Wenn heute der Europäische Rat beginnt, sind einige Machtspiele schon ausgefochten – die um die Tagesordnung. Themen wie Handel und Atomenergie wollen manche Staats- und Regierungschefs unbedingt pushen oder am liebsten gar nicht behandeln. Eine Vorschau auf die drängendsten Gipfel-Debatten geben Till Hoppe und Eric Bonse.
Ganz nah bei den Bürgern war gestern die Kommission mit zwei neuen Initiativen aus dem Green Deal: dem Recht auf Reparatur und Green Claims. Mit welchen grünen Botschaften Unternehmen demnächst werben dürfen oder auch nicht, hat sich Corinna Visser angesehen.
Auf dem Prüfstand befand sich gestern ein Kommissionsvorschlag aus der vergangenen Woche, der Critical Raw Materials Act. Mit Expertinnen und Experten für Rohstoffpolitik diskutierte Leonie Düngefeld bei unserem Online-Event, wie realistisch die Ziele des Gesetzes sind.
Ein Streitthema würden die Staats- und Regierungschefs gerne weiträumig umfahren: Die Verhandlungen über das Verbrenner-Aus sollen möglichst vor dem am Vormittag startenden EU-Gipfel abgeschlossen sein, zumindest aber den beiden bisherigen Kontrahenten überlassen werden, Bundesverkehrsminister Volker Wissing und EU-Kommissionsvize Frans Timmermans.
Kanzler Olaf Scholz stellt sich zwar ausdrücklich hinter die Forderung seines Koalitionspartners, die Kommission solle noch einen Vorschlag zur Nutzung von E-Fuels vorlegen: Dies sei “Kernbestandteil der Trilog-Einigung” zu den neuen Flottengrenzwerten, heißt es in seinem Umfeld. Wie die Kommission hält Scholz den Gipfel aber für das falsche Forum, um ein solch technisches Thema zu verhandeln.
Ein anderes Streitthema kann der Kanzler beim Gipfel in Brüssel aber wohl nicht umschiffen: die Rolle der Nuklearenergie. Frankreichs Staatspräsident Emmanuel Macron drängt gemeinsam mit Polen, Tschechien und Bulgarien auf eine strategische Diskussion über die Bedeutung der Kernkraft für Europas Energieversorgung. Die Bundesregierung warnte hingegen im Vorfeld vor einer solchen Grundsatzdebatte.
In Berlin gibt man sich zwar entspannt: “Deutschland und Frankreich haben sich zum Thema Nuklear schon geeinigt”, sagt ein hochrangiger Regierungsvertreter. Beim deutsch-französischen Ministerrat im Januar habe man mit Bezug zum Wasserstoff vereinbart, dass Kernkraft bei den europäischen Dekarbonisierungszielen berücksichtigt werden könne, aber nicht zulasten der Ausbauziele für erneuerbare Energien gehen dürfe.
Doch das hindert Macron nicht, in Brüssel massiv für die Förderung der Nuklearindustrie zu werben. Der Präsident wolle “Missverständnisse ausräumen und die Debatte entideologisieren”, sagte ein EU-Diplomat. Macron wittert seine Chance, denn das Lager der Atomkraft-Gegner um Deutschland und Österreich ist in die Defensive geraten. In die Gipfel-Schlussfolgerungen wird es die Kernenergie aber kaum schaffen – dafür wäre Konsens nötig.
Scholz wiederum dürfte in der Diskussion um die Wettbewerbsfähigkeit ein Anliegen pushen, das Macron gerne vermeiden würde: neue Freihandelsabkommen mit den Mercosur-Staaten und anderen. Gipfel-Gastgeber Charles Michel hat für Donnerstagabend einen “ausführlichen Meinungsaustausch” zur Bedeutung der Handelspolitik auf die Agenda gesetzt, was in Berlin ausdrücklich begrüßt wird. Die Bundesregierung verspricht sich davon “ein klares Signal” für Handelsabkommen und damit mehr Rückenwind für die EU-Kommission.
Deren Unterhändler versuchen aktuell, bis zum Sommer die Verhandlungen mit Australien und mit Mercosur abzuschließen. Vor allem in Frankreich, aber auch in den Niederlanden und Österreich gibt es aber massive Bedenken gegen höhere Agrarimporte aus den südamerikanischen Ländern. In Berlin pochen die Grünen wiederum darauf, die Verpflichtungen aus dem Abkommen zum Schutz von Regenwald und Arbeitnehmerechten mit Sanktionen zu bewehren. In Berliner Regierungskreisen zeigt man sich aber zuversichtlich, sich hier insbesondere mit Brasiliens Präsident Lula da Silva einigen zu können.
Bei der Gelegenheit dürften die Staats- und Regierungschefs auch über China sprechen. In Brüssel kursierten im Vorfeld Gerüchte, Ratspräsident Michel wolle das Investitionsabkommen CAI aus dem Gefrierschrank holen, wo es seit mehr als zwei Jahren liegt. Michel befürworte das Abkommen zwar, schränkten EU-Diplomaten ein, er übe aber keinen großen Druck auf die Mitgliedstaaten aus, hier voranzukommen.
Am Freitag diskutieren Scholz und Co dann über die Lage der Währungsunion. In den vergangenen Jahren seien die Euro-Gipfel “ein bisschen Routine gewesen”, sagt ein hochrangiger EU-Diplomat, diesmal sei das anders: Die Staats- und Regierungschefs wollen von EZB-Präsidentin Christine Lagarde wissen, wie groß die Ansteckungsgefahren aus den Pleiten von Crédit Suisse und Silicon Valley Bank für das eigene Bankensystem sind. Sie sind aber noch nicht im Alarmmodus früherer Finanzkrisen.
Vorher noch, ganz zu Beginn des Gipfels am heutigen Donnerstag, empfangen die Staats- und Regierungschefs einen besonderen Gast: UN-Generalsekretär António Guterres. In den Gesprächen soll es um die Ukraine, aber auch um das Getreideabkommen mit Russland gehen. Die EU will Guterres Unterstützung zusichern und erneut klarstellen, dass ihre Sanktionen gegen Russland keine Gefahr für die Versorgungssicherheit im globalen Süden darstellen. Es gebe genug Ausnahmen und Präzisierungen bei den Sanktionen, auch die Finanzierung von Düngemittel- und Getreidelieferungen sei gesichert, so ein EU-Diplomat. “Die Verantwortung (für Probleme) liegt eindeutig bei Russland.”
Die Gipfel-Teilnehmer wollen sich zudem hinter die “Friedensformel” des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj stellen. Ein Waffenstillstand mit anschließenden Verhandlungen ist darin nicht vorgesehen. Der Gipfel gibt damit auch eine Antwort auf den umstrittenen 12-Punkte-Plan, den Präsident Xi Jinping bei seinem Staatsbesuch in Moskau mit Kremlchef Wladimir Putin diskutiert hat. Die EU will darauf jedoch nicht explizit eingehen. Das russisch-chinesische Bündnis wird in dem Gipfelentwurf nicht erwähnt.
Vielmehr will die EU die Ukraine noch stärker unterstützen – vor allem bei Waffen- und Munitionslieferungen, heißt es in Michels Einladungsschreiben für den Gipfel. Die EU-Außenminister hatten am Montag beschlossen, binnen zwölf Monaten bis zu eine Million Artillerie-Geschosse an die Ukraine zu liefern. Über die Details hatte es zunächst Streit gegeben. EU-Chefdiplomat Josep Borrell wollte die Beschaffung über die Europäische Verteidigungsagentur organisieren, Deutschland will mit seiner eigenen Industrie vorangehen. Der Gipfel plant nun einen Kompromiss – beides soll möglich sein.
