die Feinde der Demokratie nutzen – immer wieder – demokratische Institutionen in dem Versuch, sie zu zerstören. Falls man die Gedankengänge der AfD nachvollziehen möchte, könnte dies ein Erklärungsversuch sein.
Heftig haben die Delegierten auf dem AfD-Parteitag in Magdeburg über den Kurs der Partei gestritten. Das Lager um Björn Höcke wollte die Forderung durchsetzen, aus der Europäischen Union und der Nato auszutreten. Das gemäßigtere Lager der Partei widersetzte sich. Co-Chefin Alice Weidel hat offenbar über Stunden versucht, einen Kompromiss auszuhandeln.
In diesem bezeichnet die AfD die EU als gescheitertes Projekt und will eine Neugründung als “Bund europäischer Nationen“. Dieses Ziel steht für eine radikale Abkehr von der EU, wie sie Deutschland mitgegründet und seit Jahrzehnten mitgestaltet hat.
Ihren Spitzenkandidaten für die Europawahl, Maximilian Krah, stellte die Partei am vergangenen Wochenende auf. Er ist immer wieder durch rechtsradikale Äußerungen aufgefallen. Insgesamt 35 Kandidaten stehen nun auf der Liste für die Europawahl. In ihren Redebeiträgen demonstrierten Parteimitglieder immer wieder die Anschlussfähigkeit der Partei bis ins rechtsextreme Lager hinein. Mehr dazu lesen Sie im Beitrag meiner Kollegin Franziska Klemenz.
Warum sind Populisten überall in Europa derzeit so erfolgreich? “Weil die demokratischen Kräfte sich nicht ausreichend darauf verständigen, dass die Angst vor dem sozialen Abstieg ein Brandbeschleuniger in dieser Debatte ist”, erklärt Martin Schulz im Interview mit Horand Knaup.
Ich wünsche Ihnen einen guten Start in die Woche.
Herr Schulz, weltweit ist ein Trend hin zu rechtskonservativen bis nationalistischen Mehrheiten zu beobachten. Populisten erobern die Macht, einst konservative Parteien gehen Bündnisse ein, die früher nicht vorstellbar waren. In Deutschland hat sich die AfD fest etabliert. Was ist passiert?
Im Grunde hat es vor 20 Jahren mit Silvio Berlusconi in Italien angefangen und viele wie Viktor Orbán, Boris Johnson, Trump, Bolsonaro, Kaczynski oder Duterte sind ihm gefolgt. Und zwar mit dieser Haltung: Sobald ich eine Mehrheit habe, gehört der Staat mir. Und die, die gegen mich sind, sind keine Wettbewerber, sondern Feinde. Nach dem Motto: Wer nicht mit uns ist, ist gegen uns, und wer gegen uns ist, muss weg. Das ist geradezu faschistoides Denken.
Das sind für Sie keine Demokraten mehr?
Wer so vorgeht, stellt den Grundkonsens der Demokratie in Frage, nämlich, dass der Wähler über den fairen Wettbewerb der Argumente entscheidet. Und dass der, der die Mehrheit hat, auch den Auftrag hat, für die, die ihn nicht gewählt haben, mitzuregieren. Das gelingt nicht immer zu 100 Prozent, ist aber immer demokratischer Grundkonsens gewesen.
Berlusconi hat Sie vor 20 Jahren mit einem KZ-Wächter verglichen. Im Rückblick: Für was stand diese Auseinandersetzung?
Im Grunde war Silvio Berlusconi, damals italienischer Ministerpräsident, ein früher Donald Trump: Gnaden- und hemmungslos im Einreißen aller gesellschaftlichen Konventionen. Er hatte maximale mediale und ökonomische Macht in einer Hand konzentriert – und das wollte er während seiner EU-Präsidentschaft, die damals noch rotierte, auf die europäische Ebene übertragen.
Und das wollten Sie verhindern?
Wir haben uns dem als sozialistische Fraktion entgegengestellt. Das war im Wesentlichen der Inhalt meiner Rede damals im EU-Parlament. Er ist ausgeflippt, weil er plötzlich merkte, dass er in eine Institution kam, in der seine Mechanismen nicht so ohne weiteres wirkten.
Er hätte es wissen können, er war ja vorher auch Europaabgeordneter.
Stimmt. Und trotzdem: Als Ministerpräsident konnte er machen, was er wollte. Aber er merkte jetzt, dass das im Europaparlament nicht funktionierte. Stattdessen stieß er auf eine Opposition, die er in Italien zum damaligen Zeitpunkt nicht hatte.
Ahnten Sie damals, dass Berlusconi einen Trend setzen würde?
Vor 20 Jahren haben viele, auch ich, Berlusconis Vorgehen als einen Frontalangriff auf all das empfunden, was demokratische Kultur ausmacht – die faire Auseinandersetzung in der Sache, den Respekt vor anderen, das Anerkennen von Mehrheiten. Für ihn war das Instrumentalisieren der staatlichen Institutionen, das Durchsetzen der eigenen Interessen selbstverständlich. Das gab damals einen Aufschrei der Empörung, von rechts bis links.
Sie betonen die Vergangenheit?
Damals waren wir uns von links bis rechts einig. Heute reist Manfred Weber als Chef der Europäischen Volkspartei durch Europa und sagt, seid doch froh, dass die Forza Italia in Rom an der Regierung beteiligt ist, das sind doch die Moderaten. Woran man sehen kann, wie sehr sich Europa und die Welt in diesen 20 Jahren verändert haben.
Selbst in Schweden, einem sozialdemokratischen Vorzeigeland, regiert heute eine rechtskonservative Allianz. Wie konnte es dazu kommen?
Moment mal, die Sozialdemokratie ist in Schweden immer noch die mit Abstand stärkste Partei. Es gibt ein Bündnis inklusive der Rechtsextremisten gegen die Linke.
Richtig – und dieses Bündnis stellt die Regierung.
Das ist aber keine Frage an die schwedische Sozialdemokratie, sondern an die Konservativen, an Manfred Weber. Wie kann man eine Partei, die aus dem neofaschistischen Milieu kommt, und das sind die Schwedendemokraten, mit einer solchen Regierungsmacht ausstatten? Das gilt übrigens auch für Finnland. Das wäre nicht nötig. Aber das sind Fragen, die man der EVP stellen muss.
Sie erwarten eine schärfere Abgrenzung?
Eindeutig. Manfred Weber ist dabei, im EU-Parlament eine Situation zu schaffen, die den künftigen Kommissionspräsidenten oder -präsidentin abhängig macht von den Kaczynskis und Orbáns. Das sieht man selbst innerhalb der CDU/CSU mit Sorge. Ich glaube nicht, dass das der Weg ist, den die Unionsparteien in Deutschland gehen wollen. Und wenn sie ihn gehen wollen, kriegen wir einen interessanten Europawahlkampf.
Sie kennen Manfred Weber lange und gut. Warum lässt er heute die Nähe zu, die einst undenkbar gewesen wäre?
Ja, ich kenne ihn lange, und er ist ein respektabler Mann. Aber er ist auf einem falschen Weg. Der Traum, er könne Orbán, Kaczynski und andere wieder in die europäische Politik integrieren, ist unrealistisch. Diese Leute haben zu Europa, wenn überhaupt, kein Werteverhältnis, sondern ein Nutzwerteverhältnis. Die gewinnt man maximal mit Geld, und Orbán erweckt inzwischen den Eindruck, dass auch das ihn nicht mehr interessiert, weil er sich von den Russen und Chinesen rauskaufen lässt. Deshalb ist der Weg von Manfred Weber falsch und ich bin sehr gespannt, wie Frau von der Leyen darauf reagiert.
Woher kommt dieser globale Trend? Wie ist er zu erklären?
Das ist aus meiner Sicht relativ einfach. Die Welt fliegt auseinander, sie ist aus den Fugen. Alles, was wir in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts aufgebaut haben, ist spätestens mit dem Fall des Eisernen Vorhangs ins Wanken geraten. Das anschließende Konstrukt der unipolaren Weltmacht USA hat sich als nicht haltbar erwiesen. Stattdessen haben wir es jetzt mit aufsteigenden Mächten in einer multipolaren Welt zu tun.
Ist das nicht ein bisschen abstrakt?
Nein, wir haben zugleich eine permanente allgemeine Verunsicherung. Alles wird teurer, nichts ist mehr, wie es war; keiner weiß, was werden wird. Das drückt sich aus in diesem Gefühl: Bei mir funktioniert es noch – aber was wird mit meinen Kindern? Klimakrise, Krieg, Hunger, Seuchen, China, Indien, Russland – alles scheint nicht mehr beherrschbar. Ein tiefes Gefühl der Verunsicherung – und das weltweit. Das ist kein isoliert nordeuropäisches Gefühl, es herrscht genauso in Lateinamerika, in Asien, in Afrika vor. Das sind Zeiten, in denen genau die Leute Hochkonjunktur haben, die sagen, wir müssen wieder zum Alten zurück. Oder sie versprechen eine helle Zukunft. Das sind die Verheißungen der Populisten.
