“Der Druck, jetzt schnell zu Ergebnissen zu kommen, ist riesig”, sagt Markus Pieper. Der CDU-Abgeordnete ist Berichterstatter für die Richtlinie zum Ausbau der erneuerbaren Energien und damit zuständig für eines der wichtigsten Dossiers im Kampf gegen den Klimawandel. Im Interview mit Timo Landenberger spricht er über das Ausbauziel der EU-Kommission, über die Rolle der Kernkraft und seine Forderung nach einem “Fit-for-55-Siegel”.
Es gehört zu den umstrittensten Vorschlägen zum Digital Services Act, die zurzeit im Parlament diskutiert werden: das Verbot personalisierter Werbung. Die Arbeitsgruppe Digital Single Market des IMCO hatte nun einige Expert:innen zu einer Anhörung eingeladen. Diese betonten unter anderem, dass die personalisierte Werbung dem Geist der Datenschutz-Grundverordnung widerspreche, und warnten vor den Risiken eines Schattenmarkts. Dennoch zeichne sich im IMCO keine Mehrheit für das vollständige Verbot ab, berichtet Torsten Kleinz, der die Diskussion verfolgt hat.
Elektrifizierung des Straßenverkehrs, grüner Wasserstoff für die Industrie und Wärmepumpen statt Gasheizungen: Im Zuge der Umsetzung der Green-Deal-Maßnahmen wird der Strombedarf in Europa stark ansteigen. Gleichzeitig will die EU aus fossilen Brennstoffen aussteigen, denn 75 Prozent der EU-weiten Emissionen gehen auf die Erzeugung und den Verbrauch von Energie zurück. Ein schnellerer Übergang zu einem umweltfreundlicheren Energiesystem ist also für das Erreichen der Klimaziele von grundlegender Bedeutung, weshalb die Europäische Kommission im Rahmen ihres Fit-for-55-Pakets auch eine Überarbeitung der Richtlinie für Erneuerbare Energien vorgeschlagen hat.
Herr Pieper, die Richtlinie zum Ausbau der erneuerbaren Energien ist das zentrale Element der europäischen Energiewende. Wie groß ist der Druck?
Der Druck, jetzt schnell zu Ergebnissen zu kommen, ist riesig. Wir haben uns im Vergleich zu den CO2-Einsparungen seit 1990 fast das Dreifache vorgenommen. Und das innerhalb von neun Jahren. Da darf man jetzt nicht noch ein, zwei Jahre in Gesetzgebungsprozessen verlieren. Deshalb ist der Druck der Öffentlichkeit, der Wirtschaft und der Wissenschaft schon erheblich.
Durch die Umsetzung der Green-Deal-Maßnahmen wird der Stromverbrauch in den kommenden Jahren stark ansteigen. Gleichzeitig will Europa aus fossilen Energieträgern aussteigen.
Deshalb brauchen wir den massiven Ausbau der erneuerbaren Energien. Wir können nicht Häuser mit Wärmepumpen ausstatten oder nur noch Elektroautos fahren, wenn 50 Prozent des Stroms mit Öl, Gas oder Kohle erzeugt wird. Der Vorschlag der Kommission sieht ein Ausbauziel von 40 Prozent Erneuerbaren bis 2030 im Endverbrauch vor.
Reicht das aus? Manche Umweltverbände fordern deutlich höhere Ziele.
Bei der Folgenabschätzung für das Ausbauziel von 38 bis 40 Prozent musste die Kommission schon erhebliche Anstrengungen anstellen, um die Auswirkungen für die Wirtschaft und Verbraucher überhaupt einigermaßen plausibel darzustellen. Das wurde vom wissenschaftlichen Dienst des Parlaments auch bemängelt. Die Folgen insbesondere für mittelständische Unternehmen sind nicht ausreichend analysiert. Alles über 40 Prozent wäre eine Operation am offenen Herzen und in höchstem Maße unverantwortlich unseren Bürgern und Unternehmen gegenüber.
Aber reicht es aus?
Mit diesem Zwischenziel sind wir im Einklang mit den Pariser Vorgaben. Das sagen alle Berechnungen.
Bis 2050 will die EU klimaneutral werden. Brauchen wir nicht spätestens dann 100 Prozent Erneuerbare?
Da stellt sich die Frage: Wie definieren wir Klimaneutralität? Viele europäische Länder sehen auch in den neuen Generationen von Kernkraftwerken eine klimaneutrale Lösung. Was darüber hinaus in Europa an erneuerbaren Energien zu produzieren ist, wird in hohem Maße überschätzt.
Inwiefern?
Der Import von grünem Strom oder grünem Wasserstoff wird eine wichtige Rolle spielen. Auch blauen und türkisen Wasserstoff, bei deren Produktion das CO2 abgespalten und gespeichert wird, müssen wir als Übergangslösung berücksichtigen, und das wird auch 2050 noch so sein. Sonst wird das Ganze unbezahlbar, wir bekommen erhebliche soziale Folgewirkungen und Abwanderungen von Unternehmen in andere Teile der Welt, was wir unbedingt vermeiden wollen.
Ebenso wie eine zu starke Importabhängigkeit. Der Ausbau der Erneuerbaren Energien in Europa muss beschleunigt werden, läuft aber sehr schleppend. Wie lässt sich das ändern?
Das A und O sind massive Investments in die Infrastruktur. Wir brauchen schnellere Genehmigungsverfahren. Es muss eine Art Fit-for-55-Siegel geben, sodass auch in Deutschland die Verfahren nicht mehr durch alle Instanzen durchgetragen werden. Dazu gehört beispielsweise auch, in Fragen der Artenvielfalt nicht jeden einzelnen Milan, sondern die etwaige Gefährdung der Gesamtpopulation in den Fokus zu rücken. Daneben müssen wir die Potenziale des Binnenmarktes viel besser nutzen. Da müssen wir Synergien schaffen, wie beispielsweise die neue Energieleitung zwischen Norwegen und Deutschland. Von diesen Projekten brauchen wir in Europa viel mehr, und zwar schnell. Da macht die RED auch entsprechende Vorgaben, in denen die Mitgliedsstaaten verpflichtet werden, grenzüberschreitende Energieprojekte zu verwirklichen, sodass wir die unterschiedlichen Naturraumpotenziale in Europa bündeln.
