soll Wasserstoff aus Atomkraft auf die Erneuerbaren-Ziele angerechnet werden? Genau das forderten Frankreich und einige andere Länder. Aber die Energieminister haben dieser Idee gestern eine Abfuhr erteilt und das Vorhaben aus der allgemeinen Ausrichtung zur Gasmarkt-Richtlinie gestrichen. Dafür signalisierte die Kommission Entgegenkommen auf einer anderen Ebene in Sachen Atomkraft. Mehr lesen Sie bei Manuel Berkel.
Pkw und leichte Nutzfahrzeuge müssen ab 2035 CO₂-neutral sein. Gestern ist die Entscheidung dann auch wirklich gefallen: Deutschland hat seine Blockadehaltung im Ministerrat aufgegeben, im Gegenzug für einen Kompromiss zu E-Fuels. Wie die Kommission sicherstellen will, dass die Verbrenner wirklich nur mit E-Fuels betankt werden können, das berichtet Lukas Scheid.
Wie geht es weiter mit der China-Politik der EU? Das wird Ursula von der Leyen morgen in einer Grundsatzrede ausbuchstabieren. Aus informierten Kreisen hört man, sie wolle damit das Verhältnis zu Peking neu austarieren. Kein Decoupling nach US-Manier, wohl aber ein gezielter Abbau von Abhängigkeiten bei kritischen Technologien und Rohstoffen. Europa solle sich besser nicht auf das Wohlwollen von Präsident Xi Jinping verlassen. Die Kommissionspräsidentin dürfte auch konkrete Maßnahmen ankündigen. Die Kommission arbeitet an einem Vorschlag, Investitionen europäischer Unternehmen in sicherheitsrelevanten Sektoren in Drittstaaten unter Genehmigungsvorbehalt zu stellen.
Auf ein anderes Werkzeug einigten sich gestern die Unterhändler von Europaparlament und Rat: Das Anti-Coercion-Instrument soll die EU-Staaten besser vor wirtschaftlichen Zwangsmaßnahmen, vor allem Pekings schützen. Amelie Richter analysiert die Details.
Eine kontroverse Paketlösung hatten gestern die Energieminister der EU zu verhandeln. Nachdem Deutschland die anderen Staaten bei E-Fuels vor sich hergetrieben hatte, spitzte sich gestern die Auseinandersetzung um Frankreichs Wunsch zu, Atomenergie auf die Erneuerbaren-Ziele der EU anzurechnen. Unmittelbar vor dem Rat tagten die beiden Lager deshalb in zwei unterschiedlichen Runden.
Frankreichs Energieministerin Agnès Pannier-Runacher hatte ein erneutes Treffen ihrer Atom-Koalition von Februar einberufen. Rund um ihre österreichischen Amtskollegin Leonore Gewessler versammelten sich derweil ihre Gegenspieler. Vertreter von zehn weiteren Staaten – darunter Deutschlands – kamen zusammen unter dem Motto “Erneuerbar heißt Erneuerbar”, um eine gemeinsame Gegenposition für die Verhandlungen abzustimmen.
Frankreich und seinen Verbündeten geht es neben einer industriellen Kooperation in erster Linie um die “Mobilisierung finanzieller Mittel“, wie es in einem gemeinsamen Ergebnispapier der atomfreundlichen 13er-Runde hieß. Vor allem Frankreichs Staatskonzern EDF ist dringend auf frische Milliarden angewiesen.
Wichtigstes Ziel von Pannier-Runacher war gestern jedoch eine Vorentscheidung für den heutigen Trilog, mit dem die Novelle der Erneuerbare-Energien-Richtlinie (RED) besiegelt werden soll. Deshalb wurde eigens die allgemeine Ausrichtung zum Gasmarkt-Paket vom Morgen auf den Nachmittag verschoben. In früheren Entwürfen war versucht worden, über die Gasmarkt-Richtlinie in die RED hineinzuregulieren und damit eine Grundlage zu schaffen, Atomenergie nachträglich auf die Erneuerbaren-Ziele im Verkehr und in der Industrie anrechnen zu können.
Schließlich strich der Rat den Atom-Paragrafen gestern aus der allgemeinen Ausrichtung zur Gasmarkt-Richtlinie. “Low-carbon Wasserstoff wird nicht als erneuerbar anerkannt und die unseriöse Brücke zur RED ist Geschichte”, kommentierte dies Berichterstatter Jens Geier (SPD) auf seinem LinkedIn-Profil.
Eine Lösung für den Atomstreit auszuarbeiten, obliegt heute dem Treffen der Ständigen Vertreter. Ab 16 Uhr geht es dann in den Trilog, wo das Parlament der Position zustimmen muss. Skepsis hatte vor einigen Wochen Berichterstatter Markus Pieper (CDU) geäußert. Quoten für kohlenstoffarmen Wasserstoff aus Atomenergie sollten Pieper zufolge höchstens on top auf die Ziele für grünen Wasserstoff kommen.
Ein Entgegenkommen auf einer anderen Ebene signalisierte Energiekommissarin Kadri Simson. Die Kommission habe verstanden, dass die Mitgliedstaaten Leitlinien für den Einsatz von kleinen modularen Reaktoren (SMR) und EU-weite Standards dafür bräuchten, sagte sie in der abendlichen Pressekonferenz. Die Kommission werde daher mit der Atomindustrie zusammenarbeiten und “in diesem Bereich liefern“.
Die allgemeine Ausrichtung zum Gasmarktpaket wurde am Dienstag gemischt aufgenommen. Während es der DIHK richtig nannte, dass die Gasnetzbetreiber zunächst auch Wasserstoffnetze bauen und betreiben können, äußerten sich die Betreiber ablehnend gegenüber der Ratsposition. Der Rat habe sich für eine eigentumsrechtliche Trennung des Wasserstoff- und Gasnetzes auf Ebene der Verteilnetze ausgesprochen, teilte der Verband kommunaler Unternehmen (VKU) mit. Dies würde es vielen Stadtwerken nahezu unmöglich machen, eine investitionssichere Transformation der Infrastruktur einzuleiten, sagte Hauptgeschäftsführer Ingbert Liebing.
Die Energieminister einigten sich außerdem darauf, das freiwillige Gassparziel der EU bis März 2024 zu verlängern. Im August 2022 eingeführt, wäre es sonst nach der bisherigen Notverordnung am Freitag ausgelaufen. Verpflichtende Verschärfungen zur Berichterstattung – wie sektorengenaue Angaben zum Gasverbrauch – blockten die Mitgliedstaaten gestern jedoch ab.
Im Vergleich zu einem fünfjährigen Referenzzeitraum sollen die EU-Länder weiterhin 15 Prozent Gas einsparen. “Gut und wichtig” nannte das die Parlamentarische Staatssekretärin Franziska Brantner, die für das Bundeswirtschaftsministerium an dem Treffen teilnahm.
Bis Januar hatten die Staaten das Ziel noch übererfüllt. Doch im Vergleich zum vergangenen Herbst sind die Gaspreise stark gesunken, sodass der finanzielle Sparanreiz schwächer geworden ist. Fraglich ist zudem, ob das nächste Winterhalbjahr wieder so milde wird wie das vergangene. Erst kürzlich hatte die Kommission aufgezeigt, dass sogar noch die Gasversorgung im Winter 2024/25 gefährdet sein könnte, falls Russland seine Lieferungen einstellt und in den kommenden warmen Monaten gar kein Gas mehr eingespart wird.
Pkw und leichte Nutzfahrzeuge müssen ab 2035 CO₂-neutral sein. Ob Autos, die ausschließlich mit E-Fuels betankt werden können, auch dazu zählen, darüber wurde in den vergangenen vier Wochen insbesondere auf Drängen des Bundesverkehrsministers Volker Wissing heftig gestritten. Die Bundesregierung konnte den neuen Regeln am Dienstag erst zustimmen, nachdem die Kommission am Wochenende erklärt hatte, wie sie die Zulassung solcher “E-Fuels only”-Fahrzeuge auch nach 2035 noch ermöglichen will.
