it`s time to say goodbye. Wenn Angela Merkel morgen zum EU-Gipfel nach Brüssel aufbricht, starten die Spitzen von SPD, Grünen und FDP in Berlin beinahe zur gleichen Zeit ihre Verhandlungen zur Bildung der nächsten Koalition. Und so, wie es aussieht, wollen sich Olaf Scholz & Co dafür nicht allzu viel Zeit lassen. Die deutsche Kanzlerin wird also aller Voraussicht nach zu ihrem letzten Gipfel nach Brüssel reisen – und im Rückblick auf die letzten 16 Jahre wird man resümieren: Sie hat dieses Europa geprägt, mit ihrem Verhandlungsgeschick, ihren aus mancherlei Sicht folgenreichen Entscheidungen und nicht zuletzt mit ihrem Führungsanspruch in den zurückliegenden Krisen.
In zwei zentralen Bereichen – der Fiskalpolitik und dem europäischen Zusammenhalt – dürfen die Partner der Union wohl mit Kontinuität im Übergang von Merkel zu Scholz rechnen. Till Hoppe wirft einen Blick auf die Pläne der Kommission zum Stabilitätspakt und Eric Bonse analysiert die Positionen des Rats im Polen-Dilemma.
Das kommende Jahr wird für die Kommission arbeitsreich. Lukas Scheid und Jasmin Kohl fassen das Arbeitsprogramm 2022 zusammen, das die Kommission jetzt veröffentlicht hat und konzentrieren sich dabei vor allem auf die Transformationsbereiche Green Deal und Digitales.
Empfehlen möchte ich Ihnen den Standpunkt von Richard Howitt, der zu dem Schluss kommt, dass die Furcht der Unternehmen vor einer europaweiten Ausdehnung der Pflicht zur Erstellung von Nachhaltigkeitsberichten unbegründet ist. Wenn alle berichten müssen, erhöhe das die Transparenz und Aufwand für jeden Einzelnen, lautet sein Urteil.
Der Streit hatte sich in den letzten Tagen immer mehr verschärft. Zunächst ging es um die umstrittene polnische Justizreform, die die EU-Kommission beanstandet hat. Dann kam ein – von der Regierung in Warschau bestelltes – Urteil des polnischen Verfassungsgerichts hinzu, in dem der Vorrang des EU-Rechts bestritten wird. In Straßburg heizte Morawiecki den Konflikt nun noch weiter an.
Die Debatte um das EU-Recht werde völlig falsch geführt, behauptete er. Seine Regierung sei weder gegen den Rechtsstaat noch gegen den Europäischen Gerichtshof – sondern wolle lediglich verhindern, dass die EU ihre Kompetenzen ständig ausweite. Dagegen hätten auch schon andere Gerichte protestiert, so Morawiecki unter Verweis auf Urteile des Bundesverfassungsgerichts in Karlsruhe.
Polen wolle keineswegs die EU verlassen, sondern sicherstellen, dass kein “Superstaat” entstehe. Ähnlich argumentiert Morawiecki auch in einem Brief an die 27 Staats- und Regierungschefs, die sich am Donnerstag in Brüssel zum EU-Gipfel treffen. Es drohe die Entstehung eines Zentralstaats ohne demokratische Kontrolle, warnt er Kanzlerin Angela Merkel und die anderen EU-Chefs.
Damit versucht der PiS-Politiker, dem Streit um das EU-Recht auszuweichen und eine politische Debatte über die Aufgaben der EU und die Subsidiarität zu führen. Von der Leyen und die meisten Europaabgeordneten sind ihm jedoch nicht auf dieses abschüssige Terrain gefolgt. Das polnische Verfassungsgericht habe das europäische Recht angezweifelt und damit “die Basis der EU” infrage gestellt, betonte die CDU-Politikerin. “Ich bin zutiefst besorgt”, fügte sie hinzu.
Um den Druck auf Polen zu erhöhen, hat von der Leyen erstmals öffentlich ihre Handlungsoptionen ausgebreitet. Sie reichen – wie bereits vor einer Woche im Europe.Table berichtet – von einem Vertragsverletzungsverfahren über die Kürzung von EU-Geldern im Rahmen des neuen Rechtsstaats-Mechanismus bis hin zu einem weiteren Artikel-7-Verfahren, das zum Entzug der Stimmrechte führen kann.
Allerdings blieb offen, ob und wann die EU-Kommission diese Optionen nutzen möchte. Bisher hält die Brüsseler Behörde lediglich einen Vorschuss aus dem polnischen Anteil am Corona-Aufbaufonds zurück. Die Auszahlung sei an die Umsetzung der länderspezifischen Empfehlungen gebunden, sagte von der Leyen. Polen müsse Teile der umstrittenen Justizreform rückgängig machen und zu Unrecht entlassene Richter wieder einsetzen.
Zu möglichen weiteren Sanktionen wollte sich von der Leyen nicht äußern. Die EU-Kommission will offenbar den EU-Gipfel abwarten. Dort zeichnet sich jedoch noch keine klare Linie ab. Ungarn hat sich bereits mit Polen solidarisch erklärt. Merkel hat sich für eine Fortsetzung des Dialogs ausgesprochen. Auf finanziellen Druck setzen dagegen die Niederlande, Österreich und Luxemburg. Auch Frankreich könnte auf eine harte Linie einschwenken.
Die Uneinigkeit der Staats- und Regierungschefs stößt im Europaparlament auf Unverständnis. Bereits seit 2017 laufe ein Artikel-7-Verfahren, jedoch ohne Ergebnis, kritisierte der Fraktionschef der EVP, Manfred Weber. Die Stille im Rat sei eine “schwere Bürde”. Statt eine Untätigkeitsklage gegen die EU-Kommission einzureichen, müsse man die Mitgliedsstaaten zum Handeln bewegen.
Die Fraktionen der Sozialdemokraten, Liberalen, Grünen und Linken wollen jedoch – anders als Weber – den Druck auf die EU-Kommission erhöhen. Von der Leyen müsse nun “schnell reagieren” und EU-Gelder kürzen, sagte Ska Keller (Grüne). Auch der Vorsitzende der Linken-Fraktion, Martin Schirdewan, fordert schnelle Entscheidungen: “Die Zeit schöner Worte ist vorbei, handeln Sie”, sagte er.
Von der Leyen ging auf diese Forderungen jedoch nicht ein. “Diese Situation kann und muss gelöst werden”, sagte sie ausweichend. Die Kommission werde sich an alle Verfahrensschritte halten und die rechtliche Lage mit der gebotenen Gründlichkeit prüfen. Dazu gehöre auch, das noch ausstehende Urteil des Europäischen Gerichtshofs zum neuen Rechtsstaats-Mechanismus abzuwarten.
Morawiecki zeigte sich über die Forderungen aus dem Parlament empört. “Ich bin nicht damit einverstanden, dass Politiker Polen erpressen und Polen drohen”, erklärte er. “Die Sprache der Bedrohungen und Erpressungen möchte ich zurückweisen”, fügte er hinzu. Dies sei zu einer Methode gegenüber einigen Mitgliedstaaten geworden, widerspreche jedoch dem Geist der guten Zusammenarbeit.
Allerdings ließ Morawiecki offen, wie er auf mögliche Sanktionen reagieren würde. Der harte Schlagaustausch im Europaparlament hat die Fronten weiter verhärtet – zu einer Klärung hat er nicht geführt. Die Rechtsstaats-Krise dürfte daher noch einige Zeit weitergehen. Weder Brüssel noch Warschau verfügen über gute Optionen, auch wenn die EU letztlich am längeren Hebel sitzt.
