morgen will die Kommission ihre Antwort auf den Inflation Reduction Act der USA präsentieren. Der Green Deal Industrial Plan wird mit Spannung erwartet. Wie aus einem Entwurf des Papiers hervorgeht, will die Kommission zahlreiche Erleichterungen für die Wirtschaft erlauben. Die Hilfen will sie dabei möglichst gezielt ausrichten – auf Branchen, die von Abwanderung bedroht sind. Markus Grabitz und Manuel Berkel haben den Text gelesen und fassen die wichtigsten Punkte zusammen.
80 Prozent aller Kultur- und Wildpflanzen sind nach Angaben der Kommission auf die Bestäubung von Bienen, Schmetterlingen und Co angewiesen. Doch bei einem Drittel der Arten gehe der Bestand stark zurück. Um diesen gefährlichen Trend zu stoppen, müssen giftige Pflanzenschutzmittel deutlich reduziert werden. Ein entsprechendes Gesetz auf EU-Ebene ist in Arbeit. Allerdings gibt es darüber so heftigen Streit, dass zurzeit fraglich ist, ob die Verordnung überhaupt zustande kommt. Timo Landenberger berichtet.
Beziehungsstatus: kompliziert. Auch nach zwei Jahrzehnten ist zwischen der EU und den Mercosur-Staaten kein Handelsabkommen auf den Weg gekommen. Das wäre aber gerade jetzt, wo die EU und Staaten wie Deutschland gerne ihre Handelsbeziehungen intensivieren würden – man denke an wichtige Rohstoffe wie Gas und Lithium – auf EU-Seite gern gesehen. Isabel Cuesta analysiert, wie Bewegung ins Spiel kommen könnte.
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Seit die US-Regierung mit ihrem Inflation Reduction Act (IRA) neue Hilfen für die heimische Industrie angekündigt hat, sehen sich die EU-Staaten immer lauteren Forderungen nach neuen Milliardenspritzen für die eigene Wirtschaft ausgesetzt. Mit ihrer Antwort – dem Green Deal Industrial Plan – will die Kommission zahlreiche Erleichterungen für die Wirtschaft erlauben, aber die Hilfen auch möglichst gezielt ausrichten. Das zeigt ein Entwurf des Hauptdokumentes, an den “Contexte” am Montag gelangte.
Die Grundzüge hatte Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen bereits in Davos vorgestellt. Finanzielle Hilfen sollen zum einen aus EU-Mitteln fließen, vor allem aber sollen die Mitgliedstaaten weitere Freiheiten erhalten, nationale Beihilfen auszuzahlen. Dazu soll insbesondere der Befristete Krisenrahmen (TCF) erneut ausgeweitet werden, wie Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager in einem Brief an die Mitgliedstaaten angekündigt hatte.
Für strategische grüne Industrien sollen Investitionsbeihilfen wie zum Beispiel Steuererleichterungen für Produktionskapazitäten ausgedehnt werden, um “mit Hilfen gleichzuziehen, die Wettbewerber für ähnliche Projekte außerhalb der EU erhalten“. Dies ist der direkteste Bezug auf die staatliche Unterstützung der USA in dem Entwurf. Mitgliedstaaten sollen aber auch “globale Finanzierungslücken” berücksichtigen können.
Die Investitionshilfen für Produktionskapazitäten sollen aber nicht nur zeitlich befristet sein, sondern auch “auf die Sektoren ausgerichtet [sein], in denen ein solches Verlagerungsrisiko festgestellt wurde“. Damit versucht die Kommission offensichtlich, Trittbrettfahrer in der Industrie von dem Geldregen auszuschließen.
Zudem ist die Kommission darauf bedacht, die Wettbewerbsverhältnisse zwischen den EU-Ländern nicht zu verzerren: “Die Bestimmungen über Steuervergünstigungen würden es den Mitgliedstaaten ermöglichen, ihre nationalen steuerlichen Anreize an ein gemeinsames System anzugleichen und so den Unternehmen in der gesamten EU mehr Transparenz und Berechenbarkeit zu bieten.”
Weitere Erleichterungen betreffen erneuerbare Energien. Beihilfefähig sind nun Investitionen in alle Technologien im Sinne der Erneuerbare-Energien-Richtlinie. Neu hinzu kommen damit vor allem Biomasseanlagen und Wasserkraftwerke. Förderfähig sind nun zudem Speicher für grünen Wasserstoff und Biokraftstoffe. Außerdem sollen die Fristen für die Inbetriebnahme ausgedehnt werden.
Zweitens soll es leichter Beihilfen für die Dekarbonisierung der Industrie geben. Wollte ein Betrieb bisher von der Verbrennung von Gas oder Kohle auf die Nutzung von Strom oder Wasserstoff umstellen, musst er zunächst umständlich Kosteneinsparungen über die gesamte Lebensdauer der Anlage ermitteln, um die beihilfefähigen Kosten zu bestimmen. Künftig soll ein pauschaler Anteil der Investitionskosten förderfähig sein.
Wie bereits von Vestager angekündigt, soll außerdem die Allgemeine Gruppenfreistellungsverordnung (AGVO) angepasst werden. Für Sektoren wie Wasserstoff, emissionsfreie Fahrzeuge, Gebäude sowie die CO₂-Speicherung (CCS) soll die Schwelle für die Notifizierungspflicht angehoben werden. Für Lade- und Tankinfrastruktur soll der Anwendungsbereich ausgedehnt werden und auch Ausbildungsprogramme sollen profitieren.
Angehoben werden sollen auch die De-Minimis-Grenzen für die umständlichen IPCEI-Beihilfen, mit denen bisher unter anderem Wasserstoffprojekte gefördert werden und künftig vielleicht auch Wärmepumpen und die Solarwirtschaft. So sollen auch kleine und mittelständische Unternehmen einen Zugang zu der Investitionsförderung erhalten. Unter der AGVO sollen dafür auch die zulässigen Förderquoten angehoben werden.
Von dem vorübergehenden Krisenrahmen (TCF), also den befristet gelockerten Beihilferegeln, würden vor allem Unternehmen in reichen Mitgliedstaaten profitieren wie etwa Deutschland, Frankreich, Niederlande und Dänemark. Kleinere Mitgliedstaaten verfügen nicht über die notwendigen Haushaltsmittel, um von diesen Ausnahmen Gebrauch zu machen und Investitionen in nennenswerten Kategorien anzuschieben.
Dieses Ungleichgewicht bei den finanziellen Ressourcen droht für Verwerfungen auf dem Binnenmarkt zu sorgen. Um zu verhindern, dass die innovativen Industrien in ärmeren Mitgliedstaaten zurückbleiben, schlägt die Kommission eine Flankierung aus EU-Mitteln vor.
Die Kommission kündigt zudem an, frisches Geld in Form eines Europäischen Souveränitätsfonds bereitzustellen. Einen Vorschlag dazu will sie im Zuge der Überarbeitung des Mehrjährigen Finanzrahmens (MFF) bis zum Sommer unterbreiten. Ob es sich dabei um an den Kapitalmärkten aufgenommene Mittel handelt, wie dies von einigen Mitgliedstaaten gefordert und von Deutschland abgelehnt wird, darüber gibt die kurze Passage nicht Auskunft, ebenso wenig über das finanzielle Volumen.
Es gehe darum, den Vorsprung der EU bei Zukunftstechnologie wie Mikroelektronik, Quantencomputing und Artificial Intelligence und Umwelttechnologien zu wahren. Ziel sei es, Unternehmen aus allen Mitgliedstaaten Zugang zu den Geldern zu gewähren.
Weitere EU-Fördertöpfe sind bereits bekannt: Zusätzlich zu den 250 Milliarden Euro, die aus dem Wiederaufbaufonds (RRF) reserviert sind zur Finanzierung der grünen Transition, kommen 20 Milliarden Euro aus der RepowerEU-Initiative. RepowerEU wurde im Mai 2022 aufgelegt, um die Kosten abzufedern, wenn sich die EU unabhängig macht von russischen Energielieferungen.
Mitgliedstaaten können auch die Mittel aus der Brexit-Anpassungsreserve mit einem Volumen von 5,4 Milliarden Euro als Zuschüsse für den grünen Umbau umwidmen. Um den Mitgliedstaaten zu helfen, die bereitstehenden Mittel auszuschöpfen, wird die Kommission am Mittwoch Leitlinien für den RRF veröffentlichen.
Daneben verweist die Kommission auf InvestEU. Das ist das Nachfolge-Programm des sogenannten Juncker-Plans. Über Finanzgarantien mobilisieren die Europäische Investitionsbank (EIB) und andere Finanzakteure Kredite für Zukunftstechnologien. In dem Mandat von 2021 bis 2027 sollen darüber Investitionen in Höhe von 372 Milliarden Euro freigesetzt werden. Aus dem EU-Haushalt werden dafür Garantien von 26,2 Milliarden Euro benutzt. Bisher sind Garantien von rund 21 Milliarden Euro ausgeschöpft.
Die Kommission spricht zudem den Innovationsfonds an, der sich aus den Erlösen des Emissionshandels (ETS) speist. Der Innovationsfonds soll dabei helfen, den Markthochlauf von Zukunftstechnologien zu finanzieren. So ist etwa daran gedacht, eine Auktion zur Bezuschussung der Produktion von grünem Wasserstoff zu starten. Wer den Zuschlag erhält, der bekommt für die Zeit von zehn Jahren die Garantie für einen bestimmten Preis je Kilogramm produzierten grünen Wasserstoffs. Manuel Berkel und Markus Grabitz
Die EU-Kommission hat es noch einmal deutlich gemacht: “Wir wissen, dass die übermäßige Verwendung und Abhängigkeit von Pestiziden unsere Ernährungssicherheit, die Rentabilität landwirtschaftlicher Betriebe, die biologische Vielfalt und unsere Umwelt gefährden. Wir werden weiterhin intensiv daran arbeiten, den Einsatz von Pestiziden zu verringern und den Verlust von Bestäubern in Zukunft zu minimieren”, sagte Stella Kyriakides, Kommissarin für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit, kürzlich bei der Vorstellung einer überarbeiteten Initiative für Bestäuber.
80 Prozent aller Kultur- und Wildpflanzen sind laut Kommission auf die Bestäubung von Bienen, Schmetterlingen und Co angewiesen. Doch bei einem Drittel der Arten gehe der Bestand stark zurück. Ziel der Initiative sei deshalb, den “alarmierenden Rückgang” bis 2030 umzukehren und die Ursachen konsequent anzugehen. Das fordert auch die Europäische Bürgerinitiative “Bienen und Bauern retten”, die 1,1 Millionen Unterschriften bekam. Wichtigstes Instrument: die geplante Verordnung über die nachhaltige Verwendung von Pflanzenschutzmitteln (Sustainable Use Regulation, SUR).