Auf den Gesetzestext, der heute zur finalen Abstimmung stand, hatte diese Erklärung jedoch keinerlei Auswirkungen. Damit gilt für die Neuwagenflotten von Autoherstellern:
In der Erklärung versicherte die Kommission, dass sie zunächst über einen Durchführungsrechtsakt eine neue Fahrzeugkategorie für “E-Fuels only”-Fahrzeuge innerhalb der Typgenehmigung der Euro-5- und Euro-6-Regulierungen einführen wird. So soll sichergestellt werden:
Wie diese Vorgaben umgesetzt werden, ist der Automobilindustrie selbst überlassen.
Anschließend soll entweder über einen delegierten Rechtsakt oder, sollte dieser scheitern, über die ordentliche Überarbeitung der Flottenregulierung geklärt werden, wie sich Hersteller diese neue Fahrzeugkategorie auf ihre Flottenziele anrechnen lassen können.
Verkehrsminister Wissing begrüßte die Erklärung und zeigte sich sicher, dass nun mit E-Fuels betriebene Fahrzeuge mit Verbrennungsmotor auch nach 2035 noch neu zugelassen werden können. Die Erklärung der Kommission sei ein wichtiges Signal an den Markt, Produktionskapazitäten für E-Fuels aufzubauen, denn eine “breite Nachfrage nach E-Fuels ist die grundlegende Voraussetzung, dass klimaneutrale Kraftstoffe wettbewerbsfähig werden können”.
Jens Gieseke, verkehrspolitischer Sprecher der CDU/CSU-Gruppe im Europaparlament, bezweifelt jedoch, dass es tatsächlich das Aus für das Verbrenner-Aus ist, wie Wissing es genannt hatte. Mit der Zustimmung im Rat habe Wissing dafür gesorgt, dass das Verbennerverbot per EU-Verordnung bestätigt werde. Dies sei eine “herbe Niederlage für den Minister, der den Anspruch hatte, den Verbrenner zu retten.” Gieseke selbst setzte sich schon während der Verhandlungen für die Anrechnung für E-Fuels für die Flottenziele ein. “Sowohl die Grünen als auch Kommissar Timmermans werden sich die Hände reiben und das Ende des Verbrenners feiern“, so der CDU-Politiker.
Und tatsächlich: Mehrere Grünen-Politiker feierten das “Verbrenner-Aus”. Rasmus Andresen, Sprecher der deutschen Grünen im Parlament, bezeichnete es als großen Erfolg für eine klimafreundliche Verkehrspolitik. Allerdings übte er auch Kritik an Bundeskanzler Olaf Scholz, der früher von seiner Richtlinienkompetenz hätte Gebrauch machen sollen, um das “Verhandlungschaos” zu verhindern. Auch der klimapolitische Sprecher der Grünen, Michael Bloss, definierte das Gesetz als eindeutiges Verbrenner-Aus: “Ab 2035 dürfen nur noch Autos mit null Emissionen am Auspuff zugelassen werden.”
Auch der liberale Niederländer Jan Huitema (Renew), der die CO₂-Flottenregulierung für das Parlament federführend verhandelt hat, äußerte sich skeptisch, ob Bundesregierung und Kommission mit ihrer nachverhandelten Zusatzerklärung Erfolg haben werden. “Etwaige künftige Vorschläge für die Verwendung von E-Kraftstoffen werden sowohl inhaltlich als auch rechtlich gründlich geprüft werden”, so Huitema. Hintergrund ist die Frage, ob die Kommission überhaupt befugt ist, einen delegierten Rechtsakt für das Gesetz zu erlassen.
Die Automobilindustrie reagierte noch zurückhaltend auf die Erklärung zu E-Fuels durch die Kommission. Sie hatte für den Fall eines Verbrennerverbots stets einen schnellen Hochlauf der Ladeinfrastruktur in Europa gefordert. Den in der Nacht auf Dienstag im Trilog ausgehandelten Kompromiss zur Alternative Fuel Infrastructure Regulation (AFIR) bezeichnete VDA-Präsidentin Hildegard Müller als zu wenig. Er bleibe deutlich hinter dem zurück, was notwendig wäre, um die ambitionierten Ziele bei der E-Mobilität zu erreichen. “Autofahrer sollten entlang der wichtigsten Verkehrsachsen der EU alle 40 Kilometer eine Ladesäule finden können – mit den nun festgelegten 60 Kilometern ist die Einigung von einer verbraucherfreundlichen Lösung weit entfernt.” Die Anhebung der Ladeleistung auf 1,3 Kilowatt gehe in die richtige Richtung, so Müller. Notwendig wären allerdings drei Kilowatt gewesen.
Auch der Europäische Verband der Automobilhersteller (ACEA) hält den Kompromiss für nicht ausreichend. “Eine erhebliche ‘Infrastrukturlücke’ wird die CO₂-Reduzierung und den Übergang unseres Sektors zur Klimaneutralität weiterhin einschränken”, warnte ACEA-Generaldirektorin Sigrid de Vries. Sie forderte, die Mitgliedstaaten müssten dringend dafür sorgen, dass die Planungs- und Genehmigungsverfahren für Ladepunkte beschleunigt, die Stromnetze aufgerüstet und geeignete Flächen für die Lkw-Ladung zur Verfügung gestellt werden.
Die EU-Institutionen haben sich auf ein neues Instrument geeinigt, mit dem Europa künftig schlagkräftiger auf wirtschaftliche Erpressungsversuche aus Drittstaaten wie China reagieren kann. Die Vereinbarung zwischen EU-Parlament, EU-Kommission und dem EU-Rat stand am frühen Dienstagmorgen. Das “anti-coercion instrument”, kurz ACI, soll der EU ermöglichen, Gegenmaßnahmen gegen ein Drittland zu ergreifen, falls dieses versucht, mithilfe wirtschaftlicher Abhängigkeiten einen oder mehrere EU-Mitgliedstaaten politisch unter Druck zu setzen. Das Instrument soll jedoch nur als letzte Option eingesetzt werden – dann, wenn ein Dialog kein Ergebnis gebracht hat.
Nicht alle EU-Mitgliedsstaaten waren so erpicht auf das ACI – einige sehen darin einen möglichen weiteren Zankapfel mit Peking. Während der Verhandlungen hatte der EU-Rat dem Instrument daher einige Zähne gezogen. Die Befugnis, darüber zu entscheiden, ob die Maßnahme eines Drittlandes einen Fall wirtschaftlicher Nötigung darstelle, liegt dadurch voll bei den Mitgliedsstaaten und muss mit qualifizierter Mehrheit getroffen werden. Auch eine Notfall-Klausel hatte der EU-Rat gestrichen.
Um Hinhalte-Taktiken zu verhindern, haben die Verhandler dem Einsatz des ACI einen festen Zeitrahmen von einem Jahr verschrieben. Das Instrument sieht folgendes Prozedere vor:
Die Gegenmaßnahmen gegen das Drittland können unter anderem umfassen:
Ein letztes Trilog-Treffen solle nur noch reine Formsache sein, um den Text endgültig festzuzurren, sagte Bernd Lange (S&D), Vorsitzender des Handelsausschusses, am Dienstag. Das soll nach seinem Willen zeitnah passieren. Er rechnet mit einer Einigung vor der Sommerpause und auch mit der Zustimmung durch Rat und EU-Parlament. Lange zeigte sich mit der Trilog-Einigung zufrieden: “Das Instrument ist keine Wasserspritzpistole, sondern eine richtige Feuerwaffe.”
