Neue Coronawelle, neuer Maßstab: Bund und Länder einigten sich gestern darauf, die Entscheidung über 2-G oder 2-G-Plus an die sogenannte Hospitalisierungsinzidenz zu koppeln. Auch eine Teil-Impfpflicht für Beschäftigte in der Medizin und der Pflege, die auf gefährdete Personen treffen, mehr Tempo bei den Auffrischungsimpfungen, 3-G am Arbeitsplatz und in öffentlichen Verkehrsmitteln sowie eine Verlängerung der Fixkostenhilfen zählen zu den neuen Beschlüssen. “Die Lage ist hochdramatisch”, sagte Bundeskanzlerin Angela Merkel. Auch die Europäische Kommission gab daher gestern ihr grünes Licht für weitere Staatshilfen bis Mitte 2022.
Für die französische EU-Ratspräsidentschaft hat Emmanuel Macron viele Ambitionen, aber hat er auch genug Zeit? Viele Beobachter gehen davon aus, dass die französischen Präsidentschaftswahlen im April de facto dazu führen, dass Frankreich nur drei der sechs Monate seines Vorsitzes im Rat der EU wirklich präsent ist. Zusammen mit Tanja Kuchenbecker habe ich analysiert, welche Prioritäten aus Paris Konfliktpotenziale mit anderen Mitgliedstaaten beinhalten, welche Rolle die deutschen Koalitionsverhandlungen dabei spielen und bei welchen Gesetzesvorhaben die “Grande Nation” die Europäische Union entscheidend vorantreiben könnte.
Eines der europäischen Gesetzesvorhaben, das eine hohe Priorität für Frankreich hat, ist der “Digital Markets Act“. Die Plattformregulierung schreitet in großen Schritten voran, denn die Verhandlungspositionen von Europaparlament und Rat befinden sich kurz vor der finalen Abstimmung. Till Hoppe hat sich die Forderungen im Detail angesehen. In seiner Analyse zeigt er Konfliktlinien zwischen den beiden Institutionen auf und gibt Antworten auf die Frage: Wie wirksam kann das Gesetz überhaupt umgesetzt werden?
Fast im Gleichschritt treiben Europaparlament und Rat den Digital Markets Act (DMA) voran. Am kommenden Montag werden die Mitglieder des Binnenmarktausschusses über den jüngst gefundenen Kompromiss abstimmen (Europe.Table berichtete). Am Donnerstag kommen dann die Minister beim Wettbewerbsfähigkeitsrat zusammen, um die Allgemeine Ausrichtung zu beschließen. Wenn das Plenum des Europaparlaments im Dezember grünes Licht gibt, kann der Trilog beginnen. Geht alles wie geplant, könnten die neuen Regeln Anfang 2023 in Kraft treten.
Der Rat orientiert sich hier eng am Kommissionsvorschlag: Die Behörde soll ein Digitalunternehmen als zu regulierenden Gatekeeper einstufen, wenn dieses mindestens jeweils 6,5 Milliarden Euro Umsatz in den vergangenen drei Jahren erwirtschaftet hat, eine durchschnittliche Marktkapitalisierung von mehr als 65 Milliarden Euro im zurückliegenden Jahr erzielte und mindestens 45 Millionen aktive Nutzer für seinen Dienst hatte (Artikel 3).
Das Parlament wird die Schwelle auf Betreiben von EVP-Berichterstatter Andreas Schwab wohl höher ansetzen: bei 8 Milliarden Euro Umsatz und 80 Milliarden Euro Marktwert. Der von ihm geforderte Fokus auf die ganz großen Digitalkonzerne mit ihren Ökosystemen findet sich hingegen nicht im Kompromiss. Damit dürften auch europäische Unternehmen unter den Digital Markets Act fallen, insbesondere der Hotelvermittler Booking.com.
Beide Institutionen wollen unter anderem Suchmaschinen, soziale Netzwerke, Messenger und Cloud Computing-Dienste als Core Platform Service definieren und somit in den Anwendungsbereich einschließen. Das Parlament will zudem Webbrowser, virtuelle Assistenten und vernetztes Fernsehen zur Liste in Artikel 2 des Digital Markets Act hinzufügen.
Die Ratsposition sieht 20 konkrete Ge- und Verbote vor, die Gatekeeper in ihrer Geschäftspraxis zu beachten haben (Artikel 5 und 6). Die Mitgliedstaaten orientieren sich dabei erneut eng am Kommissionsvorschlag und fügen nur eine Vorgabe hinzu, wonach die Unternehmen Kunden nicht den Rückzug von ihrer Plattform erschweren dürfen.
Gleich sechs Vorgaben zielen auf den Umgang mit Daten, der wichtigste Grundlage für die meisten Geschäftsmodelle. So darf ein Gatekeeper laut Artikel 6.1 a des Digital Markets Act keine nicht-öffentlichen Informationen von Konkurrenten nutzen, die auf dessen Plattform aktiv sind. Das zielt etwa auf den Umgang von Amazon mit den Daten kleinerer Händler, die über den Marktplatz des Konzerns Endkunden erreichen. Zudem sollen die Gatekeeper Geschäftskunden Zugang zu eigenen Daten gewähren, die etwa bei der Suchmaschine anfallen.
Auf private Nutzer zielt der Artikel 5 a: Dieser untersagt es den Unternehmen, personenbezogene Daten aus einem seiner Dienste mit Informationen aus anderen Quellen zu kombinieren. Das Europaparlament würde nach dem am Mittwoch erzielten Kompromiss noch einen Schritt darüber hinaus gehen und in Artikel 6 a das Zusammenführen von persönlichen Daten zu Werbezwecken einschränken.
Allerdings sehen beide Artikel, wie die Datenschutzgrundverordnung (DSGVO), Ausnahmen vor – insbesondere das Einverständnis der Nutzer. In seiner jetzigen Form werde der Artikel 5 a praktisch wenig ändern, sagt Rupprecht Podszun, Professor für Kartellrecht an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf: “Die Gatekeeper luchsen den Nutzern ihr Einverständnis ab oder berufen sich auf die Ausnahmetatbestände der DSGVO”. Wirklich wirksam sei entweder ein Verbot der Datenzusammenführung oder eine Einschaltung von spezialisierten Daten-Guides, die für die Nutzer die Datenverwaltung steuerten.
Für Apple besonders heikel ist der Artikel 6.1 c des Digital Markets Act: Dieser zielt darauf, die geschlossene Welt aus Betriebssystem und App-Store zu öffnen. Demnach könnte das Unternehmen verpflichtet werden, den Nutzern seiner Geräte zu erlauben, auch Anwendungen aus anderen Quellen als dem hauseigenen App-Store zu ermöglichen.
Der Entwurf des Digital Markets Act des Parlaments erwähnt überdies explizit das Recht anderer Anbieter, den Kunden ihre Angebote dort zu anderen Konditionen als im App-Store anzubieten und auch die Bezahlung außerhalb abzuwickeln. Beides untersagt Apple bislang in seinen Geschäftsbedingungen, was Klagen von Firmen wie Spotify und Epic Games ausgelöst hat.
Allerdings hat vor allem der Rat auf die Kritik von Apple-Chef Tim Cook am sogenannten Sideloading reagiert: Demnach dürfen Gatekeeper Vorkehrungen treffen, damit die fremden Anwendungen nicht die Integrität des Betriebssystems gefährden, “soweit diese Maßnahmen geboten und angemessen sind”. Nach dem Parlamentsentwurf muss ein Gatekeeper hierbei “darlegen, dass ein solcher Zugang den Datenschutz und die Cybersicherheit der Nutzer untergräbt”.
Die Kommission setzt darauf, dass die Durchsetzung des Digital Markets Act weit weniger aufwendig und zeitraubend wird als klassische Missbrauchsverfahren nach Artikel 102 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union. Die Vorgaben sollten möglichst “so präzise sein, dass sie sich selbst-exekutieren”, sagte Olivier Guersent, Generaldirektor der GD Wettbewerb, am Donnerstag auf einer Konferenz. Klare Regeln seien leichter von den Unternehmen zu befolgen, für den nötigen Druck sorgten die weitreichenden Sanktionsmöglichkeiten bei Verstößen – bis hin zu strukturellen Maßnahmen wie der Abspaltung von Geschäftsteilen (Artikel 16).
Insbesondere die Verhaltensvorgaben des Artikel 5 sollen so konkret formuliert sein, dass sie kaum Interpretationsspielraum lassen. Für die Obligationen in Artikel 6 des Digital Markets Act ist hingegen die Möglichkeit eines Regulierungsdialogs zwischen Unternehmen und Kommission vorgesehen. Das soll auch die nötige Flexibilität erlauben, damit die Vorgaben nicht bald schon überholt sind angesichts des schnellen Wandels in der Digitalbranche. Artikel 10 räumt der Kommission zwar die Möglichkeit ein, die Vorgaben aus den Artikeln 5 und 6 im Rahmen eines delegierten Rechtsakts zu ergänzen. Allerdings will der Rat den Spielraum der Kommission dabei deutlich einengen. Neue Obligationen sollen nur im ordentlichen Gesetzgebungsverfahren beschlossen werden können.
Wie sich eine Balance zwischen klaren Regeln und nötiger Flexibilität gewährleisten lasse, werde eines der Hauptthemen im anstehenden Trilog, so Guersent. Podszun argumentiert, Auslegungsspielräume und Unsicherheiten gebe es bei jedem Gesetz. “Die Frage ist eher: Wie viel Energie verwenden die mächtigen Gatekeeper darauf, die Anwendung zu torpedieren, und inwieweit sind sie bereit, ernsthafte Compliance-Anstrengungen zu unternehmen?”