Die EU-Kommission will vermeiden, dass die Mitgliedsstaaten bereits 2023 zu harten Einschnitten in ihren Etats gezwungen werden. Dann greifen nach bisheriger Beschlusslage die Regeln des Stabilitäts- und Wachstumspakts wieder voll. Vizepräsident Valdis Dombrovskis kündigte am Dienstag an, im ersten Quartal 2022 den Mitgliedsstaaten Leitlinien für ihre Finanzpolitik an die Hand geben zu wollen. Diese würden die “neue ökonomische Realität widerspiegeln”, zu denen die infolge der Corona-Pandemie stark gestiegene Staatsverschuldung und hohe Budgetdefizite gehörten.
Die Behörde erwägt zudem, im kommenden Jahr eine Handreichung an die Regierungen zu geben, wie diese die Flexibilitäten des Stabilitäts- und Wachstumspaktes ausschöpfen können. Sie will damit die Konflikte vermeiden, die unweigerlich entstehen würden, wenn sich die EU-Staaten im nächsten Jahr nicht rechtzeitig auf eine Reform der Fiskalregeln einigen. Auch Ökonomen halten eine Übergangslösung für geboten. “Es ist schwer vorstellbar, dass neu formulierte Regeln bis Anfang 2023 das Gesetzgebungsverfahren durchlaufen haben”, sagt der stellvertretende Direktor des Jacques Delors Centre an der Hertie School, Lucas Guttenberg.
Nach den Buchstaben des Stabilitätspaktes müsste die Kommission dann inmitten der wirtschaftlichen Erholung von hoch verschuldeten Ländern wie Italien, Spanien oder Portugal tiefe Einschnitte verlangen, um ihre Staatsverschuldung in Richtung der 60 Prozent-Marke abzutragen. “Wir alle wissen, dass wir einen unterstützende Fiskalpolitik beibehalten müssen”, sagte Wirtschaftskommissar Paolo Gentiloni. Daher könne man nicht die üblichen Maßstäbe anlegen.
Die FDP etwa hat im Wahlkampf gefordert, den Stabilitätspakt ab 2023 wieder voll greifen zu lassen. Bundesfinanzminister Olaf Scholz betonte zuletzt aber, “dass es nicht darum geht, dass nach der Krise in einigen Ländern große Austerity-Programme anstehen”. Darin seien sich die möglichen Partner in einer Ampel-Koalition einig.
Die Kommission hatte am Dienstag die wegen der Pandemie unterbrochene Konsultation zur Überprüfung des Stabilitätspaktes neu gestartet. Die Behörde will damit den Boden bereiten für eine Überarbeitung des Regelwerks, ohne die vergifteten Debatten der Vergangenheit aufzuwärmen. “Wir hoffen, dass die Mitgliedsstaaten nicht in die alten Reflexe zurückfallen“, sagte ein hochrangiger EU-Beamter.
Aus Sicht der Kommission sind folgende Punkte dabei zentral:
Wann die Kommission ihre konkreten Änderungsvorschläge vorlegt, ließ Dombrovskis offen. Die Behörde werde vom Verlauf der Diskussion mit den Mitgliedsstaaten abhängig machen, ob sie einen Legislativvorschlag vorlege, sagte er. Schließlich würde es “sehr herausfordernd” werden, diesen rechtzeitig vor Januar 2023 zu verabschieden. Als mögliche Alternative nannte der Lette, die Behörde könne wie 2015 den Regierungen Interpretationshilfen geben, wie diese die Flexibilitäten des Paktes ausschöpfen könnten.
Zu den diskutierten Optionen gehört laut Dombrovskis die sogenannte Goldene Regel, die Investitionen in Klimaschutzvorhaben von den Defizitregeln ausnehmen würde (Europe.Table berichtete). Wie groß die Realisierungschancen dieses Ansatzes seien, hänge nicht zuletzt an den Koalitionsverhandlungen in Berlin, sagt der Direktor des Thinktanks Bruegel, Guntram Wolff. In Berlin diskutieren SPD, Grüne und FDP derzeit analog Möglichkeiten, wie die nötigen Zukunftsinvestitionen gewährleistet werden können, ohne die Schuldenbremse aufzuweichen.
Das Arbeitsprogramm der Kommission für 2022 gibt einen Überblick, wie die Behörde die sechs politischen Leitlinien ihrer Präsidentin im kommenden Jahr umsetzen möchte und präsentiert neue Gesetzgebungsinitiativen. Insgesamt 42 neue Vorhaben kündigt die Kommission darin an.
Der Klima- und Umweltschutz steht wenig überraschend weit oben auf der Agenda. Der Green Deal hat eine Reihe Gesetzesinitiativen auf den Weg gebracht, darunter auch den EU-Aktionsplan “Schadstofffreiheit von Luft, Wasser und Boden”. Das Arbeitsprogramm der Kommission sieht im kommenden Jahr unter diesem Aktionsplan folgende Punkte vor:
Mit dem sogenannten Kunststoff-Paket will die Kommission im kommenden Jahr mehrere Initiativen in die Wege leiten. Dazu gehören der politische Rahmen für die Kennzeichnung und Verwendung biobasierter Kunststoffe (Q2) sowie Maßnahmen zur Verringerung von Mikroplastik in der Umwelt (Q4).
Wie im neuen Aktionsplan für die Kreislaufwirtschaft angekündigt, bereitet die Kommission zudem einen Legislativvorschlag zum Recht auf Reparatur vor (Europe.Table berichtete). Das Gesetz soll Verbraucherrechte stärken, indem es klare Regeln zur Verfügbarkeit von Ersatzteilen und dem Zugang zu Reparaturen schafft. Der Schwerpunkt liegt auf Elektronik und Informations- sowie Kommunikationstechnik (IKT). Die Kommission will dabei auch Nachrüstungen als Option für eine verbesserte Kreislaufwirtschaft prüfen (Legislativvorschlag geplant für Q3 2022).
Außerdem plant die Kommission, ein Paket mit Rechtsakten zu verschiedenen Klimaschutzmaßnahmen vorzubringen. Darunter die Überprüfung der CO2-Emissionsnormen für schwere Nutzfahrzeuge (Legislativvorschlag geplant für Q4 2022) und ein Gesetzesvorschlag für ein Zertifizierungssystem für den CO2-Abbau aus der Atmosphäre (Legislativvorschlag geplant für Q4 2022).
Gemäß der “twin transition” gehen die Green Deal-Vorhaben auch im Arbeitsprogramm direkt in die Liste der Digitalvorhaben über. Bei ihrer “Rede zur Lage der Union” (SOTEU) hatte Kommissionspräsidentin von der Leyen mit zwei unvorhergesehenen Gesetzesvorhaben überrascht, die nun im Arbeitsprogramm genauer definiert werden:
Diese weiteren Digitalvorhaben wird die Kommission 2022 vorstellen:
EU-Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager hat ihre Pläne zur Reform der Beihilfeleitlinien für Umwelt, Energie und Klimaschutz gegen Kritik verteidigt. Wenn Hilfen für Branchen gewährt werde, die “nicht sehr stromintensiv und nicht sehr handelsintensiv sind, dann besteht ein hohes Risiko der Verzerrung, wenn Hilfe gewährt wird”, sagte sie am Dienstagabend im Europaparlament. Die Kosten für die Unterstützung solcher Sektoren werde zudem oft von anderen Verbrauchern wie privaten Haushalten getragen. Überdies bräuchten energieintensive Unternehmen preisliche Anreize, um in die Verbesserung ihrer Energieeffizienz zu investieren.