Dazu war der Markt der erneuerbaren Energien immer von Innovationen geprägt. Welche werden wir in naher Zukunft sehen?
Über das Programm Horizon Europe haben wir die Forschungsanstrengungen für den Energiebereich zuletzt vervielfacht. Da versprechen wir uns viel im Bereich der Digitalisierung. Beispielsweise können die Netze durch intelligente Blockchain-Technologie ein stückweit speicherfähig gemacht werden. Auch im Smart Metering im Gebäudebereich steckt noch viel Potenzial. Bei der Produktion und Einlagerung von Wasserstoff gibt es vielversprechende Innovationsfortschritte. Ebenso bei der Kernkraft und bei synthetischen Kraftstoffen. All diese Bereiche müssen wir unterstützen, ohne Technologieverbote.
Welche Rolle soll Biomasse spielen? Für den Klimaschutz Wälder abzuholzen, klingt widersprüchlich.
Hier die Nachhaltigkeitskriterien enger zu fassen, ist auch Bestandteil der RED. Die Abholzung von Regenwäldern für die Produktion von Biomasse in Europa wird innerhalb weniger Jahre beendet werden. Andererseits dürfen wir die Vorgaben nicht zu eng fassen. Grüne Energie muss ausreichend vorhanden sein. Wenn wir vorschreiben, dass Holz aus FFH-Gebieten [Fauna-Flora-Habitat-Gebiete mit der Vorgabe der naturverträglichen Bewirtschaftung, Anm. d. Red.] nicht genutzt werden darf, dann bekommen wir ein quantitatives Problem.
Die wichtigsten erneuerbaren Energieträger sind weiterhin Sonnen- und insbesondere Windenergie, die jedoch kaum zu steuern sind. Müssen wir mit Versorgungsengpässen rechnen?
Klares Nein. Deutschland steigt gleichzeitig aus Kernenergie und Kohle aus und auf Erneuerbare um. Das kann nur gelingen, wenn wir die Grundsicherung im Bereich Gasinfrastruktur ausbauen. Darin liegt aber auch eine große Chance. Erdgaskraftwerke oder Heizthermen lassen sich schon heute wasserstoffkompatibel bauen. Eine gute Gasinfrastruktur ist ein Standortvorteil, den wir für das Wasserstoff-Zeitalter nutzen können.
Das sehen aber nicht alle so. Sie hatten es erwähnt: Frankreich setzt auf Kernenergie, Deutschland auf Gas und wieder andere lehnen beides ab. Wie lässt sich so eine gemeinsame Position finden?
Das macht es schwer, wenn sich die Mitgliedstaaten gegenseitig kritisieren. Aber die Europäischen Verträge besagen klar, dass jedes Land selbst für die Struktur der Energieerzeugung verantwortlich ist. Wir sollten uns nicht in die Belange der Franzosen einmischen, solange es nicht zu massiven Sicherheitsbedenken kommt. Gleichzeitig sollten jene Länder, die ihre Zukunft in der Kernenergie sehen, zulassen, dass Deutschland und andere Länder neue Erdgaskraftwerke zur Grundsicherung installieren. Klar: Da sind Konflikte programmiert. Aber wir können uns Besserwisserei bei der Energiewende nicht leisten. Jedes Land hat für sich die beste Lösung. Das muss gegenseitig akzeptiert werden.
Wird es aber nicht. Bestes Beispiel ist die Diskussion um die EU-Taxonomie.
Ich bin optimistisch, dass wir die Taxonomiekriterien hinbekommen, Kernkraft für die Länder zulassen, die das wollen und auf der anderen Seite Erdgas als Überbrückung akzeptieren. Alles andere wäre unvernünftig und hat auch mit den Pariser Klimazielen nichts zu tun. Der Klimawandel ist gefährlicher als die Kernkraft. Also sollten wir die Kirche im Dorf lassen und sollten die Klimawende pragmatisch und weniger ideologisch angehen.
In der RED sind erstmals auch Zielvorgaben für einzelne Sektoren wie Verkehr oder Industrie vorgesehen. Wie aber soll im Straßenverkehr eine bestimmte Menge grüner Strom eingesetzt werden, solange es noch nicht ausreichend Ladesäulen gibt?
Das ist eine der Schlüsselfragen. Deswegen hat die Kommission die wichtigsten Legislativ-Vorschläge zeitgleich vorgelegt und die jeweilige Wirkung beschrieben. Für uns als Parlament ist das eine riesige Herausforderung, die Antworten auf diese Vorschläge zu finden. Aber auch wir haben wissenschaftliche Dienste. Wenn hier irgendetwas widersprüchlich ist, dann legen wir den Finger in die Wunde. Aber ich bin zuversichtlich, dass wir im Verlauf des nächsten Jahres ein gutes Paket vorlegen können.
Können Sie das konkretisieren?
Man muss uns schon die Zeit lassen, die Auswirkungen auf die Gesellschaft und die Wirtschaft sauber zu analysieren. Wir dürfen hier nicht das Kind mit dem Bade ausschütten und mit Hektik in die Energiearmut steuern. Wir müssen das verantwortungsvoll machen und unserer sozialen Verantwortung gerecht werden, und das braucht eben auch etwas Zeit.
Ein Totalverbot für personalisierte Werbung gehört zu den umstrittensten Vorschlägen zum Digital Services Act (Europe.Table berichtete), die derzeit im Parlament diskutiert werden. Die Kommission lehnt dies ab und der Rat hat in seiner Allgemeinen Ausrichtung in der vergangenen Woche ebenfalls kein solches Verbot vorgesehen (Europe.Table berichtete). Stattdessen schlagen die Mitgliedstaaten nun für besonders große Plattformen verstärkte Transparenzpflichten vor.
Nach der medienwirksamen Anhörung der Facebook-Whistleblowerin Frances Haugen (Europe.Table berichtete) lud die Arbeitsgruppe Digital Single Market des IMCO mehrere Kritiker der personalisierten Werbung zu einer Anhörung.
Eine von ihnen: Orla Lynskey von der London School of Economics and Political Science (LSE). Lynskey argumentierte, das System der personalisierten Werbung verstoße in der heutigen Ausformung nicht nur gegen den Geist der Datenschutz-Grundverordnung. Sondern auch gegen den in der Charta der Grundrechte der EU verankerten Schutz persönlicher Daten.