Fiona Scott Morton, Professorin an der Yale-Universität, bleibt da skeptisch: Die großen Tech-Konzerne hätte “jeden Anreiz, die Regeln zu umgehen”. In solchen Fällen soll die Kommission laut Digital Markets Act eine Untersuchung einleiten können. Auch die nationalen Kartellbehörden können in ihren jeweiligen Ländern aktiv werden. Dies war vor allem der Bundesregierung wichtig. Die Verfahren sollen Bundeskartellamt und Co dann aber ab einem gewissen Zeitpunkt an die Kommission übermitteln. Dieser kommt auch in der Ratsposition die Rolle “als alleinigem Vollstrecker dieser Verordnung” zu (Artikel 32 a). Dies soll eine einheitliche Anwendung des Digital Markets Act in der EU gewährleisten.
In der Kommission sollen dafür 80 Stellen geschaffen werden, voraussichtlich vor allem für Experten aus den Generaldirektionen Wettbewerb und Connect. Bei welchem Kommissar die Abteilung aufgehängt wird, ist noch offen. Podszun und andere Experten befürchten aber, dass die Personalausstattung nicht ausreichen wird. “Ich habe Zweifel, dass die Kommission die Aufgaben im Wesentlichen allein erledigen kann”, sagt er. Daher biete sich eine noch stärkere Einbeziehung der nationalen Behörden an.
Plenartagung des EU-Parlaments: Kritische Rohstoffe, Arzneimittelstrategie, WTO-Ministerkonferenz
22.11.2021 17:00-22:00 Uhr
Akteure: ITRE
Agenda: Auf der vorläufigen Tagesordnung stehen unter anderem Aussprachen zur europäischen Strategie für kritische Rohstoffe (Abstimmung voraussichtlich am 23.11.2021), zum Initiativbericht “Arzneimittelstrategie für Europa” und zu den multilateralen Verhandlungen im Vorfeld der 12. WTO-Ministerkonferenz in Genf.
Vorläufige Tagesordnung
Sondersitzung des Ausschusses für Binnenmarkt und Verbraucherschutz
22.11.2021 19:00-21:00 Uhr
Akteure: IMCO
Agenda: Auf der vorläufigen Tagesordnung stehen die Annahmen von Berichtsentwürfen zum Digital Markets Act (DMA) und zur Beseitigung von nichttarifären und nichtsteuerlichen Handelshemmnissen im Binnenmarkt.
Vorläufige Tagesordnung
Informelle Tagung der Ministerinnen und Minister für Städtische Entwicklung
23.11.-26.11.2021
Akteure: Ministerinnen und Minister für Städtische Entwicklung
Agenda: Auf der informellen Tagung auf Ministerebene “Städtische Entwicklung” wird die Vereinbarung über die Weiterentwicklung einer urbanen Agenda für die EU gemäß dem Pakt von Amsterdam (2016) und den Prinzipien der neuen Leipzig-Charta (2020) ausgearbeitet.
Hintergrundinfos Neue Leipzig-Charta Pakt von Amsterdam
Wöchentliche Kommissionssitzung
23.11.2021
Akteure: EU-Kommission
Agenda: Auf der vorläufigen Tagesordnung der Kommissarinnen und Kommissare steht unter anderem das Herbstpaket des Europäischen Semesters, die Kapitalmarktunion sowie die Stärkung des Paketes für Demokratie und Integrität bei Wahlen. Im Anschluss findet voraussichtlich gegen 15 Uhr eine Pressekonferenz statt.
Vorläufige Tagesordnung Herbstpaket des europäischen Semesters Infos zur europäischen Kapitalmarktunion Livestream Pressekonferenz
Rat der EU: Allgemeine Angelegenheiten
23.11.2021 09:30 Uhr
Akteure: Außen- und Europaminister:innen
Agenda: Auf der vorläufigen Tagesordnung stehen unter anderem die Vorbereitung des Europäischen Rats (16.12.-17.12.2021) sowie ein Austausch zum Stand der Beziehungen zwischen der EU und UK.
Vorläufige Tagesordnung
Plenartagung des EU-Parlaments: Aussprache zum Schwerpunktthema Agrarpolitik
23.11.2021 09:00-11:30 Uhr (Abstimmung: 11:30-12:00 Uhr)
Akteure: AGRI
Agenda: Die Aussprache beschäftigt sich mit der Unterstützung der von den Mitgliedstaaten zu erstellenden Strategieplänen für die gemeinsame Agrarpolitik, mit der Finanzierung, Verwaltung und Überwachung der gemeinsamen Agrarpolitik sowie mit der Änderung der Verordnung zur Gemeinsamen Marktorganisation (GMO).
Vorläufige Tagesordnung
Plenartagung des EU-Parlaments: Aussprache zur Migrationspolitik
23.11.2021 12:00-14:00 Uhr
Akteure: LIBE
Agenda: Auf der vorläufigen Tagesordnung steht unter anderem eine Aussprache zur Politik und Gesetzgebung für legale Migration.
Vorläufige Tagesordnung
Plenartagung des EU-Parlaments: Aussprachen zu COVID-19, Rechnungshof-Bericht und Haushaltsordnung
24.11.2021 15:00-22:00 Uhr
Akteure: BUDG, CONT
Agenda: Auf der vorläufigen Tagesordnung stehen eine Aussprache zur Rolle der EU bei der Bekämpfung der COVID-19-Pandemie, die Vorstellung des Jahresberichts 2020 des Rechnungshofs sowie die Überarbeitung der Haushaltsordnung in Anbetracht des Inkrafttretens des Mehrjährigen Finanzrahmens 2021-2027.
Vorläufige Tagesordnung
Rat der EU: Wettbewerbsfähigkeit (Binnenmarkt, Industrie und Raumfahrt)
25.11.-26.11.2021
Akteure: Minister:innen
Agenda: Auf der vorläufigen Tagesordnung stehen allgemeine Ausrichtungen Digital Services Act und zum Digital Markets Act sowie eine Debatte zur Umsetzung des europäischen Aufbauplans.
Vorläufige Tagesordnung
Asia-Europe Meeting (ASEM)
25.11.-26.11.2021
Akteure: Staats- und Regierungschefs
Agenda: Das Thema der Konferenz ist “Strengthening Multilateralism for Shared Growth”.
Tagungsinformationen
EuGH-Urteil zu Inbox-Werbung
25.11.2021
Akteure: EuGH, Städtische Werke Lauf a.d. Pegnitz (StWL), eprimo
Agenda: Der Europäische Gerichtshof entscheidet über eine Klage der StWL gegen eine Werbemaßnahme des konkurrierenden Stromlieferanten eprimo. Nach Ansicht der Städtischen Werke verstößt diese Werbemaßnahme gegen die Vorschriften über unlauteren Wettbewerb. Der Bundesgerichtshof hat den EuGH hierzu um Auslegung des einschlägigen Unionsrechts ersucht.
Vorabentscheidung des BGH
Wenn Frankreich im Januar für sechs Monate die EU-Ratspräsidentschaft antritt, dann hat Präsident Emmanuel Macron gleich zwei Anliegen, die eng miteinander verbunden sind. Er will Europa stärken – und seine eigene Stellung. Denn im April sind Präsidentschaftswahlen in Frankreich. Es gilt als sicher, dass Macron ein zweites Mal antreten will, obwohl er sich noch nicht offiziell seine Kandidatur erklärt hat. Doch schon jetzt wird deutlich, dass Europa ein wichtiges Wahlkampfthema ist. Deshalb ist Macron auf Erfolge angewiesen. Er hofft, so sein Image als großer Staatsmann aufzupolieren.
In einer Fernsehansprache am 9. November wandte der Präsident sich an die Franzosen. Er nannte dabei die Herausforderungen für die Ratspräsidentschaft: Die Außengrenzen Europas müssten stärker geschützt, die Beziehung zu Afrika weiterhin stabilisiert werden. Die digitalen Giganten sollten gezähmt werden. Auch eine glaubhafte Reduzierung der CO₂-Emissionen müsse erreicht werden. Dazu will Macron den geplanten CO₂-Grenzausgleich vorantreiben (Europe.Table berichtete).
Für Europa und Frankreich hat Macron ganz ähnliche Ziele: Für Frankreich hatte er einen Investitionsplan über 30 Milliarden Euro bis 2030 angekündigt. Auch in Europa will er in technologische Souveränität investieren. Konkret richten sich seine Absichten auf mehrere Ziele: Flugzeuge mit Null-Emissionen, Elektroautos, Raumfahrt, Roboter, Halbleiter und die digitale Zukunft der EU.
Schon seit Jahren plädiert Macron immer wieder dafür, die EU müsse eigenständiger werden. Auch im Umgang mit den USA – politisch, militärisch und wirtschaftlich. Daher wird auch das Thema europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik in der Ratspräsidentschaft wichtig. Es soll auf einem eigens organisierten Gipfel diskutiert werden. Beim jüngsten Ratstreffen der EU-Außenminister wurde zudem klar: Frankreich will den “Strategischen Kompass” vorantreiben (Europe.Table berichtete) und im März 2022 verabschieden. Die französische Ratspräsidentschaft könne die europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik deutlich voranbringen, sagen EU-Diplomaten.
Angesichts der Vielzahl von Zielen besteht allerdings die Gefahr, dass die Ergebnisse hinter den eigenen Erwartungen zurückbleiben. “Zu viele Prioritäten töten die Prioritäten”, sagt Sébastien Maillard, Direktor des Jacques Delors Instituts. Das sehen EU-Diplomaten in Brüssel ähnlich: Jede Ratspräsidentschaft müsse ihre Prioritäten mit der Hauptstadt abstimmen, aber auch im sogenannten Trio, also mit den nachfolgenden Ratspräsidentschaften (Tschechien und Schweden).
Erschwerend hinzu komme bei der französischen Ratspräsidentschaft nun noch die parallel stattfindende Präsidentschaftswahl im April, die den Fokus automatisch auf innenpolitische Themen lenke. Um wirklich etwas zu erreichen, solle sich die Präsidentschaft also auf zwei bis drei Themen konzentrieren, empfiehlt ein EU-Diplomat. Das sei auch für die Trilog-Verhandlungen wichtig.