Für Diskussionen beim Gipfel dürften auch die Sanktionen gegen Russland und Belarus sorgen. Sie weisen immer noch Lücken auf und sparen einige wichtige Bereiche wie den russischen Diamanten-Handel und die Nuklearindustrie aus. Umstritten ist auch, ob es Ausnahmen von dem geltenden Importverbot für Düngemittel aus Belarus geben sollte. Ein elftes Sanktionspaket stehe noch nicht an, sagte ein EU-Diplomat. Vielmehr gehe es darum, die bisherigen Strafen besser durchzusetzen und zu “verfeinern”. So sollen die Verantwortlichen für die Deportation von Kindern mit Reise- und Vermögenssperren belegt werden. Eric Bonse und Till Hoppe
Die EU-Kommission hat am Mittwoch zwei Richtlinien vorgeschlagen, die Bürger der Union dabei unterstützen sollen, nachhaltiger zu konsumieren. Die eine ist das Recht auf Reparatur (Right to Repair), die andere die Richtlinie über Umweltaussagen (Green Claims). Eine Mehrheit der Europäerinnen und Europäer sei bereit, persönlich etwas zur Eindämmung des Klimawandels beizutragen, sagte Justizkommissar Didier Reynders bei der Vorstellung. Dabei will die Kommission ihnen nun helfen.
Eine der Möglichkeiten, nachhaltigen Konsum und eine Kreislaufwirtschaft zu erreichen, bestehe darin, Produkte länger zu nutzen und sie zu reparieren, statt neue zu kaufen, erklärte Reynders. Er verwies darauf, dass vorzeitig weggeworfene Produkte in der EU jedes Jahr zu 35 Millionen Tonnen Abfall, 30 Millionen Tonnen verschwendeter Ressourcen und 261 Millionen Tonnen Treibhausgasemissionen führten. Den Verbrauchern gehen geschätzte zwölf Milliarden Euro pro Jahr verloren, weil sie verwendbare Produkte nicht reparieren (lassen), sondern wegwerfen.
Das Gesetz zielt darauf ab, Reparaturen und die Wiederverwendung von Produkten zu fördern und zu erleichtern – und zwar sowohl innerhalb der Garantiezeit als auch danach. Demnach müssen Verkäufer Reparaturen anbieten, auch wenn der Verbraucher den Schaden selbst verursacht hat. Ausnahme: Die Reparatur ist teurer als der Ersatz. Nicht zuletzt dient das Gesetz auch der strategischen Autonomie der EU, weil es den Bedarf an Ressourcen senkt.
Das Gesetz sieht einen Anspruch der Verbraucher gegenüber Herstellern auf Reparatur von Produkten vor, die nach EU-Recht technisch reparierbar sind, wie Waschmaschinen oder Fernsehgeräte. Weitere Instrumente sind: Eine Verpflichtung der Hersteller, Verbraucher über die Produkte zu unterrichten, die sie selbst reparieren müssen. Eine Matchmaking-Reparaturplattform im Internet, auf der Verbraucher Kontakt zu Reparaturbetrieben und Verkäufern instandgesetzter Waren in ihrer Region aufnehmen können. Ein europäisches Formular für Reparaturinformationen, das Verbraucher von jedem Reparaturbetrieb verlangen können, um Angebote vergleichen zu können. Und einen europäischen Qualitätsstandard für Reparaturdienstleistungen, bei dem sich Reparaturbetriebe (freiwillig) zu Mindestqualitätsstandards verpflichten.
Das Recht auf Reparatur – das die Kommission viel früher vorstellen wollte – ergänzt andere Instrumente, die ebenfalls zum Ziel haben, nachhaltigen Verbrauch durch Reparaturen im Rahmen des Green Deals zu fördern: Die Ökodesign-Verordnung regelt die Reparierbarkeit von Produkten in der Produktionsphase. Das Recht auf Reparatur betrifft zunächst vor allem Haushaltsgeräte, deren Reparierbarkeit in der Ökodesign-Verordnung geregelt ist. Mobiltelefone und Tablets sollen nach einiger Zeit folgen.
Hierin sieht der verbraucherschutzpolitische Sprecher der EVP-Fraktion ein Problem. “Da die Ökodesign-Verordnung langfristig deutlich mehr als nur Haushaltsgeräte umfassen soll, muss klar geregelt werden, welche Reparaturen der Nachhaltigkeit dienen und Verbraucher schützen – und welche nur höhere Kosten bedeuten”, forderte Andreas Schwab.
Für René Repasi (S&D) ist entscheidend, dass Unternehmen keine abschreckenden Mondpreise verlangen dürfen, damit das Recht auf Reparatur sozial verträglich sei. Zusätzlich sollte die EU-Kommission nationale Anreize, wie etwa Reparaturgutscheine vorschlagen. Fehlten solche Anreize, bestehe die Gefahr, dass das Recht lediglich auf Papier existiere.
Die Kommission habe die Gelegenheit verpasst, die brennenden Fragen der Bezahlbarkeit von Reparaturen und der reparaturfeindlichen Praktiken konkret anzugehen, kritisiert auch Cristina Ganapini. Die Koordinatorin der Kampagne Right to Repair Europe fordert ein “wirklich allgemeines Recht auf Reparatur”, das unabhängige Anbieter einschließe und allgemeinen Zugang zu erschwinglichen Ersatzteilen, Reparaturhandbüchern und Diagnosewerkzeugen gewährleiste. Die vorgeschlagenen Reparaturverpflichtungen seien zu eng gefasst, “um die Reparaturrevolution herbeizuführen, die wir brauchen”.
Der ZVEI wiederum hält eine europäische Harmonisierung für “zwingend” erforderlich. “Wichtig ist, dass es einen europäischen Rahmen für das Recht auf Reparatur gibt und es damit nicht zu unterschiedlichen nationalen Regelungen kommen kann”, sagte Carine Chardon, Bereichsleiterin Consumer beim ZVEI.
Ebenfalls zum Green Deal zählen die Vorschriften gegen Grünfärberei und irreführende Umweltaussagen. Wenn Verbraucher etwas für die Umwelt tun wollten und dafür sogar mehr Geld ausgeben, dann sollten sie auch sicher sein können, dass die Aussagen eines Herstellers zu den Umwelteigenschaften seines Produktes auch stimmen, sagte Umweltkommissar Virginijus Sinkevičius.
Ziel der Richtlinie ist es, Verbrauchern größere Klarheit zu geben, ebenso wie Unternehmen, die echte Anstrengungen zur Verbesserung der Umweltverträglichkeit ihrer Produkte unternehmen, zu unterstützen.
Eine Studie der Kommission stellte fest, dass 53,3 Prozent der geprüften Umweltaussagen in der EU vage, irreführend oder unfundiert waren. Beispiele für solche Aussagen sind: “klimaneutraler Versand” oder “ozeanfreundlicher Sonnenschutz”.
Nach dem Vorschlag müssen Unternehmen, die freiwillige Umweltaussagen über ihre Produkte oder Dienstleistungen machen, künftig Mindeststandards einhalten. Diese beziehen sich sowohl auf den Beleg der Aussagen als auch darauf, wie sie kommuniziert werden.
Ausgenommen sind Umweltaussagen, die unter bestehende EU-Vorschriften fallen, wie das EU-Umweltzeichen oder das EU-Bio-Logo für ökologische/biologische Lebensmittel. Der Vorschlag sieht ebenfalls eine Regelung für Umweltzeichen vor. Von denen gibt es laut Sinkevičius mindestens 230 verschiedene, was zu Verwirrung und Misstrauen führe.
In einer ersten Reaktion bedauerte das European Environmental Bureau (EEB), dass Aussagen über CO₂-Neutralität nicht vollständig verboten wurden, ebenso wie die Verwendung von Green Claims für Produkte, die gefährliche Chemikalien enthalten. Daher fordert das EEB das Europäische Parlament und die nationalen Regierungen auf, diesen Bestimmungen bei den anstehenden Verhandlungen über die Richtlinie Vorrang einzuräumen.
