Table.Briefing: Europe

Einigung auf Data Governance Act + Elmar Brok über Merkel-Ära + Lieferketten-Gesetz erneut verspätet

  • Data Governance Act: Finale Einigung gefunden
  • Rechtsextremer Éric Zemmour will in den Élysée-Palast
  • Lieferkettengesetz erneut verschoben
  • Handelsausschuss nimmt IPI-Entwurf an
  • Mikroelektronik-IPCEI soll bald stehen
  • Digitalisierung der Energiewende durch Smart Meter
  • Habeck holt sich politische Schwergewichte ins Ministerium
  • Rechnungshof-Chef Lehne weist Missmanagement-Vorwürfe zurück
  • UK fordert Facebook zu Giphy-Verkauf auf
  • Elmar Brok zieht Bilanz der Europapolitik von Angela Merkel
  • Ministerschwund in Luxemburg
Liebe Leserin, lieber Leser,

machen wir uns nichts vor, es droht in diesem Winter ein erneuter Lockdown – voraussichtlich aber nur für Ungeimpfte. Bund und Länder entscheiden am Donnerstag über weitreichende Corona-Maßnahmen: Als wahrscheinlich gelten flächendeckendes 2G sowie Kontaktbeschränkungen für Ungeimpfte. Aber auch Geisterspiele und geschlossene Bars für alle zumindest in Hochinzidenzgebieten dürften diskutiert werden. Auch eine Impfpflicht – ob allgemein oder nur für bestimmte Berufsgruppen – wird durch die rasche Ausbreitung der Omikron-Variante ein unausweichliches Thema des Bund-Länder-Gipfels.

Aus Brüssel kommen derweil beschwichtigende Töne – zumindest, was die Sorgen vor einer wirtschaftlichen Krise durch den Teil-Lockdown angeht. Wirtschaftskommissar Paolo Gentiloni sagte in einem Interview mit Bloomberg Television, dass er Probleme zwar nicht ausschließe – vor allem für den Tourismus. Doch im Großen und Ganzen seien die europäischen Volkswirtschaften “aufgrund der Impfstoffe an diese Art von Krisen angepasst”. Gentiloni geht davon aus, dass die wirtschaftlichen Auswirkungen diesmal geringer sein werden als während vergangener Infektions-Wellen.

In Frankreich hat gestern einer seine Präsidentschaftskandidatur bekannt gegeben, der in der Vergangenheit stets gegen drastische Corona-Maßnahmen wetterte. Das allerdings ist mittlerweile das geringste Problem des rechtsextremen Journalisten und Macron-Herausforderers Éric Zemmour, wie meine Kollegin Tanja Kuchenbecker berichtet.

Die slowenische Ratspräsidentschaft kann nach der Verabschiedung der allgemeinen Ausrichtungen zum “Digital Markets Act” und zum “Digital Services Act” einen weiteren Erfolg verbuchen: Sie hat die Trilog-Verhandlungen zum Data Governance Act vergangene Nacht abgeschlossen. “Es ist eine Weltpremiere“, twitterte Binnenmarktkommissar Thierry Breton. Die Einigung, die nur ein Jahr nach dem Kommissionsvorschlag zustande kam, war unter anderem so schnell möglich, weil politische Grabenkämpfe ausblieben und sich alle drei Institutionen einig waren: Der DGA soll keine Parallelgesetzgebung zur Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) sein, berichtet meine Kollegin Jasmin Kohl.

Zu guter Letzt in der heutigen Ausgabe des Europe.Table huldigt ein langjähriger Weggefährte Angela Merkels der Europapolitik der scheidenden Bundeskanzlerin: Für Elmar Brok war Merkel Europas prima inter pares, die die Union durch Bescheidenheit statt durch Triumphalismus prägte. Seinen Beitrag lege ich Ihnen ganz besonders ans Herz.

Ihr
Lukas Knigge
Bild von Lukas  Knigge

Analyse

Verhandler finden finale Einigung zum Data Governance Act

Mit dem Data Governance Act (DGA) will die Kommission eine neue Art von Datenverwaltung schaffen, damit Daten zwischen Sektoren und Mitgliedstaaten leichter ausgetauscht und somit intensiver genutzt werden. Die Berichterstatterin im Industrieausschuss (ITRE), Angelika Niebler (CSU/EVP), bezeichnet das Gesetz daher als “Schengen für Daten”. Nichts Geringeres als ein echter Datenmarkt soll so entstehen und das Fundament für eine europäische Datenökonomie legen. Niebler betont, wie wichtig Vertrauen und Fairness dafür sind: “Nur so kann der EU-weite Datenaustausch sein volles Potenzial entfalten und neue, nachhaltige Geschäftsmodelle und Innovationen hervorbringen.”

Knapp ein Jahr nach Verabschiedung des Entwurfs durch die Kommission haben sich Europaparlament, Rat und Kommission vergangene Nacht nun im Trilog geeinigt. Die schnelle Einigung war auch möglich, weil sich alle drei Institutionen im Grundsatz einig waren – der Data Governance Act soll keine Parallelgesetzgebung zur Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) sein. “Es ist uns gelungen zu zeigen, dass ein ambitionierter Datenschutz und eine innovationsfreundliche Datenpolitik keine Gegensätze sind, daher begrüße ich die Einigung heute sehr”, sagte der Berichterstatter des Ausschusses für bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres (LIBE) Sergey Lagodinsky (Grüne/EFA).

Wesentliches Ziel des Data Governance Act ist, die Nutzung von Daten Dritter zu erleichtern. Wenn beispielsweise die öffentliche Hand über Daten zu Bauplanungen verfügt, könnten diese für ein privates Müllentsorgungsunternehmen ebenso von Interesse sein wie für andere Unternehmen. Gleichzeitig könnten die Realverkehrsdaten des Müllentsorgers für andere Unternehmen Effizienzgewinne durch bessere Planungsmöglichkeiten bedeuten. Die Verordnung sieht drei Hauptquellen für Daten vor:  

  • Daten der öffentlichen Hand 
  • Datenspenden von Privatpersonen an “datenaltruistische Organisationen” 
  • Daten von Unternehmen, Institutionen und Einzelpersonen über Datenintermediäre 

Datenintermediäre sollen  Käufer und Verkäufer von Daten beim Austausch unterstützen. Dabei sollen sie ausschließlich neutral auftreten, also die Daten, die sie vermitteln, nicht für eigene Zwecke nutzen. So soll gewährleistet werden, dass Käufer und Verkäufer durch die Verwendung ihrer Daten durch Dritte kein Wettbewerbsnachteil entsteht. Dienste, die eine gemeinsame Datennutzung in einem geschlossenen Nutzerkreis ermöglichen, sollen nicht als Datenintermediäre handeln können. Die direkte Beziehung zwischen Dateninhaber und Datennutzer ist hier maßgeblich. Anbieter von Cloud-Diensten sowie andere Anbieter, die Daten aggregieren, anreichern oder umwandeln, können demnach auch nicht als Datenintermediäre agieren. Gleiches gilt für Dienste, die sich auf die Vermittlung von Inhalten, insbesondere von urheberrechtlich geschützten Inhalten, konzentrieren. 

Auch “datenaltruistische Organisationen” sollen durch den Data Governance Act entstehen. Diese sollen die Möglichkeit von Datenspenden für die Nutzung durch Dritte etwa für Forschungszwecke erlauben. Auch hier heißt es: Werden personenbezogene Daten übermittelt, gilt die DSGVO. Ein “Broad Consent“, also eine unspezifische Zustimmung zur Daten-Weiterverwendung, ist daher nicht vorgesehen.

Keine Zusatzpflichten für staatliche Stellen

Staatliche Stellen haben drei verschiedene Möglichkeiten, wie sie mit personenbezogenen Daten DSGVO-konform umgehen, die sie zur Wiederverwertung anbieten wollen. Sie können diese entweder anonymisieren oder die Daten in einem “secure processing environment” für die Verarbeitung zur Verfügung stellen. Die dritte Möglichkeit: Der Akteur, der die personenbezogenen Daten weiterverwenden will, kann dies nur vor Ort in der öffentlichen Stelle selbst tun.

Im Falle einer Anonymisierung hat das Europaparlament außerdem seine Forderung durchgesetzt, dass die Re-Identifizierung von anonymisierten Daten verboten wird. Einzige Ausnahme: Sicherheitsforscher (Hacker), die die Robustheit von Anonymisierungstechniken prüfen wollen. Auch für gemischte Datensätze gilt: Diese werden wie personenbezogene Daten behandelt und fallen somit ebenfalls unter die DSGVO.

Laut Kommissions-Vorschlag sollten staatliche Stellen dazu verpflichtet werden, den Abnehmern zu helfen, die Zustimmung für die Wiederverwertung von Daten zu bekommen. Diese Pflicht war für die Mitgliedstaaten aber eine rote Linie. Sie hatten argumentiert, dass diese Last für öffentliche Stellen zu groß sei und setzten sich damit im Trilog durch.

Der Data Governance Act sieht zwischen öffentliche Einrichtungen und Unternehmen außerdem eine zeitliche Befristung von exklusiven Nutzungsrechten für Daten vor, sogenannte exklusiven Datenweitergabevereinbarungen. Der Kommissionsvorschlag sah ursprünglich vor, dass eine staatliche Stelle einer Firma nicht länger als drei Jahre exklusiven Zugang zu Daten geben darf. Einzige Ausnahme: Ein bestimmter Dienst kann nur von einer einzigen Firma geleistet werden. Das Parlament hat sich hier im Trilog durchgesetzt und die exklusiven Datenvereinbarungen auf ein Jahr beschränkt. Bereits bestehende exklusive Datenvereinbarungen dürfen maximal zweieinhalb Jahre laufen. So sollen auch KMUs und Start-ups mehr Daten zur Verfügung stehen und dadurch mehr Wettbewerb garantiert werden.

Adäquanzentscheidungen für Datenstransfers in Drittstaaten

Nicht nur bei den personenbezogenen Daten soll der Data Governance Act antizipierte Probleme aus der Welt schaffen: Das Gesetz adressiert auch die Befürchtungen der Wirtschaft, dass in Europa geteilte nicht-personenbezogene Daten auf unfaire Weise von Konkurrenten außerhalb der EU genutzt werden könnten. Die Kommission kann für diese Fälle Adäquanzentscheidungen in Form von Durchsetzungsrechtsakten treffen. Das Parlament konnte sich während des Trilogs nicht damit durchsetzen, in Form von delegierten Rechtsakten an der Entscheidung beteiligt zu sein. Um öffentliche Stellen und Abnehmer beim Datentransfer in Drittstaaten zu unterstützen, kann die Kommission außerdem auf Mustervertragsklauseln zurückgreifen.

Über einen delegierten Rechtsakt soll die Kommission auch entscheiden können, dass beispielsweise hochsensible Gesundheitsdaten unter bestimmten Bedingungen wie höchsten Sicherheitsvorkehrungen in Drittstaaten transferiert werden dürfen. Die Mitgliedstaaten hatten hier einen Durchführungsrechtsakt gefordert, den das Parlament aber strikt ablehnte.

Die Europaabgeordneten haben sich auch mit ihrer Forderung durchgesetzt, dass Anbieter von Datenmärkten (Data Intermediation Services) ihre Geschäftsbedingungen wie die Preisgestaltung nicht davon abhängig machen dürfen, ob oder in welchem Ausmaß Nutzer:innen auch andere Dienste des Anbieters nutzen. Anbieter von Datenmärkten dürfen ihre Dienste also nicht als Bündel anbieten. “Der DGA stellt so sicher, dass kleinere Anbieter mit großen Tech-Plattformen konkurrieren können”, sagt Damian Boeselager (Grüne/EFA), Schattenberichterstatter im ITRE.

Kompromiss für die Umsetzung des Data Governance Act: 15 Monate

Der Rat hatte gefordert, dass Organisationen, die als datenaltruistische Organisationen unter dem Data Governance Act anerkannt werden möchten, konkreten Regeln in Form eines Verhaltenskodex folgen müssen. Das soll das Vertrauen in die Organisationen stärken, auf denen die Datenspenden basieren. Ursprünglich wollte die Kommission den Verhaltenskodex zu einem späteren Zeitpunkt in Form eines Durchführungsrechtsakts bestimmen. Doch auch hier hat sich das Parlament durchgesetzt und den Wechsel zu einem delegierten Rechtsakt erkämpft, um an der Entscheidung beteiligt zu sein. 