Erfahrungsgemäß scheitern Populisten an ihren eigenen Versprechungen. Trump, Johnson, Berlusconi: Sie haben ja keine Erfolgsgeschichten geschrieben, sondern operierten vor allem mit Feindbildern.
Aber es funktioniert. Und das immer wieder aufs Neue.
Warum?
Weil die demokratischen Kräfte sich nicht ausreichend darauf verständigen, dass die Angst vor dem sozialen Abstieg ein Brandbeschleuniger in dieser Debatte ist. In dem Moment, in dem die Politik diese Angst durch konkretes Handeln abmildert, können wir Menschen davor schützen, blind Populisten zu folgen. Das ist Aufgabe und auch Verantwortung von Demokratien und Institutionen.
Einspruch! In Deutschland gab es im vergangenen Jahr milliardenschwere Hilfen, um die Energiekrise abzupuffern, und dennoch steht die AfD bundesweit bei knapp 20 Prozent.
Das eine hat mit dem anderen nichts zu tun. Die Krisen, die nicht eintreten, weil gehandelt wurde, werden auch nicht als solche wahrgenommen. Deshalb hat die Bundesregierung verantwortlich gehandelt. Wenn sie aber in ihrem Handeln auftritt, wie sie auftritt, wird das in keiner Weise klar.
Schwer zu verstehen….
Ich begegne vielen Menschen, die mir sagen, eigentlich macht die Regierung gar nicht so eine schlechte Arbeit. Aber die sind sich ja in nichts einig. In der Politik muss man die Perspektive immer aus dem Status Quo heraus entwickeln, retrospektiv kriegt man nie Lob. Wenn der Status Quo aber zerstritten ist, traut dir keiner eine stabile Zukunft zu. Und deshalb glaube ich, dass der jetzige Höhenflug der AfD in dem Moment vorbei ist, in dem wir zu einem kohärenteren Regierungshandeln kommen. Das allerdings den Grünen und der FDP beizubringen, scheint mir relativ schwierig.
Populisten arbeiten immer mit der Fremdenfeindlichkeit. Und mit einer ausdrücklichen Geringschätzung von Justiz und Gewaltenteilung. Warum findet das so viel Beifall?
Vor Gericht und bei der Gesetzgebungsarbeit im Parlament, an der die AfD ja wie alle populistischen Parteien kaum teilnimmt, musst du zu Fakten Stellung nehmen, du musst belegen, was du behauptest. Und deshalb sind Justiz und Parlamente die Orte, wo sie am wenigsten sein möchten. Weil sie dort gezwungen werden, Farbe zu bekennen und zu belegen, was sie behaupten.
Warum interessiert dieser Umstand den gewöhnlichen AfD-Wähler nicht?
Weil die Abstiegsangst alles überlagert. Und die AfD hat eine Botschaft: Alles Mist – und mehr nicht. Und wenn du das Gefühl hast, alles ist Mist, wählen viele paradoxerweise die, die ihnen das eintrichtern – weil sie gleichzeitig vorgeben, die einzigen zu sein, die diese Probleme ansprechen.
Wie lautet das Rezept gegen eine solch aufgeraute Polarisierung?
Die AfD liegt real bei zehn bis zwölf Prozent und diese Wähler wird sie behalten. Aber ihr Höhenflug wird nicht anhalten. Am Ende einer Legislaturperiode ziehen die Wähler Bilanz und fragen sich, wer uns in den nächsten Jahren führen soll. Und Bilanz und Perspektive hängen zusammen. Du kriegst für eine gute Bilanz kein Lob, aber gegebenenfalls einen Vertrauensvorschuss für die nächste Zeit. Deshalb ist die Regierung gut beraten, die Nerven zu behalten.
Aber ihr stehen harte Zeiten bevor: Im kommenden Jahr drei Landtagswahlen im Osten….
Man wird jedes Land gesondert betrachten müssen. Ich gehe davon aus, dass sich der Wettkampf Ramelow/Höcke wiederholen wird und Bodo Ramelow wird ihn gewinnen. Ich glaube, dass Dietmar Woidke in Brandenburg gute Chancen hat. Und allein diese beiden Konstellationen lassen vermuten, dass es keinen Durchmarsch der AfD gibt. Ich rate dringend dazu, auch aus eigener Erfahrung, demoskopische Höhenflüge nicht überzubewerten.
Wir haben die Polarisierung in ganz Europa – zuletzt in Spanien oder auch in Israel. Wohin führt das noch?
Zu der Erkenntnis, dass die europäische Integration erstaunlich demokratiestabilisierend ist. Das angeblich so undemokratische Europa zwingt aufgrund der transnationalen Kooperation insbesondere im Wirtschaftsbereich zum Einlenken. Schauen wir uns Frau Meloni an seit sie Ministerpräsidentin ist: Sie macht nach innen ein bisschen Rabbatz, aber sie hat eine heftige Opposition gegen sich und einen Staatspräsidenten, der sehr genau auf die Verfassung achtet. Auch auf europäischer Ebene ist sie eine zuverlässige Partnerin. Interessant ist ja auch, dass Marine Le Pen nicht mehr vom Austritt aus dem Euro und Alice Weidel nicht mehr vom Austritt aus der EU redet, sondern höchstens vom Umbau der Europäischen Union. Was immer das heißen mag. Das zeigt mir, die Integration Europas diszipliniert auch Rechtspopulisten.
Die arbeiten dennoch – siehe den AfD-Parteitag – konsequent an einem anderen Europa.
An einem Umbau werden sie scheitern, weil die demokratischen Kräfte in Europa zum Glück immer noch klar in der Mehrheit sind. Diese Kräfte müssen allerdings noch kämpferischer und lauter werden. Auch in Deutschland, nicht nur aufgrund des aktuellen Höhenflugs der AfD, sondern auch wenn man sich genau diesen Parteitag anschaut. Dort sind rechtsextreme Aussagen gefallen, die dürfen wir als Demokratinnen und Demokraten nicht stehen lassen oder tolerieren. Das ist eine europäische, nationale, vor allem aber gesellschaftliche Aufgabe, die uns alle angeht.
Das ungekürzte Interview lesen Sie hier.
Der Referentenentwurf für das Digitale-Dienste-Gesetz hätte eigentlich schon im Frühjahr kommen sollen. Jetzt hat das Bundesministerium für Digitales und Verkehr ihn vorgelegt. Mit ihm wird zum einen die Struktur der Aufsicht über die Maßgaben des Digital Services Act (DSA) in Deutschland klarer. Und wie erwartet, soll die Bundesnetzagentur unter ihrem jetzigen Präsidenten Klaus Müller die Rolle des Digital Services Coordinator (DSC) übernehmen. Damit rechnete auch die Bundesnetzagentur (BNetzA) selbst.
Allerdings war die Zuweisung der Kompetenz an die frühere Regulierungsbehörde für Post und Telekommunikation umstritten. Zum einen gibt es Bedenken seitens der Bundesländer, da es sich bei den Regularien des DSA teilweise um Medienregulierung handelt. Hier liegt die Kompetenz im föderalen Miteinander der Bundesrepublik unstrittig bei den Ländern. Zugleich müssen weite Teile der DSA-Aufsicht staatsfern organisiert sein. Die Bundesnetzagentur als nachgeordnete Behörde des BMWK mit teilweiser Fachaufsicht auch durch das BMDV erfüllte diese Voraussetzungen bislang nicht vollständig.
Zwar muss die Bundesnetzagentur auch in anderen Bereichen wie dem Energiemarkt wegen europäischer Vorgaben unabhängiger von politischen Erwägungen werden. Allerdings sind die Anforderungen für den DSC noch schärfer formuliert: Völlig unabhängig müsse die Aufsicht sein, vergleichbar also am ehesten mit den Datenschutzaufsichtsbehörden.
Im Digitale-Dienste-Gesetz-Entwurf findet sich hierzu nun ein Modell, bei dem die Koordinierungsstelle zwar bei der Bundesnetzagentur angesiedelt wird, in den Kernfragen des DSA jedoch sogar unabhängig vom BNetzA-Präsidenten agieren darf.
Der Bundesminister für Digitales, Volker Wissing, erklärte dazu: “Mit der Bundesnetzagentur schaffen wir eine starke Plattformaufsicht, um die neuen Verpflichtungen für Onlinedienste auch in Deutschland konsequent durchzusetzen. Damit nehmen wir die Plattformbetreiber stärker in die Pflicht, rechtswidrige Inhalte zu bekämpfen.”
Im Entwurf des Digitale-Dienste-Gesetzes sind für einige Aufgaben jedoch andere zuständige Stellen vorgesehen. Diese Möglichkeit eröffnet der DSA ausdrücklich, auch wenn jedes Land am Ende nur eine Stelle zum DSA-Koordinator erheben kann. So sollen die Vorschriften zur datenbasierten Onlinewerbung etwa vom Bundesbeauftragten für den Datenschutz durchgesetzt werden, um hier Kohärenz mit dem eigentlichen Datenschutzrecht zu erzielen. Und die für Onlinekriminalität zuständigen Stellen beim Bundeskriminalamt sollen deutlich aufgestockt werden, um die DSA-Durchsetzung im strafrechtlichen Bereich zu realisieren.
