die Hauptstadt Kabul und das gesamte Land haben die Taliban weitgehend kampflos eingenommen, nun versuchen die Verantwortlichen in den USA und Europa zumindest ihre verbalen Verteidigungslinien zu halten. Offene Selbstkritik für die fundamentalen Fehleinschätzungen bleibt nicht nur Joe Biden schuldig.
Der erfahrene EU-Außenpolitiker Elmar Brok wird im Gastbeitrag deutlicher: Er stellt das “Desaster von Kabul” in eine Reihe weiterer Verfehlungen westlicher Politik, von Bagdad über Damaskus bis Beirut. Und fordert Europa auf, sein Schicksal künftig stärker selbst in die Hand zu nehmen. “Sonst werden die europäischen Kleinstaaten im chinesischen Zeitalter landen.”
Die EU-Staaten bemühen sich nun um Schadensbegrenzung. Nichts können sie weniger gebrauchen als eine neue Flüchtlingskrise, die den Kontinent spaltet wie 2015. Denn das würde all die ehrgeizigen Pläne gefährden, mit denen Europa endlich wieder in die Offensive kommen wollte – als klimaverträglicher Hightech-Kontinent.
Die Hersteller von Mobilbetriebssystemen geraten immer stärker unter Druck. Der Vorwurf, vor allem an Google und Apple: Die Kontrolle über Geräte, App-Stores und Anwendungen machten sie zu übermächtigen Akteure auf dem Markt.
Die Gesetzgeber auf beiden Seiten des Atlantiks machen sich daran, diese Macht zu brechen. Europaparlament und Rat beraten derzeit den Digital Markets Act (DMA). Das Ziel: Geschäftspraktiken zu adressieren, die einzelnen Akteuren unzulässige Marktvorteile verschaffen und zu Lock-In-Effekten führen. Im Fokus dabei steht insbesondere die Integration von Geräten, Betriebssystemen, Softwarebezugsquellen und Anwendungssoftware. Doch wie kann der Wettbewerb befördert werden, ohne unerwünschte Nebeneffekte zu zeitigen?
Ein Ansatz zielt auf die Stores, die als Schnittstelle zwischen Betriebssystem und Anwendungen dienen. In Artikel 6 des DMA-Entwurfs sind die App-Stores ausdrücklich als Gatekeeper-Funktionen genannt. Der Bericht des EP-Berichterstatters Andreas Schwab (CDU/EVP) schlägt hier auch keine Einschränkungen vor.
Und auch in den USA ist legislativ Bewegung in die Diskussionen gekommen – zuletzt mit dem Vorschlag für einen Open App Store Market-Act. Die parteiübergreifende Initiative des Demokraten Richard Blumenthal und der republikanischen Senatorin Marsha Blackburn knüpft in weiten Teilen an die DMA-Ideen an. Der Act sieht für alle Anbieter von App Stores mit mehr als 50.000 Nutzern in den USA konkrete Vorschriften vor, um die Ökosysteme der Anbieter aufzubrechen. Die unter Präsident Joe Biden neu aufgestellten Aufsichtsbehörde FTC soll die Durchsetzungsgewalt erhalten.
Vor allem Apple steht immer wieder in der Kritik. Der Konzern ist wegen seiner App-Store-Praktiken im Visier der Wettbewerbsbehörden und streitet vor Gericht mit dem Spieleanbieter Epic Games. Apple hat, noch wesentlich stärker als Google, die Kontrolle über das eigene Ökosystem. Apps aus anderen Quellen zu installieren, ist für Laien unmöglich und für Drittanbieter extrem schwierig.
Die Endgeräte des Herstellers aus Cupertino gelten dafür jedoch als besonders sicher. Jede App, die in Apples Software-Store gelangt, muss vorher diverse Prüfungen durchlaufen. Für diese Dienstleistung verlangt der Konzern (wie Google und andere Storeanbieter) einen Teil der Umsätze der Anbieter. Doch die haben derzeit eigentlich keine Alternative zu Apples Store – wenn sie auf iPhones verfügbar sein sollen.
Apples CEO Tim Cook warnt immer wieder davor, Apple zu verpflichten, auch andere Stores zuzulassen. Das gesamte Apple-Ökosystem sei integriert zu betrachten und auf Datenschutz und Sicherheit ausgerichtet. Das sogenannte Sideloading sei “toxisch”, “schrecklich”, warnt Cook. Nur das Apple-eigene Ökosystem sei in der Lage, die Sicherheit zu garantieren. Aber stimmt das?
Dass Sicherheitsüberprüfungen durch Anbieter vorgenommen würden, trage zur Vertrauenswürdigkeit der Softwarequellen bei, sagt ein Sprecher des Bundesamtes für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) auf Anfrage. Dies könnten grundsätzlich auch andere Anbieter gewährleisten, sodass Anwender nicht nur auf die Hersteller-App-Stores angewiesen seien.
In der Praxis aber spielt auch die tatsächliche Fähigkeit der App-Store-Betreiber eine Rolle – was eher für die beiden großen Anbieter spricht. Zwar habe es auch dort “in der Vergangenheit wiederholt Fälle gegeben, in denen unerwünschte oder maliziöse Apps in einzelnen App-Stores zum Download angeboten wurden”, so der Sprecher. Doch aus BSI-Sicht seien dies Einzelfälle gewesen.
Alexander Burris hält dagegen: “Auch die Sicherheits-Prüfung der Apps durch Google und Apple ist nicht frei von Fehlern”, sagt der Lead Mobile Researcher beim Bochumer Cybersicherheitsspezialisten G-Data. Er zieht die Argumente der Branchengrößen in Zweifel: Die Unternehmen würde ihre Marktmacht ausnutzen und Entwickler “entweder effektiv zwingen, ihre Einnahmen mit Google und Apple zu teilen – oder ohne konkreten Grund mit einem vagen Verweis auf die Nutzungsbedingungen die Veröffentlichung einer App verweigern”.