Auf der Weltnaturkonferenz (COP15) in Montréal einigten sich die Parteien darauf, die Risiken durch Pestizideinsatz um 50 Prozent zu verringern – nicht zuletzt auf Druck der EU-Delegation. Doch in Brüssel sorgt das SUR-Gesetzesvorhaben für heftigen Streit und kommt nicht voran.
Zuletzt forderten Agrar- und Energierat von der EU-Kommission eine weitere Folgenabschätzung und schoben die Pläne damit auf die lange Bank. Etliche Staaten verwiesen auf die hohe Inflation bei Nahrungsmitteln und befürchteten, dass bei einer weiteren Verschärfung der EU-Vorgaben Importprodukte aus Drittstaaten gegenüber heimischen Produkten konkurrenzfähiger würden.
Die Bundesregierung hatte sich gegen eine weitere Verzögerung ausgesprochen. Dennoch gebe es Verbesserungsbedarf, heißt es aus dem Bundeslandwirtschaftsministerium. Insbesondere hinsichtlich:
Insbesondere letztere sorgen unter Landwirten für Entsetzen. Denn der Kommissionsentwurf sieht ein generelles Pflanzenschutzverbot in städtischen Parkanlagen, Naturschutzgebieten sowie auf Spiel- und Sportplätzen vor. Dabei sollen neben den Natura-2000-Gebieten der EU auch sämtliche nationale Landschafts- und Vogelschutzgebiete von dem Verbot umfasst werden. In Deutschland könnte somit bis zu einem Viertel der landwirtschaftlichen Produktionsfläche davon betroffen sein.
“Hier ist eine komplett andere Herangehensweise notwendig, sonst wird dies zahlreiche Betriebe ins Aus drängen”, betont der Präsident des Deutschen Bauernverbandes, Joachim Rukwied. “Die Ernährungssicherung in Europa wäre dadurch gefährdet.”
Norbert Lins (EVP), Vorsitzender des Agrarausschusses im EU-Parlament hält den Ansatz der Kommission gar für “so fragwürdig, dass es so schwer wird, die Vorschläge so zu verbessern, dass sie funktionieren können.” Nach den Plänen würden außerdem diejenigen bestraft, die bereits Maßnahmen ergriffen hätten. In manchen Regionen, darunter Baden-Württemberg, sei durch Innovationen der Pestizideinsatz bereits seit vielen Jahren rückläufig. “Trotzdem hat am Ende jeder die gleichen Referenzjahre 2015 bis 2017. Egal was da der Stand war”, so Lins.
Nach Ansicht seiner Fraktion wäre es das Beste, wenn die Kommission die Vorschläge ganz zurückziehen würde. Damit sei nun nicht mehr zu rechnen, weshalb zumindest die zusätzliche Folgenabschätzung abgewartet werden müsse.
Für SUR-Berichterstatterin Sarah Wiener (Grüne/EFA) ist das “reine Verzögerungstaktik. Wir wissen nicht einmal, wie die Ernte im nächsten Jahr ist. Wie soll da ein Papier vorgelegt werden, das berücksichtigt, wie in fünf Jahren die Import-Export-Situation für eine bestimmte Ackerfrucht unter theoretischen Bedingungen ist?”, sagt die Abgeordnete. Die Umstellung werde nicht einfach, denn das gesamte Ernährungssystem befinde sich in einer “fatalen Abhängigkeit”. Doch es gebe keine Alternative. “Wir müssen die Landwirtschaft ökologisieren. Das ist keine Frage der Parteirichtung.”
Unterstützung bekommt Wiener aus der Wissenschaft: “Angesichts der dringenden Notwendigkeit, die Auswirkungen von Pestiziden zu reduzieren, ist es besorgniserregend zu beobachten, dass eine Reihe von Mitgliedstaaten und Mitgliedern des Europäischen Parlaments eine Verzögerung und Verwässerung der neuen Pestizidverordnung gefordert haben”, heißt es in einem offenen Brief, der fachübergreifend von über 700 Wissenschaftlern aus ganz Europa unterzeichnet wurde.
Sarah Wiener jedenfalls will sich nicht beirren lassen und ihren Berichtsentwurf heute einreichen. Darin bleibt die Abgeordnete in Teilen hinter dem Vorschlag der Kommission zurück. So sei das vorgesehene Totalverbot in Schutzgebieten ein Fehler. “Das wäre zwar theoretisch richtig. Aber ich möchte praktische Möglichkeiten finden für ein resilienteres Agrarsystem. Und dazu gehört nicht, die Landwirtschaft in sensiblen Bereichen praktisch abzuschaffen.”
Wichtig sei vor allem ein verbindlicher integrierter Pflanzenschutz (Integrated Pest Management, IPM). In einem Kaskaden-System sollen zunächst alle agrarökologischen Maßnahmen ausgeschöpft werden und chemisch synthetische Pestizide erst als letztes Mittel zum Einsatz kommen. “Wir wollen kein schlichtes Verbot, sondern den Werkzeugkasten erweitern.”
Dabei will Wiener das Hauptaugenmerk auf hochgefährliche Pestizide, darunter sogenannte Neonikotinoide, legen. Die meisten davon sind so giftig, dass sie in der EU eigentlich verboten sind. Dennoch werden immer wieder Ausnahmegenehmigungen erteilt. Hier fordert die Berichterstatterin, das Reduktionsziel von 50 auf 80 Prozent zu erhöhen.
Derweil bleibt fraglich, ob die Verordnung überhaupt zustande kommt. Die Mehrheitsverhältnisse sind denkbar knapp und Insider rechnen damit, dass Gegner des Vorhabens sowohl im Umwelt- als auch im Agrarausschuss die Zurückweisung des Vorschlags beantragen werden.
Der Agrarausschuss hat eine sogenannte Teilkompetenz in einigen Artikeln – darunter die Finanzierung der SUR über die Gemeinsame Agrarpolitik (GAP) -, will darüber jedoch nicht entscheiden, bevor die zusätzliche Folgenabschätzung vorliegt. Daneben hätten sich die AGRI-Mitglieder eine stärkere Mitsprache gewünscht und fühlen sich übergangen. Nun wird erwartet, dass der eigentliche Schlagabtausch erst vor dem Plenum stattfindet, wodurch sich das Prozedere erneut deutlich verzögern könnte. Sollte es vor dem Ende der Legislaturperiode im kommenden Jahr zu keiner Trilogverhandlung kommen, könnte das Vorhaben erst einmal vom Tisch sein.
Die Stärkung der strategischen Partnerschaft mit Lateinamerika gewinnt an Bedeutung für die EU. Dazu gehören das EU-Mercosur-Handelsabkommen und die Sicherung der von der EU als kritisch eingestuften Mineralien wie Lithium. Auch Bundeskanzler Olaf Scholz hat auf seiner ersten Lateinamerika-Reise entsprechende Schwerpunkte gesetzt.
Nach dem Treffen mit Argentiniens Ministerpräsidenten Alberto Fernández am Wochenende in Buenos Aires betonte Scholz in einer Pressekonferenz die Möglichkeit für engere Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Rohstoffe: “Wir haben auch über die Bedingungen für das Wachstum Argentiniens für die Zukunft auf dem Gebiet der Energie gesprochen, über Erdgas, das wir mit dem Vorkommen in Vaca Muerta haben und auch über die Lithiumvorkommen und die Produktion von grünem Wasserstoff sowie all der erneuerbaren Energien, die Europa und Deutschland interessieren.”
Argentinien verfügt über große Mengen unkonventioneller Kohlenwasserstoffe, deren Gewinnung aber mit technologischen Herausforderungen verbunden ist. Vaca Muerta in der argentinischen Provinz Neuquén (Südwesten) ist das zweitgrößte unkonventionelle Gasvorkommen der Welt und das viertgrößte Ölvorkommen seiner Art. Bisher sind nur zwölf Prozent des Potenzials erschlossen.
Neben den großen Mengen unkonventioneller Kohlenwasserstoffe verfügt Argentinien auch über große Lithium-Vorräte. Es gehört zu den 30 kritischen Mineralien, die die Europäische Kommission ins Visier genommen hat, und ist ein wichtiger Bestandteil zum Beispiel in E-Autobatterien. Nach Angaben des US Geological Survey aus dem Jahr 2022 sind die weltweit identifizierten Lithiumressourcen gestiegen und belaufen sich inzwischen auf rund 89 Millionen Tonnen. 50 Millionen Tonnen, und damit mehr als die Hälfte, entfallen auf drei südamerikanische Länder: Argentinien, Bolivien und Chile. Gefördert werden 90 Prozent der Weltproduktion von Australien, Chile und China.
Auch der argentinische Präsident Fernández hob die Möglichkeiten Argentiniens für die Zukunft im Energiesektor hervor: “Was wir vorschlagen, ist eine strategische Partnerschaft, bei der wir alle gewinnen können. Argentinien muss in der Lage sein, seine Bodenschätze und sein Erdgas zu verwerten. Und Deutschland profitiert von den Gewinnen aus der Produktion und der Wertschöpfung bei der Gewinnung von Rohstoffen.”
Scholz drängte in Buenos Aires auch auf den schnellen Abschluss des Freihandelsabkommens zwischen der EU und dem südamerikanischen Staatenbund Mercosur. Es gebe großes Potenzial zur Vertiefung der Handelsbeziehungen, und offensichtlich sei ein Handelsabkommen zwischen der EU und den Mercosur-Staaten dabei besonders wichtig, sagte Scholz auf der gemeinsamen Pressekonferenz mit dem argentinischen Präsidenten Fernández.
Wenn das Abkommen zwischen der Europäischen Union und dem Mercosur (Mercado libre del sur) noch in diesem Jahr unterzeichnet wird – die Ratifizierung des Abkommens steht seit 2019 aus -, würde damit eine der größten Freihandelszonen der Welt mit 800 Millionen Einwohnern entstehen. Das Wirtschaftsabkommen Mercosur, das 1991 von Brasilien, Argentinien, Paraguay und Uruguay ins Leben gerufen wurde, hat sich über den Handel hinaus ausgeweitet und umfasst nun auch Abkommen zu Bildung, Arbeit, Menschenrechten und Gesundheit.
Seit zwei Jahrzehnten wird mit der EU über das Abkommen verhandelt, aber ohne Erfolg. Im Jahr 2019 erzielten die beiden Blöcke eine grundsätzliche Einigung, seither wurden die endgültigen Texte weder unterzeichnet noch ratifiziert. Vor allem Spanien, das über Direktinvestitionen in Höhe von mehr als 66 Milliarden Euro im Mercosur verfügt, setzt sich für dieses Abkommen ein.