Ein jüngstes Paradebeispiel für wirtschaftlichen Zwang aus China hatte dem EU-Vorgang zuletzt noch mehr Dringlichkeit verliehen: Ende 2021 hatte Peking ein De-facto-Handelsembargo gegen den EU-Staat Litauen verhängt, nachdem das baltische Land Taiwan erlaubt hatte, ein Verbindungsbüro mit dem Namen “Taiwan-Büro” in der litauischen Hauptstadt Vilnius zu eröffnen.
Im Ärger darüber ließ Peking Litauen im Dezember 2021 für einige Tage sogar ganz aus dem Zollregister verschwinden. Seither ist der wirtschaftliche Austausch zwischen Litauen und China auf einem Niedrigstand. Peking bewegt sich bei der Blockade in einer handelspolitischen Grauzone aus Zollbeschränkungen und anderen Gängeleien gegen litauische Unternehmen.
Einen offiziellen Handelsstopp bestreitet China, weshalb Brüssel zuletzt vor die Welthandelsorganisation zog und in Genf die Einrichtung eines Schiedsgerichts erwirkte. Dieses wurde Ende Januar eingerichtet, ist aber nach WTO-Angaben noch nicht zusammengesetzt. Das ist kein Wunder: WTO-Schiedsgerichte brauchen viel Zeit – Entscheidungen können bis zu eineinhalb Jahren benötigen.
Ob das ACI nun Litauen schneller helfen könnte, blieb nach der Trilog-Einigung offen. Eine Kommissionssprecherin erklärte, das Instrument werde nur auf künftige Fälle angewandt. Ausschuss-Vorsitzender Lange sagte jedoch, das müsse sich noch zeigen. Ein potenzielles Anwendungsszenario sah Lange im Fall des niederländischen Herstellers für Halbleiter-Maschinen, ASML.
Chinas Botschafter in den Niederlanden, Tan Jian, hat bereits vor einer Verschlechterung der bilateralen Beziehungen gewarnt, falls das EU-Land das geplante Export-Verbot für ASML tatsächlich umsetzen sollte. “Das wird nicht ohne Folgen bleiben. Ich werde nicht über Gegenmaßnahmen spekulieren, aber China wird das nicht auf die leichte Schulter nehmen“, sagte Tan. Auf eine mögliche wirtschaftliche Vergeltung aus Peking gegen die Niederlande könnte künftig theoretisch mit dem neuen Instrument reagiert werden.
Was die EU-Kommission mit ihrem European Media Freedom Act im vergangenen Jahr vorgeschlagen hat, hat schon einige Kritik auf sich gezogen. Und auch im Kultur- und Medienausschus CULT gab es erneut Tadel. “Wir machen zwar sehr starke Vorschriften für den Binnenmarkt, verlieren aber kein Wort über transnationale Strukturen. Wenn es etwa um Medienkonzentration geht, ist der Blick immer auf den nationalen Markt gerichtet”, kritisierte Berichterstatterin Sabine Verheyen (CDU) am Dienstag etwa. Dazu würden auch Onlineplattformen als Medienaggregatoren gehören.
“Deutlich verbesserungsbedürftig” sei der European Media Freedom Act, meint Petra Kammerevert (SPD). Zwar sei es etwa begrüßenswert, dass der Quellenschutz europaweit kodifiziert werden solle. Aber die vorgeschlagenen Regelungen seien nicht ausreichend. Auch die geplanten Transparenzvorschriften für Medienverflechtungen seien begrüßenswert. So wie auch Verheyen hat auch Kammerevert starke Bauchschmerzen mit der von der Kommission gewählten Rechtsgrundlage, dem Binnenmarktartikel 114 AEUV: “Wir reden hier nicht nur über eine Ware, sondern auch über ein Kulturgut.”
Sie bezweifle, dass der Text dazu geeignet ist, die tatsächlich vorhandenen Probleme in einigen Mitgliedstaaten zu lösen. Dass der Chef der ungarischen Medienaufsicht den Gesetzesvorschlag für, so Kammerevert, “ganz wunderbar” befunden habe, da kämen ihr doch leise Zweifel an der Wirksamkeit.
Dass Staatsferne das Ziel sei, stehe im Text, zugleich aber sei die vorgeschlagene Lösung falsch, sagt Kammerevert: “Eine Medienaufsichtsbehörde auf europäischer Ebene zu schaffen, die dann vollständig in Abhängigkeit arbeiten muss von der Kommission, ist etwas, was für mich absolut inakzeptabel ist, weil es dem Gebot der Staatsferne deutlich widerspricht.” Auch an anderen Stellen würden sich Fragen stellen, etwa, ob die EU-Kommission tatsächlich darüber entscheiden könne und solle, ob öffentlich-rechtlicher Rundfunk in Europa ausreichend finanziert sei.
Deutlich positivere Worte fand Irena Joveva, slowenische Renew-Abgeordnete. Es sei deutlich einfacher, bestehende Freiheiten zu verteidigen als bereits beschädigte wiederherzustellen. Die vorgeschlagene Verordnung sei ein sanfter Weg, um eine bessere Kooperation zwischen Medienregulierern in Europa zu fördern und ein weiteres Sicherheitsnetz einzuziehen. Sie wolle den geplanten Ausschuss der Medienregulierer nicht nur staatsferner gestalten, sondern ihm auch mehr Befugnisse verleihen. Der Ausschuss solle daher auch mit entsprechender Expertise ausgestattet werden – von Journalisten, Verbänden oder anderen Experten. Joveva sieht vor allem in einem Bereich mehr Kompetenzen für notwendig an: “Transparenz ist einer der wichtigsten Faktoren, weshalb ich diese auf alle staatlichen Stellen ausweiten würde, inklusive Staatsunternehmen.”
Die spanische Grüne Diana Riba i Giner betonte, dass für die Greens/EFA-Fraktion der Weg der Verordnung der richtige wäre. Sie fordert eine klare Definition des Begriffs von Medien, die mit dem EMFA geschützt werden sollen. Nur so sei die Durchsetzung überhaupt möglich. Dieser Begriff solle über traditionelle Medien hinausgehen und auch Onlinemedienformen mit umfassen. Wo genau die Grenzen gezogen werden, was als Medien und was als Medienumfeld mit reguliert werden soll, ist umstritten. Alexis Georgoulis von der Linken kündigte an, dass seine Fraktion vor allem beim Schutz von Journalisten, bei der Transparenz von Medieneigentum und staatlicher Einflussnahme Änderungsanträge einbringen wolle.
Der LIBE-Ausschuss bearbeitet bestimmte Teile des Media Freedom Act-Dossiers, insbesondere wenn es um den besseren Schutz von Journalisten, etwa vor unzulässigen staatlichen Überwachungsmaßnahmen geht. Die dort federführende rumänische Renew-Politikerin Ramona Strugariu berichtete, dass der Ausschuss für bürgerliche Freiheiten am Montag sein erstes Berichterstattertreffen gehabt habe.
Im LIBE scheint der Zeitdruck besonders groß: dadurch, dass das Parlament nun im letzten Jahr der Legislaturperiode ist, könnten umfangreiche Änderungsanträge automatisch dazu führen, dass der EMFA nicht mehr vor der Wahl ausverhandelt werden kann. Die Abstimmung zu den LIBE-Anteilen am Dossier sei für Ende Juni vorgesehen. Sabine Verheyen mahnte ihre Kollegen daraufhin: “Wenn Sie mit Ihrer Stellungnahme in unserer Arbeit berücksichtigt werden wollen, könnte Ende Juni zu spät sein.” Unter Umständen könnte der Trilog dann frühestens im November beginnen.
Für den ebenfalls teilzuständigen Binnenmarktausschuss IMCO betonte der französische MEP Geoffrey Didier (EVP), dass sehr genau auf das Verhältnis zur innerstaatlichen Medienregulierungspraxis geschaut werden müsse. Die Ziele des EMFA seien lobenswert, aber Harmonisierung um jeden Preis sei nicht das Ziel. Wichtig sei für IMCO, dass insbesondere die Digitalakteure wie Suchmaschinen einbezogen würden. Zudem sei die Trennung in audiovisuelle Dienste und Presse weiterhin relevant, um den Besonderheiten Rechnung zu tragen. Der IMCO plane für Mai sein zweites Schattenberichterstattertreffen, um im Juni zu einem Ergebnis zu kommen.
