Table.Briefing: Europe

Die Mängel deutscher EU-Politik + Emissionshandel in der Schifffahrt + Woran die EU-Chipstrategie hakt

  • Warum Deutschland Einfluss in Brüssel verspielt
  • Termine der kommenden Woche
  • Schifffahrt soll für Emissionen zahlen
  • Kinderschutz in der Google-Bildersuche
  • Datenschützer gegen Dark Patterns
  • Standpunkt: Niclas Frederic Poitiers (Bruegel) über die EU-Pläne in der Chip-Industrie
Liebe Leserin, lieber Leser,

Deutschland ist das bevölkerungsreichste und wirtschaftlich stärkste EU-Mitglied – aber sicherlich nicht das handlungsschnellste. Der Berliner Regierungsapparat tut sich oft schwer, in laufenden EU-Gesetzgebungsverfahren Position zu beziehen: Ministerien verstricken sich in endlosen Abstimmungsprozessen, Weisungen werden erst in laufende Ratssitzungen gereicht.

Falk Steiner und ich haben mit etlichen Akteuren in der Bundesregierung gesprochen, um die Ursachen der Malaise zu ergründen. Viele von ihnen sehen die Probleme, die Deutschlands Einfluss am Brüsseler Verhandlungstisch schwächen. Sie können aber an den Rahmenbedingungen wenig ändern.

Klar ist daher: Nach der Bundestagswahl muss sich etwas ändern. Welche Parteien auch immer künftig koalieren, sie müssen eine Antwort finden. Wie sich die Handelnden die neue Machttektonik in der Europapolitik vorstellen, darüber werden wir in einer der kommenden Ausgabe von Europe.Table berichten.

Ihr
Till Hoppe
Bild von Till  Hoppe

Analyse

Bedingt sprechfähig: Woran die deutsche Europapolitik krankt

Nicht weniger als eine Revolution, die viele Lebensbereiche erfassen wird – so sehen auch Verantwortliche in der Bundesregierung die Klimaschutzpläne der EU-Kommission. Viele Lebensbereiche, das heißt aus Regierungsperspektive auch: Viele Ministerien sind berührt. Wie aber kann der Berliner Regierungsapparat ein Thema packen, das die übliche Logik von Zuständigkeiten und Ressortprinzip strapaziert? 

In der Bundesregierung wird über eine organisatorische Antwort auf den Koordinierungsbedarf diskutiert. “Bei der Bearbeitung der ‘Fit for 55’-Vorschläge müssen wir einen horizontalen Blick innerhalb der Bundesregierung gewährleisten”, sagte Kirsten Scholl, Leiterin der Europaabteilung im Bundeswirtschaftsministerium, zu Europe.Table.  

In der Ständigen Vertretung Deutschlands in Brüssel wurde deshalb bereits eine Task Force eingerichtet, in der Vertreter der Fachbereiche zusammenarbeiten. Zwischen den deutschen Ministerien werden unterschiedliche Optionen diskutiert: Eine Staatssekretärsrunde etwa könnte die Koordinierung übernehmen. Auch ein Sonderausschuss auf Ministerebene ist denkbar – vergleichbar mit dem Corona-Kabinett. 

“Zu häufig nicht sprechfähig” 

Business as usual dürfte in diesem Fall keine geeignete Antwort sein. Die europapolitische Koordinierung in Berlin stößt schon bei einfacheren Dossiers an ihre Grenzen: “Die Bundesregierung braucht tendenziell relativ lange, um eine koordinierte Position zu finden“, sagt Julian Rappold, Forscher am Institut für Europäische Politik (IEP). Der langjährige CDU-Europapolitiker Elmar Brok formuliert es noch deutlicher: “Die Bundesregierung ist in Brüssel zu häufig nicht sprechfähig.” 

Die Maschinerie hakt oft, das streiten auch die Verantwortlichen in etlichen Ministerien nicht ab. Auch wenn kaum jemand offen darüber sprechen mag. Beteiligte berichten von Sprechzetteln, die erst in laufende Ratssitzungen gereicht werden. Davon, dass der deutsche EU-Botschafter in Brüssel, Michael Clauß, und seine Stellvertreterin Susanne Szech-Koundouros, in Berlin nachfassen müssten, um ihre Weisungen zu erhalten.  

Dabei haben die Akteure längst erkannt, wie es laufen sollte: “Wir versuchen frühzeitig, wichtige Themen zu identifizieren und intern in der Bundesregierung abzustimmen, um im Rat sprechfähig zu sein“, sagt BMWi-Abteilungsleiterin Kirsten Scholl. Es empfehle sich auch, bereits früh an die EU-Kommission heranzutreten, um Einfluss zu nehmen. Bisweilen gelingt das auch: Seine Stellungnahme zum “Fit for 55”-Paket etwa hinterlegte Berlin bereits im Mai in Brüssel, während die Kommission ihre Gesetzesvorschläge noch formulierte.  

Darauf sind die Beteiligten ausgesprochen stolz. Aber es bleibt eine Rarität: Oft verhindern die Reibungsverluste im Apparat, dass Deutschland sein volles Gewicht in die Brüsseler Waage legen kann. Dabei orientieren sich gerade kleinere Mitgliedsstaaten häufig an der Meinung der Bundesregierung. In den Verhandlungen zum europäischen Klimagesetz etwa hätten andere Regierungen ihren Vertretern die pauschale Weisung gegeben, sich der Positionierung Berlins anzuschließen, berichten Beteiligte – die aber ließ in der heißen Phase des Trilogs im Frühjahr des Öfteren auf sich warten.  

Schrittweise Eskalation 

Schon Abstimmungsprozesse auf Arbeitsebene seien “zum Teil kompliziert, auch wenn sie es gar nicht sein müssten”, heißt es im Bundesumweltministerium. Richtig langwierig kann es werden, wenn die politischen Meinungen innerhalb der Koalition auseinanderklaffen. So stritt Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) vor dem deutschen Ratsvorsitz 2020 monatelang mit seinen Unionskollegen, ob ein europäischer Mindestlohn ins Präsidentschaftsprogramm aufgenommen werden solle. Am Ende musste der Koalitionsausschuss entscheiden – eine Woche vor Beginn der Ratspräsidentschaft Anfang Juli. 

Während in Frankreich der Élysée-Palast das klare Machtzentrum ist, gibt es in der Bundesregierung oftmals widerstreitende Interessen. Zwar koordinieren formell das Auswärtige Amt und das Bundeswirtschaftsministerium die Europapolitik. Gemeinsam mit dem Kanzleramt und den beiden EU-Botschaftern Clauß und Szech-Koundouros bereiten Außen- und Wirtschaftsressort in der Regel dienstags die tags darauf stattfindenden Sitzungen der Ausschüsse der Ständigen Vertreter (AStV I und II) vor und unterzeichnen die Weisungen, die das jeweils federführende Fachministerium vorbereitet hat.  

Eine Weisungsbefugnis gegenüber den anderen Häusern aber haben AA und BMWi nicht. Ihnen bleibt nur, Druck auf die anderen Ministerien auszuüben und ein Streitthema notfalls bis auf die Ebene der Staatssekretäre oder gar Minister zu eskalieren. Das löse das Grundproblem aber nicht, kritisiert Brok: “Eine Koordinierung unter Gleichrangigen funktioniert nicht.”  

De facto laufen viele Fäden längst woanders zusammen: “Die wichtigen europapolitischen Fragen werden im Kanzleramt und im Bundesfinanzministerium entschieden”, sagt Jana Puglierin, Leiterin des Berliner Büros des European Council on Foreign Relations (ECFR). Das BMF habe im Zuge der Euro-Krise und als Haus von Vizekanzler Olaf Scholz (SPD) an Bedeutung gewonnen.  