Während Kommission und Parlament gefordert hatten, dass die Verordnung 12 Monate nach Inkrafttreten umgesetzt werden muss, hatte der Rat auf eine 18-monatige Umsetzungsfrist gepocht. Letztendlich trafen sich die drei Institutionen in der Mitte: Der Data Governance Act muss 15 Monate nach Inkrafttreten von den Mitgliedstaaten umgesetzt werden.

Mit dem Verhandlungsabschluss des Data Governance Act, der noch formell von Rat und Parlament bestätigt werden muss, ist ein wichtiger Baustein für die europäische Datenwirtschaft gelegt. Heute wollte die Kommission eigentlich den zweiten Baustein nachliefern, der unmittelbar mit dem DGA zusammenhängt – den Data Act. Denn die vom DGA regulierten Datenbörsen können nur mit einer ausreichenden Menge an Daten funktionieren. 

Doch der Gesetzesvorschlag, der konkret vorschreiben soll, wie Unternehmen ihre Daten zugänglich und nutzbar machen sollen oder sogar müssen, fiel Ende Oktober durch den Ausschuss für Regulierungskontrolle (Europe.Table berichtete) und wird derzeit überarbeitet. Den überarbeiteten Entwurf will die Kommission im Februar vorstellen. Mit Falk Steiner

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    Rechtsextremer Kandidat in Frankreich: Éric Zemmours Kampagne bröckelt

    Er gilt schon seit längerem als Herausforderer für Amtsinhaber Emmanuel Macron. Nun ist seine Kandidatur offiziell: “Es ist nicht mehr die Zeit, Frankreich zu reformieren, sondern es zu retten”, erklärte Éric Zemmour. Man müsse den Minderheiten die Macht nehmen und sie dem französischen Volk wiedergeben. Deshalb wolle er als Kandidat antreten, so die Videobotschaft auf YouTube, die auch im französischen Fernsehen ausgestrahlt wurde. Für Sonntag hat Éric Zemmour, der immer wieder als der französische Donald Trump bezeichnet wurde, seine erste echte Wahlveranstaltung in Paris angekündigt. Mit der Botschaft am Dienstag stahl er den Republikanern die Show, die bei ihrem Parteitag von Mittwoch bis Samstag ihren Kandidaten wählen wollen.

    Der aus einer algerisch-jüdischen Familie stammende Journalist mischt seit einiger Zeit den Wahlkampf auf. Zeitweise gelangte Éric Zemmour sogar mit 17 bis 18 Prozent auf Platz zwei bei den Umfragen für die erste Runde der Präsidentschaftswahlen am 10. April und hängte seine Konkurrentin Marine Le Pen ab. In den jüngsten Umfragen liegt er aber hinter Macron und der rechtsextremen Le Pen. Er erreicht 14 bis 15 Prozent, Le Pen dagegen 19 bis 20 Prozent. Macron liegt seit Wochen stabil bei 25 Prozent. Die Stichwahl der beiden Bestplatzierten ist am 24. April. Bislang unterlagen sowohl Zemmour als auch Le Pen in Stichwahl-Umfragen immer dem Amtsinhaber Macron. Éric Zemmours Chancen sind derzeit nicht mehr sehr groß.

    Éric Zemmour noch extremer als Le Pen

    Seine Wählerschaft ist anders als die von Marine Le Pen. Éric Zemmour konnte die extremen Rechten um sich versammeln, denen selbst Le Pen zu sanft ist. Aber ein Teil seiner Anhänger stammt auch aus dem ganz rechten Flügel der konservativen Republikaner. Deshalb wurde anfangs noch spekuliert, dass er durchaus Chancen haben könnte, Macrons Herausforderer zu werden. Doch selbst als er in Umfragen noch auf dem zweiten Platz lag, zeigte sich gleichzeitig, dass ihm in Frankreich nicht viele zutrauen, das Spitzenamt im Staat zu bekleiden. Diese Ansicht hat sich in den letzten Wochen vertieft.

    Der Kommentator, der gegen Einwanderung und den Islam polemisiert, wurde in den letzten Jahren mehrmals wegen rassistischer Äußerungen verurteilt. Das machte viele von vornherein skeptisch. Éric Zemmour ist seit Wochen auf Buchtour, machte aber Stimmung für seine Kandidatur. Erst verliefen seine Treffen gut, Massen drängten sich vor den Toren und im Saal. Sie jubelten “Zemmour Präsident”.

    Durch Fehltritte “disqualifiziert”

    Doch dann gab es einige Ausfälle und seine Kampagne begann zu bröckeln. Bei einer Sicherheitsmesse richtete er im Oktober ein Scharfschützengewehr auf Journalisten, und lachte: “Nur zum Spaß”.

    Seine Chancen, als ernsthafter Kandidat gesehen zu werden, verringerten sich am Wochenende bei einem Auftritt in Marseille weiter, wo er mit Eiern beworfen wurde und Passanten “Zemmour hau ab” riefen. Eine von ihnen zeigte Éric Zemmour den Mittelfinger, worauf er mit derselben Geste reagierte. Politiker der verschiedensten Parteien urteilten, er habe sich damit disqualifiziert. Der “Stinkefinger” (doigt d´honneur auf Französisch) sei eines Präsidentschaftskandidaten nicht würdig, schrieben französische Medien. Für einen Präsidenten sei er nicht mehr glaubwürdig, weil er zu impulsiv sei. Von Tanja Kuchenbecker

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      EU-Lieferkettengesetz verspätet sich weiter

      Die EU-Kommission muss die Vorlage des geplanten Sorgfaltspflichtengesetzes erneut verschieben (Europe.Table berichtete). Wie es in EU-Kreisen heißt, hat der Ausschuss für Regulierungskontrolle erneut Einwände gegen das Vorhaben geltend gemacht. Der Vorschlag könnte sich demnach bis Februar oder März verzögern.

      Auf der aktualisierten Agenda des Kommissarskollegiums taucht der zuletzt für den 8. Dezember terminierte Vorschlag nicht mehr auf. In Kreisen der Behörde hieß es, es werde weiter unter Hochdruck an dem Gesetz gearbeitet. Allerdings gehe “Qualität über Geschwindigkeit”. Das Regulatory Scrutiny Board, ein Gremium aus Kommissionsbeamten und externen Experten, hatte bereits im Frühsommer einen ersten Entwurf des Sorgfaltspflichtengesetzes von Justizkommissar Didier Reynders wegen Mängeln zurückgewiesen. Seitdem ist Industriekommissar Thierry Breton für das Thema mitverantwortlich.

      In der Industrie gibt es erhebliche Vorbehalte gegen ein Gesetz, das den Unternehmen weitreichende Sorgfaltspflichten für die sozialen und ökologischen Bedingungen bei ihren Lieferanten aufbürden könnte. Besonders umstritten sind die Fragen der Klagemöglichkeiten Betroffener in Drittstaaten und die Haftung des Managements. tho/chw

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        • Thierry Breton

        Beschaffungswesen: Handelsausschuss nimmt Entwurf an

        Die Europäische Union macht Fortschritte in neuen Vorgaben für den europäischen Markt, die auch China dazu bewegen könnten, sich im Bereich der öffentlichen Beschaffung zu öffnen: Der Entwurf des sogenannten “International Procurement Instrument” (IPI) wurde am Dienstag im Ausschuss für internationalen Handel des Europaparlaments angenommen. Die Abgeordneten stimmten damit zwei Arten von IPI-Maßnahmen zu, aus denen die EU-Kommission wählen kann, um ungleichen Zugang zu den öffentlichen Beschaffungsmärkten zu beheben: Den von den EU-Mitgliedsstaaten vorgeschlagenen Preisanpassungsmechanismus oder ein Unternehmen ganz vom Bieten auszuschließen.

        Darüber hinaus hat der Ausschuss die Zahl der Ausnahmen, bei denen öffentliche Auftraggeber die IPI-Maßnahmen ablehnen können, auf zwei reduziert: Wenn Angebote nur von Unternehmen aus Ländern stammen, für die das International Procurement Instrument gilt, sowie in Fällen, in denen das öffentliche Interesse überwiegt. Als Beispiele sind hier die Bereiche der öffentlichen Gesundheit oder des Umweltschutzes genannt. Unternehmen aus Entwicklungsländern sollen von den IPI-Vorgaben ausgenommen werden, heißt es in dem Entwurf. Für die öffentlichen Ausschreibungen sollen verschiedene Schwellenwerte greifen. Bei Bau-Ausschreibungen ab zehn Millionen Euro, bei Waren und Dienstleistungen ab fünf Millionen Euro.

        International Procurement Instrument nicht “gegen China”

        Über die Vorlage soll im Januar im Plenum des EU-Parlaments abgestimmt werden. Unstimmigkeiten zwischen dem Europaparlament und dem EU-Rat gebe es noch zur Umsetzungshoheit, erklärte der CDU-Europapolitiker Daniel Caspary, der federführend für die Ausarbeitung der Position des EU-Parlaments zum International Procurement Instrument ist. Der EU-Rat wolle die Entscheidungsmacht in den Mitgliedsstaaten ansiedeln, das EU-Parlament sieht sie bei der EU-Kommission.

        Beim International Procurement Instrument handele es nicht um eine Verordnung “gegen China”, betonte der Grünen-Europapolitiker Reinhard Bütikofer. Die Volksrepublik sei bei diesem Thema jedoch der Elefant im Raum. China habe sich nicht an sein Versprechen zur Öffnung des Beschaffungsmarktes gehalten, so Bütikofer. Die neuen Vorgaben müssten nun ohne Schlupflöcher umgesetzt werden. ari

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          • Handelspolitik

          Mikroelektronik-IPCEI soll bald stehen

          Das Bundeswirtschaftsministerium will das europäische Förderprojekt für die Chipindustrie schon bald bei der EU-Kommission anmelden. Noch im Dezember solle das Prä-Notifizierungsverfahren für das neue IPCEI Mikroelektronik eingeleitet werden, teilte eine BMWi-Sprecherin auf Anfrage mit. Dafür muss das Ministerium gemeinsam mit den 20 weiteren beteiligten Mitgliedstaaten Beschreibungen des Gesamt-Vorhabens wie der zahlreichen Einzelprojekte einreichen, die staatlich gefördert werden sollen.

          Die Branche drängt auf einen schnellen Start des IPCEI Mikroelektronik. Damit die Unternehmen die konkreten Projekte 2022 beginnen könnten, sei eine schnelle Notifizierung bei der Kommission nötig, sagte Stephan zur Verth, Vorsitzender der Fachgruppe Halbleiter-Bauelemente beim ZVEI. Zudem forderte er, bereits jetzt die Vorbereitungen für ein weiteres IPCEI-Projekt für die Zeit nach 2025 zu forcieren. Die Einstufung als “wichtiges Projekt von gemeinsamem europäischen Interesse” ermöglicht es den Mitgliedstaaten, forschungsorientierte Technologie-Projekte umfangreich zu fördern. Ein erstes Mikroelektronik IPCEI hatten die EU-Wettbewerbshüter Ende 2018 genehmigt.

          Binnenmarktkommissar Thierry Breton will zudem schon Anfang 2022 den Entwurf eines European Chips Act vorlegen. Die französische Ratspräsidentschaft dürfte das Vorhaben zur Stärkung der Halbleiterindustrie in Europa dann massiv vorantreiben, trotz Bedenken von Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager und nordeuropäischer Länder. Das erklärte Ziel ist es, den Anteil Europas an der weltweiten Chipfertigung von derzeit acht Prozent bis 2030 auf 20 Prozent zu steigern. Zur Verth nannte diese Vorgabe “hochambitioniert”: Wenn sich der Markt wie prognostiziert bis 2030 verdoppele, müssten die Produktionskapazitäten in Europa dafür verfünffacht werden.

          Breton will besonders die Produktion von Chips mit ultrakleinen Strukturgrößen von weniger als fünf Nanometern fördern, die etwa für Hochgeschwindigkeitsrechner, Edge Computing und vernetztes Fahren benötigt würden. Solche Fabriken nach Europa zu holen, sei zwar sinnvoll, sagte zur Verth. Allerdings dürfe darüber nicht der Bedarf nach Chips mit größeren Strukturbreiten vernachlässigt werden, die etwa in der Autoindustrie gebraucht würden. “Leading Edge ist nicht nur zwei Nanometer”, sagte er. Die hiesige Fertigung müsse sich am Bedarf der europäischen Industrie orientieren. Ähnlich argumentiert auch der BDI.