Der Zeitdruck der Parlamentarier hat dabei unausgesprochen einen zweiten Hintergrund – neben der Tatsache, dass im Mai kommenden Jahres das EP neu gewählt wird: Nacheinander werden ab Juli 2024 erst Ungarn und dann Polen die Ratspräsidentschaft innehaben – zwei der Länder, auf die der European Media Freedom eigentlich abzielt.
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Die Fraktionen im Europaparlament haben die Zuständigkeiten für wesentliche Gesetzesvorhaben untereinander aufgeteilt. Bei einem Treffen der Koordinatoren im Ausschuss für Industrie, Forschung und Energie (ITRE) sicherte sich nach Informationen aus EP-Kreisen die sozialdemokratische S&D-Fraktion den Bericht über die Reform des Strommarktes. Der Net-Zero Industry Act geht demnach an einen EVP-Berichterstatter, der Critical Raw Materials Act an die liberale Renew-Fraktion.
Welche Abgeordneten jeweils mit dem Bericht beauftragt werden, ist noch nicht entschieden. Die Strommarktreform dürfte an einen spanischen Sozialisten gehen, da es in Spanien großes Interesse an dem Dossier gibt. Gute Chancen werden im Parlament dem Abgeordneten Nicolás González Casares zugesprochen. Die Christdemokraten wollen am Donnerstag entscheiden, wer den Bericht zum Net-Zero Industrial Act erhält. Als möglicher Kandidat gilt EVP-Koordinator Christian Ehler (CDU). tho
Am Dienstag hat sich der Ausschuss für bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres (LIBE) auf ein Mandat bei vier entscheidenden Gesetzen des Migrationspaktes geeinigt:
“Es ist eine historische Abstimmung. Zu lange schon befindet sich die EU in einer Sackgasse. Entweder nehmen wir uns der komplexen Problematik nun an, oder wir scheitern. Das Europaparlament hat jedenfalls gezeigt, dass wir uns zusammenraufen und Kompromisse ausarbeiten können“, betonte Tomas Tobé im Anschluss an die Abstimmung.
Seit über zwei Jahren verhandeln Parlament und Rat über die vielen Gesetze, die den EU-Migrationspakt ausmachen. Während das Parlament nun eine Position für alle Elemente des Paktes hat, ist der Rat noch nicht verhandlungsbereit: Es fehlen unter anderem die Ratsposition zur Asyl- und Managementverordnung, Krisenverordnung und Asylverfahrensverordnung. “Der Rat hat bis zum Sommer, um sich auf eine Position zu einigen, ansonsten ist es zu spät für Triloge in dieser Legislaturperiode”, forderte denn auch Birgit Sippel.
Eine besondere Herausforderung für die Verhandlungen: die Balance zwischen Verantwortung und Solidarität zu finden. Beispielsweise dafür zu sorgen, dass die EU27 die Mitgliedstaaten entlasten, die unter hohem Migrationsdruck stehen, – etwa durch eine Umverteilung der Flüchtlinge, Hilfe beim Kapazitätsaufbau oder durch finanzielle Unterstützung. Es sei wichtig, das gegenseitige Vertrauen zwischen Mitgliedstaaten wieder aufzubauen, betonte Tomas Tobé.
Gleichzeitig würde das Parlament der Wahrung der Menschenrechte achten, unterstrich SPD-Politikerin Birgit Sippel. So fordert das Parlament etwa einen unabhängigen Überwachungsmechanismus an den EU-Außengrenzen, um sicherzustellen, dass es nicht zu Menschenrechtsverletzungen durch EU-Mitgliedstaaten kommt.
Die Grünen kritisierten gestern vor allem die Krisenverordnung: “Wir können die derzeitigen Tendenzen zu einer ausgedehnten und verlängerten Internierung an unseren Außengrenzen sowie Ausnahmen der bestehenden Schutzmaßnahmen und Grundrechtsgarantien nicht gutheißen”, sagte die migrationspolitische Sprecherin der Grünen, Tineke Strik.
Die gestrigen Kompromisse werden Ende im April dem Plenum zum Veto vorgestellt. Derweil stimmte der Haushaltsausschuss gestern in einem Änderungsantrag für den Haushaltsplan 2024 gegen eine EU-Finanzierung von Grenzzäunen.
Die Abstimmungen im Parlament kommt einen Tag, nachdem die Vereinten Nationen das Migrationsmanagement der EU scharf kritisiert haben: In einem Bericht attestiert die UN der EU Mitschuld an den menschenunwürdigen Zuständen in den dortigen Internierungslagern. cw
Die EU-Minister haben am Dienstag die Trilog-Ergebnisse zu drei wesentlichen Gesetzesvorschlägen des Fit-for-55-Pakets angenommen. Das Parlament hatte die Überarbeitungen von LULUCF, Effort Sharing und Marktstabilitätsreserve bereits vor zwei Wochen bestätigt. Somit können alle drei Dossiers im EU-Amtsblatt erscheinen, wodurch sie zu geltendem Recht werden.
Mit der neuen Verordnung zur Landnutzung, Landnutzungsänderung und Forstwirtschaft (LULUCF) kommen neue Regeln für natürliche CO₂-Senken in der EU. Bis 2030 soll die Senkleistung um 15 Prozent auf 310 Millionen Tonnen CO₂-Äquivalent erhöht werden. Da dieses Ziel höher ist als im EU-Klimagesetz von 2021 beschlossen (225 Millionen Tonnen), besteht die Möglichkeit, dass die EU nun ihr bei der UN hinterlegtes Klimaziel von 55 Prozent CO₂-Reduktion bis 2030 anhebt. Die EU-Länder hatten diesen Schritt angekündigt, sobald alle Teile des Fit-for-55-Paket fertig verhandelt sind.
Die überarbeitete Effort Sharing Regulation (ESR, Lastenteilungsverordnung) legt verbindliche Reduktionsziele für Treibhausgasemissionen für jedes EU-Land individuell fest. Für Deutschland gilt: bis 2030 mindestens 50 Prozent weniger Treibhausgasemissionen (THG) als noch 2005. Im Durchschnitt müssen die EU-Staaten ihre Emissionen um 40 Prozent senken.
Die ESR gilt für Sektoren, die nicht im europäischen Emissionshandel (ETS) abgedeckt sind – derzeit rund 60 Prozent aller EU-Emissionen. Darunter sind die Sektoren Straßenverkehr, Gebäudebeheizung, Landwirtschaft, kleinere Industrieanlagen und die Abfallwirtschaft. Allerdings werden einige der Sektoren im Rahmen der ETS-Reform voraussichtlich in den kommenden Jahren in den Emissionshandel aufgenommen. Über die Trilog-Einigung zur ETS-Reform stimmen EU-Parlament und Rat erst im April ab.
Die Marktstabilitätsreserve (MSR) ist Teil des ETS. Deren Überarbeitung wurde jedoch in einem eigenen Gesetzesvorschlag verhandelt und abgestimmt. Die MSR regelt den Abbau von Überschüssen an Emissionszertifikaten im ETS, um Preisvolatilität am CO₂-Markt möglichst gering zu halten. Bis Ende 2030 gehen jährlich 24 Prozent der nicht verkauften Zertifikate in die MSR über, mindestens aber 200 Millionen Zertifikate. 2031 sinkt die Aufnahmequote wieder auf 12 Prozent ab und die Mindestzahl auf 100 Millionen Zertifikate. luk
Der Binnenmarktausschuss des Europaparlaments hat am Montagnachmittag die weiteren Schritte für die Umsetzung des Digital Services Act (DSA) besprochen. Eingeladen waren auch Vertreter von Twitter und TikTok – die nahmen aber nicht an der Sitzung teil.