In Brüssel heißt es, dass Frankreich realistisch gesehen für die Ratspräsidentschaft ohnehin nur die ersten drei Monate Zeit habe. Ab April werde alles von den Präsidentschaftswahlen dominiert. Ein EU-Diplomat fasst es so zusammen: “Alles, was die Franzosen auf europäischer Ebene tun werden, wird von nationalen Ereignissen bestimmt sein“.
Das Motto der französischen Ratspräsidentschaft steht schon lange fest: “Erholung, Kraft, Zugehörigkeit”. Europastaatssekretär Clément Beaune hat schon vor Monaten Vorbereitungsgremien organisiert. Französische Parlamentsabgeordnete, Senatoren und EU-Parlamentsabgeordnete treffen sich, um gemeinsam die Ziele zu gestalten. Beim “European Business Summit” am Mittwoch nannte Beaune drei Themen, bei denen die französische Ratspräsidentschaft konkrete Ergebnisse erringen möchte: beim Grenzausgleichmechanismus CBAM, der Plattformregulierung (Digital Services Act, Digital Markets Act) und der Richtlinie zu Mindestlöhnen.
Vor allem das letzte Thema beinhaltet Konfliktpotenzial. Die Kommission hat das Gesetzesvorhaben Ende Oktober 2020 vorgelegt, die Diskussion im Rat ist aber ins Stocken geraten, weil mehrere Mitgliedstaaten in dem Bereich statt einer Richtlinie eine Empfehlung bevorzugen. Auch weitere Streitthemen zeichnen sich ab: zum einen in der Klimapolitik, zum anderen in der Finanzpolitik.
Frankreich bemüht sich, Atomenergie als grünes Investment erklären zu lassen und mobilisiert immer mehr Mitgliedstaaten für sein Vorhaben. Deutschland, Luxemburg und Österreich gehören zu den größten Atomkraft-Gegnern. Macron hatte auch angekündigt, in Frankreich Kleinreaktoren bauen zu wollen, um CO₂ zu reduzieren (Europe.Table berichtete). Auch Binnenmarktkommissar Thierry Breton machte bereits deutlich, auf welcher Seite er steht: “Es wird keinen Green Deal ohne Kernenergie geben. Wer etwas anderes denkt, denkt falsch.”
In Mitgliedstaaten, die sich gegen die Aufnahme von Atomkraft in die Taxonomie aussprechen, wird diese Entwicklung kritisch beäugt. Dass die französische Ratspräsidentschaft diese noch verstärken könne, halten manche Beobachter jedoch für eher unwahrscheinlich, da der Ball nun bei der Kommission liege.
Sollte die Kommission tatsächlich einen delegierten Rechtsakt zur Aufnahme von Atomenergie Taxonomie vorlegen, braucht es eine qualifizierte Mehrheit, um diesen zu stoppen. Diese gibt es derzeit nicht, wie Noch-Kanzlerin Angela Merkel feststellte. Wird Atomenergie tatsächlich in die Taxonomie aufgenommen, wäre das ein Zeichen für die Finanzmärkte, in Atomanlagen zu investieren. Macron kämpft auch deshalb um das grüne EU-Klimasiegel, weil damit Projekte in Frankreich leichter zu finanzieren sind.
Die Koalitionsverhandlungen in Deutschland erschweren die Vorbereitungen in Paris. Bei Grünen und SPD hat Macron Partner, die eine Reform des europäischen Stabilitäts- und Wachstumspaktes unterstützen könnten. Der angehende Bundeskanzler Olaf Scholz äußert sich bislang aber zurückhaltend – die bisherigen Regeln hätten ihre Flexibilität unter Beweis gestellt. Die FDP sieht eine Lockerung der Regelung kritisch und lehnt überdies eine Wiederauflage des schuldenfinanzierten Wiederaufbauinstruments entschieden ab.
“Man muss zu einem deutsch-französischen Kompromiss kommen, bevor man die Revision der Regeln im Stabilitätspakt voranbringen kann”, betont Clément Beaune. Finanzminister Bruno Le Maire übermittelte seine Position am Dienstag bereits per Interview: Er bezeichnete die 60-Prozent-Grenze der Staatsverschuldung als “obsolet” und stellte auch das Drei-Prozent-Ziel beim Haushaltsdefizit zur Diskussion. Bevor die neuen Regeln definiert würden, wolle Frankreich eine “sehr tief gehende Debatte über die politischen Ziele führen”, so Le Maire.
Offiziell steht die Reform für die Franzosen bislang nicht auf dem Programm ihrer Präsidentschaft. “Jedenfalls noch nicht”, schreibt “Le Monde”. Denn das Thema ist höchst sensibel. Auch viele andere Mitgliedstaaten, allen voran die sogenannten frugalen Vier (Österreich, Niederlande, Finnland, Dänemark), achten stark auf Budgetdisziplin und sprechen sich gegen eine Lockerung der Regeln aus.
Wie viel Spielraum Frankreich bei dem Thema hat, hänge auch vom künftigen deutschen Finanzminister ab, kommentiert “Le Monde”. Je nachdem, ob er Robert Habeck oder Christian Lindner heiße, sei die Verhandlung für Paris nicht dieselbe. Tanja Kuchenbecker / Jasmin Kohl
Einer der Generalanwälte am Europäischen Gerichtshof (EuGH), Campos Sánchez-Bordona, hat in seinem Rechtsgutachten vorherige EuGH-Urteile so ausgelegt, dass die Vorratsdatenspeicherung nur bei einer ernsten Bedrohung für die nationale Sicherheit erlaubt wäre. Auch die zeitlich begrenzte Speicherung einer Vielzahl an Verbindungsdaten, wie sie in Deutschland vorgesehen ist, würde bereits zu sehr in die Grundrechte und das Privatleben eingreifen. Die Stellungnahme des Generalanwalts ist der letzte Verfahrensschritt vor einem Urteil, mit dem der EuGH die deutsche Regelung bestätigt oder verwirft. Die Deutsche Telekom und der Internetprovider SpaceNet wehren sich gegen die Regelungen im deutschen Telekommunikationsgesetz. Das seit 2017 bis zur europarechtlichen Klärung ausgesetzte Gesetz verpflichtet Internetprovider und Telefonanbieter dazu, bestimmte Daten für den Zugriff durch Behörden zu speichern.
Sánchez-Bordona zeigte sich verwundert, dass mehrere EU-Mitgliedstaaten, darunter auch Frankreich und Irland, trotz der eindeutigen Gerichtsurteile weiterhin die Vorratsdatenspeicherung fordern, denn der EuGH hätte seine Position bereits detailliert erläutert. Die Einschätzung des Generalanwalts Sánchez-Bordona ist nicht bindend, dient den EuGH-Richtern jedoch als Orientierungshilfe. Ein Urteil wird erst in einigen Monaten gefällt.
FDP und Grüne sowie Teile der SPD hatten sich in der Vergangenheit klar gegen die Speicherung von Verbindungs- und Standortdaten auf Vorrat ausgesprochen. Es gilt als sicher, dass eine Neuauflage mit einer Ampelkoalition nicht mehr kommen wird, wenn der EuGH die alte Regelung aus grundsätzlichen Erwägungen verwirft. koj
Die Europäische Kommission hat angekündigt, in Zukunft keine staatlichen Beihilfen mehr für Projekte zur Förderung fossiler Brennstoffe zu genehmigen. Dies ist Teil einer Überarbeitung der EU-Wettbewerbsregeln, um diese klimafreundlicher zu gestalten. Ausgenommen sind Investitionen in Gasprojekte. Allerdings müssen Mitgliedstaaten darlegen, wie sie sicherstellen, dass solche Investitionen mit den EU-Klimazielen vereinbar sind. Das bedeutet: Die staatliche Finanzierung von Gasprojekten darf keine weitreichenderen Emissionseinsparungen – zum Beispiel durch den Umstieg auf Erneuerbare Energien – verhindern.
Die Kommission, die die Wettbewerbspolitik der EU-Staaten überwacht, prüft die staatlichen Beihilfen der nationalen Regierungen, um sicherzustellen, dass sie den Wettbewerbsregeln des EU-Binnenmarktes entsprechen. Durch die Überarbeitung der EU-Beihilfevorschriften wird zudem versucht, diese mit der Klimaschutzpolitik der EU in Einklang zu bringen. Die neuen Regeln würden “den Ausstieg aus fossilen Brennstoffen unterstützen”, schreibt die Kommission in einer am Donnerstag veröffentlichten Mitteilung.
Es sei unwahrscheinlich, “dass staatliche Unterstützung für Projekte, die solche Brennstoffe, insbesondere die umweltschädlichsten wie Öl, Steinkohle und Braunkohle, beinhalten, mit den Regeln für staatliche Beihilfen vereinbar ist”, so die Kommission. Der schrittweise Ausstieg aus der Kohleverstromung wird als entscheidend für die Erfüllung der EU-Ziele zur Senkung der Treibhausgasemissionen angesehen. luk mit rtr
Bund und Länder planen Wirtschaftshilfen für Advents- und Weihnachtsmärkte, die von Corona-Schutzmaßnahmen in den nächsten Wochen besonders stark betroffen sein dürften. Das geht aus den Beschlüssen von Bund und Ländern zur aktuellen Corona-Lage hervor, die am Donnerstagabend veröffentlicht wurden. Vorgesehen ist zudem, Fixkostenhilfen für Unternehmen und Selbstständige um drei Monate bis Ende März 2022 zu verlängern. Gleiches gilt für die Staatshilfen bei Kurzarbeit, die viele Betriebe in der Corona-Krise genutzt haben.
“Die Überbrückungshilfe ist neben dem Kurzarbeitergeld das wichtigste Instrument, um besonders von der Pandemie betroffenen Unternehmen zu helfen”, heißt es in den Beschlüssen. Für betroffene Firmen des Handels bestehe weiter die Möglichkeit, Gelder für nicht-verkäufliche Saisonware im Rahmen der Überbrückungshilfe zu bekommen.