          Die aktuellen Lieferprobleme bei Halbleitern ließen sich ohnehin “kurzfristig nicht mit politischen Mitteln lösen”, so der ZVEI-Experte. Die Engpässe könnten noch bis 2023 andauern. tho

            • Chips
            • Chips Act
            • Digitalisierung
            • Digitalpolitik
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            • IPCEI
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            Smart Meter und Co.: Digitalisierung der Energiewende

            Um die Klimaziele zu erreichen und Ressourcen zu schonen, muss Energie effizienter eingesetzt werden. Welche Rolle dabei digitale Technologien spielen können, war eins der zentralen Themen bei der vierten Digital Energy Conference des IT-Branchenverbands Bitkom. “Ohne Digitalisierung wird die Energiewende nicht gelingen”, sagte Bitkom-Präsidiumsmitglied Michael Hartmann bei dem Zusammentreffen der Tech- und Energiebranche am Dienstag.

            Allein im Gebäudebereich könne die Digitalisierung laut einer Bitkom-Studie im Jahr 2030 zu einem Drittel der Klimaziele beitragen, indem beispielsweise Heizungsanlagen mit den Daten der Wohnungen und Häuser optimiert werden. Dabei müsse der Datenschutz gewahrt werden, dieser dürfe andererseits aber auch nicht zum “Hemmschuh für Energieeffizienz” werden, so der CEO des Energiedienstleisters Techem.

            Auch beim künftigen Design des Strommarktes wird die Digitalisierung eine tragende Rolle spielen. Das Vorhaben der Ampelkoalition, den Ausbau der Erneuerbaren Energien deutlich zu beschleunigen und ihren Anteil am Energiemix entsprechend zu erhöhen, sei “absolut richtig”, sagte BMWi-Staatssekretär Andreas Feicht auf der Konferenz.

            Die neuen Ziele führten aber auch zu einer steigenden Herausforderung für das Energiesystem (Europe.Table berichtete). 200 Gigawatt Photovoltaik seien schon an sich sehr viel. Zusätzlich werde die volatile Struktur der Sonnenenergie zu “enormen Spitzen” führen, was wiederum eine erhebliche Belastung für die Verteilernetze bedeute. Schließlich werde die Solarenergie nicht gleichmäßig über das Land verteilt, sondern vielmehr konzentriert im Süden erzeugt werden, während die Windkraft im Norden dominiert.

            Smart Meter Gateway als intelligente Lösung

            Dazu wird die Energieerzeugung immer dezentraler, insbesondere durch den PV-Ausbau wird der grüne Strom zunehmend durch die Verbraucher selbst ins Netz eingespeist. Feicht ist überzeugt: Nur durch die Digitalisierung lasse sich ein solches System überhaupt steuern. “Wir müssen die Transaktionskosten weiter senken und automatisierte, software- und KI-basierte Wege finden.” Dabei müsse die Umsetzung ebenso beschleunigt werden, wie der Ausbau der Erneuerbaren selbst, um sowohl Versorgungs- als auch Systemsicherheit garantieren zu können.

            Der CDU-Politiker setzt in dieser Hinsicht insbesondere auf den Smart Meter Gateway und fordert eine stärkere Verpflichtung zu einem flächendeckenden Einsatz des intelligenten Messsystems. “Keiner ist gegen die Technik, aber niemand will sie bezahlen. Diese eigensinnige Sicht müssen wir hinten anstellen”, so Feicht. Das gelte für Verbraucher ebenso wie für Erzeuger.

            Seit Januar 2020 gibt es für alle Haushalte mit einem jährlichen Stromverbrauch von mehr als 6000 Kilowattstunden (kWh) die Pflicht, Smart Meter einbauen zu lassen. Das betrifft auch Haushalte, die selbst Strom erzeugen, wenn die Anlage eine elektrische Anschlussleistung von mehr als sieben Kilowatt (kW) liefert. Darunter ist der Einbau freiwillig. Der durchschnittliche jährliche Stromverbrauch eines vierköpfigen Haushalts liegt zwischen 3000 und 4000 kWh.

            Der Smart Meter Gateway wurde nach Vorgaben des Bundesamts für Sicherheit in der Informationstechnik entwickelt und verbindet den digitalen Stromzähler und flexible Verbrauchs- und Erzeugungseinrichtungen mit dem intelligenten Stromnetz (Smart Grid). Er kann helfen, Geräte mit hohem Stromverbrauch zu erkennen, liefert Energiespartipps anhand von Verbrauchsdaten und kann digitale Haushaltsgeräte steuern. til

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              Habeck holt Hajduk, Giegold, Graichen und Philipp in sein Ministerium

              Der designierte Wirtschafts- und Klimaminister Robert Habeck bestellt sein Haus noch vor dem Votum der Grünen über den Koalitionsvertrag mit SPD und FDP (Europe.Table berichtete). Amtschefin und Koordinatorin des Vizekanzlers soll die erfahrene Finanz- und Haushaltspolitikerin und frühere Hamburger Umweltsenatorin Anja Hajduk werden, wie eine Grünen-Sprecherin am Dienstag bestätigte.

              Hajduk soll als Staatssekretärin die Zusammenarbeit mit anderen Ministerien koordinieren, wie zuerst “Der Spiegel” berichtet hatte. Das Habeck-Ministerium gilt als Schlüsselressort für den Umbau der Wirtschaft in Richtung Klimaneutralität. Dabei sind Auseinandersetzungen mit dem künftigen Finanzminister Christian Lindner (FDP) ums Geld für Investitionen vorprogrammiert. Anja Hajduk gilt als Pragmatikerin: Als Hamburger Senatorin genehmigte sie 2008 den Neubau eines Steinkohlekraftwerks in Hamburg-Moorburg, das die Grünen zuvor als “Klimamonster” abgelehnt hatten. Anja Hajduk sah sich zur Genehmigung rechtlich gezwungen, versah dies aber mit wasserrechtlichen Vorgaben.

              Mit Europa-Politiker und Attac-Mitbegründer Sven Giegold und Patrick Graichen von der Agora Energiewende gewinnt Habeck weitere namhafte Persönlichkeiten als beamtete Staatssekretäre für sein Ministerium. Mit dem schleswig-holsteinischen Finanzstaatssekretär Udo Philipp zieht zudem ein früherer Private-Equity-Manager ins Wirtschaftsministerium ein, der mit Sven Giegold einst die Bürgerbewegung Finanzwende gegründet hatte. rtr

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                Rechnungshof-Chef weist Missmanagement-Vorwürfe zurück

                Der Chef des Europäischen Rechnungshofs, Klaus-Heiner Lehne, hat den Vorwurf des Missmanagements zurückgewiesen, zugleich aber Reformen angekündigt. Bei den Regeln des Hofs für die Repräsentationsausgaben und den Fahrdienst werde es Änderungen geben, kündigte Lehne am Dienstag bei einem Hearing im Europaparlament in Brüssel an.

                Die französische Tageszeitung “Libération” hatte über eine “fiktive” Wohnung Lehnes in Luxemburg und überhöhte Spesenabrechnungen berichtet. Für die Wohnung habe Klaus-Heiner Lehne Mietzuschüsse über 325.000 Euro erhalten. Zudem warf sie dem CDU-Politiker vor, sich entgegen den Dienstregeln weiter parteipolitisch zu engagieren. Daraufhin berief der Haushaltskontrollausschuss eine Sondersitzung ein.

                Klaus-Heiner Lehne wohne in einer Wohngemeinschaft

                “Die Vorwürfe sind falsch”, erklärte Klaus-Heiner Lehne mehrfach. Er habe 2014 alle Funktionen in der CDU niedergelegt. Außerdem erhalte er keine Mietzuschüsse. Lehne räumte allerdings ein, dass er sich sein Luxemburger Appartement mit mehreren Mitarbeitern teilt. “Es ist meine Privatsache, wo und mit wem ich wohne”, sagte er.

                Mehrere Mitglieder des Ausschusses äußerten Zweifel an der Darstellung Lehnes. Für den Präsidenten einer EU-Institution sei es “ungewöhnlich”, in einer Wohngemeinschaft zu leben, sagte der deutsche Europaabgeordnete Daniel Freund. Klaus-Heiner Lehne habe eine Vorbildfunktion, betonte der belgische Parlamentarier Olivier Chastel. Die Anhörung könne nur der Beginn einer detaillierten Aufklärung sein, sagte Chastel. Dazu müsse man auf externe Prüfer zurückgreifen. Ähnlich äußerte sich der französische Europaabgeordnete Pierre Karleskind. Ohne einen externen Audit sei er nicht bereit, die noch ausstehende Entlastung für das Jahr 2020 mitzutragen.

                Auch CSU-Politikerin Hohlmeier in der Kritik

                Kritik musste auch die Vorsitzende des Ausschusses, die deutsche CSU-Politikerin Monika Hohlmeier, einstecken. Sie hatte die Vorwürfe von “Libération” in einem Tweet zurückgewiesen und sich auf “eigene Ermittlungen” berufen. Damit habe sie dem Hearing vorgegriffen, sagte Karleskind. In ihrem Schlusswort empfahl Hohlmeier, den internen Auditor des Rechnungshofs einzuschalten.

                Die Mitglieder des Ausschusses sollen nun Gelegenheit bekommen, Wohnnachweise, Anwesenheitslisten und andere Akten einzusehen und weitere schriftliche Fragen zu stellen. Als Deadline wurde der 7. Dezember genannt. ebo

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                  UK fordert Facebook zu Giphy-Verkauf auf

                  Die britischen Wettbewerbshüter verlangen von Facebook den Verkauf des GIF-Datenbank-Anbieters Giphy. Dadurch würden Millionen Nutzer geschützt und der Wettbewerb und die Innovation auf dem Online-Werbemarkt gestützt, begründete die Behörde CMA am Dienstag ihre Entscheidung. Der im Mai 2020 bekanntgegebene Deal habe bereits einen potenziellen Rivalen vom Markt verschwinden lassen.

                  Der US-Konzern Facebook, der sich derzeit in Meta umbenennt, kritisierte die Anordnung. “Wir schauen uns den Beschluss an und prüfen alle Optionen, darunter auch ein Berufungsverfahren”, sagte ein Sprecher. Die CMA hatte bereits im Oktober eine Geldstrafe von 50,5 Millionen Pfund (umgerechnet knapp 60 Millionen Euro) wegen Verstößen gegen Auflagen im Zusammenhang mit einer Prüfung des Giphy-Kaufs verhängt. Bereits im August hatte die Behörde angedeutet, möglicherweise einen Verkauf zu befürworten.

                  Der Europaabgeordnete Rasmus Andresen, Schattenberichterstatter der Grünen/EFA für die Digital Markets Act (DMA) im Industrieausschuss begrüßte den britischen Vorstoß: “Die britische Wettbewerbsbehörde hat die Zeichen der Zeit verstanden. Die Quasi-Monopolisten von Meta und Co dürfen ihre Marktmacht nicht ungehindert ausnutzen.” Das Beispiel zeige, dass “Killeraufkäufe” fairen Wettbewerb untergraben und die Abhängigkeit von digitalen amerikanischen Großkonzernen erhöhen würden, so Andresen. Europas Grüne plädieren dafür, die Begrenzung solcher Aufkäufe stärker im DMA zu berücksichtigen (Europe.Table berichtete) und fordern auch eine Überarbeitung des Wettbewerbsrechts.

                  Laut Medienberichten hat Facebook rund 400 Millionen Dollar für Giphy auf den Tisch gelegt. Weltweit gab es daraufhin viel Kritik, dass die Marktmacht von Facebook und anderen Technologiekonzernen zu groß wird. rtr/luk

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                    Presseschau

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                    EU plant 320 Millionen Euro für die Bodenforschung als Beitrag zur Kohlenstoffentfernung EURACTIV
                    Mangelnde DSGVO-Durchsetzung: Beschwerde gegen EU-Kommission eingeleitet HEISE
                    Neuer Lavastrom auf La Palma bedroht bisher verschonten Ort La Laguna FAZ
                    China threatens data sovereignty, says Britain’s spy chief POLITICO
                    Onyx coal-fired power plant to shut with Dutch government support REUTERS
                    Greece to curb coal use by 2028 as part of climate law FT
                    UK watchdog orders Facebook owner Meta to sell Giphy EURACTIV
                    EU Commission downplays food shortage fears amid energy price surge POLITICO
                    MI6 boss warns of China ‘debt traps and data traps’ BBC

                    Standpunkt

                    Angela Merkel – prima inter pares

                    Von Elmar Brok
                    Elmar Brok war von 1980 bis 2019 Mitglied des Europäischen Parlaments. Im Standpunkt schreibt er über Merkel in der Europapolitik.
                    Elmar Brok war von 1980 bis 2019 Mitglied des Europäischen Parlaments.