Die Spannungen zwischen den Mercosur-Mitgliedern haben in den vergangenen Jahren die Einigung mit Europa verzögert. Luis Lacalle Pou, Präsident von Uruguay, hat Anfang 2022 Freihandelsgespräche mit China aufgenommen. Luiz Inácio Lula da Silva, der derzeitige Präsident Brasiliens, sagte vergangene Woche während eines Besuchs in Uruguay, es sei “dringend notwendig, das Abkommen zwischen dem Mercosur und Europa zu schließen, bevor wir uns China nähern”.
Anfang Januar schrieb die EU-Kommissarin für internationale Partnerschaften, Jutta Urpilainen, einen Artikel für die spanische Zeitung El País, in dem sie die Bedeutung der strategischen Allianz mit Lateinamerika hervorhob. Die EU, Lateinamerika und die Karibik kooperieren bereits auf verschiedenen Ebenen mit Programmen wie BELLA im digitalen Bereich, EUROSOCIAL+ zur Förderung des sozialen Zusammenhalts und EUROCLIMA im Bereich der Umwelt. In den kommenden Monaten soll die Zusammenarbeit und Partnerschaft verstärkt werden, so die Kommissarin.
Das wird alleine schon deshalb der Fall sein, weil Spanien in der zweiten Hälfte dieses Jahres die EU-Ratspräsidentschaft übernimmt. Dann wird Lateinamerika noch stärker im Fokus stehen. Mit rtr/lei
31.01.2023 – 16:00-17:30 Uhr, online
ECFR, Panel Discussion Power audit of EU-Russia relations: How Europeans are learning to handle a new reality
The European Council on Foreign Relations (ECFR) addresses the question how Europeans should navigate the adversarial relationship towards Russia in the future. INFOS & REGISTRATION
01.02.-02.02.2023, Paris (Frankreich)
Trade Fair Hyvolution
The hydrogen event for energy, industry, and transportation. Fair with three forums and a jobs and training campus. INFOS & REGISTRATION
01.02.2023 – 10:00-12:00 Uhr, online
ASEW, Seminar THG-Quotenhandel mit AFS Energy
Die Arbeitsgemeinschaft für sparsame Energie- und Wasserverwendung (ASEW) informiert über Neuerungen im THG-Quotenhandel. INFOS & ANMELDUNG
01.02.2023 – 10:00-12:00 Uhr, Brüssel (Belgien)
ERCST, Panel Discussion Corporate Sustainability Due Diligence – how to make it work?
The European Roundtable on Climate Change and Sustainable Transition (ERCST) aims at identifying the key issues necessary to make the corporate sustainability due diligence workable. INFOS & REGISTRATION
01.02.2023 – 14:00-15:30 Uhr, online
FSR, Panel Discussion Electricity self-consumption for the energy transition
The Florence School of Regulation (FSR) inquires the potential of ‘prosumption’ for the ambitious energy and climate goals of the EU. INFOS & REGISTRATION
01.02.2023 – 15:00-16:30 Uhr, Brüssel (Belgien)/online
ERCST, Discussion The inclusion of hydrogen in the EU CBAM
The European Roundtable on Climate Change and Sustainable Transition (ERCST) takes stock of the implications of the inclusion of hydrogen in the EU-CBAM. INFOS & REGISTRATION
01.02.2023 – 17:00-18:00 Uhr, online
Eurosmart, Seminar Establishing Confidence In Integrated SIM With An Optimised Approach To Security Certification
Eurosmart explains how its latest Protection Profile (PP-0117) can be used to demonstrate the security of subsystems integrated within a SoC or the microcontroller. INFOS & REGISTRATION
02.02.2023 – 09:45-11:00 Uhr, online
BEUC, Panel Discussion Energy communities: How can we better protect consumers?
The European Consumer Organization (BEUC) presents research on how consumer rights might be impacted by entering into various forms of energy community. INFOS & REGISTRATION
02.02.2023 – 14:00-15:30 Uhr, online
ASEW, Seminar Erfahrungsaustausch Grund- und Ersatzversorgung
Die Arbeitsgemeinschaft für sparsame Energie- und Wasserverwendung (ASEW) gibt ihren Mitgliedern die Möglichkeit, offene Fragen zu Grund- und Ersatzversorgung zu diskutieren und zu schauen, wie andere Stadtwerke hiermit umgehen. INFOS & ANMELDUNG
Insgesamt 16 EU-Agrarminister fordern, wieder mehr in Gesetzgebungsprozesse eingebunden zu werden. Das geht aus einem gemeinsamen Brief hervor, der beim gestrigen Ratstreffen an den schwedischen Vorsitz übergeben wurde. Demnach fühlen sich die Minister insbesondere bei Verhandlungen in den Bereichen Umwelt- und Klimaschutz sowie Energie zunehmend übergangen.
Die Initiative kam aus Österreich. “Wenn Entscheidungen auf EU-Ebene getroffen werden, die unmittelbare Auswirkungen auf die Landwirtschaft haben, dann muss die Landwirtschaft auch am Verhandlungstisch sitzen”, sagte Österreichs Landwirtschaftsminister Norbert Totschnig (ÖVP) in Brüssel. So seien derzeit mehrere Gesetze geplant, die eine Reduktion der Agrar-Produktionskapazitäten zur Folge hätten. Das gefährde die Ernährungssicherheit.
Neben Totsching haben die Minister aus Finnland, Griechenland, Italien, Kroatien, Lettland, Litauen, Luxemburg, Malta, Polen, Rumänien, Slowakei, Slowenien, Tschechien, Ungarn und Zypern den Brief unterzeichnet. Auch der Agrarausschuss des Europäischen Parlaments hatte bereits mehrfach eine stärkere Einbindung in entsprechende Gesetzgebungen, darunter die Pestizide-Verordnung oder das Renaturierungsgesetz, gefordert.
Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne) gehört nicht dazu. Er habe das Problem nicht und sei in gutem Austausch mit dem Umweltministerium, so Özdemir. Die Rivalität zwischen Umwelt- und Agrarpolitik müsse der Vergangenheit angehören. til
Der Anteil von Wind- und Solarenergie am Strommix in der EU lag im vergangenen Jahr bei 22 Prozent und damit erstmals höher als der von fossilem Gas (20 Prozent). Der Anteil von Kohlestrom lag 2022 bei 16 Prozent. Das geht aus einem Bericht der Energie-Denkfabrik Ember hervor.
Die Solarstromerzeugung in der EU stieg demnach am schnellsten und verzeichnete 2022 einen Rekordzuwachs von 39 Terrawattstunden (+ 24 Prozent). Laut Ember sind allein dadurch Gaskosten in Höhe von zehn Milliarden Euro vermieden worden. Gründe für das Erneuerbaren-Wachstum sollen demnach wirksame politische Maßnahmen sowie der Solarausbau privater Haushalte und Kommunen auf Dächern sein.
Dies zeige, dass das Ziel von 45 Prozent erneuerbaren Energien bis 2030 zwar ehrgeizig, aber durchaus machbar sei, sagte Frans Timmermans, Exekutiv-Vizepräsident der EU-Kommission.
Im letzten Quartal 2022 sank der EU-weite Stromverbrauch zudem um 7,9 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum, schreibt Ember. Wichtige Faktoren für den Rückgang seien die milden Wetterbedingungen, Einsparungen aufgrund gestiegener Energiepreise sowie Fortschritte bei der Energieeffizienz.
Für 2023 erwartet die Denkfabrik einen Rekord-Rückgang bei der Stromerzeugung aus Gas und Kohle. Durch die Umstellung auf Erneuerbare im Zuge der Energiekrise sowie die Stabilisierung von Wasserkraft und französischer Kernenergie könnte die Verstromung fossiler Energieträger um bis zu 20 Prozent sinken. Dabei soll vor allem der Gasverbrauch am deutlichsten sinken. luk
Das Bundeskabinett hat neue Regelungen für einen beschleunigten Ausbau der Windenergie gebilligt. Im schriftlichen Umlaufverfahren stimmten die Minister der Ampelkoalition dem Wirtschaftsministerium zufolge am Montag der Umsetzung einer EU-Notfall-Verordnung zu. Sie sieht vor, dass Umweltverträglichkeits-Prüfungen auf bestimmten Flächen für Windräder und Stromleitungen entfallen können. Dies soll für alle Projekte greifen, die vor Juli 2024 begonnen werden.
Die Regelungen sollen an das Raumänderungs-Ordnungsgesetz angehängt werden, das bereits im parlamentarischen Verfahren ist. Eigentlich sollte das Kabinett bereits am vergangenen Mittwoch zustimmen, Regierungskreisen zufolge hatte Justizminister Marco Buschmann (FDP) aber mehr Zeit zur Prüfung erbeten.
Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) sprach von einer großen Erleichterung für den nötigen Ausbau: “Die Bundesregierung hat heute einen Windausbau-Beschleuniger auf den Weg gebracht, wie wir ihn noch nicht hatten”, sagte er. “Damit erhöhen wir die Dynamik des Ausbaus der erneuerbaren Energien nochmal kräftig.” Dies sei absolut notwendig. Mit Blick auf den Vogelschutz fügte er hinzu: “Aber klar ist auch, dass der Artenschutz wichtig ist und bleibt. Der Artenschutz wird materiell gewahrt. Es wird weiterhin Schutz- und Ausgleichsmaßnahmen geben.”
Über die Windenergie hinaus sollen zudem mit dem Gesetz Genehmigungsverfahren für Solaranlagen etwa auf Deponien auf drei Monate begrenzt werden. Hier muss nicht geprüft werden, ob eine Umweltverträglichkeits-Prüfung nötig ist. Beschleunigt werden soll so ferner die Genehmigung für kleinere Wärmepumpen, die innerhalb eines Monats abgeschlossen sein muss. rtr
Indien erwägt offenbar, als Reaktion auf den europäischen CO₂-Grenzausgleichsmechanismus (CBAM) ein eigenes Pendant einzuführen. Das geht aus einem Artikel der indischen Zeitung “The Hindu Business Line” hervor.
Die Zeitung beruft sich auf ein Sitzungsprotokoll aus dem indischen Handelsministerium vom Dezember. Darin heißt es, Indien sondiert die Möglichkeit eines eigenen Grenzausgleichs “auf der Grundlage von Pro-Kopf-Emissionen oder kumulativen (historischen) Pro-Kopf-Emissionen“. Indiens Finanzministerium solle dessen Einführung nun prüfen.