Zentrale Koordinierung nötig? 

Oft aber führt kein Weg vorbei am Kanzleramt. Das liegt auch daran, dass der Europäische Rat als Entscheidungsgremium enorm an Bedeutung gewonnen hat: Ob Flüchtlings-, Corona- oder Klimakrise, stets müssen die Staats- und Regierungschefs die großen Entscheidungen treffen. Die Fachministerien in Berlin dürfen die Kanzlerin zwar vor den Gipfeln briefen – mit welchen Positionen Angela Merkel schließlich die Sitzungen bestreitet, erfahren sie aber höchstens im Nachhinein.  

Viele Beobachter halten die Zeit daher für reif, die formellen und tatsächlichen Kräfteverhältnisse in der deutschen Europapolitik in Einklang zu bringen. “Es gibt viele gute Argumente, die Koordinierung über die Richtlinienkompetenz des Kanzleramtes zu gewährleisten”, sagt Anna-Lena Kirch von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP). Dadurch werde die faktisch sehr starke Rolle des Kanzleramtes transparenter. Linn Selle, Präsidentin der Europäischen Bewegung Deutschland, fordert: “Die Koordinierung muss gestärkt und gleichzeitig verschlankt werden”. 

Gegen eine formelle Aufwertung des Kanzleramtes aber sperren sich nicht nur AA und BMWi. Die Ministerien können sich dabei auf das verfassungsrechtlich festgeschriebene Ressortprinzip berufen. In einer künftigen Regierungskoalition dürfte es für die kleineren Partner kaum akzeptabel sein, Kanzler oder Kanzlerin noch mehr Kompetenzen zu überlassen. Schließlich werden nicht nur in der Klimapolitik die großen Stellhebel auf EU-Ebene bewegt. Till Hoppe/Falk Steiner

Kommende Woche in Europe.Table: Europapolitik im Umbruch – wie die Neuaufstellung nach der Wahl tatsächlich aussehen könnte

  • Bundesregierung
  • Deutschland
  • Europapolitik
  • Green Deal
  • Klima & Umwelt
  • Klimapolitik

Termine

16.08.2021 – 18:00-19:30 Uhr, online
RLS, Seminar: Klimaneutralität, Green Deal, Emissionshandel – alles nur ein Bluff?
Im Seminar der Rosa-Luxemburg-Stiftung (RLS) beleuchtet Prof. Dr. Dr. Helge Peukert (Universität Siegen) die internationale Klimapolitik und unterbreitet radikale Vorschläge für eine Postwachstumsgesellschaft. INFOS & ANMELDUNG

17.08.2021 – 15:00-16:30 Uhr, online
Eco, Seminar (Englisch): Wie man in einer globalisierten, digitalen Welt regelkonform handelt
Dieses Webinar von Eco (Verband der Internetwirtschaft) behandelt das Spannungsverhältnis zwischen der Grenzenlosigkeit der Internetwirtschaft und den häufig nationalen Grenzen von gesetzlichen Rahmen. INFOS & ANMELDUNG

19.08.2021 – 15:00-20:00 Uhr, Berlin
HBS, Konferenz: Öffentliche Investitionen nach Corona in Deutschland und der EU
Beim IMK Forum 2021 der Hans-Böckler-Stiftung (HBS) diskutieren verschiedene Stakeholder Fragen nach der Ausgestaltung von Fiskalregeln und Investitionsbedarfen sowie die Auswirkungen von digitaler Transformation und verschärften Klimazielen auf die öffentlichen Investitionen in Deutschland und der EU. INFOS & ANMELDUNG

19.08.2021 – 18:00 Uhr, online
HSS, Seminar: Mythen der Elektromobilität – Warum sich das Elektroauto durchsetzt
Dr. Stefan Perras (Siemens, Leiter Vorentwicklung Ladeinfrastruktur) gibt beim Seminar der Hanns-Seidel-Stiftung (HSS) einen Ausblick auf Fragen der zukünftigen Verbreitung, Preisentwicklung und Ladeinfrastruktur von E-Autos. INFOS & ANMELDUNG

19.08.2021 – 19:00-21:00 Uhr, online
VDI, Diskussion: Energiespeicher für die Energiewende
Der Verein Deutscher Ingenieure (VDI) lädt zum digitalen Stammtisch, um fachübergreifenden Austausch zu ermöglichen und über Berufspraxis und Karrieremöglichkeiten rund um das Thema Energiewende zu informieren. INFOS

Klar zur Wende? Schifffahrt soll für Emissionen zahlen

Paradigmenwechsel für eine der traditionsreichsten Branchen der Welt: Die globale Schifffahrt soll erstmals für ihren Treibhausgas-Ausstoß in die Pflicht genommen und durch die Ausweitung des europäischen Emissionshandelssystems (ETS) ab 2023 einem CO2-Preis unterworfen werden. Im Rahmen ihres “Fit for 55”-Gesetzespakets hatte die EU-Kommission einen entsprechenden Vorschlag vorgelegt

Der aber geht Umweltverbänden und Europaabgeordneten nicht weit genug. Die Zeit drängt, das hat der jüngste Bericht des Weltklimarates noch einmal vor Augen geführt. Laut Umweltbundesamt macht der Sektor, der rund 90 Prozent des Welthandels abwickelt, etwa 2,6 Prozent des gesamten globalen CO2-Ausstoßes aus. Die Internationale Seeschifffahrtsorganisation (IMO) warnt, ohne politische Gegenmaßnahmen werde der Ausstoß weiter stark steigen.

Bei der Schifffahrt, argumentiert etwa Peter Liese, umweltpolitischer Sprecher der EVP-Fraktion, ließen sich relativ schmerzlos weitere Emissionen einsparen. Auch Jutta Paulus, die zuständige Berichterstatterin des Europaparlaments, will die Kommissionspläne nachschärfen. Der Vorschlag sieht vor, dass auch Unternehmen aus Drittstaaten zumindest für ihre Emissionen bezahlen müssen, sofern Ziel- oder Starthafen in der EU liegen – allerdings nur für die Hälfte der Strecke. 

Paulus ist das zu pauschal: “Die 50-Prozent-Regel sollte nur dann greifen, wenn Drittstaaten ebenfalls ein funktionierendes ETS einführen, sodass die Unternehmen bei entsprechenden Fahrten nicht doppelt belastet werden”, sagt die Grünen-Abgeordnete. Die Internationale Schifffahrtskammer kritisiert die Pläne hingegen: “Es kann nicht gerecht sein, dass Schifffahrtsunternehmen aus Nicht-EU-Ländern gezwungen werden, Milliarden von Euro zur Unterstützung der EU-Konjunkturprogramme zu zahlen.”

Hohe Hürden für kleine Unternehmen

Tatsächlich ist noch unklar, wohin die zusätzlichen Einnahmen aus dem ETS fließen sollen. Das Europaparlament fordert die Einrichtung eines “Ozeanfonds”, über den zumindest ein Teil der Gelder in die Dekarbonisierung des maritimen Sektors reinvestiert werden soll. Der Kommissionsvorschlag hingegen sieht vor, den größten Teil in den EU-Haushalt fließen zu lassen, die Mitgliedsstaaten haben wiederum eigene Pläne. “In diesem Punkt rechne ich mit den größten Kontroversen bei den Verhandlungen“, sagte Paulus zu Europe.Table.

Der Verband Deutscher Reeder warnt derweil vor bürokratischen Hürden. VDR-Präsident Alfred Hartmann spricht von “einer für kleine Schifffahrtsunternehmen nur aufwendig zu organisierenden Teilnahme an einem volatilen Emissionshandel”. Tatsächlich erfolgt die Versteigerung der Zertifikate über komplizierte Auktionen. Ein Vorschlag des EU-Parlaments sieht deshalb die Möglichkeit vor, den CO2-Ausstoß zu erfassen, am Jahresende zu melden und den entsprechenden Betrag gemäß Auktionspreis an den geforderten Ozeanfonds zu überweisen.