Burris verweist auf Anbieter alternativer Software-Stores wie Samsung oder Huawei, das aus politischen Gründen auf immer mehr Unabhängigkeit von den US-Firmen Apple und Google setzt. Diese hätten in ihren App-Stores Prozesse und Sicherheitsstandards etabliert. “Aus unserer Sicht könnte die Zwangsöffnung daher auch einen Beitrag für mehr Sicherheit bringen“, sagt er zu Europe.Table. “Der Druck auf Google und Apple würde steigen, mehr in die Sicherheit ihrer App-Stores zu investieren, da sich ansonsten ein alternativer App-Store mit dem Thema positionieren und den Nutzenden einen höheren Sicherheitsstandard bieten könnte.”
Bislang jedenfalls scheinen die großen Anbieter mit ihren Sicherheits-Argumenten weder die Experten noch die Politik wirklich überzeugt zu haben. Toxisch oder schrecklich – regulatorisch scheinen Tim Cooks Befürchtungen nicht durchzudringen.
Die Elektromobilität ist auf dem Vormarsch, immer mehr E-Auto-Modelle kommen auf den Markt. Beschleunigt wird der Trend durch die Pläne der EU-Kommission, ab dem Jahr 2035 keine Verbrennungsmotoren mehr zuzulassen. Erste Autohersteller haben sogar ein noch früheres Enddatum bekannt gegeben. Der Boom bei E-Autos bedeutet zugleich einen Boom bei Batterie-Rohstoffen: Für die Akkus wird EU-weit Prognosen zufolge bis 2030 18-mal mehr Lithium und fünfmal mehr Kobalt brauchen als im Jahr 2018.
Die EU selbst verfügt kaum über diese Rohstoffe. Ein Großteil muss importiert werden. Umso wichtiger ist das Recycling der Batterien. Bisher gibt es dabei noch große Lücken. Beispielsweise wird nicht erfasst, wie viele Akkus aus Elektroautos gesammelt oder recycelt werden. Bei der Gesamtzahl der gesammelten Lithiumbatterien – also auch Akkus aus anderen Quellen – liegt die Rückgewinnungsquote des wertvollen Rohstoffs Schätzungen zufolge bei gerade einmal zehn Prozent.
Die EU-Kommission hat das Problem erkannt. Im Dezember 2020 hat die Behörde einen umfassenden Regulierungsvorschlag zum Recycling von (E-Auto-)Batterien und ihrer Zweitnutzung vorgelegt. Der Vorschlag löst eine veraltete EU-Richtlinie von 2006 ab, als Lithium-Akkus noch ein Nischendasein fristeten. Bisher gibt es für solche Akkus noch keine Sammel- oder Recyclingziele. Durch den Kommissionsvorschlag sollen Batterien in Zukunft “zu einer wahren Quelle für die Rückgewinnung wertvoller Rohstoffe werden“. Das ist auch bitter nötig. Denn die weltweite Nachfrage nach Batterien wird laut EU-Angaben bis 2030 um das 14-fache steigen.
Der Kommissionsvorschlag überträgt den Autoherstellern beim Recycling eine Mitverantwortung. Wenn sie Batterien “in einem Mitgliedsland zum ersten Mal auf den Markt bringen”, müssen sie diese am Ende des Lebenszyklus auch wieder einsammeln. Das gelte auch dann, wenn Autohersteller Akkus beispielsweise im asiatischen Ausland kaufen, in einem EU-Land verbauen und die Autos im selben Land auf den Markt bringen, bestätigt die Kommission auf Nachfrage. Wenn also Tesla in Brandenburg oder VW in Zwickau Batterien in ihre E-Autos bauen und diese in Deutschland verkauft werden, sind die Hersteller nach dem Vorschlag der EU-Kommission für die Sammlung der Akkus verantwortlich. Die Hersteller können diese Verantwortung jedoch an andere Organisationen übertragen.
Um mehr der wertvollen Rohstoffe für eine zweite Nutzung zurückgewinnen zu können, setzt die EU höhere Recyclingquoten an:
Um die Kreislaufführung von Rohstoffen voranzutreiben und die hohen Kosten des Recyclings einzuspielen, sollen E-Auto-Batterien ab dem Jahr 2030 gewisse Anteile an recycelten Materialien enthalten – beispielsweise vier Prozent recyceltes Lithium und Nickel und zwölf Prozent recyceltes Kobalt. Bis 2035 sollen die Quoten nach dem Kommissionsvorschlag weiter auf zehn Prozent Lithium, 20 Prozent Kobalt und zwölf Prozent Nickel angehoben werden.
So ambitioniert diese Quoten klingen, rufen sie doch Kritik hervor. Philipp Sommer, Experte für Kreislaufwirtschaft bei der Deutschen Umwelthilfe, fordert: “Die Quote zum Lithium-Recycling sollte früher greifen. Die Recycler können 70 Prozent Recycling von Lithium auch schon 2026 schaffen”. Bei den Quoten zur Nutzung recycelter Materialien in neuen Batterien sieht Sommer bisher “keinen Anreiz für ein hochwertiges Recycling”. Denn die recycelten Materialien müssen laut Kommissionsvorschlag nicht aus alten E-Auto-Batterien stammen. “Für die Umwelt wäre dadurch nichts gewonnen, da so ohnehin vorhandene Stoffströme nur umgeleitet würden”, so Sommer. Das recycelte Material würde an anderer Stelle fehlen.
Der Bundesverband der Deutschen Entsorgungs-, Wasser- und Rohstoffwirtschaft findet einige lobende Worte für die Vorschläge. Die Mindesteinsatzquote von recycelten Rohstoffe für neue Batterien schaffe “Planungs- und Investitionssicherheit für den Aufbau der Recyclinginfrastruktur“, so ein Sprecher. Jedoch müsse die Kommission bei der Berechnungsgrundlage für Recycling- und Verwertungsquoten aufs Tempo drücken. Nur wenn frühzeitig feststehe, wie die vorgeschlagenen Quoten erreicht werden sollen, könne die Infrastruktur rechtzeitig aufgebaut werden.
Um E-Auto-Batterien als Energiespeicher weiter nutzbar zu machen, plant die Kommission, den Markt für Second-Life-Batterien auszubauen. Die Lebensdauer von Akkus in E-Autos wird in Branchenkreisen auf acht bis zehn Jahre angegeben. Danach ist die Kapazität der Akkus und somit die Reichweite der Fahrzeuge soweit gesunken, dass die Akkus ausgetauscht werden. Sie sind dann noch immer beispielsweise als Stromspeicher für private Haushalte oder die Großindustrie einsetzbar.