Falls nötig, könnten von der Corona-Pandemie betroffene Unternehmen in Deutschland bis Mitte 2022 noch weitere Staatshilfen bekommen. Die EU-Kommission, die in Europa Wettbewerbsverzerrungen durch Staatshilfen verhindern soll, hatte dafür am Donnerstag grünes Licht gegeben. Seit Beginn der Krise wurden schon rund 125 Milliarden Euro an die Wirtschaft ausgezahlt. Hinzu kam noch das Kurzarbeitergeld in Höhe von 40 Milliarden Euro.
Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) sprach von einem wichtigen Schritt. “Die Pandemie-Lage ist leider in vielen europäischen Ländern wieder sehr ernst. Daher ist es richtig, dass die Europäische Kommission den Mitgliedstaaten Flexibilität gewährt.” Die konjunkturelle Erholung der vergangenen Monate dürfe nicht gefährdet werden. rtr
Die Europäische Zentralbank (EZB) wird sich laut ihrem Direktor Fabio Panetta mit großer Vorsicht an das Projekt eines Digital-Euro heranwagen. Es stehe viel auf dem Spiel und die Zentralbank betrete unbekanntes Terrain, betonte der Italiener am Donnerstag vor einem Ausschuss des Europaparlaments: “Wir wollen schnell vorankommen, dürfen aber nichts überstürzen.” Eine hochrangige Taskforce arbeite daran, Anwendungsfälle und designrelevante Entscheidungen bis Anfang 2023 einzugrenzen. In den Folgemonaten soll ein Prototyp stehen. Es gehe dabei noch nicht darum “den Knopf zu drücken”, sondern eine Entscheidung zum Digitalgeld vorzubereiten.
Dem EU-Parlament kommt laut Panetta eine zentrale Rolle zu, da womöglich dazu der EU-Rechtsrahmen geändert werden müsse. Doch ein Digital-Euro werde nicht das Ende von Scheinen und Münzen bedeuten: “Solange die Menschen Bargeld haben wollen, werden wir es bereitstellen”, versicherte Panetta. Gleichzeitig müsse die EZB aber sicherstellen, dass Zentralbankgeld weiterhin uneingeschränkt verwendet werden könne, wenn sich das Zahlungsverhalten verändere: “Und genau hier setzt unsere Arbeit zum digitalen Euro an: Er würde ermöglichen, dass die Menschen auch im digitalen Zeitalter noch Zentralbankgeld als Tauschmittel verwenden können.”
Um herauszufinden, was die Nutzer wollten, werde sich die EZB in der Untersuchungsphase intensiv mit der Bevölkerung, dem Handel und anderen Interessengruppen austauschen. Viele Notenbanken prüfen derzeit die Einführung digitaler Versionen ihrer Währungen. China gehört zu den Pionieren. Bundesbank-Vorstand Burkhard Balz mahnte in einem Grußwort im Rahmen der Euro Finance Week, trotz aller Vorteile von Innovationen auch stets deren Risiken zu berücksichtigen: “Nicht alles, was neu ist, ist immer besser.” Es gelte, die potenziellen Vorteile und Risiken abzuwägen, gerade bei technologischen Neuerungen: “Und so sind wir auch als Zentralbanken in einem intensiven Austausch über das Für und Wider digitalen Geldes”, fügte er hinzu.
Ein im Zusammenhang mit dem Digital-Euro immer wieder genanntes Problem ist, dass Bankkunden in Krisenzeiten ihre Konten abräumen könnten, weil sie digitales Zentralbankgeld in solchen Zeiten für sicherer halten. Um dies zu verhindern, erwägen viele Notenbanken, das Horten von Digitalgeld-Beständen durch Obergrenzen zu verhindern. Die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) hat die Notenbanken dazu aufgerufen, ihre Arbeiten an Digitalwährungen voranzutreiben. Ansonsten drohten sie von den digitalen Initiativen großer Technologiekonzerne wie etwa Facebook abgehängt zu werden. rtr
Börsen in der EU sollen nach einem EU-Entwurf künftig Daten zu Handelstransaktionen für ein europaweites Vergleichsregister bereitstellen. Ein solches “Consolidated Tape” genanntes System soll unter anderem Investoren in die Lage versetzen, die für sie günstigsten Deals zu erkennen und generell zu mehr Transparenz im Börsenhandel führen, wie aus einem Entwurfspapier hervorgeht, das “Reuters” am Donnerstag einsah. Auf diesem System sollen europaweit Handelsdaten erfasst werden. Der Vorschlag ist Teil eines kommende Woche erwarteten Reformpakets der EU-Kommission, mit dem die Kapitalmärkte in der EU nach dem Brexit gestärkt werden sollen.
Banken, Vermögensverwalter und andere Investoren haben bislang keine klaren Vergleichsmöglichkeiten, wenn ein und dasselbe Wertpapier auf den verschiedensten Handelsplätzen in der Ländergemeinschaft gehandelt wird. Laut dem Dokument sollen Börsen dazu verpflichtet werden, zu einem EU-weiten Register für Aktien und Anleihen gegen eine angemessene Vergütung beizutragen. Alle Quellen von Marktdaten müssten standardisierte Kerndaten für Sammelstellen verfügbar machen, hieß es in dem Dokument. Börsen würden dabei Mindesteinnahmen für die Bereitstellung von Kursdaten garantiert.
Das Thema spielt auch in der Diskussion um umstrittene Vergütungssysteme bei Online-Brokern – das sogenannte Payment for Order Flow (PFOF) – eine wichtige Rolle. Bei dieser Praxis werden Kundenaufträge an bestimmte Handelsplätze vermittelt, die Broker erhalten dafür eine Vergütung. Kritisiert wird am PFOF-Modell unter anderem, dass die Aufträge womöglich dahin gehen, wo den Brokern die höchsten Zahlungen garantiert werden und nicht dorthin, wo es die besten Kurse für die Kunden gibt. Die Schaffung eines “Consolidated Tape” würde hier womöglich zu mehr Transparenz und Vergleichbarkeit führen. rtr
Seit Jahren schon kämpft das Weimarer Dreieck mit der Bedeutungslosigkeit. Dem enormen Potential der drei Staaten, welche zusammen etwa 45 Prozent des Bruttoinlandprodukts, sowie knapp 40 Prozent der Bevölkerung der EU vereinen und darüber hinaus eine geographische Achse zwischen West- und Osteuropa bilden, steht eine betrübliche Realität gegenüber.
Zwar fand das letzte gemeinsame Treffen der Außenminister erst im Oktober 2020 statt, auf dem der Wille zur Intensivierung der Beziehungen betont wurde. Derartigen Äußerungen stellten sich jedoch allzu häufig als leere Worthülsen heraus, aus denen keine konkreten Bemühungen entsprangen. Denn das Verhältnis der Staaten des Weimarer Dreiecks ist geprägt von tiefgreifenden Meinungsverschiedenheiten und Differenzen.
Die deutsch-französischen Beziehungen sind davon weitestgehend ausgenommen, haben beide Staaten doch erst mit dem Aachener Vertrag 2019 ihr besonderes Verhältnis nochmals bekräftigt. Spannungen herrschen hingegen insbesondere in den Verbindungen beider Länder zu Polen. Entscheidender Faktor dafür ist die seit 2015 regierende Koalition unter der Führung der PiS-Partei.
Allem voran sorgt die umstrittene Justizreform seit Jahren für Zwist mit den europäischen Partnern, welche die dauerhafte Rechtsstaatlichkeit gefährdet sehen und Polen nicht zuletzt das erste EU-Rechtsstaatsverfahren nach Artikel 7 bescherte. Diskrepanzen existieren zudem aufgrund des neuen Mediengesetzes, welches von dessen Gegnern als Angriff auf die Meinungs- und Pressefreiheit kritisiert wird. Und auch die deutsch-russische Kooperation bei der Gaspipeline Nord-Stream 2 stößt in Warschau auf Unbehagen.
Allen Differenzen auf nationaler Ebene zum Trotz, haben sich die regionalen und lokalen Beziehungen als Stabilitätsanker erwiesen. So bestehen unter anderem Partnerschaften zwischen Nordrhein-Westfalen, Schlesien und Hauts-de-France, ebenso zwischen Brandenburg, Mazowieckie und Île-de-France. Diese “regionalen Weimarer Dreiecke” haben den Vorteil, dass sie relativ unabhängig von den nationalen Spannungen die Beziehungen aufrechterhalten.
Darüber hinaus haben sich in den Grenzregionen bilaterale Kooperationen in Form der Eurodistrikte und der Euroregionen konsolidiert. Hinzu kommen Städtepartnerschaften, Hochschulkooperationen und Jugendwerke, die den interkulturellen Austausch befördern. Diese zivilgesellschaftliche Ebene und deren positive Auswirkungen sollten bei der Bewertung des Weimarer Dreiecks nicht vergessen werden, auch wenn sie den Austausch auf nationaler Ebene nicht ersetzen können.
Damit eine (langfristige) Kooperation überhaupt möglich erscheint, bräuchte es innerhalb des Trios allerdings eine kongruente Vorstellung über die Ziele und die Funktion des Weimarer Dreiecks als Grundlage jeglicher Zusammenarbeit. Eine Institutionalisierung des losen Bündnisses wäre ebenfalls eine Möglichkeit, die Beziehungen auszubauen, erscheint jedoch in Anbetracht der aktuellen und historischen Entwicklung als reines Gedankenexperiment.
Das Weimarer Dreieck aufgrund der dargestellten Probleme als abgeschlossenes Kapitel in die Geschichtsbücher zu überführen, wäre sicherlich der falsche Weg. Doch so erstrebenswert eine intensive trilaterale Kooperation auf nationaler Ebene auch erscheinen mag, spricht aktuell nicht viel für dessen Renaissance.