24.03.2023 – 10:00-11:30 Uhr, online
Hydrogen Europe, Seminar Clean ammonia in the future energy system
Hydrogen Europe presents the main conclusions of a study on challenges and opportunities that arise with the decarbonisation of the sector. INFOS & REGISTRATION
25.03.2023 – 14:00-16:00 Uhr, Stuttgart
FES, Seminar Zeitenwende: Außen- und Sicherheitspolitik neu denken
Die Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) spricht über neue Ansätze deutscher Außen- und Sicherheitspolitik. INFOS & ANMELDUNG
27.03.-12.05.2023, online
SAP, Seminar Supply Chain for Transportation Management Bootcamp
Die SAP vermittelt Wissen über den kompletten funktionalen Scope des Transportation Managements (Transportbedarfe, Planung, Ausführung, Frachtkosten). INFOS & REGISTRATION
27.03.-30.03.2023, online
OECD International Conference on AI in Work, Innovation, Productivity and Skills
The 2023 International Conference on AI in Work, Innovation, Productivity, and Skills brings together leading voices from the policy, academic, business, technical and civil society communities to discuss how AI affects employment, skills, productivity, and innovation, and how policymaking can respond. INFOS & REGISTRATION
27.03.2023 – 14:00 Uhr, online
EBD, Seminar De-Briefing Europäischer Rat
Die Europäische Bewegung Deutschland (EBD) analysiert die Sitzung des Europäischen Rats am 23./24. März 2023. INFOS & ANMELDUNG
27.03.2023 – 17:30-18:30 Uhr, online
FES, Diskussion Investitionen in die Wettbewerbsfähigkeit und klimaneutrale Transformation der EU
Die Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) beschäftigt sich mit dem amerikanischen “Inflation Reduction Act” und dem EU-Wiederaufbauplan “NextGenerationEU”. INFOS & ANMELDUNG
28.03.-29.03.2023, Frankfurt/online
Handelsblatt, Konferenz Bankenaufsicht 2023
Das Handelsblatt geht der Frage nach, wie sich die multiplen Krisen, die Zinswende und die rasanten technologischen und gesellschaftlichen Entwicklungen auf die Risiken und Geschäftsmodelle der Institute auswirken. INFOS & ANMELDUNG
28.03.-29.03.2023, online
ERA, Seminar Liability for Products and Artificial Intelligence
The Academy of European Law (ERA) discusses liability for products and artificial intelligence (AI) in the light of the forthcoming AI Act, the proposed AI Liability Directive (AILD) and the revision of the Product Liability Directive (PLD). INFOS & REGISTRATION
28.03.2023 – 12:00-13:00 Uhr, online
EASE, Seminar How will the Revised Market Design Affect the Energy Storage Market in Europe?
The European Association for Storage of Energy (EASE) discusses how the new European Union legislative initiatives, and in particular the revision of the Electricity Market Design, are going to impact the energy storage sector. INFOS & REGISTRATION
Das Ziel des vergangene Woche vorgestellten Critical Raw Materials Acts, 40 Prozent des EU-Bedarfs an strategischen Rohstoffen aus eigener Weiterverarbeitung zu decken, bewerten Vertreter aus Politik, Industrie und Zivilgesellschaft als unrealistisch. Auf einer Veranstaltung von Europe.Table zum neuen Gesetzesentwurf sagte Hildegard Bentele (EVP) am Mittwoch, besonders dieses Ziel sei sehr ambitioniert und müsse im weiteren Gesetzgebungsverfahren noch überprüft werden. Ein “One size fits all”-Ansatz könne womöglich nicht allen einzelnen Rohstoffen gerecht werden.
Daniel Quantz vom Industrieverband WV Metalle erklärte, das 40-Prozent-Ziel sei eine zu große Herausforderung, wenn man die Energiepolitik nicht mitdenke. “Wir können hier in Europa nur dann weiterverarbeiten, wenn die entsprechenden Voraussetzungen da sind”, sagte er.
Michael Reckordt von der NGO Powershift sieht die größte Hürde darin, 40 Prozent des Bedarfs in der EU zu verarbeiten und gleichzeitig die angestrebte Augenhöhe in den strategischen Partnerschaften mit Drittländern einzuhalten. Das Ziel sei natürlich an China adressiert, wo bislang der größte Teil der Weiterverarbeitung stattfinde. “Aber im Kräfteverhältnis zwischen der EU, Nordamerika und dem globalen Süden sind letztere in der Vergangenheit immer am schwächsten gewesen”, sagte er. Als Beispiel nannte Reckordt die WTO-Klage der EU gegen Indonesien, nachdem das Land Nickel nicht mehr exportieren, sondern nur noch vor Ort weiterverarbeiten wollte. Er begrüßte jedoch die Bereitschaft von deutscher und europäischer Seite, in eine Verlängerung der Wertschöpfung vor Ort zu investieren.
Als positiv bewerteten alle, dass das Bewusstsein für kritische Rohstoffe gestärkt und das Thema oben auf der politischen Agenda angekommen sei. Hier seien allerdings noch weitere Schritte zu gehen: Etwa fehle es an Zustimmung der betroffenen Gemeinden für Bergbauprojekte in Europa.
Die Kommission will den heimischen Bergbau mit dem Gesetzespaket stärken und strebt an, bis 2030 mindestens zehn Prozent des jährlichen Bedarfs an Primärrohstoffen selbst zu generieren. Dafür sollen Genehmigungsverfahren für Rohstoffprojekte und die dort inbegriffenen Umweltverträglichkeitsprüfungen beschleunigt und gebündelt werden.
Dies berge Gefahren, kritisierte Reckordt: Umweltverträglichkeitsprüfungen würden auch Vertrauen bei den Menschen in den betroffenen Gebieten schaffen. Der Gesetzesvorschlag sage wenig darüber, inwieweit Menschen vor Ort konsultiert werden sollen und ob sie auch die Möglichkeit haben, Projekte abzulehnen. “In vielen Projekten im globalen Süden, wo wir Proteste sehen, hätte man diese in einem frühzeitigen Verfahren reduzieren oder limitieren können.” Auch, indem man sich an die Erkenntnisse aus den Verfahren und der Umweltverträglichkeitsprüfung gehalten hätte, so Reckordt. Diese Debatten seien notwendig und bräuchten Zeit, sagte er.
Betroffene Gemeinden müssen am Nutzen und an den Vorteilen solcher Projekte teilhaben, erklärte Daniel Quantz. Das Beispiel von Windkraftanlagen würde zeigen, dass die Akzeptanz für solche Projekte viel höher sei, wenn es Möglichkeiten der Bürgerbeteiligung und eine Teilhabe an den Vorteilen, in diesem Fall den niedrigeren Energiepreisen, gebe. Das Ziel, diese Prozesse innerhalb von zwei Jahren, wie im Entwurf vorgesehen, durchzuführen, könnte jedoch schwierig sein.
Wenn die EU sich als Industriestandort nicht von anderen Regionen abhängen lassen wolle, dann sei jedoch keine Zeit für solche Vetos, entgegnete Bentele. “Wenn wir nicht bereit sind, Rohstoffe schneller abzubauen als in zehn oder 15 Jahren, haben wir ganz große Entwicklungen hier in Europa verpasst und verlieren industrielle Arbeitsplätze, und zwar zukunftsträchtige Arbeitsplätze in den sauberen Technologien“. Die Alternative sei, keine Elektroautos, Windturbinen und Batterien zu haben – oder sie aus China zu importieren. leo
Er bedaure nichts, sagte Emmanuel Macron in einem Fernsehinterview mit TF1 und France 2 am Mittwoch. Der französische Präsident schloss Neuwahlen oder eine Regierungsumbildung aus, trotz heftigen Protesten und knapp überstandenem Misstrauensvotum. Macron verteidigte seine Rentenreform, mit der das Renteneintrittsalter bis 2030 schrittweise von aktuell 62 auf 64 Jahre angehoben werden soll.
Die Franzosen lebten heute länger und arbeiteten später, erläuterte er. Dazu komme die hohe Verschuldung Frankreichs durch die Corona-Pandemie und den Krieg in der Ukraine. Dass er diese Notwendigkeit nicht klarmachen konnte, bedaure er dann doch.
Während Frankreich innenpolitisch in der Krise ist, gilt Macron nach außen immer noch als Reformer, der die Wirtschaft stärkt. Um Frankreichs Reformbereitschaft zu beweisen, nimmt Macron hin, dass die Rentenreform ihn unbeliebt macht: “Ich versuche nicht wiedergewählt zu werden“, sagte er im Interview. “Zwischen den kurzfristigen Beliebtheitsumfragen und dem allgemeinen Interesse des Landes, wähle ich das Interesse des Landes.” Der französische Präsident darf nach zwei aufeinanderfolgenden Amtszeiten nicht wiedergewählt werden. Auch deshalb kann er hart bleiben.