Bisher fehle es an “geeigneten Informationen zur Vorhersage des Batterieverhaltens” nach ihrem ersten Leben als E-Autobatterien, so die Analyse der EU-Kommission. Dem Regulierungsvorschlag folgend, müssen Batteriehersteller beispielsweise Produzenten von Speicherlösungen Zugang zu Informationen über den Zustand der Batterien und die verbleibende Lebensdauer liefern.
Das soll über ein Batteriemanagementsystem und einen Batteriepass gewährleistet werden. Der Batteriepass soll auch die Rückverfolgbarkeit von E-Auto-Batterien garantieren, damit kein Akku illegal entsorgt werden kann. Der Pass soll 2026 eingeführt werden und auch Recyclingbetreiber mehr Informationen über die Batterietypen der unterschiedlichen Hersteller zur Verfügung stellen. Das soll die Recyclingeffizienz erhöhen.
Wirtschaftsverbände wie der VDMA befürworten “im Grundsatz die von der EU verfolgten Regulierungsziele für nachhaltige Batterien”. Doch der Verband warnt auch vor der “Gefahr eines erheblichen bürokratischen Mehraufwands” für seine Mitgliedsunternehmen. Den Unternehmen drohten “enorme Wettbewerbsnachteile zur außereuropäischen Konkurrenz“. Kerstin Meyer von Agora Verkehrswende will diese Kritik nicht gelten lassen: “Die EU sollte hohe Standards setzen. Der internationale Wettbewerb darf bei Recyclingstandards nicht zu einem Race to the Bottom führen”, so die Projektleiterin im Bereich Fahrzeuge und Antriebe.
Der Schweizer Rohstoffkonzern Glencore beteiligt sich an dem Batterie-Start-Up Britishvolt. Letzteres steht hinter dem Bau einer Gigafactory im britischen Northumberland, mit der die heimische Automobilindustrie für die elektrische Zukunft gerüstet werden soll.
Glencore ist der weltweit größte Kobaltproduzent und wird im Rahmen der neuen Partnerschaft auch Britishvolt mit dem Rohstoff beliefern, der in Folge der zunehmenden Elektrifizierung des Straßenverkehrs immer begehrter wird.
Das Vereinigte Königreich plant, den Verkauf von Verbrennungsmotoren ab dem Jahr 2030 zu verbieten. Entsprechend groß ist der Druck auf die Automobilindustrie hinsichtlich der Versorgung mit Batterien. Großbritanniens erste Gigafactory, ein 2,6-Milliarden-Pfund-Projekt, gilt als entscheidenden Baustein.
“Dies ist ein großer Schritt in die richtige Richtung für Britishvolt, da wir den Übergang zu einer kohlenstoffarmen Gesellschaft beschleunigen wollen. Durch die Partnerschaft mit Glencore können wir die Versorgung sichern und das Projekt risikofrei gestalten”, sagt Orral Nadjari, Gründer von Britishvolt.
Die Gigafactory strebt eine Kapazität von jährlich 30 GWh an, genug für 300.000 Batteriepacks pro Jahr, wobei die erste Produktion für Ende 2023 erwartet wird. Zum Vergleich: Für die im Bau befindliche Gigafactory von Tesla in Berlin-Brandenburg rechnet CEO Elon Musk mit einer Kapazität von “zunächst 100 und dann bis zu 250 GWh pro Jahr.” til
Chinas Regulierung der Digitalbranche geht in eine neue Runde: Die chinesische Marktaufsichtsbehörde (SAMR) hat einen Entwurf für eine neue Verordnung gegen unlauteren Wettbewerb im Internet veröffentlicht. Das Ziel sei, eine “standardisierte und gesunde Entwicklung der digitalen Wirtschaft” zu fördern. Die SAMR fordert die Bevölkerung und die betroffenen Branchen auf, sich zu dem Entwurf zu äußern. Das Regelpaket soll vor allem für besseren Datenschutz sorgen. Bis zum 15. September läuft nun eine Anhörungsfrist.
Die neuen Regeln sehen unter anderem vor, dass Entscheidungen der Nutzer nicht mehr algorithmisch beeinflusst werden dürfen. Die Auswertung großer Datenmengen, um bei Kunden Kaufentscheidungen herbeizuführen, ist jedoch Teil des Kerngeschäfts vieler chinesischer Onlineanbieter. Unternehmen sollen auch keine irreführenden Informationen mehr über Wettbewerber verbreiten dürfen.
Für europäische Unternehmen dürfte insbesondere das Verwendungsverbot für nicht-lizensierte Markennamen und Bildmarken relevant sein. Zudem soll es Gewerbetreibenden künftig verboten werden, eine Belohnung für gute Bewertungen im Netz anzubieten. Ein weiterer Punkt betrifft technisches unfaires Verhalten gegenüber Wettbewerbern: Künftig soll es verboten sein, Mitbewerber zum Beispiel dadurch zu behindern, dass ihre Software deinstalliert wird.
Die Staats- und Parteiführung Chinas hatte in den vergangenen Monaten bereits eine Vielzahl an Maßnahmen ergriffen, um Firmen der Technologiebranche zu regulieren. So sind neben Wettbewerbsprüfungen auch Maßnahmen zur Datensicherheit und zum Datenschutz in Arbeit – oft inspiriert von EU-Regelungen. An der Börse hat die Veröffentlichung des Dokuments einigen Wirbel ausgelöst: Die Aktienkurse betroffener Technikfirmen verzeichneten am Dienstag Kurseinbußen. Bilibili verlor sechs Prozent, Meituan drei Prozent, Alibaba 2,9 Prozent, Tencent zwei Prozent. fin/fst
Das amerikanische Jahrhundert ist zu Ende und damit auch die prägende Kraft des Westens in Politik, Sicherheit, Wirtschaft und der Grundrechte der UN-Charta. Wenn es nicht gelingt, aus dem Desaster von Kabul, aber auch Bagdad, Damaskus und Beirut glaubwürdige Konsequenzen zu ziehen, hätte Osama Bin Laden umfassender gesiegt, als er es sich erträumt hat.