Neue Coronawelle, neuer Maßstab: Bund und Länder einigten sich gestern darauf, die Entscheidung über 2-G oder 2-G-Plus an die sogenannte Hospitalisierungsinzidenz zu koppeln. Auch eine Teil-Impfpflicht für Beschäftigte in der Medizin und der Pflege, die auf gefährdete Personen treffen, mehr Tempo bei den Auffrischungsimpfungen, 3-G am Arbeitsplatz und in öffentlichen Verkehrsmitteln sowie eine Verlängerung der Fixkostenhilfen zählen zu den neuen Beschlüssen. “Die Lage ist hochdramatisch”, sagte Bundeskanzlerin Angela Merkel. Auch die Europäische Kommission gab daher gestern ihr grünes Licht für weitere Staatshilfen bis Mitte 2022.
Für die französische EU-Ratspräsidentschaft hat Emmanuel Macron viele Ambitionen, aber hat er auch genug Zeit? Viele Beobachter gehen davon aus, dass die französischen Präsidentschaftswahlen im April de facto dazu führen, dass Frankreich nur drei der sechs Monate seines Vorsitzes im Rat der EU wirklich präsent ist. Zusammen mit Tanja Kuchenbecker habe ich analysiert, welche Prioritäten aus Paris Konfliktpotenziale mit anderen Mitgliedstaaten beinhalten, welche Rolle die deutschen Koalitionsverhandlungen dabei spielen und bei welchen Gesetzesvorhaben die “Grande Nation” die Europäische Union entscheidend vorantreiben könnte.
Eines der europäischen Gesetzesvorhaben, das eine hohe Priorität für Frankreich hat, ist der “Digital Markets Act“. Die Plattformregulierung schreitet in großen Schritten voran, denn die Verhandlungspositionen von Europaparlament und Rat befinden sich kurz vor der finalen Abstimmung. Till Hoppe hat sich die Forderungen im Detail angesehen. In seiner Analyse zeigt er Konfliktlinien zwischen den beiden Institutionen auf und gibt Antworten auf die Frage: Wie wirksam kann das Gesetz überhaupt umgesetzt werden?
Fast im Gleichschritt treiben Europaparlament und Rat den Digital Markets Act (DMA) voran. Am kommenden Montag werden die Mitglieder des Binnenmarktausschusses über den jüngst gefundenen Kompromiss abstimmen (Europe.Table berichtete). Am Donnerstag kommen dann die Minister beim Wettbewerbsfähigkeitsrat zusammen, um die Allgemeine Ausrichtung zu beschließen. Wenn das Plenum des Europaparlaments im Dezember grünes Licht gibt, kann der Trilog beginnen. Geht alles wie geplant, könnten die neuen Regeln Anfang 2023 in Kraft treten.
Der Rat orientiert sich hier eng am Kommissionsvorschlag: Die Behörde soll ein Digitalunternehmen als zu regulierenden Gatekeeper einstufen, wenn dieses mindestens jeweils 6,5 Milliarden Euro Umsatz in den vergangenen drei Jahren erwirtschaftet hat, eine durchschnittliche Marktkapitalisierung von mehr als 65 Milliarden Euro im zurückliegenden Jahr erzielte und mindestens 45 Millionen aktive Nutzer für seinen Dienst hatte (Artikel 3).
Das Parlament wird die Schwelle auf Betreiben von EVP-Berichterstatter Andreas Schwab wohl höher ansetzen: bei 8 Milliarden Euro Umsatz und 80 Milliarden Euro Marktwert. Der von ihm geforderte Fokus auf die ganz großen Digitalkonzerne mit ihren Ökosystemen findet sich hingegen nicht im Kompromiss. Damit dürften auch europäische Unternehmen unter den Digital Markets Act fallen, insbesondere der Hotelvermittler Booking.com.
Beide Institutionen wollen unter anderem Suchmaschinen, soziale Netzwerke, Messenger und Cloud Computing-Dienste als Core Platform Service definieren und somit in den Anwendungsbereich einschließen. Das Parlament will zudem Webbrowser, virtuelle Assistenten und vernetztes Fernsehen zur Liste in Artikel 2 des Digital Markets Act hinzufügen.
Die Ratsposition sieht 20 konkrete Ge- und Verbote vor, die Gatekeeper in ihrer Geschäftspraxis zu beachten haben (Artikel 5 und 6). Die Mitgliedstaaten orientieren sich dabei erneut eng am Kommissionsvorschlag und fügen nur eine Vorgabe hinzu, wonach die Unternehmen Kunden nicht den Rückzug von ihrer Plattform erschweren dürfen.
Gleich sechs Vorgaben zielen auf den Umgang mit Daten, der wichtigste Grundlage für die meisten Geschäftsmodelle. So darf ein Gatekeeper laut Artikel 6.1 a des Digital Markets Act keine nicht-öffentlichen Informationen von Konkurrenten nutzen, die auf dessen Plattform aktiv sind. Das zielt etwa auf den Umgang von Amazon mit den Daten kleinerer Händler, die über den Marktplatz des Konzerns Endkunden erreichen. Zudem sollen die Gatekeeper Geschäftskunden Zugang zu eigenen Daten gewähren, die etwa bei der Suchmaschine anfallen.
Auf private Nutzer zielt der Artikel 5 a: Dieser untersagt es den Unternehmen, personenbezogene Daten aus einem seiner Dienste mit Informationen aus anderen Quellen zu kombinieren. Das Europaparlament würde nach dem am Mittwoch erzielten Kompromiss noch einen Schritt darüber hinaus gehen und in Artikel 6 a das Zusammenführen von persönlichen Daten zu Werbezwecken einschränken.
Allerdings sehen beide Artikel, wie die Datenschutzgrundverordnung (DSGVO), Ausnahmen vor – insbesondere das Einverständnis der Nutzer. In seiner jetzigen Form werde der Artikel 5 a praktisch wenig ändern, sagt Rupprecht Podszun, Professor für Kartellrecht an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf: “Die Gatekeeper luchsen den Nutzern ihr Einverständnis ab oder berufen sich auf die Ausnahmetatbestände der DSGVO”. Wirklich wirksam sei entweder ein Verbot der Datenzusammenführung oder eine Einschaltung von spezialisierten Daten-Guides, die für die Nutzer die Datenverwaltung steuerten.
Für Apple besonders heikel ist der Artikel 6.1 c des Digital Markets Act: Dieser zielt darauf, die geschlossene Welt aus Betriebssystem und App-Store zu öffnen. Demnach könnte das Unternehmen verpflichtet werden, den Nutzern seiner Geräte zu erlauben, auch Anwendungen aus anderen Quellen als dem hauseigenen App-Store zu ermöglichen.
Der Entwurf des Digital Markets Act des Parlaments erwähnt überdies explizit das Recht anderer Anbieter, den Kunden ihre Angebote dort zu anderen Konditionen als im App-Store anzubieten und auch die Bezahlung außerhalb abzuwickeln. Beides untersagt Apple bislang in seinen Geschäftsbedingungen, was Klagen von Firmen wie Spotify und Epic Games ausgelöst hat.
Allerdings hat vor allem der Rat auf die Kritik von Apple-Chef Tim Cook am sogenannten Sideloading reagiert: Demnach dürfen Gatekeeper Vorkehrungen treffen, damit die fremden Anwendungen nicht die Integrität des Betriebssystems gefährden, “soweit diese Maßnahmen geboten und angemessen sind”. Nach dem Parlamentsentwurf muss ein Gatekeeper hierbei “darlegen, dass ein solcher Zugang den Datenschutz und die Cybersicherheit der Nutzer untergräbt”.
Die Kommission setzt darauf, dass die Durchsetzung des Digital Markets Act weit weniger aufwendig und zeitraubend wird als klassische Missbrauchsverfahren nach Artikel 102 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union. Die Vorgaben sollten möglichst “so präzise sein, dass sie sich selbst-exekutieren”, sagte Olivier Guersent, Generaldirektor der GD Wettbewerb, am Donnerstag auf einer Konferenz. Klare Regeln seien leichter von den Unternehmen zu befolgen, für den nötigen Druck sorgten die weitreichenden Sanktionsmöglichkeiten bei Verstößen – bis hin zu strukturellen Maßnahmen wie der Abspaltung von Geschäftsteilen (Artikel 16).
Insbesondere die Verhaltensvorgaben des Artikel 5 sollen so konkret formuliert sein, dass sie kaum Interpretationsspielraum lassen. Für die Obligationen in Artikel 6 des Digital Markets Act ist hingegen die Möglichkeit eines Regulierungsdialogs zwischen Unternehmen und Kommission vorgesehen. Das soll auch die nötige Flexibilität erlauben, damit die Vorgaben nicht bald schon überholt sind angesichts des schnellen Wandels in der Digitalbranche. Artikel 10 räumt der Kommission zwar die Möglichkeit ein, die Vorgaben aus den Artikeln 5 und 6 im Rahmen eines delegierten Rechtsakts zu ergänzen. Allerdings will der Rat den Spielraum der Kommission dabei deutlich einengen. Neue Obligationen sollen nur im ordentlichen Gesetzgebungsverfahren beschlossen werden können.
Wie sich eine Balance zwischen klaren Regeln und nötiger Flexibilität gewährleisten lasse, werde eines der Hauptthemen im anstehenden Trilog, so Guersent. Podszun argumentiert, Auslegungsspielräume und Unsicherheiten gebe es bei jedem Gesetz. “Die Frage ist eher: Wie viel Energie verwenden die mächtigen Gatekeeper darauf, die Anwendung zu torpedieren, und inwieweit sind sie bereit, ernsthafte Compliance-Anstrengungen zu unternehmen?”