                    Angela Merkel ist in ihren 16 Jahren als Bundeskanzlerin zu einer prägenden Persönlichkeit der EU geworden. Ihre Verabschiedung in der vergangenen Sitzung des Europäischen Rates der Staats- und Regierungschefs (ER) über alle Grenzen hinweg hat das zum Ausdruck gebracht. Die hohe Achtung, die ihr zuteilwird, beruht auf ihren europäischen Überzeugungen und ihrer Fähigkeit, mit hoher Sachkompetenz und Geduld Kompromisse und Entscheidungen zu erreichen.

                    Sie wurde deswegen recht schnell die prima inter pares im ER und bei den vorbereitenden Sitzungen der Staats- und Regierungschefs der Europäischen Volkspartei. Ich konnte sie von 2005 bis 2017 als Teilnehmer der EVP-Sitzungen beobachten, einige Male aber auch im ER oder in dessen direktem Umfeld. Wenn sie in eine EVP-Sitzung hineinkam, wurde ihr sofort das Wort erteilt. In der Regel beeinflusste sie die Richtung in der Sitzung, die dann auch die gemeinsame Position im ER wurde.

                    Im Gegensatz zu manch “bedeutenden” Männern war sie immer perfekt in der Sache vorbereitet. Sie kannte den Stand der Diskussion sowie Ziele und Interessen der anderen zumeist ziemlich gut, aufgrund vorheriger Briefings, aber auch eigener Gespräche und Telefonate mit anderen Gipfelteilnehmern. Da sie das alles im Kopf hatte und – im Gegensatz zu manch anderen – nicht ständig erst auf die Zettelchen von Mitarbeitern angewiesen war, konnte sie schnell reagieren. So war sie immer wieder in der Lage, Einigungswege aufzuzeigen, Vetos zu überwinden.

                    Sie kooperierte dabei mit anderen, ging in Sitzungen und außerhalb auf Einzelne oder Gruppen zu, führte Streitende zu Gesprächen in kleinen Kreisen zusammen, baute Brücken. Sie saß nicht passiv da, um aufzupassen, dass deutsche Interessen nicht verletzt würden, sondern bemühte sich zumeist erfolgreich, die gemeinsame europäische Sache auch im deutschen Interesse voranzubringen.

                    Mit Humor gegen eitle Männer

                    Dabei wirkte sie bescheiden und ohne Eitelkeit. Anders als manche der Männer, über die sie sich – wenngleich nie öffentlich – lustig machen konnte. Sie setzte ihren Charme ein, ihren hintergründigen Humor, konnte aber ebenso recht deutlich werden. Sie scheute sich auch nicht, über die EVP oder auf anderen Wegen, sehr informell und ohne Öffentlichkeit Einfluss auf Entscheidungen in anderen Mitgliedsländern zu nehmen.

                    Angela Merkel ist eine sehr überzeugte Europäerin. Dies speist sich aber aus anderen Quellen als beim Rheinländer Konrad Adenauer und dem Pfälzer Helmut Kohl, die doch entscheidend von Krieg und Nachkriegszeit geprägt waren.

                    Ich kann nur empfehlen, die Rede der Bundeskanzlerin vor dem Europaparlament vom 17. Januar 2007 zu lesen, zu Beginn der deutschen Ratspräsidentschaft. Dies ist einer der wenigen Momente, in denen sie sich öffnete und über ihre Grundhaltungen und Motive sprach. Sie redete damals als eine Frau, die 35 Jahre ihres Lebens in der Unfreiheit einer sozialistischen Diktatur gelebt habe – und erst 17 Jahre in der Freiheit, die sie vor und nach der Wende mit der EU verbunden hatte, und mit dem Schutz durch die USA.

                    Ihre Gedanken, die sich um Freiheit, Vielfalt und vor allem Toleranz rankten, verband sie mit der Erkenntnis, dass die Gewährleistung solcher Werte auch Teil und Grund für Zusammenarbeit in der EU ist. Stolz war sie immer auf einen Satz in der “Berliner Erklärung” der drei EU-Institutionen vom 25. März 2007, zum 50. Jahrestag der Römischen Verträge: “Wir Bürgerinnen und Bürger der EU sind zu unserem Glück vereint”.

                    Diese Prinzipien hat Angela Merkel in ihrer Europapolitik trotz aller Umwege, Kompromisse und Taktiken meines Erachtens niemals bewusst verraten.

                    Kanzlerin der Krisen

                    Lassen Sie mich ihre Europapolitik anhand einiger Ereignisse erläutern.

                    Schon als Oppositionsführerin war sie 2004 eine der wesentlichen EVP-Politiker, die erfolgreich den Vorschlag von Schröder und Chirac torpedierten, den Liberalen Verhofstadt zum Kommissionspräsidenten zu wählen. Am amtierenden Kanzler vorbei setzte sie den Christdemokraten Barroso durch. Meinen Vorschlag, das in den Medien zu feiern, lehnte sie ab, weil sich das langfristig taktisch als falsch erweisen könnte. Schon hier zeigten sich ihre Zurückhaltung und Vorsicht dem kurzfristigen Triumphalismus überlegen.

                    Es gibt politische Zeiten, in denen ein guter Kanzler wenig Gelegenheit hat, Historisches zu leisten. Das war auch das Problem Helmut Schmidts, trotz all seiner Verdienste. Helmut Kohl hingegen konnte aufgrund der historischen Ereignisse und der personellen Lage in der internationalen Politik, die er sich mit viel Vertrauensbildung zunutze machte, gestalterisch eine dauerhaft prägende Rolle spielen bei tiefgreifenden EU-Integrationsschritten und bei der Einheit. Angela Merkels Europapolitik bestand dagegen zumeist aus der Bewältigung von Krisen.

                    Zu Beginn ihrer Kanzlerschaft war sie mit dem Scheitern der EU-Verfassung konfrontiert. Sie wurde sofort die treibende Kraft in der slowenisch-deutsch-portugiesischen Triopräsidentschaft (2006/2007), um den Verfassungsentwurf in Form eines klassischen EU-Vertrages umzuschreiben. So rettete sie über 90 Prozent des Inhaltes in den Vertrag von Lissabon, den es ohne sie nicht gäbe. Dieser bedeutete einen riesigen Fortschritt, dessen Möglichkeiten noch nicht vollständig genutzt werden.

                    Dieser Vertrag stellt Primärrecht dar, steht über nationalem Recht und fußt auf der Gemeinschaftsmethode. Die EU ist nur in den Bereichen erfolgreich, in denen sie unmittelbar rechtlich bindende Entscheidungen treffen kann, und zwar möglichst noch mit Mehrheit im Rat (etwa beim Binnenmarkt).

                    Die Einheit der EU verteidigt

                    Später hat Angela Merkel verschiedentlich die klassische intergouvernementale Vorgehensweise als gleichwertig danebenzustellen versucht – sie nannte das blasphemisch “Unionsmethode”. Kohl hat diesen Weg, wie beim Schengen-Vertrag, immer nur als Zwischenschritt begriffen.

                    Trotz mancher Versuche und Versuchungen, vor allem von Frankreich, hat sie immer die rechtliche und institutionelle Einheit der EU verteidigt. Sie verhinderte so, die EU-Staaten in Mitglieder erster und zweiter Klasse permanent zu spalten.

                    Die zweite große Krise – die aus den USA kommende Finanzkrise – hat sie ebenfalls nicht zu einem Spaltpilz werden lassen, trotz harter Angriffe vor allem aus den eigenen Reihen. Ich habe sie einmal nach einer Sitzung der CDU/CSU-Bundestagsfraktion im kleinen Kreis sagen hören, mit ihr werde der Euro nicht scheitern – auch wenn sie dafür keine Mehrheit in der Fraktion haben sollte.

                    Auch aus Sorge um diese Fraktion und wegen der Haltung des Bundesverfassungsgerichtes war sie manchmal etwas zögerlich in ihren Entscheidungen zu Griechenland. Ebenso wie im Vorfeld der Flüchtlingskrise. Aber am Ende fand sie, unter Schmerzen, tragfähige Lösungen und setzte sie durch.

                    Wo Merkel in der Europapolitik scheiterte

                    Sie hat verstanden, dass bestimmte Fragen nicht mehr vom Nationalstaat allein gelöst werden können. Teile der Professoren- und der Wählerschaft der eigenen Partei haben bis heute nicht begriffen, dass in dieser globalen Ordnung eine rein nationale Wirtschafts-, Geld- und Finanzpolitik nicht mehr funktioniert. Insbesondere nicht für ein extrem exportabhängiges Land wie Deutschland – politisch und ökonomisch.

                    Deshalb hat sie auch in der Pandemie, wie wir heute wissen, erfolgreich die gemeinsame Impfstoffversorgung und das mit der Finanzierung des Klimaschutzes verbundene Wiederaufbauprogramm Next Generation EU durchgesetzt, gemeinsam mit Macron.

                    Sie hat mit den drei französischen Präsidenten ihrer Amtszeit die für die EU unabdingbare Zusammenarbeit klug forciert – in aller Würdigung der Grande Nation. Nur im Fall der Sorbonne-Rede hat sie Macron hängen lassen. Der Versuch, europäische Souveränität und strategische Autonomie als etwas zu definieren, das nicht gegen die Identität der Nationalstaaten und nicht gegen die USA gerichtet ist, unterblieb leider. Ihre Risikoscheu ist sicherlich ein Grund für ihren Erfolg und auch ihre lange Amtszeit. Dadurch ist vielleicht auch die eine oder andere Chance nicht genutzt worden.

                    Gescheitert ist ihre Politik gegen den Brexit an Ideologen in London. Und, wie wir in diesen Tagen in der Ostpolitik sehen, an der rücksichtslosen Hartnäckigkeit Putins. Aber auch hier muss ihre Bereitschaft gewürdigt werden, es immer wieder versucht zu haben.

                    Sie war insgesamt der Anker Europas in schwierigen Zeiten. Aus Krisen hat sie zumeist Fortschritte gemacht. Und so viel Achtung bei den Menschen in Europa für sich und Deutschland erworben.

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                      Apéropa

                      “Ich will mein Leben zurück”, sagte Luxemburgs Wirtschafts- und Gesundheitsminister vor rund einem Jahr, als er aus der Regierung austrat. Zuvor ließ sich der sehr liberale und unternehmerfreundliche Vizepremierminister der Sozialisten – auch dafür bekannt, Grundstücke für griechische Joghurtproduzenten – einzukaufen, noch in ganz viele Verwaltungsräte wählen. Danach sah man Etienne Schneider ab und zu mit Skateboard und Bomberjacke vorbeiflitzen bis er mit Chihuaha T-Rex und Ehemann nach Brüssel zog.

                      Mittlerweile könnte “Ich will mein Leben zurück” auch zum sozialistischen Slogan werden. Ihr Leben zurück wollen nun auch Arbeits- und Sportminister und Vizepremierminister Dan Kersch, sowie der Minister für Landwirtschaft und soziale Sicherheit Romain Schneider. Der eine geht fortan als Abgeordneter ins Parlament – immerhin ein Halbtagsjob. Der andere nimmt sich seinen gut bezahlten Congé politique. Aber wie der grüne Vizepremier François Bausch den Kollegen von RTL Luxemburg sagte: Minister sein ist ein Knochenjob, und Schneider hat schon einige Regierungen und Ministerposten hinter sich.

                      Nun werden zwei alternde weiße Männer … Sie erraten es … durch zwei alternde weiße Männer ersetzt: Den Fraktionsvorsitzenden Georges Engel, und den eher für seine korrupten Deals als Dikricher Minister bekannte Claude Haagen. Vizepremierministerin wurde indes die Gesundheitsministerin Paulette Lenert – die, obwohl sie nie gewählt wurde, sondern von den Kollegen in die Regierung gebeten wurde – den Politmonitor anführt.