Die Kommission überarbeitet derzeit ihre sogenannten CEEAG-Leitlinien. Vestager will die Voraussetzungen für staatliche Beihilfen an energieintensive Sektoren im Sinne der Dekarbonisierung deutlich verschärfen. So soll die geforderte Handelsintensität angehoben und die Liste der beihilfeberechtigten Sektoren stark gekürzt werden. Die finale Version der Leitlinien wird Vestager voraussichtlich im Dezember vorlegen. Zu größeren Änderungen am Entwurf sei sie nicht bereit, heißt es in EU-Kreisen.
Besonders energieintensive Branchen laufen seit mehreren Monaten Sturm gegen die Pläne der EU-Kommission. Auch die Bundesregierung hat in ihrer Stellungnahme an die Kommission Änderungen verlangt (Europe.Table berichtete). Der parlamentarische Geschäftsführer der CDU/CSU-Gruppe im Europaparlament, Markus Pieper, forderte, die Carbon-Leakage-Liste müsse erweitert werden, nicht gekürzt. “Zu viele energieintensive Branchen sind auf staatliche Beihilfen angewiesen, um die Energiewende zu bewältigen”, sagte er. Mit der drohenden Reduzierung der beihilfeberechtigten Branchen um 75 Prozent würde der industriellen Abwanderung aus Europa Vorschub geleistet. tho
Die SPD hat ihre personelle Aufstellung für die anstehenden Koalitionsverhandlungen mit Grünen und FDP gefunden. Ein sechsköpfiges Team unter Führung von Vizefraktionschef Matthias Miersch soll laut einem öffentlich geführten Dokument die Verhandlungen um das Klima- und Energiekapitel führen.
Ebenfalls beteiligt sind Umweltministerin Svenja Schulze, Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil und sein Kollege Dietmar Woidke aus Brandenburg, die Europaabgeordnete Delara Burkhardt und die sächsische Bundestagsabgeordnete Kathrin Michel. Umwelt- und Naturschutzfragen werden in einer separaten Arbeitsgruppe verhandelt, auf Seiten der Sozialdemokraten angeführt von der Parlamentarischen Staatssekretärin im BMU, Rita Schwarzelühr-Sutter.
In die Arbeitsgruppe zur Digitalpolitik gehen die Sozialdemokraten mit Jens Zimmermann, bislang digitalpolitischer Sprecher der Bundestagsfraktion. Zwei weitere Unterhändler:innen kommen ebenfalls aus der Fraktion, mit Elvan Korkmaz-Emre und Falko Mohrs. Hinzu kommt Jan Pörksen, der Chef der Hamburger Senatskanzlei.
Die Verhandlungen in der AG Europa soll auf sozialdemokratischer Vorstandsmitglied Udo Bullmann leiten. Hinzu kommen Europastaatsminister Michael Roth, der Vorsitzende der SPD-Gruppe im Europaparlament, Jens Geier, und die Europaabgeordnete Gaby Bischoff. Die Verhandlungen der Koalitionspartner sollen am Donnerstagnachmittag starten. Nach einer ersten Spitzenrunde sollen ab nächster Woche dann in 22 Arbeitsgruppen fast 300 Teilnehmer einbezogen werden, wie Chef der Sozialdemokraten Norbert Walter-Borjans am Dienstagabend ankündigte. Till Hoppe
Die Fraktion der Liberalen im Europaparlament (Renew)hat einen neuen Vorsitzenden gewählt: Mit Stéphane Séjourné folgt ein Vertrauter von Frankreichs Präsident Emmanuel Macron auf Dacian Cioloş. Dieser hatte sein Amt niedergelegt (Europe.Table berichtete), nachdem er in seiner Heimat Rumänien zum Vorsitzenden der rumänischen liberalen Partei USR-Plus gewählt worden war.
Der 36-jährige Séjourné hatte Macron in seinem Präsidentschaftswahlkampf beraten. 2019 wurde er ins EU-Parlament gewählt. “In Zeiten, in denen illiberale Regierungen das Fundament der europäischen Konstruktion infrage stellen, braucht Europa mehr denn je eine liberale und zentristische Stimme”, sagte Séjourné nach seiner Wahl. tho
Der Anteil der Nutzung erneuerbarer Energien am Bruttoendenergieverbrauch ist in den letzten Jahren in Deutschland im EU-Vergleich unterdurchschnittlich gestiegen. Wie das Statistische Bundesamt am Dienstag mitteilte, erhöhte sich der Anteil erneuerbarer Energien am Bruttoendenergieverbrauch zwischen 2009 und 2019 im EU-Durchschnitt von 13,9 Prozent auf 19,7 Prozent. In Deutschland erhöhte sich der Anteil im Betrachtungszeitraum aber nur von 10,9 auf 17,4 Prozent. Deutschland rangiert damit auf Platz 16 von 27 EU-Mitgliedsstaaten.
Vorreiter der Energiewende sind nach Angaben des Statistikamtes in Nordeuropa zu finden. Schweden etwa deckte im Jahr 2019 bereits 56,4 Prozent des Bruttoendenergieverbrauchs aus erneuerbaren Energien, der Spitzenwert in der EU. Hohe Anteile erneuerbarer Energien verzeichneten 2019 auch Finnland mit 43,1 Prozent, Lettland mit 41,0 Prozent und Dänemark mit 37,2 Prozent. In Luxemburg (7,0 Prozent), Malta (8,5 Prozent) und den Niederlanden (8,8 Prozent) lagen die Anteile besonders niedrig. Italien kommt auf einen Wert von 18,2 Prozent, Frankreich auf 17,2 Prozent. Der Bruttoendenergieverbrauch umfasst den Energieverbrauch der Endverbraucher (Industrie, Verkehr, Haushalte usw.) zuzüglich des Eigenverbrauchs der Kraftwerke und der Netzverluste bei der Energieübertragung. asi
Die EU-Kommission kommt in ihrem jüngsten Fortschrittsbericht zu der Überzeugung, dass der Beitrittsprozess der Türkei zur Europäischen Union aufgrund schwerwiegender demokratischer Defizite “zum Stillstand gekommen” sei.
In dem Bericht erklärte die Kommission, sie beobachte eine fortgesetzte Aushöhlung der Demokratie und Rechtsstaatlichkeit durch die Regierung von Präsident Recep Tayyip Erdoğan. Zudem habe die Regierung die Empfehlungen der EU aus dem vergangenen Jahr ignoriert.
Der Bericht deutet auch zum ersten Mal darauf hin, dass Ankara es mit der Umsetzung der von der EU unterstützten Reformen nicht mehr ernst meint, obwohl Erdogan im April das Ziel einer vollen EU-Mitgliedschaft bekräftigte.
“Die ernsten Bedenken der EU hinsichtlich der anhaltenden Verschlechterung der Demokratie, der Rechtsstaatlichkeit, der Grundrechte und der Unabhängigkeit der Justiz wurden nicht ausgeräumt. In vielen Bereichen ist es zu weiteren Rückschritten gekommen”, so die Kommission. “Unter den derzeitigen Umständen sind die Beitrittsverhandlungen mit der Türkei praktisch zum Stillstand gekommen”. Eine unmittelbare Reaktion Ankaras auf den Bericht gab es nicht. In der Vergangenheit hat die Türkei die Kritik der EU an ihrer Bilanz als unfair und unverhältnismäßig bezeichnet. rtr
Der neue Entwurf der EU-Richtlinie über die Nachhaltigkeitsberichterstattung (CSRD) zielt darauf ab, die Zahl der erfassten Unternehmen in ganz Europa zu vervierfachen. Er soll dazu beitragen, die Chancen für Unternehmen, die sich aus der EU-Strategie für nachhaltige Finanzen und dem Green Deal ergeben, besser nutzbar zu machen. Es sind jedoch die Erkenntnisse, die zusammen mit dem Gesetzentwurf veröffentlicht wurden, die sich als entscheidend erweisen können, damit sich die Denkweise in der gesamten Wirtschaft dahingehend ändert, dass gute Nachhaltigkeitsberichterstattung auch ein gutes Geschäft ist.