Der Digital Services Act wird aktuell Stück für Stück umgesetzt. Ein Jahr nach der Einigung zwischen Europaparlament, Rat und Kommission im Trilog baut die EU-Kommission die nötigen Personalkapazitäten weiter auf, parallel kommen nun auch die im DSA vorgesehenen Umsetzungsrechtsakte.
Welcher Schritt wann kommt:
Weitere Umsetzungsrechtsakte können erst später kommen. Voraussetzung dafür ist die Schaffung des Digitale-Dienste-Ausschusses, das gemeinsame Gremium der Aufseher. Das aber setzt wiederum die Benennung der nationalen Koordinatoren voraus. Und die steht noch aus. Für das entsprechende deutsche Umsetzungsgesetz, das Digitale-Dienste-Gesetz, wird für die Zeit nach Ostern ein Entwurf erwartet. Dass dann die Bundesnetzagentur als deutscher Koordinator benannt wird, gilt als sicher.
Bis Februar ’24 soll dann:
Konkrete Einzelheiten zu den bisherigen Gesprächen mit Anbietern, die als besonders große Plattform oder besonders große Suchmaschine eingestuften werden, wollte die EU-Kommission im IMCO-Ausschuss am Montag nicht nennen. Auf Nachfrage wies sie aber darauf hin, dass die Kommission und die US-Administration derzeit bei Fragen der Plattformregulierung in guten Gesprächen sei. In der Arbeitsgruppe 5 des Trade and Technology Councils würden DSA- und DMA-Themen besprochen, die US-Seite sei daran ebenfalls sehr interessiert. fst
Die Komplexität der geplanten KI-Verordnung der EU ist zu hoch, und oft vor allem unklar. Zu diesem Schluss kommt eine Studie der “Initiative for Applied Artificial Intelligence” (IAAI), die vom bayerischen Staatsministerium für Digitalisierung gefördert wird.
Die Autoren setzen sich dabei vor allem mit den vorgesehenen Klassifizierungen auseinander: verbotene, Hochrisiko- sowie Systeme mit geringem Risiko. Die KI-Verordnung soll für Hochrisikosysteme Vorschriften beinhalten, damit diese adäquat zum Einsatz kommen können. Geprüft wurde, wie 106 bekannte KI-Systeme klassifiziert würden. Grundlage der Studie war dabei der Kommissionsvorschlag von 2021.
Als Hauptproblem erkennen die Studienautoren, dass die Klassifizierung anhand der vorgeschlagenen Regeln kaum zuverlässig möglich sei. So würden bis zu rund 60 Prozent der Anwendungen möglicherweise in den Hochrisikobereich fallen.
“Der Entwurf der KI-Verordnung der EU ist zu risikofixiert und an zu vielen Stellen noch unklar”, kritisiert die bayerische Staatsministerin für Digitales, Judith Gerlach. Es brauche Planungssicherheit und mehr Betonung der Chancen im internationalen Wettbewerb. Aktuell wird aufgrund der neuen Generation selbstlernender Modelle wie ChatGPT4 oder Midjourney eine breitere Diskussion über KI geführt.
Besonders stark werden von den Studienautoren inkonsistente und unklare Definitionen in verschiedenen EU-Gesetzeswerken kritisiert. So sei etwa die Frage, wie KI-Systeme im Kontext von Kritischer Infrastruktur eingestuft werden, maßgeblich davon abhängig, was zur Kritischen Infrastruktur gezählt wird: Sollen die Definitionen aus der CER-Richtlinie Anwendung finden? Oder die – abweichenden – aus der NIS2? Übergangsweise die Nationalen?
Allerdings drücken sich die Autoren in ihrer Studie um die Antwort auf die Frage, ob eine Schwellenwertdefinition bei skalierender KI überhaupt eine sinnvolle Größenordnung sein könne.
Auch an anderer Stelle greift die Studie vor allem Unklarheiten auf: zum Beispiel bei der Erkennung von Schäden an Zügen. Dort sei die KI weder Teil vom Zug noch von den Gleisen. “Die Bilderkennung an sich (Kameras an Brücken) ist kein Teil eines Produktes oder des ‘Bahnsystems’ und stellt als solches auch kein Sicherheitsrisiko dar”, heißt es in der Studie der IAAI. Allerdings könne ein Ausfall oder eine Fehlfunktion durchaus relevante Folgen haben. fst
Sie ist eine der wichtigsten Vordenkerinnen in Sachen Privatrecht und Digitalisierung. Die Europäische Union goss einige ihrer Vorschläge bereits in Gesetze. Noch dazu war sie Co-Vorsitzende der deutschen Datenethikkommission. Aber bevor als das passierte, war sich Christiane Wendehorst gar nicht sicher, ob sie Rechtswissenschaft studieren soll.
Als Jugendliche träumte sie davon, einmal die Energieversorgung der Zukunft zu entwickeln. Oft verlor sie sich stundenlang in Grübeleien. “Aber in den Naturwissenschaften waren Anstellungen damals rar“, erzählt Wendehorst, die in den Siebzigerjahren aufgewachsen ist. Und dann war da die finanzielle Unsicherheit, ihre Eltern konnten sie nicht unterstützen. Also studierte sie Jura. “Da wusste ich: Es gibt Jobsicherheit.” Heute ist Wendehorst Professorin für Zivilrecht an der Universität in Wien und wissenschaftliche Direktorin am European Law Institute. Einer ihrer Schwerpunkte: Datenrecht.
Während des Referendariats schreibt Wendehorst als wissenschaftliche Hilfskraft an der Ludwig-Maximilian-Universität in München Rechtsgutachten zum ausländischen Recht im Akkord – oft von fünf bis fast um Mitternacht, ohne Internet, erzählt sie. “Inzwischen eigentlich unvorstellbar.” An einem Tag befasst sie sich mit iranischem Scheidungsrecht, an einem anderen mit russischem Erbrecht. Die Erfahrung, sich mit unterschiedlichsten Rechtsräumen zu beschäftigen, nützt ihr noch heute bei der Arbeit.
Im Jahr 2015 erlebt Wendehorst den Schlüsselmoment, der sie zum Digitalrecht führt: Ein Kollege bittet sie, einen Vortrag über Haftung und das Internet der Dinge zu halten. Wendehorst sagt zu, obwohl es nicht gerade ihr Fachgebiet ist. Bei der Recherche stellt sie fest, dass es zu dem Thema in der juristischen Literatur kaum etwas Brauchbares gibt. Doch sie meistert den Vortrag, sie bekommt enthusiastisches Feedback – und brennt fortan für das Digitalrecht. Ihr Fünf-Komponenten-Modell eines Geräts im Internet der Dinge und seine Implikationen für das Kaufrecht sind inzwischen europäisches Gesetz.
Was muss Datenschutz leisten, um ein guter Datenschutz zu sein? Die Antwort darauf habe viele Dimensionen: “Gerade ist das Sammeln von Daten oft die einzige Lösung, die wir für die Probleme unserer Welt haben”, sagt die Professorin. Aus Daten ergeben sich Handlungsmöglichkeiten – und je genauer die sind, desto effektiver sind die Handlungen. Das sei während der Corona-Pandemie deutlich geworden.
Daten sind also nur schlecht, wenn man Schlechtes mit ihnen macht. Wendehorst hat ein Beispiel parat: Man stelle sich nur vor, ein Verwandter im Ausland stirbt, die Anreise ist nur mit dem Flugzeug möglich. Was ist, wenn die Fluggesellschaften die Situation kennen und sie ausnutzen, indem sie Flüge nur zu exorbitanten Preise anbieten? Wendehorst nennt das Übervorteilung und findet, dass Praktiken wie diese verboten gehören.