Streit gibt es aber wenige Stunden nach der offiziellen Vorstellung des Referentenentwurfs bereits zu einem anderen Punkt: Die Durchsetzung der Jugendschutzvorschriften soll, so der Referentenentwurf, durch das Bundeszentrum für Kinder- und Jugendmedienschutz (BzKJ, früher BPjM und davor Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften) durchgeführt werden. Doch nicht nur für Medienregulierung, auch für Jugendschutz sind in der Bundesrepublik grundsätzlich die Länder zuständig.
Diese Aufgabenverteilung sei verfassungsrechtlich festgeschrieben und könne nicht durch “ein beliebiges Gesetz” ignoriert werden, mahnt der Vorsitzende der nordrhein-westfälischen Landesanstalt für Medien, Tobias Schmid. “Die aktuelle Regelung übersieht das Gebot der Staatsferne für die Aufsicht über Medieninhalte, aber vor allem schwächt sie den Schutz von Kindern und Jugendlichen im Netz. Die Medienanstalten der Länder haben in diesem Feld in Europa schließlich eine klare Vorreiterrolle, wie die Verfahren gegen Pornhub und andere zuletzt gezeigt haben.”
Der LfM-Vorsitzende Schmid sieht hier dringenden Klärungsbedarf: “Warum das Bundesministerium für Digitales und Verkehr diese Vorgabe in seinem Entwurf nicht umsetzt, ist hinreichend unklar, um den Begriff ‘unsinnig’ zu vermeiden.”
Dass das deutsche Netzwerkdurchsetzungsgesetz durch den DSA abgelöst wird, ist lange beschlossene Sache. Allerdings ist unklar, wie diese Änderung auch sachlich und strukturell vollzogen wird: Bereits seit Monaten laufen dazu die Gespräche zwischen BMJ und BMDV.
Für das NetzDG war das Bundesamt für Justiz die zuständige Stelle. Wohin dessen Aufgaben wandern, die insbesondere die systemischen Risiken und die Vorschriften zur Inhaltemoderation betreffen, kann das BMDV laut eigener Auskunft derzeit jedoch noch nicht beantworten.
In ungewohnter Einigkeit zeigen sich die sonst oft widerstreitenden Akteure in der Wirtschaft und im Verbraucherschutz. Ramona Pop, Vorständin des Verbraucherzentrale Bundesverbands, warnt vor einem drohenden “Behörden-Ping-Pong”. Der Bitkom warnt ebenfalls. Regulierte Unternehmen müssten einen festen bundeseinheitlichen Gesprächspartner haben und sich auf verbindliche Aussagen verlassen können, ohne gleichzeitig mehrere Aufsichtsbehörden adressieren zu müssen. “Eine umfangreiche Einbeziehung vieler Behörden, die nebeneinander im gleichen Regulierungsfeld tätig werden, wird zu einer erheblichen Zersplitterung führen, was wiederum einen großen Koordinierungsaufwand mit sich bringen wird”, erklärt Lina Wöstmann, Referentin Medienpolitik und Plattformen beim IT-Verband.
“Die Liste der Behörden, die neben dem DSC für Teile des DSA zuständig sind, sollte keinesfalls ausgeweitet werden”, meint auch Julian Jaursch von der Stiftung Neue Verantwortung. “Sonst drohen ein Wirrwarr an Zuständigkeiten und kostspielige Doppelstrukturen.” Er fürchtet, dass damit sowohl die DSA-Anwendung in Deutschland geschwächt würde als auch die Einflussmöglichkeiten Deutschlands im zuständigen Ausschuss der Digitale-Dienste-Koordinatioren auf EU-Ebene.
Der Verband der Internetwirtschaft Eco begrüßt zwar die Überarbeitung des Telemediengesetzes durch das Digitale-Dienste-Gesetz und die Aufhebung des NetzDG. “Die Anwendung und das für den 17. Februar 2024 geplante Inkrafttreten halte ich jedoch für mehr als ambitioniert”, sagt Eco-Vorstand Oliver Süme. “Für eine sachgerechte Planung, Umsetzung und Abstimmung der Bestimmungen brauchen die Unternehmen definitiv mehr Zeit.”
Der enge Zeitplan, der aus den Vorgaben des Digital Services Act resultiert, wird allerdings kaum angefasst werden: Das deutlich verspätete Digitale-Dienste-Gesetz muss rechtzeitig bis zum Februar ausgefertigt und verkündigt sein – allen Umständen wie verfassungsgerichtlich angemahnten angemessenen Beratungszeiten für Bundestagsabgeordnete zum Trotz.
Die Bundesregierung will die Förderung für die Batterieproduktion in Deutschland beschleunigen. Noch im Sommer werde das Wirtschaftsministerium unter Minister Robert Habeck eine neue Förderrichtlinie zur Stärkung der Batterie-Wertschöpfungskette veröffentlichen, sagte eine Sprecherin am Wochenende zu Table.Media. Mit der geplanten Finanzhilfe für Batteriekomponenten will das Wirtschaftsministerium zum ersten Mal einen neuen Förderrahmen anwenden, der am Freitag im Bundesanzeiger veröffentlicht wurde.
Auf Grundlage der neuen Bundesregelung Transformationstechnologien können Bund und Länder Förderprogramme auflegen und Anträge bewilligen, die nicht mehr einzeln und zeitaufwendig von der EU-Kommission genehmigt werden müssen. “Das spart sehr viel Zeit und baut Bürokratie ab”, heißt es in einer Mitteilung, die das Ministerium am Montag veröffentlichen will und die Table.Media vorab vorlag.
Mit der Bundesregelung Transformationstechnologien setzt das Wirtschaftsministerium den befristeten Beihilferahmen TCTF in nationales Recht um, den die EU als Reaktion auf den Wirtschaftseinbruch in Folge des Ukrainekrieges beschlossen hatte. Mit der Diskussion um den amerikanischen Inflation Reduction Act war er im März erweitert worden, um auch den Aufbau von Produktionskapazitäten für grüne Technologien zu fördern. Außer Batterien sind dies Wärmepumpen, Solarpaneele, Windturbinen, Elektrolyseure für die Wasserstoffproduktion sowie Ausrüstung für die Abscheidung, Nutzung und Speicherung von CO2.
Schlüsselkomponenten für die Produktion von Batterien sind nach der Bundesregelung Transformationstechnologien etwa Anoden und Kathoden, bestimmte Chemikalien sowie der Maschinen- und Anlagenbau. Neben dem Batterieprogramm seien weitere nationale Förderrichtlinien bereits in Arbeit, sagte die Sprecherin des Wirtschaftsministeriums. Das gesamte Fördervolumen könnte sich nach einer Schätzung vom Mai auf drei Milliarden Euro belaufen. Für Batteriekomponenten war nach einer älteren Veröffentlichung des Ministeriums allein eine Milliarde Euro vorgesehen.
Die Batterierichtlinie wird voraussichtlich den Abfluss von Fördermitteln beschleunigen, denn sie ersetzt eine ältere Förderankündigung (EuBatIn) auf Basis des europäischen IPCEI-Programms. Dafür hatte das BMWK Anfang des Jahres bereits ein Interessenbekundungsverfahren in der Industrie durchgeführt.
“Eine Erweiterung des Batterie-IPCEI verfolgen wir nicht mehr und werden stattdessen das TCTF nutzen”, sagte die Ministeriumssprecherin. Grund dürfte sein, dass IPCEI-Genehmigungen zeitintensiv und mit höheren Anforderungen verbunden sind. ber/mkr
Das Deutsche Institut für Urbanistik (Difu) hat gemeinsam mit 23 deutschen Städten, einer Region und der Bertelsmann Stiftung eine partizipative Studie begonnen, um Kommunen bei der Strategiefindung für die Kreislaufwirtschaft zu unterstützen. Mit dem Projekt “Kreislaufstadt – Chancen für lokale und regionale Resilienz & Wertschöpfung” sollen Kommunen auf Grundlage der politischen und rechtlichen Rahmenbedingungen eigene Strategien entwickeln. Das Projekt läuft bis Februar 2025.
Die Anforderungen an Kommunen, sich strategisch und konzeptionell mit der Kreislaufwirtschaft auseinanderzusetzen, steigen laut dem Difu stetig. Dazu gehören die neuen gesetzlichen Vorgaben im Rahmen des EU Green Deals, etwa der Circular Economy Action Plan oder die geplante Kreislaufwirtschaftsstrategie der Bundesregierung. Durch die EU-Taxonomie und die neuen ESG-Berichtspflichten im Rahmen der Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD), die jeweils den Übergang zu einer Kreislaufwirtschaft als Ziel vorgeben, würden neue Beratungsaufgaben für die Wirtschaftsförderungen der Kommunen und Regionen entstehen. leo
Der ukrainische Präsident hat eine neue Runde der institutionellen “Säuberung” angekündigt. “Wer auch immer eine Funktion ausübt, ein Militärkommissar, ein Abgeordneter oder ein Beamter, jeder darf nur für die Interessen des Staates arbeiten”, sagte Präsident Wolodymyr Selenskyj in seiner abendlichen Ansprache. Kommende Woche werde man die Arbeit fortsetzen. “Wir werden die staatlichen Einrichtungen von all denen säubern, die versucht haben, alte Gewohnheiten und Schemata zu übernehmen, die die Ukraine jahrzehntelang geschwächt haben.”