Der Ärger der Franzosen sei normal, so Macron. Das habe es bei jeder Rentenreform gegeben. Er ist überzeugt, dass er richtig entschieden hat. “Wären frühere Rentenreformen nicht durchgesetzt worden, wäre die finanzielle Situation noch problematischer.” Er bestätigte auch Premierministerin Élisabeth Borne in ihrem Amt, während viele Kritiker ihren Rücktritt verlangen. Borne hatte dafür gesorgt, dass die Reformpläne des Präsidenten ohne Abstimmung im Parlament durchgesetzt werden können.
Macron zieht seinen Kurs unbeirrt durch und betont, das Land habe kein Recht auf Stillstand. Das geplante Immigrationsgesetz soll in den nächsten Wochen auf der Agenda stehen. Womöglich als Lehre aus der Rentenreform, will er dabei anders vorgehen: Statt ein großes Projekt vorzulegen, soll es mehrere kleinere Texte geben, die individuell diskutiert werden. Macron sieht dadurch offenbar bessere Chancen, dass die Gesetze durchkommen. In Frankreich war erwartet worden, dass das Immigrationspaket verschoben wird, da es zu heikel sei.
Schon vor dem Interview war klar, dass Macron hart bleiben würde. Vor seinen Ministern sagte er, man habe keine andere Wahl gehabt, als es bis zum Ende durchzuziehen. “Man darf sich nicht einschüchtern lassen.” Er beteuert, die Verfassung rechtmäßig genutzt zu haben. Nur weil ein Text nur knapp angenommen wird, sei er nicht unrechtmäßig. Währenddessen gehen die Demonstrationen in Frankreich gegen die Rentenreform weiter. Am Donnerstag ist wieder Generalstreik. tk/luk
Das britische Parlament hat einen vorläufigen Schlussstrich unter den jahrelangen Streit mit der Europäischen Union über den Brexit-Vertrag gezogen. Das Unterhaus stimmte am Mittwoch mit überwältigender Mehrheit für eine von Premierminister Rishi Sunak mit der EU ausgehandelte Reform des Nordirland-Protokolls. Damit werden Kontrollen des Warenverkehrs zwischen der britischen Provinz Nordirland und dem EU-Mitglied Irland neu geregelt.
Sunak zahlte für den Erfolg jedoch einen hohen politischen Preis. 22 Abgeordnete seiner konservativen Partei stimmten gegen das Vorhaben, 48 enthielten sich der Stimme. Die neuen Regeln wurden dagegen von Labour und anderen Oppositions-Parteien unterstützt.
Vergangenen Monat war nach monatelangen Verhandlungen ein Durchbruch erzielt worden. Das sogenannte Windsor-Abkommen regelt vor allem die strittigen Punkte von Zöllen und Grenzen für die britische Provinz nach dem Austritt aus der EU. Die eigentliche Zollgrenze zwischen der EU und dem Königreich bleibt die Irische See. Nordirland bleibt damit Teil des EU-Binnenmarkts und muss einige EU-Regeln einhalten. Damit wird eine harte Grenze zwischen Nordirland und dem EU-Staat Irland vermieden. rtr
Zum möglichen Verbot von “Ewigkeitschemikalien” (PFAS) in der EU haben am Mittwoch öffentliche sechsmonatige Konsultationen begonnen. “Die Konsultation soll jedem, der über Informationen über PFAS verfügt, die Gelegenheit geben, sich zu äußern”, schrieb die EU-Chemikalienagentur ECHA in Helsinki. Nach Ablauf der Frist am 25. September will die Agentur ein mögliches Verbot aufgrund der vorliegenden Informationen beurteilen und sich eine Meinung darüber bilden. Die Entscheidung trifft die Europäische Kommission schließlich gemeinsam mit den EU-Mitgliedsstaaten.
Die Stoffe der Chemikaliengruppe, zu der geschätzt mehr als 10 000 extrem langlebige Substanzen gehören, sind in Alltagsprodukten wie Anoraks, Pfannen und Kosmetik verarbeitet. Sie finden aber auch in Industrieprozessen Anwendung.
Deutschland, die Niederlande, Dänemark, Norwegen und Schweden hatten im Januar vorgeschlagen, die Herstellung, Verwendung und das Inverkehrbringen von PFAS fast komplett zu verbieten. Der Vorschlag sieht je nach Anwendung Übergangsfristen von bis zu dreizehneinhalb Jahren vor. Für einige wenige Bereiche gäbe es unbegrenzte Ausnahmen.
Die Industrie sträubt sich gegen ein breites Verbot der Stoffe, weil nur für wenige von ihnen direkt nachgewiesen sei, dass sie gefährlich sind. Nur wenige der Stoffe sind allerdings bislang gut untersucht – und die meisten der gut untersuchten Stoffe gelten als mittel- bis hochtoxisch. dpa
“Wenn Menschen in den Supermarkt gehen, ist es ihre freie Entscheidung, bestimmte Dinge in den Einkaufswagen zu legen oder nicht” – so beschreibt Konrad Stockmeier seinen Blick auf die Marktwirtschaft. Die habe viel mit Freiheit zu tun, findet der FDP-Politiker. “Deshalb sollte der Staat in diesen Prozess nicht ständig eingreifen, indem er das eine oder andere Produkt subventioniert.” Seit 2021 sitzt Stockmeier im Bundestag und beschäftigt sich dort mit Europa- und Energiepolitik. Der 45-Jährige wünscht sich, dass die EU künftig genau überlegt, worin sie investiert: “Wir können jeden Förder-Euro nur einmal ausgeben.”
Stockmeier wuchs in einem Vorort von Konstanz in einem Pfarrhaus auf, sein Vater wurde später Präsident des Wohlfahrtsverbands Diakonie Deutschland. “Das hat mich durchaus auch für sozialpolitische Themen sensibilisiert”, sagt er rückblickend. Doch als Teenager faszinierten ihn vor allem die Artikel von Wirtschaftsprofessoren der Uni Konstanz in der Lokalzeitung. Stockmeier studierte Volkswirtschaftslehre und wurde Marktforscher. Durch den Job habe er einen “technischen Blick” auf die Welt bekommen, wie er sagt, weil er sich ständig mit neuen Erfindungen beschäftigen konnte.
“Es ist beeindruckend, wie viel Hirnschmalz etwa in die neue Beschichtung des Deckels von einem Joghurtbecher fließt“, erzählt Stockmeier begeistert. Oft stecke in kleinen Dingen viel mehr Hightech als so mancher vermute. Aus dieser Erkenntnis resultiere ein Stück weit auch sein Politikverständnis: “Ich bin sehr, sehr skeptisch, wenn staatliche Stellen meinen, sie wüssten schon 15 Jahre vorher, mit welchen Stellschrauben wir der Klimaneutralität näherkommen.” Die Zahnräder technischer Entwicklung müssten freies Spiel haben, damit sie reibungslos ineinandergreifen könnten.
Stockmeier sagt, er sei lange ein eher passives Parteimitglied gewesen, bevor ihm im Winter 2019 der Gedanke kam: “Ich hätte schon mal Lust, einen Sommer Wahlkampf mitzumachen.” Seine Mannheimer Parteifreunde wählten ihn zum Kandidaten, er ergatterte Listenplatz 13. Doch mit dem Einzug in den Bundestag rechnete Stockmeier aufgrund der Umfragewerte vorerst nicht. Es kam anders. “Da habe ich mich am Montag nach der Wahl recht plötzlich auf dem politischen Parkett wiedergefunden”, erinnert er sich. Gefreut habe er sich trotz der Überraschung sehr.
Aktuell beschäftigt ihn vor allem die Frage, wie Europa auf den Inflation Reduction Act der USA reagiert. Quoten für die heimische Fertigung nachhaltiger Technologien sieht er kritisch: “Das atmet einen planwirtschaftlichen Geist.” Es brauche zwar eine europäische Reaktion, aber die sollte nicht darin bestehen, die Produktion von Standard-Solarmodulen in Europa zu fördern. “Die bekommen wir aus anderen Ländern günstiger und bringen uns auch keinen Wettbewerbsvorteil gegenüber Drittstaaten.” Viel sinnvoller sei es aus seiner Sicht, die Forschung an der nächsten und übernächsten Photovoltaik-Generation zu unterstützen. Die könne man dann auch exportieren. Paul Meerkamp
Wenn heute der Europäische Rat beginnt, sind einige Machtspiele schon ausgefochten – die um die Tagesordnung. Themen wie Handel und Atomenergie wollen manche Staats- und Regierungschefs unbedingt pushen oder am liebsten gar nicht behandeln. Eine Vorschau auf die drängendsten Gipfel-Debatten geben Till Hoppe und Eric Bonse.