Die Folgenabschätzung der Europäischen Kommission zur CSRD und die damit verbundene Studie des Centre for European Policy Studies (CEPS) zur Richtlinie über die nicht-finanzielle Berichterstattung (NFRD) zeigen, dass die obligatorische Nachhaltigkeitsberichterstattung für Unternehmen erschwinglich ist und mittel- und langfristig zu einer Kostensenkung führt.
Die durchschnittlichen Kosten von 30.897 Euro, die den Unternehmen durch die Rechtsvorschriften entstünden, sind im Verhältnis zu den Gesamtbetriebskosten “vernachlässigbar”. Zudem werden an der Größe des Unternehmens gemessen. Die zusätzlichen Kosten belaufen sich auf durchschnittlich 0,005 Prozent des Umsatzes im ersten Jahr und werden in den Folgejahren weiter sinken, sobald die Prozesse etabliert sind.
Was kostenbewussten Finanzvorständen noch mehr die Augen öffnen wird, ist die These, dass die CSRD im Laufe der Zeit tatsächlich Kosten sparen wird. Das liegt daran, dass die CSRD mehr Klarheit darüber schafft, welche Nachhaltigkeitsinformationen von Unternehmen benötigt werden und es den Unternehmen erleichtert wird, relevante Daten von Geschäftspartnern und der Lieferkette zu erhalten. Der CSRD-Vorschlag wird auch dazu beitragen, die Zahl der zusätzlichen Anfragen nach Nachhaltigkeitsinformationen von externen Akteuren, einschließlich Investoren, ESG-Rating-Agenturen und anderen Interessengruppen, zu reduzieren.
Durch die explosionsartige Zunahme der Nachfrage nach Informationen von verschiedenen Akteuren sind zusätzliche Kosten für Unternehmen ohnehin unvermeidlich. Eine Reihe von allgemein akzeptierten Standards würde es hingegen ermöglichen, die bestehende fragmentierte Landschaft der Berichterstattungsanforderungen zu vereinheitlichen.
Die Folgenabschätzung beziffert, dass die Verringerung der individuellen Informationsanfragen zu einer durchschnittlichen Einsparung für die Unternehmen von 24.200 bis 41.700 Euro pro Jahr führen wird.
Die von der EU-Kommission durchgeführte öffentliche Konsultation zur CSRD zeigt, dass 80 Prozent der Unternehmen, die Berichte erstellen, die Einführung gemeinsamer Standards unterstützen. Man kann davon ausgehen, dass die Nachhaltigkeitsberichterstattung zu einem besseren Risikomanagement führt, indem sie die Nachhaltigkeit mit den finanziellen Risiken verknüpft. Zwei Drittel der befragten Unternehmen gaben an, dass dies ihrem Geschäft zugutekäme.
Der CEPS-Bericht listet weitere unternehmerische Vorteile der Nachhaltigkeitsberichterstattungspflicht auf:
Ein kürzlich veröffentlichtes Positionspapier der deutschen Wissenschaftsplattform Sustainable Finance fordert die Einbeziehung von kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) in die CSRD. Dies würde Unsicherheiten für kleinere Unternehmen in ihrer eigenen Berichterstattung verhindern, größeren Unternehmen bessere Informationen liefern und gleiche Wettbewerbsbedingungen bei den Möglichkeiten des Zugangs zu Finanzmitteln gewährleisten.
Welchen Wert die Nachhaltigkeitsberichterstattung für deutsche Unternehmen hat, zeigt eine Umfrage des Bankenverbandes OMFIF unter 136 börsennotierten und nicht börsennotierten KMUs. Die Hälfte der mittelständischen Unternehmen gab an, dass die CSRD für ihr Unternehmen von Nutzen sein würde. Drei Viertel der Unternehmen begrüßten es, dass die EU den Geltungsbereich der Nachhaltigkeitsberichterstattung auch auf ihre Unternehmen ausweiten will.
Alles zusammengenommen zeigt die Folgenabschätzung der Kommission, dass ein detaillierter und glaubwürdiger Kompromiss zwischen Wirksamkeit und Kosten gefunden wurde und dass der Vorschlag für die CSRD die beste Option nicht nur für Europa als Ganzes, sondern auch für die einzelnen Unternehmen darstellt.
Viel hilft viel – nach diesem Motto geht die brandneue “Initiative Fair Lesen” vor, die einen großen Teil der Spiegel-Bestsellerliste vereint – von Johanna Adorján bis Juli Zeh. Am Wochenende veröffentlichte sie doppelseitige Anzeigen in Frankfurter Allgemeiner und Süddeutscher Zeitung – und lancierte zeitgleich Berichte im “Spiegel”, im “Heute-Journal” und bei vielen anderen Medien. Kein Wunder: Hinter der Initiative steht der kampagnenerpobte Börsenverein des Deutschen Buchhandels.
Wer sich den offenen Brief unter dem Titel durchliest, reibt sich verwundert die Augen: Nicht etwa die Dominanz von Amazon oder der desaströse Papiermangel zum Weihnachtsgeschäft sind Ziel des dringenden Appells, sondern Leihbibliotheken. “Heute sind wir in Sorge, dass die Politik unsere Arbeitsgrundlage aufs Spiel setzt – durch Bestrebungen, mit dem Zugang zu Literatur zugleich digitale Ausleihe zu Niedrigpreisen zu erzwingen“, heißt es darin.
Noch verwunderter ist man, wenn man sich ansieht, was “die Politik” tatsächlich macht: SPD und Union hatten im nun abgelaufenen Koalitionsvertrag allenfalls vage Verbesserungen beim E-Book-Verleih angekündigt. Der Bundesrat wollte schließlich Verleger verpflichten, ein Nutzungsrecht “zu angemessenen Bedingungen” einzuräumen. Und scheiterte damit. Bibliotheken dürfen auch weiterhin erst E-Book-Lizenzen zu erhöhten Preisen kaufen, wenn die Verlage diese ihnen anbieten. Gar nicht zur Debatte stand, dass Bibliotheken deutlich mehr zahlen als Normalbürger und eine Kopie eines E-Books auch nicht zweimal gleichzeitig verleihen dürfen.
Ob es eine Neuauflage der Gesetzesinitiative gegeben hätte, steht alles andere als fest. Von den Ampel-Koalitionären hatten alleine die Grünen den E-Book-Verleih in ihr Wahlprogramm gehoben. Mit der neuen Kampagne hat der Börsenverband genau das erreicht, was er eigentlich vermeiden wollte: Die Forderungen der Bibliotheken, zumindest einzelnen Lesern Bestseller auch am Erscheinungstag anzubieten, wurde neue Öffentlichkeit gegeben – genau zu der Zeit, in der sich die zuständigen Bundestagsausschüsse konstituieren. Die neuen Abgeordneten und die Verhandler des Koalitionsvertrags können sich nun überlegen, ob sie der Spiegel-Bestsellerliste oder den 7,4 Millionen Deutschen mit Bibliotheksausweis zuhören wollen.