Hier helfe es auch nicht, dass die Bürgerinnen und Bürger um Zustimmung zur Datenverarbeitung gebeten werden. “Es ist eine komplett nutzlose Information für mich, dass meine Daten zu 450 Organisationen mit jeweils eigenen Datenschutzbestimmungen weitergeleitet werden, wenn ich eine Website besuche”, sagte Lynskey. Die Datenschutz-Grundverordnung habe es nicht geschafft, das seit 20 Jahren anhaltende “Marktversagen” zu beenden.
Das Ausmaß diese Datenübermittlung demonstrierte Johnny Ryan vom Irish Council for Civil Liberties, einer der derzeit schärfsten Kritiker der Werbeindustrie. Neben dem offiziellen Geschäft mit den Daten gebe es auch einen Schattenmarkt. Aus den “Bid Requests”, die bei dem Besuch fast jeder kommerziellen Website vielfach versendet werden, generierten Adtech-Firmen heimlich detaillierte Profile, die sensible Daten von der Religion über gesundheitliche Probleme bis hin zu einer Kategorie für sexuellen Missbrauch umfasse.
“Tausende verschiedener Firmen empfangen diese Daten und es gibt keinen technischen Weg zu kontrollieren, was mit ihnen geschieht“, sagte Ryan. Er verwies auf die Firma Vectaury, die laut einer Untersuchung der französischen Datenaufsichtsbehörde CNIL systematisch an Werbeauktionen teilgenommen habe, um persönliche Daten von Millionen Bürgerinnen und Bürgern abzuschöpfen. Das Wall Street Journal berichtet aktuell, dass Daten aus solchen Werbeauktionen sogar beim US-Militär und amerikanischen Strafverfolgern landeten, um damit Individuen ohne Gerichtsbeschluss zu überwachen.
Die Verfechter eines Verbots personalisierter Werbung legten in der Anhörung Wert darauf, dass sie Werbetargeting nicht insgesamt verbieten wollten. Es solle weiterhin möglich sein, Werbung kontextbasiert auszuspielen.
Das überzeugte den ebenfalls geladenen Ilya Bruggeman vom Wirtschaftsverband Eurocommerce nicht. Er sagte, dass Alternativen zu der auf persönlichen Daten basierenden Werbung nicht ausreichten und bei zu harter Regulierung kleine Unternehmen mit Einbußen rechnen müssten. Auf eine Diskussion, dass dieses Geschäftsmodell viel stärker im Interesse von großen Unternehmen und Tech-Konzernen wie Facebook und Google sei, wollte Bruggeman sich nicht einlassen und warnte vor einem “regulatorischen Reflex”.
Die anschließende Diskussion zeigte, dass abgesehen von Befürwortern wie Alexandra Geese (Grüne/EFA) nur wenige andere Abgeordnete ein komplettes Verbot des milliardenschweren Geschäftsmodells personalisierter Werbung tragen wollen. “Es gibt für mich zwar keine Frage, dass wir ein solches Verbot brauchen, aber ich kann hierfür absolut keine Mehrheit im IMCO sehen“, sagte die Berichterstatterin Christel Schaldemose (S&D, DK).
Da sich somit wohl weder Kommission noch Rat noch Parlament für ein Komplettverbot einsetzen wollen, erscheint ein solches Ergebnis auch in den Trilogen zwischen den Institutionen im kommenden Jahr aus heutiger Sicht unwahrscheinlich – aller Kritik zum Trotz. Torsten Kleinz
In Bulgarien steht Präsident Rumen Radew vor einer zweiten Amtszeit. Der 58-Jährige setze sich am Sonntag Prognosen zufolge in einer Stichwahl mit etwa 64 Prozent der Stimmen gegen seinen Herausforderer Anastas Gardzhikow durch, wie aus Hochrechnungen der Institute Gallup und Alpha Research hervorging. Rumen Radew war in der Bevölkerung beliebter geworden, nachdem er sich 2020 offen auf die Seite von Demonstranten gestellt hatte, die der Regierung des damaligen Ministerpräsidenten Bojko Borissow Korruption vorwarfen.
Das Amt des Präsidenten ist in Bulgarien weitgehend repräsentativ. Er kann aber Einfluss auf die öffentliche Meinung nehmen und zudem in Krisenzeiten Übergangsregierungen ernennen.
Bei der Parlamentswahl vor zwei Wochen hatte sich eine erst wenige Monate zuvor gegründete Reformpartei durchgesetzt, die sich der Korruptionsbekämpfung in dem ärmsten EU-Mitgliedsland verschrieben hat. Es war bereits die dritte Parlamentswahl in diesem Jahr in dem Land gewesen, da eine Regierungsbildung nach den Abstimmungen im April und Juli jeweils scheiterte. rtr
Bei den Gesprächen zwischen der EU und dem Vereinigten Königreich über Handelsfragen, die Nordirland nach dem Brexit betreffen, seien Fortschritte erzielt worden, sagte der Vizepräsident der Europäischen Kommission Maroš Šefčovič am Sonntag.
Die beiden Seiten haben sich vergangene Woche darauf geeinigt, die Bemühungen zu verstärken, um die Schwierigkeiten im Handel zwischen Großbritannien und Nordirland zu lösen.
“Ich bin sicher, dass, wenn Lord Frost und das Vereinigte Königreich die Anstrengungen verdoppeln, wir alle noch offenen Fragen zur Zufriedenheit der nordirischen Bevölkerung lösen können”, sagte Šefčovič in einem Interview mit der BBC. Dabei bezog er sich auf den britischen Chefunterhändler David Frost.
Während des wochenlangen verbalen Schlagabtauschs hatte London wiederholt damit gedroht (Europe.Table berichtete), sich auf Artikel 16 zu berufen, eine Notbremse im Nordirland-Kapitel des Brexit-Abkommens – ein Schritt, der einen Handelskrieg zwischen der EU und Großbritannien auslösen könnte.
Šefčovič begrüßte vergangene Woche den veränderten Ton auf britischer Seite und forderte, dass sich dies in den Gesprächen über die Details der Handelsvereinbarungen in einem Kompromiss niederschlagen müsse. rtr
Der französische Finanzminister Bruno Le Maire sagte am Sonntag, dass Frankreich mit den Vereinigten Arabischen Emiraten an neuen Projekten im Energiesektor, einschließlich erneuerbarer Energien und Wasserstoff als Kraftstoff, arbeiten werde.