Wie hoch der Preis sein wird, ist allerdings nicht absehbar. Der Umweltverband Transport & Environment (T&E) bezweifelt zudem, ob dieser hoch genug sein wird, um in der Schifffahrt für eine Kehrtwende zu sorgen: Demnach bräuchte beispielsweise grünes Ammoniak, das in der Branche als mögliche Alternative gehandelt wird, einen Kohlenstoffpreis von rund 500 Euro pro Tonne, um gegenüber fossilen Kraftstoffen wettbewerbsfähig zu sein. Das entspricht in etwa dem Zehnfachen des gegenwärtigen CO2-Preises im ETS.

Umso wichtiger, so T&E, seien flankierende Maßnahmen wie die Initiative FuelEU Maritime. Laut dem Kommissionsvorschlag müsste der Anteil erneuerbarer und sogenannter low carbon fuels im Schiffsverkehr auf 86 bis 88 Prozent steigen, um das Ziel der Klimaneutralität im Jahr 2050 zu erreichen. Derzeit liegt der Anteil noch bei null Prozent, was laut Kommission einerseits an unzureichenden Anreizen für die Betreiber liegt, andererseits aber auch am Fehlen ausgereifter, erschwinglicher und weltweit nutzbarer technologischer Alternativen.

“Heilmittel schlimmer als die Krankheit”

Dem will die Behörde mit der neuen Initiative begegnen, die ebenfalls im Rahmen des “Fit for 55“-Pakets vorgestellt wurde. T&E aber kritisiert, der Verordnungstext lasse zu viel Spielraum für Alternativen, die zwar günstiger, aber nicht nachhaltig seien: “Mit fossilem LNG und Biokraftstoffen zweifelhafter Herkunft ist das Heilmittel schlimmer als die Krankheit”, sagt Delphine Gozillon, Expertin des Verbandes.

Besonders in Flüssig-Erdgas (Liquid Natural Gas, LNG) sehen Branchenvertreter Potenzial, da beim Verbrennen kein Schwefeloxid oder Feinstaub und weniger CO2 ausgestoßen wird. Laut einer Studie des International Council on Clean Transportation (ICCT) ist es allerdings der immense Methan-Ausstoß, der LNG sogar noch klimaschädlicher macht als herkömmliche Treibstoffe.

Gozillon: “Der sicherste Weg zur Dekarbonisierung sind grüne E-Treibstoffe“. Doch die seien aus Kostengründen nicht konkurrenzfähig und in der Verordnung fehle es an entsprechenden Anreizen. Ihr Vorschlag: Den Beitrag von grünem Ammoniak zum Treibhausgasziel mit dem Faktor fünf zu multiplizieren, um E-Kraftstoffe für Reedereien kosteneffizient zu machen. 

“Dieser Multiplikator wurde in der Folgenabschätzung des Vorschlags ausdrücklich empfohlen, aber von der Kommission ignoriert”, sagt Gozillon. Sie setzt nun auf die bevorstehenden Verhandlungen mit Rat und Parlament.

Das Parlament hatte überdies bereits im vergangenen September dafür gestimmt, im Schiffsverkehr zusätzlich per Zielvorgabe die CO2-Emissionen pro Schiffskategorie bis zum Jahr 2030 um 40 Prozent zu senken. Diese Zahl taucht in den “Fit for 55”-Vorschlägen der Kommission nicht auf. Jutta Paulus will sich jedoch dafür einsetzen, die Vorgabe in der Neuauflage der Energie-Effizienz-Richtlinie (EED) zu verankern.

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News

Google lässt Fotos von Kindern löschen

Die großen US-IT-Konzerne bemühen sich um verstärkten Kinderschutz. Google kündigte jetzt in einem Blogpost an, dass Fotos von Minderjährigen künftig auf Antrag aus den Ergebnissen der Bildersuche der Suchmaschine entfernt würden. Dieses Recht könnten die Minderjährigen selbst, die Eltern oder Erziehungsberechtigten ausüben, so Google-Direktorin Mindy Brooks. Damit verschwinden die Bilder zwar nicht aus dem Internet, werden jedoch in der Praxis deutlich schwerer auffindbar.

Bereits vergangene Woche hatte Apple angekündigt, ebenfalls neue Anstrengungen zum Schutz Minderjähriger unternehmen zu wollen. Der Hard- und Softwareanbieter möchte künftig im Onlinespeicher iCloud die Fotos und Videos seiner Kunden automatisiert auf Inhalte prüfen, die Kindesmissbrauch darstellen. Dazu werden die Fotos und Videos bei iCloud abgeglichen mit der Datenbank des National Center for Missing and Exploited Children (NCMEC). Verdachtsfälle sollen in einem mehrstufigen Verfahren untersucht und an das NCMEC übergeben werden.

Zudem will Apple in Kinderkonten eine Funktion für die hauseigene Nachrichten-App ergänzen, die sexuelle Inhalte erkennen soll. Hierbei sollen die Nutzer gewarnt werden, wenn sie entsprechende Inhalte erhalten oder versenden wollen. Je nach Einstellung soll zudem eine Warnung an die Elternkonten erfolgen.

Beide Funktionen werden von Sicherheitsforschern und Aktivisten scharf kritisiert. Trotz guter Intention sei dies die Büchse der Pandora und untergrabe Privatsphäre und Kryptosicherheit, argumentieren etwa prominente Fachleute wie Sicherheitsexperte Bruce Schneier oder die Electronic Frontiers Foundation (EFF).

Apples Inhalte-Scan der Clouddienste dürfte dabei den EU-Regeln entsprechen. Denn diese erlauben den Anbietern von Onlinespeicherdiensten Scans der von Kunden abgelegten Daten. Erst im Juli war die auch in der EU umstrittene Regelung vom Europäischen Parlament nach langen Diskussionen mit Rat und Kommission verabschiedet worden.

Der eigentliche Anlass für die verstärkten Bemühungen der US-Konzerne dürfte aber vielmehr auf der anderen Seite des Atlantiks liegen: Im US-Kongress werden derzeit gleich mehrere Initiativen beraten, die einen besseren Schutz von Kindern im Internet zum Ziel haben. fst

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Datenschützer greifen Cookie-Banner an

Die österreichischen Datenschutzaktivisten von None of Your Business (NOYB) haben am Dienstag 422 offizielle Beschwerden gegen Webseitenbetreiber bei den Datenschutzaufsichtsbehörden der Mitgliedstaaten eingereicht. Darunter sind laut NOYB auch alle großen Plattformbetreiber im Netz. Die NGO greift damit vor allem die als Dark Patterns bekannt gewordene Technik an, bei der Webseitenbetreiber mit Nutzerführungstricks wie grünen Feldern versuchen, Einwilligungen in Datenverarbeitungen von den Nutzern zu erwirken. Diese Vorgehensweisen sind spätestens seit dem Aufkommen der Cookie-Banner rechtlich massiv in der Kritik.

Im Interview mit Europe.Table hatte NOYB-Gründer Max Schrems bereits angekündigt, gegen solche Techniken künftig auf neue Weise vorzugehen: “Wir haben auf fast jeder Website irgendeinen DSGVO-Verstoß, und dem hinterherzukommen wird man mit Einzelverfahren einfach nicht schaffen.” Schrems setzt deshalb auch auf LegalTech, also die Kombination aus juristischen und technischen Mitteln, bei der mögliche Rechtsverstöße teilautomatisiert identifiziert werden.