Selenskyj nannte keine Einzelheiten, wer das Ziel sein könnte. Erst kürzlich hat er jedoch seine Empörung über die bei einer Prüfung der ukrainischen Rekrutierungszentren aufgedeckte Korruption geäußert. Der ukrainische Präsident geht verstärkt gegen Korruption vor, um die Verhandlungen über einen Beitritt zur Europäischen Union (EU) und zur NATO voranzutreiben. rtr
Chinas Außenminister Wang Yi hat den Außenbeauftragten der Europäischen Union, Josep Borrell und seine Delegation zu einem Besuch im Herbst eingeladen. Der Besuch Borrells werde es ermöglichen, Vorbereitungen für ein Gipfeltreffen der Staats- und Regierungschefs zu treffen, das noch in diesem Jahr stattfinden soll, wurde Wang in einer Erklärung des Außenministeriums zitiert. Die beiden führten ein Telefongespräch.
Borrell sollte im vergangenen Monat Peking besuchen und den damaligen Außenminister Qin Gang und andere hochrangige Beamte treffen. Peking verschob die Reise. Später im Juli enthob das oberste gesetzgebende Organ Pekings Qin seines Amtes und setzte seinen Vorgänger Wang wieder ein.
Wang und Borrell tauschten sich auch über regionale Themen wie die Ukraine und Niger aus, heißt es in der Erklärung. bloomberg
Mitte Juli stellte die Kommission ihr Maßnahmenpaket für einen nachhaltigen europäischen Güterverkehr vor. In der Branche wurde der Vorstoß mit großer Spannung erwartet, denn angesichts steigender Transportbedarfe in der Zukunft ist klar: Es ist höchste Zeit, die Dekarbonisierung im Güterverkehr jetzt voranzutreiben. Gelingt dies nicht, droht die Europäische Union mit ihrem selbsterklärten Ziel der Klimaneutralität bis 2050 zu scheitern.
Noch immer werden mehr als 50 Prozent des europäischen Güterverkehrs auf der Straße transportiert – eine Belastung nicht nur für das Klima, sondern auch für die Infrastruktur. Aktuelle Zahlen aus Brüssel belegen: Von den gesamten Treibhausgasemissionen der EU entfallen 25 Prozent auf den Verkehrssektor – jedoch nur 0,4 Prozent auf den Schienenverkehr. An dieser Realität kommt niemand vorbei. Die Botschaft der EU-Kommission fiel dementsprechend deutlich aus: Es bedarf einer stärkeren Fokussierung auf den Schienengüterverkehr in ganz Europa.
Einen weiteren Schlüssel zur Dekarbonisierung des Güterverkehrs sieht die EU-Kommission im Kombinierten Verkehr (KV). Die Verkehrsträger Schiene, Straße und Wasserstraße miteinander zu kombinieren hat dabei nicht nur ökologische Vorteile. Auch (volks-)wirtschaftliche Faktoren sprechen für die Nutzung intermodaler Verkehrslösungen. Bereits 2030 sollen 21 Milliarden Tonnenkilometer über den Kombinierten Verkehr abgewickelt werden, bis 2050 sollen es dann 26 Milliarden Tonnenkilometern sein.
Durch die verstärkte Verlagerung von Güterverkehr auf die Schiene können im Vergleich zum Straßentransport große Mengen CO₂ eingespart werden. Laut dem IFEU-Institut Heidelberg beläuft sich der Wert pro Tonne und Kilometer auf 54 Gramm CO₂.
Durch die bessere und effektivere Verteilung des Güterverkehrs auf verschiedene Infrastrukturen kommt es zu einer Entlastung auf Straßen und Autobahnen. Auf diese Weise wird das Verkehrsaufkommen deutlich reduziert und es gibt weniger Staus. Damit der Kombinierte Verkehr in Europa zum von der EU-Kommission gewünschten Erfolgsmodell werden kann, müssen allerdings in den weiteren Gesetzgebungsprozessen zur Umsetzung des Maßnahmenpakets folgende fünf Maßnahmen ergriffen werden.
Erstens kann der Schienengüterverkehr sein volles Potenzial nur dann entfalten, wenn unter allen Playern ein “gesunder” Wettbewerb herrscht. Die Schaffung fairer Rahmenbedingungen für alle Marktteilnehmer ist die Basis für erfolgreichen und wirksamen Wettbewerb. Nur so kann sich ein finanziell attraktiver und umweltschonender Schienengüterverkehr etablieren, der in ernsthafte Konkurrenz zur Straße und zum internationalen Wettbewerb auf der Schiene treten kann. Denn solange der Straßentransport mit fossilen Kraftstoffen die deutlich günstigere Option ist, wird es zu keiner großflächigen Umstellung von Logistikketten kommen.
Unverständlicherweise bleibt der Vorschlag der EU-Kommission ausgerechnet in dieser Hinsicht deutlich hinter den Erwartungen zurück. Statt die Verkehrswende jetzt voranzutreiben, setzt der Vorschlag kurzfristig neue Anreize für den Transport per Lkw, denn das zulässige Gesamtgewicht für modulare Lkw in grenzüberschreitenden Transporten soll künftig auf 44 Tonnen erhöht werden. Erst ab 2035 müssen diese Transporte dann emissionsfrei erfolgen, was weitere zwölf Jahre Wachstum des Verkehrs mit Diesel-Lkw bedeutet.
Die Konsequenz ist kontraproduktiv: Die Kosten für solche Lkw-Transporte würden dadurch pro Tonne zunächst sinken, im äußerst preissensitiven Güterverkehr führen solche Signale jedoch zu unmittelbaren Reaktionen. Die Waren würden so wieder verstärkt auf der Straße transportiert werden. An dieser Stelle wünschen wir uns mehr Mut für eine größere Ambition, mit der wir die Zukunft des Güterverkehrs in Europa gestalten.
Zweitens bedarf es europaweit neuer und digitalisierter Umschlagterminals. Denn nur mit zusätzlichen Zugangspunkten zum Schienennetz kann ein Wachstum auf der Schiene ermöglicht werden. Darüber hinaus muss die Schieneninfrastruktur in der Fläche weiter ausgebaut werden, um Kapazitätsengpässe zu vermeiden. Investitionen in den Neubau und die Instandhaltung von Gleisanschlüssen sowie den Ausbau von Korridoren sind für eine langfristig erfolgreiche Verlagerung von der Straße auf die Schiene unumgänglich.
Drittens müssen flächendeckende Lösungen für die Bahnverladung von nicht kranbaren Sattelaufliegern gefunden werden. In Europa werden Gütertransporte hauptsächlich mit Trailern verschiedener Bauarten durchgeführt, die aber nur zu einem sehr geringen Teil – etwa fünf Prozent – für den Kombinierten Verkehr (KV) tauglich sind. Dieser Rückstand stellt die größte Hürde für durchlässige Transporte dar. Umso dringender braucht es europaweite gesetzliche Regelungen für einheitliche Standards in der Technik, um diese Sattelauflieger für die Standardumschlagprozesse im KV bahnfähig zu machen. Insbesondere die Zulassung des sogenannten “Lang-Lkw” sollte nur in Verbindung mit einer entsprechenden Standardisierung der Trailer erfolgen.
Viertens muss die Einführung der Digitalen Automatischen Kupplung (DAK) europaweit forciert werden. Die DAK hat enormes Potenzial, den Schienengüterverkehr effizienter und so wettbewerbsfähiger zu machen. Alle EU-Mitgliedstaaten müssen die entsprechenden Voraussetzungen schaffen, damit die Innovation grenzübergreifend genutzt werden kann.
Fünftens bedarf es einer Vereinfachung der Regulatorik. Planung und Durchführung des grenzüberschreitenden Güterverkehrs innerhalb Europas ist kompliziert und muss drastisch vereinfacht werden. Hierfür ist eine europaweite Harmonisierung der gesetzlichen Vorschriften und Regularien notwendig. Dazu zählen zum Beispiel die Digitalisierung der Frachtpapiere, die Einführung einer gemeinsamen Verkehrssprache sowie ein einheitlicher Rechtsrahmen.
Es bleibt zu wünschen, dass das Europäische Parlament und der Rat der Europäischen Union in den kommenden Monaten in diesen fünf Handlungsfeldern tätig werden. Sie müssen dafür Sorge tragen, dass aus gut gemeinten Ideen der Kommission keine hinderlichen Gesetze für den KV werden. Es bedarf mutiger Entscheidungen und großer Anstrengungen, um das Ruder für den nachhaltigen Schienengüterverkehr noch herumzureißen.
Sven Wellbrock ist Chief Operating Officer Europe und Chief Safety Officer bei VTG. Das Hamburger Unternehmen ist Eisenbahngüterwagen-Vermieter und Schienenlogistiker und verfügt über mehr als 88.000 Eisenbahngüterwagen.
die Feinde der Demokratie nutzen – immer wieder – demokratische Institutionen in dem Versuch, sie zu zerstören. Falls man die Gedankengänge der AfD nachvollziehen möchte, könnte dies ein Erklärungsversuch sein.