“Das Erreichen von Null-CO2-Emissionen bis 2050 ist ein wichtiges Ziel, und wir wollen mit den Vereinigten Arabischen Emiraten in diesem Kampf gegen den Klimawandel zusammenarbeiten“, sagte Le Maire vor Reportern in Abu Dhabi.
Der Minister rief zu wirtschaftlicher und investitionsbezogener Zusammenarbeit auf. Er nannte Investitionen in neue Lieferketten als einen Grund für seinen Besuch in dem Golfstaat. rtr
Anne Hidalgo, geboren 1959 in San Fernando (Spanien), hat bereits den Titel als erste Bürgermeisterin von Paris inne. Jetzt will sie die erste Präsidentin Frankreichs werden.
Ihr Büro gilt als eines der schönsten der ganzen Stadt, manche behaupten sogar, es sei schöner als das des Staatschefs im Élysée-Palast: Dunkle Holzvertäfelungen und hohe Stuckdecken rahmen den Blick aus dem 150-Quadratmeter-Büro raus auf die Seine, die Kathedrale Notre-Dame und die berühmten blaugrauen Dächer von Paris. Etwas mehr als die Hälfte der Menschen in Paris schätzt Anne Hidalgo und wählte sie im vergangenen Jahr in ihr zweites Mandat – nachdem sie 2014 ihren ersten Erfolg feierte. Für ihre Anhänger ist sie eine Visionärin der nachhaltigen Stadtplanung und der Gleichberechtigung, für ihre Kritiker eine links-grüne Närrin.
Mitte September kündigte Hidalgo ihre Kandidatur für die Präsidentschaftswahlen 2022 an und wurde im Oktober offiziell von der Sozialistischen Partei als Vertreterin nominiert. Das Herzstück ihrer Politik soll der Kampf gegen “soziale und territoriale Ungleichheiten” werden. Doch im Moment stehen die Chancen schlecht: In den aktuellen Umfragen schneidet Hidalgo mit Werten zwischen 4 und 6 Prozent ab.
“Politisch inexistent”, “hübsche Brünette” und “Alibi-Frau” titelten die Medien, als Anne Hidalgo 2001 ihre erste Karriere als Inspekteurin zur Überwachung des Arbeitsrechts beendete und zur stellvertretenden Bürgermeisterin der Hauptstadt berufen wurde. Doch von der unauffälligen Newcomerin ist heute nicht mehr viel übrig. Ihre Entscheidung, deutlich mehr Frauen als Männer in Führungsposten zu berufen, führte Ende vergangenen Jahres zu einem strafrechtlichen Verfahren.
Auch Hidalgos Stadtplanung spaltet mit vielen Neuerungen die Gesellschaft. Das fast stadtweite Tempolimit von 30 km/h, die dauerhafte Ausweitungen von Straßencafés auf Parkplätze und der Ausbau der Fahrradwege ist für die viele ein Grund zum Jubeln. Doch Autofahrer sind wütend auf die Bürgermeisterin. Vor allem für die Menschen aus den Banlieues, die kaum Alternativen zum Auto haben und jetzt täglich in langen Staus stehen, haben diese Maßnahmen wenig mit der versprochenen sozialen Gerechtigkeit und Gleichheit zu tun, sondern mit versnobter und realitätsferner Umweltpolitik.
Dabei gibt sich Anne Hidalgo stets volksnah und will mit ihrer eigenen Lebensgeschichte Brücken schlagen. 1962 verließen Hidalgos Eltern das durch die Franco-Diktatur zerrüttete Andalusien und begannen mit den beiden Töchtern ein neues Leben in Südfrankreich nahe Lyon. 1973 erhielt die gesamte Familie die französische Staatsbürgerschaft. Aus der 14-jährigen Ana wurde Anne.
Als erster Präsidentschaftskandidatin mit doppelter Staatsbürgerschaft ist Hidalgo das Thema Migration ein besonderes Anliegen. Ein Aufstieg wie ihrer – vom Einwandererkind aus prekären Verhältnissen zur hochkarätigen Politikerin – soll kein Einzelfall bleiben: “Ich will, dass alle Kinder Frankreichs dieselbe Chance bekommen, die auch ich bekommen habe.” Giorgia Grimaldi
David Sassoli hat gerade noch die Kurve gekriegt. Eigentlich wollte der Präsident des Europaparlaments zurück zum Normalbetrieb. “Back to normal” ohne Homeoffice und Online-Abstimmungen – das war Sassolis Ansage für die Plenartagung, die am Montag in Straßburg beginnt.
Doch der Italiener hatte die Rechnung ohne die Abgeordneten gemacht. Viele Parlamentarier haben nicht nur eine chronische Straßburg-Allergie, sondern noch dazu Heiden-Angst vor Corona – trotz Impfung und 3G im Parlamentsgebäude. 180 MEP probten deshalb den Aufstand.
Es wäre Wahnsinn, mitten in der vierten Welle ein Super-Spreader-Event in Straßburg abzuhalten, meinen sie. Vor der Abreise nach Straßburg erzwangen sie ein Krisentreffen – und siehe da: Sassoli gab nach. Nun wird es doch wieder eine “hybride” Plenartagung geben.
Doch ein Happy End ist das nicht. Sassoli hat zwar die Kurve gekriegt, aber auch an Autorität eingebüßt. Schon bisher war der Italiener wegen seiner erratischen Alleingänge berüchtigt. Nun kann man ihm auch noch mangelndes Gespür für die Stimmungslage in “seinem” Haus vorwerfen.
Aber auch die siegreichen Abgeordneten haben keinen Grund zum Jubel. Sie stehen nun als Angsthasen da. Wenn der XXL-Bundestag mit seinen 736 Abgeordneten trotz Corona “physisch” tagen kann, warum dann nicht auch die Straßburger Kammer mit “nur” 705 Mitgliedern?