Ganz nah bei den Bürgern war gestern die Kommission mit zwei neuen Initiativen aus dem Green Deal: dem Recht auf Reparatur und Green Claims. Mit welchen grünen Botschaften Unternehmen demnächst werben dürfen oder auch nicht, hat sich Corinna Visser angesehen.
Auf dem Prüfstand befand sich gestern ein Kommissionsvorschlag aus der vergangenen Woche, der Critical Raw Materials Act. Mit Expertinnen und Experten für Rohstoffpolitik diskutierte Leonie Düngefeld bei unserem Online-Event, wie realistisch die Ziele des Gesetzes sind.
Ein Streitthema würden die Staats- und Regierungschefs gerne weiträumig umfahren: Die Verhandlungen über das Verbrenner-Aus sollen möglichst vor dem am Vormittag startenden EU-Gipfel abgeschlossen sein, zumindest aber den beiden bisherigen Kontrahenten überlassen werden, Bundesverkehrsminister Volker Wissing und EU-Kommissionsvize Frans Timmermans.
Kanzler Olaf Scholz stellt sich zwar ausdrücklich hinter die Forderung seines Koalitionspartners, die Kommission solle noch einen Vorschlag zur Nutzung von E-Fuels vorlegen: Dies sei “Kernbestandteil der Trilog-Einigung” zu den neuen Flottengrenzwerten, heißt es in seinem Umfeld. Wie die Kommission hält Scholz den Gipfel aber für das falsche Forum, um ein solch technisches Thema zu verhandeln.
Ein anderes Streitthema kann der Kanzler beim Gipfel in Brüssel aber wohl nicht umschiffen: die Rolle der Nuklearenergie. Frankreichs Staatspräsident Emmanuel Macron drängt gemeinsam mit Polen, Tschechien und Bulgarien auf eine strategische Diskussion über die Bedeutung der Kernkraft für Europas Energieversorgung. Die Bundesregierung warnte hingegen im Vorfeld vor einer solchen Grundsatzdebatte.
In Berlin gibt man sich zwar entspannt: “Deutschland und Frankreich haben sich zum Thema Nuklear schon geeinigt”, sagt ein hochrangiger Regierungsvertreter. Beim deutsch-französischen Ministerrat im Januar habe man mit Bezug zum Wasserstoff vereinbart, dass Kernkraft bei den europäischen Dekarbonisierungszielen berücksichtigt werden könne, aber nicht zulasten der Ausbauziele für erneuerbare Energien gehen dürfe.
Doch das hindert Macron nicht, in Brüssel massiv für die Förderung der Nuklearindustrie zu werben. Der Präsident wolle “Missverständnisse ausräumen und die Debatte entideologisieren”, sagte ein EU-Diplomat. Macron wittert seine Chance, denn das Lager der Atomkraft-Gegner um Deutschland und Österreich ist in die Defensive geraten. In die Gipfel-Schlussfolgerungen wird es die Kernenergie aber kaum schaffen – dafür wäre Konsens nötig.
Scholz wiederum dürfte in der Diskussion um die Wettbewerbsfähigkeit ein Anliegen pushen, das Macron gerne vermeiden würde: neue Freihandelsabkommen mit den Mercosur-Staaten und anderen. Gipfel-Gastgeber Charles Michel hat für Donnerstagabend einen “ausführlichen Meinungsaustausch” zur Bedeutung der Handelspolitik auf die Agenda gesetzt, was in Berlin ausdrücklich begrüßt wird. Die Bundesregierung verspricht sich davon “ein klares Signal” für Handelsabkommen und damit mehr Rückenwind für die EU-Kommission.
Deren Unterhändler versuchen aktuell, bis zum Sommer die Verhandlungen mit Australien und mit Mercosur abzuschließen. Vor allem in Frankreich, aber auch in den Niederlanden und Österreich gibt es aber massive Bedenken gegen höhere Agrarimporte aus den südamerikanischen Ländern. In Berlin pochen die Grünen wiederum darauf, die Verpflichtungen aus dem Abkommen zum Schutz von Regenwald und Arbeitnehmerechten mit Sanktionen zu bewehren. In Berliner Regierungskreisen zeigt man sich aber zuversichtlich, sich hier insbesondere mit Brasiliens Präsident Lula da Silva einigen zu können.
Bei der Gelegenheit dürften die Staats- und Regierungschefs auch über China sprechen. In Brüssel kursierten im Vorfeld Gerüchte, Ratspräsident Michel wolle das Investitionsabkommen CAI aus dem Gefrierschrank holen, wo es seit mehr als zwei Jahren liegt. Michel befürworte das Abkommen zwar, schränkten EU-Diplomaten ein, er übe aber keinen großen Druck auf die Mitgliedstaaten aus, hier voranzukommen.
Am Freitag diskutieren Scholz und Co dann über die Lage der Währungsunion. In den vergangenen Jahren seien die Euro-Gipfel “ein bisschen Routine gewesen”, sagt ein hochrangiger EU-Diplomat, diesmal sei das anders: Die Staats- und Regierungschefs wollen von EZB-Präsidentin Christine Lagarde wissen, wie groß die Ansteckungsgefahren aus den Pleiten von Crédit Suisse und Silicon Valley Bank für das eigene Bankensystem sind. Sie sind aber noch nicht im Alarmmodus früherer Finanzkrisen.
Vorher noch, ganz zu Beginn des Gipfels am heutigen Donnerstag, empfangen die Staats- und Regierungschefs einen besonderen Gast: UN-Generalsekretär António Guterres. In den Gesprächen soll es um die Ukraine, aber auch um das Getreideabkommen mit Russland gehen. Die EU will Guterres Unterstützung zusichern und erneut klarstellen, dass ihre Sanktionen gegen Russland keine Gefahr für die Versorgungssicherheit im globalen Süden darstellen. Es gebe genug Ausnahmen und Präzisierungen bei den Sanktionen, auch die Finanzierung von Düngemittel- und Getreidelieferungen sei gesichert, so ein EU-Diplomat. “Die Verantwortung (für Probleme) liegt eindeutig bei Russland.”
Die Gipfel-Teilnehmer wollen sich zudem hinter die “Friedensformel” des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj stellen. Ein Waffenstillstand mit anschließenden Verhandlungen ist darin nicht vorgesehen. Der Gipfel gibt damit auch eine Antwort auf den umstrittenen 12-Punkte-Plan, den Präsident Xi Jinping bei seinem Staatsbesuch in Moskau mit Kremlchef Wladimir Putin diskutiert hat. Die EU will darauf jedoch nicht explizit eingehen. Das russisch-chinesische Bündnis wird in dem Gipfelentwurf nicht erwähnt.
Vielmehr will die EU die Ukraine noch stärker unterstützen – vor allem bei Waffen- und Munitionslieferungen, heißt es in Michels Einladungsschreiben für den Gipfel. Die EU-Außenminister hatten am Montag beschlossen, binnen zwölf Monaten bis zu eine Million Artillerie-Geschosse an die Ukraine zu liefern. Über die Details hatte es zunächst Streit gegeben. EU-Chefdiplomat Josep Borrell wollte die Beschaffung über die Europäische Verteidigungsagentur organisieren, Deutschland will mit seiner eigenen Industrie vorangehen. Der Gipfel plant nun einen Kompromiss – beides soll möglich sein.