Eine funktionierende Rechtsdurchsetzung im Datenschutz wird auch in einem anderen Verfahren thematisiert: Am 23. September wird der Europäische Gerichtshof mündlich über ein deutsches Vorlageverfahren (C-319/20) verhandeln. Hier geht es um die Frage, ob mit deutschen Unterlassungsklagebefugnissen Vorschriften der DSGVO durchgesetzt werden können. Der Bundesgerichtshof hatte die entsprechende Auslegungsfrage dem EuGH vorgelegt, um ein Verfahren zwischen dem Verbraucherzentrale Bundesverband und Facebook abschließend behandeln zu können.

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  • DSGVO
  • E-Privacy-Richtlinie

Presseschau

48,8 Grad auf Sizilien: Wurde der europäische Hitzerekord geknackt? RND
Polish parliament votes in favour of media reform bill REUTERS
Quantentechnologie: Wie die EU den Vorsprung der Konkurrenz aufholen will HEISE
Mutmaßlicher russischer Agent in Potsdam festgenommen ZEIT
Big Tech can’t outrun demands for accountability FT
Big Oil wants to keep drilling in the North Sea. The backlash is growing CNN
Swiss Embassy: Scientist cited by Chinese media on coronavirus doesn’t exist POLITICO
Deutschland und Niederlande setzen Abschiebungen nach Afghanistan aus HANDELSBLATT
Facebook removes Russian network that targeted influencers to peddle anti-vax messages CNN

Standpunkt

Chip-Industrie: Subventionswettlauf vermeiden

Von Niclas Frederic Poitiers
Design von Chips fördern und bestehende Stärken ausbauen - so Bruegel-Experte Niclas Frederic Poitiers.
Niclas Frederic Poitiers forscht bei der Denkfabrik Bruegel zu europäischer Digital- und Handelspolitik

Das globale Rennen um Computerchips ist schneller geworden, nicht nur wegen der derzeitigen Lieferengpässe. Das hat auch mit der Intensivierung des US-chinesischen Konfliktes zu tun, in dem sich China von seiner Importabhängigkeit von Chips zu befreien sucht, während die USA technologischen Vorsprung als militärische und wirtschaftliche Maxime ansehen. 

Nun möchte auch die EU ihre “Strategische Autonomie” durch Industriepolitik in der Halbleiterindustrie stärken. Dabei sollte jedoch der Fokus auf den bestehenden Fähigkeiten und dem Chipdesign liegen. Ein teurer Subventionswettlauf um die Chipherstellung mit den USA und Ostasien sollte vermieden werden.

IT-Hardware ist das wichtigste Exportgut Chinas und verantwortlich für 96 Prozent aller chinesischen Hightech Exporte in die USA. Jedoch muss die Volksrepublik die in diesen Geräten verbauten Chips größtenteils importieren. Diese Abhängigkeit haben sich die USA für Wirtschaftssanktionen zunutze gemacht. 

Doch auch die USA haben im Rennen um die Produktion von Chips den Anschluss an Taiwan und Südkorea verloren. Daher hat die Biden-Administration öffentliche Investitionen in die Branche in Höhe von 50 Milliarden Dollar vorgeschlagen. China investiert selbst massiv, um seine Abhängigkeit von Importen zu verringern, jedoch mit beschränktem Erfolg, da es an Know-how und Zugang zu ausländischen Technologien fehlt. 

Jetzt möchte auch die EU durch eine Industrie-Allianz und neue öffentliche Beihilfeprogramme verstärkt in der Branche mitmischen. Ziel der EU-Strategie ist es, öffentliche und private Investitionen in der Größenordnung von 20 bis 30 Milliarden Euro zu mobilisieren. Bis 2030 soll damit der Anteil der EU an der weltweiten Fabrikation von Halbleitern auf 20 Prozent verdoppelt werden. 

Wenig Bedarf an Halbleitern in Europa

Auch wenn die Potenziale und die geostrategische Rolle dieser Industrie unbestritten sind, erweist sich dieses Ziel bei genauerem Hinsehen als unrealistisch. So gibt es in der EU bisher keine Produktion der letzten Generation, und auch die bisher aufgewandten Subventionen sind verglichen mit denen anderer Volkswirtschaften klein. Es scheint daher illusorisch, so den etablierten Playern Marktanteile in der Fabrikation abjagen zu wollen. 

Unklar bleibt auch, wie damit höherrangige Ziele erreicht werden könnten. So wird in der EU-Strategie vor allem die “Strategische Autonomie” hervorgehoben. Diese sei durch Importabhängigkeit im Halbleiterbereich gefährdet. Jedoch ist der europäische Bedarf an Halbleitern eher gering, und es ist nicht zu erwarten, dass sich substanzielle Anteile der Nachfrage von Ostasien nach Europa verschieben. 

Darüber hinaus ist die Fabrikation von Halbleitern nur ein Fertigungsschritt in der Produktion von Chips. So haben europäische Unternehmen marktbeherrschende Stellungen im Maschinenbau, die USA setzen zur extraterritorialen Durchsetzung ihrer Sanktionen auf in der Produktion benötigte Softwarelizenzen. 

Durch die Komplexität und Spezialisierung der Branche sind Autarkiebestrebungen aller Akteure ohnehin von vorn­he­r­ein zum Scheitern verurteilt. Sorgen vor einer Benachteiligung kann dank der Interdependenzen in der Wertschöpfungskette durch Nutzung bestehender europäischer Stärken begegnet werden. 

Daher sollte sich eine europäische Industriestrategie im Halbleiterbereich nicht primär auf die Chipproduktion fokussieren. Vielmehr sollte sie bestehende Stärken ausbauen und Bereiche mit höheren Erfolgschancen wie dem Design von Chips fördern. Die kürzlich vorgestellte Industrie-Allianz hat das Chipdesign nun auch explizit als Zielbereich hervorgehoben. Ob dieses auch bei der Vergabe von Subventionen berücksichtigt wird oder hier weiterhin vor allem die Ansiedelung von Fabrikationen gefördert werden soll, ist aber noch unklar. 

Grundsätzlich sollte überdacht werden, wie durch weitergehende Europäisierung der Industriepolitik diese effektiver gestaltet werden kann. Die Investitionskontrolle und wichtige Stellschrauben in der Industriepolitik sind nach wie vor nationale Kompetenzen und folgen oft konvergierenden nationalen Prioritäten. Weitergehende Koordinierung würde im strategischen Wettbewerb mit China und im Streben nach größerer strategischer Autonomie gegenüber den USA erhebliche Vorteile bringen. 

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Apéropa

Soll doch niemand hierzulande behaupten, der Brexit sei ein britisches Eigentor gewesen. Einen Vorteil hat der EU-Austritt jedenfalls unbestreitbar: Er erlaubt es Reisenden über den Ärmelkanal, im Duty-free-Shop günstig einzukaufen. Der größte Anbieter Dufry vermeldet gerade einen hohen Andrang – der Absatz an Alkohol und Tabak schoss zuletzt um 50 bis 100 Prozent nach oben.

Der Run auf die Shops setzte aber erst ein, nachdem die britischen Behörden die Quarantäne-Bestimmungen für geimpfte Rückkehrer aus Frankreich gelockert hatten. Das Nachbarland, eines der beliebtesten Reiseziele britischer Touristen, war zuvor in einer eigenen Kategorie (“amber plus”) im komplizierten Reise-Ampelsystem geführt worden – zur Begründung führte London unter anderem Coronafälle im französischen Übersee-Département Réunion an.

