das wäre mal Tempo. Die Verhandlungen im Parlament zur Strommarktreform könnten schon morgen beendet sein – fast zwei Wochen vor der Abstimmung im Industrieausschuss am 19. Juli. Das hoffen zumindest die Grünen. Doch die Frage ist, ob die Fahrt auf der Überholspur nicht zum Knall auf den Energiemärkten führt.
Die spanischen Sozialisten wollen vor der Wahl am 23. unbedingt einen Erfolg einfahren. Die von Energiearmut gebeutelten Wähler sollen mit einer Gewinnabschöpfung bei hohen Strompreisen beruhigt werden. Falsch umgesetzt, könnte das aber Investitionen in Erneuerbare abschrecken, die doch die Preise am nachhaltigsten senken würden.
Durch den Atomkurs der Franzosen sehen einige, wie Luxemburgs Obergrüner Claude Turmes, gar den kompletten Binnenmarkt bedroht. Wo viel Atomstaat, da kein Wettbewerb – wieder könnten die preissenkenden Erneuerbaren ausgebremst werden.
Die Verhandler mögen einen Blick nach Berlin werfen: Welcher Murks bei allzu rasanten Verhandlungen herauskommt, können sie in Echtzeit bei ihren Kollegen im Bundestag bestaunen. Das “Heizungsgesetz” soll ebenfalls am Donnerstag beschlossen werden.
Es geht um Zuschüsse, die Deutschland aus dem Corona-Aufbaufonds (Recovery and Resilience Facility) zustehen. Bislang ist es der Bundesregierung nicht gelungen, den Weg auch nur für die erste Teilauszahlung freizumachen. Nach Informationen von Table.Media wurde noch nicht einmal das “Operational Agreement” mit der EU-Kommission unterzeichnet. Das Dokument regelt die Formalien und Beweislastanforderungen und ist Voraussetzung dafür, dass die EU-Gelder fließen. Die Bundesregierung hat zudem einige Reformen noch nicht umgesetzt, die sie für die Auszahlung der Mittel erbringen muss.
Andere Mitgliedstaaten sind schneller: Bislang wurden von der Kommission bereits 26 Anträge von 18 Mitgliedstaaten auf Auszahlung der Milliarden gebilligt. Gerade in Ländern wie Spanien, Italien und Griechenland, denen deutsche Politiker in der Vergangenheit häufig Reformmüdigkeit vorgeworfen haben, wurden bereits hohe Milliardenbeträge aus Next Generation EU investiert. Allerdings machen die zugesagten Gelder bei diesen Mitgliedstaaten auch einen höheren Anteil gemessen an der Wirtschaftsleistung aus.
Die Zeit drängt. Die Milliarden müssen bis Ende 2026 ausgegeben werden. Nach der Pandemie soll der Umbau der Volkswirtschaft im Sinne des Green Deal vorangetrieben und die Digitalisierung beschleunigt werden. Ziel ist außerdem, die Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen zu reduzieren.
Dafür stellt die EU den Mitgliedstaaten insgesamt 338 Milliarden Euro an Zuschüssen zur Verfügung. Deutschland hat Anspruch auf rund 30 Milliarden Euro. 2,3 Milliarden Euro wurden im August 2021 als Vorfinanzierung an Berlin ausgezahlt, ohne an Bedingungen geknüpft zu sein.
Die Auszahlung der nächsten Tranchen hängt hingegen davon ab, dass die Regierung die individuell mit der Kommission vereinbarten Meilensteine erreicht. Hier hat die Bundesregierung bislang nicht geliefert. Grundlage dafür ist der nationale Aufbau- und Resilienzplan. 42 Prozent der Mittel sollen in Deutschland demnach auf Maßnahmen des Klimaschutzes entfallen, 52 Prozent der Mittel der Digitalisierung zugutekommen.
Zuständig für die Beantragung der Milliardengelder aus dem EU-Haushalt ist das Bundesfinanzministerium. Das Ministerium bestätigt auf Anfrage, dass Deutschland bisher keinen Zahlungsantrag gestellt hat. Man habe den ersten Aufbau- und Resilienzplan (DARP), der bereits im Juli 2021 vom Rat gebilligt wurde, noch einmal ändern müssen. Ein erster Zahlungsantrag solle aber “noch in diesem Jahr eingereicht” werden.
Von den mit der Kommission vereinbarten 129 Meilensteinen und Zielen seien bisher 58 erreicht, sagte der Sprecher. Was der Sprecher nicht sagt: Bei einigen Reformen, die Deutschland erledigen muss, ist die Bundesregierung bis heute den Nachweis schuldig geblieben.
Dazu zählen unter anderem schnellere Genehmigungsverfahren. Konkret geht es um den Abbau von Investitionshemmnissen und Bürokratie in den Verwaltungsabläufen. Auch Maßnahmen zur Dekarbonisierung, der Aufbau einer Wirtschaft mit grünem Wasserstoff sowie nachhaltige Lösungen im Verkehr werden von Deutschland verlangt. Um welche konkreten Reformen es sich handelt und welche davon noch nicht umgesetzt wurden, dazu gibt die Kommission keine Auskunft.
Andere Mitgliedstaaten sind deutlich weiter. Die Regierung des griechischen Ministerpräsidenten Kyriakos Mitsotakis etwa hat der Auszahlung der Mittel höchste politische Priorität eingeräumt. Die Regierung hat im September 2022 die Voraussetzungen dafür geschaffen, dass sie die zweite Rate in Höhe von 3,6 Milliarden Euro bei der Kommission beantragen konnte. Drei Monate später flossen die Milliarden. Mitte Mai hat Athen die dritte Auszahlung der Mittel beantragt. Spätestens im September dürfte der Rat grünes Licht geben und die nächsten 1,72 Milliarden Euro überweisen.
Italien stehen Zuschüsse von 68 Milliarden Euro zu, 28,95 Milliarden sind bereits ausgezahlt. Spanien stehen 69,5 Milliarden Euro an Zuschüssen zur Verfügung, davon wurden bereits 37 Milliarden Euro ausgezahlt. Hinter vorgehaltener Hand und mit gewisser Häme wird in diesen Wochen in Brüssel über Deutschland gesprochen. Länder, die von deutschen Politikern nicht zuletzt in der Schuldenkrise als reformunwillig bezeichnet wurden, agierten inzwischen vorbildlich: Sie haben die Reformen, die die EU-Kommission ihnen im Rahmen des europäischen Semesters abverlangt, etwa bei der Justiz und der Steuerverwaltung, erledigt und kommen daher schon jetzt in den Genuss der Brüsseler Milliarden.
Die deutschen Verbraucher und Unternehmen leiden besonders unter hohen Energiepreisen. Die Kommission hält im Rahmen von Re Power EU für Deutschland Zuschüsse in Höhe von 2,1 Milliarden Euro bereit. Ziel ist, die Dekarbonisierung voranzutreiben. Um an die Brüsseler Milliarden zu kommen, muss jeder Mitgliedstaat bei der EU einen Plan als Kapitel des nationalen Aufbau- und Resilienzplans einreichen.
Wie in Brüssel zu hören ist, sind die Pläne von sieben Mitgliedstaaten bereits eingegangen, darunter sind Portugal, Frankreich, Malta, Dänemark, Estland und die Slowakei. Etwa eine Handvoll Pläne sind bereits geprüft und angenommen. Auch hier hinkt Deutschland hinterher. Wann liefert Deutschland? Ein Ministeriumssprecher kann kein konkretes Datum nennen: “Deutschland befindet sich derzeit im Prozess der Vorbereitung und Abstimmung eines überarbeiteten Plans inklusive eines Re-Power-EU-Kapitels.” Annahmeschluss ist im Dezember.
Das chinesische Handelsministerium Mofcom macht die Ausfuhr von Gallium und Germanium genehmigungspflichtig. Ab dem 1. August brauchen Exporteure eine Lizenz, um die Elemente in andere Länder zu liefern. Basis für die Anordnung des Ministeriums ist das Ausfuhrkontrollgesetz von 2020. Die Kontrollen dienten dem Schutz der “nationalen Sicherheit”, so das Ministerium.
“Das ist ein Spiegel der Exportkontrollmaßnahmen der USA”, schreibt Mathieu Duchâtel, Experte für chinesische Wirtschaft am französischen Thinktank Institut Montaigne. Bisher handele es sich allerdings nicht um einen Ausfuhrstopp: Auch künftig kann jeder Exporteur eine Genehmigung anfragen.
Dennoch werden sich “Europas Halbleiterhersteller erneut im Kreuzfeuer der Rivalität China-USA wiederfinden”, so Duchâtel. Denn China ist der wichtigste Produzent der beiden Metalle. Die Neuregelung schafft jetzt schon Unsicherheit in Hinblick auf die Lieferbarkeit und die Preise. Und gerade Gallium spielt eine Schlüsselrolle für eine neue, kostengünstigere Generation von Halbleitern.
Deutschland hat an der Verfügbarkeit der beiden Metalle ein hohes Interesse. Denn Gallium ist ein Rohstoff für Leistungshalbleiter, die die Autoindustrie braucht. Leistungshalbleiter sind Chips, die hohe Stromspannungen schalten können und damit ein wichtiger Teil der Elektronik von E-Autos. Sie können den Strom stufenlos einstellen und es macht ihnen nichts aus, wenn sie heiß werden.