                      Ein paar Tage später die Ankündigung: Der liberale Finanzminister Pierre Gramegna hatte wohl den gleichen Wunschzettel, wie die sozialistischen Kollegen. Auch er will “aus persönlichen Gründen” sein Leben zurück. Wer ihn ersetzt, ist noch nicht bekannt. Aber auch die DP hat noch ein paar alternde weiße Männer im petto. Charlotte Wirth

                      Europe.Table Redaktion

                      EUROPE.TABLE REDAKTION

                      Licenses:
                        • Data Governance Act: Finale Einigung gefunden
                        • Rechtsextremer Éric Zemmour will in den Élysée-Palast
                        • Lieferkettengesetz erneut verschoben
                        • Handelsausschuss nimmt IPI-Entwurf an
                        • Mikroelektronik-IPCEI soll bald stehen
                        • Digitalisierung der Energiewende durch Smart Meter
                        • Habeck holt sich politische Schwergewichte ins Ministerium
                        • Rechnungshof-Chef Lehne weist Missmanagement-Vorwürfe zurück
                        • UK fordert Facebook zu Giphy-Verkauf auf
                        • Elmar Brok zieht Bilanz der Europapolitik von Angela Merkel
                        • Ministerschwund in Luxemburg
                        Liebe Leserin, lieber Leser,

                        machen wir uns nichts vor, es droht in diesem Winter ein erneuter Lockdown – voraussichtlich aber nur für Ungeimpfte. Bund und Länder entscheiden am Donnerstag über weitreichende Corona-Maßnahmen: Als wahrscheinlich gelten flächendeckendes 2G sowie Kontaktbeschränkungen für Ungeimpfte. Aber auch Geisterspiele und geschlossene Bars für alle zumindest in Hochinzidenzgebieten dürften diskutiert werden. Auch eine Impfpflicht – ob allgemein oder nur für bestimmte Berufsgruppen – wird durch die rasche Ausbreitung der Omikron-Variante ein unausweichliches Thema des Bund-Länder-Gipfels.

                        Aus Brüssel kommen derweil beschwichtigende Töne – zumindest, was die Sorgen vor einer wirtschaftlichen Krise durch den Teil-Lockdown angeht. Wirtschaftskommissar Paolo Gentiloni sagte in einem Interview mit Bloomberg Television, dass er Probleme zwar nicht ausschließe – vor allem für den Tourismus. Doch im Großen und Ganzen seien die europäischen Volkswirtschaften “aufgrund der Impfstoffe an diese Art von Krisen angepasst”. Gentiloni geht davon aus, dass die wirtschaftlichen Auswirkungen diesmal geringer sein werden als während vergangener Infektions-Wellen.

                        In Frankreich hat gestern einer seine Präsidentschaftskandidatur bekannt gegeben, der in der Vergangenheit stets gegen drastische Corona-Maßnahmen wetterte. Das allerdings ist mittlerweile das geringste Problem des rechtsextremen Journalisten und Macron-Herausforderers Éric Zemmour, wie meine Kollegin Tanja Kuchenbecker berichtet.

                        Die slowenische Ratspräsidentschaft kann nach der Verabschiedung der allgemeinen Ausrichtungen zum “Digital Markets Act” und zum “Digital Services Act” einen weiteren Erfolg verbuchen: Sie hat die Trilog-Verhandlungen zum Data Governance Act vergangene Nacht abgeschlossen. “Es ist eine Weltpremiere“, twitterte Binnenmarktkommissar Thierry Breton. Die Einigung, die nur ein Jahr nach dem Kommissionsvorschlag zustande kam, war unter anderem so schnell möglich, weil politische Grabenkämpfe ausblieben und sich alle drei Institutionen einig waren: Der DGA soll keine Parallelgesetzgebung zur Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) sein, berichtet meine Kollegin Jasmin Kohl.

                        Zu guter Letzt in der heutigen Ausgabe des Europe.Table huldigt ein langjähriger Weggefährte Angela Merkels der Europapolitik der scheidenden Bundeskanzlerin: Für Elmar Brok war Merkel Europas prima inter pares, die die Union durch Bescheidenheit statt durch Triumphalismus prägte. Seinen Beitrag lege ich Ihnen ganz besonders ans Herz.

                        Ihr
                        Lukas Knigge
                        Bild von Lukas  Knigge

                        Analyse

                        Verhandler finden finale Einigung zum Data Governance Act

                        Mit dem Data Governance Act (DGA) will die Kommission eine neue Art von Datenverwaltung schaffen, damit Daten zwischen Sektoren und Mitgliedstaaten leichter ausgetauscht und somit intensiver genutzt werden. Die Berichterstatterin im Industrieausschuss (ITRE), Angelika Niebler (CSU/EVP), bezeichnet das Gesetz daher als “Schengen für Daten”. Nichts Geringeres als ein echter Datenmarkt soll so entstehen und das Fundament für eine europäische Datenökonomie legen. Niebler betont, wie wichtig Vertrauen und Fairness dafür sind: “Nur so kann der EU-weite Datenaustausch sein volles Potenzial entfalten und neue, nachhaltige Geschäftsmodelle und Innovationen hervorbringen.”

                        Knapp ein Jahr nach Verabschiedung des Entwurfs durch die Kommission haben sich Europaparlament, Rat und Kommission vergangene Nacht nun im Trilog geeinigt. Die schnelle Einigung war auch möglich, weil sich alle drei Institutionen im Grundsatz einig waren – der Data Governance Act soll keine Parallelgesetzgebung zur Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) sein. “Es ist uns gelungen zu zeigen, dass ein ambitionierter Datenschutz und eine innovationsfreundliche Datenpolitik keine Gegensätze sind, daher begrüße ich die Einigung heute sehr”, sagte der Berichterstatter des Ausschusses für bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres (LIBE) Sergey Lagodinsky (Grüne/EFA).

                        Wesentliches Ziel des Data Governance Act ist, die Nutzung von Daten Dritter zu erleichtern. Wenn beispielsweise die öffentliche Hand über Daten zu Bauplanungen verfügt, könnten diese für ein privates Müllentsorgungsunternehmen ebenso von Interesse sein wie für andere Unternehmen. Gleichzeitig könnten die Realverkehrsdaten des Müllentsorgers für andere Unternehmen Effizienzgewinne durch bessere Planungsmöglichkeiten bedeuten. Die Verordnung sieht drei Hauptquellen für Daten vor:  

                        • Daten der öffentlichen Hand 
                        • Datenspenden von Privatpersonen an “datenaltruistische Organisationen” 
                        • Daten von Unternehmen, Institutionen und Einzelpersonen über Datenintermediäre 

                        Datenintermediäre sollen  Käufer und Verkäufer von Daten beim Austausch unterstützen. Dabei sollen sie ausschließlich neutral auftreten, also die Daten, die sie vermitteln, nicht für eigene Zwecke nutzen. So soll gewährleistet werden, dass Käufer und Verkäufer durch die Verwendung ihrer Daten durch Dritte kein Wettbewerbsnachteil entsteht. Dienste, die eine gemeinsame Datennutzung in einem geschlossenen Nutzerkreis ermöglichen, sollen nicht als Datenintermediäre handeln können. Die direkte Beziehung zwischen Dateninhaber und Datennutzer ist hier maßgeblich. Anbieter von Cloud-Diensten sowie andere Anbieter, die Daten aggregieren, anreichern oder umwandeln, können demnach auch nicht als Datenintermediäre agieren. Gleiches gilt für Dienste, die sich auf die Vermittlung von Inhalten, insbesondere von urheberrechtlich geschützten Inhalten, konzentrieren. 

                        Auch “datenaltruistische Organisationen” sollen durch den Data Governance Act entstehen. Diese sollen die Möglichkeit von Datenspenden für die Nutzung durch Dritte etwa für Forschungszwecke erlauben. Auch hier heißt es: Werden personenbezogene Daten übermittelt, gilt die DSGVO. Ein “Broad Consent“, also eine unspezifische Zustimmung zur Daten-Weiterverwendung, ist daher nicht vorgesehen.

                        Keine Zusatzpflichten für staatliche Stellen

                        Staatliche Stellen haben drei verschiedene Möglichkeiten, wie sie mit personenbezogenen Daten DSGVO-konform umgehen, die sie zur Wiederverwertung anbieten wollen. Sie können diese entweder anonymisieren oder die Daten in einem “secure processing environment” für die Verarbeitung zur Verfügung stellen. Die dritte Möglichkeit: Der Akteur, der die personenbezogenen Daten weiterverwenden will, kann dies nur vor Ort in der öffentlichen Stelle selbst tun.

                        Im Falle einer Anonymisierung hat das Europaparlament außerdem seine Forderung durchgesetzt, dass die Re-Identifizierung von anonymisierten Daten verboten wird. Einzige Ausnahme: Sicherheitsforscher (Hacker), die die Robustheit von Anonymisierungstechniken prüfen wollen. Auch für gemischte Datensätze gilt: Diese werden wie personenbezogene Daten behandelt und fallen somit ebenfalls unter die DSGVO.

                        Laut Kommissions-Vorschlag sollten staatliche Stellen dazu verpflichtet werden, den Abnehmern zu helfen, die Zustimmung für die Wiederverwertung von Daten zu bekommen. Diese Pflicht war für die Mitgliedstaaten aber eine rote Linie. Sie hatten argumentiert, dass diese Last für öffentliche Stellen zu groß sei und setzten sich damit im Trilog durch.

                        Der Data Governance Act sieht zwischen öffentliche Einrichtungen und Unternehmen außerdem eine zeitliche Befristung von exklusiven Nutzungsrechten für Daten vor, sogenannte exklusiven Datenweitergabevereinbarungen. Der Kommissionsvorschlag sah ursprünglich vor, dass eine staatliche Stelle einer Firma nicht länger als drei Jahre exklusiven Zugang zu Daten geben darf. Einzige Ausnahme: Ein bestimmter Dienst kann nur von einer einzigen Firma geleistet werden. Das Parlament hat sich hier im Trilog durchgesetzt und die exklusiven Datenvereinbarungen auf ein Jahr beschränkt. Bereits bestehende exklusive Datenvereinbarungen dürfen maximal zweieinhalb Jahre laufen. So sollen auch KMUs und Start-ups mehr Daten zur Verfügung stehen und dadurch mehr Wettbewerb garantiert werden.

                        Adäquanzentscheidungen für Datenstransfers in Drittstaaten

                        Nicht nur bei den personenbezogenen Daten soll der Data Governance Act antizipierte Probleme aus der Welt schaffen: Das Gesetz adressiert auch die Befürchtungen der Wirtschaft, dass in Europa geteilte nicht-personenbezogene Daten auf unfaire Weise von Konkurrenten außerhalb der EU genutzt werden könnten. Die Kommission kann für diese Fälle Adäquanzentscheidungen in Form von Durchsetzungsrechtsakten treffen. Das Parlament konnte sich während des Trilogs nicht damit durchsetzen, in Form von delegierten Rechtsakten an der Entscheidung beteiligt zu sein. Um öffentliche Stellen und Abnehmer beim Datentransfer in Drittstaaten zu unterstützen, kann die Kommission außerdem auf Mustervertragsklauseln zurückgreifen.

                        Über einen delegierten Rechtsakt soll die Kommission auch entscheiden können, dass beispielsweise hochsensible Gesundheitsdaten unter bestimmten Bedingungen wie höchsten Sicherheitsvorkehrungen in Drittstaaten transferiert werden dürfen. Die Mitgliedstaaten hatten hier einen Durchführungsrechtsakt gefordert, den das Parlament aber strikt ablehnte.

                        Die Europaabgeordneten haben sich auch mit ihrer Forderung durchgesetzt, dass Anbieter von Datenmärkten (Data Intermediation Services) ihre Geschäftsbedingungen wie die Preisgestaltung nicht davon abhängig machen dürfen, ob oder in welchem Ausmaß Nutzer:innen auch andere Dienste des Anbieters nutzen. Anbieter von Datenmärkten dürfen ihre Dienste also nicht als Bündel anbieten. “Der DGA stellt so sicher, dass kleinere Anbieter mit großen Tech-Plattformen konkurrieren können”, sagt Damian Boeselager (Grüne/EFA), Schattenberichterstatter im ITRE.

                        Kompromiss für die Umsetzung des Data Governance Act: 15 Monate

                        Der Rat hatte gefordert, dass Organisationen, die als datenaltruistische Organisationen unter dem Data Governance Act anerkannt werden möchten, konkreten Regeln in Form eines Verhaltenskodex folgen müssen. Das soll das Vertrauen in die Organisationen stärken, auf denen die Datenspenden basieren. Ursprünglich wollte die Kommission den Verhaltenskodex zu einem späteren Zeitpunkt in Form eines Durchführungsrechtsakts bestimmen. Doch auch hier hat sich das Parlament durchgesetzt und den Wechsel zu einem delegierten Rechtsakt erkämpft, um an der Entscheidung beteiligt zu sein. 

                        Während Kommission und Parlament gefordert hatten, dass die Verordnung 12 Monate nach Inkrafttreten umgesetzt werden muss, hatte der Rat auf eine 18-monatige Umsetzungsfrist gepocht. Letztendlich trafen sich die drei Institutionen in der Mitte: Der Data Governance Act muss 15 Monate nach Inkrafttreten von den Mitgliedstaaten umgesetzt werden.