Heftig haben die Delegierten auf dem AfD-Parteitag in Magdeburg über den Kurs der Partei gestritten. Das Lager um Björn Höcke wollte die Forderung durchsetzen, aus der Europäischen Union und der Nato auszutreten. Das gemäßigtere Lager der Partei widersetzte sich. Co-Chefin Alice Weidel hat offenbar über Stunden versucht, einen Kompromiss auszuhandeln.
In diesem bezeichnet die AfD die EU als gescheitertes Projekt und will eine Neugründung als “Bund europäischer Nationen“. Dieses Ziel steht für eine radikale Abkehr von der EU, wie sie Deutschland mitgegründet und seit Jahrzehnten mitgestaltet hat.
Ihren Spitzenkandidaten für die Europawahl, Maximilian Krah, stellte die Partei am vergangenen Wochenende auf. Er ist immer wieder durch rechtsradikale Äußerungen aufgefallen. Insgesamt 35 Kandidaten stehen nun auf der Liste für die Europawahl. In ihren Redebeiträgen demonstrierten Parteimitglieder immer wieder die Anschlussfähigkeit der Partei bis ins rechtsextreme Lager hinein. Mehr dazu lesen Sie im Beitrag meiner Kollegin Franziska Klemenz.
Warum sind Populisten überall in Europa derzeit so erfolgreich? “Weil die demokratischen Kräfte sich nicht ausreichend darauf verständigen, dass die Angst vor dem sozialen Abstieg ein Brandbeschleuniger in dieser Debatte ist”, erklärt Martin Schulz im Interview mit Horand Knaup.
Ich wünsche Ihnen einen guten Start in die Woche.
Herr Schulz, weltweit ist ein Trend hin zu rechtskonservativen bis nationalistischen Mehrheiten zu beobachten. Populisten erobern die Macht, einst konservative Parteien gehen Bündnisse ein, die früher nicht vorstellbar waren. In Deutschland hat sich die AfD fest etabliert. Was ist passiert?
Im Grunde hat es vor 20 Jahren mit Silvio Berlusconi in Italien angefangen und viele wie Viktor Orbán, Boris Johnson, Trump, Bolsonaro, Kaczynski oder Duterte sind ihm gefolgt. Und zwar mit dieser Haltung: Sobald ich eine Mehrheit habe, gehört der Staat mir. Und die, die gegen mich sind, sind keine Wettbewerber, sondern Feinde. Nach dem Motto: Wer nicht mit uns ist, ist gegen uns, und wer gegen uns ist, muss weg. Das ist geradezu faschistoides Denken.
Das sind für Sie keine Demokraten mehr?
Wer so vorgeht, stellt den Grundkonsens der Demokratie in Frage, nämlich, dass der Wähler über den fairen Wettbewerb der Argumente entscheidet. Und dass der, der die Mehrheit hat, auch den Auftrag hat, für die, die ihn nicht gewählt haben, mitzuregieren. Das gelingt nicht immer zu 100 Prozent, ist aber immer demokratischer Grundkonsens gewesen.
Berlusconi hat Sie vor 20 Jahren mit einem KZ-Wächter verglichen. Im Rückblick: Für was stand diese Auseinandersetzung?
Im Grunde war Silvio Berlusconi, damals italienischer Ministerpräsident, ein früher Donald Trump: Gnaden- und hemmungslos im Einreißen aller gesellschaftlichen Konventionen. Er hatte maximale mediale und ökonomische Macht in einer Hand konzentriert – und das wollte er während seiner EU-Präsidentschaft, die damals noch rotierte, auf die europäische Ebene übertragen.
Und das wollten Sie verhindern?
Wir haben uns dem als sozialistische Fraktion entgegengestellt. Das war im Wesentlichen der Inhalt meiner Rede damals im EU-Parlament. Er ist ausgeflippt, weil er plötzlich merkte, dass er in eine Institution kam, in der seine Mechanismen nicht so ohne weiteres wirkten.
Er hätte es wissen können, er war ja vorher auch Europaabgeordneter.
Stimmt. Und trotzdem: Als Ministerpräsident konnte er machen, was er wollte. Aber er merkte jetzt, dass das im Europaparlament nicht funktionierte. Stattdessen stieß er auf eine Opposition, die er in Italien zum damaligen Zeitpunkt nicht hatte.
Ahnten Sie damals, dass Berlusconi einen Trend setzen würde?
Vor 20 Jahren haben viele, auch ich, Berlusconis Vorgehen als einen Frontalangriff auf all das empfunden, was demokratische Kultur ausmacht – die faire Auseinandersetzung in der Sache, den Respekt vor anderen, das Anerkennen von Mehrheiten. Für ihn war das Instrumentalisieren der staatlichen Institutionen, das Durchsetzen der eigenen Interessen selbstverständlich. Das gab damals einen Aufschrei der Empörung, von rechts bis links.
Sie betonen die Vergangenheit?
Damals waren wir uns von links bis rechts einig. Heute reist Manfred Weber als Chef der Europäischen Volkspartei durch Europa und sagt, seid doch froh, dass die Forza Italia in Rom an der Regierung beteiligt ist, das sind doch die Moderaten. Woran man sehen kann, wie sehr sich Europa und die Welt in diesen 20 Jahren verändert haben.
Selbst in Schweden, einem sozialdemokratischen Vorzeigeland, regiert heute eine rechtskonservative Allianz. Wie konnte es dazu kommen?
Moment mal, die Sozialdemokratie ist in Schweden immer noch die mit Abstand stärkste Partei. Es gibt ein Bündnis inklusive der Rechtsextremisten gegen die Linke.
Richtig – und dieses Bündnis stellt die Regierung.
Das ist aber keine Frage an die schwedische Sozialdemokratie, sondern an die Konservativen, an Manfred Weber. Wie kann man eine Partei, die aus dem neofaschistischen Milieu kommt, und das sind die Schwedendemokraten, mit einer solchen Regierungsmacht ausstatten? Das gilt übrigens auch für Finnland. Das wäre nicht nötig. Aber das sind Fragen, die man der EVP stellen muss.
Sie erwarten eine schärfere Abgrenzung?
Eindeutig. Manfred Weber ist dabei, im EU-Parlament eine Situation zu schaffen, die den künftigen Kommissionspräsidenten oder -präsidentin abhängig macht von den Kaczynskis und Orbáns. Das sieht man selbst innerhalb der CDU/CSU mit Sorge. Ich glaube nicht, dass das der Weg ist, den die Unionsparteien in Deutschland gehen wollen. Und wenn sie ihn gehen wollen, kriegen wir einen interessanten Europawahlkampf.
Sie kennen Manfred Weber lange und gut. Warum lässt er heute die Nähe zu, die einst undenkbar gewesen wäre?
Ja, ich kenne ihn lange, und er ist ein respektabler Mann. Aber er ist auf einem falschen Weg. Der Traum, er könne Orbán, Kaczynski und andere wieder in die europäische Politik integrieren, ist unrealistisch. Diese Leute haben zu Europa, wenn überhaupt, kein Werteverhältnis, sondern ein Nutzwerteverhältnis. Die gewinnt man maximal mit Geld, und Orbán erweckt inzwischen den Eindruck, dass auch das ihn nicht mehr interessiert, weil er sich von den Russen und Chinesen rauskaufen lässt. Deshalb ist der Weg von Manfred Weber falsch und ich bin sehr gespannt, wie Frau von der Leyen darauf reagiert.
Woher kommt dieser globale Trend? Wie ist er zu erklären?
Das ist aus meiner Sicht relativ einfach. Die Welt fliegt auseinander, sie ist aus den Fugen. Alles, was wir in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts aufgebaut haben, ist spätestens mit dem Fall des Eisernen Vorhangs ins Wanken geraten. Das anschließende Konstrukt der unipolaren Weltmacht USA hat sich als nicht haltbar erwiesen. Stattdessen haben wir es jetzt mit aufsteigenden Mächten in einer multipolaren Welt zu tun.
Ist das nicht ein bisschen abstrakt?
Nein, wir haben zugleich eine permanente allgemeine Verunsicherung. Alles wird teurer, nichts ist mehr, wie es war; keiner weiß, was werden wird. Das drückt sich aus in diesem Gefühl: Bei mir funktioniert es noch – aber was wird mit meinen Kindern? Klimakrise, Krieg, Hunger, Seuchen, China, Indien, Russland – alles scheint nicht mehr beherrschbar. Ein tiefes Gefühl der Verunsicherung – und das weltweit. Das ist kein isoliert nordeuropäisches Gefühl, es herrscht genauso in Lateinamerika, in Asien, in Afrika vor. Das sind Zeiten, in denen genau die Leute Hochkonjunktur haben, die sagen, wir müssen wieder zum Alten zurück. Oder sie versprechen eine helle Zukunft. Das sind die Verheißungen der Populisten.