Und damit zurück zur Frage: “Guter Datenschutz ist risikobasiert. Wenn ein kleines Risiko für Missbrauch besteht, dann sollte es kleine Hürden geben”, resümiert die Professorin. “Und wenn das Risiko groß ist, dann sollten die Hürden entsprechend groß sein.” Martin Hogger
soll Wasserstoff aus Atomkraft auf die Erneuerbaren-Ziele angerechnet werden? Genau das forderten Frankreich und einige andere Länder. Aber die Energieminister haben dieser Idee gestern eine Abfuhr erteilt und das Vorhaben aus der allgemeinen Ausrichtung zur Gasmarkt-Richtlinie gestrichen. Dafür signalisierte die Kommission Entgegenkommen auf einer anderen Ebene in Sachen Atomkraft. Mehr lesen Sie bei Manuel Berkel.
Pkw und leichte Nutzfahrzeuge müssen ab 2035 CO₂-neutral sein. Gestern ist die Entscheidung dann auch wirklich gefallen: Deutschland hat seine Blockadehaltung im Ministerrat aufgegeben, im Gegenzug für einen Kompromiss zu E-Fuels. Wie die Kommission sicherstellen will, dass die Verbrenner wirklich nur mit E-Fuels betankt werden können, das berichtet Lukas Scheid.
Wie geht es weiter mit der China-Politik der EU? Das wird Ursula von der Leyen morgen in einer Grundsatzrede ausbuchstabieren. Aus informierten Kreisen hört man, sie wolle damit das Verhältnis zu Peking neu austarieren. Kein Decoupling nach US-Manier, wohl aber ein gezielter Abbau von Abhängigkeiten bei kritischen Technologien und Rohstoffen. Europa solle sich besser nicht auf das Wohlwollen von Präsident Xi Jinping verlassen. Die Kommissionspräsidentin dürfte auch konkrete Maßnahmen ankündigen. Die Kommission arbeitet an einem Vorschlag, Investitionen europäischer Unternehmen in sicherheitsrelevanten Sektoren in Drittstaaten unter Genehmigungsvorbehalt zu stellen.
Auf ein anderes Werkzeug einigten sich gestern die Unterhändler von Europaparlament und Rat: Das Anti-Coercion-Instrument soll die EU-Staaten besser vor wirtschaftlichen Zwangsmaßnahmen, vor allem Pekings schützen. Amelie Richter analysiert die Details.
Eine kontroverse Paketlösung hatten gestern die Energieminister der EU zu verhandeln. Nachdem Deutschland die anderen Staaten bei E-Fuels vor sich hergetrieben hatte, spitzte sich gestern die Auseinandersetzung um Frankreichs Wunsch zu, Atomenergie auf die Erneuerbaren-Ziele der EU anzurechnen. Unmittelbar vor dem Rat tagten die beiden Lager deshalb in zwei unterschiedlichen Runden.
Frankreichs Energieministerin Agnès Pannier-Runacher hatte ein erneutes Treffen ihrer Atom-Koalition von Februar einberufen. Rund um ihre österreichischen Amtskollegin Leonore Gewessler versammelten sich derweil ihre Gegenspieler. Vertreter von zehn weiteren Staaten – darunter Deutschlands – kamen zusammen unter dem Motto “Erneuerbar heißt Erneuerbar”, um eine gemeinsame Gegenposition für die Verhandlungen abzustimmen.
Frankreich und seinen Verbündeten geht es neben einer industriellen Kooperation in erster Linie um die “Mobilisierung finanzieller Mittel“, wie es in einem gemeinsamen Ergebnispapier der atomfreundlichen 13er-Runde hieß. Vor allem Frankreichs Staatskonzern EDF ist dringend auf frische Milliarden angewiesen.
Wichtigstes Ziel von Pannier-Runacher war gestern jedoch eine Vorentscheidung für den heutigen Trilog, mit dem die Novelle der Erneuerbare-Energien-Richtlinie (RED) besiegelt werden soll. Deshalb wurde eigens die allgemeine Ausrichtung zum Gasmarkt-Paket vom Morgen auf den Nachmittag verschoben. In früheren Entwürfen war versucht worden, über die Gasmarkt-Richtlinie in die RED hineinzuregulieren und damit eine Grundlage zu schaffen, Atomenergie nachträglich auf die Erneuerbaren-Ziele im Verkehr und in der Industrie anrechnen zu können.
Schließlich strich der Rat den Atom-Paragrafen gestern aus der allgemeinen Ausrichtung zur Gasmarkt-Richtlinie. “Low-carbon Wasserstoff wird nicht als erneuerbar anerkannt und die unseriöse Brücke zur RED ist Geschichte”, kommentierte dies Berichterstatter Jens Geier (SPD) auf seinem LinkedIn-Profil.
Eine Lösung für den Atomstreit auszuarbeiten, obliegt heute dem Treffen der Ständigen Vertreter. Ab 16 Uhr geht es dann in den Trilog, wo das Parlament der Position zustimmen muss. Skepsis hatte vor einigen Wochen Berichterstatter Markus Pieper (CDU) geäußert. Quoten für kohlenstoffarmen Wasserstoff aus Atomenergie sollten Pieper zufolge höchstens on top auf die Ziele für grünen Wasserstoff kommen.
Ein Entgegenkommen auf einer anderen Ebene signalisierte Energiekommissarin Kadri Simson. Die Kommission habe verstanden, dass die Mitgliedstaaten Leitlinien für den Einsatz von kleinen modularen Reaktoren (SMR) und EU-weite Standards dafür bräuchten, sagte sie in der abendlichen Pressekonferenz. Die Kommission werde daher mit der Atomindustrie zusammenarbeiten und “in diesem Bereich liefern“.
Die allgemeine Ausrichtung zum Gasmarktpaket wurde am Dienstag gemischt aufgenommen. Während es der DIHK richtig nannte, dass die Gasnetzbetreiber zunächst auch Wasserstoffnetze bauen und betreiben können, äußerten sich die Betreiber ablehnend gegenüber der Ratsposition. Der Rat habe sich für eine eigentumsrechtliche Trennung des Wasserstoff- und Gasnetzes auf Ebene der Verteilnetze ausgesprochen, teilte der Verband kommunaler Unternehmen (VKU) mit. Dies würde es vielen Stadtwerken nahezu unmöglich machen, eine investitionssichere Transformation der Infrastruktur einzuleiten, sagte Hauptgeschäftsführer Ingbert Liebing.
Die Energieminister einigten sich außerdem darauf, das freiwillige Gassparziel der EU bis März 2024 zu verlängern. Im August 2022 eingeführt, wäre es sonst nach der bisherigen Notverordnung am Freitag ausgelaufen. Verpflichtende Verschärfungen zur Berichterstattung – wie sektorengenaue Angaben zum Gasverbrauch – blockten die Mitgliedstaaten gestern jedoch ab.
Im Vergleich zu einem fünfjährigen Referenzzeitraum sollen die EU-Länder weiterhin 15 Prozent Gas einsparen. “Gut und wichtig” nannte das die Parlamentarische Staatssekretärin Franziska Brantner, die für das Bundeswirtschaftsministerium an dem Treffen teilnahm.
Bis Januar hatten die Staaten das Ziel noch übererfüllt. Doch im Vergleich zum vergangenen Herbst sind die Gaspreise stark gesunken, sodass der finanzielle Sparanreiz schwächer geworden ist. Fraglich ist zudem, ob das nächste Winterhalbjahr wieder so milde wird wie das vergangene. Erst kürzlich hatte die Kommission aufgezeigt, dass sogar noch die Gasversorgung im Winter 2024/25 gefährdet sein könnte, falls Russland seine Lieferungen einstellt und in den kommenden warmen Monaten gar kein Gas mehr eingespart wird.