                        Mit dem Verhandlungsabschluss des Data Governance Act, der noch formell von Rat und Parlament bestätigt werden muss, ist ein wichtiger Baustein für die europäische Datenwirtschaft gelegt. Heute wollte die Kommission eigentlich den zweiten Baustein nachliefern, der unmittelbar mit dem DGA zusammenhängt – den Data Act. Denn die vom DGA regulierten Datenbörsen können nur mit einer ausreichenden Menge an Daten funktionieren. 

                        Doch der Gesetzesvorschlag, der konkret vorschreiben soll, wie Unternehmen ihre Daten zugänglich und nutzbar machen sollen oder sogar müssen, fiel Ende Oktober durch den Ausschuss für Regulierungskontrolle (Europe.Table berichtete) und wird derzeit überarbeitet. Den überarbeiteten Entwurf will die Kommission im Februar vorstellen. Mit Falk Steiner

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                          Rechtsextremer Kandidat in Frankreich: Éric Zemmours Kampagne bröckelt

                          Er gilt schon seit längerem als Herausforderer für Amtsinhaber Emmanuel Macron. Nun ist seine Kandidatur offiziell: “Es ist nicht mehr die Zeit, Frankreich zu reformieren, sondern es zu retten”, erklärte Éric Zemmour. Man müsse den Minderheiten die Macht nehmen und sie dem französischen Volk wiedergeben. Deshalb wolle er als Kandidat antreten, so die Videobotschaft auf YouTube, die auch im französischen Fernsehen ausgestrahlt wurde. Für Sonntag hat Éric Zemmour, der immer wieder als der französische Donald Trump bezeichnet wurde, seine erste echte Wahlveranstaltung in Paris angekündigt. Mit der Botschaft am Dienstag stahl er den Republikanern die Show, die bei ihrem Parteitag von Mittwoch bis Samstag ihren Kandidaten wählen wollen.

                          Der aus einer algerisch-jüdischen Familie stammende Journalist mischt seit einiger Zeit den Wahlkampf auf. Zeitweise gelangte Éric Zemmour sogar mit 17 bis 18 Prozent auf Platz zwei bei den Umfragen für die erste Runde der Präsidentschaftswahlen am 10. April und hängte seine Konkurrentin Marine Le Pen ab. In den jüngsten Umfragen liegt er aber hinter Macron und der rechtsextremen Le Pen. Er erreicht 14 bis 15 Prozent, Le Pen dagegen 19 bis 20 Prozent. Macron liegt seit Wochen stabil bei 25 Prozent. Die Stichwahl der beiden Bestplatzierten ist am 24. April. Bislang unterlagen sowohl Zemmour als auch Le Pen in Stichwahl-Umfragen immer dem Amtsinhaber Macron. Éric Zemmours Chancen sind derzeit nicht mehr sehr groß.

                          Éric Zemmour noch extremer als Le Pen

                          Seine Wählerschaft ist anders als die von Marine Le Pen. Éric Zemmour konnte die extremen Rechten um sich versammeln, denen selbst Le Pen zu sanft ist. Aber ein Teil seiner Anhänger stammt auch aus dem ganz rechten Flügel der konservativen Republikaner. Deshalb wurde anfangs noch spekuliert, dass er durchaus Chancen haben könnte, Macrons Herausforderer zu werden. Doch selbst als er in Umfragen noch auf dem zweiten Platz lag, zeigte sich gleichzeitig, dass ihm in Frankreich nicht viele zutrauen, das Spitzenamt im Staat zu bekleiden. Diese Ansicht hat sich in den letzten Wochen vertieft.

                          Der Kommentator, der gegen Einwanderung und den Islam polemisiert, wurde in den letzten Jahren mehrmals wegen rassistischer Äußerungen verurteilt. Das machte viele von vornherein skeptisch. Éric Zemmour ist seit Wochen auf Buchtour, machte aber Stimmung für seine Kandidatur. Erst verliefen seine Treffen gut, Massen drängten sich vor den Toren und im Saal. Sie jubelten “Zemmour Präsident”.

                          Durch Fehltritte “disqualifiziert”

                          Doch dann gab es einige Ausfälle und seine Kampagne begann zu bröckeln. Bei einer Sicherheitsmesse richtete er im Oktober ein Scharfschützengewehr auf Journalisten, und lachte: “Nur zum Spaß”.

                          Seine Chancen, als ernsthafter Kandidat gesehen zu werden, verringerten sich am Wochenende bei einem Auftritt in Marseille weiter, wo er mit Eiern beworfen wurde und Passanten “Zemmour hau ab” riefen. Eine von ihnen zeigte Éric Zemmour den Mittelfinger, worauf er mit derselben Geste reagierte. Politiker der verschiedensten Parteien urteilten, er habe sich damit disqualifiziert. Der “Stinkefinger” (doigt d´honneur auf Französisch) sei eines Präsidentschaftskandidaten nicht würdig, schrieben französische Medien. Für einen Präsidenten sei er nicht mehr glaubwürdig, weil er zu impulsiv sei. Von Tanja Kuchenbecker

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                            EU-Lieferkettengesetz verspätet sich weiter

                            Die EU-Kommission muss die Vorlage des geplanten Sorgfaltspflichtengesetzes erneut verschieben (Europe.Table berichtete). Wie es in EU-Kreisen heißt, hat der Ausschuss für Regulierungskontrolle erneut Einwände gegen das Vorhaben geltend gemacht. Der Vorschlag könnte sich demnach bis Februar oder März verzögern.

                            Auf der aktualisierten Agenda des Kommissarskollegiums taucht der zuletzt für den 8. Dezember terminierte Vorschlag nicht mehr auf. In Kreisen der Behörde hieß es, es werde weiter unter Hochdruck an dem Gesetz gearbeitet. Allerdings gehe “Qualität über Geschwindigkeit”. Das Regulatory Scrutiny Board, ein Gremium aus Kommissionsbeamten und externen Experten, hatte bereits im Frühsommer einen ersten Entwurf des Sorgfaltspflichtengesetzes von Justizkommissar Didier Reynders wegen Mängeln zurückgewiesen. Seitdem ist Industriekommissar Thierry Breton für das Thema mitverantwortlich.

                            In der Industrie gibt es erhebliche Vorbehalte gegen ein Gesetz, das den Unternehmen weitreichende Sorgfaltspflichten für die sozialen und ökologischen Bedingungen bei ihren Lieferanten aufbürden könnte. Besonders umstritten sind die Fragen der Klagemöglichkeiten Betroffener in Drittstaaten und die Haftung des Managements. tho/chw

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                              Beschaffungswesen: Handelsausschuss nimmt Entwurf an

                              Die Europäische Union macht Fortschritte in neuen Vorgaben für den europäischen Markt, die auch China dazu bewegen könnten, sich im Bereich der öffentlichen Beschaffung zu öffnen: Der Entwurf des sogenannten “International Procurement Instrument” (IPI) wurde am Dienstag im Ausschuss für internationalen Handel des Europaparlaments angenommen. Die Abgeordneten stimmten damit zwei Arten von IPI-Maßnahmen zu, aus denen die EU-Kommission wählen kann, um ungleichen Zugang zu den öffentlichen Beschaffungsmärkten zu beheben: Den von den EU-Mitgliedsstaaten vorgeschlagenen Preisanpassungsmechanismus oder ein Unternehmen ganz vom Bieten auszuschließen.

                              Darüber hinaus hat der Ausschuss die Zahl der Ausnahmen, bei denen öffentliche Auftraggeber die IPI-Maßnahmen ablehnen können, auf zwei reduziert: Wenn Angebote nur von Unternehmen aus Ländern stammen, für die das International Procurement Instrument gilt, sowie in Fällen, in denen das öffentliche Interesse überwiegt. Als Beispiele sind hier die Bereiche der öffentlichen Gesundheit oder des Umweltschutzes genannt. Unternehmen aus Entwicklungsländern sollen von den IPI-Vorgaben ausgenommen werden, heißt es in dem Entwurf. Für die öffentlichen Ausschreibungen sollen verschiedene Schwellenwerte greifen. Bei Bau-Ausschreibungen ab zehn Millionen Euro, bei Waren und Dienstleistungen ab fünf Millionen Euro.

                              International Procurement Instrument nicht “gegen China”

                              Über die Vorlage soll im Januar im Plenum des EU-Parlaments abgestimmt werden. Unstimmigkeiten zwischen dem Europaparlament und dem EU-Rat gebe es noch zur Umsetzungshoheit, erklärte der CDU-Europapolitiker Daniel Caspary, der federführend für die Ausarbeitung der Position des EU-Parlaments zum International Procurement Instrument ist. Der EU-Rat wolle die Entscheidungsmacht in den Mitgliedsstaaten ansiedeln, das EU-Parlament sieht sie bei der EU-Kommission.

                              Beim International Procurement Instrument handele es nicht um eine Verordnung “gegen China”, betonte der Grünen-Europapolitiker Reinhard Bütikofer. Die Volksrepublik sei bei diesem Thema jedoch der Elefant im Raum. China habe sich nicht an sein Versprechen zur Öffnung des Beschaffungsmarktes gehalten, so Bütikofer. Die neuen Vorgaben müssten nun ohne Schlupflöcher umgesetzt werden. ari

                                • China
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                                Mikroelektronik-IPCEI soll bald stehen

                                Das Bundeswirtschaftsministerium will das europäische Förderprojekt für die Chipindustrie schon bald bei der EU-Kommission anmelden. Noch im Dezember solle das Prä-Notifizierungsverfahren für das neue IPCEI Mikroelektronik eingeleitet werden, teilte eine BMWi-Sprecherin auf Anfrage mit. Dafür muss das Ministerium gemeinsam mit den 20 weiteren beteiligten Mitgliedstaaten Beschreibungen des Gesamt-Vorhabens wie der zahlreichen Einzelprojekte einreichen, die staatlich gefördert werden sollen.

                                Die Branche drängt auf einen schnellen Start des IPCEI Mikroelektronik. Damit die Unternehmen die konkreten Projekte 2022 beginnen könnten, sei eine schnelle Notifizierung bei der Kommission nötig, sagte Stephan zur Verth, Vorsitzender der Fachgruppe Halbleiter-Bauelemente beim ZVEI. Zudem forderte er, bereits jetzt die Vorbereitungen für ein weiteres IPCEI-Projekt für die Zeit nach 2025 zu forcieren. Die Einstufung als “wichtiges Projekt von gemeinsamem europäischen Interesse” ermöglicht es den Mitgliedstaaten, forschungsorientierte Technologie-Projekte umfangreich zu fördern. Ein erstes Mikroelektronik IPCEI hatten die EU-Wettbewerbshüter Ende 2018 genehmigt.

                                Binnenmarktkommissar Thierry Breton will zudem schon Anfang 2022 den Entwurf eines European Chips Act vorlegen. Die französische Ratspräsidentschaft dürfte das Vorhaben zur Stärkung der Halbleiterindustrie in Europa dann massiv vorantreiben, trotz Bedenken von Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager und nordeuropäischer Länder. Das erklärte Ziel ist es, den Anteil Europas an der weltweiten Chipfertigung von derzeit acht Prozent bis 2030 auf 20 Prozent zu steigern. Zur Verth nannte diese Vorgabe “hochambitioniert”: Wenn sich der Markt wie prognostiziert bis 2030 verdoppele, müssten die Produktionskapazitäten in Europa dafür verfünffacht werden.

                                Breton will besonders die Produktion von Chips mit ultrakleinen Strukturgrößen von weniger als fünf Nanometern fördern, die etwa für Hochgeschwindigkeitsrechner, Edge Computing und vernetztes Fahren benötigt würden. Solche Fabriken nach Europa zu holen, sei zwar sinnvoll, sagte zur Verth. Allerdings dürfe darüber nicht der Bedarf nach Chips mit größeren Strukturbreiten vernachlässigt werden, die etwa in der Autoindustrie gebraucht würden. “Leading Edge ist nicht nur zwei Nanometer”, sagte er. Die hiesige Fertigung müsse sich am Bedarf der europäischen Industrie orientieren. Ähnlich argumentiert auch der BDI.