Viel hilft viel, sagt man ja – manchmal aber auch den anderen. Torsten Kleinz
it`s time to say goodbye. Wenn Angela Merkel morgen zum EU-Gipfel nach Brüssel aufbricht, starten die Spitzen von SPD, Grünen und FDP in Berlin beinahe zur gleichen Zeit ihre Verhandlungen zur Bildung der nächsten Koalition. Und so, wie es aussieht, wollen sich Olaf Scholz & Co dafür nicht allzu viel Zeit lassen. Die deutsche Kanzlerin wird also aller Voraussicht nach zu ihrem letzten Gipfel nach Brüssel reisen – und im Rückblick auf die letzten 16 Jahre wird man resümieren: Sie hat dieses Europa geprägt, mit ihrem Verhandlungsgeschick, ihren aus mancherlei Sicht folgenreichen Entscheidungen und nicht zuletzt mit ihrem Führungsanspruch in den zurückliegenden Krisen.
In zwei zentralen Bereichen – der Fiskalpolitik und dem europäischen Zusammenhalt – dürfen die Partner der Union wohl mit Kontinuität im Übergang von Merkel zu Scholz rechnen. Till Hoppe wirft einen Blick auf die Pläne der Kommission zum Stabilitätspakt und Eric Bonse analysiert die Positionen des Rats im Polen-Dilemma.
Das kommende Jahr wird für die Kommission arbeitsreich. Lukas Scheid und Jasmin Kohl fassen das Arbeitsprogramm 2022 zusammen, das die Kommission jetzt veröffentlicht hat und konzentrieren sich dabei vor allem auf die Transformationsbereiche Green Deal und Digitales.
Empfehlen möchte ich Ihnen den Standpunkt von Richard Howitt, der zu dem Schluss kommt, dass die Furcht der Unternehmen vor einer europaweiten Ausdehnung der Pflicht zur Erstellung von Nachhaltigkeitsberichten unbegründet ist. Wenn alle berichten müssen, erhöhe das die Transparenz und Aufwand für jeden Einzelnen, lautet sein Urteil.
Der Streit hatte sich in den letzten Tagen immer mehr verschärft. Zunächst ging es um die umstrittene polnische Justizreform, die die EU-Kommission beanstandet hat. Dann kam ein – von der Regierung in Warschau bestelltes – Urteil des polnischen Verfassungsgerichts hinzu, in dem der Vorrang des EU-Rechts bestritten wird. In Straßburg heizte Morawiecki den Konflikt nun noch weiter an.
Die Debatte um das EU-Recht werde völlig falsch geführt, behauptete er. Seine Regierung sei weder gegen den Rechtsstaat noch gegen den Europäischen Gerichtshof – sondern wolle lediglich verhindern, dass die EU ihre Kompetenzen ständig ausweite. Dagegen hätten auch schon andere Gerichte protestiert, so Morawiecki unter Verweis auf Urteile des Bundesverfassungsgerichts in Karlsruhe.
Polen wolle keineswegs die EU verlassen, sondern sicherstellen, dass kein “Superstaat” entstehe. Ähnlich argumentiert Morawiecki auch in einem Brief an die 27 Staats- und Regierungschefs, die sich am Donnerstag in Brüssel zum EU-Gipfel treffen. Es drohe die Entstehung eines Zentralstaats ohne demokratische Kontrolle, warnt er Kanzlerin Angela Merkel und die anderen EU-Chefs.
Damit versucht der PiS-Politiker, dem Streit um das EU-Recht auszuweichen und eine politische Debatte über die Aufgaben der EU und die Subsidiarität zu führen. Von der Leyen und die meisten Europaabgeordneten sind ihm jedoch nicht auf dieses abschüssige Terrain gefolgt. Das polnische Verfassungsgericht habe das europäische Recht angezweifelt und damit “die Basis der EU” infrage gestellt, betonte die CDU-Politikerin. “Ich bin zutiefst besorgt”, fügte sie hinzu.
Um den Druck auf Polen zu erhöhen, hat von der Leyen erstmals öffentlich ihre Handlungsoptionen ausgebreitet. Sie reichen – wie bereits vor einer Woche im Europe.Table berichtet – von einem Vertragsverletzungsverfahren über die Kürzung von EU-Geldern im Rahmen des neuen Rechtsstaats-Mechanismus bis hin zu einem weiteren Artikel-7-Verfahren, das zum Entzug der Stimmrechte führen kann.
Allerdings blieb offen, ob und wann die EU-Kommission diese Optionen nutzen möchte. Bisher hält die Brüsseler Behörde lediglich einen Vorschuss aus dem polnischen Anteil am Corona-Aufbaufonds zurück. Die Auszahlung sei an die Umsetzung der länderspezifischen Empfehlungen gebunden, sagte von der Leyen. Polen müsse Teile der umstrittenen Justizreform rückgängig machen und zu Unrecht entlassene Richter wieder einsetzen.
Zu möglichen weiteren Sanktionen wollte sich von der Leyen nicht äußern. Die EU-Kommission will offenbar den EU-Gipfel abwarten. Dort zeichnet sich jedoch noch keine klare Linie ab. Ungarn hat sich bereits mit Polen solidarisch erklärt. Merkel hat sich für eine Fortsetzung des Dialogs ausgesprochen. Auf finanziellen Druck setzen dagegen die Niederlande, Österreich und Luxemburg. Auch Frankreich könnte auf eine harte Linie einschwenken.
Die Uneinigkeit der Staats- und Regierungschefs stößt im Europaparlament auf Unverständnis. Bereits seit 2017 laufe ein Artikel-7-Verfahren, jedoch ohne Ergebnis, kritisierte der Fraktionschef der EVP, Manfred Weber. Die Stille im Rat sei eine “schwere Bürde”. Statt eine Untätigkeitsklage gegen die EU-Kommission einzureichen, müsse man die Mitgliedsstaaten zum Handeln bewegen.
Die Fraktionen der Sozialdemokraten, Liberalen, Grünen und Linken wollen jedoch – anders als Weber – den Druck auf die EU-Kommission erhöhen. Von der Leyen müsse nun “schnell reagieren” und EU-Gelder kürzen, sagte Ska Keller (Grüne). Auch der Vorsitzende der Linken-Fraktion, Martin Schirdewan, fordert schnelle Entscheidungen: “Die Zeit schöner Worte ist vorbei, handeln Sie”, sagte er.
Von der Leyen ging auf diese Forderungen jedoch nicht ein. “Diese Situation kann und muss gelöst werden”, sagte sie ausweichend. Die Kommission werde sich an alle Verfahrensschritte halten und die rechtliche Lage mit der gebotenen Gründlichkeit prüfen. Dazu gehöre auch, das noch ausstehende Urteil des Europäischen Gerichtshofs zum neuen Rechtsstaats-Mechanismus abzuwarten.
Morawiecki zeigte sich über die Forderungen aus dem Parlament empört. “Ich bin nicht damit einverstanden, dass Politiker Polen erpressen und Polen drohen”, erklärte er. “Die Sprache der Bedrohungen und Erpressungen möchte ich zurückweisen”, fügte er hinzu. Dies sei zu einer Methode gegenüber einigen Mitgliedstaaten geworden, widerspreche jedoch dem Geist der guten Zusammenarbeit.
Allerdings ließ Morawiecki offen, wie er auf mögliche Sanktionen reagieren würde. Der harte Schlagaustausch im Europaparlament hat die Fronten weiter verhärtet – zu einer Klärung hat er nicht geführt. Die Rechtsstaats-Krise dürfte daher noch einige Zeit weitergehen. Weder Brüssel noch Warschau verfügen über gute Optionen, auch wenn die EU letztlich am längeren Hebel sitzt.