Fiona Scott Morton, Professorin an der Yale-Universität, bleibt da skeptisch: Die großen Tech-Konzerne hätte “jeden Anreiz, die Regeln zu umgehen”. In solchen Fällen soll die Kommission laut Digital Markets Act eine Untersuchung einleiten können. Auch die nationalen Kartellbehörden können in ihren jeweiligen Ländern aktiv werden. Dies war vor allem der Bundesregierung wichtig. Die Verfahren sollen Bundeskartellamt und Co dann aber ab einem gewissen Zeitpunkt an die Kommission übermitteln. Dieser kommt auch in der Ratsposition die Rolle “als alleinigem Vollstrecker dieser Verordnung” zu (Artikel 32 a). Dies soll eine einheitliche Anwendung des Digital Markets Act in der EU gewährleisten.
In der Kommission sollen dafür 80 Stellen geschaffen werden, voraussichtlich vor allem für Experten aus den Generaldirektionen Wettbewerb und Connect. Bei welchem Kommissar die Abteilung aufgehängt wird, ist noch offen. Podszun und andere Experten befürchten aber, dass die Personalausstattung nicht ausreichen wird. “Ich habe Zweifel, dass die Kommission die Aufgaben im Wesentlichen allein erledigen kann”, sagt er. Daher biete sich eine noch stärkere Einbeziehung der nationalen Behörden an.
Plenartagung des EU-Parlaments: Kritische Rohstoffe, Arzneimittelstrategie, WTO-Ministerkonferenz
22.11.2021 17:00-22:00 Uhr
Akteure: ITRE
Agenda: Auf der vorläufigen Tagesordnung stehen unter anderem Aussprachen zur europäischen Strategie für kritische Rohstoffe (Abstimmung voraussichtlich am 23.11.2021), zum Initiativbericht “Arzneimittelstrategie für Europa” und zu den multilateralen Verhandlungen im Vorfeld der 12. WTO-Ministerkonferenz in Genf.
Vorläufige Tagesordnung
Sondersitzung des Ausschusses für Binnenmarkt und Verbraucherschutz
22.11.2021 19:00-21:00 Uhr
Akteure: IMCO
Agenda: Auf der vorläufigen Tagesordnung stehen die Annahmen von Berichtsentwürfen zum Digital Markets Act (DMA) und zur Beseitigung von nichttarifären und nichtsteuerlichen Handelshemmnissen im Binnenmarkt.
Vorläufige Tagesordnung
Informelle Tagung der Ministerinnen und Minister für Städtische Entwicklung
23.11.-26.11.2021
Akteure: Ministerinnen und Minister für Städtische Entwicklung
Agenda: Auf der informellen Tagung auf Ministerebene “Städtische Entwicklung” wird die Vereinbarung über die Weiterentwicklung einer urbanen Agenda für die EU gemäß dem Pakt von Amsterdam (2016) und den Prinzipien der neuen Leipzig-Charta (2020) ausgearbeitet.
Hintergrundinfos Neue Leipzig-Charta Pakt von Amsterdam
Wöchentliche Kommissionssitzung
23.11.2021
Akteure: EU-Kommission
Agenda: Auf der vorläufigen Tagesordnung der Kommissarinnen und Kommissare steht unter anderem das Herbstpaket des Europäischen Semesters, die Kapitalmarktunion sowie die Stärkung des Paketes für Demokratie und Integrität bei Wahlen. Im Anschluss findet voraussichtlich gegen 15 Uhr eine Pressekonferenz statt.
Vorläufige Tagesordnung Herbstpaket des europäischen Semesters Infos zur europäischen Kapitalmarktunion Livestream Pressekonferenz
Rat der EU: Allgemeine Angelegenheiten
23.11.2021 09:30 Uhr
Akteure: Außen- und Europaminister:innen
Agenda: Auf der vorläufigen Tagesordnung stehen unter anderem die Vorbereitung des Europäischen Rats (16.12.-17.12.2021) sowie ein Austausch zum Stand der Beziehungen zwischen der EU und UK.
Vorläufige Tagesordnung
Plenartagung des EU-Parlaments: Aussprache zum Schwerpunktthema Agrarpolitik
23.11.2021 09:00-11:30 Uhr (Abstimmung: 11:30-12:00 Uhr)
Akteure: AGRI
Agenda: Die Aussprache beschäftigt sich mit der Unterstützung der von den Mitgliedstaaten zu erstellenden Strategieplänen für die gemeinsame Agrarpolitik, mit der Finanzierung, Verwaltung und Überwachung der gemeinsamen Agrarpolitik sowie mit der Änderung der Verordnung zur Gemeinsamen Marktorganisation (GMO).
Vorläufige Tagesordnung
Plenartagung des EU-Parlaments: Aussprache zur Migrationspolitik
23.11.2021 12:00-14:00 Uhr
Akteure: LIBE
Agenda: Auf der vorläufigen Tagesordnung steht unter anderem eine Aussprache zur Politik und Gesetzgebung für legale Migration.
Vorläufige Tagesordnung
Plenartagung des EU-Parlaments: Aussprachen zu COVID-19, Rechnungshof-Bericht und Haushaltsordnung
24.11.2021 15:00-22:00 Uhr
Akteure: BUDG, CONT
Agenda: Auf der vorläufigen Tagesordnung stehen eine Aussprache zur Rolle der EU bei der Bekämpfung der COVID-19-Pandemie, die Vorstellung des Jahresberichts 2020 des Rechnungshofs sowie die Überarbeitung der Haushaltsordnung in Anbetracht des Inkrafttretens des Mehrjährigen Finanzrahmens 2021-2027.
Vorläufige Tagesordnung
Rat der EU: Wettbewerbsfähigkeit (Binnenmarkt, Industrie und Raumfahrt)
25.11.-26.11.2021
Akteure: Minister:innen
Agenda: Auf der vorläufigen Tagesordnung stehen allgemeine Ausrichtungen Digital Services Act und zum Digital Markets Act sowie eine Debatte zur Umsetzung des europäischen Aufbauplans.
Vorläufige Tagesordnung
Asia-Europe Meeting (ASEM)
25.11.-26.11.2021
Akteure: Staats- und Regierungschefs
Agenda: Das Thema der Konferenz ist “Strengthening Multilateralism for Shared Growth”.
Tagungsinformationen
EuGH-Urteil zu Inbox-Werbung
25.11.2021
Akteure: EuGH, Städtische Werke Lauf a.d. Pegnitz (StWL), eprimo
Agenda: Der Europäische Gerichtshof entscheidet über eine Klage der StWL gegen eine Werbemaßnahme des konkurrierenden Stromlieferanten eprimo. Nach Ansicht der Städtischen Werke verstößt diese Werbemaßnahme gegen die Vorschriften über unlauteren Wettbewerb. Der Bundesgerichtshof hat den EuGH hierzu um Auslegung des einschlägigen Unionsrechts ersucht.
Vorabentscheidung des BGH
Wenn Frankreich im Januar für sechs Monate die EU-Ratspräsidentschaft antritt, dann hat Präsident Emmanuel Macron gleich zwei Anliegen, die eng miteinander verbunden sind. Er will Europa stärken – und seine eigene Stellung. Denn im April sind Präsidentschaftswahlen in Frankreich. Es gilt als sicher, dass Macron ein zweites Mal antreten will, obwohl er sich noch nicht offiziell seine Kandidatur erklärt hat. Doch schon jetzt wird deutlich, dass Europa ein wichtiges Wahlkampfthema ist. Deshalb ist Macron auf Erfolge angewiesen. Er hofft, so sein Image als großer Staatsmann aufzupolieren.
In einer Fernsehansprache am 9. November wandte der Präsident sich an die Franzosen. Er nannte dabei die Herausforderungen für die Ratspräsidentschaft: Die Außengrenzen Europas müssten stärker geschützt, die Beziehung zu Afrika weiterhin stabilisiert werden. Die digitalen Giganten sollten gezähmt werden. Auch eine glaubhafte Reduzierung der CO₂-Emissionen müsse erreicht werden. Dazu will Macron den geplanten CO₂-Grenzausgleich vorantreiben (Europe.Table berichtete).
Für Europa und Frankreich hat Macron ganz ähnliche Ziele: Für Frankreich hatte er einen Investitionsplan über 30 Milliarden Euro bis 2030 angekündigt. Auch in Europa will er in technologische Souveränität investieren. Konkret richten sich seine Absichten auf mehrere Ziele: Flugzeuge mit Null-Emissionen, Elektroautos, Raumfahrt, Roboter, Halbleiter und die digitale Zukunft der EU.
Schon seit Jahren plädiert Macron immer wieder dafür, die EU müsse eigenständiger werden. Auch im Umgang mit den USA – politisch, militärisch und wirtschaftlich. Daher wird auch das Thema europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik in der Ratspräsidentschaft wichtig. Es soll auf einem eigens organisierten Gipfel diskutiert werden. Beim jüngsten Ratstreffen der EU-Außenminister wurde zudem klar: Frankreich will den “Strategischen Kompass” vorantreiben (Europe.Table berichtete) und im März 2022 verabschieden. Die französische Ratspräsidentschaft könne die europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik deutlich voranbringen, sagen EU-Diplomaten.
Angesichts der Vielzahl von Zielen besteht allerdings die Gefahr, dass die Ergebnisse hinter den eigenen Erwartungen zurückbleiben. “Zu viele Prioritäten töten die Prioritäten”, sagt Sébastien Maillard, Direktor des Jacques Delors Instituts. Das sehen EU-Diplomaten in Brüssel ähnlich: Jede Ratspräsidentschaft müsse ihre Prioritäten mit der Hauptstadt abstimmen, aber auch im sogenannten Trio, also mit den nachfolgenden Ratspräsidentschaften (Tschechien und Schweden).
Erschwerend hinzu komme bei der französischen Ratspräsidentschaft nun noch die parallel stattfindende Präsidentschaftswahl im April, die den Fokus automatisch auf innenpolitische Themen lenke. Um wirklich etwas zu erreichen, solle sich die Präsidentschaft also auf zwei bis drei Themen konzentrieren, empfiehlt ein EU-Diplomat. Das sei auch für die Trilog-Verhandlungen wichtig.