Leistungshalbleiter lassen sich auch aus Silizium fertigen, dem traditionellen Material von Mikrochips. Doch als kostengünstige und stromsparende Alternative ist derzeit Galliumnitrid groß im Kommen. Ein wichtiger Hersteller von Leistungshalbleitern auf Galliumnitrid-Basis ist Infineon. Das Unternehmen betreibt in Malaysia bereits eine eigene Fabrik für Leistungshalbleiter. Es hat nun zudem den kanadischen Spezialhersteller GaN Systems geschluckt, um diesen Bereich zu stärken.
Die EU fördert derzeit die Weiterentwicklung von Elektronikbauteilen auf Gallium-Basis. Die Galliumnitrid-Chips kommen neben dem Fahrzeugbau auch in vielen anderen Hochtechnologien zum Einsatz, beispielsweise in:
Derzeit kommen rund 98 Prozent des weltweit verbrauchten Galliums aus China. Die EU importiert Gallium zu gut 70 Prozent und Germanium knapp zur Hälfte aus dem asiatischen Land. Der Grund dafür ist nicht etwa, dass das Metall woanders nicht vorkommt – Gallium findet sich auch in Japan, Südkorea, Russland oder Kasachstan. Entscheidend für den hohen Marktanteil ist der günstige Preis, zu dem China exportiert hat.
Auch Deutschland gehörte zu den Produzenten von Gallium, hat die Herstellung aber 2016 eingestellt, weil sie sich angesichts der Überschüsse auf dem Weltmarkt nicht mehr lohnte. Im Zuge der Verringerung strategischer Abhängigkeiten kam jedoch Ende 2021 das Vorhaben auf, Gallium wieder selbst herzustellen.
Derzeit läuft die Forschung dazu, wie das gelingen kann. Es wird aber noch dauern, bis eine nennenswerte Ausbeute zustande kommt. Europa wird noch zehn Jahre brauchen, um seine Abhängigkeit bei Industriemetallen zu verringern, glauben Expertinnen.
Die chinesischen Exportkontrollen stehen im Zusammenhang mit dem Handelsstreit zwischen den USA und China. Die US-Präsidenten Trump und Biden haben eine lange Liste von Sanktionen gegen Chinas Technikfirmen verhängt. Diese dürfen einerseits kaum noch in den USA Geschäfte machen, andererseits hat Washington die chinesische Wirtschaft von modernen US-Halbleitern und deren Produktionsanlagen abgeschnitten.
China reagiert nun mit den Druckmitteln, die ihm zur Verfügung stehen. Wenn die USA keine Chips mehr liefern, liefert China umgekehrt keine Rohstoffe mehr. Die USA sind jedoch vollständig auf Importe der Metalle angewiesen. Chinas Kontrollen sind dabei nicht neu. Seit 2010 ist bereits die Ausfuhr Seltener Erden reguliert.
Wegen der technisch-industriellen Bedeutung von Gallium und Germanium finden sich beide Elemente auf einer Liste der EU mit strategischen Rohstoffen für die Digitalwirtschaft und die Energiewende. Eine Sprecherin der Kommission in Brüssel zeigte sich am Dienstag denn auch “besorgt” über die chinesische Handelsmaßnahme.
Die EU forderte China auf, die Exportlizenzen nur dann zu verweigern, wenn “echte Sicherheitsbedenken” einen Grund dafür geben. Derzeit prüft die Brüsseler Behörde, welche Auswirkungen der Schritt Chinas habe – und ob er kompatibel mit den Handelsregeln der WTO ist.
Der Bundesverband der Deutschen Industrie BDI sieht die neuen Regeln als Weckruf, beim De-Risking schneller voranzukommen. “Pekings angekündigte Exportkontroll-Maßnahmen der für die Halbleiterindustrie wichtigen Rohstoffe Gallium und Germanium verdeutlichen die Dringlichkeit, die Abhängigkeit bei kritischen Rohstoffen jetzt rasch zu reduzieren“, sagt Wolfgang Niedermark, Mitglied der BDI-Hauptgeschäftsführung. Es sei daher positiv, dass die EU bei der Versorgungssicherheit mit kritischen Rohstoffen Tempo mache.
Wer in China die Exportlizenzen beantragt, muss das Zielland und die geplante industrielle Anwendung der Lieferung angeben. Das Mofcom kann die Exportbeschränkungen also sehr genau dosieren. So ließen sich beispielsweise auch Exporte in einzelne EU-Länder verbieten und in andere erlauben. Der wichtigste Adressat des Gesetzes sind aber die USA, die fast ihr ganzes Gallium auf dem Weltmarkt kaufen.
Sieben Unternehmen erfüllen nach eigenen Angaben die neuen EU-Kriterien für Gatekeeper nach dem Digital Markets Act (DMA). “Wir werden nun ihre Anträge prüfen und bis zum 6. September die Gatekeeper für bestimmte Plattformdienste benennen“, sagte Binnenmarktkommissar Thierry Breton am Dienstag. Danach haben die Gatekeeper sechs Monate Zeit, die DMA-Vorschriften zu erfüllen.
Folgende Unternehmen haben erklärt, die Schwellenwerte zu erreichen:
Nach dem im November in Kraft getretenen DMA gelten Unternehmen mit mehr als 45 Millionen monatlich aktiven Nutzern und einer Marktkapitalisierung von 75 Milliarden Euro als Gatekeeper, die einen zentralen Plattformdienst (Core Platform Service) anbieten. Für diese Plattformen gelten künftig strengere Regeln.
“Die Verbraucher werden mehr Dienste zur Auswahl haben, mehr Möglichkeiten, den Anbieter zu wechseln, und sie werden von besseren Preisen und höherer Qualität der Dienste profitieren”, sagte Breton. Zudem würden innovative Unternehmen nicht länger daran gehindert, neue Kunden zu erreichen.
Überraschend ist, dass auch Samsung und der Tiktok-Eigentümer Bytedance sich gemeldet haben. Nach Angaben von Tiktok erfüllt das Unternehmen zwar die quantitativen Kriterien des DMA, jedoch nicht die allgemeinen Anforderungen der Richtlinie. Die sehen vor, dass der Gatekeeper über eine “unvermeidbare Plattform für die Durchführung von Online-Geschäften in der EU” verfügt und ein “festes” Bindeglied zwischen Verbrauchern und Unternehmen ist.
Die Buchungsplattform Booking.com erwartet, kommendes Jahr in die Kategorie der Gatekeeper zu fallen. Im Referenzzeitraum hatte Booking wegen der Corona-Pandemie Umsatzeinbußen erlitten.
“Wir wollen, dass in der EU der Wettbewerb und das beste Angebot am Ende gewinnen und nicht der Monopolist mit den besten Vernetzungsoptionen für die Kunden”, sagte Andreas Schwab (CDU) zu Table.Media. Der Berichterstatter für den DMA im Europaparlament erklärte, die Kommission müsse jetzt jedes Unternehmen anschauen und sagen, was der DMA für die einzelnen Plattformen bedeute.
Beispiel: Google Maps. Würde der Dienst als Bestandteil von Google Search betrachtet, dann würden die Verpflichtungen von Google für die Suchmaschine auch für Google Maps gelten. “Und das wäre aus meiner Sicht wünschenswert”, sagte Schwab.
Die Kommission prüft darüber hinaus Unternehmen, die sich nicht gemeldet haben. Wenn sie feststellen sollte, dass diese Unternehmen faktisch eine Rolle als Gatekeeper innehaben, obwohl sie die Schwellenwerte vielleicht um wenige Euro nicht erreichen, könne die Kommission diese nach Artikel 3 Absatz 8 als Gatekeeper einstufen, sagte Schwab. Auch wenn sie die formalen Voraussetzungen nicht erfüllen. Als Beispiel nannte Schwab Vivendi oder Alibaba. vis
Datenschutzverstöße dürfen Teil von Prüfungen im Wettbewerbsrecht sein. Das hat der Europäische Gerichtshof mit einem gestern veröffentlichten Urteil entschieden. Hintergrund ist ein Streit zwischen Meta Irland und dem deutschen Bundeskartellamt. Darüber hinaus urteilten die Luxemburger Richter auch in einem zweiten wichtigen Sachverhalt: Tracking auf Drittanbieter-Seiten könnte nun vor dem Aus stehen.
Anlass war ein Verfahren des Bundeskartellamts gegen Facebook wegen vermuteten Missbrauchs einer marktbeherrschenden Stellung. Der Facebook-Mutterkonzern hatte argumentiert, dass die Kartellbehörden für den Bereich der Verarbeitung personenbezogener Daten und besonders die Nutzungsbedingungen der Firma nicht zuständig seien und ihre Entscheidungen entsprechend auch nicht darauf stützen könnten.
Das sah der EuGH anders und hob hervor, dass die Kartellbehörden zur loyalen Zusammenarbeit mit den zuständigen Datenschutzaufsichtsbehörden verpflichtet seien. Sie dürften von deren Einschätzung nicht abweichen, ohne sich vorher mit der Datenschutzaufsicht ins Benehmen zu setzen, so die Richter. Im konkreten Fall war die zuständige Aufsichtsbehörde die umstrittene irische Datenschutzaufsicht.