Wir Europäer liegen näher an dem Desaster der westlichen Politik, zu dem auch Afrika gehört. Wir werden die Lasten wie erneut steigende Flüchtlingszahlen und Instabilität zu tragen haben. Wir Europäer müssen jetzt begreifen, dass wir unser Schicksal stärker in die eigene Hand nehmen und eine eigenständige, handlungsfähige EU-Außen- und Verteidigungspolitik verwirklichen müssen.
Strategische Autonomie ist angesichts der Politik der vergangenen vier US-Präsidenten dringend geboten. Sonst werden die europäischen Kleinstaaten im chinesischen Zeitalter landen. Auch Berlin muss nach diesem Desaster begreifen, dass das alleinige Setzen auf Washington angesichts der eigenen Schwächen, die grandios verdrängt werden, perspektivlos, arrogant und borniert ist. Wir sollten uns ehrlich machen.
Gleichzeitig wäre es falsch, auf eine Äquidistanz zu den USA, China und Russland zu setzen. Die beiden letzteren sind aggressive Diktaturen, die im Gegensatz zu unseren Zielen und Werten stehen.
Die USA und die Nato, deren Glaubwürdigkeit jetzt dramatisch leidet, sind heute noch unverzichtbar für die kollektive Sicherheit Europas. Aber auch die USA müssen begreifen, dass sie die EU als gleichwertigen Partner annehmen müssen, wenn sie nach diesem Desaster nicht die Führung der Welt in einem fließenden Prozess an China übergeben wollen. Dazu gehört, dass Europa bei der Festlegung des Anfangs und des Endes militärischer Aktionen sowie bei der Definition von Einsatzzielen ein wirkliches Mitspracherecht erhält. Im Irak und in Afghanistan war das nicht gegeben.
In Afghanistan und Libyen, aber letztlich auch im Kunststaat Irak, handelt es sich um historisch tribalistische Länder, die schwache Monarchien als Klammer hielten. Mit dem letzten afghanischen König habe ich das mehrfach in Rom und Kabul diskutiert. In diesen Ländern kann man keinen zentralen demokratischen Nationalstaat nach westlichem Muster durchsetzen, schon gar nicht im Rahmen einer falsch angelegten militärischen Strafaktion nach dem 11. September. Auch das gut Gemeinte wirkt dann arrogant.
Bush Senior hatte die Fähigkeit zur Stärke und zur Selbstbegrenzung. Im ersten Irakkrieg hatte er eine starke internationale Militärmacht in Ruhe aufgebaut, ein begrenztes Ziel – die Befreiung Kuweits – definiert und den Krieg nach Erreichen des Ziels binnen drei Tagen beendet.
EU und der Westen insgesamt müssen nun die Beziehungen zu Indien politisch und wirtschaftlich ausbauen, auch wegen der unklaren Situation Pakistans sowie wegen der Nachbarn China und Iran. Das Tempo der EU-Verhandlungen über einen Handelsvertrag mit Indien sollte erhöht werden. Die EU-Kommission muss die Handelspolitik verstärkt als Teil einer gesamtpolitischen Strategie begreifen. China ist mit den Taliban schon im Gespräch, und zwar nicht nur zur Absicherung ihrer Uiguren-Politik.
Nicht nur der zu erwartende Flüchtlingsansturm macht es notwendig, die Beziehungen zur Türkei zu entwickeln. Das heißt nicht, die innenpolitischen Entwicklungen dort gutzuheißen. Im Gegenteil. Aber wenn wir die geographische Lage der Türkei sehen, sollte sie an EU und Nato gebunden bleiben. Auch ihr potenzieller Einfluss in den turksprachigen Völkern, die früher zur Sowjetunion gehörten, könnte eine stabilisierende Bedeutung haben.
Der ehemalige sowjetische Oberbefehlshaber Orlow hat mir am Tag des Einmarsches der USA in Afghanistan in Ottawa bei einem Mittagessen im Rahmen einer NATO-Parlamentarierversammlung gesagt: “Wie man hineinkommt, haben wir auch gewusst. Ich hoffe, die Amerikaner wissen besser als wir, wie man wieder herauskommt.” In diesen furchtbaren Tagen müssen wir sehen, dass der Westen nichts gelernt hat.
Jede Veränderung braucht Mutige, die vorangehen und der Welt zeigen, dass sie möglich ist. Im Fall von Rathlin Island sind es sogar satte 150 Mutige. Die gesamte Einwohnerschaft dieser kleinen Insel, knapp zehn Kilometer vom nordirischen Festland entfernt, hat ein großes Ziel: CO2-Neutralität bis zum Ende des Jahrzehnts.
Viel braucht es in diesem Fall offenbar auch gar nicht, um das Ziel zu erreichen. Rathlin verlässt sich voll und ganz auf eine einzige simple Maßnahme: Die Verwendung von Wasserstoff, womit künftig unter anderem die Fähre, die von Ballycastle am nordirischen Festland für die Überfahrt nach Rathlin ablegt, betrieben werden soll. Wasserstoff, den die Insel selbst produzieren möchte und das laut eigenen Angaben auch schon kann. CO2-neutral und dazu noch energieunabhängig – Donnerwetter, da reibt sich der Rest Europas schon jetzt die Augen. Die Inselbewohner nehmen diese kolossale Vorreiterrolle mit stoischer Gelassenheit und senden eine klare Botschaft in die Welt: “Wenn wir das schaffen, schafft das jeder”.
Recht haben sie, wenn man von einer Insel kommt, welche erst seit 2007 am Stromnetz Nordirlands angeschlossen ist, in den letzten 80 Jahren rund 85 Prozent ihrer Bevölkerung verloren hat und man davon ausgehen kann, dass bis 2030 kaum noch Inselbewohner übrig sein werden, die Emissionen verursachen. In diesem Fall schafft es vermutlich wirklich jeder. Aber immerhin, Rathlin Island hat sich ein durchaus machbares Klimaziel gesetzt. Lukas Scheid
die Hauptstadt Kabul und das gesamte Land haben die Taliban weitgehend kampflos eingenommen, nun versuchen die Verantwortlichen in den USA und Europa zumindest ihre verbalen Verteidigungslinien zu halten. Offene Selbstkritik für die fundamentalen Fehleinschätzungen bleibt nicht nur Joe Biden schuldig.