Für Diskussionen beim Gipfel dürften auch die Sanktionen gegen Russland und Belarus sorgen. Sie weisen immer noch Lücken auf und sparen einige wichtige Bereiche wie den russischen Diamanten-Handel und die Nuklearindustrie aus. Umstritten ist auch, ob es Ausnahmen von dem geltenden Importverbot für Düngemittel aus Belarus geben sollte. Ein elftes Sanktionspaket stehe noch nicht an, sagte ein EU-Diplomat. Vielmehr gehe es darum, die bisherigen Strafen besser durchzusetzen und zu “verfeinern”. So sollen die Verantwortlichen für die Deportation von Kindern mit Reise- und Vermögenssperren belegt werden. Eric Bonse und Till Hoppe
Die EU-Kommission hat am Mittwoch zwei Richtlinien vorgeschlagen, die Bürger der Union dabei unterstützen sollen, nachhaltiger zu konsumieren. Die eine ist das Recht auf Reparatur (Right to Repair), die andere die Richtlinie über Umweltaussagen (Green Claims). Eine Mehrheit der Europäerinnen und Europäer sei bereit, persönlich etwas zur Eindämmung des Klimawandels beizutragen, sagte Justizkommissar Didier Reynders bei der Vorstellung. Dabei will die Kommission ihnen nun helfen.
Eine der Möglichkeiten, nachhaltigen Konsum und eine Kreislaufwirtschaft zu erreichen, bestehe darin, Produkte länger zu nutzen und sie zu reparieren, statt neue zu kaufen, erklärte Reynders. Er verwies darauf, dass vorzeitig weggeworfene Produkte in der EU jedes Jahr zu 35 Millionen Tonnen Abfall, 30 Millionen Tonnen verschwendeter Ressourcen und 261 Millionen Tonnen Treibhausgasemissionen führten. Den Verbrauchern gehen geschätzte zwölf Milliarden Euro pro Jahr verloren, weil sie verwendbare Produkte nicht reparieren (lassen), sondern wegwerfen.
Das Gesetz zielt darauf ab, Reparaturen und die Wiederverwendung von Produkten zu fördern und zu erleichtern – und zwar sowohl innerhalb der Garantiezeit als auch danach. Demnach müssen Verkäufer Reparaturen anbieten, auch wenn der Verbraucher den Schaden selbst verursacht hat. Ausnahme: Die Reparatur ist teurer als der Ersatz. Nicht zuletzt dient das Gesetz auch der strategischen Autonomie der EU, weil es den Bedarf an Ressourcen senkt.
Das Gesetz sieht einen Anspruch der Verbraucher gegenüber Herstellern auf Reparatur von Produkten vor, die nach EU-Recht technisch reparierbar sind, wie Waschmaschinen oder Fernsehgeräte. Weitere Instrumente sind: Eine Verpflichtung der Hersteller, Verbraucher über die Produkte zu unterrichten, die sie selbst reparieren müssen. Eine Matchmaking-Reparaturplattform im Internet, auf der Verbraucher Kontakt zu Reparaturbetrieben und Verkäufern instandgesetzter Waren in ihrer Region aufnehmen können. Ein europäisches Formular für Reparaturinformationen, das Verbraucher von jedem Reparaturbetrieb verlangen können, um Angebote vergleichen zu können. Und einen europäischen Qualitätsstandard für Reparaturdienstleistungen, bei dem sich Reparaturbetriebe (freiwillig) zu Mindestqualitätsstandards verpflichten.
Das Recht auf Reparatur – das die Kommission viel früher vorstellen wollte – ergänzt andere Instrumente, die ebenfalls zum Ziel haben, nachhaltigen Verbrauch durch Reparaturen im Rahmen des Green Deals zu fördern: Die Ökodesign-Verordnung regelt die Reparierbarkeit von Produkten in der Produktionsphase. Das Recht auf Reparatur betrifft zunächst vor allem Haushaltsgeräte, deren Reparierbarkeit in der Ökodesign-Verordnung geregelt ist. Mobiltelefone und Tablets sollen nach einiger Zeit folgen.
Hierin sieht der verbraucherschutzpolitische Sprecher der EVP-Fraktion ein Problem. “Da die Ökodesign-Verordnung langfristig deutlich mehr als nur Haushaltsgeräte umfassen soll, muss klar geregelt werden, welche Reparaturen der Nachhaltigkeit dienen und Verbraucher schützen – und welche nur höhere Kosten bedeuten”, forderte Andreas Schwab.
Für René Repasi (S&D) ist entscheidend, dass Unternehmen keine abschreckenden Mondpreise verlangen dürfen, damit das Recht auf Reparatur sozial verträglich sei. Zusätzlich sollte die EU-Kommission nationale Anreize, wie etwa Reparaturgutscheine vorschlagen. Fehlten solche Anreize, bestehe die Gefahr, dass das Recht lediglich auf Papier existiere.
Die Kommission habe die Gelegenheit verpasst, die brennenden Fragen der Bezahlbarkeit von Reparaturen und der reparaturfeindlichen Praktiken konkret anzugehen, kritisiert auch Cristina Ganapini. Die Koordinatorin der Kampagne Right to Repair Europe fordert ein “wirklich allgemeines Recht auf Reparatur”, das unabhängige Anbieter einschließe und allgemeinen Zugang zu erschwinglichen Ersatzteilen, Reparaturhandbüchern und Diagnosewerkzeugen gewährleiste. Die vorgeschlagenen Reparaturverpflichtungen seien zu eng gefasst, “um die Reparaturrevolution herbeizuführen, die wir brauchen”.
Der ZVEI wiederum hält eine europäische Harmonisierung für “zwingend” erforderlich. “Wichtig ist, dass es einen europäischen Rahmen für das Recht auf Reparatur gibt und es damit nicht zu unterschiedlichen nationalen Regelungen kommen kann”, sagte Carine Chardon, Bereichsleiterin Consumer beim ZVEI.
Ebenfalls zum Green Deal zählen die Vorschriften gegen Grünfärberei und irreführende Umweltaussagen. Wenn Verbraucher etwas für die Umwelt tun wollten und dafür sogar mehr Geld ausgeben, dann sollten sie auch sicher sein können, dass die Aussagen eines Herstellers zu den Umwelteigenschaften seines Produktes auch stimmen, sagte Umweltkommissar Virginijus Sinkevičius.
Ziel der Richtlinie ist es, Verbrauchern größere Klarheit zu geben, ebenso wie Unternehmen, die echte Anstrengungen zur Verbesserung der Umweltverträglichkeit ihrer Produkte unternehmen, zu unterstützen.
Eine Studie der Kommission stellte fest, dass 53,3 Prozent der geprüften Umweltaussagen in der EU vage, irreführend oder unfundiert waren. Beispiele für solche Aussagen sind: “klimaneutraler Versand” oder “ozeanfreundlicher Sonnenschutz”.
Nach dem Vorschlag müssen Unternehmen, die freiwillige Umweltaussagen über ihre Produkte oder Dienstleistungen machen, künftig Mindeststandards einhalten. Diese beziehen sich sowohl auf den Beleg der Aussagen als auch darauf, wie sie kommuniziert werden.
Ausgenommen sind Umweltaussagen, die unter bestehende EU-Vorschriften fallen, wie das EU-Umweltzeichen oder das EU-Bio-Logo für ökologische/biologische Lebensmittel. Der Vorschlag sieht ebenfalls eine Regelung für Umweltzeichen vor. Von denen gibt es laut Sinkevičius mindestens 230 verschiedene, was zu Verwirrung und Misstrauen führe.
In einer ersten Reaktion bedauerte das European Environmental Bureau (EEB), dass Aussagen über CO₂-Neutralität nicht vollständig verboten wurden, ebenso wie die Verwendung von Green Claims für Produkte, die gefährliche Chemikalien enthalten. Daher fordert das EEB das Europäische Parlament und die nationalen Regierungen auf, diesen Bestimmungen bei den anstehenden Verhandlungen über die Richtlinie Vorrang einzuräumen.