Der Präsident des Bundeskartellamts, Andreas Mundt, sieht das Urteil als einen Durchbruch bei der Anwendung von Kartellrecht bei Digitalunternehmen und sagte: “Das Urteil wird weitreichende Auswirkungen auf die Geschäftsmodelle der Datenwirtschaft haben.” Es gehe um die datenbasierte Marktmacht von Unternehmen. Von einem “wichtigen Zwischenerfolg, um die Datensammelwut der großen Plattformen einzudämmen” spricht Ramona Pop, Vorständin des Verbraucherzentrale Bundesverbands. Die Verbraucherschützer waren bei dem Fall in Luxemburg als Beteiligte im Verfahren involviert.
Auch der CDU-Europaparlamentarier Andreas Schwab freute sich über den Urteilsspruch: “Wir bewegen uns in die richtige Richtung: Zusammenarbeit und Koordinierung zwischen verschiedenen Behörden – wie bereits vom DMA vorgesehen – wird immer wichtiger.” Durch die Vielzahl an zuständigen Behörden für einzelne Teilbereiche der Digitalregulierung wären bei einem anders lautenden Urteilsspruch absehbar größere Probleme auf die EU-Wettbewerbs- und Digitalregulierungssystematik entstanden.
Noch kaum absehbar sind die Auswirkungen eines zweiten Aspekts der gestrigen Entscheidung des EuGH: Die Richter stellten fest, dass Daten, die aus Cookies stammen, nicht “offensichtlich öffentlich” im Sinne der Datenschutzgrundverordnung seien. Das betrifft unter anderem die Einbindung von Like-Buttons und anderen Elementen auf Drittanbieter-Seiten. Dies sei nur dann anzunehmen, wenn ein Nutzer “zuvor, gegebenenfalls durch in voller Kenntnis der Sachlage vorgenommene individuelle Einstellungen, explizit seine Entscheidung zum Ausdruck gebracht hat, die ihn betreffenden Daten einer unbegrenzten Zahl von Personen öffentlich zugänglich zu machen”.
Die Richter führten zudem aus, dass die Zusammenführung von Daten, die aus eingebundenen Elementen in Drittwebseiten oder anderen Angeboten stammen, nur in einem sehr engen rechtlichen Rahmen gerechtfertigt sei: bei einer rechtlichen Verpflichtung und dann, wenn sie tatsächlich erforderlich ist und die Verarbeitung in einem angemessenen Verhältnis zum Ziel steht und darüber hinaus auch noch auf das absolut Notwendige beschränkt ist. Das betrifft unter anderem die Zusammenführung des von Facebook übernommenen Whatsapp, bei dem Meta Nutzerdaten zu Werbezwecken gerne zusammenführen wollte.
“Das heutige Grundsatzurteil des Europäischen Gerichtshofs bedeutet voraussichtlich das Ende dieser allgemein üblichen Surfprotokollierung“, sagte Patrick Breyer, Abgeordneter der Piratenpartei im Europaparlament. fst
Durch Netzwerk- und Skaleneffekte können Plattformen mit Daten einen uneinholbaren Wettbewerbsvorteil erlangen. Dabei profitiert Google wohl am meisten von zusätzlichen Daten. Das ergab eine aktuelle Studie des DIW Berlin. “In der Vergangenheit haben Wettbewerbsbehörden und Regulierer den Wert von Daten nicht ausreichend beachtet“, sagt Studienautor Hannes Ullrich, wissenschaftlicher Mitarbeiter der Abteilung Unternehmen und Märkte im DIW. So habe sich unter anderen Google Vorteile am Markt sichern können.
“Die Wettbewerbsbehörden sollten den Zugang zu Daten als zentralen Faktor berücksichtigen, wenn sie neue Technologien wie Künstliche Intelligenz regulieren wollen“, sagt Ullrich. “Sonst kann sich etwa auch bei großen Sprachmodellen wie ChatGPT unerwünscht Marktmacht anhäufen.”
Alle Unternehmen profitieren davon, wenn sie über größere Datenmengen verfügen. Aber in der Studie zeigen Ullrich und Kollegen, dass Google einen größeren Vorteil aus zusätzlichen Daten zieht als andere. “Bisher gibt es in dem Bereich nur sehr wenig empirische Evidenz, weil sich Google, Meta und andere nicht in die Karten schauen lassen”, erläutert Ullrich. Die DIW-Studie zeige aber, dass Unternehmen digitale Märkte mit ihren Datenmengen zu Kipppunkten führen könnten, die unüberwindbare Hürden für Wettbewerber schaffen.
Für die Nutzerinnen und Nutzer bedeute dies, dass sie weniger Auswahl und schlechtere Angebote zur Verfügung haben als auf Märkten ohne Wettbewerbshürden. “Wir begrüßen daher, dass die EU-Kommission immer mehr Schritte unternimmt, dass Unternehmen Daten teilen müssen”, sagt Ullrich. “Auch wenn die Umsetzung in vielen Fällen nicht trivial ist.”
Mit einem neuartigen Analysedatensatz konnten die Forscher nach eigenen Angaben erstmals messen, wie die Menge der Daten mit der Qualität der Vorhersagen über die Eigenschaften von Nutzern zusammenhängen. Die Studie zeigt, dass alle Unternehmen im Tracking-Markt von zusätzlichen Daten profitieren – sowohl in Bezug auf die Zahl der erfassten Nutzer als auch in Bezug auf die Zahl der erfassten Websites. Die Qualität der Vorhersagen werde besser, doch je mehr Daten dazukommen, desto geringer steige diese Qualität.
Google sticht demnach aber heraus: Durch die enormen Datenmengen und Datentiefe, auf die das Unternehmen Zugriff hat, kann es Nutzer systematisch präziser einschätzen. Dieser Wettbewerbsvorteil könne potenziell dazu führen, dass Google nicht mehr von anderen Marktteilnehmern eingeholt werden kann. vis
Das DIW veröffentlicht die Studie im Wochenbericht um 9 Uhr hier.
EU-Justizkommissar Didier Reynders will mittels einer kleinen Reform die Durchsetzung der Datenschutzgrundverordnung europaweit verbessern. Kern des Vorhabens sind dabei Regeln für die Verfahrensbeteiligten, die Zusammenarbeit der Datenschutzaufsichtsbehörden untereinander sowie die Einführung festgelegter Fristen. Selbst die Frage, ab wann eine Frist beginnt und was ein Werktag ist, wird mit einem eigenen Artikel gewürdigt. Außerdem soll ein Verfahren zur friedlichen Streitbeilegung eingeführt werden, bei dem der ursprüngliche Beschwerdeführer binnen eines Monats widersprechen müsste und eine Einstellung des Verfahrens auch vor Gericht anfechten kann.
Mit dem gestern vorgestellten Vorschlag will die EU-Kommission einigen besonders hartnäckigen Verfahrenstricks zu Leibe rücken. So wird klarer geregelt, welche Regeln für welche Verfahrensschritte in der Zusammenarbeit zwischen den Aufsichtsbehörden in Europa gelten. Auch die Frage, wie mit Beschwerdeführern umzugehen ist, die in anderen Staaten sitzen, ist Teil des Reynders-Vorschlags, genau wie Regelungen für den Dokumentenzugang und den Umgang mit Verfahrensdokumenten.
Zugleich soll die Ergänzungsverordnung auch einen einheitlichen Schutz von Geschäftsgeheimnissen und vertraulichen Informationen bei transnationalen Verfahren sicherstellen. Hier will Reynders ein hohes Maß an Vertraulichkeit garantiert wissen – allerdings enthält der Vorschlag auch einige Vorgaben dafür, wie eine Information überhaupt als vertraulich oder als Geschäftsgeheimnis klassifiziert werden darf.
Hintergrund des Vorschlags sind Vorkommnisse vor allem im Zusammenhang mit der irischen Datenschutzaufsichtsbehörde DPC Ireland. Die hatte vor allem im andauernden Verfahren gegen die Meta-Tochter Facebook für viel Unmut gesorgt.
EU-Justizkommissar Didier Reynders begründete die neuen Vorschläge nun so: “Es liegt auf der Hand, dass die Durchsetzung der DSGVO funktioniert, aber die Verfahren in grenzüberschreitenden Fällen lassen sich noch verbessern.” Kommissionsvizepräsidentin Věra Jourová sprach davon, dass es an der Zeit sei, “dafür zu sorgen, dass wir schneller und entschlossener arbeiten können”. Von der Durchsetzung hänge der Erfolg der DSGVO ab.
Von einer großen und umfangreichen Reform der DSGVO haben EU-Kommission, Mitgliedstaaten und EU-Parlament bislang abgesehen. Der Hauptgrund dafür: die befürchtete Lobbyschlacht.
Eine Kostprobe davon gab es bereits durch das Echo auf die Reynders-Vorschläge am gestrigen Tag: Während Industrieverbände wie der Bitkom und die Computer & Communications Industry Association (CCIA) den fehlenden größeren Reformwillen bemängelten – so wie auch CDU-Europaparlamentarier Axel Voss – waren Daten- und Verbraucherschützer mit den vorgestellten Regularien aus ganz anderen Gründen unzufrieden.