Das Handelsministerium will den europäischen CBAM zudem in sämtlichen Gremien der Welthandelsorganisation (WTO) zur Sprache bringen, heißt es in dem Protokoll. Das Land befürchtet, dass das EU-Instrument, das Carbon Leakage in Europa verhindern soll, schwierige handelspolitische Verhandlungen und Protektionismus mit sich bringen könnte.
15 Prozent der indischen Exporte gehen laut “The Hindu Business Line” in die EU. Pro Tonne Rohstahl aus indischer Produktion werden zwischen 2,3 und 2,8 Tonnen CO₂ emittiert. Der weltweite Durchschnitt liegt bei rund 1,7 Tonnen. Indische Stahlexporte würden entsprechend mit einem hohen CO₂-Zoll bei Einführung in die EU belegt werden. luk
Sollte der Rat sich bei den Trilog-Verhandlungen durchsetzen, dann sei das Sorgfaltspflichtengesetz zahnlos. Das bemängelten gestern die europäische NGO-Koalition European Coalition for Corporate Justice (ECCJ) und die Luxemburger Initiative Sorgfaltspflichten auf einer Pressekonferenz. Sie kritisierten insbesondere die großzügigen Ausnahmen für Finanzdienstleister, die der Rat im Dezember auf besonderen Druck Frankreichs beschloss.
“Im Ratsmandat ist es den Mitgliedstaaten überlassen, ob sie Finanzinstitute regulieren oder nicht. Das führt notwendigerweise zu einem Wettbewerb nach unten“, warnte Marion Lupin vom ECCJ. In der Praxis würde der Ratsvorschlag etwa bedeuten, dass Finanzdienstleister dafür sorgen müssten, dass ihr Kaffee aus fairem Handel stammt, sie aber keine Verantwortung darüber hätten, ob ihre Finanzdienstleistungen zu Verstößen gegen Menschenrechte oder Umwelt führen. Das sei “absurd”, sagt Lupin.
Besonders in Luxemburg, wo mehr als 10.000 Holdinggesellschaften (SOPARFI) angesiedelt sind, hätte das Lieferkettengesetz kaum noch Anwendung, sollte sich der Rat durchsetzen. Dann würden nur noch 0,4 Prozent der in Luxemburg ansässigen Unternehmen unter das Gesetz fallen, rechnete die Initiative Sorgfaltspflichten vor. “Immer wieder kommt es zu Menschenrechtsverletzungen durch Filialen von Luxemburger Holdings“, doch ginge es nach Luxemburg und dem Rat, dann betreffe sie das Gesetz am Ende nicht, monierte Jean-Louis Zeien.
Aktuelles Beispiel seien die Aktivitäten der in Luxemburg ansässigen Stahl- und Bergbaugesellschaft Ternium in Mexiko. Dem Unternehmen werden regelmäßig Menschenrechtsverletzungen gegen indigene Völker vorgeworfen. Nun sei Ternium womöglich in den Fall von zwei entführten Umweltaktivisten verwickelt, meldet die Initiative Sorgfaltspflicht. In einer weiteren Beschwerde gegen Ternium musste die Luxemburger OECD-Kontaktstelle vermitteln.
Während sich der Rat im Dezember bereits auf eine allgemeine Ausrichtung geeinigt hatte, ist das Votum im EU-Parlament für Mai angesetzt. Vergangene Woche gaben bereits vier Ausschüsse ihre Stellungnahme ab. Demnach hält das Parlament bisher an der Einbeziehung der Finanzdienstleister fest. Der Handelsausschuss will sie gar in die Liste der Risikogruppen aufnehmen. Gestern sprach sich EU-Kommissar Didier Reynders für eine Reglementierung der Finanzdienstleister aus. cw
Viele Online-Shops versuchen der EU-Kommission zufolge, Verbraucherinnen und Verbraucher mit verbotenen Mitteln zu manipulieren und beispielsweise zu Kaufentscheidungen zu drängen. Eine Kontrolle der Brüsseler Behörde sowie der zuständigen Behörden von 25 europäischen Ländern habe ergeben, dass 148 von 399 untersuchten Websites und damit mehr als ein Drittel aller Seiten, mindestens eine manipulative Taktik nutzten. Das teilte die EU-Kommission am Montag mit. Kontrolliert wurden im vergangenen Jahr Einzelhändler etwa im Textil- oder Elektro-Bereich.
Demnach wurden die Online-Shops vor allem auf drei manipulative Methoden untersucht: verborgene Informationen, das Drängen zu Käufen oder Abonnements sowie Countdown-Zähler, die falsche Fristen für den Kauf bestimmter Produkte angeben.
Laut Untersuchung verwendeten von den 399 untersuchten Seiten, 42 falsche Countdown-Zähler, 54 drängten die Verbraucher durch visuelle Gestaltung oder sprachliche Mittel zu bestimmten Entscheidungen – von Abonnements bis hin zu teureren Produkten oder Lieferoptionen. Zudem hätten 70 Online-Shops wichtige Informationen versteckt oder schlecht erkennbar gemacht. Dazu gehörten etwa Angaben zu Lieferkosten, zur Produktzusammensetzung oder zu einer billigeren Alternative.
All das verstoße gegen Verbraucherschutzregeln, sagte EU-Justizkommissar Didier Reynders und forderte die nationalen Behörden dazu auf, gegen die Praktiken vorzugehen. Parallel dazu überprüfe die Kommission alle Verbraucherschutzvorschriften, um sicherzustellen, dass diese an das digitale Zeitalter angepasst seien. dpa
Bis 2013 war die Welt für die Luxemburger Christdemokraten noch in Ordnung: Jean-Claude Juncker war Premierminister und die Parlamentswahlen bloß eine Routineübung. Die christlich-soziale Volkspartei (kurz CSV) war die Regierungspartei. Punkt.
Doch dann kam die “Affäre Bommeleeër”: Aus einer Serie an Anschlägen der 1980er-Jahre drehte sich die CSV einen Strick. Illegale Abhöraktionen, ein Justizminister, der versuchte, die Ermittlungen zu beeinflussen und zuletzt: ein Misstrauensvotum und Neuwahlen. Und auf einmal wurde aus einer Partei, die nichts anderes kannte als Regieren, auf einmal eine Oppositionspartei.
Bis heute versucht sich die CSV damit abzufinden, in den hinteren Reihen gegen die Regierung zu stänkern und dabei zuzusehen, wie andere Gesetze schreiben. Doch sie schafft es nicht. Sie schlägt sich mit parteiinternen Fehden, Skandalen und Skandälchen herum, während sich ihr Zugpferd Juncker als Kommissionspräsident nach Brüssel absetzte.
Die Partei wolle sich erneuern, verkündet sie regelmäßig. Und nah beim Volk sein. Bei den vergangenen Europawahlen scheiterte beides: Sie verlor einen Sitz. Auch bei nationalen Umfragen sieht es nicht gut aus. Nichts ist mehr Routine.
Doch nun, wo in Luxemburg mit Gemeinde-und Parlamentswahlen das Superwahljahr ansteht, plant die CSV ihr Comeback. Nicht etwa mit ihren zahlreichen jungen Abgeordneten, Parteivorständen oder EU-Parlamentariern. Nein, ihr Slogan lautet: “Back to the Future“. Denn vergangene Woche wurde bekannt: Luc Frieden, der langjährige Justiz- und Finanzminister, einer der Pfeiler des CSV-Staates, soll die Krone richten und die Partei wieder in die Regierung führen.
Tatsächlich ist Luc Frieden vieles, nur kein unbeschriebenes Blatt. Man nennt ihn den “Typ Politiker, der die Linke so gerne hasst”, den Mann mit “dem Herz aus Stein”, den “Mann der Sparmaßnahmen” oder auch den “Mann der Katarer”.
Eine Kurzbiografie:
Als ehemaliger Finanzminister baute Luc Frieden den Staat zum Dienstleister der Privatwirtschaft um und machte den Luxemburger Finanzplatz groß: Steuerrulings und Sonderregelungen für Banken waren seine Spezialität. Während der Finanzkrise stand er für Austerität (beim Volk) und für großmütige Hilfe (bei den Banken).
Banken, so sein Credo, rettet man am besten, indem man sie an Katar verkauft. Einer dieser Banken, der Banque Internationale à Luxembourg (BIL), sitzt er übrigens heute vor. Auch Anteile der Luxemburger Frachtfluggesellschaft Cargolux bot Frieden großzügig den Katarern an. Später kaufte der Staat die Anteile dann doch wieder zurück.
Als es mit der CSV vorbei war, war es das auch mit der Luxemburger Politkarriere des Luc Frieden. Die Opposition war dem in Harvard und Cambridge unterrichteten Anwalt “zu negativ“. Knapp sechs Monate, nachdem Frieden raus war aus der Regierung, fand er einen schönen Posten in der Privatwirtschaft: In London, als Special Advisor für die Deutsche Bank (Großaktionär: Katar) durfte er den Vorstand in strategischen Fragen zu internationalen und europäischen Angelegenheiten beraten. So etwas Fortschrittliches wie einen Kodex, der so etwas regelt, wie “Deontologie” und “revolving doors”, kannte Luxemburg nicht.
Daneben saß Frieden der Bistumszeitung und größten Luxemburger Tageszeitung, dem “Luxemburger Wort” vor. Sein Versuch, die von “Recht und Ordnung” abgewichene “Jedermannzeitung” wieder zum Politinstrument seiner Partei zu machen, scheiterte: Mittlerweile gehört das “Wort” zur Mediahuis-Gruppe.
Heute ist Luc Frieden übrigens immer noch ein beliebter Gast bei Staatsbesuchen, wie etwa 2019 in Marokko: Er ist nämlich (noch) Präsident der Luxemburger und europäischen Handelskammer, berät als Anwalt Firmen zu den als Minister eingefädelten Steuerregeln und sitzt nebenbei der BIL vor, die er vor ein paar Jahren der katarischen Königsfamilie verkauft hat (die hat sie wiederum später an die Chinesen verkauft).
Bald soll der relativ rechts des Politspektrums angesiedelte Luc Frieden denn aber wieder Recht und Ordnung ins Luxemburger Land bringen. Morgen will ihn seine Partei als Spitzenkandidat bestätigen. Denn Erneuerung hin oder her. Wer eignet sich denn in Zeiten von Katar-Gate und Ethikfragen besser als der Spitzenreiter Luc Frieden? Ganz nach dem Motto: Um das System zu ändern, muss man zuerst davon profitiert haben.