Die Insel aber liegt weit weg, im Indischen Ozean. Nicht nur Paris wertete die strengen Quarantänebestimmungen zur Hauptreisezeit daher als Retourkutsche für die zahlreichen Brexit-Dispute. Insofern also doch wieder ein britisches Eigentor. Till Hoppe

Europe.Table Redaktion

EUROPE.TABLE REDAKTION

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    • Schifffahrt soll für Emissionen zahlen
    • Kinderschutz in der Google-Bildersuche
    • Datenschützer gegen Dark Patterns
    • Standpunkt: Niclas Frederic Poitiers (Bruegel) über die EU-Pläne in der Chip-Industrie
    Liebe Leserin, lieber Leser,

    Deutschland ist das bevölkerungsreichste und wirtschaftlich stärkste EU-Mitglied – aber sicherlich nicht das handlungsschnellste. Der Berliner Regierungsapparat tut sich oft schwer, in laufenden EU-Gesetzgebungsverfahren Position zu beziehen: Ministerien verstricken sich in endlosen Abstimmungsprozessen, Weisungen werden erst in laufende Ratssitzungen gereicht.

    Falk Steiner und ich haben mit etlichen Akteuren in der Bundesregierung gesprochen, um die Ursachen der Malaise zu ergründen. Viele von ihnen sehen die Probleme, die Deutschlands Einfluss am Brüsseler Verhandlungstisch schwächen. Sie können aber an den Rahmenbedingungen wenig ändern.

    Klar ist daher: Nach der Bundestagswahl muss sich etwas ändern. Welche Parteien auch immer künftig koalieren, sie müssen eine Antwort finden. Wie sich die Handelnden die neue Machttektonik in der Europapolitik vorstellen, darüber werden wir in einer der kommenden Ausgabe von Europe.Table berichten.

    Ihr
    Till Hoppe
    Bild von Till  Hoppe

    Analyse

    Bedingt sprechfähig: Woran die deutsche Europapolitik krankt

    Nicht weniger als eine Revolution, die viele Lebensbereiche erfassen wird – so sehen auch Verantwortliche in der Bundesregierung die Klimaschutzpläne der EU-Kommission. Viele Lebensbereiche, das heißt aus Regierungsperspektive auch: Viele Ministerien sind berührt. Wie aber kann der Berliner Regierungsapparat ein Thema packen, das die übliche Logik von Zuständigkeiten und Ressortprinzip strapaziert? 

    In der Bundesregierung wird über eine organisatorische Antwort auf den Koordinierungsbedarf diskutiert. “Bei der Bearbeitung der ‘Fit for 55’-Vorschläge müssen wir einen horizontalen Blick innerhalb der Bundesregierung gewährleisten”, sagte Kirsten Scholl, Leiterin der Europaabteilung im Bundeswirtschaftsministerium, zu Europe.Table.  

    In der Ständigen Vertretung Deutschlands in Brüssel wurde deshalb bereits eine Task Force eingerichtet, in der Vertreter der Fachbereiche zusammenarbeiten. Zwischen den deutschen Ministerien werden unterschiedliche Optionen diskutiert: Eine Staatssekretärsrunde etwa könnte die Koordinierung übernehmen. Auch ein Sonderausschuss auf Ministerebene ist denkbar – vergleichbar mit dem Corona-Kabinett. 

    “Zu häufig nicht sprechfähig” 

    Business as usual dürfte in diesem Fall keine geeignete Antwort sein. Die europapolitische Koordinierung in Berlin stößt schon bei einfacheren Dossiers an ihre Grenzen: “Die Bundesregierung braucht tendenziell relativ lange, um eine koordinierte Position zu finden“, sagt Julian Rappold, Forscher am Institut für Europäische Politik (IEP). Der langjährige CDU-Europapolitiker Elmar Brok formuliert es noch deutlicher: “Die Bundesregierung ist in Brüssel zu häufig nicht sprechfähig.” 

    Die Maschinerie hakt oft, das streiten auch die Verantwortlichen in etlichen Ministerien nicht ab. Auch wenn kaum jemand offen darüber sprechen mag. Beteiligte berichten von Sprechzetteln, die erst in laufende Ratssitzungen gereicht werden. Davon, dass der deutsche EU-Botschafter in Brüssel, Michael Clauß, und seine Stellvertreterin Susanne Szech-Koundouros, in Berlin nachfassen müssten, um ihre Weisungen zu erhalten.  

    Dabei haben die Akteure längst erkannt, wie es laufen sollte: “Wir versuchen frühzeitig, wichtige Themen zu identifizieren und intern in der Bundesregierung abzustimmen, um im Rat sprechfähig zu sein“, sagt BMWi-Abteilungsleiterin Kirsten Scholl. Es empfehle sich auch, bereits früh an die EU-Kommission heranzutreten, um Einfluss zu nehmen. Bisweilen gelingt das auch: Seine Stellungnahme zum “Fit for 55”-Paket etwa hinterlegte Berlin bereits im Mai in Brüssel, während die Kommission ihre Gesetzesvorschläge noch formulierte.  

    Darauf sind die Beteiligten ausgesprochen stolz. Aber es bleibt eine Rarität: Oft verhindern die Reibungsverluste im Apparat, dass Deutschland sein volles Gewicht in die Brüsseler Waage legen kann. Dabei orientieren sich gerade kleinere Mitgliedsstaaten häufig an der Meinung der Bundesregierung. In den Verhandlungen zum europäischen Klimagesetz etwa hätten andere Regierungen ihren Vertretern die pauschale Weisung gegeben, sich der Positionierung Berlins anzuschließen, berichten Beteiligte – die aber ließ in der heißen Phase des Trilogs im Frühjahr des Öfteren auf sich warten.  

    Schrittweise Eskalation 

    Schon Abstimmungsprozesse auf Arbeitsebene seien “zum Teil kompliziert, auch wenn sie es gar nicht sein müssten”, heißt es im Bundesumweltministerium. Richtig langwierig kann es werden, wenn die politischen Meinungen innerhalb der Koalition auseinanderklaffen. So stritt Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) vor dem deutschen Ratsvorsitz 2020 monatelang mit seinen Unionskollegen, ob ein europäischer Mindestlohn ins Präsidentschaftsprogramm aufgenommen werden solle. Am Ende musste der Koalitionsausschuss entscheiden – eine Woche vor Beginn der Ratspräsidentschaft Anfang Juli. 

    Während in Frankreich der Élysée-Palast das klare Machtzentrum ist, gibt es in der Bundesregierung oftmals widerstreitende Interessen. Zwar koordinieren formell das Auswärtige Amt und das Bundeswirtschaftsministerium die Europapolitik. Gemeinsam mit dem Kanzleramt und den beiden EU-Botschaftern Clauß und Szech-Koundouros bereiten Außen- und Wirtschaftsressort in der Regel dienstags die tags darauf stattfindenden Sitzungen der Ausschüsse der Ständigen Vertreter (AStV I und II) vor und unterzeichnen die Weisungen, die das jeweils federführende Fachministerium vorbereitet hat.  

    Eine Weisungsbefugnis gegenüber den anderen Häusern aber haben AA und BMWi nicht. Ihnen bleibt nur, Druck auf die anderen Ministerien auszuüben und ein Streitthema notfalls bis auf die Ebene der Staatssekretäre oder gar Minister zu eskalieren. Das löse das Grundproblem aber nicht, kritisiert Brok: “Eine Koordinierung unter Gleichrangigen funktioniert nicht.”  

    De facto laufen viele Fäden längst woanders zusammen: “Die wichtigen europapolitischen Fragen werden im Kanzleramt und im Bundesfinanzministerium entschieden”, sagt Jana Puglierin, Leiterin des Berliner Büros des European Council on Foreign Relations (ECFR). Das BMF habe im Zuge der Euro-Krise und als Haus von Vizekanzler Olaf Scholz (SPD) an Bedeutung gewonnen.  

    Zentrale Koordinierung nötig? 