Die Coronakrise hat die Exekutive gestärkt – und das Europaparlament geschwächt. Die Rebellion in Straßburg wird diesen Trend nicht brechen, sondern verlängern. Deutschland besinnt sich auf die parlamentarische Demokratie, Europa versteckt sich im Homeoffice. Eric Bonse
“Der Druck, jetzt schnell zu Ergebnissen zu kommen, ist riesig”, sagt Markus Pieper. Der CDU-Abgeordnete ist Berichterstatter für die Richtlinie zum Ausbau der erneuerbaren Energien und damit zuständig für eines der wichtigsten Dossiers im Kampf gegen den Klimawandel. Im Interview mit Timo Landenberger spricht er über das Ausbauziel der EU-Kommission, über die Rolle der Kernkraft und seine Forderung nach einem “Fit-for-55-Siegel”.
Es gehört zu den umstrittensten Vorschlägen zum Digital Services Act, die zurzeit im Parlament diskutiert werden: das Verbot personalisierter Werbung. Die Arbeitsgruppe Digital Single Market des IMCO hatte nun einige Expert:innen zu einer Anhörung eingeladen. Diese betonten unter anderem, dass die personalisierte Werbung dem Geist der Datenschutz-Grundverordnung widerspreche, und warnten vor den Risiken eines Schattenmarkts. Dennoch zeichne sich im IMCO keine Mehrheit für das vollständige Verbot ab, berichtet Torsten Kleinz, der die Diskussion verfolgt hat.
Elektrifizierung des Straßenverkehrs, grüner Wasserstoff für die Industrie und Wärmepumpen statt Gasheizungen: Im Zuge der Umsetzung der Green-Deal-Maßnahmen wird der Strombedarf in Europa stark ansteigen. Gleichzeitig will die EU aus fossilen Brennstoffen aussteigen, denn 75 Prozent der EU-weiten Emissionen gehen auf die Erzeugung und den Verbrauch von Energie zurück. Ein schnellerer Übergang zu einem umweltfreundlicheren Energiesystem ist also für das Erreichen der Klimaziele von grundlegender Bedeutung, weshalb die Europäische Kommission im Rahmen ihres Fit-for-55-Pakets auch eine Überarbeitung der Richtlinie für Erneuerbare Energien vorgeschlagen hat.
Herr Pieper, die Richtlinie zum Ausbau der erneuerbaren Energien ist das zentrale Element der europäischen Energiewende. Wie groß ist der Druck?
Der Druck, jetzt schnell zu Ergebnissen zu kommen, ist riesig. Wir haben uns im Vergleich zu den CO2-Einsparungen seit 1990 fast das Dreifache vorgenommen. Und das innerhalb von neun Jahren. Da darf man jetzt nicht noch ein, zwei Jahre in Gesetzgebungsprozessen verlieren. Deshalb ist der Druck der Öffentlichkeit, der Wirtschaft und der Wissenschaft schon erheblich.
Durch die Umsetzung der Green-Deal-Maßnahmen wird der Stromverbrauch in den kommenden Jahren stark ansteigen. Gleichzeitig will Europa aus fossilen Energieträgern aussteigen.
Deshalb brauchen wir den massiven Ausbau der erneuerbaren Energien. Wir können nicht Häuser mit Wärmepumpen ausstatten oder nur noch Elektroautos fahren, wenn 50 Prozent des Stroms mit Öl, Gas oder Kohle erzeugt wird. Der Vorschlag der Kommission sieht ein Ausbauziel von 40 Prozent Erneuerbaren bis 2030 im Endverbrauch vor.
Reicht das aus? Manche Umweltverbände fordern deutlich höhere Ziele.
Bei der Folgenabschätzung für das Ausbauziel von 38 bis 40 Prozent musste die Kommission schon erhebliche Anstrengungen anstellen, um die Auswirkungen für die Wirtschaft und Verbraucher überhaupt einigermaßen plausibel darzustellen. Das wurde vom wissenschaftlichen Dienst des Parlaments auch bemängelt. Die Folgen insbesondere für mittelständische Unternehmen sind nicht ausreichend analysiert. Alles über 40 Prozent wäre eine Operation am offenen Herzen und in höchstem Maße unverantwortlich unseren Bürgern und Unternehmen gegenüber.
Aber reicht es aus?
Mit diesem Zwischenziel sind wir im Einklang mit den Pariser Vorgaben. Das sagen alle Berechnungen.
Bis 2050 will die EU klimaneutral werden. Brauchen wir nicht spätestens dann 100 Prozent Erneuerbare?
Da stellt sich die Frage: Wie definieren wir Klimaneutralität? Viele europäische Länder sehen auch in den neuen Generationen von Kernkraftwerken eine klimaneutrale Lösung. Was darüber hinaus in Europa an erneuerbaren Energien zu produzieren ist, wird in hohem Maße überschätzt.
Inwiefern?
Der Import von grünem Strom oder grünem Wasserstoff wird eine wichtige Rolle spielen. Auch blauen und türkisen Wasserstoff, bei deren Produktion das CO2 abgespalten und gespeichert wird, müssen wir als Übergangslösung berücksichtigen, und das wird auch 2050 noch so sein. Sonst wird das Ganze unbezahlbar, wir bekommen erhebliche soziale Folgewirkungen und Abwanderungen von Unternehmen in andere Teile der Welt, was wir unbedingt vermeiden wollen.
Ebenso wie eine zu starke Importabhängigkeit. Der Ausbau der Erneuerbaren Energien in Europa muss beschleunigt werden, läuft aber sehr schleppend. Wie lässt sich das ändern?
Das A und O sind massive Investments in die Infrastruktur. Wir brauchen schnellere Genehmigungsverfahren. Es muss eine Art Fit-for-55-Siegel geben, sodass auch in Deutschland die Verfahren nicht mehr durch alle Instanzen durchgetragen werden. Dazu gehört beispielsweise auch, in Fragen der Artenvielfalt nicht jeden einzelnen Milan, sondern die etwaige Gefährdung der Gesamtpopulation in den Fokus zu rücken. Daneben müssen wir die Potenziale des Binnenmarktes viel besser nutzen. Da müssen wir Synergien schaffen, wie beispielsweise die neue Energieleitung zwischen Norwegen und Deutschland. Von diesen Projekten brauchen wir in Europa viel mehr, und zwar schnell. Da macht die RED auch entsprechende Vorgaben, in denen die Mitgliedsstaaten verpflichtet werden, grenzüberschreitende Energieprojekte zu verwirklichen, sodass wir die unterschiedlichen Naturraumpotenziale in Europa bündeln.