So bemängelte etwa die Verbraucherschutz-Dachorganisation BEUC, dass der Vorschlag keine Vorschriften zur zeitnahen Information von Beschwerdeführern über den Sachstand von Verfahren beinhalte. Außerdem müsse im weiteren Verfahren sichergestellt werden, dass mit der Verordnung keine über die nun vorgeschlagenen Regeln hinausgehenden Verfahrensrechte verhindert würden, so BEUC-Vizegeneraldirektorin Ursula Pachl. Teile der Vorschläge gehen auf Anregungen der europäischen Datenschutzaufsichtsbehörden selbst zurück. fst
Jens Stoltenberg scheint als Generalsekretär der Militärallianz schwer zu ersetzen. Die Botschafter der Nato-Staaten haben am Dienstag das Mandat des Norwegers um ein Jahr bis zum 1. Oktober 2024 verlängert. Die Entscheidung kommt gerade noch rechtzeitig vor dem Gipfel nächste Woche in Vilnius. Er fühle sich “geehrt”, schrieb Stoltenberg auf dem Kurznachrichtendienst Twitter. Dabei hatte der 64-jährige Norweger im Vorfeld kein Geheimnis daraus gemacht, dass er keine Lust auf eine weitere Verlängerung hat und lieber seiner Frau zurück nach Oslo gefolgt wäre.
Jens Stoltenberg muss bleiben, weil die Verbündeten sich nicht auf eine Nachfolgerin oder einen Nachfolger einigen konnten. Der britische Verteidigungsminister Ben Wallace ist der Einzige, der öffentlich sein Interesse an dem Job angemeldet hatte. Ein Brite als Generalsekretär der Militärallianz kam aber für gewichtige EU-Staaten in der Nato nicht infrage. Man wolle London nach dem Brexit nicht mit dem Prestigejob belohnen, sagten Diplomaten. Nach dreizehn Männern auf dem Posten sei zudem die Zeit reif für eine Frau.
Estlands Premierministerin Kaja Kallas war früh im Gespräch, bekannt für klare Aussagen zu Russland und Wladimir Putins Angriffskrieg gegen die Ukraine. Einigen Westeuropäern war die Estin aber zu pointiert. Gute Chancen wurden zwischenzeitlich Dänemarks Regierungschefin Mette Frederiksen zugesagt. Doch am Ende legten sich Polen und Balten quer. Nun sei Zeit für einen Osteuropäer. Frederiksen wäre nach dem Norweger Stoltenberg und dem Dänen Anders Fogh Rasmussen die dritte Skandinavierin in Folge gewesen.
Für Jens Stoltenberg ist es die vierte Verlängerung. Zuerst machte er sich als Bändiger des damaligen US-Präsidenten Donald Trump einen Namen. Seit dem russischen Überfall auf die Ukraine profiliert er sich durch seine besonnene Art.
Für das Bündnis ist die bisher erfolglose Suche nach einem Nachfolger nicht unbedingt ein Zeichen der Stärke. Stoltenberg wird noch im Amt sein, wenn die Nato im April 2024 ihr 75. Jubiläum feiert. Auf dem Gipfel in Washington soll dann aber definitiv Schluss und die Nachfolge geregelt sein, rechtzeitig vor den US-Wahlen und einem möglichen Comeback von Donald Trump. Den Europäern kommt die erneute Verschiebung der Personalie nicht ungelegen. Sie eröffnet mehr Spielraum für ein größeres Personalpaket nach den Europawahlen im Juni nächstes Jahr. sti
Der brasilianische Präsident Luiz Inácio Lula da Silva hat die von Brüssel geforderte Zusatzerklärung zum geplanten Freihandelsabkommen zwischen der Europäischen Union und dem südamerikanischen Wirtschaftsbündnis Mercosur zurückgewiesen. “Das ist inakzeptabel”, sagte er am Dienstag beim Gipfeltreffen der Staats- und Regierungschefs des Mercosur im argentinischen Puerto Iguazú. “Wir wollen kein Abkommen, das uns dazu verdammt, für immer nur Lieferanten von Rohstoffen zu sein“, sagte Lula.
Zuvor hatte er bereits einen Gegenvorschlag angekündigt. “Ich möchte mich dafür einsetzen, dass wir in diesen sechs Monaten das Abkommen mit der Europäischen Union abschließen und über andere Dinge nachdenken können”, sagte der Staatschef mit Blick auf die brasilianische Mercosur-Präsidentschaft für das kommende halbe Jahr. “Wir wollen über das Abkommen diskutieren, aber wir wollen uns nichts aufzwingen lassen.”
Auch Argentiniens Präsident Alberto Fernández kritisierte die von der EU angeregte Zusatzerklärung zu Klima, Umwelt und Menschenrechten. “Sie legt den Fokus zu stark auf den Umweltschutz, ohne die wirtschaftliche und soziale Nachhaltigkeit im Blick zu behalten”, sagte er. Zudem warf er den EU-Staaten Protektionismus vor allem in der Landwirtschaft vor.
Das Freihandelsabkommen zwischen der EU und Mercosur liegt seit dem Abschluss der Verhandlungen 2019 auf Eis. Der Vertrag würde die größte Freihandelszone der Welt mit 780 Millionen Menschen schaffen. Das Abkommen muss noch von allen Mitgliedstaaten ratifiziert werden. Allerdings ist es sowohl in Südamerika als auch in Europa umstritten. Bei ihrer Reise nach Südamerika hatte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen zuletzt dafür geworben, das Freihandelsabkommen so schnell wie möglich umzusetzen.
Lula sagte zudem, er wolle, dass die Mercosur-Staaten in den Gesprächen mit Kanada, Südkorea und Singapur vorankommen. Darüber hinaus könnte der Mercosur auch “neue Verhandlungsfronten” mit China, Indonesien, Vietnam und Ländern in Zentralamerika und der Karibik erkunden. dpa/rtr
Gut gelaunt erzählt der Energieexperte Michael Sterner im Gespräch, dass er am Wochenende an der Fotovoltaikanlage auf seinem Hausdach gebastelt hat. Schnell wird klar: Der berühmte Graben zwischen Theorie und Praxis – für diesen Mann existiert er nicht. “Ich bin in den Bereichen Strom, Wärme und Mobilität zu 83 Prozent autark mit meinem eigenen Solarstrom”, sagt Sterner.
Der 45-jährige Professor für Energiesysteme und Energiespeicher, der an der Ostbayerischen Technischen Hochschule (OTH) Regensburg lehrt und forscht, kommt aus der Praxis. Er hat eine Ausbildung im Elektrohandwerk gemacht und schon Solarzellen auf Schulen in Kenia installiert.
Sterner scheut sich nicht davor, die größtmögliche Öffentlichkeit für sein Thema zu suchen: In der ZDF-Satiresendung “Heute Show” warb er für Windkraft, und wenn der Regensburger Stadtrat einen Energieleitplan vorstellt, der ohne eine Solarpflicht auskommt, dann ruft Sterner im Verbund mit Fridays for Future auch schon mal zu einer Demo vor dem Rathaus auf. Was motiviert ihn? “Ich weiß, dass ich etwas tue, dass meiner Familie und allen Menschen, die auf der Erde leben, gut tut”, sagt der Energieexperte.
Bereits durch sein Elternhaus sei er ökologisch geprägt worden: “Als Landwirte haben wir schon in den 80er-Jahren Biotope mit der Sense bearbeitet. Da haben uns die anderen Leute noch ausgelacht.” Unterwegs in Sachen Energiewende ist Sterner seit Ende der 90er-Jahre.
Auf ein Studium der Mechatronik in Regensburg, einen Master in erneuerbaren Energien in Oldenburg, eine Promotion im Bereich erneuerbare Energiesysteme und Forschungsaufenthalte in Spanien, Chile und Indien, folgte seine Referententätigkeit im Wissenschaftlichen Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU). Inzwischen ist der Professor aus Regensburg einer der profiliertesten Vordenker der Energiewende. Er gilt zum Beispiel als einer der Urheber von Power to Gas – einer Technologie, die es mithilfe der Zerlegung von Wasser in Sauerstoff und Wasserstoff erlaubt, aus erneuerbaren Energien klimafreundliche Gase und Kraftstoffe herzustellen. “Mit dieser Technologie ist die Blackout-Debatte verschwunden. Gasspeicher sind die essenzielle Absicherung gegen Blackouts”, sagt Sterner.
Der Knackpunkt bei der Energiewende liegt für den Energieexperten in der gesellschaftlichen Umsetzung. Also kämpft Sterner gegen Gräben – er will Lösungen anbieten, pragmatisch denken. Mit seinem Buch “So retten wir das Klima” hat er 2022 einen Masterplan für die Energiewende entwickelt. “Damit jeder versteht, wie wir raus aus der Klima- und Energiekrise finden und unser Leben und Wirtschaften klimaneutral gestalten.” Schließlich seien die notwendigen Technologien längst da, man müsse den Wandel nur wollen.
Geschrieben hat Sterner sein Buch für die Boomer-Generation. Für die Menschen, die die Energiewende jetzt umsetzen können, weil sie darüber entscheiden können, klimafreundliche Autos und Heizungen zu kaufen und Gebäude zu sanieren. In der großen Energiedebatte will er möglichst viele Menschen mitnehmen: “Wenn nur noch elektrisch gedacht wird, vergraulen wir viele.” Klimaneutralität sei, sagt Sterner, ein schmaler Grat. Und so mahnt er zum Handeln: “Wir müssen uns pragmatisch auf den Weg der Mitte einigen. Das klappt nur, wenn wir alle gemeinsam wollen.” Gabriele Voßkühler
das wäre mal Tempo. Die Verhandlungen im Parlament zur Strommarktreform könnten schon morgen beendet sein – fast zwei Wochen vor der Abstimmung im Industrieausschuss am 19. Juli. Das hoffen zumindest die Grünen. Doch die Frage ist, ob die Fahrt auf der Überholspur nicht zum Knall auf den Energiemärkten führt.