Der erfahrene EU-Außenpolitiker Elmar Brok wird im Gastbeitrag deutlicher: Er stellt das “Desaster von Kabul” in eine Reihe weiterer Verfehlungen westlicher Politik, von Bagdad über Damaskus bis Beirut. Und fordert Europa auf, sein Schicksal künftig stärker selbst in die Hand zu nehmen. “Sonst werden die europäischen Kleinstaaten im chinesischen Zeitalter landen.”
Die EU-Staaten bemühen sich nun um Schadensbegrenzung. Nichts können sie weniger gebrauchen als eine neue Flüchtlingskrise, die den Kontinent spaltet wie 2015. Denn das würde all die ehrgeizigen Pläne gefährden, mit denen Europa endlich wieder in die Offensive kommen wollte – als klimaverträglicher Hightech-Kontinent.
Die Hersteller von Mobilbetriebssystemen geraten immer stärker unter Druck. Der Vorwurf, vor allem an Google und Apple: Die Kontrolle über Geräte, App-Stores und Anwendungen machten sie zu übermächtigen Akteure auf dem Markt.
Die Gesetzgeber auf beiden Seiten des Atlantiks machen sich daran, diese Macht zu brechen. Europaparlament und Rat beraten derzeit den Digital Markets Act (DMA). Das Ziel: Geschäftspraktiken zu adressieren, die einzelnen Akteuren unzulässige Marktvorteile verschaffen und zu Lock-In-Effekten führen. Im Fokus dabei steht insbesondere die Integration von Geräten, Betriebssystemen, Softwarebezugsquellen und Anwendungssoftware. Doch wie kann der Wettbewerb befördert werden, ohne unerwünschte Nebeneffekte zu zeitigen?
Ein Ansatz zielt auf die Stores, die als Schnittstelle zwischen Betriebssystem und Anwendungen dienen. In Artikel 6 des DMA-Entwurfs sind die App-Stores ausdrücklich als Gatekeeper-Funktionen genannt. Der Bericht des EP-Berichterstatters Andreas Schwab (CDU/EVP) schlägt hier auch keine Einschränkungen vor.
Und auch in den USA ist legislativ Bewegung in die Diskussionen gekommen – zuletzt mit dem Vorschlag für einen Open App Store Market-Act. Die parteiübergreifende Initiative des Demokraten Richard Blumenthal und der republikanischen Senatorin Marsha Blackburn knüpft in weiten Teilen an die DMA-Ideen an. Der Act sieht für alle Anbieter von App Stores mit mehr als 50.000 Nutzern in den USA konkrete Vorschriften vor, um die Ökosysteme der Anbieter aufzubrechen. Die unter Präsident Joe Biden neu aufgestellten Aufsichtsbehörde FTC soll die Durchsetzungsgewalt erhalten.
Vor allem Apple steht immer wieder in der Kritik. Der Konzern ist wegen seiner App-Store-Praktiken im Visier der Wettbewerbsbehörden und streitet vor Gericht mit dem Spieleanbieter Epic Games. Apple hat, noch wesentlich stärker als Google, die Kontrolle über das eigene Ökosystem. Apps aus anderen Quellen zu installieren, ist für Laien unmöglich und für Drittanbieter extrem schwierig.
Die Endgeräte des Herstellers aus Cupertino gelten dafür jedoch als besonders sicher. Jede App, die in Apples Software-Store gelangt, muss vorher diverse Prüfungen durchlaufen. Für diese Dienstleistung verlangt der Konzern (wie Google und andere Storeanbieter) einen Teil der Umsätze der Anbieter. Doch die haben derzeit eigentlich keine Alternative zu Apples Store – wenn sie auf iPhones verfügbar sein sollen.
Apples CEO Tim Cook warnt immer wieder davor, Apple zu verpflichten, auch andere Stores zuzulassen. Das gesamte Apple-Ökosystem sei integriert zu betrachten und auf Datenschutz und Sicherheit ausgerichtet. Das sogenannte Sideloading sei “toxisch”, “schrecklich”, warnt Cook. Nur das Apple-eigene Ökosystem sei in der Lage, die Sicherheit zu garantieren. Aber stimmt das?
Dass Sicherheitsüberprüfungen durch Anbieter vorgenommen würden, trage zur Vertrauenswürdigkeit der Softwarequellen bei, sagt ein Sprecher des Bundesamtes für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) auf Anfrage. Dies könnten grundsätzlich auch andere Anbieter gewährleisten, sodass Anwender nicht nur auf die Hersteller-App-Stores angewiesen seien.
In der Praxis aber spielt auch die tatsächliche Fähigkeit der App-Store-Betreiber eine Rolle – was eher für die beiden großen Anbieter spricht. Zwar habe es auch dort “in der Vergangenheit wiederholt Fälle gegeben, in denen unerwünschte oder maliziöse Apps in einzelnen App-Stores zum Download angeboten wurden”, so der Sprecher. Doch aus BSI-Sicht seien dies Einzelfälle gewesen.
Alexander Burris hält dagegen: “Auch die Sicherheits-Prüfung der Apps durch Google und Apple ist nicht frei von Fehlern”, sagt der Lead Mobile Researcher beim Bochumer Cybersicherheitsspezialisten G-Data. Er zieht die Argumente der Branchengrößen in Zweifel: Die Unternehmen würde ihre Marktmacht ausnutzen und Entwickler “entweder effektiv zwingen, ihre Einnahmen mit Google und Apple zu teilen – oder ohne konkreten Grund mit einem vagen Verweis auf die Nutzungsbedingungen die Veröffentlichung einer App verweigern”.