Dazu war der Markt der erneuerbaren Energien immer von Innovationen geprägt. Welche werden wir in naher Zukunft sehen?
Über das Programm Horizon Europe haben wir die Forschungsanstrengungen für den Energiebereich zuletzt vervielfacht. Da versprechen wir uns viel im Bereich der Digitalisierung. Beispielsweise können die Netze durch intelligente Blockchain-Technologie ein stückweit speicherfähig gemacht werden. Auch im Smart Metering im Gebäudebereich steckt noch viel Potenzial. Bei der Produktion und Einlagerung von Wasserstoff gibt es vielversprechende Innovationsfortschritte. Ebenso bei der Kernkraft und bei synthetischen Kraftstoffen. All diese Bereiche müssen wir unterstützen, ohne Technologieverbote.
Welche Rolle soll Biomasse spielen? Für den Klimaschutz Wälder abzuholzen, klingt widersprüchlich.
Hier die Nachhaltigkeitskriterien enger zu fassen, ist auch Bestandteil der RED. Die Abholzung von Regenwäldern für die Produktion von Biomasse in Europa wird innerhalb weniger Jahre beendet werden. Andererseits dürfen wir die Vorgaben nicht zu eng fassen. Grüne Energie muss ausreichend vorhanden sein. Wenn wir vorschreiben, dass Holz aus FFH-Gebieten [Fauna-Flora-Habitat-Gebiete mit der Vorgabe der naturverträglichen Bewirtschaftung, Anm. d. Red.] nicht genutzt werden darf, dann bekommen wir ein quantitatives Problem.
Die wichtigsten erneuerbaren Energieträger sind weiterhin Sonnen- und insbesondere Windenergie, die jedoch kaum zu steuern sind. Müssen wir mit Versorgungsengpässen rechnen?
Klares Nein. Deutschland steigt gleichzeitig aus Kernenergie und Kohle aus und auf Erneuerbare um. Das kann nur gelingen, wenn wir die Grundsicherung im Bereich Gasinfrastruktur ausbauen. Darin liegt aber auch eine große Chance. Erdgaskraftwerke oder Heizthermen lassen sich schon heute wasserstoffkompatibel bauen. Eine gute Gasinfrastruktur ist ein Standortvorteil, den wir für das Wasserstoff-Zeitalter nutzen können.
Das sehen aber nicht alle so. Sie hatten es erwähnt: Frankreich setzt auf Kernenergie, Deutschland auf Gas und wieder andere lehnen beides ab. Wie lässt sich so eine gemeinsame Position finden?
Das macht es schwer, wenn sich die Mitgliedstaaten gegenseitig kritisieren. Aber die Europäischen Verträge besagen klar, dass jedes Land selbst für die Struktur der Energieerzeugung verantwortlich ist. Wir sollten uns nicht in die Belange der Franzosen einmischen, solange es nicht zu massiven Sicherheitsbedenken kommt. Gleichzeitig sollten jene Länder, die ihre Zukunft in der Kernenergie sehen, zulassen, dass Deutschland und andere Länder neue Erdgaskraftwerke zur Grundsicherung installieren. Klar: Da sind Konflikte programmiert. Aber wir können uns Besserwisserei bei der Energiewende nicht leisten. Jedes Land hat für sich die beste Lösung. Das muss gegenseitig akzeptiert werden.
Wird es aber nicht. Bestes Beispiel ist die Diskussion um die EU-Taxonomie.
Ich bin optimistisch, dass wir die Taxonomiekriterien hinbekommen, Kernkraft für die Länder zulassen, die das wollen und auf der anderen Seite Erdgas als Überbrückung akzeptieren. Alles andere wäre unvernünftig und hat auch mit den Pariser Klimazielen nichts zu tun. Der Klimawandel ist gefährlicher als die Kernkraft. Also sollten wir die Kirche im Dorf lassen und sollten die Klimawende pragmatisch und weniger ideologisch angehen.
In der RED sind erstmals auch Zielvorgaben für einzelne Sektoren wie Verkehr oder Industrie vorgesehen. Wie aber soll im Straßenverkehr eine bestimmte Menge grüner Strom eingesetzt werden, solange es noch nicht ausreichend Ladesäulen gibt?
Das ist eine der Schlüsselfragen. Deswegen hat die Kommission die wichtigsten Legislativ-Vorschläge zeitgleich vorgelegt und die jeweilige Wirkung beschrieben. Für uns als Parlament ist das eine riesige Herausforderung, die Antworten auf diese Vorschläge zu finden. Aber auch wir haben wissenschaftliche Dienste. Wenn hier irgendetwas widersprüchlich ist, dann legen wir den Finger in die Wunde. Aber ich bin zuversichtlich, dass wir im Verlauf des nächsten Jahres ein gutes Paket vorlegen können.
Können Sie das konkretisieren?
Man muss uns schon die Zeit lassen, die Auswirkungen auf die Gesellschaft und die Wirtschaft sauber zu analysieren. Wir dürfen hier nicht das Kind mit dem Bade ausschütten und mit Hektik in die Energiearmut steuern. Wir müssen das verantwortungsvoll machen und unserer sozialen Verantwortung gerecht werden, und das braucht eben auch etwas Zeit.
Ein Totalverbot für personalisierte Werbung gehört zu den umstrittensten Vorschlägen zum Digital Services Act (Europe.Table berichtete), die derzeit im Parlament diskutiert werden. Die Kommission lehnt dies ab und der Rat hat in seiner Allgemeinen Ausrichtung in der vergangenen Woche ebenfalls kein solches Verbot vorgesehen (Europe.Table berichtete). Stattdessen schlagen die Mitgliedstaaten nun für besonders große Plattformen verstärkte Transparenzpflichten vor.
Nach der medienwirksamen Anhörung der Facebook-Whistleblowerin Frances Haugen (Europe.Table berichtete) lud die Arbeitsgruppe Digital Single Market des IMCO mehrere Kritiker der personalisierten Werbung zu einer Anhörung.
Eine von ihnen: Orla Lynskey von der London School of Economics and Political Science (LSE). Lynskey argumentierte, das System der personalisierten Werbung verstoße in der heutigen Ausformung nicht nur gegen den Geist der Datenschutz-Grundverordnung. Sondern auch gegen den in der Charta der Grundrechte der EU verankerten Schutz persönlicher Daten.