Die EU-Kommission will vermeiden, dass die Mitgliedsstaaten bereits 2023 zu harten Einschnitten in ihren Etats gezwungen werden. Dann greifen nach bisheriger Beschlusslage die Regeln des Stabilitäts- und Wachstumspakts wieder voll. Vizepräsident Valdis Dombrovskis kündigte am Dienstag an, im ersten Quartal 2022 den Mitgliedsstaaten Leitlinien für ihre Finanzpolitik an die Hand geben zu wollen. Diese würden die “neue ökonomische Realität widerspiegeln”, zu denen die infolge der Corona-Pandemie stark gestiegene Staatsverschuldung und hohe Budgetdefizite gehörten.
Die Behörde erwägt zudem, im kommenden Jahr eine Handreichung an die Regierungen zu geben, wie diese die Flexibilitäten des Stabilitäts- und Wachstumspaktes ausschöpfen können. Sie will damit die Konflikte vermeiden, die unweigerlich entstehen würden, wenn sich die EU-Staaten im nächsten Jahr nicht rechtzeitig auf eine Reform der Fiskalregeln einigen. Auch Ökonomen halten eine Übergangslösung für geboten. “Es ist schwer vorstellbar, dass neu formulierte Regeln bis Anfang 2023 das Gesetzgebungsverfahren durchlaufen haben”, sagt der stellvertretende Direktor des Jacques Delors Centre an der Hertie School, Lucas Guttenberg.
Nach den Buchstaben des Stabilitätspaktes müsste die Kommission dann inmitten der wirtschaftlichen Erholung von hoch verschuldeten Ländern wie Italien, Spanien oder Portugal tiefe Einschnitte verlangen, um ihre Staatsverschuldung in Richtung der 60 Prozent-Marke abzutragen. “Wir alle wissen, dass wir einen unterstützende Fiskalpolitik beibehalten müssen”, sagte Wirtschaftskommissar Paolo Gentiloni. Daher könne man nicht die üblichen Maßstäbe anlegen.
Die FDP etwa hat im Wahlkampf gefordert, den Stabilitätspakt ab 2023 wieder voll greifen zu lassen. Bundesfinanzminister Olaf Scholz betonte zuletzt aber, “dass es nicht darum geht, dass nach der Krise in einigen Ländern große Austerity-Programme anstehen”. Darin seien sich die möglichen Partner in einer Ampel-Koalition einig.
Die Kommission hatte am Dienstag die wegen der Pandemie unterbrochene Konsultation zur Überprüfung des Stabilitätspaktes neu gestartet. Die Behörde will damit den Boden bereiten für eine Überarbeitung des Regelwerks, ohne die vergifteten Debatten der Vergangenheit aufzuwärmen. “Wir hoffen, dass die Mitgliedsstaaten nicht in die alten Reflexe zurückfallen“, sagte ein hochrangiger EU-Beamter.
Aus Sicht der Kommission sind folgende Punkte dabei zentral:
Wann die Kommission ihre konkreten Änderungsvorschläge vorlegt, ließ Dombrovskis offen. Die Behörde werde vom Verlauf der Diskussion mit den Mitgliedsstaaten abhängig machen, ob sie einen Legislativvorschlag vorlege, sagte er. Schließlich würde es “sehr herausfordernd” werden, diesen rechtzeitig vor Januar 2023 zu verabschieden. Als mögliche Alternative nannte der Lette, die Behörde könne wie 2015 den Regierungen Interpretationshilfen geben, wie diese die Flexibilitäten des Paktes ausschöpfen könnten.
Zu den diskutierten Optionen gehört laut Dombrovskis die sogenannte Goldene Regel, die Investitionen in Klimaschutzvorhaben von den Defizitregeln ausnehmen würde (Europe.Table berichtete). Wie groß die Realisierungschancen dieses Ansatzes seien, hänge nicht zuletzt an den Koalitionsverhandlungen in Berlin, sagt der Direktor des Thinktanks Bruegel, Guntram Wolff. In Berlin diskutieren SPD, Grüne und FDP derzeit analog Möglichkeiten, wie die nötigen Zukunftsinvestitionen gewährleistet werden können, ohne die Schuldenbremse aufzuweichen.
Das Arbeitsprogramm der Kommission für 2022 gibt einen Überblick, wie die Behörde die sechs politischen Leitlinien ihrer Präsidentin im kommenden Jahr umsetzen möchte und präsentiert neue Gesetzgebungsinitiativen. Insgesamt 42 neue Vorhaben kündigt die Kommission darin an.
Der Klima- und Umweltschutz steht wenig überraschend weit oben auf der Agenda. Der Green Deal hat eine Reihe Gesetzesinitiativen auf den Weg gebracht, darunter auch den EU-Aktionsplan “Schadstofffreiheit von Luft, Wasser und Boden”. Das Arbeitsprogramm der Kommission sieht im kommenden Jahr unter diesem Aktionsplan folgende Punkte vor:
Mit dem sogenannten Kunststoff-Paket will die Kommission im kommenden Jahr mehrere Initiativen in die Wege leiten. Dazu gehören der politische Rahmen für die Kennzeichnung und Verwendung biobasierter Kunststoffe (Q2) sowie Maßnahmen zur Verringerung von Mikroplastik in der Umwelt (Q4).
Wie im neuen Aktionsplan für die Kreislaufwirtschaft angekündigt, bereitet die Kommission zudem einen Legislativvorschlag zum Recht auf Reparatur vor (Europe.Table berichtete). Das Gesetz soll Verbraucherrechte stärken, indem es klare Regeln zur Verfügbarkeit von Ersatzteilen und dem Zugang zu Reparaturen schafft. Der Schwerpunkt liegt auf Elektronik und Informations- sowie Kommunikationstechnik (IKT). Die Kommission will dabei auch Nachrüstungen als Option für eine verbesserte Kreislaufwirtschaft prüfen (Legislativvorschlag geplant für Q3 2022).
Außerdem plant die Kommission, ein Paket mit Rechtsakten zu verschiedenen Klimaschutzmaßnahmen vorzubringen. Darunter die Überprüfung der CO2-Emissionsnormen für schwere Nutzfahrzeuge (Legislativvorschlag geplant für Q4 2022) und ein Gesetzesvorschlag für ein Zertifizierungssystem für den CO2-Abbau aus der Atmosphäre (Legislativvorschlag geplant für Q4 2022).
Gemäß der “twin transition” gehen die Green Deal-Vorhaben auch im Arbeitsprogramm direkt in die Liste der Digitalvorhaben über. Bei ihrer “Rede zur Lage der Union” (SOTEU) hatte Kommissionspräsidentin von der Leyen mit zwei unvorhergesehenen Gesetzesvorhaben überrascht, die nun im Arbeitsprogramm genauer definiert werden:
Diese weiteren Digitalvorhaben wird die Kommission 2022 vorstellen:
EU-Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager hat ihre Pläne zur Reform der Beihilfeleitlinien für Umwelt, Energie und Klimaschutz gegen Kritik verteidigt. Wenn Hilfen für Branchen gewährt werde, die “nicht sehr stromintensiv und nicht sehr handelsintensiv sind, dann besteht ein hohes Risiko der Verzerrung, wenn Hilfe gewährt wird”, sagte sie am Dienstagabend im Europaparlament. Die Kosten für die Unterstützung solcher Sektoren werde zudem oft von anderen Verbrauchern wie privaten Haushalten getragen. Überdies bräuchten energieintensive Unternehmen preisliche Anreize, um in die Verbesserung ihrer Energieeffizienz zu investieren.