Übrigens, der Justizminister in der “Affäre Bommeleeër”: Das war übrigens auch Luc Frieden.
morgen will die Kommission ihre Antwort auf den Inflation Reduction Act der USA präsentieren. Der Green Deal Industrial Plan wird mit Spannung erwartet. Wie aus einem Entwurf des Papiers hervorgeht, will die Kommission zahlreiche Erleichterungen für die Wirtschaft erlauben. Die Hilfen will sie dabei möglichst gezielt ausrichten – auf Branchen, die von Abwanderung bedroht sind. Markus Grabitz und Manuel Berkel haben den Text gelesen und fassen die wichtigsten Punkte zusammen.
80 Prozent aller Kultur- und Wildpflanzen sind nach Angaben der Kommission auf die Bestäubung von Bienen, Schmetterlingen und Co angewiesen. Doch bei einem Drittel der Arten gehe der Bestand stark zurück. Um diesen gefährlichen Trend zu stoppen, müssen giftige Pflanzenschutzmittel deutlich reduziert werden. Ein entsprechendes Gesetz auf EU-Ebene ist in Arbeit. Allerdings gibt es darüber so heftigen Streit, dass zurzeit fraglich ist, ob die Verordnung überhaupt zustande kommt. Timo Landenberger berichtet.
Beziehungsstatus: kompliziert. Auch nach zwei Jahrzehnten ist zwischen der EU und den Mercosur-Staaten kein Handelsabkommen auf den Weg gekommen. Das wäre aber gerade jetzt, wo die EU und Staaten wie Deutschland gerne ihre Handelsbeziehungen intensivieren würden – man denke an wichtige Rohstoffe wie Gas und Lithium – auf EU-Seite gern gesehen. Isabel Cuesta analysiert, wie Bewegung ins Spiel kommen könnte.
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Seit die US-Regierung mit ihrem Inflation Reduction Act (IRA) neue Hilfen für die heimische Industrie angekündigt hat, sehen sich die EU-Staaten immer lauteren Forderungen nach neuen Milliardenspritzen für die eigene Wirtschaft ausgesetzt. Mit ihrer Antwort – dem Green Deal Industrial Plan – will die Kommission zahlreiche Erleichterungen für die Wirtschaft erlauben, aber die Hilfen auch möglichst gezielt ausrichten. Das zeigt ein Entwurf des Hauptdokumentes, an den “Contexte” am Montag gelangte.
Die Grundzüge hatte Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen bereits in Davos vorgestellt. Finanzielle Hilfen sollen zum einen aus EU-Mitteln fließen, vor allem aber sollen die Mitgliedstaaten weitere Freiheiten erhalten, nationale Beihilfen auszuzahlen. Dazu soll insbesondere der Befristete Krisenrahmen (TCF) erneut ausgeweitet werden, wie Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager in einem Brief an die Mitgliedstaaten angekündigt hatte.
Für strategische grüne Industrien sollen Investitionsbeihilfen wie zum Beispiel Steuererleichterungen für Produktionskapazitäten ausgedehnt werden, um “mit Hilfen gleichzuziehen, die Wettbewerber für ähnliche Projekte außerhalb der EU erhalten“. Dies ist der direkteste Bezug auf die staatliche Unterstützung der USA in dem Entwurf. Mitgliedstaaten sollen aber auch “globale Finanzierungslücken” berücksichtigen können.
Die Investitionshilfen für Produktionskapazitäten sollen aber nicht nur zeitlich befristet sein, sondern auch “auf die Sektoren ausgerichtet [sein], in denen ein solches Verlagerungsrisiko festgestellt wurde“. Damit versucht die Kommission offensichtlich, Trittbrettfahrer in der Industrie von dem Geldregen auszuschließen.
Zudem ist die Kommission darauf bedacht, die Wettbewerbsverhältnisse zwischen den EU-Ländern nicht zu verzerren: “Die Bestimmungen über Steuervergünstigungen würden es den Mitgliedstaaten ermöglichen, ihre nationalen steuerlichen Anreize an ein gemeinsames System anzugleichen und so den Unternehmen in der gesamten EU mehr Transparenz und Berechenbarkeit zu bieten.”
Weitere Erleichterungen betreffen erneuerbare Energien. Beihilfefähig sind nun Investitionen in alle Technologien im Sinne der Erneuerbare-Energien-Richtlinie. Neu hinzu kommen damit vor allem Biomasseanlagen und Wasserkraftwerke. Förderfähig sind nun zudem Speicher für grünen Wasserstoff und Biokraftstoffe. Außerdem sollen die Fristen für die Inbetriebnahme ausgedehnt werden.
Zweitens soll es leichter Beihilfen für die Dekarbonisierung der Industrie geben. Wollte ein Betrieb bisher von der Verbrennung von Gas oder Kohle auf die Nutzung von Strom oder Wasserstoff umstellen, musst er zunächst umständlich Kosteneinsparungen über die gesamte Lebensdauer der Anlage ermitteln, um die beihilfefähigen Kosten zu bestimmen. Künftig soll ein pauschaler Anteil der Investitionskosten förderfähig sein.
Wie bereits von Vestager angekündigt, soll außerdem die Allgemeine Gruppenfreistellungsverordnung (AGVO) angepasst werden. Für Sektoren wie Wasserstoff, emissionsfreie Fahrzeuge, Gebäude sowie die CO₂-Speicherung (CCS) soll die Schwelle für die Notifizierungspflicht angehoben werden. Für Lade- und Tankinfrastruktur soll der Anwendungsbereich ausgedehnt werden und auch Ausbildungsprogramme sollen profitieren.
Angehoben werden sollen auch die De-Minimis-Grenzen für die umständlichen IPCEI-Beihilfen, mit denen bisher unter anderem Wasserstoffprojekte gefördert werden und künftig vielleicht auch Wärmepumpen und die Solarwirtschaft. So sollen auch kleine und mittelständische Unternehmen einen Zugang zu der Investitionsförderung erhalten. Unter der AGVO sollen dafür auch die zulässigen Förderquoten angehoben werden.
Von dem vorübergehenden Krisenrahmen (TCF), also den befristet gelockerten Beihilferegeln, würden vor allem Unternehmen in reichen Mitgliedstaaten profitieren wie etwa Deutschland, Frankreich, Niederlande und Dänemark. Kleinere Mitgliedstaaten verfügen nicht über die notwendigen Haushaltsmittel, um von diesen Ausnahmen Gebrauch zu machen und Investitionen in nennenswerten Kategorien anzuschieben.
Dieses Ungleichgewicht bei den finanziellen Ressourcen droht für Verwerfungen auf dem Binnenmarkt zu sorgen. Um zu verhindern, dass die innovativen Industrien in ärmeren Mitgliedstaaten zurückbleiben, schlägt die Kommission eine Flankierung aus EU-Mitteln vor.
Die Kommission kündigt zudem an, frisches Geld in Form eines Europäischen Souveränitätsfonds bereitzustellen. Einen Vorschlag dazu will sie im Zuge der Überarbeitung des Mehrjährigen Finanzrahmens (MFF) bis zum Sommer unterbreiten. Ob es sich dabei um an den Kapitalmärkten aufgenommene Mittel handelt, wie dies von einigen Mitgliedstaaten gefordert und von Deutschland abgelehnt wird, darüber gibt die kurze Passage nicht Auskunft, ebenso wenig über das finanzielle Volumen.
Es gehe darum, den Vorsprung der EU bei Zukunftstechnologie wie Mikroelektronik, Quantencomputing und Artificial Intelligence und Umwelttechnologien zu wahren. Ziel sei es, Unternehmen aus allen Mitgliedstaaten Zugang zu den Geldern zu gewähren.
Weitere EU-Fördertöpfe sind bereits bekannt: Zusätzlich zu den 250 Milliarden Euro, die aus dem Wiederaufbaufonds (RRF) reserviert sind zur Finanzierung der grünen Transition, kommen 20 Milliarden Euro aus der RepowerEU-Initiative. RepowerEU wurde im Mai 2022 aufgelegt, um die Kosten abzufedern, wenn sich die EU unabhängig macht von russischen Energielieferungen.
Mitgliedstaaten können auch die Mittel aus der Brexit-Anpassungsreserve mit einem Volumen von 5,4 Milliarden Euro als Zuschüsse für den grünen Umbau umwidmen. Um den Mitgliedstaaten zu helfen, die bereitstehenden Mittel auszuschöpfen, wird die Kommission am Mittwoch Leitlinien für den RRF veröffentlichen.
Daneben verweist die Kommission auf InvestEU. Das ist das Nachfolge-Programm des sogenannten Juncker-Plans. Über Finanzgarantien mobilisieren die Europäische Investitionsbank (EIB) und andere Finanzakteure Kredite für Zukunftstechnologien. In dem Mandat von 2021 bis 2027 sollen darüber Investitionen in Höhe von 372 Milliarden Euro freigesetzt werden. Aus dem EU-Haushalt werden dafür Garantien von 26,2 Milliarden Euro benutzt. Bisher sind Garantien von rund 21 Milliarden Euro ausgeschöpft.
Die Kommission spricht zudem den Innovationsfonds an, der sich aus den Erlösen des Emissionshandels (ETS) speist. Der Innovationsfonds soll dabei helfen, den Markthochlauf von Zukunftstechnologien zu finanzieren. So ist etwa daran gedacht, eine Auktion zur Bezuschussung der Produktion von grünem Wasserstoff zu starten. Wer den Zuschlag erhält, der bekommt für die Zeit von zehn Jahren die Garantie für einen bestimmten Preis je Kilogramm produzierten grünen Wasserstoffs. Manuel Berkel und Markus Grabitz
Die EU-Kommission hat es noch einmal deutlich gemacht: “Wir wissen, dass die übermäßige Verwendung und Abhängigkeit von Pestiziden unsere Ernährungssicherheit, die Rentabilität landwirtschaftlicher Betriebe, die biologische Vielfalt und unsere Umwelt gefährden. Wir werden weiterhin intensiv daran arbeiten, den Einsatz von Pestiziden zu verringern und den Verlust von Bestäubern in Zukunft zu minimieren”, sagte Stella Kyriakides, Kommissarin für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit, kürzlich bei der Vorstellung einer überarbeiteten Initiative für Bestäuber.
80 Prozent aller Kultur- und Wildpflanzen sind laut Kommission auf die Bestäubung von Bienen, Schmetterlingen und Co angewiesen. Doch bei einem Drittel der Arten gehe der Bestand stark zurück. Ziel der Initiative sei deshalb, den “alarmierenden Rückgang” bis 2030 umzukehren und die Ursachen konsequent anzugehen. Das fordert auch die Europäische Bürgerinitiative “Bienen und Bauern retten”, die 1,1 Millionen Unterschriften bekam. Wichtigstes Instrument: die geplante Verordnung über die nachhaltige Verwendung von Pflanzenschutzmitteln (Sustainable Use Regulation, SUR).