Hier helfe es auch nicht, dass die Bürgerinnen und Bürger um Zustimmung zur Datenverarbeitung gebeten werden. “Es ist eine komplett nutzlose Information für mich, dass meine Daten zu 450 Organisationen mit jeweils eigenen Datenschutzbestimmungen weitergeleitet werden, wenn ich eine Website besuche”, sagte Lynskey. Die Datenschutz-Grundverordnung habe es nicht geschafft, das seit 20 Jahren anhaltende “Marktversagen” zu beenden.
Das Ausmaß diese Datenübermittlung demonstrierte Johnny Ryan vom Irish Council for Civil Liberties, einer der derzeit schärfsten Kritiker der Werbeindustrie. Neben dem offiziellen Geschäft mit den Daten gebe es auch einen Schattenmarkt. Aus den “Bid Requests”, die bei dem Besuch fast jeder kommerziellen Website vielfach versendet werden, generierten Adtech-Firmen heimlich detaillierte Profile, die sensible Daten von der Religion über gesundheitliche Probleme bis hin zu einer Kategorie für sexuellen Missbrauch umfasse.
“Tausende verschiedener Firmen empfangen diese Daten und es gibt keinen technischen Weg zu kontrollieren, was mit ihnen geschieht“, sagte Ryan. Er verwies auf die Firma Vectaury, die laut einer Untersuchung der französischen Datenaufsichtsbehörde CNIL systematisch an Werbeauktionen teilgenommen habe, um persönliche Daten von Millionen Bürgerinnen und Bürgern abzuschöpfen. Das Wall Street Journal berichtet aktuell, dass Daten aus solchen Werbeauktionen sogar beim US-Militär und amerikanischen Strafverfolgern landeten, um damit Individuen ohne Gerichtsbeschluss zu überwachen.
Die Verfechter eines Verbots personalisierter Werbung legten in der Anhörung Wert darauf, dass sie Werbetargeting nicht insgesamt verbieten wollten. Es solle weiterhin möglich sein, Werbung kontextbasiert auszuspielen.
Das überzeugte den ebenfalls geladenen Ilya Bruggeman vom Wirtschaftsverband Eurocommerce nicht. Er sagte, dass Alternativen zu der auf persönlichen Daten basierenden Werbung nicht ausreichten und bei zu harter Regulierung kleine Unternehmen mit Einbußen rechnen müssten. Auf eine Diskussion, dass dieses Geschäftsmodell viel stärker im Interesse von großen Unternehmen und Tech-Konzernen wie Facebook und Google sei, wollte Bruggeman sich nicht einlassen und warnte vor einem “regulatorischen Reflex”.
Die anschließende Diskussion zeigte, dass abgesehen von Befürwortern wie Alexandra Geese (Grüne/EFA) nur wenige andere Abgeordnete ein komplettes Verbot des milliardenschweren Geschäftsmodells personalisierter Werbung tragen wollen. “Es gibt für mich zwar keine Frage, dass wir ein solches Verbot brauchen, aber ich kann hierfür absolut keine Mehrheit im IMCO sehen“, sagte die Berichterstatterin Christel Schaldemose (S&D, DK).
Da sich somit wohl weder Kommission noch Rat noch Parlament für ein Komplettverbot einsetzen wollen, erscheint ein solches Ergebnis auch in den Trilogen zwischen den Institutionen im kommenden Jahr aus heutiger Sicht unwahrscheinlich – aller Kritik zum Trotz. Torsten Kleinz
In Bulgarien steht Präsident Rumen Radew vor einer zweiten Amtszeit. Der 58-Jährige setze sich am Sonntag Prognosen zufolge in einer Stichwahl mit etwa 64 Prozent der Stimmen gegen seinen Herausforderer Anastas Gardzhikow durch, wie aus Hochrechnungen der Institute Gallup und Alpha Research hervorging. Rumen Radew war in der Bevölkerung beliebter geworden, nachdem er sich 2020 offen auf die Seite von Demonstranten gestellt hatte, die der Regierung des damaligen Ministerpräsidenten Bojko Borissow Korruption vorwarfen.
Das Amt des Präsidenten ist in Bulgarien weitgehend repräsentativ. Er kann aber Einfluss auf die öffentliche Meinung nehmen und zudem in Krisenzeiten Übergangsregierungen ernennen.
Bei der Parlamentswahl vor zwei Wochen hatte sich eine erst wenige Monate zuvor gegründete Reformpartei durchgesetzt, die sich der Korruptionsbekämpfung in dem ärmsten EU-Mitgliedsland verschrieben hat. Es war bereits die dritte Parlamentswahl in diesem Jahr in dem Land gewesen, da eine Regierungsbildung nach den Abstimmungen im April und Juli jeweils scheiterte. rtr
Bei den Gesprächen zwischen der EU und dem Vereinigten Königreich über Handelsfragen, die Nordirland nach dem Brexit betreffen, seien Fortschritte erzielt worden, sagte der Vizepräsident der Europäischen Kommission Maroš Šefčovič am Sonntag.
Die beiden Seiten haben sich vergangene Woche darauf geeinigt, die Bemühungen zu verstärken, um die Schwierigkeiten im Handel zwischen Großbritannien und Nordirland zu lösen.
“Ich bin sicher, dass, wenn Lord Frost und das Vereinigte Königreich die Anstrengungen verdoppeln, wir alle noch offenen Fragen zur Zufriedenheit der nordirischen Bevölkerung lösen können”, sagte Šefčovič in einem Interview mit der BBC. Dabei bezog er sich auf den britischen Chefunterhändler David Frost.
Während des wochenlangen verbalen Schlagabtauschs hatte London wiederholt damit gedroht (Europe.Table berichtete), sich auf Artikel 16 zu berufen, eine Notbremse im Nordirland-Kapitel des Brexit-Abkommens – ein Schritt, der einen Handelskrieg zwischen der EU und Großbritannien auslösen könnte.
Šefčovič begrüßte vergangene Woche den veränderten Ton auf britischer Seite und forderte, dass sich dies in den Gesprächen über die Details der Handelsvereinbarungen in einem Kompromiss niederschlagen müsse. rtr
Der französische Finanzminister Bruno Le Maire sagte am Sonntag, dass Frankreich mit den Vereinigten Arabischen Emiraten an neuen Projekten im Energiesektor, einschließlich erneuerbarer Energien und Wasserstoff als Kraftstoff, arbeiten werde.