Die spanischen Sozialisten wollen vor der Wahl am 23. unbedingt einen Erfolg einfahren. Die von Energiearmut gebeutelten Wähler sollen mit einer Gewinnabschöpfung bei hohen Strompreisen beruhigt werden. Falsch umgesetzt, könnte das aber Investitionen in Erneuerbare abschrecken, die doch die Preise am nachhaltigsten senken würden.
Durch den Atomkurs der Franzosen sehen einige, wie Luxemburgs Obergrüner Claude Turmes, gar den kompletten Binnenmarkt bedroht. Wo viel Atomstaat, da kein Wettbewerb – wieder könnten die preissenkenden Erneuerbaren ausgebremst werden.
Die Verhandler mögen einen Blick nach Berlin werfen: Welcher Murks bei allzu rasanten Verhandlungen herauskommt, können sie in Echtzeit bei ihren Kollegen im Bundestag bestaunen. Das “Heizungsgesetz” soll ebenfalls am Donnerstag beschlossen werden.
Es geht um Zuschüsse, die Deutschland aus dem Corona-Aufbaufonds (Recovery and Resilience Facility) zustehen. Bislang ist es der Bundesregierung nicht gelungen, den Weg auch nur für die erste Teilauszahlung freizumachen. Nach Informationen von Table.Media wurde noch nicht einmal das “Operational Agreement” mit der EU-Kommission unterzeichnet. Das Dokument regelt die Formalien und Beweislastanforderungen und ist Voraussetzung dafür, dass die EU-Gelder fließen. Die Bundesregierung hat zudem einige Reformen noch nicht umgesetzt, die sie für die Auszahlung der Mittel erbringen muss.
Andere Mitgliedstaaten sind schneller: Bislang wurden von der Kommission bereits 26 Anträge von 18 Mitgliedstaaten auf Auszahlung der Milliarden gebilligt. Gerade in Ländern wie Spanien, Italien und Griechenland, denen deutsche Politiker in der Vergangenheit häufig Reformmüdigkeit vorgeworfen haben, wurden bereits hohe Milliardenbeträge aus Next Generation EU investiert. Allerdings machen die zugesagten Gelder bei diesen Mitgliedstaaten auch einen höheren Anteil gemessen an der Wirtschaftsleistung aus.
Die Zeit drängt. Die Milliarden müssen bis Ende 2026 ausgegeben werden. Nach der Pandemie soll der Umbau der Volkswirtschaft im Sinne des Green Deal vorangetrieben und die Digitalisierung beschleunigt werden. Ziel ist außerdem, die Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen zu reduzieren.
Dafür stellt die EU den Mitgliedstaaten insgesamt 338 Milliarden Euro an Zuschüssen zur Verfügung. Deutschland hat Anspruch auf rund 30 Milliarden Euro. 2,3 Milliarden Euro wurden im August 2021 als Vorfinanzierung an Berlin ausgezahlt, ohne an Bedingungen geknüpft zu sein.
Die Auszahlung der nächsten Tranchen hängt hingegen davon ab, dass die Regierung die individuell mit der Kommission vereinbarten Meilensteine erreicht. Hier hat die Bundesregierung bislang nicht geliefert. Grundlage dafür ist der nationale Aufbau- und Resilienzplan. 42 Prozent der Mittel sollen in Deutschland demnach auf Maßnahmen des Klimaschutzes entfallen, 52 Prozent der Mittel der Digitalisierung zugutekommen.
Zuständig für die Beantragung der Milliardengelder aus dem EU-Haushalt ist das Bundesfinanzministerium. Das Ministerium bestätigt auf Anfrage, dass Deutschland bisher keinen Zahlungsantrag gestellt hat. Man habe den ersten Aufbau- und Resilienzplan (DARP), der bereits im Juli 2021 vom Rat gebilligt wurde, noch einmal ändern müssen. Ein erster Zahlungsantrag solle aber “noch in diesem Jahr eingereicht” werden.
Von den mit der Kommission vereinbarten 129 Meilensteinen und Zielen seien bisher 58 erreicht, sagte der Sprecher. Was der Sprecher nicht sagt: Bei einigen Reformen, die Deutschland erledigen muss, ist die Bundesregierung bis heute den Nachweis schuldig geblieben.
Dazu zählen unter anderem schnellere Genehmigungsverfahren. Konkret geht es um den Abbau von Investitionshemmnissen und Bürokratie in den Verwaltungsabläufen. Auch Maßnahmen zur Dekarbonisierung, der Aufbau einer Wirtschaft mit grünem Wasserstoff sowie nachhaltige Lösungen im Verkehr werden von Deutschland verlangt. Um welche konkreten Reformen es sich handelt und welche davon noch nicht umgesetzt wurden, dazu gibt die Kommission keine Auskunft.
Andere Mitgliedstaaten sind deutlich weiter. Die Regierung des griechischen Ministerpräsidenten Kyriakos Mitsotakis etwa hat der Auszahlung der Mittel höchste politische Priorität eingeräumt. Die Regierung hat im September 2022 die Voraussetzungen dafür geschaffen, dass sie die zweite Rate in Höhe von 3,6 Milliarden Euro bei der Kommission beantragen konnte. Drei Monate später flossen die Milliarden. Mitte Mai hat Athen die dritte Auszahlung der Mittel beantragt. Spätestens im September dürfte der Rat grünes Licht geben und die nächsten 1,72 Milliarden Euro überweisen.
Italien stehen Zuschüsse von 68 Milliarden Euro zu, 28,95 Milliarden sind bereits ausgezahlt. Spanien stehen 69,5 Milliarden Euro an Zuschüssen zur Verfügung, davon wurden bereits 37 Milliarden Euro ausgezahlt. Hinter vorgehaltener Hand und mit gewisser Häme wird in diesen Wochen in Brüssel über Deutschland gesprochen. Länder, die von deutschen Politikern nicht zuletzt in der Schuldenkrise als reformunwillig bezeichnet wurden, agierten inzwischen vorbildlich: Sie haben die Reformen, die die EU-Kommission ihnen im Rahmen des europäischen Semesters abverlangt, etwa bei der Justiz und der Steuerverwaltung, erledigt und kommen daher schon jetzt in den Genuss der Brüsseler Milliarden.
Die deutschen Verbraucher und Unternehmen leiden besonders unter hohen Energiepreisen. Die Kommission hält im Rahmen von Re Power EU für Deutschland Zuschüsse in Höhe von 2,1 Milliarden Euro bereit. Ziel ist, die Dekarbonisierung voranzutreiben. Um an die Brüsseler Milliarden zu kommen, muss jeder Mitgliedstaat bei der EU einen Plan als Kapitel des nationalen Aufbau- und Resilienzplans einreichen.
Wie in Brüssel zu hören ist, sind die Pläne von sieben Mitgliedstaaten bereits eingegangen, darunter sind Portugal, Frankreich, Malta, Dänemark, Estland und die Slowakei. Etwa eine Handvoll Pläne sind bereits geprüft und angenommen. Auch hier hinkt Deutschland hinterher. Wann liefert Deutschland? Ein Ministeriumssprecher kann kein konkretes Datum nennen: “Deutschland befindet sich derzeit im Prozess der Vorbereitung und Abstimmung eines überarbeiteten Plans inklusive eines Re-Power-EU-Kapitels.” Annahmeschluss ist im Dezember.
Das chinesische Handelsministerium Mofcom macht die Ausfuhr von Gallium und Germanium genehmigungspflichtig. Ab dem 1. August brauchen Exporteure eine Lizenz, um die Elemente in andere Länder zu liefern. Basis für die Anordnung des Ministeriums ist das Ausfuhrkontrollgesetz von 2020. Die Kontrollen dienten dem Schutz der “nationalen Sicherheit”, so das Ministerium.
“Das ist ein Spiegel der Exportkontrollmaßnahmen der USA”, schreibt Mathieu Duchâtel, Experte für chinesische Wirtschaft am französischen Thinktank Institut Montaigne. Bisher handele es sich allerdings nicht um einen Ausfuhrstopp: Auch künftig kann jeder Exporteur eine Genehmigung anfragen.
Dennoch werden sich “Europas Halbleiterhersteller erneut im Kreuzfeuer der Rivalität China-USA wiederfinden”, so Duchâtel. Denn China ist der wichtigste Produzent der beiden Metalle. Die Neuregelung schafft jetzt schon Unsicherheit in Hinblick auf die Lieferbarkeit und die Preise. Und gerade Gallium spielt eine Schlüsselrolle für eine neue, kostengünstigere Generation von Halbleitern.
Deutschland hat an der Verfügbarkeit der beiden Metalle ein hohes Interesse. Denn Gallium ist ein Rohstoff für Leistungshalbleiter, die die Autoindustrie braucht. Leistungshalbleiter sind Chips, die hohe Stromspannungen schalten können und damit ein wichtiger Teil der Elektronik von E-Autos. Sie können den Strom stufenlos einstellen und es macht ihnen nichts aus, wenn sie heiß werden.