Auf der Weltnaturkonferenz (COP15) in Montréal einigten sich die Parteien darauf, die Risiken durch Pestizideinsatz um 50 Prozent zu verringern – nicht zuletzt auf Druck der EU-Delegation. Doch in Brüssel sorgt das SUR-Gesetzesvorhaben für heftigen Streit und kommt nicht voran.
Zuletzt forderten Agrar- und Energierat von der EU-Kommission eine weitere Folgenabschätzung und schoben die Pläne damit auf die lange Bank. Etliche Staaten verwiesen auf die hohe Inflation bei Nahrungsmitteln und befürchteten, dass bei einer weiteren Verschärfung der EU-Vorgaben Importprodukte aus Drittstaaten gegenüber heimischen Produkten konkurrenzfähiger würden.
Die Bundesregierung hatte sich gegen eine weitere Verzögerung ausgesprochen. Dennoch gebe es Verbesserungsbedarf, heißt es aus dem Bundeslandwirtschaftsministerium. Insbesondere hinsichtlich:
Insbesondere letztere sorgen unter Landwirten für Entsetzen. Denn der Kommissionsentwurf sieht ein generelles Pflanzenschutzverbot in städtischen Parkanlagen, Naturschutzgebieten sowie auf Spiel- und Sportplätzen vor. Dabei sollen neben den Natura-2000-Gebieten der EU auch sämtliche nationale Landschafts- und Vogelschutzgebiete von dem Verbot umfasst werden. In Deutschland könnte somit bis zu einem Viertel der landwirtschaftlichen Produktionsfläche davon betroffen sein.
“Hier ist eine komplett andere Herangehensweise notwendig, sonst wird dies zahlreiche Betriebe ins Aus drängen”, betont der Präsident des Deutschen Bauernverbandes, Joachim Rukwied. “Die Ernährungssicherung in Europa wäre dadurch gefährdet.”
Norbert Lins (EVP), Vorsitzender des Agrarausschusses im EU-Parlament hält den Ansatz der Kommission gar für “so fragwürdig, dass es so schwer wird, die Vorschläge so zu verbessern, dass sie funktionieren können.” Nach den Plänen würden außerdem diejenigen bestraft, die bereits Maßnahmen ergriffen hätten. In manchen Regionen, darunter Baden-Württemberg, sei durch Innovationen der Pestizideinsatz bereits seit vielen Jahren rückläufig. “Trotzdem hat am Ende jeder die gleichen Referenzjahre 2015 bis 2017. Egal was da der Stand war”, so Lins.
Nach Ansicht seiner Fraktion wäre es das Beste, wenn die Kommission die Vorschläge ganz zurückziehen würde. Damit sei nun nicht mehr zu rechnen, weshalb zumindest die zusätzliche Folgenabschätzung abgewartet werden müsse.
Für SUR-Berichterstatterin Sarah Wiener (Grüne/EFA) ist das “reine Verzögerungstaktik. Wir wissen nicht einmal, wie die Ernte im nächsten Jahr ist. Wie soll da ein Papier vorgelegt werden, das berücksichtigt, wie in fünf Jahren die Import-Export-Situation für eine bestimmte Ackerfrucht unter theoretischen Bedingungen ist?”, sagt die Abgeordnete. Die Umstellung werde nicht einfach, denn das gesamte Ernährungssystem befinde sich in einer “fatalen Abhängigkeit”. Doch es gebe keine Alternative. “Wir müssen die Landwirtschaft ökologisieren. Das ist keine Frage der Parteirichtung.”
Unterstützung bekommt Wiener aus der Wissenschaft: “Angesichts der dringenden Notwendigkeit, die Auswirkungen von Pestiziden zu reduzieren, ist es besorgniserregend zu beobachten, dass eine Reihe von Mitgliedstaaten und Mitgliedern des Europäischen Parlaments eine Verzögerung und Verwässerung der neuen Pestizidverordnung gefordert haben”, heißt es in einem offenen Brief, der fachübergreifend von über 700 Wissenschaftlern aus ganz Europa unterzeichnet wurde.
Sarah Wiener jedenfalls will sich nicht beirren lassen und ihren Berichtsentwurf heute einreichen. Darin bleibt die Abgeordnete in Teilen hinter dem Vorschlag der Kommission zurück. So sei das vorgesehene Totalverbot in Schutzgebieten ein Fehler. “Das wäre zwar theoretisch richtig. Aber ich möchte praktische Möglichkeiten finden für ein resilienteres Agrarsystem. Und dazu gehört nicht, die Landwirtschaft in sensiblen Bereichen praktisch abzuschaffen.”
Wichtig sei vor allem ein verbindlicher integrierter Pflanzenschutz (Integrated Pest Management, IPM). In einem Kaskaden-System sollen zunächst alle agrarökologischen Maßnahmen ausgeschöpft werden und chemisch synthetische Pestizide erst als letztes Mittel zum Einsatz kommen. “Wir wollen kein schlichtes Verbot, sondern den Werkzeugkasten erweitern.”
Dabei will Wiener das Hauptaugenmerk auf hochgefährliche Pestizide, darunter sogenannte Neonikotinoide, legen. Die meisten davon sind so giftig, dass sie in der EU eigentlich verboten sind. Dennoch werden immer wieder Ausnahmegenehmigungen erteilt. Hier fordert die Berichterstatterin, das Reduktionsziel von 50 auf 80 Prozent zu erhöhen.
Derweil bleibt fraglich, ob die Verordnung überhaupt zustande kommt. Die Mehrheitsverhältnisse sind denkbar knapp und Insider rechnen damit, dass Gegner des Vorhabens sowohl im Umwelt- als auch im Agrarausschuss die Zurückweisung des Vorschlags beantragen werden.
Der Agrarausschuss hat eine sogenannte Teilkompetenz in einigen Artikeln – darunter die Finanzierung der SUR über die Gemeinsame Agrarpolitik (GAP) -, will darüber jedoch nicht entscheiden, bevor die zusätzliche Folgenabschätzung vorliegt. Daneben hätten sich die AGRI-Mitglieder eine stärkere Mitsprache gewünscht und fühlen sich übergangen. Nun wird erwartet, dass der eigentliche Schlagabtausch erst vor dem Plenum stattfindet, wodurch sich das Prozedere erneut deutlich verzögern könnte. Sollte es vor dem Ende der Legislaturperiode im kommenden Jahr zu keiner Trilogverhandlung kommen, könnte das Vorhaben erst einmal vom Tisch sein.
Die Stärkung der strategischen Partnerschaft mit Lateinamerika gewinnt an Bedeutung für die EU. Dazu gehören das EU-Mercosur-Handelsabkommen und die Sicherung der von der EU als kritisch eingestuften Mineralien wie Lithium. Auch Bundeskanzler Olaf Scholz hat auf seiner ersten Lateinamerika-Reise entsprechende Schwerpunkte gesetzt.
Nach dem Treffen mit Argentiniens Ministerpräsidenten Alberto Fernández am Wochenende in Buenos Aires betonte Scholz in einer Pressekonferenz die Möglichkeit für engere Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Rohstoffe: “Wir haben auch über die Bedingungen für das Wachstum Argentiniens für die Zukunft auf dem Gebiet der Energie gesprochen, über Erdgas, das wir mit dem Vorkommen in Vaca Muerta haben und auch über die Lithiumvorkommen und die Produktion von grünem Wasserstoff sowie all der erneuerbaren Energien, die Europa und Deutschland interessieren.”
Argentinien verfügt über große Mengen unkonventioneller Kohlenwasserstoffe, deren Gewinnung aber mit technologischen Herausforderungen verbunden ist. Vaca Muerta in der argentinischen Provinz Neuquén (Südwesten) ist das zweitgrößte unkonventionelle Gasvorkommen der Welt und das viertgrößte Ölvorkommen seiner Art. Bisher sind nur zwölf Prozent des Potenzials erschlossen.
Neben den großen Mengen unkonventioneller Kohlenwasserstoffe verfügt Argentinien auch über große Lithium-Vorräte. Es gehört zu den 30 kritischen Mineralien, die die Europäische Kommission ins Visier genommen hat, und ist ein wichtiger Bestandteil zum Beispiel in E-Autobatterien. Nach Angaben des US Geological Survey aus dem Jahr 2022 sind die weltweit identifizierten Lithiumressourcen gestiegen und belaufen sich inzwischen auf rund 89 Millionen Tonnen. 50 Millionen Tonnen, und damit mehr als die Hälfte, entfallen auf drei südamerikanische Länder: Argentinien, Bolivien und Chile. Gefördert werden 90 Prozent der Weltproduktion von Australien, Chile und China.
Auch der argentinische Präsident Fernández hob die Möglichkeiten Argentiniens für die Zukunft im Energiesektor hervor: “Was wir vorschlagen, ist eine strategische Partnerschaft, bei der wir alle gewinnen können. Argentinien muss in der Lage sein, seine Bodenschätze und sein Erdgas zu verwerten. Und Deutschland profitiert von den Gewinnen aus der Produktion und der Wertschöpfung bei der Gewinnung von Rohstoffen.”
Scholz drängte in Buenos Aires auch auf den schnellen Abschluss des Freihandelsabkommens zwischen der EU und dem südamerikanischen Staatenbund Mercosur. Es gebe großes Potenzial zur Vertiefung der Handelsbeziehungen, und offensichtlich sei ein Handelsabkommen zwischen der EU und den Mercosur-Staaten dabei besonders wichtig, sagte Scholz auf der gemeinsamen Pressekonferenz mit dem argentinischen Präsidenten Fernández.
Wenn das Abkommen zwischen der Europäischen Union und dem Mercosur (Mercado libre del sur) noch in diesem Jahr unterzeichnet wird – die Ratifizierung des Abkommens steht seit 2019 aus -, würde damit eine der größten Freihandelszonen der Welt mit 800 Millionen Einwohnern entstehen. Das Wirtschaftsabkommen Mercosur, das 1991 von Brasilien, Argentinien, Paraguay und Uruguay ins Leben gerufen wurde, hat sich über den Handel hinaus ausgeweitet und umfasst nun auch Abkommen zu Bildung, Arbeit, Menschenrechten und Gesundheit.
Seit zwei Jahrzehnten wird mit der EU über das Abkommen verhandelt, aber ohne Erfolg. Im Jahr 2019 erzielten die beiden Blöcke eine grundsätzliche Einigung, seither wurden die endgültigen Texte weder unterzeichnet noch ratifiziert. Vor allem Spanien, das über Direktinvestitionen in Höhe von mehr als 66 Milliarden Euro im Mercosur verfügt, setzt sich für dieses Abkommen ein.