“Das Erreichen von Null-CO2-Emissionen bis 2050 ist ein wichtiges Ziel, und wir wollen mit den Vereinigten Arabischen Emiraten in diesem Kampf gegen den Klimawandel zusammenarbeiten“, sagte Le Maire vor Reportern in Abu Dhabi.
Der Minister rief zu wirtschaftlicher und investitionsbezogener Zusammenarbeit auf. Er nannte Investitionen in neue Lieferketten als einen Grund für seinen Besuch in dem Golfstaat. rtr
Anne Hidalgo, geboren 1959 in San Fernando (Spanien), hat bereits den Titel als erste Bürgermeisterin von Paris inne. Jetzt will sie die erste Präsidentin Frankreichs werden.
Ihr Büro gilt als eines der schönsten der ganzen Stadt, manche behaupten sogar, es sei schöner als das des Staatschefs im Élysée-Palast: Dunkle Holzvertäfelungen und hohe Stuckdecken rahmen den Blick aus dem 150-Quadratmeter-Büro raus auf die Seine, die Kathedrale Notre-Dame und die berühmten blaugrauen Dächer von Paris. Etwas mehr als die Hälfte der Menschen in Paris schätzt Anne Hidalgo und wählte sie im vergangenen Jahr in ihr zweites Mandat – nachdem sie 2014 ihren ersten Erfolg feierte. Für ihre Anhänger ist sie eine Visionärin der nachhaltigen Stadtplanung und der Gleichberechtigung, für ihre Kritiker eine links-grüne Närrin.
Mitte September kündigte Hidalgo ihre Kandidatur für die Präsidentschaftswahlen 2022 an und wurde im Oktober offiziell von der Sozialistischen Partei als Vertreterin nominiert. Das Herzstück ihrer Politik soll der Kampf gegen “soziale und territoriale Ungleichheiten” werden. Doch im Moment stehen die Chancen schlecht: In den aktuellen Umfragen schneidet Hidalgo mit Werten zwischen 4 und 6 Prozent ab.
“Politisch inexistent”, “hübsche Brünette” und “Alibi-Frau” titelten die Medien, als Anne Hidalgo 2001 ihre erste Karriere als Inspekteurin zur Überwachung des Arbeitsrechts beendete und zur stellvertretenden Bürgermeisterin der Hauptstadt berufen wurde. Doch von der unauffälligen Newcomerin ist heute nicht mehr viel übrig. Ihre Entscheidung, deutlich mehr Frauen als Männer in Führungsposten zu berufen, führte Ende vergangenen Jahres zu einem strafrechtlichen Verfahren.
Auch Hidalgos Stadtplanung spaltet mit vielen Neuerungen die Gesellschaft. Das fast stadtweite Tempolimit von 30 km/h, die dauerhafte Ausweitungen von Straßencafés auf Parkplätze und der Ausbau der Fahrradwege ist für die viele ein Grund zum Jubeln. Doch Autofahrer sind wütend auf die Bürgermeisterin. Vor allem für die Menschen aus den Banlieues, die kaum Alternativen zum Auto haben und jetzt täglich in langen Staus stehen, haben diese Maßnahmen wenig mit der versprochenen sozialen Gerechtigkeit und Gleichheit zu tun, sondern mit versnobter und realitätsferner Umweltpolitik.
Dabei gibt sich Anne Hidalgo stets volksnah und will mit ihrer eigenen Lebensgeschichte Brücken schlagen. 1962 verließen Hidalgos Eltern das durch die Franco-Diktatur zerrüttete Andalusien und begannen mit den beiden Töchtern ein neues Leben in Südfrankreich nahe Lyon. 1973 erhielt die gesamte Familie die französische Staatsbürgerschaft. Aus der 14-jährigen Ana wurde Anne.
Als erster Präsidentschaftskandidatin mit doppelter Staatsbürgerschaft ist Hidalgo das Thema Migration ein besonderes Anliegen. Ein Aufstieg wie ihrer – vom Einwandererkind aus prekären Verhältnissen zur hochkarätigen Politikerin – soll kein Einzelfall bleiben: “Ich will, dass alle Kinder Frankreichs dieselbe Chance bekommen, die auch ich bekommen habe.” Giorgia Grimaldi
David Sassoli hat gerade noch die Kurve gekriegt. Eigentlich wollte der Präsident des Europaparlaments zurück zum Normalbetrieb. “Back to normal” ohne Homeoffice und Online-Abstimmungen – das war Sassolis Ansage für die Plenartagung, die am Montag in Straßburg beginnt.
Doch der Italiener hatte die Rechnung ohne die Abgeordneten gemacht. Viele Parlamentarier haben nicht nur eine chronische Straßburg-Allergie, sondern noch dazu Heiden-Angst vor Corona – trotz Impfung und 3G im Parlamentsgebäude. 180 MEP probten deshalb den Aufstand.
Es wäre Wahnsinn, mitten in der vierten Welle ein Super-Spreader-Event in Straßburg abzuhalten, meinen sie. Vor der Abreise nach Straßburg erzwangen sie ein Krisentreffen – und siehe da: Sassoli gab nach. Nun wird es doch wieder eine “hybride” Plenartagung geben.
Doch ein Happy End ist das nicht. Sassoli hat zwar die Kurve gekriegt, aber auch an Autorität eingebüßt. Schon bisher war der Italiener wegen seiner erratischen Alleingänge berüchtigt. Nun kann man ihm auch noch mangelndes Gespür für die Stimmungslage in “seinem” Haus vorwerfen.
Aber auch die siegreichen Abgeordneten haben keinen Grund zum Jubel. Sie stehen nun als Angsthasen da. Wenn der XXL-Bundestag mit seinen 736 Abgeordneten trotz Corona “physisch” tagen kann, warum dann nicht auch die Straßburger Kammer mit “nur” 705 Mitgliedern?
Die Coronakrise hat die Exekutive gestärkt – und das Europaparlament geschwächt. Die Rebellion in Straßburg wird diesen Trend nicht brechen, sondern verlängern. Deutschland besinnt sich auf die parlamentarische Demokratie, Europa versteckt sich im Homeoffice. Eric Bonse