Erfahrungsgemäß scheitern Populisten an ihren eigenen Versprechungen. Trump, Johnson, Berlusconi: Sie haben ja keine Erfolgsgeschichten geschrieben, sondern operierten vor allem mit Feindbildern.
Aber es funktioniert. Und das immer wieder aufs Neue.
Warum?
Weil die demokratischen Kräfte sich nicht ausreichend darauf verständigen, dass die Angst vor dem sozialen Abstieg ein Brandbeschleuniger in dieser Debatte ist. In dem Moment, in dem die Politik diese Angst durch konkretes Handeln abmildert, können wir Menschen davor schützen, blind Populisten zu folgen. Das ist Aufgabe und auch Verantwortung von Demokratien und Institutionen.
Einspruch! In Deutschland gab es im vergangenen Jahr milliardenschwere Hilfen, um die Energiekrise abzupuffern, und dennoch steht die AfD bundesweit bei knapp 20 Prozent.
Das eine hat mit dem anderen nichts zu tun. Die Krisen, die nicht eintreten, weil gehandelt wurde, werden auch nicht als solche wahrgenommen. Deshalb hat die Bundesregierung verantwortlich gehandelt. Wenn sie aber in ihrem Handeln auftritt, wie sie auftritt, wird das in keiner Weise klar.
Schwer zu verstehen….
Ich begegne vielen Menschen, die mir sagen, eigentlich macht die Regierung gar nicht so eine schlechte Arbeit. Aber die sind sich ja in nichts einig. In der Politik muss man die Perspektive immer aus dem Status Quo heraus entwickeln, retrospektiv kriegt man nie Lob. Wenn der Status Quo aber zerstritten ist, traut dir keiner eine stabile Zukunft zu. Und deshalb glaube ich, dass der jetzige Höhenflug der AfD in dem Moment vorbei ist, in dem wir zu einem kohärenteren Regierungshandeln kommen. Das allerdings den Grünen und der FDP beizubringen, scheint mir relativ schwierig.
Populisten arbeiten immer mit der Fremdenfeindlichkeit. Und mit einer ausdrücklichen Geringschätzung von Justiz und Gewaltenteilung. Warum findet das so viel Beifall?
Vor Gericht und bei der Gesetzgebungsarbeit im Parlament, an der die AfD ja wie alle populistischen Parteien kaum teilnimmt, musst du zu Fakten Stellung nehmen, du musst belegen, was du behauptest. Und deshalb sind Justiz und Parlamente die Orte, wo sie am wenigsten sein möchten. Weil sie dort gezwungen werden, Farbe zu bekennen und zu belegen, was sie behaupten.
Warum interessiert dieser Umstand den gewöhnlichen AfD-Wähler nicht?
Weil die Abstiegsangst alles überlagert. Und die AfD hat eine Botschaft: Alles Mist – und mehr nicht. Und wenn du das Gefühl hast, alles ist Mist, wählen viele paradoxerweise die, die ihnen das eintrichtern – weil sie gleichzeitig vorgeben, die einzigen zu sein, die diese Probleme ansprechen.
Wie lautet das Rezept gegen eine solch aufgeraute Polarisierung?
Die AfD liegt real bei zehn bis zwölf Prozent und diese Wähler wird sie behalten. Aber ihr Höhenflug wird nicht anhalten. Am Ende einer Legislaturperiode ziehen die Wähler Bilanz und fragen sich, wer uns in den nächsten Jahren führen soll. Und Bilanz und Perspektive hängen zusammen. Du kriegst für eine gute Bilanz kein Lob, aber gegebenenfalls einen Vertrauensvorschuss für die nächste Zeit. Deshalb ist die Regierung gut beraten, die Nerven zu behalten.
Aber ihr stehen harte Zeiten bevor: Im kommenden Jahr drei Landtagswahlen im Osten….
Man wird jedes Land gesondert betrachten müssen. Ich gehe davon aus, dass sich der Wettkampf Ramelow/Höcke wiederholen wird und Bodo Ramelow wird ihn gewinnen. Ich glaube, dass Dietmar Woidke in Brandenburg gute Chancen hat. Und allein diese beiden Konstellationen lassen vermuten, dass es keinen Durchmarsch der AfD gibt. Ich rate dringend dazu, auch aus eigener Erfahrung, demoskopische Höhenflüge nicht überzubewerten.
Wir haben die Polarisierung in ganz Europa – zuletzt in Spanien oder auch in Israel. Wohin führt das noch?
Zu der Erkenntnis, dass die europäische Integration erstaunlich demokratiestabilisierend ist. Das angeblich so undemokratische Europa zwingt aufgrund der transnationalen Kooperation insbesondere im Wirtschaftsbereich zum Einlenken. Schauen wir uns Frau Meloni an seit sie Ministerpräsidentin ist: Sie macht nach innen ein bisschen Rabbatz, aber sie hat eine heftige Opposition gegen sich und einen Staatspräsidenten, der sehr genau auf die Verfassung achtet. Auch auf europäischer Ebene ist sie eine zuverlässige Partnerin. Interessant ist ja auch, dass Marine Le Pen nicht mehr vom Austritt aus dem Euro und Alice Weidel nicht mehr vom Austritt aus der EU redet, sondern höchstens vom Umbau der Europäischen Union. Was immer das heißen mag. Das zeigt mir, die Integration Europas diszipliniert auch Rechtspopulisten.
Die arbeiten dennoch – siehe den AfD-Parteitag – konsequent an einem anderen Europa.
An einem Umbau werden sie scheitern, weil die demokratischen Kräfte in Europa zum Glück immer noch klar in der Mehrheit sind. Diese Kräfte müssen allerdings noch kämpferischer und lauter werden. Auch in Deutschland, nicht nur aufgrund des aktuellen Höhenflugs der AfD, sondern auch wenn man sich genau diesen Parteitag anschaut. Dort sind rechtsextreme Aussagen gefallen, die dürfen wir als Demokratinnen und Demokraten nicht stehen lassen oder tolerieren. Das ist eine europäische, nationale, vor allem aber gesellschaftliche Aufgabe, die uns alle angeht.
Das ungekürzte Interview lesen Sie hier.
Der Referentenentwurf für das Digitale-Dienste-Gesetz hätte eigentlich schon im Frühjahr kommen sollen. Jetzt hat das Bundesministerium für Digitales und Verkehr ihn vorgelegt. Mit ihm wird zum einen die Struktur der Aufsicht über die Maßgaben des Digital Services Act (DSA) in Deutschland klarer. Und wie erwartet, soll die Bundesnetzagentur unter ihrem jetzigen Präsidenten Klaus Müller die Rolle des Digital Services Coordinator (DSC) übernehmen. Damit rechnete auch die Bundesnetzagentur (BNetzA) selbst.
Allerdings war die Zuweisung der Kompetenz an die frühere Regulierungsbehörde für Post und Telekommunikation umstritten. Zum einen gibt es Bedenken seitens der Bundesländer, da es sich bei den Regularien des DSA teilweise um Medienregulierung handelt. Hier liegt die Kompetenz im föderalen Miteinander der Bundesrepublik unstrittig bei den Ländern. Zugleich müssen weite Teile der DSA-Aufsicht staatsfern organisiert sein. Die Bundesnetzagentur als nachgeordnete Behörde des BMWK mit teilweiser Fachaufsicht auch durch das BMDV erfüllte diese Voraussetzungen bislang nicht vollständig.
Zwar muss die Bundesnetzagentur auch in anderen Bereichen wie dem Energiemarkt wegen europäischer Vorgaben unabhängiger von politischen Erwägungen werden. Allerdings sind die Anforderungen für den DSC noch schärfer formuliert: Völlig unabhängig müsse die Aufsicht sein, vergleichbar also am ehesten mit den Datenschutzaufsichtsbehörden.
Im Digitale-Dienste-Gesetz-Entwurf findet sich hierzu nun ein Modell, bei dem die Koordinierungsstelle zwar bei der Bundesnetzagentur angesiedelt wird, in den Kernfragen des DSA jedoch sogar unabhängig vom BNetzA-Präsidenten agieren darf.
Der Bundesminister für Digitales, Volker Wissing, erklärte dazu: “Mit der Bundesnetzagentur schaffen wir eine starke Plattformaufsicht, um die neuen Verpflichtungen für Onlinedienste auch in Deutschland konsequent durchzusetzen. Damit nehmen wir die Plattformbetreiber stärker in die Pflicht, rechtswidrige Inhalte zu bekämpfen.”
Im Entwurf des Digitale-Dienste-Gesetzes sind für einige Aufgaben jedoch andere zuständige Stellen vorgesehen. Diese Möglichkeit eröffnet der DSA ausdrücklich, auch wenn jedes Land am Ende nur eine Stelle zum DSA-Koordinator erheben kann. So sollen die Vorschriften zur datenbasierten Onlinewerbung etwa vom Bundesbeauftragten für den Datenschutz durchgesetzt werden, um hier Kohärenz mit dem eigentlichen Datenschutzrecht zu erzielen. Und die für Onlinekriminalität zuständigen Stellen beim Bundeskriminalamt sollen deutlich aufgestockt werden, um die DSA-Durchsetzung im strafrechtlichen Bereich zu realisieren.