In Brüssel heißt es, dass Frankreich realistisch gesehen für die Ratspräsidentschaft ohnehin nur die ersten drei Monate Zeit habe. Ab April werde alles von den Präsidentschaftswahlen dominiert. Ein EU-Diplomat fasst es so zusammen: “Alles, was die Franzosen auf europäischer Ebene tun werden, wird von nationalen Ereignissen bestimmt sein“.
Das Motto der französischen Ratspräsidentschaft steht schon lange fest: “Erholung, Kraft, Zugehörigkeit”. Europastaatssekretär Clément Beaune hat schon vor Monaten Vorbereitungsgremien organisiert. Französische Parlamentsabgeordnete, Senatoren und EU-Parlamentsabgeordnete treffen sich, um gemeinsam die Ziele zu gestalten. Beim “European Business Summit” am Mittwoch nannte Beaune drei Themen, bei denen die französische Ratspräsidentschaft konkrete Ergebnisse erringen möchte: beim Grenzausgleichmechanismus CBAM, der Plattformregulierung (Digital Services Act, Digital Markets Act) und der Richtlinie zu Mindestlöhnen.
Vor allem das letzte Thema beinhaltet Konfliktpotenzial. Die Kommission hat das Gesetzesvorhaben Ende Oktober 2020 vorgelegt, die Diskussion im Rat ist aber ins Stocken geraten, weil mehrere Mitgliedstaaten in dem Bereich statt einer Richtlinie eine Empfehlung bevorzugen. Auch weitere Streitthemen zeichnen sich ab: zum einen in der Klimapolitik, zum anderen in der Finanzpolitik.
Frankreich bemüht sich, Atomenergie als grünes Investment erklären zu lassen und mobilisiert immer mehr Mitgliedstaaten für sein Vorhaben. Deutschland, Luxemburg und Österreich gehören zu den größten Atomkraft-Gegnern. Macron hatte auch angekündigt, in Frankreich Kleinreaktoren bauen zu wollen, um CO₂ zu reduzieren (Europe.Table berichtete). Auch Binnenmarktkommissar Thierry Breton machte bereits deutlich, auf welcher Seite er steht: “Es wird keinen Green Deal ohne Kernenergie geben. Wer etwas anderes denkt, denkt falsch.”
In Mitgliedstaaten, die sich gegen die Aufnahme von Atomkraft in die Taxonomie aussprechen, wird diese Entwicklung kritisch beäugt. Dass die französische Ratspräsidentschaft diese noch verstärken könne, halten manche Beobachter jedoch für eher unwahrscheinlich, da der Ball nun bei der Kommission liege.
Sollte die Kommission tatsächlich einen delegierten Rechtsakt zur Aufnahme von Atomenergie Taxonomie vorlegen, braucht es eine qualifizierte Mehrheit, um diesen zu stoppen. Diese gibt es derzeit nicht, wie Noch-Kanzlerin Angela Merkel feststellte. Wird Atomenergie tatsächlich in die Taxonomie aufgenommen, wäre das ein Zeichen für die Finanzmärkte, in Atomanlagen zu investieren. Macron kämpft auch deshalb um das grüne EU-Klimasiegel, weil damit Projekte in Frankreich leichter zu finanzieren sind.
Die Koalitionsverhandlungen in Deutschland erschweren die Vorbereitungen in Paris. Bei Grünen und SPD hat Macron Partner, die eine Reform des europäischen Stabilitäts- und Wachstumspaktes unterstützen könnten. Der angehende Bundeskanzler Olaf Scholz äußert sich bislang aber zurückhaltend – die bisherigen Regeln hätten ihre Flexibilität unter Beweis gestellt. Die FDP sieht eine Lockerung der Regelung kritisch und lehnt überdies eine Wiederauflage des schuldenfinanzierten Wiederaufbauinstruments entschieden ab.
“Man muss zu einem deutsch-französischen Kompromiss kommen, bevor man die Revision der Regeln im Stabilitätspakt voranbringen kann”, betont Clément Beaune. Finanzminister Bruno Le Maire übermittelte seine Position am Dienstag bereits per Interview: Er bezeichnete die 60-Prozent-Grenze der Staatsverschuldung als “obsolet” und stellte auch das Drei-Prozent-Ziel beim Haushaltsdefizit zur Diskussion. Bevor die neuen Regeln definiert würden, wolle Frankreich eine “sehr tief gehende Debatte über die politischen Ziele führen”, so Le Maire.
Offiziell steht die Reform für die Franzosen bislang nicht auf dem Programm ihrer Präsidentschaft. “Jedenfalls noch nicht”, schreibt “Le Monde”. Denn das Thema ist höchst sensibel. Auch viele andere Mitgliedstaaten, allen voran die sogenannten frugalen Vier (Österreich, Niederlande, Finnland, Dänemark), achten stark auf Budgetdisziplin und sprechen sich gegen eine Lockerung der Regeln aus.
Wie viel Spielraum Frankreich bei dem Thema hat, hänge auch vom künftigen deutschen Finanzminister ab, kommentiert “Le Monde”. Je nachdem, ob er Robert Habeck oder Christian Lindner heiße, sei die Verhandlung für Paris nicht dieselbe. Tanja Kuchenbecker / Jasmin Kohl
Einer der Generalanwälte am Europäischen Gerichtshof (EuGH), Campos Sánchez-Bordona, hat in seinem Rechtsgutachten vorherige EuGH-Urteile so ausgelegt, dass die Vorratsdatenspeicherung nur bei einer ernsten Bedrohung für die nationale Sicherheit erlaubt wäre. Auch die zeitlich begrenzte Speicherung einer Vielzahl an Verbindungsdaten, wie sie in Deutschland vorgesehen ist, würde bereits zu sehr in die Grundrechte und das Privatleben eingreifen. Die Stellungnahme des Generalanwalts ist der letzte Verfahrensschritt vor einem Urteil, mit dem der EuGH die deutsche Regelung bestätigt oder verwirft. Die Deutsche Telekom und der Internetprovider SpaceNet wehren sich gegen die Regelungen im deutschen Telekommunikationsgesetz. Das seit 2017 bis zur europarechtlichen Klärung ausgesetzte Gesetz verpflichtet Internetprovider und Telefonanbieter dazu, bestimmte Daten für den Zugriff durch Behörden zu speichern.
Sánchez-Bordona zeigte sich verwundert, dass mehrere EU-Mitgliedstaaten, darunter auch Frankreich und Irland, trotz der eindeutigen Gerichtsurteile weiterhin die Vorratsdatenspeicherung fordern, denn der EuGH hätte seine Position bereits detailliert erläutert. Die Einschätzung des Generalanwalts Sánchez-Bordona ist nicht bindend, dient den EuGH-Richtern jedoch als Orientierungshilfe. Ein Urteil wird erst in einigen Monaten gefällt.
FDP und Grüne sowie Teile der SPD hatten sich in der Vergangenheit klar gegen die Speicherung von Verbindungs- und Standortdaten auf Vorrat ausgesprochen. Es gilt als sicher, dass eine Neuauflage mit einer Ampelkoalition nicht mehr kommen wird, wenn der EuGH die alte Regelung aus grundsätzlichen Erwägungen verwirft. koj
Die Europäische Kommission hat angekündigt, in Zukunft keine staatlichen Beihilfen mehr für Projekte zur Förderung fossiler Brennstoffe zu genehmigen. Dies ist Teil einer Überarbeitung der EU-Wettbewerbsregeln, um diese klimafreundlicher zu gestalten. Ausgenommen sind Investitionen in Gasprojekte. Allerdings müssen Mitgliedstaaten darlegen, wie sie sicherstellen, dass solche Investitionen mit den EU-Klimazielen vereinbar sind. Das bedeutet: Die staatliche Finanzierung von Gasprojekten darf keine weitreichenderen Emissionseinsparungen – zum Beispiel durch den Umstieg auf Erneuerbare Energien – verhindern.
Die Kommission, die die Wettbewerbspolitik der EU-Staaten überwacht, prüft die staatlichen Beihilfen der nationalen Regierungen, um sicherzustellen, dass sie den Wettbewerbsregeln des EU-Binnenmarktes entsprechen. Durch die Überarbeitung der EU-Beihilfevorschriften wird zudem versucht, diese mit der Klimaschutzpolitik der EU in Einklang zu bringen. Die neuen Regeln würden “den Ausstieg aus fossilen Brennstoffen unterstützen”, schreibt die Kommission in einer am Donnerstag veröffentlichten Mitteilung.
Es sei unwahrscheinlich, “dass staatliche Unterstützung für Projekte, die solche Brennstoffe, insbesondere die umweltschädlichsten wie Öl, Steinkohle und Braunkohle, beinhalten, mit den Regeln für staatliche Beihilfen vereinbar ist”, so die Kommission. Der schrittweise Ausstieg aus der Kohleverstromung wird als entscheidend für die Erfüllung der EU-Ziele zur Senkung der Treibhausgasemissionen angesehen. luk mit rtr
Bund und Länder planen Wirtschaftshilfen für Advents- und Weihnachtsmärkte, die von Corona-Schutzmaßnahmen in den nächsten Wochen besonders stark betroffen sein dürften. Das geht aus den Beschlüssen von Bund und Ländern zur aktuellen Corona-Lage hervor, die am Donnerstagabend veröffentlicht wurden. Vorgesehen ist zudem, Fixkostenhilfen für Unternehmen und Selbstständige um drei Monate bis Ende März 2022 zu verlängern. Gleiches gilt für die Staatshilfen bei Kurzarbeit, die viele Betriebe in der Corona-Krise genutzt haben.
“Die Überbrückungshilfe ist neben dem Kurzarbeitergeld das wichtigste Instrument, um besonders von der Pandemie betroffenen Unternehmen zu helfen”, heißt es in den Beschlüssen. Für betroffene Firmen des Handels bestehe weiter die Möglichkeit, Gelder für nicht-verkäufliche Saisonware im Rahmen der Überbrückungshilfe zu bekommen.