                                Die aktuellen Lieferprobleme bei Halbleitern ließen sich ohnehin “kurzfristig nicht mit politischen Mitteln lösen”, so der ZVEI-Experte. Die Engpässe könnten noch bis 2023 andauern. tho

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                                  • Technologie

                                  Smart Meter und Co.: Digitalisierung der Energiewende

                                  Um die Klimaziele zu erreichen und Ressourcen zu schonen, muss Energie effizienter eingesetzt werden. Welche Rolle dabei digitale Technologien spielen können, war eins der zentralen Themen bei der vierten Digital Energy Conference des IT-Branchenverbands Bitkom. “Ohne Digitalisierung wird die Energiewende nicht gelingen”, sagte Bitkom-Präsidiumsmitglied Michael Hartmann bei dem Zusammentreffen der Tech- und Energiebranche am Dienstag.

                                  Allein im Gebäudebereich könne die Digitalisierung laut einer Bitkom-Studie im Jahr 2030 zu einem Drittel der Klimaziele beitragen, indem beispielsweise Heizungsanlagen mit den Daten der Wohnungen und Häuser optimiert werden. Dabei müsse der Datenschutz gewahrt werden, dieser dürfe andererseits aber auch nicht zum “Hemmschuh für Energieeffizienz” werden, so der CEO des Energiedienstleisters Techem.

                                  Auch beim künftigen Design des Strommarktes wird die Digitalisierung eine tragende Rolle spielen. Das Vorhaben der Ampelkoalition, den Ausbau der Erneuerbaren Energien deutlich zu beschleunigen und ihren Anteil am Energiemix entsprechend zu erhöhen, sei “absolut richtig”, sagte BMWi-Staatssekretär Andreas Feicht auf der Konferenz.

                                  Die neuen Ziele führten aber auch zu einer steigenden Herausforderung für das Energiesystem (Europe.Table berichtete). 200 Gigawatt Photovoltaik seien schon an sich sehr viel. Zusätzlich werde die volatile Struktur der Sonnenenergie zu “enormen Spitzen” führen, was wiederum eine erhebliche Belastung für die Verteilernetze bedeute. Schließlich werde die Solarenergie nicht gleichmäßig über das Land verteilt, sondern vielmehr konzentriert im Süden erzeugt werden, während die Windkraft im Norden dominiert.

                                  Smart Meter Gateway als intelligente Lösung

                                  Dazu wird die Energieerzeugung immer dezentraler, insbesondere durch den PV-Ausbau wird der grüne Strom zunehmend durch die Verbraucher selbst ins Netz eingespeist. Feicht ist überzeugt: Nur durch die Digitalisierung lasse sich ein solches System überhaupt steuern. “Wir müssen die Transaktionskosten weiter senken und automatisierte, software- und KI-basierte Wege finden.” Dabei müsse die Umsetzung ebenso beschleunigt werden, wie der Ausbau der Erneuerbaren selbst, um sowohl Versorgungs- als auch Systemsicherheit garantieren zu können.

                                  Der CDU-Politiker setzt in dieser Hinsicht insbesondere auf den Smart Meter Gateway und fordert eine stärkere Verpflichtung zu einem flächendeckenden Einsatz des intelligenten Messsystems. “Keiner ist gegen die Technik, aber niemand will sie bezahlen. Diese eigensinnige Sicht müssen wir hinten anstellen”, so Feicht. Das gelte für Verbraucher ebenso wie für Erzeuger.

                                  Seit Januar 2020 gibt es für alle Haushalte mit einem jährlichen Stromverbrauch von mehr als 6000 Kilowattstunden (kWh) die Pflicht, Smart Meter einbauen zu lassen. Das betrifft auch Haushalte, die selbst Strom erzeugen, wenn die Anlage eine elektrische Anschlussleistung von mehr als sieben Kilowatt (kW) liefert. Darunter ist der Einbau freiwillig. Der durchschnittliche jährliche Stromverbrauch eines vierköpfigen Haushalts liegt zwischen 3000 und 4000 kWh.

                                  Der Smart Meter Gateway wurde nach Vorgaben des Bundesamts für Sicherheit in der Informationstechnik entwickelt und verbindet den digitalen Stromzähler und flexible Verbrauchs- und Erzeugungseinrichtungen mit dem intelligenten Stromnetz (Smart Grid). Er kann helfen, Geräte mit hohem Stromverbrauch zu erkennen, liefert Energiespartipps anhand von Verbrauchsdaten und kann digitale Haushaltsgeräte steuern. til

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                                    Habeck holt Hajduk, Giegold, Graichen und Philipp in sein Ministerium

                                    Der designierte Wirtschafts- und Klimaminister Robert Habeck bestellt sein Haus noch vor dem Votum der Grünen über den Koalitionsvertrag mit SPD und FDP (Europe.Table berichtete). Amtschefin und Koordinatorin des Vizekanzlers soll die erfahrene Finanz- und Haushaltspolitikerin und frühere Hamburger Umweltsenatorin Anja Hajduk werden, wie eine Grünen-Sprecherin am Dienstag bestätigte.

                                    Hajduk soll als Staatssekretärin die Zusammenarbeit mit anderen Ministerien koordinieren, wie zuerst “Der Spiegel” berichtet hatte. Das Habeck-Ministerium gilt als Schlüsselressort für den Umbau der Wirtschaft in Richtung Klimaneutralität. Dabei sind Auseinandersetzungen mit dem künftigen Finanzminister Christian Lindner (FDP) ums Geld für Investitionen vorprogrammiert. Anja Hajduk gilt als Pragmatikerin: Als Hamburger Senatorin genehmigte sie 2008 den Neubau eines Steinkohlekraftwerks in Hamburg-Moorburg, das die Grünen zuvor als “Klimamonster” abgelehnt hatten. Anja Hajduk sah sich zur Genehmigung rechtlich gezwungen, versah dies aber mit wasserrechtlichen Vorgaben.

                                    Mit Europa-Politiker und Attac-Mitbegründer Sven Giegold und Patrick Graichen von der Agora Energiewende gewinnt Habeck weitere namhafte Persönlichkeiten als beamtete Staatssekretäre für sein Ministerium. Mit dem schleswig-holsteinischen Finanzstaatssekretär Udo Philipp zieht zudem ein früherer Private-Equity-Manager ins Wirtschaftsministerium ein, der mit Sven Giegold einst die Bürgerbewegung Finanzwende gegründet hatte. rtr

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                                      Rechnungshof-Chef weist Missmanagement-Vorwürfe zurück

                                      Der Chef des Europäischen Rechnungshofs, Klaus-Heiner Lehne, hat den Vorwurf des Missmanagements zurückgewiesen, zugleich aber Reformen angekündigt. Bei den Regeln des Hofs für die Repräsentationsausgaben und den Fahrdienst werde es Änderungen geben, kündigte Lehne am Dienstag bei einem Hearing im Europaparlament in Brüssel an.

                                      Die französische Tageszeitung “Libération” hatte über eine “fiktive” Wohnung Lehnes in Luxemburg und überhöhte Spesenabrechnungen berichtet. Für die Wohnung habe Klaus-Heiner Lehne Mietzuschüsse über 325.000 Euro erhalten. Zudem warf sie dem CDU-Politiker vor, sich entgegen den Dienstregeln weiter parteipolitisch zu engagieren. Daraufhin berief der Haushaltskontrollausschuss eine Sondersitzung ein.

                                      Klaus-Heiner Lehne wohne in einer Wohngemeinschaft

                                      “Die Vorwürfe sind falsch”, erklärte Klaus-Heiner Lehne mehrfach. Er habe 2014 alle Funktionen in der CDU niedergelegt. Außerdem erhalte er keine Mietzuschüsse. Lehne räumte allerdings ein, dass er sich sein Luxemburger Appartement mit mehreren Mitarbeitern teilt. “Es ist meine Privatsache, wo und mit wem ich wohne”, sagte er.

                                      Mehrere Mitglieder des Ausschusses äußerten Zweifel an der Darstellung Lehnes. Für den Präsidenten einer EU-Institution sei es “ungewöhnlich”, in einer Wohngemeinschaft zu leben, sagte der deutsche Europaabgeordnete Daniel Freund. Klaus-Heiner Lehne habe eine Vorbildfunktion, betonte der belgische Parlamentarier Olivier Chastel. Die Anhörung könne nur der Beginn einer detaillierten Aufklärung sein, sagte Chastel. Dazu müsse man auf externe Prüfer zurückgreifen. Ähnlich äußerte sich der französische Europaabgeordnete Pierre Karleskind. Ohne einen externen Audit sei er nicht bereit, die noch ausstehende Entlastung für das Jahr 2020 mitzutragen.

                                      Auch CSU-Politikerin Hohlmeier in der Kritik

                                      Kritik musste auch die Vorsitzende des Ausschusses, die deutsche CSU-Politikerin Monika Hohlmeier, einstecken. Sie hatte die Vorwürfe von “Libération” in einem Tweet zurückgewiesen und sich auf “eigene Ermittlungen” berufen. Damit habe sie dem Hearing vorgegriffen, sagte Karleskind. In ihrem Schlusswort empfahl Hohlmeier, den internen Auditor des Rechnungshofs einzuschalten.

                                      Die Mitglieder des Ausschusses sollen nun Gelegenheit bekommen, Wohnnachweise, Anwesenheitslisten und andere Akten einzusehen und weitere schriftliche Fragen zu stellen. Als Deadline wurde der 7. Dezember genannt. ebo

                                        • CDU
                                        • Europapolitik

                                        UK fordert Facebook zu Giphy-Verkauf auf

                                        Die britischen Wettbewerbshüter verlangen von Facebook den Verkauf des GIF-Datenbank-Anbieters Giphy. Dadurch würden Millionen Nutzer geschützt und der Wettbewerb und die Innovation auf dem Online-Werbemarkt gestützt, begründete die Behörde CMA am Dienstag ihre Entscheidung. Der im Mai 2020 bekanntgegebene Deal habe bereits einen potenziellen Rivalen vom Markt verschwinden lassen.

                                        Der US-Konzern Facebook, der sich derzeit in Meta umbenennt, kritisierte die Anordnung. “Wir schauen uns den Beschluss an und prüfen alle Optionen, darunter auch ein Berufungsverfahren”, sagte ein Sprecher. Die CMA hatte bereits im Oktober eine Geldstrafe von 50,5 Millionen Pfund (umgerechnet knapp 60 Millionen Euro) wegen Verstößen gegen Auflagen im Zusammenhang mit einer Prüfung des Giphy-Kaufs verhängt. Bereits im August hatte die Behörde angedeutet, möglicherweise einen Verkauf zu befürworten.

                                        Der Europaabgeordnete Rasmus Andresen, Schattenberichterstatter der Grünen/EFA für die Digital Markets Act (DMA) im Industrieausschuss begrüßte den britischen Vorstoß: “Die britische Wettbewerbsbehörde hat die Zeichen der Zeit verstanden. Die Quasi-Monopolisten von Meta und Co dürfen ihre Marktmacht nicht ungehindert ausnutzen.” Das Beispiel zeige, dass “Killeraufkäufe” fairen Wettbewerb untergraben und die Abhängigkeit von digitalen amerikanischen Großkonzernen erhöhen würden, so Andresen. Europas Grüne plädieren dafür, die Begrenzung solcher Aufkäufe stärker im DMA zu berücksichtigen (Europe.Table berichtete) und fordern auch eine Überarbeitung des Wettbewerbsrechts.

                                        Laut Medienberichten hat Facebook rund 400 Millionen Dollar für Giphy auf den Tisch gelegt. Weltweit gab es daraufhin viel Kritik, dass die Marktmacht von Facebook und anderen Technologiekonzernen zu groß wird. rtr/luk

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                                          Presseschau

                                          EU Weighs Giving Some Gas and Nuclear Projects Green Investment Label BLOOMBERG
                                          EU plant 320 Millionen Euro für die Bodenforschung als Beitrag zur Kohlenstoffentfernung EURACTIV
                                          Mangelnde DSGVO-Durchsetzung: Beschwerde gegen EU-Kommission eingeleitet HEISE
                                          Neuer Lavastrom auf La Palma bedroht bisher verschonten Ort La Laguna FAZ
                                          China threatens data sovereignty, says Britain’s spy chief POLITICO
                                          Onyx coal-fired power plant to shut with Dutch government support REUTERS
                                          Greece to curb coal use by 2028 as part of climate law FT
                                          UK watchdog orders Facebook owner Meta to sell Giphy EURACTIV
                                          EU Commission downplays food shortage fears amid energy price surge POLITICO
                                          MI6 boss warns of China ‘debt traps and data traps’ BBC

                                          Standpunkt

                                          Angela Merkel – prima inter pares

                                          Von Elmar Brok
                                          Elmar Brok war von 1980 bis 2019 Mitglied des Europäischen Parlaments. Im Standpunkt schreibt er über Merkel in der Europapolitik.
                                          Elmar Brok war von 1980 bis 2019 Mitglied des Europäischen Parlaments.