Streit gibt es aber wenige Stunden nach der offiziellen Vorstellung des Referentenentwurfs bereits zu einem anderen Punkt: Die Durchsetzung der Jugendschutzvorschriften soll, so der Referentenentwurf, durch das Bundeszentrum für Kinder- und Jugendmedienschutz (BzKJ, früher BPjM und davor Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften) durchgeführt werden. Doch nicht nur für Medienregulierung, auch für Jugendschutz sind in der Bundesrepublik grundsätzlich die Länder zuständig.
Diese Aufgabenverteilung sei verfassungsrechtlich festgeschrieben und könne nicht durch “ein beliebiges Gesetz” ignoriert werden, mahnt der Vorsitzende der nordrhein-westfälischen Landesanstalt für Medien, Tobias Schmid. “Die aktuelle Regelung übersieht das Gebot der Staatsferne für die Aufsicht über Medieninhalte, aber vor allem schwächt sie den Schutz von Kindern und Jugendlichen im Netz. Die Medienanstalten der Länder haben in diesem Feld in Europa schließlich eine klare Vorreiterrolle, wie die Verfahren gegen Pornhub und andere zuletzt gezeigt haben.”
Der LfM-Vorsitzende Schmid sieht hier dringenden Klärungsbedarf: “Warum das Bundesministerium für Digitales und Verkehr diese Vorgabe in seinem Entwurf nicht umsetzt, ist hinreichend unklar, um den Begriff ‘unsinnig’ zu vermeiden.”
Dass das deutsche Netzwerkdurchsetzungsgesetz durch den DSA abgelöst wird, ist lange beschlossene Sache. Allerdings ist unklar, wie diese Änderung auch sachlich und strukturell vollzogen wird: Bereits seit Monaten laufen dazu die Gespräche zwischen BMJ und BMDV.
Für das NetzDG war das Bundesamt für Justiz die zuständige Stelle. Wohin dessen Aufgaben wandern, die insbesondere die systemischen Risiken und die Vorschriften zur Inhaltemoderation betreffen, kann das BMDV laut eigener Auskunft derzeit jedoch noch nicht beantworten.
In ungewohnter Einigkeit zeigen sich die sonst oft widerstreitenden Akteure in der Wirtschaft und im Verbraucherschutz. Ramona Pop, Vorständin des Verbraucherzentrale Bundesverbands, warnt vor einem drohenden “Behörden-Ping-Pong”. Der Bitkom warnt ebenfalls. Regulierte Unternehmen müssten einen festen bundeseinheitlichen Gesprächspartner haben und sich auf verbindliche Aussagen verlassen können, ohne gleichzeitig mehrere Aufsichtsbehörden adressieren zu müssen. “Eine umfangreiche Einbeziehung vieler Behörden, die nebeneinander im gleichen Regulierungsfeld tätig werden, wird zu einer erheblichen Zersplitterung führen, was wiederum einen großen Koordinierungsaufwand mit sich bringen wird”, erklärt Lina Wöstmann, Referentin Medienpolitik und Plattformen beim IT-Verband.
“Die Liste der Behörden, die neben dem DSC für Teile des DSA zuständig sind, sollte keinesfalls ausgeweitet werden”, meint auch Julian Jaursch von der Stiftung Neue Verantwortung. “Sonst drohen ein Wirrwarr an Zuständigkeiten und kostspielige Doppelstrukturen.” Er fürchtet, dass damit sowohl die DSA-Anwendung in Deutschland geschwächt würde als auch die Einflussmöglichkeiten Deutschlands im zuständigen Ausschuss der Digitale-Dienste-Koordinatioren auf EU-Ebene.
Der Verband der Internetwirtschaft Eco begrüßt zwar die Überarbeitung des Telemediengesetzes durch das Digitale-Dienste-Gesetz und die Aufhebung des NetzDG. “Die Anwendung und das für den 17. Februar 2024 geplante Inkrafttreten halte ich jedoch für mehr als ambitioniert”, sagt Eco-Vorstand Oliver Süme. “Für eine sachgerechte Planung, Umsetzung und Abstimmung der Bestimmungen brauchen die Unternehmen definitiv mehr Zeit.”
Der enge Zeitplan, der aus den Vorgaben des Digital Services Act resultiert, wird allerdings kaum angefasst werden: Das deutlich verspätete Digitale-Dienste-Gesetz muss rechtzeitig bis zum Februar ausgefertigt und verkündigt sein – allen Umständen wie verfassungsgerichtlich angemahnten angemessenen Beratungszeiten für Bundestagsabgeordnete zum Trotz.
Die Bundesregierung will die Förderung für die Batterieproduktion in Deutschland beschleunigen. Noch im Sommer werde das Wirtschaftsministerium unter Minister Robert Habeck eine neue Förderrichtlinie zur Stärkung der Batterie-Wertschöpfungskette veröffentlichen, sagte eine Sprecherin am Wochenende zu Table.Media. Mit der geplanten Finanzhilfe für Batteriekomponenten will das Wirtschaftsministerium zum ersten Mal einen neuen Förderrahmen anwenden, der am Freitag im Bundesanzeiger veröffentlicht wurde.
Auf Grundlage der neuen Bundesregelung Transformationstechnologien können Bund und Länder Förderprogramme auflegen und Anträge bewilligen, die nicht mehr einzeln und zeitaufwendig von der EU-Kommission genehmigt werden müssen. “Das spart sehr viel Zeit und baut Bürokratie ab”, heißt es in einer Mitteilung, die das Ministerium am Montag veröffentlichen will und die Table.Media vorab vorlag.
Mit der Bundesregelung Transformationstechnologien setzt das Wirtschaftsministerium den befristeten Beihilferahmen TCTF in nationales Recht um, den die EU als Reaktion auf den Wirtschaftseinbruch in Folge des Ukrainekrieges beschlossen hatte. Mit der Diskussion um den amerikanischen Inflation Reduction Act war er im März erweitert worden, um auch den Aufbau von Produktionskapazitäten für grüne Technologien zu fördern. Außer Batterien sind dies Wärmepumpen, Solarpaneele, Windturbinen, Elektrolyseure für die Wasserstoffproduktion sowie Ausrüstung für die Abscheidung, Nutzung und Speicherung von CO2.
Schlüsselkomponenten für die Produktion von Batterien sind nach der Bundesregelung Transformationstechnologien etwa Anoden und Kathoden, bestimmte Chemikalien sowie der Maschinen- und Anlagenbau. Neben dem Batterieprogramm seien weitere nationale Förderrichtlinien bereits in Arbeit, sagte die Sprecherin des Wirtschaftsministeriums. Das gesamte Fördervolumen könnte sich nach einer Schätzung vom Mai auf drei Milliarden Euro belaufen. Für Batteriekomponenten war nach einer älteren Veröffentlichung des Ministeriums allein eine Milliarde Euro vorgesehen.
Die Batterierichtlinie wird voraussichtlich den Abfluss von Fördermitteln beschleunigen, denn sie ersetzt eine ältere Förderankündigung (EuBatIn) auf Basis des europäischen IPCEI-Programms. Dafür hatte das BMWK Anfang des Jahres bereits ein Interessenbekundungsverfahren in der Industrie durchgeführt.
“Eine Erweiterung des Batterie-IPCEI verfolgen wir nicht mehr und werden stattdessen das TCTF nutzen”, sagte die Ministeriumssprecherin. Grund dürfte sein, dass IPCEI-Genehmigungen zeitintensiv und mit höheren Anforderungen verbunden sind. ber/mkr
Das Deutsche Institut für Urbanistik (Difu) hat gemeinsam mit 23 deutschen Städten, einer Region und der Bertelsmann Stiftung eine partizipative Studie begonnen, um Kommunen bei der Strategiefindung für die Kreislaufwirtschaft zu unterstützen. Mit dem Projekt “Kreislaufstadt – Chancen für lokale und regionale Resilienz & Wertschöpfung” sollen Kommunen auf Grundlage der politischen und rechtlichen Rahmenbedingungen eigene Strategien entwickeln. Das Projekt läuft bis Februar 2025.
Die Anforderungen an Kommunen, sich strategisch und konzeptionell mit der Kreislaufwirtschaft auseinanderzusetzen, steigen laut dem Difu stetig. Dazu gehören die neuen gesetzlichen Vorgaben im Rahmen des EU Green Deals, etwa der Circular Economy Action Plan oder die geplante Kreislaufwirtschaftsstrategie der Bundesregierung. Durch die EU-Taxonomie und die neuen ESG-Berichtspflichten im Rahmen der Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD), die jeweils den Übergang zu einer Kreislaufwirtschaft als Ziel vorgeben, würden neue Beratungsaufgaben für die Wirtschaftsförderungen der Kommunen und Regionen entstehen. leo
Der ukrainische Präsident hat eine neue Runde der institutionellen “Säuberung” angekündigt. “Wer auch immer eine Funktion ausübt, ein Militärkommissar, ein Abgeordneter oder ein Beamter, jeder darf nur für die Interessen des Staates arbeiten”, sagte Präsident Wolodymyr Selenskyj in seiner abendlichen Ansprache. Kommende Woche werde man die Arbeit fortsetzen. “Wir werden die staatlichen Einrichtungen von all denen säubern, die versucht haben, alte Gewohnheiten und Schemata zu übernehmen, die die Ukraine jahrzehntelang geschwächt haben.”