Burris verweist auf Anbieter alternativer Software-Stores wie Samsung oder Huawei, das aus politischen Gründen auf immer mehr Unabhängigkeit von den US-Firmen Apple und Google setzt. Diese hätten in ihren App-Stores Prozesse und Sicherheitsstandards etabliert. “Aus unserer Sicht könnte die Zwangsöffnung daher auch einen Beitrag für mehr Sicherheit bringen“, sagt er zu Europe.Table. “Der Druck auf Google und Apple würde steigen, mehr in die Sicherheit ihrer App-Stores zu investieren, da sich ansonsten ein alternativer App-Store mit dem Thema positionieren und den Nutzenden einen höheren Sicherheitsstandard bieten könnte.”
Bislang jedenfalls scheinen die großen Anbieter mit ihren Sicherheits-Argumenten weder die Experten noch die Politik wirklich überzeugt zu haben. Toxisch oder schrecklich – regulatorisch scheinen Tim Cooks Befürchtungen nicht durchzudringen.
Die Elektromobilität ist auf dem Vormarsch, immer mehr E-Auto-Modelle kommen auf den Markt. Beschleunigt wird der Trend durch die Pläne der EU-Kommission, ab dem Jahr 2035 keine Verbrennungsmotoren mehr zuzulassen. Erste Autohersteller haben sogar ein noch früheres Enddatum bekannt gegeben. Der Boom bei E-Autos bedeutet zugleich einen Boom bei Batterie-Rohstoffen: Für die Akkus wird EU-weit Prognosen zufolge bis 2030 18-mal mehr Lithium und fünfmal mehr Kobalt brauchen als im Jahr 2018.
Die EU selbst verfügt kaum über diese Rohstoffe. Ein Großteil muss importiert werden. Umso wichtiger ist das Recycling der Batterien. Bisher gibt es dabei noch große Lücken. Beispielsweise wird nicht erfasst, wie viele Akkus aus Elektroautos gesammelt oder recycelt werden. Bei der Gesamtzahl der gesammelten Lithiumbatterien – also auch Akkus aus anderen Quellen – liegt die Rückgewinnungsquote des wertvollen Rohstoffs Schätzungen zufolge bei gerade einmal zehn Prozent.
Die EU-Kommission hat das Problem erkannt. Im Dezember 2020 hat die Behörde einen umfassenden Regulierungsvorschlag zum Recycling von (E-Auto-)Batterien und ihrer Zweitnutzung vorgelegt. Der Vorschlag löst eine veraltete EU-Richtlinie von 2006 ab, als Lithium-Akkus noch ein Nischendasein fristeten. Bisher gibt es für solche Akkus noch keine Sammel- oder Recyclingziele. Durch den Kommissionsvorschlag sollen Batterien in Zukunft “zu einer wahren Quelle für die Rückgewinnung wertvoller Rohstoffe werden“. Das ist auch bitter nötig. Denn die weltweite Nachfrage nach Batterien wird laut EU-Angaben bis 2030 um das 14-fache steigen.
Der Kommissionsvorschlag überträgt den Autoherstellern beim Recycling eine Mitverantwortung. Wenn sie Batterien “in einem Mitgliedsland zum ersten Mal auf den Markt bringen”, müssen sie diese am Ende des Lebenszyklus auch wieder einsammeln. Das gelte auch dann, wenn Autohersteller Akkus beispielsweise im asiatischen Ausland kaufen, in einem EU-Land verbauen und die Autos im selben Land auf den Markt bringen, bestätigt die Kommission auf Nachfrage. Wenn also Tesla in Brandenburg oder VW in Zwickau Batterien in ihre E-Autos bauen und diese in Deutschland verkauft werden, sind die Hersteller nach dem Vorschlag der EU-Kommission für die Sammlung der Akkus verantwortlich. Die Hersteller können diese Verantwortung jedoch an andere Organisationen übertragen.
Um mehr der wertvollen Rohstoffe für eine zweite Nutzung zurückgewinnen zu können, setzt die EU höhere Recyclingquoten an:
Um die Kreislaufführung von Rohstoffen voranzutreiben und die hohen Kosten des Recyclings einzuspielen, sollen E-Auto-Batterien ab dem Jahr 2030 gewisse Anteile an recycelten Materialien enthalten – beispielsweise vier Prozent recyceltes Lithium und Nickel und zwölf Prozent recyceltes Kobalt. Bis 2035 sollen die Quoten nach dem Kommissionsvorschlag weiter auf zehn Prozent Lithium, 20 Prozent Kobalt und zwölf Prozent Nickel angehoben werden.
So ambitioniert diese Quoten klingen, rufen sie doch Kritik hervor. Philipp Sommer, Experte für Kreislaufwirtschaft bei der Deutschen Umwelthilfe, fordert: “Die Quote zum Lithium-Recycling sollte früher greifen. Die Recycler können 70 Prozent Recycling von Lithium auch schon 2026 schaffen”. Bei den Quoten zur Nutzung recycelter Materialien in neuen Batterien sieht Sommer bisher “keinen Anreiz für ein hochwertiges Recycling”. Denn die recycelten Materialien müssen laut Kommissionsvorschlag nicht aus alten E-Auto-Batterien stammen. “Für die Umwelt wäre dadurch nichts gewonnen, da so ohnehin vorhandene Stoffströme nur umgeleitet würden”, so Sommer. Das recycelte Material würde an anderer Stelle fehlen.
Der Bundesverband der Deutschen Entsorgungs-, Wasser- und Rohstoffwirtschaft findet einige lobende Worte für die Vorschläge. Die Mindesteinsatzquote von recycelten Rohstoffe für neue Batterien schaffe “Planungs- und Investitionssicherheit für den Aufbau der Recyclinginfrastruktur“, so ein Sprecher. Jedoch müsse die Kommission bei der Berechnungsgrundlage für Recycling- und Verwertungsquoten aufs Tempo drücken. Nur wenn frühzeitig feststehe, wie die vorgeschlagenen Quoten erreicht werden sollen, könne die Infrastruktur rechtzeitig aufgebaut werden.
Um E-Auto-Batterien als Energiespeicher weiter nutzbar zu machen, plant die Kommission, den Markt für Second-Life-Batterien auszubauen. Die Lebensdauer von Akkus in E-Autos wird in Branchenkreisen auf acht bis zehn Jahre angegeben. Danach ist die Kapazität der Akkus und somit die Reichweite der Fahrzeuge soweit gesunken, dass die Akkus ausgetauscht werden. Sie sind dann noch immer beispielsweise als Stromspeicher für private Haushalte oder die Großindustrie einsetzbar.