Leistungshalbleiter lassen sich auch aus Silizium fertigen, dem traditionellen Material von Mikrochips. Doch als kostengünstige und stromsparende Alternative ist derzeit Galliumnitrid groß im Kommen. Ein wichtiger Hersteller von Leistungshalbleitern auf Galliumnitrid-Basis ist Infineon. Das Unternehmen betreibt in Malaysia bereits eine eigene Fabrik für Leistungshalbleiter. Es hat nun zudem den kanadischen Spezialhersteller GaN Systems geschluckt, um diesen Bereich zu stärken.
Die EU fördert derzeit die Weiterentwicklung von Elektronikbauteilen auf Gallium-Basis. Die Galliumnitrid-Chips kommen neben dem Fahrzeugbau auch in vielen anderen Hochtechnologien zum Einsatz, beispielsweise in:
Derzeit kommen rund 98 Prozent des weltweit verbrauchten Galliums aus China. Die EU importiert Gallium zu gut 70 Prozent und Germanium knapp zur Hälfte aus dem asiatischen Land. Der Grund dafür ist nicht etwa, dass das Metall woanders nicht vorkommt – Gallium findet sich auch in Japan, Südkorea, Russland oder Kasachstan. Entscheidend für den hohen Marktanteil ist der günstige Preis, zu dem China exportiert hat.
Auch Deutschland gehörte zu den Produzenten von Gallium, hat die Herstellung aber 2016 eingestellt, weil sie sich angesichts der Überschüsse auf dem Weltmarkt nicht mehr lohnte. Im Zuge der Verringerung strategischer Abhängigkeiten kam jedoch Ende 2021 das Vorhaben auf, Gallium wieder selbst herzustellen.
Derzeit läuft die Forschung dazu, wie das gelingen kann. Es wird aber noch dauern, bis eine nennenswerte Ausbeute zustande kommt. Europa wird noch zehn Jahre brauchen, um seine Abhängigkeit bei Industriemetallen zu verringern, glauben Expertinnen.
Die chinesischen Exportkontrollen stehen im Zusammenhang mit dem Handelsstreit zwischen den USA und China. Die US-Präsidenten Trump und Biden haben eine lange Liste von Sanktionen gegen Chinas Technikfirmen verhängt. Diese dürfen einerseits kaum noch in den USA Geschäfte machen, andererseits hat Washington die chinesische Wirtschaft von modernen US-Halbleitern und deren Produktionsanlagen abgeschnitten.
China reagiert nun mit den Druckmitteln, die ihm zur Verfügung stehen. Wenn die USA keine Chips mehr liefern, liefert China umgekehrt keine Rohstoffe mehr. Die USA sind jedoch vollständig auf Importe der Metalle angewiesen. Chinas Kontrollen sind dabei nicht neu. Seit 2010 ist bereits die Ausfuhr Seltener Erden reguliert.
Wegen der technisch-industriellen Bedeutung von Gallium und Germanium finden sich beide Elemente auf einer Liste der EU mit strategischen Rohstoffen für die Digitalwirtschaft und die Energiewende. Eine Sprecherin der Kommission in Brüssel zeigte sich am Dienstag denn auch “besorgt” über die chinesische Handelsmaßnahme.
Die EU forderte China auf, die Exportlizenzen nur dann zu verweigern, wenn “echte Sicherheitsbedenken” einen Grund dafür geben. Derzeit prüft die Brüsseler Behörde, welche Auswirkungen der Schritt Chinas habe – und ob er kompatibel mit den Handelsregeln der WTO ist.
Der Bundesverband der Deutschen Industrie BDI sieht die neuen Regeln als Weckruf, beim De-Risking schneller voranzukommen. “Pekings angekündigte Exportkontroll-Maßnahmen der für die Halbleiterindustrie wichtigen Rohstoffe Gallium und Germanium verdeutlichen die Dringlichkeit, die Abhängigkeit bei kritischen Rohstoffen jetzt rasch zu reduzieren“, sagt Wolfgang Niedermark, Mitglied der BDI-Hauptgeschäftsführung. Es sei daher positiv, dass die EU bei der Versorgungssicherheit mit kritischen Rohstoffen Tempo mache.
Wer in China die Exportlizenzen beantragt, muss das Zielland und die geplante industrielle Anwendung der Lieferung angeben. Das Mofcom kann die Exportbeschränkungen also sehr genau dosieren. So ließen sich beispielsweise auch Exporte in einzelne EU-Länder verbieten und in andere erlauben. Der wichtigste Adressat des Gesetzes sind aber die USA, die fast ihr ganzes Gallium auf dem Weltmarkt kaufen.
Sieben Unternehmen erfüllen nach eigenen Angaben die neuen EU-Kriterien für Gatekeeper nach dem Digital Markets Act (DMA). “Wir werden nun ihre Anträge prüfen und bis zum 6. September die Gatekeeper für bestimmte Plattformdienste benennen“, sagte Binnenmarktkommissar Thierry Breton am Dienstag. Danach haben die Gatekeeper sechs Monate Zeit, die DMA-Vorschriften zu erfüllen.
Folgende Unternehmen haben erklärt, die Schwellenwerte zu erreichen:
Nach dem im November in Kraft getretenen DMA gelten Unternehmen mit mehr als 45 Millionen monatlich aktiven Nutzern und einer Marktkapitalisierung von 75 Milliarden Euro als Gatekeeper, die einen zentralen Plattformdienst (Core Platform Service) anbieten. Für diese Plattformen gelten künftig strengere Regeln.
“Die Verbraucher werden mehr Dienste zur Auswahl haben, mehr Möglichkeiten, den Anbieter zu wechseln, und sie werden von besseren Preisen und höherer Qualität der Dienste profitieren”, sagte Breton. Zudem würden innovative Unternehmen nicht länger daran gehindert, neue Kunden zu erreichen.
Überraschend ist, dass auch Samsung und der Tiktok-Eigentümer Bytedance sich gemeldet haben. Nach Angaben von Tiktok erfüllt das Unternehmen zwar die quantitativen Kriterien des DMA, jedoch nicht die allgemeinen Anforderungen der Richtlinie. Die sehen vor, dass der Gatekeeper über eine “unvermeidbare Plattform für die Durchführung von Online-Geschäften in der EU” verfügt und ein “festes” Bindeglied zwischen Verbrauchern und Unternehmen ist.
Die Buchungsplattform Booking.com erwartet, kommendes Jahr in die Kategorie der Gatekeeper zu fallen. Im Referenzzeitraum hatte Booking wegen der Corona-Pandemie Umsatzeinbußen erlitten.
“Wir wollen, dass in der EU der Wettbewerb und das beste Angebot am Ende gewinnen und nicht der Monopolist mit den besten Vernetzungsoptionen für die Kunden”, sagte Andreas Schwab (CDU) zu Table.Media. Der Berichterstatter für den DMA im Europaparlament erklärte, die Kommission müsse jetzt jedes Unternehmen anschauen und sagen, was der DMA für die einzelnen Plattformen bedeute.
Beispiel: Google Maps. Würde der Dienst als Bestandteil von Google Search betrachtet, dann würden die Verpflichtungen von Google für die Suchmaschine auch für Google Maps gelten. “Und das wäre aus meiner Sicht wünschenswert”, sagte Schwab.
Die Kommission prüft darüber hinaus Unternehmen, die sich nicht gemeldet haben. Wenn sie feststellen sollte, dass diese Unternehmen faktisch eine Rolle als Gatekeeper innehaben, obwohl sie die Schwellenwerte vielleicht um wenige Euro nicht erreichen, könne die Kommission diese nach Artikel 3 Absatz 8 als Gatekeeper einstufen, sagte Schwab. Auch wenn sie die formalen Voraussetzungen nicht erfüllen. Als Beispiel nannte Schwab Vivendi oder Alibaba. vis
Datenschutzverstöße dürfen Teil von Prüfungen im Wettbewerbsrecht sein. Das hat der Europäische Gerichtshof mit einem gestern veröffentlichten Urteil entschieden. Hintergrund ist ein Streit zwischen Meta Irland und dem deutschen Bundeskartellamt. Darüber hinaus urteilten die Luxemburger Richter auch in einem zweiten wichtigen Sachverhalt: Tracking auf Drittanbieter-Seiten könnte nun vor dem Aus stehen.
Anlass war ein Verfahren des Bundeskartellamts gegen Facebook wegen vermuteten Missbrauchs einer marktbeherrschenden Stellung. Der Facebook-Mutterkonzern hatte argumentiert, dass die Kartellbehörden für den Bereich der Verarbeitung personenbezogener Daten und besonders die Nutzungsbedingungen der Firma nicht zuständig seien und ihre Entscheidungen entsprechend auch nicht darauf stützen könnten.
Das sah der EuGH anders und hob hervor, dass die Kartellbehörden zur loyalen Zusammenarbeit mit den zuständigen Datenschutzaufsichtsbehörden verpflichtet seien. Sie dürften von deren Einschätzung nicht abweichen, ohne sich vorher mit der Datenschutzaufsicht ins Benehmen zu setzen, so die Richter. Im konkreten Fall war die zuständige Aufsichtsbehörde die umstrittene irische Datenschutzaufsicht.