Falls nötig, könnten von der Corona-Pandemie betroffene Unternehmen in Deutschland bis Mitte 2022 noch weitere Staatshilfen bekommen. Die EU-Kommission, die in Europa Wettbewerbsverzerrungen durch Staatshilfen verhindern soll, hatte dafür am Donnerstag grünes Licht gegeben. Seit Beginn der Krise wurden schon rund 125 Milliarden Euro an die Wirtschaft ausgezahlt. Hinzu kam noch das Kurzarbeitergeld in Höhe von 40 Milliarden Euro.
Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) sprach von einem wichtigen Schritt. “Die Pandemie-Lage ist leider in vielen europäischen Ländern wieder sehr ernst. Daher ist es richtig, dass die Europäische Kommission den Mitgliedstaaten Flexibilität gewährt.” Die konjunkturelle Erholung der vergangenen Monate dürfe nicht gefährdet werden. rtr
Die Europäische Zentralbank (EZB) wird sich laut ihrem Direktor Fabio Panetta mit großer Vorsicht an das Projekt eines Digital-Euro heranwagen. Es stehe viel auf dem Spiel und die Zentralbank betrete unbekanntes Terrain, betonte der Italiener am Donnerstag vor einem Ausschuss des Europaparlaments: “Wir wollen schnell vorankommen, dürfen aber nichts überstürzen.” Eine hochrangige Taskforce arbeite daran, Anwendungsfälle und designrelevante Entscheidungen bis Anfang 2023 einzugrenzen. In den Folgemonaten soll ein Prototyp stehen. Es gehe dabei noch nicht darum “den Knopf zu drücken”, sondern eine Entscheidung zum Digitalgeld vorzubereiten.
Dem EU-Parlament kommt laut Panetta eine zentrale Rolle zu, da womöglich dazu der EU-Rechtsrahmen geändert werden müsse. Doch ein Digital-Euro werde nicht das Ende von Scheinen und Münzen bedeuten: “Solange die Menschen Bargeld haben wollen, werden wir es bereitstellen”, versicherte Panetta. Gleichzeitig müsse die EZB aber sicherstellen, dass Zentralbankgeld weiterhin uneingeschränkt verwendet werden könne, wenn sich das Zahlungsverhalten verändere: “Und genau hier setzt unsere Arbeit zum digitalen Euro an: Er würde ermöglichen, dass die Menschen auch im digitalen Zeitalter noch Zentralbankgeld als Tauschmittel verwenden können.”
Um herauszufinden, was die Nutzer wollten, werde sich die EZB in der Untersuchungsphase intensiv mit der Bevölkerung, dem Handel und anderen Interessengruppen austauschen. Viele Notenbanken prüfen derzeit die Einführung digitaler Versionen ihrer Währungen. China gehört zu den Pionieren. Bundesbank-Vorstand Burkhard Balz mahnte in einem Grußwort im Rahmen der Euro Finance Week, trotz aller Vorteile von Innovationen auch stets deren Risiken zu berücksichtigen: “Nicht alles, was neu ist, ist immer besser.” Es gelte, die potenziellen Vorteile und Risiken abzuwägen, gerade bei technologischen Neuerungen: “Und so sind wir auch als Zentralbanken in einem intensiven Austausch über das Für und Wider digitalen Geldes”, fügte er hinzu.
Ein im Zusammenhang mit dem Digital-Euro immer wieder genanntes Problem ist, dass Bankkunden in Krisenzeiten ihre Konten abräumen könnten, weil sie digitales Zentralbankgeld in solchen Zeiten für sicherer halten. Um dies zu verhindern, erwägen viele Notenbanken, das Horten von Digitalgeld-Beständen durch Obergrenzen zu verhindern. Die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) hat die Notenbanken dazu aufgerufen, ihre Arbeiten an Digitalwährungen voranzutreiben. Ansonsten drohten sie von den digitalen Initiativen großer Technologiekonzerne wie etwa Facebook abgehängt zu werden. rtr
Börsen in der EU sollen nach einem EU-Entwurf künftig Daten zu Handelstransaktionen für ein europaweites Vergleichsregister bereitstellen. Ein solches “Consolidated Tape” genanntes System soll unter anderem Investoren in die Lage versetzen, die für sie günstigsten Deals zu erkennen und generell zu mehr Transparenz im Börsenhandel führen, wie aus einem Entwurfspapier hervorgeht, das “Reuters” am Donnerstag einsah. Auf diesem System sollen europaweit Handelsdaten erfasst werden. Der Vorschlag ist Teil eines kommende Woche erwarteten Reformpakets der EU-Kommission, mit dem die Kapitalmärkte in der EU nach dem Brexit gestärkt werden sollen.
Banken, Vermögensverwalter und andere Investoren haben bislang keine klaren Vergleichsmöglichkeiten, wenn ein und dasselbe Wertpapier auf den verschiedensten Handelsplätzen in der Ländergemeinschaft gehandelt wird. Laut dem Dokument sollen Börsen dazu verpflichtet werden, zu einem EU-weiten Register für Aktien und Anleihen gegen eine angemessene Vergütung beizutragen. Alle Quellen von Marktdaten müssten standardisierte Kerndaten für Sammelstellen verfügbar machen, hieß es in dem Dokument. Börsen würden dabei Mindesteinnahmen für die Bereitstellung von Kursdaten garantiert.
Das Thema spielt auch in der Diskussion um umstrittene Vergütungssysteme bei Online-Brokern – das sogenannte Payment for Order Flow (PFOF) – eine wichtige Rolle. Bei dieser Praxis werden Kundenaufträge an bestimmte Handelsplätze vermittelt, die Broker erhalten dafür eine Vergütung. Kritisiert wird am PFOF-Modell unter anderem, dass die Aufträge womöglich dahin gehen, wo den Brokern die höchsten Zahlungen garantiert werden und nicht dorthin, wo es die besten Kurse für die Kunden gibt. Die Schaffung eines “Consolidated Tape” würde hier womöglich zu mehr Transparenz und Vergleichbarkeit führen. rtr
Seit Jahren schon kämpft das Weimarer Dreieck mit der Bedeutungslosigkeit. Dem enormen Potential der drei Staaten, welche zusammen etwa 45 Prozent des Bruttoinlandprodukts, sowie knapp 40 Prozent der Bevölkerung der EU vereinen und darüber hinaus eine geographische Achse zwischen West- und Osteuropa bilden, steht eine betrübliche Realität gegenüber.
Zwar fand das letzte gemeinsame Treffen der Außenminister erst im Oktober 2020 statt, auf dem der Wille zur Intensivierung der Beziehungen betont wurde. Derartigen Äußerungen stellten sich jedoch allzu häufig als leere Worthülsen heraus, aus denen keine konkreten Bemühungen entsprangen. Denn das Verhältnis der Staaten des Weimarer Dreiecks ist geprägt von tiefgreifenden Meinungsverschiedenheiten und Differenzen.
Die deutsch-französischen Beziehungen sind davon weitestgehend ausgenommen, haben beide Staaten doch erst mit dem Aachener Vertrag 2019 ihr besonderes Verhältnis nochmals bekräftigt. Spannungen herrschen hingegen insbesondere in den Verbindungen beider Länder zu Polen. Entscheidender Faktor dafür ist die seit 2015 regierende Koalition unter der Führung der PiS-Partei.
Allem voran sorgt die umstrittene Justizreform seit Jahren für Zwist mit den europäischen Partnern, welche die dauerhafte Rechtsstaatlichkeit gefährdet sehen und Polen nicht zuletzt das erste EU-Rechtsstaatsverfahren nach Artikel 7 bescherte. Diskrepanzen existieren zudem aufgrund des neuen Mediengesetzes, welches von dessen Gegnern als Angriff auf die Meinungs- und Pressefreiheit kritisiert wird. Und auch die deutsch-russische Kooperation bei der Gaspipeline Nord-Stream 2 stößt in Warschau auf Unbehagen.
Allen Differenzen auf nationaler Ebene zum Trotz, haben sich die regionalen und lokalen Beziehungen als Stabilitätsanker erwiesen. So bestehen unter anderem Partnerschaften zwischen Nordrhein-Westfalen, Schlesien und Hauts-de-France, ebenso zwischen Brandenburg, Mazowieckie und Île-de-France. Diese “regionalen Weimarer Dreiecke” haben den Vorteil, dass sie relativ unabhängig von den nationalen Spannungen die Beziehungen aufrechterhalten.
Darüber hinaus haben sich in den Grenzregionen bilaterale Kooperationen in Form der Eurodistrikte und der Euroregionen konsolidiert. Hinzu kommen Städtepartnerschaften, Hochschulkooperationen und Jugendwerke, die den interkulturellen Austausch befördern. Diese zivilgesellschaftliche Ebene und deren positive Auswirkungen sollten bei der Bewertung des Weimarer Dreiecks nicht vergessen werden, auch wenn sie den Austausch auf nationaler Ebene nicht ersetzen können.
Damit eine (langfristige) Kooperation überhaupt möglich erscheint, bräuchte es innerhalb des Trios allerdings eine kongruente Vorstellung über die Ziele und die Funktion des Weimarer Dreiecks als Grundlage jeglicher Zusammenarbeit. Eine Institutionalisierung des losen Bündnisses wäre ebenfalls eine Möglichkeit, die Beziehungen auszubauen, erscheint jedoch in Anbetracht der aktuellen und historischen Entwicklung als reines Gedankenexperiment.
Das Weimarer Dreieck aufgrund der dargestellten Probleme als abgeschlossenes Kapitel in die Geschichtsbücher zu überführen, wäre sicherlich der falsche Weg. Doch so erstrebenswert eine intensive trilaterale Kooperation auf nationaler Ebene auch erscheinen mag, spricht aktuell nicht viel für dessen Renaissance.