Selenskyj nannte keine Einzelheiten, wer das Ziel sein könnte. Erst kürzlich hat er jedoch seine Empörung über die bei einer Prüfung der ukrainischen Rekrutierungszentren aufgedeckte Korruption geäußert. Der ukrainische Präsident geht verstärkt gegen Korruption vor, um die Verhandlungen über einen Beitritt zur Europäischen Union (EU) und zur NATO voranzutreiben. rtr
Chinas Außenminister Wang Yi hat den Außenbeauftragten der Europäischen Union, Josep Borrell und seine Delegation zu einem Besuch im Herbst eingeladen. Der Besuch Borrells werde es ermöglichen, Vorbereitungen für ein Gipfeltreffen der Staats- und Regierungschefs zu treffen, das noch in diesem Jahr stattfinden soll, wurde Wang in einer Erklärung des Außenministeriums zitiert. Die beiden führten ein Telefongespräch.
Borrell sollte im vergangenen Monat Peking besuchen und den damaligen Außenminister Qin Gang und andere hochrangige Beamte treffen. Peking verschob die Reise. Später im Juli enthob das oberste gesetzgebende Organ Pekings Qin seines Amtes und setzte seinen Vorgänger Wang wieder ein.
Wang und Borrell tauschten sich auch über regionale Themen wie die Ukraine und Niger aus, heißt es in der Erklärung. bloomberg
Mitte Juli stellte die Kommission ihr Maßnahmenpaket für einen nachhaltigen europäischen Güterverkehr vor. In der Branche wurde der Vorstoß mit großer Spannung erwartet, denn angesichts steigender Transportbedarfe in der Zukunft ist klar: Es ist höchste Zeit, die Dekarbonisierung im Güterverkehr jetzt voranzutreiben. Gelingt dies nicht, droht die Europäische Union mit ihrem selbsterklärten Ziel der Klimaneutralität bis 2050 zu scheitern.
Noch immer werden mehr als 50 Prozent des europäischen Güterverkehrs auf der Straße transportiert – eine Belastung nicht nur für das Klima, sondern auch für die Infrastruktur. Aktuelle Zahlen aus Brüssel belegen: Von den gesamten Treibhausgasemissionen der EU entfallen 25 Prozent auf den Verkehrssektor – jedoch nur 0,4 Prozent auf den Schienenverkehr. An dieser Realität kommt niemand vorbei. Die Botschaft der EU-Kommission fiel dementsprechend deutlich aus: Es bedarf einer stärkeren Fokussierung auf den Schienengüterverkehr in ganz Europa.
Einen weiteren Schlüssel zur Dekarbonisierung des Güterverkehrs sieht die EU-Kommission im Kombinierten Verkehr (KV). Die Verkehrsträger Schiene, Straße und Wasserstraße miteinander zu kombinieren hat dabei nicht nur ökologische Vorteile. Auch (volks-)wirtschaftliche Faktoren sprechen für die Nutzung intermodaler Verkehrslösungen. Bereits 2030 sollen 21 Milliarden Tonnenkilometer über den Kombinierten Verkehr abgewickelt werden, bis 2050 sollen es dann 26 Milliarden Tonnenkilometern sein.
Durch die verstärkte Verlagerung von Güterverkehr auf die Schiene können im Vergleich zum Straßentransport große Mengen CO₂ eingespart werden. Laut dem IFEU-Institut Heidelberg beläuft sich der Wert pro Tonne und Kilometer auf 54 Gramm CO₂.
Durch die bessere und effektivere Verteilung des Güterverkehrs auf verschiedene Infrastrukturen kommt es zu einer Entlastung auf Straßen und Autobahnen. Auf diese Weise wird das Verkehrsaufkommen deutlich reduziert und es gibt weniger Staus. Damit der Kombinierte Verkehr in Europa zum von der EU-Kommission gewünschten Erfolgsmodell werden kann, müssen allerdings in den weiteren Gesetzgebungsprozessen zur Umsetzung des Maßnahmenpakets folgende fünf Maßnahmen ergriffen werden.
Erstens kann der Schienengüterverkehr sein volles Potenzial nur dann entfalten, wenn unter allen Playern ein “gesunder” Wettbewerb herrscht. Die Schaffung fairer Rahmenbedingungen für alle Marktteilnehmer ist die Basis für erfolgreichen und wirksamen Wettbewerb. Nur so kann sich ein finanziell attraktiver und umweltschonender Schienengüterverkehr etablieren, der in ernsthafte Konkurrenz zur Straße und zum internationalen Wettbewerb auf der Schiene treten kann. Denn solange der Straßentransport mit fossilen Kraftstoffen die deutlich günstigere Option ist, wird es zu keiner großflächigen Umstellung von Logistikketten kommen.
Unverständlicherweise bleibt der Vorschlag der EU-Kommission ausgerechnet in dieser Hinsicht deutlich hinter den Erwartungen zurück. Statt die Verkehrswende jetzt voranzutreiben, setzt der Vorschlag kurzfristig neue Anreize für den Transport per Lkw, denn das zulässige Gesamtgewicht für modulare Lkw in grenzüberschreitenden Transporten soll künftig auf 44 Tonnen erhöht werden. Erst ab 2035 müssen diese Transporte dann emissionsfrei erfolgen, was weitere zwölf Jahre Wachstum des Verkehrs mit Diesel-Lkw bedeutet.
Die Konsequenz ist kontraproduktiv: Die Kosten für solche Lkw-Transporte würden dadurch pro Tonne zunächst sinken, im äußerst preissensitiven Güterverkehr führen solche Signale jedoch zu unmittelbaren Reaktionen. Die Waren würden so wieder verstärkt auf der Straße transportiert werden. An dieser Stelle wünschen wir uns mehr Mut für eine größere Ambition, mit der wir die Zukunft des Güterverkehrs in Europa gestalten.
Zweitens bedarf es europaweit neuer und digitalisierter Umschlagterminals. Denn nur mit zusätzlichen Zugangspunkten zum Schienennetz kann ein Wachstum auf der Schiene ermöglicht werden. Darüber hinaus muss die Schieneninfrastruktur in der Fläche weiter ausgebaut werden, um Kapazitätsengpässe zu vermeiden. Investitionen in den Neubau und die Instandhaltung von Gleisanschlüssen sowie den Ausbau von Korridoren sind für eine langfristig erfolgreiche Verlagerung von der Straße auf die Schiene unumgänglich.
Drittens müssen flächendeckende Lösungen für die Bahnverladung von nicht kranbaren Sattelaufliegern gefunden werden. In Europa werden Gütertransporte hauptsächlich mit Trailern verschiedener Bauarten durchgeführt, die aber nur zu einem sehr geringen Teil – etwa fünf Prozent – für den Kombinierten Verkehr (KV) tauglich sind. Dieser Rückstand stellt die größte Hürde für durchlässige Transporte dar. Umso dringender braucht es europaweite gesetzliche Regelungen für einheitliche Standards in der Technik, um diese Sattelauflieger für die Standardumschlagprozesse im KV bahnfähig zu machen. Insbesondere die Zulassung des sogenannten “Lang-Lkw” sollte nur in Verbindung mit einer entsprechenden Standardisierung der Trailer erfolgen.
Viertens muss die Einführung der Digitalen Automatischen Kupplung (DAK) europaweit forciert werden. Die DAK hat enormes Potenzial, den Schienengüterverkehr effizienter und so wettbewerbsfähiger zu machen. Alle EU-Mitgliedstaaten müssen die entsprechenden Voraussetzungen schaffen, damit die Innovation grenzübergreifend genutzt werden kann.
Fünftens bedarf es einer Vereinfachung der Regulatorik. Planung und Durchführung des grenzüberschreitenden Güterverkehrs innerhalb Europas ist kompliziert und muss drastisch vereinfacht werden. Hierfür ist eine europaweite Harmonisierung der gesetzlichen Vorschriften und Regularien notwendig. Dazu zählen zum Beispiel die Digitalisierung der Frachtpapiere, die Einführung einer gemeinsamen Verkehrssprache sowie ein einheitlicher Rechtsrahmen.
Es bleibt zu wünschen, dass das Europäische Parlament und der Rat der Europäischen Union in den kommenden Monaten in diesen fünf Handlungsfeldern tätig werden. Sie müssen dafür Sorge tragen, dass aus gut gemeinten Ideen der Kommission keine hinderlichen Gesetze für den KV werden. Es bedarf mutiger Entscheidungen und großer Anstrengungen, um das Ruder für den nachhaltigen Schienengüterverkehr noch herumzureißen.
Sven Wellbrock ist Chief Operating Officer Europe und Chief Safety Officer bei VTG. Das Hamburger Unternehmen ist Eisenbahngüterwagen-Vermieter und Schienenlogistiker und verfügt über mehr als 88.000 Eisenbahngüterwagen.