Der Präsident des Bundeskartellamts, Andreas Mundt, sieht das Urteil als einen Durchbruch bei der Anwendung von Kartellrecht bei Digitalunternehmen und sagte: “Das Urteil wird weitreichende Auswirkungen auf die Geschäftsmodelle der Datenwirtschaft haben.” Es gehe um die datenbasierte Marktmacht von Unternehmen. Von einem “wichtigen Zwischenerfolg, um die Datensammelwut der großen Plattformen einzudämmen” spricht Ramona Pop, Vorständin des Verbraucherzentrale Bundesverbands. Die Verbraucherschützer waren bei dem Fall in Luxemburg als Beteiligte im Verfahren involviert.
Auch der CDU-Europaparlamentarier Andreas Schwab freute sich über den Urteilsspruch: “Wir bewegen uns in die richtige Richtung: Zusammenarbeit und Koordinierung zwischen verschiedenen Behörden – wie bereits vom DMA vorgesehen – wird immer wichtiger.” Durch die Vielzahl an zuständigen Behörden für einzelne Teilbereiche der Digitalregulierung wären bei einem anders lautenden Urteilsspruch absehbar größere Probleme auf die EU-Wettbewerbs- und Digitalregulierungssystematik entstanden.
Noch kaum absehbar sind die Auswirkungen eines zweiten Aspekts der gestrigen Entscheidung des EuGH: Die Richter stellten fest, dass Daten, die aus Cookies stammen, nicht “offensichtlich öffentlich” im Sinne der Datenschutzgrundverordnung seien. Das betrifft unter anderem die Einbindung von Like-Buttons und anderen Elementen auf Drittanbieter-Seiten. Dies sei nur dann anzunehmen, wenn ein Nutzer “zuvor, gegebenenfalls durch in voller Kenntnis der Sachlage vorgenommene individuelle Einstellungen, explizit seine Entscheidung zum Ausdruck gebracht hat, die ihn betreffenden Daten einer unbegrenzten Zahl von Personen öffentlich zugänglich zu machen”.
Die Richter führten zudem aus, dass die Zusammenführung von Daten, die aus eingebundenen Elementen in Drittwebseiten oder anderen Angeboten stammen, nur in einem sehr engen rechtlichen Rahmen gerechtfertigt sei: bei einer rechtlichen Verpflichtung und dann, wenn sie tatsächlich erforderlich ist und die Verarbeitung in einem angemessenen Verhältnis zum Ziel steht und darüber hinaus auch noch auf das absolut Notwendige beschränkt ist. Das betrifft unter anderem die Zusammenführung des von Facebook übernommenen Whatsapp, bei dem Meta Nutzerdaten zu Werbezwecken gerne zusammenführen wollte.
“Das heutige Grundsatzurteil des Europäischen Gerichtshofs bedeutet voraussichtlich das Ende dieser allgemein üblichen Surfprotokollierung“, sagte Patrick Breyer, Abgeordneter der Piratenpartei im Europaparlament. fst
Durch Netzwerk- und Skaleneffekte können Plattformen mit Daten einen uneinholbaren Wettbewerbsvorteil erlangen. Dabei profitiert Google wohl am meisten von zusätzlichen Daten. Das ergab eine aktuelle Studie des DIW Berlin. “In der Vergangenheit haben Wettbewerbsbehörden und Regulierer den Wert von Daten nicht ausreichend beachtet“, sagt Studienautor Hannes Ullrich, wissenschaftlicher Mitarbeiter der Abteilung Unternehmen und Märkte im DIW. So habe sich unter anderen Google Vorteile am Markt sichern können.
“Die Wettbewerbsbehörden sollten den Zugang zu Daten als zentralen Faktor berücksichtigen, wenn sie neue Technologien wie Künstliche Intelligenz regulieren wollen“, sagt Ullrich. “Sonst kann sich etwa auch bei großen Sprachmodellen wie ChatGPT unerwünscht Marktmacht anhäufen.”
Alle Unternehmen profitieren davon, wenn sie über größere Datenmengen verfügen. Aber in der Studie zeigen Ullrich und Kollegen, dass Google einen größeren Vorteil aus zusätzlichen Daten zieht als andere. “Bisher gibt es in dem Bereich nur sehr wenig empirische Evidenz, weil sich Google, Meta und andere nicht in die Karten schauen lassen”, erläutert Ullrich. Die DIW-Studie zeige aber, dass Unternehmen digitale Märkte mit ihren Datenmengen zu Kipppunkten führen könnten, die unüberwindbare Hürden für Wettbewerber schaffen.
Für die Nutzerinnen und Nutzer bedeute dies, dass sie weniger Auswahl und schlechtere Angebote zur Verfügung haben als auf Märkten ohne Wettbewerbshürden. “Wir begrüßen daher, dass die EU-Kommission immer mehr Schritte unternimmt, dass Unternehmen Daten teilen müssen”, sagt Ullrich. “Auch wenn die Umsetzung in vielen Fällen nicht trivial ist.”
Mit einem neuartigen Analysedatensatz konnten die Forscher nach eigenen Angaben erstmals messen, wie die Menge der Daten mit der Qualität der Vorhersagen über die Eigenschaften von Nutzern zusammenhängen. Die Studie zeigt, dass alle Unternehmen im Tracking-Markt von zusätzlichen Daten profitieren – sowohl in Bezug auf die Zahl der erfassten Nutzer als auch in Bezug auf die Zahl der erfassten Websites. Die Qualität der Vorhersagen werde besser, doch je mehr Daten dazukommen, desto geringer steige diese Qualität.
Google sticht demnach aber heraus: Durch die enormen Datenmengen und Datentiefe, auf die das Unternehmen Zugriff hat, kann es Nutzer systematisch präziser einschätzen. Dieser Wettbewerbsvorteil könne potenziell dazu führen, dass Google nicht mehr von anderen Marktteilnehmern eingeholt werden kann. vis
Das DIW veröffentlicht die Studie im Wochenbericht um 9 Uhr hier.
EU-Justizkommissar Didier Reynders will mittels einer kleinen Reform die Durchsetzung der Datenschutzgrundverordnung europaweit verbessern. Kern des Vorhabens sind dabei Regeln für die Verfahrensbeteiligten, die Zusammenarbeit der Datenschutzaufsichtsbehörden untereinander sowie die Einführung festgelegter Fristen. Selbst die Frage, ab wann eine Frist beginnt und was ein Werktag ist, wird mit einem eigenen Artikel gewürdigt. Außerdem soll ein Verfahren zur friedlichen Streitbeilegung eingeführt werden, bei dem der ursprüngliche Beschwerdeführer binnen eines Monats widersprechen müsste und eine Einstellung des Verfahrens auch vor Gericht anfechten kann.
Mit dem gestern vorgestellten Vorschlag will die EU-Kommission einigen besonders hartnäckigen Verfahrenstricks zu Leibe rücken. So wird klarer geregelt, welche Regeln für welche Verfahrensschritte in der Zusammenarbeit zwischen den Aufsichtsbehörden in Europa gelten. Auch die Frage, wie mit Beschwerdeführern umzugehen ist, die in anderen Staaten sitzen, ist Teil des Reynders-Vorschlags, genau wie Regelungen für den Dokumentenzugang und den Umgang mit Verfahrensdokumenten.
Zugleich soll die Ergänzungsverordnung auch einen einheitlichen Schutz von Geschäftsgeheimnissen und vertraulichen Informationen bei transnationalen Verfahren sicherstellen. Hier will Reynders ein hohes Maß an Vertraulichkeit garantiert wissen – allerdings enthält der Vorschlag auch einige Vorgaben dafür, wie eine Information überhaupt als vertraulich oder als Geschäftsgeheimnis klassifiziert werden darf.
Hintergrund des Vorschlags sind Vorkommnisse vor allem im Zusammenhang mit der irischen Datenschutzaufsichtsbehörde DPC Ireland. Die hatte vor allem im andauernden Verfahren gegen die Meta-Tochter Facebook für viel Unmut gesorgt.
EU-Justizkommissar Didier Reynders begründete die neuen Vorschläge nun so: “Es liegt auf der Hand, dass die Durchsetzung der DSGVO funktioniert, aber die Verfahren in grenzüberschreitenden Fällen lassen sich noch verbessern.” Kommissionsvizepräsidentin Věra Jourová sprach davon, dass es an der Zeit sei, “dafür zu sorgen, dass wir schneller und entschlossener arbeiten können”. Von der Durchsetzung hänge der Erfolg der DSGVO ab.
Von einer großen und umfangreichen Reform der DSGVO haben EU-Kommission, Mitgliedstaaten und EU-Parlament bislang abgesehen. Der Hauptgrund dafür: die befürchtete Lobbyschlacht.
Eine Kostprobe davon gab es bereits durch das Echo auf die Reynders-Vorschläge am gestrigen Tag: Während Industrieverbände wie der Bitkom und die Computer & Communications Industry Association (CCIA) den fehlenden größeren Reformwillen bemängelten – so wie auch CDU-Europaparlamentarier Axel Voss – waren Daten- und Verbraucherschützer mit den vorgestellten Regularien aus ganz anderen Gründen unzufrieden.