Pkw und leichte Nutzfahrzeuge müssen ab 2035 CO₂-neutral sein. Ob Autos, die ausschließlich mit E-Fuels betankt werden können, auch dazu zählen, darüber wurde in den vergangenen vier Wochen insbesondere auf Drängen des Bundesverkehrsministers Volker Wissing heftig gestritten. Die Bundesregierung konnte den neuen Regeln am Dienstag erst zustimmen, nachdem die Kommission am Wochenende erklärt hatte, wie sie die Zulassung solcher “E-Fuels only”-Fahrzeuge auch nach 2035 noch ermöglichen will.
Auf den Gesetzestext, der heute zur finalen Abstimmung stand, hatte diese Erklärung jedoch keinerlei Auswirkungen. Damit gilt für die Neuwagenflotten von Autoherstellern:
In der Erklärung versicherte die Kommission, dass sie zunächst über einen Durchführungsrechtsakt eine neue Fahrzeugkategorie für “E-Fuels only”-Fahrzeuge innerhalb der Typgenehmigung der Euro-5- und Euro-6-Regulierungen einführen wird. So soll sichergestellt werden:
Wie diese Vorgaben umgesetzt werden, ist der Automobilindustrie selbst überlassen.
Anschließend soll entweder über einen delegierten Rechtsakt oder, sollte dieser scheitern, über die ordentliche Überarbeitung der Flottenregulierung geklärt werden, wie sich Hersteller diese neue Fahrzeugkategorie auf ihre Flottenziele anrechnen lassen können.
Verkehrsminister Wissing begrüßte die Erklärung und zeigte sich sicher, dass nun mit E-Fuels betriebene Fahrzeuge mit Verbrennungsmotor auch nach 2035 noch neu zugelassen werden können. Die Erklärung der Kommission sei ein wichtiges Signal an den Markt, Produktionskapazitäten für E-Fuels aufzubauen, denn eine “breite Nachfrage nach E-Fuels ist die grundlegende Voraussetzung, dass klimaneutrale Kraftstoffe wettbewerbsfähig werden können”.
Jens Gieseke, verkehrspolitischer Sprecher der CDU/CSU-Gruppe im Europaparlament, bezweifelt jedoch, dass es tatsächlich das Aus für das Verbrenner-Aus ist, wie Wissing es genannt hatte. Mit der Zustimmung im Rat habe Wissing dafür gesorgt, dass das Verbennerverbot per EU-Verordnung bestätigt werde. Dies sei eine “herbe Niederlage für den Minister, der den Anspruch hatte, den Verbrenner zu retten.” Gieseke selbst setzte sich schon während der Verhandlungen für die Anrechnung für E-Fuels für die Flottenziele ein. “Sowohl die Grünen als auch Kommissar Timmermans werden sich die Hände reiben und das Ende des Verbrenners feiern“, so der CDU-Politiker.
Und tatsächlich: Mehrere Grünen-Politiker feierten das “Verbrenner-Aus”. Rasmus Andresen, Sprecher der deutschen Grünen im Parlament, bezeichnete es als großen Erfolg für eine klimafreundliche Verkehrspolitik. Allerdings übte er auch Kritik an Bundeskanzler Olaf Scholz, der früher von seiner Richtlinienkompetenz hätte Gebrauch machen sollen, um das “Verhandlungschaos” zu verhindern. Auch der klimapolitische Sprecher der Grünen, Michael Bloss, definierte das Gesetz als eindeutiges Verbrenner-Aus: “Ab 2035 dürfen nur noch Autos mit null Emissionen am Auspuff zugelassen werden.”
Auch der liberale Niederländer Jan Huitema (Renew), der die CO₂-Flottenregulierung für das Parlament federführend verhandelt hat, äußerte sich skeptisch, ob Bundesregierung und Kommission mit ihrer nachverhandelten Zusatzerklärung Erfolg haben werden. “Etwaige künftige Vorschläge für die Verwendung von E-Kraftstoffen werden sowohl inhaltlich als auch rechtlich gründlich geprüft werden”, so Huitema. Hintergrund ist die Frage, ob die Kommission überhaupt befugt ist, einen delegierten Rechtsakt für das Gesetz zu erlassen.
Die Automobilindustrie reagierte noch zurückhaltend auf die Erklärung zu E-Fuels durch die Kommission. Sie hatte für den Fall eines Verbrennerverbots stets einen schnellen Hochlauf der Ladeinfrastruktur in Europa gefordert. Den in der Nacht auf Dienstag im Trilog ausgehandelten Kompromiss zur Alternative Fuel Infrastructure Regulation (AFIR) bezeichnete VDA-Präsidentin Hildegard Müller als zu wenig. Er bleibe deutlich hinter dem zurück, was notwendig wäre, um die ambitionierten Ziele bei der E-Mobilität zu erreichen. “Autofahrer sollten entlang der wichtigsten Verkehrsachsen der EU alle 40 Kilometer eine Ladesäule finden können – mit den nun festgelegten 60 Kilometern ist die Einigung von einer verbraucherfreundlichen Lösung weit entfernt.” Die Anhebung der Ladeleistung auf 1,3 Kilowatt gehe in die richtige Richtung, so Müller. Notwendig wären allerdings drei Kilowatt gewesen.
Auch der Europäische Verband der Automobilhersteller (ACEA) hält den Kompromiss für nicht ausreichend. “Eine erhebliche ‘Infrastrukturlücke’ wird die CO₂-Reduzierung und den Übergang unseres Sektors zur Klimaneutralität weiterhin einschränken”, warnte ACEA-Generaldirektorin Sigrid de Vries. Sie forderte, die Mitgliedstaaten müssten dringend dafür sorgen, dass die Planungs- und Genehmigungsverfahren für Ladepunkte beschleunigt, die Stromnetze aufgerüstet und geeignete Flächen für die Lkw-Ladung zur Verfügung gestellt werden.
Die EU-Institutionen haben sich auf ein neues Instrument geeinigt, mit dem Europa künftig schlagkräftiger auf wirtschaftliche Erpressungsversuche aus Drittstaaten wie China reagieren kann. Die Vereinbarung zwischen EU-Parlament, EU-Kommission und dem EU-Rat stand am frühen Dienstagmorgen. Das “anti-coercion instrument”, kurz ACI, soll der EU ermöglichen, Gegenmaßnahmen gegen ein Drittland zu ergreifen, falls dieses versucht, mithilfe wirtschaftlicher Abhängigkeiten einen oder mehrere EU-Mitgliedstaaten politisch unter Druck zu setzen. Das Instrument soll jedoch nur als letzte Option eingesetzt werden – dann, wenn ein Dialog kein Ergebnis gebracht hat.
Nicht alle EU-Mitgliedsstaaten waren so erpicht auf das ACI – einige sehen darin einen möglichen weiteren Zankapfel mit Peking. Während der Verhandlungen hatte der EU-Rat dem Instrument daher einige Zähne gezogen. Die Befugnis, darüber zu entscheiden, ob die Maßnahme eines Drittlandes einen Fall wirtschaftlicher Nötigung darstelle, liegt dadurch voll bei den Mitgliedsstaaten und muss mit qualifizierter Mehrheit getroffen werden. Auch eine Notfall-Klausel hatte der EU-Rat gestrichen.
Um Hinhalte-Taktiken zu verhindern, haben die Verhandler dem Einsatz des ACI einen festen Zeitrahmen von einem Jahr verschrieben. Das Instrument sieht folgendes Prozedere vor:
Die Gegenmaßnahmen gegen das Drittland können unter anderem umfassen:
Ein letztes Trilog-Treffen solle nur noch reine Formsache sein, um den Text endgültig festzuzurren, sagte Bernd Lange (S&D), Vorsitzender des Handelsausschusses, am Dienstag. Das soll nach seinem Willen zeitnah passieren. Er rechnet mit einer Einigung vor der Sommerpause und auch mit der Zustimmung durch Rat und EU-Parlament. Lange zeigte sich mit der Trilog-Einigung zufrieden: “Das Instrument ist keine Wasserspritzpistole, sondern eine richtige Feuerwaffe.”