Die Spannungen zwischen den Mercosur-Mitgliedern haben in den vergangenen Jahren die Einigung mit Europa verzögert. Luis Lacalle Pou, Präsident von Uruguay, hat Anfang 2022 Freihandelsgespräche mit China aufgenommen. Luiz Inácio Lula da Silva, der derzeitige Präsident Brasiliens, sagte vergangene Woche während eines Besuchs in Uruguay, es sei “dringend notwendig, das Abkommen zwischen dem Mercosur und Europa zu schließen, bevor wir uns China nähern”.
Anfang Januar schrieb die EU-Kommissarin für internationale Partnerschaften, Jutta Urpilainen, einen Artikel für die spanische Zeitung El País, in dem sie die Bedeutung der strategischen Allianz mit Lateinamerika hervorhob. Die EU, Lateinamerika und die Karibik kooperieren bereits auf verschiedenen Ebenen mit Programmen wie BELLA im digitalen Bereich, EUROSOCIAL+ zur Förderung des sozialen Zusammenhalts und EUROCLIMA im Bereich der Umwelt. In den kommenden Monaten soll die Zusammenarbeit und Partnerschaft verstärkt werden, so die Kommissarin.
Das wird alleine schon deshalb der Fall sein, weil Spanien in der zweiten Hälfte dieses Jahres die EU-Ratspräsidentschaft übernimmt. Dann wird Lateinamerika noch stärker im Fokus stehen. Mit rtr/lei
31.01.2023 – 16:00-17:30 Uhr, online
ECFR, Panel Discussion Power audit of EU-Russia relations: How Europeans are learning to handle a new reality
The European Council on Foreign Relations (ECFR) addresses the question how Europeans should navigate the adversarial relationship towards Russia in the future. INFOS & REGISTRATION
01.02.-02.02.2023, Paris (Frankreich)
Trade Fair Hyvolution
The hydrogen event for energy, industry, and transportation. Fair with three forums and a jobs and training campus. INFOS & REGISTRATION
01.02.2023 – 10:00-12:00 Uhr, online
ASEW, Seminar THG-Quotenhandel mit AFS Energy
Die Arbeitsgemeinschaft für sparsame Energie- und Wasserverwendung (ASEW) informiert über Neuerungen im THG-Quotenhandel. INFOS & ANMELDUNG
01.02.2023 – 10:00-12:00 Uhr, Brüssel (Belgien)
ERCST, Panel Discussion Corporate Sustainability Due Diligence – how to make it work?
The European Roundtable on Climate Change and Sustainable Transition (ERCST) aims at identifying the key issues necessary to make the corporate sustainability due diligence workable. INFOS & REGISTRATION
01.02.2023 – 14:00-15:30 Uhr, online
FSR, Panel Discussion Electricity self-consumption for the energy transition
The Florence School of Regulation (FSR) inquires the potential of ‘prosumption’ for the ambitious energy and climate goals of the EU. INFOS & REGISTRATION
01.02.2023 – 15:00-16:30 Uhr, Brüssel (Belgien)/online
ERCST, Discussion The inclusion of hydrogen in the EU CBAM
The European Roundtable on Climate Change and Sustainable Transition (ERCST) takes stock of the implications of the inclusion of hydrogen in the EU-CBAM. INFOS & REGISTRATION
01.02.2023 – 17:00-18:00 Uhr, online
Eurosmart, Seminar Establishing Confidence In Integrated SIM With An Optimised Approach To Security Certification
Eurosmart explains how its latest Protection Profile (PP-0117) can be used to demonstrate the security of subsystems integrated within a SoC or the microcontroller. INFOS & REGISTRATION
02.02.2023 – 09:45-11:00 Uhr, online
BEUC, Panel Discussion Energy communities: How can we better protect consumers?
The European Consumer Organization (BEUC) presents research on how consumer rights might be impacted by entering into various forms of energy community. INFOS & REGISTRATION
02.02.2023 – 14:00-15:30 Uhr, online
ASEW, Seminar Erfahrungsaustausch Grund- und Ersatzversorgung
Die Arbeitsgemeinschaft für sparsame Energie- und Wasserverwendung (ASEW) gibt ihren Mitgliedern die Möglichkeit, offene Fragen zu Grund- und Ersatzversorgung zu diskutieren und zu schauen, wie andere Stadtwerke hiermit umgehen. INFOS & ANMELDUNG
Insgesamt 16 EU-Agrarminister fordern, wieder mehr in Gesetzgebungsprozesse eingebunden zu werden. Das geht aus einem gemeinsamen Brief hervor, der beim gestrigen Ratstreffen an den schwedischen Vorsitz übergeben wurde. Demnach fühlen sich die Minister insbesondere bei Verhandlungen in den Bereichen Umwelt- und Klimaschutz sowie Energie zunehmend übergangen.
Die Initiative kam aus Österreich. “Wenn Entscheidungen auf EU-Ebene getroffen werden, die unmittelbare Auswirkungen auf die Landwirtschaft haben, dann muss die Landwirtschaft auch am Verhandlungstisch sitzen”, sagte Österreichs Landwirtschaftsminister Norbert Totschnig (ÖVP) in Brüssel. So seien derzeit mehrere Gesetze geplant, die eine Reduktion der Agrar-Produktionskapazitäten zur Folge hätten. Das gefährde die Ernährungssicherheit.
Neben Totsching haben die Minister aus Finnland, Griechenland, Italien, Kroatien, Lettland, Litauen, Luxemburg, Malta, Polen, Rumänien, Slowakei, Slowenien, Tschechien, Ungarn und Zypern den Brief unterzeichnet. Auch der Agrarausschuss des Europäischen Parlaments hatte bereits mehrfach eine stärkere Einbindung in entsprechende Gesetzgebungen, darunter die Pestizide-Verordnung oder das Renaturierungsgesetz, gefordert.
Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne) gehört nicht dazu. Er habe das Problem nicht und sei in gutem Austausch mit dem Umweltministerium, so Özdemir. Die Rivalität zwischen Umwelt- und Agrarpolitik müsse der Vergangenheit angehören. til
Der Anteil von Wind- und Solarenergie am Strommix in der EU lag im vergangenen Jahr bei 22 Prozent und damit erstmals höher als der von fossilem Gas (20 Prozent). Der Anteil von Kohlestrom lag 2022 bei 16 Prozent. Das geht aus einem Bericht der Energie-Denkfabrik Ember hervor.
Die Solarstromerzeugung in der EU stieg demnach am schnellsten und verzeichnete 2022 einen Rekordzuwachs von 39 Terrawattstunden (+ 24 Prozent). Laut Ember sind allein dadurch Gaskosten in Höhe von zehn Milliarden Euro vermieden worden. Gründe für das Erneuerbaren-Wachstum sollen demnach wirksame politische Maßnahmen sowie der Solarausbau privater Haushalte und Kommunen auf Dächern sein.
Dies zeige, dass das Ziel von 45 Prozent erneuerbaren Energien bis 2030 zwar ehrgeizig, aber durchaus machbar sei, sagte Frans Timmermans, Exekutiv-Vizepräsident der EU-Kommission.
Im letzten Quartal 2022 sank der EU-weite Stromverbrauch zudem um 7,9 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum, schreibt Ember. Wichtige Faktoren für den Rückgang seien die milden Wetterbedingungen, Einsparungen aufgrund gestiegener Energiepreise sowie Fortschritte bei der Energieeffizienz.
Für 2023 erwartet die Denkfabrik einen Rekord-Rückgang bei der Stromerzeugung aus Gas und Kohle. Durch die Umstellung auf Erneuerbare im Zuge der Energiekrise sowie die Stabilisierung von Wasserkraft und französischer Kernenergie könnte die Verstromung fossiler Energieträger um bis zu 20 Prozent sinken. Dabei soll vor allem der Gasverbrauch am deutlichsten sinken. luk
Das Bundeskabinett hat neue Regelungen für einen beschleunigten Ausbau der Windenergie gebilligt. Im schriftlichen Umlaufverfahren stimmten die Minister der Ampelkoalition dem Wirtschaftsministerium zufolge am Montag der Umsetzung einer EU-Notfall-Verordnung zu. Sie sieht vor, dass Umweltverträglichkeits-Prüfungen auf bestimmten Flächen für Windräder und Stromleitungen entfallen können. Dies soll für alle Projekte greifen, die vor Juli 2024 begonnen werden.
Die Regelungen sollen an das Raumänderungs-Ordnungsgesetz angehängt werden, das bereits im parlamentarischen Verfahren ist. Eigentlich sollte das Kabinett bereits am vergangenen Mittwoch zustimmen, Regierungskreisen zufolge hatte Justizminister Marco Buschmann (FDP) aber mehr Zeit zur Prüfung erbeten.
Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) sprach von einer großen Erleichterung für den nötigen Ausbau: “Die Bundesregierung hat heute einen Windausbau-Beschleuniger auf den Weg gebracht, wie wir ihn noch nicht hatten”, sagte er. “Damit erhöhen wir die Dynamik des Ausbaus der erneuerbaren Energien nochmal kräftig.” Dies sei absolut notwendig. Mit Blick auf den Vogelschutz fügte er hinzu: “Aber klar ist auch, dass der Artenschutz wichtig ist und bleibt. Der Artenschutz wird materiell gewahrt. Es wird weiterhin Schutz- und Ausgleichsmaßnahmen geben.”
Über die Windenergie hinaus sollen zudem mit dem Gesetz Genehmigungsverfahren für Solaranlagen etwa auf Deponien auf drei Monate begrenzt werden. Hier muss nicht geprüft werden, ob eine Umweltverträglichkeits-Prüfung nötig ist. Beschleunigt werden soll so ferner die Genehmigung für kleinere Wärmepumpen, die innerhalb eines Monats abgeschlossen sein muss. rtr
Indien erwägt offenbar, als Reaktion auf den europäischen CO₂-Grenzausgleichsmechanismus (CBAM) ein eigenes Pendant einzuführen. Das geht aus einem Artikel der indischen Zeitung “The Hindu Business Line” hervor.
Die Zeitung beruft sich auf ein Sitzungsprotokoll aus dem indischen Handelsministerium vom Dezember. Darin heißt es, Indien sondiert die Möglichkeit eines eigenen Grenzausgleichs “auf der Grundlage von Pro-Kopf-Emissionen oder kumulativen (historischen) Pro-Kopf-Emissionen“. Indiens Finanzministerium solle dessen Einführung nun prüfen.