So bemängelte etwa die Verbraucherschutz-Dachorganisation BEUC, dass der Vorschlag keine Vorschriften zur zeitnahen Information von Beschwerdeführern über den Sachstand von Verfahren beinhalte. Außerdem müsse im weiteren Verfahren sichergestellt werden, dass mit der Verordnung keine über die nun vorgeschlagenen Regeln hinausgehenden Verfahrensrechte verhindert würden, so BEUC-Vizegeneraldirektorin Ursula Pachl. Teile der Vorschläge gehen auf Anregungen der europäischen Datenschutzaufsichtsbehörden selbst zurück. fst
Jens Stoltenberg scheint als Generalsekretär der Militärallianz schwer zu ersetzen. Die Botschafter der Nato-Staaten haben am Dienstag das Mandat des Norwegers um ein Jahr bis zum 1. Oktober 2024 verlängert. Die Entscheidung kommt gerade noch rechtzeitig vor dem Gipfel nächste Woche in Vilnius. Er fühle sich “geehrt”, schrieb Stoltenberg auf dem Kurznachrichtendienst Twitter. Dabei hatte der 64-jährige Norweger im Vorfeld kein Geheimnis daraus gemacht, dass er keine Lust auf eine weitere Verlängerung hat und lieber seiner Frau zurück nach Oslo gefolgt wäre.
Jens Stoltenberg muss bleiben, weil die Verbündeten sich nicht auf eine Nachfolgerin oder einen Nachfolger einigen konnten. Der britische Verteidigungsminister Ben Wallace ist der Einzige, der öffentlich sein Interesse an dem Job angemeldet hatte. Ein Brite als Generalsekretär der Militärallianz kam aber für gewichtige EU-Staaten in der Nato nicht infrage. Man wolle London nach dem Brexit nicht mit dem Prestigejob belohnen, sagten Diplomaten. Nach dreizehn Männern auf dem Posten sei zudem die Zeit reif für eine Frau.
Estlands Premierministerin Kaja Kallas war früh im Gespräch, bekannt für klare Aussagen zu Russland und Wladimir Putins Angriffskrieg gegen die Ukraine. Einigen Westeuropäern war die Estin aber zu pointiert. Gute Chancen wurden zwischenzeitlich Dänemarks Regierungschefin Mette Frederiksen zugesagt. Doch am Ende legten sich Polen und Balten quer. Nun sei Zeit für einen Osteuropäer. Frederiksen wäre nach dem Norweger Stoltenberg und dem Dänen Anders Fogh Rasmussen die dritte Skandinavierin in Folge gewesen.
Für Jens Stoltenberg ist es die vierte Verlängerung. Zuerst machte er sich als Bändiger des damaligen US-Präsidenten Donald Trump einen Namen. Seit dem russischen Überfall auf die Ukraine profiliert er sich durch seine besonnene Art.
Für das Bündnis ist die bisher erfolglose Suche nach einem Nachfolger nicht unbedingt ein Zeichen der Stärke. Stoltenberg wird noch im Amt sein, wenn die Nato im April 2024 ihr 75. Jubiläum feiert. Auf dem Gipfel in Washington soll dann aber definitiv Schluss und die Nachfolge geregelt sein, rechtzeitig vor den US-Wahlen und einem möglichen Comeback von Donald Trump. Den Europäern kommt die erneute Verschiebung der Personalie nicht ungelegen. Sie eröffnet mehr Spielraum für ein größeres Personalpaket nach den Europawahlen im Juni nächstes Jahr. sti
Der brasilianische Präsident Luiz Inácio Lula da Silva hat die von Brüssel geforderte Zusatzerklärung zum geplanten Freihandelsabkommen zwischen der Europäischen Union und dem südamerikanischen Wirtschaftsbündnis Mercosur zurückgewiesen. “Das ist inakzeptabel”, sagte er am Dienstag beim Gipfeltreffen der Staats- und Regierungschefs des Mercosur im argentinischen Puerto Iguazú. “Wir wollen kein Abkommen, das uns dazu verdammt, für immer nur Lieferanten von Rohstoffen zu sein“, sagte Lula.
Zuvor hatte er bereits einen Gegenvorschlag angekündigt. “Ich möchte mich dafür einsetzen, dass wir in diesen sechs Monaten das Abkommen mit der Europäischen Union abschließen und über andere Dinge nachdenken können”, sagte der Staatschef mit Blick auf die brasilianische Mercosur-Präsidentschaft für das kommende halbe Jahr. “Wir wollen über das Abkommen diskutieren, aber wir wollen uns nichts aufzwingen lassen.”
Auch Argentiniens Präsident Alberto Fernández kritisierte die von der EU angeregte Zusatzerklärung zu Klima, Umwelt und Menschenrechten. “Sie legt den Fokus zu stark auf den Umweltschutz, ohne die wirtschaftliche und soziale Nachhaltigkeit im Blick zu behalten”, sagte er. Zudem warf er den EU-Staaten Protektionismus vor allem in der Landwirtschaft vor.
Das Freihandelsabkommen zwischen der EU und Mercosur liegt seit dem Abschluss der Verhandlungen 2019 auf Eis. Der Vertrag würde die größte Freihandelszone der Welt mit 780 Millionen Menschen schaffen. Das Abkommen muss noch von allen Mitgliedstaaten ratifiziert werden. Allerdings ist es sowohl in Südamerika als auch in Europa umstritten. Bei ihrer Reise nach Südamerika hatte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen zuletzt dafür geworben, das Freihandelsabkommen so schnell wie möglich umzusetzen.
Lula sagte zudem, er wolle, dass die Mercosur-Staaten in den Gesprächen mit Kanada, Südkorea und Singapur vorankommen. Darüber hinaus könnte der Mercosur auch “neue Verhandlungsfronten” mit China, Indonesien, Vietnam und Ländern in Zentralamerika und der Karibik erkunden. dpa/rtr
Gut gelaunt erzählt der Energieexperte Michael Sterner im Gespräch, dass er am Wochenende an der Fotovoltaikanlage auf seinem Hausdach gebastelt hat. Schnell wird klar: Der berühmte Graben zwischen Theorie und Praxis – für diesen Mann existiert er nicht. “Ich bin in den Bereichen Strom, Wärme und Mobilität zu 83 Prozent autark mit meinem eigenen Solarstrom”, sagt Sterner.
Der 45-jährige Professor für Energiesysteme und Energiespeicher, der an der Ostbayerischen Technischen Hochschule (OTH) Regensburg lehrt und forscht, kommt aus der Praxis. Er hat eine Ausbildung im Elektrohandwerk gemacht und schon Solarzellen auf Schulen in Kenia installiert.
Sterner scheut sich nicht davor, die größtmögliche Öffentlichkeit für sein Thema zu suchen: In der ZDF-Satiresendung “Heute Show” warb er für Windkraft, und wenn der Regensburger Stadtrat einen Energieleitplan vorstellt, der ohne eine Solarpflicht auskommt, dann ruft Sterner im Verbund mit Fridays for Future auch schon mal zu einer Demo vor dem Rathaus auf. Was motiviert ihn? “Ich weiß, dass ich etwas tue, dass meiner Familie und allen Menschen, die auf der Erde leben, gut tut”, sagt der Energieexperte.
Bereits durch sein Elternhaus sei er ökologisch geprägt worden: “Als Landwirte haben wir schon in den 80er-Jahren Biotope mit der Sense bearbeitet. Da haben uns die anderen Leute noch ausgelacht.” Unterwegs in Sachen Energiewende ist Sterner seit Ende der 90er-Jahre.
Auf ein Studium der Mechatronik in Regensburg, einen Master in erneuerbaren Energien in Oldenburg, eine Promotion im Bereich erneuerbare Energiesysteme und Forschungsaufenthalte in Spanien, Chile und Indien, folgte seine Referententätigkeit im Wissenschaftlichen Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (WBGU). Inzwischen ist der Professor aus Regensburg einer der profiliertesten Vordenker der Energiewende. Er gilt zum Beispiel als einer der Urheber von Power to Gas – einer Technologie, die es mithilfe der Zerlegung von Wasser in Sauerstoff und Wasserstoff erlaubt, aus erneuerbaren Energien klimafreundliche Gase und Kraftstoffe herzustellen. “Mit dieser Technologie ist die Blackout-Debatte verschwunden. Gasspeicher sind die essenzielle Absicherung gegen Blackouts”, sagt Sterner.
Der Knackpunkt bei der Energiewende liegt für den Energieexperten in der gesellschaftlichen Umsetzung. Also kämpft Sterner gegen Gräben – er will Lösungen anbieten, pragmatisch denken. Mit seinem Buch “So retten wir das Klima” hat er 2022 einen Masterplan für die Energiewende entwickelt. “Damit jeder versteht, wie wir raus aus der Klima- und Energiekrise finden und unser Leben und Wirtschaften klimaneutral gestalten.” Schließlich seien die notwendigen Technologien längst da, man müsse den Wandel nur wollen.
Geschrieben hat Sterner sein Buch für die Boomer-Generation. Für die Menschen, die die Energiewende jetzt umsetzen können, weil sie darüber entscheiden können, klimafreundliche Autos und Heizungen zu kaufen und Gebäude zu sanieren. In der großen Energiedebatte will er möglichst viele Menschen mitnehmen: “Wenn nur noch elektrisch gedacht wird, vergraulen wir viele.” Klimaneutralität sei, sagt Sterner, ein schmaler Grat. Und so mahnt er zum Handeln: “Wir müssen uns pragmatisch auf den Weg der Mitte einigen. Das klappt nur, wenn wir alle gemeinsam wollen.” Gabriele Voßkühler