24.03.2023 – 10:00-11:30 Uhr, online
Hydrogen Europe, Seminar Clean ammonia in the future energy system
Hydrogen Europe presents the main conclusions of a study on challenges and opportunities that arise with the decarbonisation of the sector. INFOS & REGISTRATION
25.03.2023 – 14:00-16:00 Uhr, Stuttgart
FES, Seminar Zeitenwende: Außen- und Sicherheitspolitik neu denken
Die Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) spricht über neue Ansätze deutscher Außen- und Sicherheitspolitik. INFOS & ANMELDUNG
27.03.-12.05.2023, online
SAP, Seminar Supply Chain for Transportation Management Bootcamp
Die SAP vermittelt Wissen über den kompletten funktionalen Scope des Transportation Managements (Transportbedarfe, Planung, Ausführung, Frachtkosten). INFOS & REGISTRATION
27.03.-30.03.2023, online
OECD International Conference on AI in Work, Innovation, Productivity and Skills
The 2023 International Conference on AI in Work, Innovation, Productivity, and Skills brings together leading voices from the policy, academic, business, technical and civil society communities to discuss how AI affects employment, skills, productivity, and innovation, and how policymaking can respond. INFOS & REGISTRATION
27.03.2023 – 14:00 Uhr, online
EBD, Seminar De-Briefing Europäischer Rat
Die Europäische Bewegung Deutschland (EBD) analysiert die Sitzung des Europäischen Rats am 23./24. März 2023. INFOS & ANMELDUNG
27.03.2023 – 17:30-18:30 Uhr, online
FES, Diskussion Investitionen in die Wettbewerbsfähigkeit und klimaneutrale Transformation der EU
Die Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) beschäftigt sich mit dem amerikanischen “Inflation Reduction Act” und dem EU-Wiederaufbauplan “NextGenerationEU”. INFOS & ANMELDUNG
28.03.-29.03.2023, Frankfurt/online
Handelsblatt, Konferenz Bankenaufsicht 2023
Das Handelsblatt geht der Frage nach, wie sich die multiplen Krisen, die Zinswende und die rasanten technologischen und gesellschaftlichen Entwicklungen auf die Risiken und Geschäftsmodelle der Institute auswirken. INFOS & ANMELDUNG
28.03.-29.03.2023, online
ERA, Seminar Liability for Products and Artificial Intelligence
The Academy of European Law (ERA) discusses liability for products and artificial intelligence (AI) in the light of the forthcoming AI Act, the proposed AI Liability Directive (AILD) and the revision of the Product Liability Directive (PLD). INFOS & REGISTRATION
28.03.2023 – 12:00-13:00 Uhr, online
EASE, Seminar How will the Revised Market Design Affect the Energy Storage Market in Europe?
The European Association for Storage of Energy (EASE) discusses how the new European Union legislative initiatives, and in particular the revision of the Electricity Market Design, are going to impact the energy storage sector. INFOS & REGISTRATION
Das Ziel des vergangene Woche vorgestellten Critical Raw Materials Acts, 40 Prozent des EU-Bedarfs an strategischen Rohstoffen aus eigener Weiterverarbeitung zu decken, bewerten Vertreter aus Politik, Industrie und Zivilgesellschaft als unrealistisch. Auf einer Veranstaltung von Europe.Table zum neuen Gesetzesentwurf sagte Hildegard Bentele (EVP) am Mittwoch, besonders dieses Ziel sei sehr ambitioniert und müsse im weiteren Gesetzgebungsverfahren noch überprüft werden. Ein “One size fits all”-Ansatz könne womöglich nicht allen einzelnen Rohstoffen gerecht werden.
Daniel Quantz vom Industrieverband WV Metalle erklärte, das 40-Prozent-Ziel sei eine zu große Herausforderung, wenn man die Energiepolitik nicht mitdenke. “Wir können hier in Europa nur dann weiterverarbeiten, wenn die entsprechenden Voraussetzungen da sind”, sagte er.
Michael Reckordt von der NGO Powershift sieht die größte Hürde darin, 40 Prozent des Bedarfs in der EU zu verarbeiten und gleichzeitig die angestrebte Augenhöhe in den strategischen Partnerschaften mit Drittländern einzuhalten. Das Ziel sei natürlich an China adressiert, wo bislang der größte Teil der Weiterverarbeitung stattfinde. “Aber im Kräfteverhältnis zwischen der EU, Nordamerika und dem globalen Süden sind letztere in der Vergangenheit immer am schwächsten gewesen”, sagte er. Als Beispiel nannte Reckordt die WTO-Klage der EU gegen Indonesien, nachdem das Land Nickel nicht mehr exportieren, sondern nur noch vor Ort weiterverarbeiten wollte. Er begrüßte jedoch die Bereitschaft von deutscher und europäischer Seite, in eine Verlängerung der Wertschöpfung vor Ort zu investieren.
Als positiv bewerteten alle, dass das Bewusstsein für kritische Rohstoffe gestärkt und das Thema oben auf der politischen Agenda angekommen sei. Hier seien allerdings noch weitere Schritte zu gehen: Etwa fehle es an Zustimmung der betroffenen Gemeinden für Bergbauprojekte in Europa.
Die Kommission will den heimischen Bergbau mit dem Gesetzespaket stärken und strebt an, bis 2030 mindestens zehn Prozent des jährlichen Bedarfs an Primärrohstoffen selbst zu generieren. Dafür sollen Genehmigungsverfahren für Rohstoffprojekte und die dort inbegriffenen Umweltverträglichkeitsprüfungen beschleunigt und gebündelt werden.
Dies berge Gefahren, kritisierte Reckordt: Umweltverträglichkeitsprüfungen würden auch Vertrauen bei den Menschen in den betroffenen Gebieten schaffen. Der Gesetzesvorschlag sage wenig darüber, inwieweit Menschen vor Ort konsultiert werden sollen und ob sie auch die Möglichkeit haben, Projekte abzulehnen. “In vielen Projekten im globalen Süden, wo wir Proteste sehen, hätte man diese in einem frühzeitigen Verfahren reduzieren oder limitieren können.” Auch, indem man sich an die Erkenntnisse aus den Verfahren und der Umweltverträglichkeitsprüfung gehalten hätte, so Reckordt. Diese Debatten seien notwendig und bräuchten Zeit, sagte er.
Betroffene Gemeinden müssen am Nutzen und an den Vorteilen solcher Projekte teilhaben, erklärte Daniel Quantz. Das Beispiel von Windkraftanlagen würde zeigen, dass die Akzeptanz für solche Projekte viel höher sei, wenn es Möglichkeiten der Bürgerbeteiligung und eine Teilhabe an den Vorteilen, in diesem Fall den niedrigeren Energiepreisen, gebe. Das Ziel, diese Prozesse innerhalb von zwei Jahren, wie im Entwurf vorgesehen, durchzuführen, könnte jedoch schwierig sein.
Wenn die EU sich als Industriestandort nicht von anderen Regionen abhängen lassen wolle, dann sei jedoch keine Zeit für solche Vetos, entgegnete Bentele. “Wenn wir nicht bereit sind, Rohstoffe schneller abzubauen als in zehn oder 15 Jahren, haben wir ganz große Entwicklungen hier in Europa verpasst und verlieren industrielle Arbeitsplätze, und zwar zukunftsträchtige Arbeitsplätze in den sauberen Technologien“. Die Alternative sei, keine Elektroautos, Windturbinen und Batterien zu haben – oder sie aus China zu importieren. leo
Er bedaure nichts, sagte Emmanuel Macron in einem Fernsehinterview mit TF1 und France 2 am Mittwoch. Der französische Präsident schloss Neuwahlen oder eine Regierungsumbildung aus, trotz heftigen Protesten und knapp überstandenem Misstrauensvotum. Macron verteidigte seine Rentenreform, mit der das Renteneintrittsalter bis 2030 schrittweise von aktuell 62 auf 64 Jahre angehoben werden soll.
Die Franzosen lebten heute länger und arbeiteten später, erläuterte er. Dazu komme die hohe Verschuldung Frankreichs durch die Corona-Pandemie und den Krieg in der Ukraine. Dass er diese Notwendigkeit nicht klarmachen konnte, bedaure er dann doch.
Während Frankreich innenpolitisch in der Krise ist, gilt Macron nach außen immer noch als Reformer, der die Wirtschaft stärkt. Um Frankreichs Reformbereitschaft zu beweisen, nimmt Macron hin, dass die Rentenreform ihn unbeliebt macht: “Ich versuche nicht wiedergewählt zu werden“, sagte er im Interview. “Zwischen den kurzfristigen Beliebtheitsumfragen und dem allgemeinen Interesse des Landes, wähle ich das Interesse des Landes.” Der französische Präsident darf nach zwei aufeinanderfolgenden Amtszeiten nicht wiedergewählt werden. Auch deshalb kann er hart bleiben.