Das Handelsministerium will den europäischen CBAM zudem in sämtlichen Gremien der Welthandelsorganisation (WTO) zur Sprache bringen, heißt es in dem Protokoll. Das Land befürchtet, dass das EU-Instrument, das Carbon Leakage in Europa verhindern soll, schwierige handelspolitische Verhandlungen und Protektionismus mit sich bringen könnte.
15 Prozent der indischen Exporte gehen laut “The Hindu Business Line” in die EU. Pro Tonne Rohstahl aus indischer Produktion werden zwischen 2,3 und 2,8 Tonnen CO₂ emittiert. Der weltweite Durchschnitt liegt bei rund 1,7 Tonnen. Indische Stahlexporte würden entsprechend mit einem hohen CO₂-Zoll bei Einführung in die EU belegt werden. luk
Sollte der Rat sich bei den Trilog-Verhandlungen durchsetzen, dann sei das Sorgfaltspflichtengesetz zahnlos. Das bemängelten gestern die europäische NGO-Koalition European Coalition for Corporate Justice (ECCJ) und die Luxemburger Initiative Sorgfaltspflichten auf einer Pressekonferenz. Sie kritisierten insbesondere die großzügigen Ausnahmen für Finanzdienstleister, die der Rat im Dezember auf besonderen Druck Frankreichs beschloss.
“Im Ratsmandat ist es den Mitgliedstaaten überlassen, ob sie Finanzinstitute regulieren oder nicht. Das führt notwendigerweise zu einem Wettbewerb nach unten“, warnte Marion Lupin vom ECCJ. In der Praxis würde der Ratsvorschlag etwa bedeuten, dass Finanzdienstleister dafür sorgen müssten, dass ihr Kaffee aus fairem Handel stammt, sie aber keine Verantwortung darüber hätten, ob ihre Finanzdienstleistungen zu Verstößen gegen Menschenrechte oder Umwelt führen. Das sei “absurd”, sagt Lupin.
Besonders in Luxemburg, wo mehr als 10.000 Holdinggesellschaften (SOPARFI) angesiedelt sind, hätte das Lieferkettengesetz kaum noch Anwendung, sollte sich der Rat durchsetzen. Dann würden nur noch 0,4 Prozent der in Luxemburg ansässigen Unternehmen unter das Gesetz fallen, rechnete die Initiative Sorgfaltspflichten vor. “Immer wieder kommt es zu Menschenrechtsverletzungen durch Filialen von Luxemburger Holdings“, doch ginge es nach Luxemburg und dem Rat, dann betreffe sie das Gesetz am Ende nicht, monierte Jean-Louis Zeien.
Aktuelles Beispiel seien die Aktivitäten der in Luxemburg ansässigen Stahl- und Bergbaugesellschaft Ternium in Mexiko. Dem Unternehmen werden regelmäßig Menschenrechtsverletzungen gegen indigene Völker vorgeworfen. Nun sei Ternium womöglich in den Fall von zwei entführten Umweltaktivisten verwickelt, meldet die Initiative Sorgfaltspflicht. In einer weiteren Beschwerde gegen Ternium musste die Luxemburger OECD-Kontaktstelle vermitteln.
Während sich der Rat im Dezember bereits auf eine allgemeine Ausrichtung geeinigt hatte, ist das Votum im EU-Parlament für Mai angesetzt. Vergangene Woche gaben bereits vier Ausschüsse ihre Stellungnahme ab. Demnach hält das Parlament bisher an der Einbeziehung der Finanzdienstleister fest. Der Handelsausschuss will sie gar in die Liste der Risikogruppen aufnehmen. Gestern sprach sich EU-Kommissar Didier Reynders für eine Reglementierung der Finanzdienstleister aus. cw
Viele Online-Shops versuchen der EU-Kommission zufolge, Verbraucherinnen und Verbraucher mit verbotenen Mitteln zu manipulieren und beispielsweise zu Kaufentscheidungen zu drängen. Eine Kontrolle der Brüsseler Behörde sowie der zuständigen Behörden von 25 europäischen Ländern habe ergeben, dass 148 von 399 untersuchten Websites und damit mehr als ein Drittel aller Seiten, mindestens eine manipulative Taktik nutzten. Das teilte die EU-Kommission am Montag mit. Kontrolliert wurden im vergangenen Jahr Einzelhändler etwa im Textil- oder Elektro-Bereich.
Demnach wurden die Online-Shops vor allem auf drei manipulative Methoden untersucht: verborgene Informationen, das Drängen zu Käufen oder Abonnements sowie Countdown-Zähler, die falsche Fristen für den Kauf bestimmter Produkte angeben.
Laut Untersuchung verwendeten von den 399 untersuchten Seiten, 42 falsche Countdown-Zähler, 54 drängten die Verbraucher durch visuelle Gestaltung oder sprachliche Mittel zu bestimmten Entscheidungen – von Abonnements bis hin zu teureren Produkten oder Lieferoptionen. Zudem hätten 70 Online-Shops wichtige Informationen versteckt oder schlecht erkennbar gemacht. Dazu gehörten etwa Angaben zu Lieferkosten, zur Produktzusammensetzung oder zu einer billigeren Alternative.
All das verstoße gegen Verbraucherschutzregeln, sagte EU-Justizkommissar Didier Reynders und forderte die nationalen Behörden dazu auf, gegen die Praktiken vorzugehen. Parallel dazu überprüfe die Kommission alle Verbraucherschutzvorschriften, um sicherzustellen, dass diese an das digitale Zeitalter angepasst seien. dpa
Bis 2013 war die Welt für die Luxemburger Christdemokraten noch in Ordnung: Jean-Claude Juncker war Premierminister und die Parlamentswahlen bloß eine Routineübung. Die christlich-soziale Volkspartei (kurz CSV) war die Regierungspartei. Punkt.
Doch dann kam die “Affäre Bommeleeër”: Aus einer Serie an Anschlägen der 1980er-Jahre drehte sich die CSV einen Strick. Illegale Abhöraktionen, ein Justizminister, der versuchte, die Ermittlungen zu beeinflussen und zuletzt: ein Misstrauensvotum und Neuwahlen. Und auf einmal wurde aus einer Partei, die nichts anderes kannte als Regieren, auf einmal eine Oppositionspartei.
Bis heute versucht sich die CSV damit abzufinden, in den hinteren Reihen gegen die Regierung zu stänkern und dabei zuzusehen, wie andere Gesetze schreiben. Doch sie schafft es nicht. Sie schlägt sich mit parteiinternen Fehden, Skandalen und Skandälchen herum, während sich ihr Zugpferd Juncker als Kommissionspräsident nach Brüssel absetzte.
Die Partei wolle sich erneuern, verkündet sie regelmäßig. Und nah beim Volk sein. Bei den vergangenen Europawahlen scheiterte beides: Sie verlor einen Sitz. Auch bei nationalen Umfragen sieht es nicht gut aus. Nichts ist mehr Routine.
Doch nun, wo in Luxemburg mit Gemeinde-und Parlamentswahlen das Superwahljahr ansteht, plant die CSV ihr Comeback. Nicht etwa mit ihren zahlreichen jungen Abgeordneten, Parteivorständen oder EU-Parlamentariern. Nein, ihr Slogan lautet: “Back to the Future“. Denn vergangene Woche wurde bekannt: Luc Frieden, der langjährige Justiz- und Finanzminister, einer der Pfeiler des CSV-Staates, soll die Krone richten und die Partei wieder in die Regierung führen.
Tatsächlich ist Luc Frieden vieles, nur kein unbeschriebenes Blatt. Man nennt ihn den “Typ Politiker, der die Linke so gerne hasst”, den Mann mit “dem Herz aus Stein”, den “Mann der Sparmaßnahmen” oder auch den “Mann der Katarer”.
Eine Kurzbiografie:
Als ehemaliger Finanzminister baute Luc Frieden den Staat zum Dienstleister der Privatwirtschaft um und machte den Luxemburger Finanzplatz groß: Steuerrulings und Sonderregelungen für Banken waren seine Spezialität. Während der Finanzkrise stand er für Austerität (beim Volk) und für großmütige Hilfe (bei den Banken).
Banken, so sein Credo, rettet man am besten, indem man sie an Katar verkauft. Einer dieser Banken, der Banque Internationale à Luxembourg (BIL), sitzt er übrigens heute vor. Auch Anteile der Luxemburger Frachtfluggesellschaft Cargolux bot Frieden großzügig den Katarern an. Später kaufte der Staat die Anteile dann doch wieder zurück.
Als es mit der CSV vorbei war, war es das auch mit der Luxemburger Politkarriere des Luc Frieden. Die Opposition war dem in Harvard und Cambridge unterrichteten Anwalt “zu negativ“. Knapp sechs Monate, nachdem Frieden raus war aus der Regierung, fand er einen schönen Posten in der Privatwirtschaft: In London, als Special Advisor für die Deutsche Bank (Großaktionär: Katar) durfte er den Vorstand in strategischen Fragen zu internationalen und europäischen Angelegenheiten beraten. So etwas Fortschrittliches wie einen Kodex, der so etwas regelt, wie “Deontologie” und “revolving doors”, kannte Luxemburg nicht.
Daneben saß Frieden der Bistumszeitung und größten Luxemburger Tageszeitung, dem “Luxemburger Wort” vor. Sein Versuch, die von “Recht und Ordnung” abgewichene “Jedermannzeitung” wieder zum Politinstrument seiner Partei zu machen, scheiterte: Mittlerweile gehört das “Wort” zur Mediahuis-Gruppe.
Heute ist Luc Frieden übrigens immer noch ein beliebter Gast bei Staatsbesuchen, wie etwa 2019 in Marokko: Er ist nämlich (noch) Präsident der Luxemburger und europäischen Handelskammer, berät als Anwalt Firmen zu den als Minister eingefädelten Steuerregeln und sitzt nebenbei der BIL vor, die er vor ein paar Jahren der katarischen Königsfamilie verkauft hat (die hat sie wiederum später an die Chinesen verkauft).
Bald soll der relativ rechts des Politspektrums angesiedelte Luc Frieden denn aber wieder Recht und Ordnung ins Luxemburger Land bringen. Morgen will ihn seine Partei als Spitzenkandidat bestätigen. Denn Erneuerung hin oder her. Wer eignet sich denn in Zeiten von Katar-Gate und Ethikfragen besser als der Spitzenreiter Luc Frieden? Ganz nach dem Motto: Um das System zu ändern, muss man zuerst davon profitiert haben.
Übrigens, der Justizminister in der “Affäre Bommeleeër”: Das war übrigens auch Luc Frieden.