Bisher fehle es an “geeigneten Informationen zur Vorhersage des Batterieverhaltens” nach ihrem ersten Leben als E-Autobatterien, so die Analyse der EU-Kommission. Dem Regulierungsvorschlag folgend, müssen Batteriehersteller beispielsweise Produzenten von Speicherlösungen Zugang zu Informationen über den Zustand der Batterien und die verbleibende Lebensdauer liefern.
Das soll über ein Batteriemanagementsystem und einen Batteriepass gewährleistet werden. Der Batteriepass soll auch die Rückverfolgbarkeit von E-Auto-Batterien garantieren, damit kein Akku illegal entsorgt werden kann. Der Pass soll 2026 eingeführt werden und auch Recyclingbetreiber mehr Informationen über die Batterietypen der unterschiedlichen Hersteller zur Verfügung stellen. Das soll die Recyclingeffizienz erhöhen.
Wirtschaftsverbände wie der VDMA befürworten “im Grundsatz die von der EU verfolgten Regulierungsziele für nachhaltige Batterien”. Doch der Verband warnt auch vor der “Gefahr eines erheblichen bürokratischen Mehraufwands” für seine Mitgliedsunternehmen. Den Unternehmen drohten “enorme Wettbewerbsnachteile zur außereuropäischen Konkurrenz“. Kerstin Meyer von Agora Verkehrswende will diese Kritik nicht gelten lassen: “Die EU sollte hohe Standards setzen. Der internationale Wettbewerb darf bei Recyclingstandards nicht zu einem Race to the Bottom führen”, so die Projektleiterin im Bereich Fahrzeuge und Antriebe.
Der Schweizer Rohstoffkonzern Glencore beteiligt sich an dem Batterie-Start-Up Britishvolt. Letzteres steht hinter dem Bau einer Gigafactory im britischen Northumberland, mit der die heimische Automobilindustrie für die elektrische Zukunft gerüstet werden soll.
Glencore ist der weltweit größte Kobaltproduzent und wird im Rahmen der neuen Partnerschaft auch Britishvolt mit dem Rohstoff beliefern, der in Folge der zunehmenden Elektrifizierung des Straßenverkehrs immer begehrter wird.
Das Vereinigte Königreich plant, den Verkauf von Verbrennungsmotoren ab dem Jahr 2030 zu verbieten. Entsprechend groß ist der Druck auf die Automobilindustrie hinsichtlich der Versorgung mit Batterien. Großbritanniens erste Gigafactory, ein 2,6-Milliarden-Pfund-Projekt, gilt als entscheidenden Baustein.
“Dies ist ein großer Schritt in die richtige Richtung für Britishvolt, da wir den Übergang zu einer kohlenstoffarmen Gesellschaft beschleunigen wollen. Durch die Partnerschaft mit Glencore können wir die Versorgung sichern und das Projekt risikofrei gestalten”, sagt Orral Nadjari, Gründer von Britishvolt.
Die Gigafactory strebt eine Kapazität von jährlich 30 GWh an, genug für 300.000 Batteriepacks pro Jahr, wobei die erste Produktion für Ende 2023 erwartet wird. Zum Vergleich: Für die im Bau befindliche Gigafactory von Tesla in Berlin-Brandenburg rechnet CEO Elon Musk mit einer Kapazität von “zunächst 100 und dann bis zu 250 GWh pro Jahr.” til
Chinas Regulierung der Digitalbranche geht in eine neue Runde: Die chinesische Marktaufsichtsbehörde (SAMR) hat einen Entwurf für eine neue Verordnung gegen unlauteren Wettbewerb im Internet veröffentlicht. Das Ziel sei, eine “standardisierte und gesunde Entwicklung der digitalen Wirtschaft” zu fördern. Die SAMR fordert die Bevölkerung und die betroffenen Branchen auf, sich zu dem Entwurf zu äußern. Das Regelpaket soll vor allem für besseren Datenschutz sorgen. Bis zum 15. September läuft nun eine Anhörungsfrist.
Die neuen Regeln sehen unter anderem vor, dass Entscheidungen der Nutzer nicht mehr algorithmisch beeinflusst werden dürfen. Die Auswertung großer Datenmengen, um bei Kunden Kaufentscheidungen herbeizuführen, ist jedoch Teil des Kerngeschäfts vieler chinesischer Onlineanbieter. Unternehmen sollen auch keine irreführenden Informationen mehr über Wettbewerber verbreiten dürfen.
Für europäische Unternehmen dürfte insbesondere das Verwendungsverbot für nicht-lizensierte Markennamen und Bildmarken relevant sein. Zudem soll es Gewerbetreibenden künftig verboten werden, eine Belohnung für gute Bewertungen im Netz anzubieten. Ein weiterer Punkt betrifft technisches unfaires Verhalten gegenüber Wettbewerbern: Künftig soll es verboten sein, Mitbewerber zum Beispiel dadurch zu behindern, dass ihre Software deinstalliert wird.
Die Staats- und Parteiführung Chinas hatte in den vergangenen Monaten bereits eine Vielzahl an Maßnahmen ergriffen, um Firmen der Technologiebranche zu regulieren. So sind neben Wettbewerbsprüfungen auch Maßnahmen zur Datensicherheit und zum Datenschutz in Arbeit – oft inspiriert von EU-Regelungen. An der Börse hat die Veröffentlichung des Dokuments einigen Wirbel ausgelöst: Die Aktienkurse betroffener Technikfirmen verzeichneten am Dienstag Kurseinbußen. Bilibili verlor sechs Prozent, Meituan drei Prozent, Alibaba 2,9 Prozent, Tencent zwei Prozent. fin/fst
Das amerikanische Jahrhundert ist zu Ende und damit auch die prägende Kraft des Westens in Politik, Sicherheit, Wirtschaft und der Grundrechte der UN-Charta. Wenn es nicht gelingt, aus dem Desaster von Kabul, aber auch Bagdad, Damaskus und Beirut glaubwürdige Konsequenzen zu ziehen, hätte Osama Bin Laden umfassender gesiegt, als er es sich erträumt hat.