Die Kommission überarbeitet derzeit ihre sogenannten CEEAG-Leitlinien. Vestager will die Voraussetzungen für staatliche Beihilfen an energieintensive Sektoren im Sinne der Dekarbonisierung deutlich verschärfen. So soll die geforderte Handelsintensität angehoben und die Liste der beihilfeberechtigten Sektoren stark gekürzt werden. Die finale Version der Leitlinien wird Vestager voraussichtlich im Dezember vorlegen. Zu größeren Änderungen am Entwurf sei sie nicht bereit, heißt es in EU-Kreisen.
Besonders energieintensive Branchen laufen seit mehreren Monaten Sturm gegen die Pläne der EU-Kommission. Auch die Bundesregierung hat in ihrer Stellungnahme an die Kommission Änderungen verlangt (Europe.Table berichtete). Der parlamentarische Geschäftsführer der CDU/CSU-Gruppe im Europaparlament, Markus Pieper, forderte, die Carbon-Leakage-Liste müsse erweitert werden, nicht gekürzt. “Zu viele energieintensive Branchen sind auf staatliche Beihilfen angewiesen, um die Energiewende zu bewältigen”, sagte er. Mit der drohenden Reduzierung der beihilfeberechtigten Branchen um 75 Prozent würde der industriellen Abwanderung aus Europa Vorschub geleistet. tho
Die SPD hat ihre personelle Aufstellung für die anstehenden Koalitionsverhandlungen mit Grünen und FDP gefunden. Ein sechsköpfiges Team unter Führung von Vizefraktionschef Matthias Miersch soll laut einem öffentlich geführten Dokument die Verhandlungen um das Klima- und Energiekapitel führen.
Ebenfalls beteiligt sind Umweltministerin Svenja Schulze, Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil und sein Kollege Dietmar Woidke aus Brandenburg, die Europaabgeordnete Delara Burkhardt und die sächsische Bundestagsabgeordnete Kathrin Michel. Umwelt- und Naturschutzfragen werden in einer separaten Arbeitsgruppe verhandelt, auf Seiten der Sozialdemokraten angeführt von der Parlamentarischen Staatssekretärin im BMU, Rita Schwarzelühr-Sutter.
In die Arbeitsgruppe zur Digitalpolitik gehen die Sozialdemokraten mit Jens Zimmermann, bislang digitalpolitischer Sprecher der Bundestagsfraktion. Zwei weitere Unterhändler:innen kommen ebenfalls aus der Fraktion, mit Elvan Korkmaz-Emre und Falko Mohrs. Hinzu kommt Jan Pörksen, der Chef der Hamburger Senatskanzlei.
Die Verhandlungen in der AG Europa soll auf sozialdemokratischer Vorstandsmitglied Udo Bullmann leiten. Hinzu kommen Europastaatsminister Michael Roth, der Vorsitzende der SPD-Gruppe im Europaparlament, Jens Geier, und die Europaabgeordnete Gaby Bischoff. Die Verhandlungen der Koalitionspartner sollen am Donnerstagnachmittag starten. Nach einer ersten Spitzenrunde sollen ab nächster Woche dann in 22 Arbeitsgruppen fast 300 Teilnehmer einbezogen werden, wie Chef der Sozialdemokraten Norbert Walter-Borjans am Dienstagabend ankündigte. Till Hoppe
Die Fraktion der Liberalen im Europaparlament (Renew)hat einen neuen Vorsitzenden gewählt: Mit Stéphane Séjourné folgt ein Vertrauter von Frankreichs Präsident Emmanuel Macron auf Dacian Cioloş. Dieser hatte sein Amt niedergelegt (Europe.Table berichtete), nachdem er in seiner Heimat Rumänien zum Vorsitzenden der rumänischen liberalen Partei USR-Plus gewählt worden war.
Der 36-jährige Séjourné hatte Macron in seinem Präsidentschaftswahlkampf beraten. 2019 wurde er ins EU-Parlament gewählt. “In Zeiten, in denen illiberale Regierungen das Fundament der europäischen Konstruktion infrage stellen, braucht Europa mehr denn je eine liberale und zentristische Stimme”, sagte Séjourné nach seiner Wahl. tho
Der Anteil der Nutzung erneuerbarer Energien am Bruttoendenergieverbrauch ist in den letzten Jahren in Deutschland im EU-Vergleich unterdurchschnittlich gestiegen. Wie das Statistische Bundesamt am Dienstag mitteilte, erhöhte sich der Anteil erneuerbarer Energien am Bruttoendenergieverbrauch zwischen 2009 und 2019 im EU-Durchschnitt von 13,9 Prozent auf 19,7 Prozent. In Deutschland erhöhte sich der Anteil im Betrachtungszeitraum aber nur von 10,9 auf 17,4 Prozent. Deutschland rangiert damit auf Platz 16 von 27 EU-Mitgliedsstaaten.
Vorreiter der Energiewende sind nach Angaben des Statistikamtes in Nordeuropa zu finden. Schweden etwa deckte im Jahr 2019 bereits 56,4 Prozent des Bruttoendenergieverbrauchs aus erneuerbaren Energien, der Spitzenwert in der EU. Hohe Anteile erneuerbarer Energien verzeichneten 2019 auch Finnland mit 43,1 Prozent, Lettland mit 41,0 Prozent und Dänemark mit 37,2 Prozent. In Luxemburg (7,0 Prozent), Malta (8,5 Prozent) und den Niederlanden (8,8 Prozent) lagen die Anteile besonders niedrig. Italien kommt auf einen Wert von 18,2 Prozent, Frankreich auf 17,2 Prozent. Der Bruttoendenergieverbrauch umfasst den Energieverbrauch der Endverbraucher (Industrie, Verkehr, Haushalte usw.) zuzüglich des Eigenverbrauchs der Kraftwerke und der Netzverluste bei der Energieübertragung. asi
Die EU-Kommission kommt in ihrem jüngsten Fortschrittsbericht zu der Überzeugung, dass der Beitrittsprozess der Türkei zur Europäischen Union aufgrund schwerwiegender demokratischer Defizite “zum Stillstand gekommen” sei.
In dem Bericht erklärte die Kommission, sie beobachte eine fortgesetzte Aushöhlung der Demokratie und Rechtsstaatlichkeit durch die Regierung von Präsident Recep Tayyip Erdoğan. Zudem habe die Regierung die Empfehlungen der EU aus dem vergangenen Jahr ignoriert.
Der Bericht deutet auch zum ersten Mal darauf hin, dass Ankara es mit der Umsetzung der von der EU unterstützten Reformen nicht mehr ernst meint, obwohl Erdogan im April das Ziel einer vollen EU-Mitgliedschaft bekräftigte.
“Die ernsten Bedenken der EU hinsichtlich der anhaltenden Verschlechterung der Demokratie, der Rechtsstaatlichkeit, der Grundrechte und der Unabhängigkeit der Justiz wurden nicht ausgeräumt. In vielen Bereichen ist es zu weiteren Rückschritten gekommen”, so die Kommission. “Unter den derzeitigen Umständen sind die Beitrittsverhandlungen mit der Türkei praktisch zum Stillstand gekommen”. Eine unmittelbare Reaktion Ankaras auf den Bericht gab es nicht. In der Vergangenheit hat die Türkei die Kritik der EU an ihrer Bilanz als unfair und unverhältnismäßig bezeichnet. rtr
Der neue Entwurf der EU-Richtlinie über die Nachhaltigkeitsberichterstattung (CSRD) zielt darauf ab, die Zahl der erfassten Unternehmen in ganz Europa zu vervierfachen. Er soll dazu beitragen, die Chancen für Unternehmen, die sich aus der EU-Strategie für nachhaltige Finanzen und dem Green Deal ergeben, besser nutzbar zu machen. Es sind jedoch die Erkenntnisse, die zusammen mit dem Gesetzentwurf veröffentlicht wurden, die sich als entscheidend erweisen können, damit sich die Denkweise in der gesamten Wirtschaft dahingehend ändert, dass gute Nachhaltigkeitsberichterstattung auch ein gutes Geschäft ist.