                                          Angela Merkel ist in ihren 16 Jahren als Bundeskanzlerin zu einer prägenden Persönlichkeit der EU geworden. Ihre Verabschiedung in der vergangenen Sitzung des Europäischen Rates der Staats- und Regierungschefs (ER) über alle Grenzen hinweg hat das zum Ausdruck gebracht. Die hohe Achtung, die ihr zuteilwird, beruht auf ihren europäischen Überzeugungen und ihrer Fähigkeit, mit hoher Sachkompetenz und Geduld Kompromisse und Entscheidungen zu erreichen.

                                          Sie wurde deswegen recht schnell die prima inter pares im ER und bei den vorbereitenden Sitzungen der Staats- und Regierungschefs der Europäischen Volkspartei. Ich konnte sie von 2005 bis 2017 als Teilnehmer der EVP-Sitzungen beobachten, einige Male aber auch im ER oder in dessen direktem Umfeld. Wenn sie in eine EVP-Sitzung hineinkam, wurde ihr sofort das Wort erteilt. In der Regel beeinflusste sie die Richtung in der Sitzung, die dann auch die gemeinsame Position im ER wurde.

                                          Im Gegensatz zu manch “bedeutenden” Männern war sie immer perfekt in der Sache vorbereitet. Sie kannte den Stand der Diskussion sowie Ziele und Interessen der anderen zumeist ziemlich gut, aufgrund vorheriger Briefings, aber auch eigener Gespräche und Telefonate mit anderen Gipfelteilnehmern. Da sie das alles im Kopf hatte und – im Gegensatz zu manch anderen – nicht ständig erst auf die Zettelchen von Mitarbeitern angewiesen war, konnte sie schnell reagieren. So war sie immer wieder in der Lage, Einigungswege aufzuzeigen, Vetos zu überwinden.

                                          Sie kooperierte dabei mit anderen, ging in Sitzungen und außerhalb auf Einzelne oder Gruppen zu, führte Streitende zu Gesprächen in kleinen Kreisen zusammen, baute Brücken. Sie saß nicht passiv da, um aufzupassen, dass deutsche Interessen nicht verletzt würden, sondern bemühte sich zumeist erfolgreich, die gemeinsame europäische Sache auch im deutschen Interesse voranzubringen.

                                          Mit Humor gegen eitle Männer

                                          Dabei wirkte sie bescheiden und ohne Eitelkeit. Anders als manche der Männer, über die sie sich – wenngleich nie öffentlich – lustig machen konnte. Sie setzte ihren Charme ein, ihren hintergründigen Humor, konnte aber ebenso recht deutlich werden. Sie scheute sich auch nicht, über die EVP oder auf anderen Wegen, sehr informell und ohne Öffentlichkeit Einfluss auf Entscheidungen in anderen Mitgliedsländern zu nehmen.

                                          Angela Merkel ist eine sehr überzeugte Europäerin. Dies speist sich aber aus anderen Quellen als beim Rheinländer Konrad Adenauer und dem Pfälzer Helmut Kohl, die doch entscheidend von Krieg und Nachkriegszeit geprägt waren.

                                          Ich kann nur empfehlen, die Rede der Bundeskanzlerin vor dem Europaparlament vom 17. Januar 2007 zu lesen, zu Beginn der deutschen Ratspräsidentschaft. Dies ist einer der wenigen Momente, in denen sie sich öffnete und über ihre Grundhaltungen und Motive sprach. Sie redete damals als eine Frau, die 35 Jahre ihres Lebens in der Unfreiheit einer sozialistischen Diktatur gelebt habe – und erst 17 Jahre in der Freiheit, die sie vor und nach der Wende mit der EU verbunden hatte, und mit dem Schutz durch die USA.

                                          Ihre Gedanken, die sich um Freiheit, Vielfalt und vor allem Toleranz rankten, verband sie mit der Erkenntnis, dass die Gewährleistung solcher Werte auch Teil und Grund für Zusammenarbeit in der EU ist. Stolz war sie immer auf einen Satz in der “Berliner Erklärung” der drei EU-Institutionen vom 25. März 2007, zum 50. Jahrestag der Römischen Verträge: “Wir Bürgerinnen und Bürger der EU sind zu unserem Glück vereint”.

                                          Diese Prinzipien hat Angela Merkel in ihrer Europapolitik trotz aller Umwege, Kompromisse und Taktiken meines Erachtens niemals bewusst verraten.

                                          Kanzlerin der Krisen

                                          Lassen Sie mich ihre Europapolitik anhand einiger Ereignisse erläutern.

                                          Schon als Oppositionsführerin war sie 2004 eine der wesentlichen EVP-Politiker, die erfolgreich den Vorschlag von Schröder und Chirac torpedierten, den Liberalen Verhofstadt zum Kommissionspräsidenten zu wählen. Am amtierenden Kanzler vorbei setzte sie den Christdemokraten Barroso durch. Meinen Vorschlag, das in den Medien zu feiern, lehnte sie ab, weil sich das langfristig taktisch als falsch erweisen könnte. Schon hier zeigten sich ihre Zurückhaltung und Vorsicht dem kurzfristigen Triumphalismus überlegen.

                                          Es gibt politische Zeiten, in denen ein guter Kanzler wenig Gelegenheit hat, Historisches zu leisten. Das war auch das Problem Helmut Schmidts, trotz all seiner Verdienste. Helmut Kohl hingegen konnte aufgrund der historischen Ereignisse und der personellen Lage in der internationalen Politik, die er sich mit viel Vertrauensbildung zunutze machte, gestalterisch eine dauerhaft prägende Rolle spielen bei tiefgreifenden EU-Integrationsschritten und bei der Einheit. Angela Merkels Europapolitik bestand dagegen zumeist aus der Bewältigung von Krisen.

                                          Zu Beginn ihrer Kanzlerschaft war sie mit dem Scheitern der EU-Verfassung konfrontiert. Sie wurde sofort die treibende Kraft in der slowenisch-deutsch-portugiesischen Triopräsidentschaft (2006/2007), um den Verfassungsentwurf in Form eines klassischen EU-Vertrages umzuschreiben. So rettete sie über 90 Prozent des Inhaltes in den Vertrag von Lissabon, den es ohne sie nicht gäbe. Dieser bedeutete einen riesigen Fortschritt, dessen Möglichkeiten noch nicht vollständig genutzt werden.

                                          Dieser Vertrag stellt Primärrecht dar, steht über nationalem Recht und fußt auf der Gemeinschaftsmethode. Die EU ist nur in den Bereichen erfolgreich, in denen sie unmittelbar rechtlich bindende Entscheidungen treffen kann, und zwar möglichst noch mit Mehrheit im Rat (etwa beim Binnenmarkt).

                                          Die Einheit der EU verteidigt

                                          Später hat Angela Merkel verschiedentlich die klassische intergouvernementale Vorgehensweise als gleichwertig danebenzustellen versucht – sie nannte das blasphemisch “Unionsmethode”. Kohl hat diesen Weg, wie beim Schengen-Vertrag, immer nur als Zwischenschritt begriffen.

                                          Trotz mancher Versuche und Versuchungen, vor allem von Frankreich, hat sie immer die rechtliche und institutionelle Einheit der EU verteidigt. Sie verhinderte so, die EU-Staaten in Mitglieder erster und zweiter Klasse permanent zu spalten.

                                          Die zweite große Krise – die aus den USA kommende Finanzkrise – hat sie ebenfalls nicht zu einem Spaltpilz werden lassen, trotz harter Angriffe vor allem aus den eigenen Reihen. Ich habe sie einmal nach einer Sitzung der CDU/CSU-Bundestagsfraktion im kleinen Kreis sagen hören, mit ihr werde der Euro nicht scheitern – auch wenn sie dafür keine Mehrheit in der Fraktion haben sollte.

                                          Auch aus Sorge um diese Fraktion und wegen der Haltung des Bundesverfassungsgerichtes war sie manchmal etwas zögerlich in ihren Entscheidungen zu Griechenland. Ebenso wie im Vorfeld der Flüchtlingskrise. Aber am Ende fand sie, unter Schmerzen, tragfähige Lösungen und setzte sie durch.

                                          Wo Merkel in der Europapolitik scheiterte

                                          Sie hat verstanden, dass bestimmte Fragen nicht mehr vom Nationalstaat allein gelöst werden können. Teile der Professoren- und der Wählerschaft der eigenen Partei haben bis heute nicht begriffen, dass in dieser globalen Ordnung eine rein nationale Wirtschafts-, Geld- und Finanzpolitik nicht mehr funktioniert. Insbesondere nicht für ein extrem exportabhängiges Land wie Deutschland – politisch und ökonomisch.

                                          Deshalb hat sie auch in der Pandemie, wie wir heute wissen, erfolgreich die gemeinsame Impfstoffversorgung und das mit der Finanzierung des Klimaschutzes verbundene Wiederaufbauprogramm Next Generation EU durchgesetzt, gemeinsam mit Macron.

                                          Sie hat mit den drei französischen Präsidenten ihrer Amtszeit die für die EU unabdingbare Zusammenarbeit klug forciert – in aller Würdigung der Grande Nation. Nur im Fall der Sorbonne-Rede hat sie Macron hängen lassen. Der Versuch, europäische Souveränität und strategische Autonomie als etwas zu definieren, das nicht gegen die Identität der Nationalstaaten und nicht gegen die USA gerichtet ist, unterblieb leider. Ihre Risikoscheu ist sicherlich ein Grund für ihren Erfolg und auch ihre lange Amtszeit. Dadurch ist vielleicht auch die eine oder andere Chance nicht genutzt worden.

                                          Gescheitert ist ihre Politik gegen den Brexit an Ideologen in London. Und, wie wir in diesen Tagen in der Ostpolitik sehen, an der rücksichtslosen Hartnäckigkeit Putins. Aber auch hier muss ihre Bereitschaft gewürdigt werden, es immer wieder versucht zu haben.

                                          Sie war insgesamt der Anker Europas in schwierigen Zeiten. Aus Krisen hat sie zumeist Fortschritte gemacht. Und so viel Achtung bei den Menschen in Europa für sich und Deutschland erworben.

                                            • Angela Merkel
                                            • Bundestagswahl
                                            • Deutschland
                                            • Europapolitik

                                            Apéropa

                                            “Ich will mein Leben zurück”, sagte Luxemburgs Wirtschafts- und Gesundheitsminister vor rund einem Jahr, als er aus der Regierung austrat. Zuvor ließ sich der sehr liberale und unternehmerfreundliche Vizepremierminister der Sozialisten – auch dafür bekannt, Grundstücke für griechische Joghurtproduzenten – einzukaufen, noch in ganz viele Verwaltungsräte wählen. Danach sah man Etienne Schneider ab und zu mit Skateboard und Bomberjacke vorbeiflitzen bis er mit Chihuaha T-Rex und Ehemann nach Brüssel zog.

                                            Mittlerweile könnte “Ich will mein Leben zurück” auch zum sozialistischen Slogan werden. Ihr Leben zurück wollen nun auch Arbeits- und Sportminister und Vizepremierminister Dan Kersch, sowie der Minister für Landwirtschaft und soziale Sicherheit Romain Schneider. Der eine geht fortan als Abgeordneter ins Parlament – immerhin ein Halbtagsjob. Der andere nimmt sich seinen gut bezahlten Congé politique. Aber wie der grüne Vizepremier François Bausch den Kollegen von RTL Luxemburg sagte: Minister sein ist ein Knochenjob, und Schneider hat schon einige Regierungen und Ministerposten hinter sich.

                                            Nun werden zwei alternde weiße Männer … Sie erraten es … durch zwei alternde weiße Männer ersetzt: Den Fraktionsvorsitzenden Georges Engel, und den eher für seine korrupten Deals als Dikricher Minister bekannte Claude Haagen. Vizepremierministerin wurde indes die Gesundheitsministerin Paulette Lenert – die, obwohl sie nie gewählt wurde, sondern von den Kollegen in die Regierung gebeten wurde – den Politmonitor anführt.

                                            Ein paar Tage später die Ankündigung: Der liberale Finanzminister Pierre Gramegna hatte wohl den gleichen Wunschzettel, wie die sozialistischen Kollegen. Auch er will “aus persönlichen Gründen” sein Leben zurück. Wer ihn ersetzt, ist noch nicht bekannt. Aber auch die DP hat noch ein paar alternde weiße Männer im petto. Charlotte Wirth

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