Wir Europäer liegen näher an dem Desaster der westlichen Politik, zu dem auch Afrika gehört. Wir werden die Lasten wie erneut steigende Flüchtlingszahlen und Instabilität zu tragen haben. Wir Europäer müssen jetzt begreifen, dass wir unser Schicksal stärker in die eigene Hand nehmen und eine eigenständige, handlungsfähige EU-Außen- und Verteidigungspolitik verwirklichen müssen.
Strategische Autonomie ist angesichts der Politik der vergangenen vier US-Präsidenten dringend geboten. Sonst werden die europäischen Kleinstaaten im chinesischen Zeitalter landen. Auch Berlin muss nach diesem Desaster begreifen, dass das alleinige Setzen auf Washington angesichts der eigenen Schwächen, die grandios verdrängt werden, perspektivlos, arrogant und borniert ist. Wir sollten uns ehrlich machen.
Gleichzeitig wäre es falsch, auf eine Äquidistanz zu den USA, China und Russland zu setzen. Die beiden letzteren sind aggressive Diktaturen, die im Gegensatz zu unseren Zielen und Werten stehen.
Die USA und die Nato, deren Glaubwürdigkeit jetzt dramatisch leidet, sind heute noch unverzichtbar für die kollektive Sicherheit Europas. Aber auch die USA müssen begreifen, dass sie die EU als gleichwertigen Partner annehmen müssen, wenn sie nach diesem Desaster nicht die Führung der Welt in einem fließenden Prozess an China übergeben wollen. Dazu gehört, dass Europa bei der Festlegung des Anfangs und des Endes militärischer Aktionen sowie bei der Definition von Einsatzzielen ein wirkliches Mitspracherecht erhält. Im Irak und in Afghanistan war das nicht gegeben.
In Afghanistan und Libyen, aber letztlich auch im Kunststaat Irak, handelt es sich um historisch tribalistische Länder, die schwache Monarchien als Klammer hielten. Mit dem letzten afghanischen König habe ich das mehrfach in Rom und Kabul diskutiert. In diesen Ländern kann man keinen zentralen demokratischen Nationalstaat nach westlichem Muster durchsetzen, schon gar nicht im Rahmen einer falsch angelegten militärischen Strafaktion nach dem 11. September. Auch das gut Gemeinte wirkt dann arrogant.
Bush Senior hatte die Fähigkeit zur Stärke und zur Selbstbegrenzung. Im ersten Irakkrieg hatte er eine starke internationale Militärmacht in Ruhe aufgebaut, ein begrenztes Ziel – die Befreiung Kuweits – definiert und den Krieg nach Erreichen des Ziels binnen drei Tagen beendet.
EU und der Westen insgesamt müssen nun die Beziehungen zu Indien politisch und wirtschaftlich ausbauen, auch wegen der unklaren Situation Pakistans sowie wegen der Nachbarn China und Iran. Das Tempo der EU-Verhandlungen über einen Handelsvertrag mit Indien sollte erhöht werden. Die EU-Kommission muss die Handelspolitik verstärkt als Teil einer gesamtpolitischen Strategie begreifen. China ist mit den Taliban schon im Gespräch, und zwar nicht nur zur Absicherung ihrer Uiguren-Politik.
Nicht nur der zu erwartende Flüchtlingsansturm macht es notwendig, die Beziehungen zur Türkei zu entwickeln. Das heißt nicht, die innenpolitischen Entwicklungen dort gutzuheißen. Im Gegenteil. Aber wenn wir die geographische Lage der Türkei sehen, sollte sie an EU und Nato gebunden bleiben. Auch ihr potenzieller Einfluss in den turksprachigen Völkern, die früher zur Sowjetunion gehörten, könnte eine stabilisierende Bedeutung haben.
Der ehemalige sowjetische Oberbefehlshaber Orlow hat mir am Tag des Einmarsches der USA in Afghanistan in Ottawa bei einem Mittagessen im Rahmen einer NATO-Parlamentarierversammlung gesagt: “Wie man hineinkommt, haben wir auch gewusst. Ich hoffe, die Amerikaner wissen besser als wir, wie man wieder herauskommt.” In diesen furchtbaren Tagen müssen wir sehen, dass der Westen nichts gelernt hat.
Jede Veränderung braucht Mutige, die vorangehen und der Welt zeigen, dass sie möglich ist. Im Fall von Rathlin Island sind es sogar satte 150 Mutige. Die gesamte Einwohnerschaft dieser kleinen Insel, knapp zehn Kilometer vom nordirischen Festland entfernt, hat ein großes Ziel: CO2-Neutralität bis zum Ende des Jahrzehnts.
Viel braucht es in diesem Fall offenbar auch gar nicht, um das Ziel zu erreichen. Rathlin verlässt sich voll und ganz auf eine einzige simple Maßnahme: Die Verwendung von Wasserstoff, womit künftig unter anderem die Fähre, die von Ballycastle am nordirischen Festland für die Überfahrt nach Rathlin ablegt, betrieben werden soll. Wasserstoff, den die Insel selbst produzieren möchte und das laut eigenen Angaben auch schon kann. CO2-neutral und dazu noch energieunabhängig – Donnerwetter, da reibt sich der Rest Europas schon jetzt die Augen. Die Inselbewohner nehmen diese kolossale Vorreiterrolle mit stoischer Gelassenheit und senden eine klare Botschaft in die Welt: “Wenn wir das schaffen, schafft das jeder”.
Recht haben sie, wenn man von einer Insel kommt, welche erst seit 2007 am Stromnetz Nordirlands angeschlossen ist, in den letzten 80 Jahren rund 85 Prozent ihrer Bevölkerung verloren hat und man davon ausgehen kann, dass bis 2030 kaum noch Inselbewohner übrig sein werden, die Emissionen verursachen. In diesem Fall schafft es vermutlich wirklich jeder. Aber immerhin, Rathlin Island hat sich ein durchaus machbares Klimaziel gesetzt. Lukas Scheid