Der Ärger der Franzosen sei normal, so Macron. Das habe es bei jeder Rentenreform gegeben. Er ist überzeugt, dass er richtig entschieden hat. “Wären frühere Rentenreformen nicht durchgesetzt worden, wäre die finanzielle Situation noch problematischer.” Er bestätigte auch Premierministerin Élisabeth Borne in ihrem Amt, während viele Kritiker ihren Rücktritt verlangen. Borne hatte dafür gesorgt, dass die Reformpläne des Präsidenten ohne Abstimmung im Parlament durchgesetzt werden können.
Macron zieht seinen Kurs unbeirrt durch und betont, das Land habe kein Recht auf Stillstand. Das geplante Immigrationsgesetz soll in den nächsten Wochen auf der Agenda stehen. Womöglich als Lehre aus der Rentenreform, will er dabei anders vorgehen: Statt ein großes Projekt vorzulegen, soll es mehrere kleinere Texte geben, die individuell diskutiert werden. Macron sieht dadurch offenbar bessere Chancen, dass die Gesetze durchkommen. In Frankreich war erwartet worden, dass das Immigrationspaket verschoben wird, da es zu heikel sei.
Schon vor dem Interview war klar, dass Macron hart bleiben würde. Vor seinen Ministern sagte er, man habe keine andere Wahl gehabt, als es bis zum Ende durchzuziehen. “Man darf sich nicht einschüchtern lassen.” Er beteuert, die Verfassung rechtmäßig genutzt zu haben. Nur weil ein Text nur knapp angenommen wird, sei er nicht unrechtmäßig. Währenddessen gehen die Demonstrationen in Frankreich gegen die Rentenreform weiter. Am Donnerstag ist wieder Generalstreik. tk/luk
Das britische Parlament hat einen vorläufigen Schlussstrich unter den jahrelangen Streit mit der Europäischen Union über den Brexit-Vertrag gezogen. Das Unterhaus stimmte am Mittwoch mit überwältigender Mehrheit für eine von Premierminister Rishi Sunak mit der EU ausgehandelte Reform des Nordirland-Protokolls. Damit werden Kontrollen des Warenverkehrs zwischen der britischen Provinz Nordirland und dem EU-Mitglied Irland neu geregelt.
Sunak zahlte für den Erfolg jedoch einen hohen politischen Preis. 22 Abgeordnete seiner konservativen Partei stimmten gegen das Vorhaben, 48 enthielten sich der Stimme. Die neuen Regeln wurden dagegen von Labour und anderen Oppositions-Parteien unterstützt.
Vergangenen Monat war nach monatelangen Verhandlungen ein Durchbruch erzielt worden. Das sogenannte Windsor-Abkommen regelt vor allem die strittigen Punkte von Zöllen und Grenzen für die britische Provinz nach dem Austritt aus der EU. Die eigentliche Zollgrenze zwischen der EU und dem Königreich bleibt die Irische See. Nordirland bleibt damit Teil des EU-Binnenmarkts und muss einige EU-Regeln einhalten. Damit wird eine harte Grenze zwischen Nordirland und dem EU-Staat Irland vermieden. rtr
Zum möglichen Verbot von “Ewigkeitschemikalien” (PFAS) in der EU haben am Mittwoch öffentliche sechsmonatige Konsultationen begonnen. “Die Konsultation soll jedem, der über Informationen über PFAS verfügt, die Gelegenheit geben, sich zu äußern”, schrieb die EU-Chemikalienagentur ECHA in Helsinki. Nach Ablauf der Frist am 25. September will die Agentur ein mögliches Verbot aufgrund der vorliegenden Informationen beurteilen und sich eine Meinung darüber bilden. Die Entscheidung trifft die Europäische Kommission schließlich gemeinsam mit den EU-Mitgliedsstaaten.
Die Stoffe der Chemikaliengruppe, zu der geschätzt mehr als 10 000 extrem langlebige Substanzen gehören, sind in Alltagsprodukten wie Anoraks, Pfannen und Kosmetik verarbeitet. Sie finden aber auch in Industrieprozessen Anwendung.
Deutschland, die Niederlande, Dänemark, Norwegen und Schweden hatten im Januar vorgeschlagen, die Herstellung, Verwendung und das Inverkehrbringen von PFAS fast komplett zu verbieten. Der Vorschlag sieht je nach Anwendung Übergangsfristen von bis zu dreizehneinhalb Jahren vor. Für einige wenige Bereiche gäbe es unbegrenzte Ausnahmen.
Die Industrie sträubt sich gegen ein breites Verbot der Stoffe, weil nur für wenige von ihnen direkt nachgewiesen sei, dass sie gefährlich sind. Nur wenige der Stoffe sind allerdings bislang gut untersucht – und die meisten der gut untersuchten Stoffe gelten als mittel- bis hochtoxisch. dpa
“Wenn Menschen in den Supermarkt gehen, ist es ihre freie Entscheidung, bestimmte Dinge in den Einkaufswagen zu legen oder nicht” – so beschreibt Konrad Stockmeier seinen Blick auf die Marktwirtschaft. Die habe viel mit Freiheit zu tun, findet der FDP-Politiker. “Deshalb sollte der Staat in diesen Prozess nicht ständig eingreifen, indem er das eine oder andere Produkt subventioniert.” Seit 2021 sitzt Stockmeier im Bundestag und beschäftigt sich dort mit Europa- und Energiepolitik. Der 45-Jährige wünscht sich, dass die EU künftig genau überlegt, worin sie investiert: “Wir können jeden Förder-Euro nur einmal ausgeben.”
Stockmeier wuchs in einem Vorort von Konstanz in einem Pfarrhaus auf, sein Vater wurde später Präsident des Wohlfahrtsverbands Diakonie Deutschland. “Das hat mich durchaus auch für sozialpolitische Themen sensibilisiert”, sagt er rückblickend. Doch als Teenager faszinierten ihn vor allem die Artikel von Wirtschaftsprofessoren der Uni Konstanz in der Lokalzeitung. Stockmeier studierte Volkswirtschaftslehre und wurde Marktforscher. Durch den Job habe er einen “technischen Blick” auf die Welt bekommen, wie er sagt, weil er sich ständig mit neuen Erfindungen beschäftigen konnte.
“Es ist beeindruckend, wie viel Hirnschmalz etwa in die neue Beschichtung des Deckels von einem Joghurtbecher fließt“, erzählt Stockmeier begeistert. Oft stecke in kleinen Dingen viel mehr Hightech als so mancher vermute. Aus dieser Erkenntnis resultiere ein Stück weit auch sein Politikverständnis: “Ich bin sehr, sehr skeptisch, wenn staatliche Stellen meinen, sie wüssten schon 15 Jahre vorher, mit welchen Stellschrauben wir der Klimaneutralität näherkommen.” Die Zahnräder technischer Entwicklung müssten freies Spiel haben, damit sie reibungslos ineinandergreifen könnten.
Stockmeier sagt, er sei lange ein eher passives Parteimitglied gewesen, bevor ihm im Winter 2019 der Gedanke kam: “Ich hätte schon mal Lust, einen Sommer Wahlkampf mitzumachen.” Seine Mannheimer Parteifreunde wählten ihn zum Kandidaten, er ergatterte Listenplatz 13. Doch mit dem Einzug in den Bundestag rechnete Stockmeier aufgrund der Umfragewerte vorerst nicht. Es kam anders. “Da habe ich mich am Montag nach der Wahl recht plötzlich auf dem politischen Parkett wiedergefunden”, erinnert er sich. Gefreut habe er sich trotz der Überraschung sehr.
Aktuell beschäftigt ihn vor allem die Frage, wie Europa auf den Inflation Reduction Act der USA reagiert. Quoten für die heimische Fertigung nachhaltiger Technologien sieht er kritisch: “Das atmet einen planwirtschaftlichen Geist.” Es brauche zwar eine europäische Reaktion, aber die sollte nicht darin bestehen, die Produktion von Standard-Solarmodulen in Europa zu fördern. “Die bekommen wir aus anderen Ländern günstiger und bringen uns auch keinen Wettbewerbsvorteil gegenüber Drittstaaten.” Viel sinnvoller sei es aus seiner Sicht, die Forschung an der nächsten und übernächsten Photovoltaik-Generation zu unterstützen. Die könne man dann auch exportieren. Paul Meerkamp