    Oft aber führt kein Weg vorbei am Kanzleramt. Das liegt auch daran, dass der Europäische Rat als Entscheidungsgremium enorm an Bedeutung gewonnen hat: Ob Flüchtlings-, Corona- oder Klimakrise, stets müssen die Staats- und Regierungschefs die großen Entscheidungen treffen. Die Fachministerien in Berlin dürfen die Kanzlerin zwar vor den Gipfeln briefen – mit welchen Positionen Angela Merkel schließlich die Sitzungen bestreitet, erfahren sie aber höchstens im Nachhinein.  

    Viele Beobachter halten die Zeit daher für reif, die formellen und tatsächlichen Kräfteverhältnisse in der deutschen Europapolitik in Einklang zu bringen. “Es gibt viele gute Argumente, die Koordinierung über die Richtlinienkompetenz des Kanzleramtes zu gewährleisten”, sagt Anna-Lena Kirch von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP). Dadurch werde die faktisch sehr starke Rolle des Kanzleramtes transparenter. Linn Selle, Präsidentin der Europäischen Bewegung Deutschland, fordert: “Die Koordinierung muss gestärkt und gleichzeitig verschlankt werden”. 

    Gegen eine formelle Aufwertung des Kanzleramtes aber sperren sich nicht nur AA und BMWi. Die Ministerien können sich dabei auf das verfassungsrechtlich festgeschriebene Ressortprinzip berufen. In einer künftigen Regierungskoalition dürfte es für die kleineren Partner kaum akzeptabel sein, Kanzler oder Kanzlerin noch mehr Kompetenzen zu überlassen. Schließlich werden nicht nur in der Klimapolitik die großen Stellhebel auf EU-Ebene bewegt. Till Hoppe/Falk Steiner

    Kommende Woche in Europe.Table: Europapolitik im Umbruch – wie die Neuaufstellung nach der Wahl tatsächlich aussehen könnte

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    Termine

    16.08.2021 – 18:00-19:30 Uhr, online
    RLS, Seminar: Klimaneutralität, Green Deal, Emissionshandel – alles nur ein Bluff?
    Im Seminar der Rosa-Luxemburg-Stiftung (RLS) beleuchtet Prof. Dr. Dr. Helge Peukert (Universität Siegen) die internationale Klimapolitik und unterbreitet radikale Vorschläge für eine Postwachstumsgesellschaft. INFOS & ANMELDUNG

    17.08.2021 – 15:00-16:30 Uhr, online
    Eco, Seminar (Englisch): Wie man in einer globalisierten, digitalen Welt regelkonform handelt
    Dieses Webinar von Eco (Verband der Internetwirtschaft) behandelt das Spannungsverhältnis zwischen der Grenzenlosigkeit der Internetwirtschaft und den häufig nationalen Grenzen von gesetzlichen Rahmen. INFOS & ANMELDUNG

    19.08.2021 – 15:00-20:00 Uhr, Berlin
    HBS, Konferenz: Öffentliche Investitionen nach Corona in Deutschland und der EU
    Beim IMK Forum 2021 der Hans-Böckler-Stiftung (HBS) diskutieren verschiedene Stakeholder Fragen nach der Ausgestaltung von Fiskalregeln und Investitionsbedarfen sowie die Auswirkungen von digitaler Transformation und verschärften Klimazielen auf die öffentlichen Investitionen in Deutschland und der EU. INFOS & ANMELDUNG

    19.08.2021 – 18:00 Uhr, online
    HSS, Seminar: Mythen der Elektromobilität – Warum sich das Elektroauto durchsetzt
    Dr. Stefan Perras (Siemens, Leiter Vorentwicklung Ladeinfrastruktur) gibt beim Seminar der Hanns-Seidel-Stiftung (HSS) einen Ausblick auf Fragen der zukünftigen Verbreitung, Preisentwicklung und Ladeinfrastruktur von E-Autos. INFOS & ANMELDUNG

    19.08.2021 – 19:00-21:00 Uhr, online
    VDI, Diskussion: Energiespeicher für die Energiewende
    Der Verein Deutscher Ingenieure (VDI) lädt zum digitalen Stammtisch, um fachübergreifenden Austausch zu ermöglichen und über Berufspraxis und Karrieremöglichkeiten rund um das Thema Energiewende zu informieren. INFOS

    Klar zur Wende? Schifffahrt soll für Emissionen zahlen

    Paradigmenwechsel für eine der traditionsreichsten Branchen der Welt: Die globale Schifffahrt soll erstmals für ihren Treibhausgas-Ausstoß in die Pflicht genommen und durch die Ausweitung des europäischen Emissionshandelssystems (ETS) ab 2023 einem CO2-Preis unterworfen werden. Im Rahmen ihres “Fit for 55”-Gesetzespakets hatte die EU-Kommission einen entsprechenden Vorschlag vorgelegt

    Der aber geht Umweltverbänden und Europaabgeordneten nicht weit genug. Die Zeit drängt, das hat der jüngste Bericht des Weltklimarates noch einmal vor Augen geführt. Laut Umweltbundesamt macht der Sektor, der rund 90 Prozent des Welthandels abwickelt, etwa 2,6 Prozent des gesamten globalen CO2-Ausstoßes aus. Die Internationale Seeschifffahrtsorganisation (IMO) warnt, ohne politische Gegenmaßnahmen werde der Ausstoß weiter stark steigen.

    Bei der Schifffahrt, argumentiert etwa Peter Liese, umweltpolitischer Sprecher der EVP-Fraktion, ließen sich relativ schmerzlos weitere Emissionen einsparen. Auch Jutta Paulus, die zuständige Berichterstatterin des Europaparlaments, will die Kommissionspläne nachschärfen. Der Vorschlag sieht vor, dass auch Unternehmen aus Drittstaaten zumindest für ihre Emissionen bezahlen müssen, sofern Ziel- oder Starthafen in der EU liegen – allerdings nur für die Hälfte der Strecke. 

    Paulus ist das zu pauschal: “Die 50-Prozent-Regel sollte nur dann greifen, wenn Drittstaaten ebenfalls ein funktionierendes ETS einführen, sodass die Unternehmen bei entsprechenden Fahrten nicht doppelt belastet werden”, sagt die Grünen-Abgeordnete. Die Internationale Schifffahrtskammer kritisiert die Pläne hingegen: “Es kann nicht gerecht sein, dass Schifffahrtsunternehmen aus Nicht-EU-Ländern gezwungen werden, Milliarden von Euro zur Unterstützung der EU-Konjunkturprogramme zu zahlen.”

    Hohe Hürden für kleine Unternehmen

    Tatsächlich ist noch unklar, wohin die zusätzlichen Einnahmen aus dem ETS fließen sollen. Das Europaparlament fordert die Einrichtung eines “Ozeanfonds”, über den zumindest ein Teil der Gelder in die Dekarbonisierung des maritimen Sektors reinvestiert werden soll. Der Kommissionsvorschlag hingegen sieht vor, den größten Teil in den EU-Haushalt fließen zu lassen, die Mitgliedsstaaten haben wiederum eigene Pläne. “In diesem Punkt rechne ich mit den größten Kontroversen bei den Verhandlungen“, sagte Paulus zu Europe.Table.

    Der Verband Deutscher Reeder warnt derweil vor bürokratischen Hürden. VDR-Präsident Alfred Hartmann spricht von “einer für kleine Schifffahrtsunternehmen nur aufwendig zu organisierenden Teilnahme an einem volatilen Emissionshandel”. Tatsächlich erfolgt die Versteigerung der Zertifikate über komplizierte Auktionen. Ein Vorschlag des EU-Parlaments sieht deshalb die Möglichkeit vor, den CO2-Ausstoß zu erfassen, am Jahresende zu melden und den entsprechenden Betrag gemäß Auktionspreis an den geforderten Ozeanfonds zu überweisen.

