann, welche Technologien zukunftsweisend sein werden. E-Fuels werden in jedem Fall weiterproduziert werden, das ist allein durch den Bedarf der Schiff– und Luftfahrt garantiert. Wenn dann einmal ein Angebot für Pkw besteht, das keine Abnehmer findet – etwa wegen zu hoher Kosten oder eines zu geringen Wirkungsgrads – dann wäre das kein Verlust: “Dann ist das keine politische Entscheidung gewesen, dann haben das die Bürger und Bürgerinnen durch ihren Konsum entschieden.”

    Die Mobilität der Zukunft: “Digital, borderless, sustainable”

    Die Grundzüge eines innovativen Verkehrskonzeptes für Europa kann Oetjen auf drei Schlagwörter herunterbrechen: “digital, borderless, sustainable”. Es ist ihm ein großes Anliegen, dass besonders in Fragen der Mobilität das Denken bis an die Landesgrenzen ein Ende nimmt. Hier bestünden Aufgaben, in denen sich zeige, dass in Europa Lücken geblieben seien: “Zwischen Baden-Württemberg und dem Elsass gibt es heute weniger Brücken als vor dem Ersten Weltkrieg, und wo keine Brücken sind, da ist kein Verkehr.”

    Darum zeigt sich Oetjen begeistert für Konzepte, die Tickets für Mobilitätsdienstleistungen über Staatsgrenzen hinweg buchbar machen wollen, in denen vom E-Roller bis zum Fernzug alles in einer App zusammengetragen wird, unabhängig vom Standort. Denn niedrigschwellige Austauschmöglichkeiten seien essenziell für das Gelingen des europäischen Projekts.

    Oetjen selbst wurde mit 13 Jahren mit dem Zug für einen Schüleraustausch nach Frankreich geschickt, ist seitdem bekennender Europäer.  Heute ist er verheiratet mit einer Französin, die Kinder wachsen in zwei Kulturen auf. Der Zukunftsauftrag steht Oetjen klar vor Augen: “Das wird eine der Hauptaufgaben bleiben – Europa zum Leben zu bringen.” Julius Schwarzwälder

    • Mobilität

    Europe.Table Redaktion

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