Die Folgenabschätzung der Europäischen Kommission zur CSRD und die damit verbundene Studie des Centre for European Policy Studies (CEPS) zur Richtlinie über die nicht-finanzielle Berichterstattung (NFRD) zeigen, dass die obligatorische Nachhaltigkeitsberichterstattung für Unternehmen erschwinglich ist und mittel- und langfristig zu einer Kostensenkung führt.
Die durchschnittlichen Kosten von 30.897 Euro, die den Unternehmen durch die Rechtsvorschriften entstünden, sind im Verhältnis zu den Gesamtbetriebskosten “vernachlässigbar”. Zudem werden an der Größe des Unternehmens gemessen. Die zusätzlichen Kosten belaufen sich auf durchschnittlich 0,005 Prozent des Umsatzes im ersten Jahr und werden in den Folgejahren weiter sinken, sobald die Prozesse etabliert sind.
Was kostenbewussten Finanzvorständen noch mehr die Augen öffnen wird, ist die These, dass die CSRD im Laufe der Zeit tatsächlich Kosten sparen wird. Das liegt daran, dass die CSRD mehr Klarheit darüber schafft, welche Nachhaltigkeitsinformationen von Unternehmen benötigt werden und es den Unternehmen erleichtert wird, relevante Daten von Geschäftspartnern und der Lieferkette zu erhalten. Der CSRD-Vorschlag wird auch dazu beitragen, die Zahl der zusätzlichen Anfragen nach Nachhaltigkeitsinformationen von externen Akteuren, einschließlich Investoren, ESG-Rating-Agenturen und anderen Interessengruppen, zu reduzieren.
Durch die explosionsartige Zunahme der Nachfrage nach Informationen von verschiedenen Akteuren sind zusätzliche Kosten für Unternehmen ohnehin unvermeidlich. Eine Reihe von allgemein akzeptierten Standards würde es hingegen ermöglichen, die bestehende fragmentierte Landschaft der Berichterstattungsanforderungen zu vereinheitlichen.
Die Folgenabschätzung beziffert, dass die Verringerung der individuellen Informationsanfragen zu einer durchschnittlichen Einsparung für die Unternehmen von 24.200 bis 41.700 Euro pro Jahr führen wird.
Die von der EU-Kommission durchgeführte öffentliche Konsultation zur CSRD zeigt, dass 80 Prozent der Unternehmen, die Berichte erstellen, die Einführung gemeinsamer Standards unterstützen. Man kann davon ausgehen, dass die Nachhaltigkeitsberichterstattung zu einem besseren Risikomanagement führt, indem sie die Nachhaltigkeit mit den finanziellen Risiken verknüpft. Zwei Drittel der befragten Unternehmen gaben an, dass dies ihrem Geschäft zugutekäme.
Der CEPS-Bericht listet weitere unternehmerische Vorteile der Nachhaltigkeitsberichterstattungspflicht auf:
Ein kürzlich veröffentlichtes Positionspapier der deutschen Wissenschaftsplattform Sustainable Finance fordert die Einbeziehung von kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) in die CSRD. Dies würde Unsicherheiten für kleinere Unternehmen in ihrer eigenen Berichterstattung verhindern, größeren Unternehmen bessere Informationen liefern und gleiche Wettbewerbsbedingungen bei den Möglichkeiten des Zugangs zu Finanzmitteln gewährleisten.
Welchen Wert die Nachhaltigkeitsberichterstattung für deutsche Unternehmen hat, zeigt eine Umfrage des Bankenverbandes OMFIF unter 136 börsennotierten und nicht börsennotierten KMUs. Die Hälfte der mittelständischen Unternehmen gab an, dass die CSRD für ihr Unternehmen von Nutzen sein würde. Drei Viertel der Unternehmen begrüßten es, dass die EU den Geltungsbereich der Nachhaltigkeitsberichterstattung auch auf ihre Unternehmen ausweiten will.
Alles zusammengenommen zeigt die Folgenabschätzung der Kommission, dass ein detaillierter und glaubwürdiger Kompromiss zwischen Wirksamkeit und Kosten gefunden wurde und dass der Vorschlag für die CSRD die beste Option nicht nur für Europa als Ganzes, sondern auch für die einzelnen Unternehmen darstellt.
Viel hilft viel – nach diesem Motto geht die brandneue “Initiative Fair Lesen” vor, die einen großen Teil der Spiegel-Bestsellerliste vereint – von Johanna Adorján bis Juli Zeh. Am Wochenende veröffentlichte sie doppelseitige Anzeigen in Frankfurter Allgemeiner und Süddeutscher Zeitung – und lancierte zeitgleich Berichte im “Spiegel”, im “Heute-Journal” und bei vielen anderen Medien. Kein Wunder: Hinter der Initiative steht der kampagnenerpobte Börsenverein des Deutschen Buchhandels.
Wer sich den offenen Brief unter dem Titel durchliest, reibt sich verwundert die Augen: Nicht etwa die Dominanz von Amazon oder der desaströse Papiermangel zum Weihnachtsgeschäft sind Ziel des dringenden Appells, sondern Leihbibliotheken. “Heute sind wir in Sorge, dass die Politik unsere Arbeitsgrundlage aufs Spiel setzt – durch Bestrebungen, mit dem Zugang zu Literatur zugleich digitale Ausleihe zu Niedrigpreisen zu erzwingen“, heißt es darin.
Noch verwunderter ist man, wenn man sich ansieht, was “die Politik” tatsächlich macht: SPD und Union hatten im nun abgelaufenen Koalitionsvertrag allenfalls vage Verbesserungen beim E-Book-Verleih angekündigt. Der Bundesrat wollte schließlich Verleger verpflichten, ein Nutzungsrecht “zu angemessenen Bedingungen” einzuräumen. Und scheiterte damit. Bibliotheken dürfen auch weiterhin erst E-Book-Lizenzen zu erhöhten Preisen kaufen, wenn die Verlage diese ihnen anbieten. Gar nicht zur Debatte stand, dass Bibliotheken deutlich mehr zahlen als Normalbürger und eine Kopie eines E-Books auch nicht zweimal gleichzeitig verleihen dürfen.
Ob es eine Neuauflage der Gesetzesinitiative gegeben hätte, steht alles andere als fest. Von den Ampel-Koalitionären hatten alleine die Grünen den E-Book-Verleih in ihr Wahlprogramm gehoben. Mit der neuen Kampagne hat der Börsenverband genau das erreicht, was er eigentlich vermeiden wollte: Die Forderungen der Bibliotheken, zumindest einzelnen Lesern Bestseller auch am Erscheinungstag anzubieten, wurde neue Öffentlichkeit gegeben – genau zu der Zeit, in der sich die zuständigen Bundestagsausschüsse konstituieren. Die neuen Abgeordneten und die Verhandler des Koalitionsvertrags können sich nun überlegen, ob sie der Spiegel-Bestsellerliste oder den 7,4 Millionen Deutschen mit Bibliotheksausweis zuhören wollen.
Viel hilft viel, sagt man ja – manchmal aber auch den anderen. Torsten Kleinz