    Wie hoch der Preis sein wird, ist allerdings nicht absehbar. Der Umweltverband Transport & Environment (T&E) bezweifelt zudem, ob dieser hoch genug sein wird, um in der Schifffahrt für eine Kehrtwende zu sorgen: Demnach bräuchte beispielsweise grünes Ammoniak, das in der Branche als mögliche Alternative gehandelt wird, einen Kohlenstoffpreis von rund 500 Euro pro Tonne, um gegenüber fossilen Kraftstoffen wettbewerbsfähig zu sein. Das entspricht in etwa dem Zehnfachen des gegenwärtigen CO2-Preises im ETS.

    Umso wichtiger, so T&E, seien flankierende Maßnahmen wie die Initiative FuelEU Maritime. Laut dem Kommissionsvorschlag müsste der Anteil erneuerbarer und sogenannter low carbon fuels im Schiffsverkehr auf 86 bis 88 Prozent steigen, um das Ziel der Klimaneutralität im Jahr 2050 zu erreichen. Derzeit liegt der Anteil noch bei null Prozent, was laut Kommission einerseits an unzureichenden Anreizen für die Betreiber liegt, andererseits aber auch am Fehlen ausgereifter, erschwinglicher und weltweit nutzbarer technologischer Alternativen.

    “Heilmittel schlimmer als die Krankheit”

    Dem will die Behörde mit der neuen Initiative begegnen, die ebenfalls im Rahmen des “Fit for 55“-Pakets vorgestellt wurde. T&E aber kritisiert, der Verordnungstext lasse zu viel Spielraum für Alternativen, die zwar günstiger, aber nicht nachhaltig seien: “Mit fossilem LNG und Biokraftstoffen zweifelhafter Herkunft ist das Heilmittel schlimmer als die Krankheit”, sagt Delphine Gozillon, Expertin des Verbandes.

    Besonders in Flüssig-Erdgas (Liquid Natural Gas, LNG) sehen Branchenvertreter Potenzial, da beim Verbrennen kein Schwefeloxid oder Feinstaub und weniger CO2 ausgestoßen wird. Laut einer Studie des International Council on Clean Transportation (ICCT) ist es allerdings der immense Methan-Ausstoß, der LNG sogar noch klimaschädlicher macht als herkömmliche Treibstoffe.

    Gozillon: “Der sicherste Weg zur Dekarbonisierung sind grüne E-Treibstoffe“. Doch die seien aus Kostengründen nicht konkurrenzfähig und in der Verordnung fehle es an entsprechenden Anreizen. Ihr Vorschlag: Den Beitrag von grünem Ammoniak zum Treibhausgasziel mit dem Faktor fünf zu multiplizieren, um E-Kraftstoffe für Reedereien kosteneffizient zu machen. 

    “Dieser Multiplikator wurde in der Folgenabschätzung des Vorschlags ausdrücklich empfohlen, aber von der Kommission ignoriert”, sagt Gozillon. Sie setzt nun auf die bevorstehenden Verhandlungen mit Rat und Parlament.

    Das Parlament hatte überdies bereits im vergangenen September dafür gestimmt, im Schiffsverkehr zusätzlich per Zielvorgabe die CO2-Emissionen pro Schiffskategorie bis zum Jahr 2030 um 40 Prozent zu senken. Diese Zahl taucht in den “Fit for 55”-Vorschlägen der Kommission nicht auf. Jutta Paulus will sich jedoch dafür einsetzen, die Vorgabe in der Neuauflage der Energie-Effizienz-Richtlinie (EED) zu verankern.

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    News

    Google lässt Fotos von Kindern löschen

    Die großen US-IT-Konzerne bemühen sich um verstärkten Kinderschutz. Google kündigte jetzt in einem Blogpost an, dass Fotos von Minderjährigen künftig auf Antrag aus den Ergebnissen der Bildersuche der Suchmaschine entfernt würden. Dieses Recht könnten die Minderjährigen selbst, die Eltern oder Erziehungsberechtigten ausüben, so Google-Direktorin Mindy Brooks. Damit verschwinden die Bilder zwar nicht aus dem Internet, werden jedoch in der Praxis deutlich schwerer auffindbar.

    Bereits vergangene Woche hatte Apple angekündigt, ebenfalls neue Anstrengungen zum Schutz Minderjähriger unternehmen zu wollen. Der Hard- und Softwareanbieter möchte künftig im Onlinespeicher iCloud die Fotos und Videos seiner Kunden automatisiert auf Inhalte prüfen, die Kindesmissbrauch darstellen. Dazu werden die Fotos und Videos bei iCloud abgeglichen mit der Datenbank des National Center for Missing and Exploited Children (NCMEC). Verdachtsfälle sollen in einem mehrstufigen Verfahren untersucht und an das NCMEC übergeben werden.

    Zudem will Apple in Kinderkonten eine Funktion für die hauseigene Nachrichten-App ergänzen, die sexuelle Inhalte erkennen soll. Hierbei sollen die Nutzer gewarnt werden, wenn sie entsprechende Inhalte erhalten oder versenden wollen. Je nach Einstellung soll zudem eine Warnung an die Elternkonten erfolgen.

    Beide Funktionen werden von Sicherheitsforschern und Aktivisten scharf kritisiert. Trotz guter Intention sei dies die Büchse der Pandora und untergrabe Privatsphäre und Kryptosicherheit, argumentieren etwa prominente Fachleute wie Sicherheitsexperte Bruce Schneier oder die Electronic Frontiers Foundation (EFF).

    Apples Inhalte-Scan der Clouddienste dürfte dabei den EU-Regeln entsprechen. Denn diese erlauben den Anbietern von Onlinespeicherdiensten Scans der von Kunden abgelegten Daten. Erst im Juli war die auch in der EU umstrittene Regelung vom Europäischen Parlament nach langen Diskussionen mit Rat und Kommission verabschiedet worden.

    Der eigentliche Anlass für die verstärkten Bemühungen der US-Konzerne dürfte aber vielmehr auf der anderen Seite des Atlantiks liegen: Im US-Kongress werden derzeit gleich mehrere Initiativen beraten, die einen besseren Schutz von Kindern im Internet zum Ziel haben. fst

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    Datenschützer greifen Cookie-Banner an

    Die österreichischen Datenschutzaktivisten von None of Your Business (NOYB) haben am Dienstag 422 offizielle Beschwerden gegen Webseitenbetreiber bei den Datenschutzaufsichtsbehörden der Mitgliedstaaten eingereicht. Darunter sind laut NOYB auch alle großen Plattformbetreiber im Netz. Die NGO greift damit vor allem die als Dark Patterns bekannt gewordene Technik an, bei der Webseitenbetreiber mit Nutzerführungstricks wie grünen Feldern versuchen, Einwilligungen in Datenverarbeitungen von den Nutzern zu erwirken. Diese Vorgehensweisen sind spätestens seit dem Aufkommen der Cookie-Banner rechtlich massiv in der Kritik.

    Im Interview mit Europe.Table hatte NOYB-Gründer Max Schrems bereits angekündigt, gegen solche Techniken künftig auf neue Weise vorzugehen: “Wir haben auf fast jeder Website irgendeinen DSGVO-Verstoß, und dem hinterherzukommen wird man mit Einzelverfahren einfach nicht schaffen.” Schrems setzt deshalb auch auf LegalTech, also die Kombination aus juristischen und technischen Mitteln, bei der mögliche Rechtsverstöße teilautomatisiert identifiziert werden.

    Eine funktionierende Rechtsdurchsetzung im Datenschutz wird auch in einem anderen Verfahren thematisiert: Am 23. September wird der Europäische Gerichtshof mündlich über ein deutsches Vorlageverfahren (C-319/20) verhandeln. Hier geht es um die Frage, ob mit deutschen Unterlassungsklagebefugnissen Vorschriften der DSGVO durchgesetzt werden können. Der Bundesgerichtshof hatte die entsprechende Auslegungsfrage dem EuGH vorgelegt, um ein Verfahren zwischen dem Verbraucherzentrale Bundesverband und Facebook abschließend behandeln zu können.

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    Presseschau

    48,8 Grad auf Sizilien: Wurde der europäische Hitzerekord geknackt? RND
    Polish parliament votes in favour of media reform bill REUTERS
    Quantentechnologie: Wie die EU den Vorsprung der Konkurrenz aufholen will HEISE
    Mutmaßlicher russischer Agent in Potsdam festgenommen ZEIT
    Big Tech can’t outrun demands for accountability FT
    Big Oil wants to keep drilling in the North Sea. The backlash is growing CNN
    Swiss Embassy: Scientist cited by Chinese media on coronavirus doesn’t exist POLITICO
    Deutschland und Niederlande setzen Abschiebungen nach Afghanistan aus HANDELSBLATT
    Facebook removes Russian network that targeted influencers to peddle anti-vax messages CNN

    Standpunkt

    Chip-Industrie: Subventionswettlauf vermeiden

    Von Niclas Frederic Poitiers
    Design von Chips fördern und bestehende Stärken ausbauen - so Bruegel-Experte Niclas Frederic Poitiers.
    Niclas Frederic Poitiers forscht bei der Denkfabrik Bruegel zu europäischer Digital- und Handelspolitik

    Das globale Rennen um Computerchips ist schneller geworden, nicht nur wegen der derzeitigen Lieferengpässe. Das hat auch mit der Intensivierung des US-chinesischen Konfliktes zu tun, in dem sich China von seiner Importabhängigkeit von Chips zu befreien sucht, während die USA technologischen Vorsprung als militärische und wirtschaftliche Maxime ansehen. 

    Nun möchte auch die EU ihre “Strategische Autonomie” durch Industriepolitik in der Halbleiterindustrie stärken. Dabei sollte jedoch der Fokus auf den bestehenden Fähigkeiten und dem Chipdesign liegen. Ein teurer Subventionswettlauf um die Chipherstellung mit den USA und Ostasien sollte vermieden werden.

    IT-Hardware ist das wichtigste Exportgut Chinas und verantwortlich für 96 Prozent aller chinesischen Hightech Exporte in die USA. Jedoch muss die Volksrepublik die in diesen Geräten verbauten Chips größtenteils importieren. Diese Abhängigkeit haben sich die USA für Wirtschaftssanktionen zunutze gemacht. 

    Doch auch die USA haben im Rennen um die Produktion von Chips den Anschluss an Taiwan und Südkorea verloren. Daher hat die Biden-Administration öffentliche Investitionen in die Branche in Höhe von 50 Milliarden Dollar vorgeschlagen. China investiert selbst massiv, um seine Abhängigkeit von Importen zu verringern, jedoch mit beschränktem Erfolg, da es an Know-how und Zugang zu ausländischen Technologien fehlt. 

    Jetzt möchte auch die EU durch eine Industrie-Allianz und neue öffentliche Beihilfeprogramme verstärkt in der Branche mitmischen. Ziel der EU-Strategie ist es, öffentliche und private Investitionen in der Größenordnung von 20 bis 30 Milliarden Euro zu mobilisieren. Bis 2030 soll damit der Anteil der EU an der weltweiten Fabrikation von Halbleitern auf 20 Prozent verdoppelt werden. 

    Wenig Bedarf an Halbleitern in Europa

    Auch wenn die Potenziale und die geostrategische Rolle dieser Industrie unbestritten sind, erweist sich dieses Ziel bei genauerem Hinsehen als unrealistisch. So gibt es in der EU bisher keine Produktion der letzten Generation, und auch die bisher aufgewandten Subventionen sind verglichen mit denen anderer Volkswirtschaften klein. Es scheint daher illusorisch, so den etablierten Playern Marktanteile in der Fabrikation abjagen zu wollen. 

    Unklar bleibt auch, wie damit höherrangige Ziele erreicht werden könnten. So wird in der EU-Strategie vor allem die “Strategische Autonomie” hervorgehoben. Diese sei durch Importabhängigkeit im Halbleiterbereich gefährdet. Jedoch ist der europäische Bedarf an Halbleitern eher gering, und es ist nicht zu erwarten, dass sich substanzielle Anteile der Nachfrage von Ostasien nach Europa verschieben. 

    Darüber hinaus ist die Fabrikation von Halbleitern nur ein Fertigungsschritt in der Produktion von Chips. So haben europäische Unternehmen marktbeherrschende Stellungen im Maschinenbau, die USA setzen zur extraterritorialen Durchsetzung ihrer Sanktionen auf in der Produktion benötigte Softwarelizenzen. 

    Durch die Komplexität und Spezialisierung der Branche sind Autarkiebestrebungen aller Akteure ohnehin von vorn­he­r­ein zum Scheitern verurteilt. Sorgen vor einer Benachteiligung kann dank der Interdependenzen in der Wertschöpfungskette durch Nutzung bestehender europäischer Stärken begegnet werden. 

    Daher sollte sich eine europäische Industriestrategie im Halbleiterbereich nicht primär auf die Chipproduktion fokussieren. Vielmehr sollte sie bestehende Stärken ausbauen und Bereiche mit höheren Erfolgschancen wie dem Design von Chips fördern. Die kürzlich vorgestellte Industrie-Allianz hat das Chipdesign nun auch explizit als Zielbereich hervorgehoben. Ob dieses auch bei der Vergabe von Subventionen berücksichtigt wird oder hier weiterhin vor allem die Ansiedelung von Fabrikationen gefördert werden soll, ist aber noch unklar. 

    Grundsätzlich sollte überdacht werden, wie durch weitergehende Europäisierung der Industriepolitik diese effektiver gestaltet werden kann. Die Investitionskontrolle und wichtige Stellschrauben in der Industriepolitik sind nach wie vor nationale Kompetenzen und folgen oft konvergierenden nationalen Prioritäten. Weitergehende Koordinierung würde im strategischen Wettbewerb mit China und im Streben nach größerer strategischer Autonomie gegenüber den USA erhebliche Vorteile bringen. 

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    Apéropa

    Soll doch niemand hierzulande behaupten, der Brexit sei ein britisches Eigentor gewesen. Einen Vorteil hat der EU-Austritt jedenfalls unbestreitbar: Er erlaubt es Reisenden über den Ärmelkanal, im Duty-free-Shop günstig einzukaufen. Der größte Anbieter Dufry vermeldet gerade einen hohen Andrang – der Absatz an Alkohol und Tabak schoss zuletzt um 50 bis 100 Prozent nach oben.

    Der Run auf die Shops setzte aber erst ein, nachdem die britischen Behörden die Quarantäne-Bestimmungen für geimpfte Rückkehrer aus Frankreich gelockert hatten. Das Nachbarland, eines der beliebtesten Reiseziele britischer Touristen, war zuvor in einer eigenen Kategorie (“amber plus”) im komplizierten Reise-Ampelsystem geführt worden – zur Begründung führte London unter anderem Coronafälle im französischen Übersee-Département Réunion an.

    Die Insel aber liegt weit weg, im Indischen Ozean. Nicht nur Paris wertete die strengen Quarantänebestimmungen zur Hauptreisezeit daher als Retourkutsche für die zahlreichen Brexit-Dispute. Insofern also doch wieder ein britisches Eigentor. Till Hoppe

    Europe.Table Redaktion

    EUROPE.TABLE REDAKTION

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