Ein jüngstes Paradebeispiel für wirtschaftlichen Zwang aus China hatte dem EU-Vorgang zuletzt noch mehr Dringlichkeit verliehen: Ende 2021 hatte Peking ein De-facto-Handelsembargo gegen den EU-Staat Litauen verhängt, nachdem das baltische Land Taiwan erlaubt hatte, ein Verbindungsbüro mit dem Namen “Taiwan-Büro” in der litauischen Hauptstadt Vilnius zu eröffnen.
Im Ärger darüber ließ Peking Litauen im Dezember 2021 für einige Tage sogar ganz aus dem Zollregister verschwinden. Seither ist der wirtschaftliche Austausch zwischen Litauen und China auf einem Niedrigstand. Peking bewegt sich bei der Blockade in einer handelspolitischen Grauzone aus Zollbeschränkungen und anderen Gängeleien gegen litauische Unternehmen.
Einen offiziellen Handelsstopp bestreitet China, weshalb Brüssel zuletzt vor die Welthandelsorganisation zog und in Genf die Einrichtung eines Schiedsgerichts erwirkte. Dieses wurde Ende Januar eingerichtet, ist aber nach WTO-Angaben noch nicht zusammengesetzt. Das ist kein Wunder: WTO-Schiedsgerichte brauchen viel Zeit – Entscheidungen können bis zu eineinhalb Jahren benötigen.
Ob das ACI nun Litauen schneller helfen könnte, blieb nach der Trilog-Einigung offen. Eine Kommissionssprecherin erklärte, das Instrument werde nur auf künftige Fälle angewandt. Ausschuss-Vorsitzender Lange sagte jedoch, das müsse sich noch zeigen. Ein potenzielles Anwendungsszenario sah Lange im Fall des niederländischen Herstellers für Halbleiter-Maschinen, ASML.
Chinas Botschafter in den Niederlanden, Tan Jian, hat bereits vor einer Verschlechterung der bilateralen Beziehungen gewarnt, falls das EU-Land das geplante Export-Verbot für ASML tatsächlich umsetzen sollte. “Das wird nicht ohne Folgen bleiben. Ich werde nicht über Gegenmaßnahmen spekulieren, aber China wird das nicht auf die leichte Schulter nehmen“, sagte Tan. Auf eine mögliche wirtschaftliche Vergeltung aus Peking gegen die Niederlande könnte künftig theoretisch mit dem neuen Instrument reagiert werden.
Was die EU-Kommission mit ihrem European Media Freedom Act im vergangenen Jahr vorgeschlagen hat, hat schon einige Kritik auf sich gezogen. Und auch im Kultur- und Medienausschus CULT gab es erneut Tadel. “Wir machen zwar sehr starke Vorschriften für den Binnenmarkt, verlieren aber kein Wort über transnationale Strukturen. Wenn es etwa um Medienkonzentration geht, ist der Blick immer auf den nationalen Markt gerichtet”, kritisierte Berichterstatterin Sabine Verheyen (CDU) am Dienstag etwa. Dazu würden auch Onlineplattformen als Medienaggregatoren gehören.
“Deutlich verbesserungsbedürftig” sei der European Media Freedom Act, meint Petra Kammerevert (SPD). Zwar sei es etwa begrüßenswert, dass der Quellenschutz europaweit kodifiziert werden solle. Aber die vorgeschlagenen Regelungen seien nicht ausreichend. Auch die geplanten Transparenzvorschriften für Medienverflechtungen seien begrüßenswert. So wie auch Verheyen hat auch Kammerevert starke Bauchschmerzen mit der von der Kommission gewählten Rechtsgrundlage, dem Binnenmarktartikel 114 AEUV: “Wir reden hier nicht nur über eine Ware, sondern auch über ein Kulturgut.”
Sie bezweifle, dass der Text dazu geeignet ist, die tatsächlich vorhandenen Probleme in einigen Mitgliedstaaten zu lösen. Dass der Chef der ungarischen Medienaufsicht den Gesetzesvorschlag für, so Kammerevert, “ganz wunderbar” befunden habe, da kämen ihr doch leise Zweifel an der Wirksamkeit.
Dass Staatsferne das Ziel sei, stehe im Text, zugleich aber sei die vorgeschlagene Lösung falsch, sagt Kammerevert: “Eine Medienaufsichtsbehörde auf europäischer Ebene zu schaffen, die dann vollständig in Abhängigkeit arbeiten muss von der Kommission, ist etwas, was für mich absolut inakzeptabel ist, weil es dem Gebot der Staatsferne deutlich widerspricht.” Auch an anderen Stellen würden sich Fragen stellen, etwa, ob die EU-Kommission tatsächlich darüber entscheiden könne und solle, ob öffentlich-rechtlicher Rundfunk in Europa ausreichend finanziert sei.
Deutlich positivere Worte fand Irena Joveva, slowenische Renew-Abgeordnete. Es sei deutlich einfacher, bestehende Freiheiten zu verteidigen als bereits beschädigte wiederherzustellen. Die vorgeschlagene Verordnung sei ein sanfter Weg, um eine bessere Kooperation zwischen Medienregulierern in Europa zu fördern und ein weiteres Sicherheitsnetz einzuziehen. Sie wolle den geplanten Ausschuss der Medienregulierer nicht nur staatsferner gestalten, sondern ihm auch mehr Befugnisse verleihen. Der Ausschuss solle daher auch mit entsprechender Expertise ausgestattet werden – von Journalisten, Verbänden oder anderen Experten. Joveva sieht vor allem in einem Bereich mehr Kompetenzen für notwendig an: “Transparenz ist einer der wichtigsten Faktoren, weshalb ich diese auf alle staatlichen Stellen ausweiten würde, inklusive Staatsunternehmen.”
Die spanische Grüne Diana Riba i Giner betonte, dass für die Greens/EFA-Fraktion der Weg der Verordnung der richtige wäre. Sie fordert eine klare Definition des Begriffs von Medien, die mit dem EMFA geschützt werden sollen. Nur so sei die Durchsetzung überhaupt möglich. Dieser Begriff solle über traditionelle Medien hinausgehen und auch Onlinemedienformen mit umfassen. Wo genau die Grenzen gezogen werden, was als Medien und was als Medienumfeld mit reguliert werden soll, ist umstritten. Alexis Georgoulis von der Linken kündigte an, dass seine Fraktion vor allem beim Schutz von Journalisten, bei der Transparenz von Medieneigentum und staatlicher Einflussnahme Änderungsanträge einbringen wolle.
Der LIBE-Ausschuss bearbeitet bestimmte Teile des Media Freedom Act-Dossiers, insbesondere wenn es um den besseren Schutz von Journalisten, etwa vor unzulässigen staatlichen Überwachungsmaßnahmen geht. Die dort federführende rumänische Renew-Politikerin Ramona Strugariu berichtete, dass der Ausschuss für bürgerliche Freiheiten am Montag sein erstes Berichterstattertreffen gehabt habe.
Im LIBE scheint der Zeitdruck besonders groß: dadurch, dass das Parlament nun im letzten Jahr der Legislaturperiode ist, könnten umfangreiche Änderungsanträge automatisch dazu führen, dass der EMFA nicht mehr vor der Wahl ausverhandelt werden kann. Die Abstimmung zu den LIBE-Anteilen am Dossier sei für Ende Juni vorgesehen. Sabine Verheyen mahnte ihre Kollegen daraufhin: “Wenn Sie mit Ihrer Stellungnahme in unserer Arbeit berücksichtigt werden wollen, könnte Ende Juni zu spät sein.” Unter Umständen könnte der Trilog dann frühestens im November beginnen.
Für den ebenfalls teilzuständigen Binnenmarktausschuss IMCO betonte der französische MEP Geoffrey Didier (EVP), dass sehr genau auf das Verhältnis zur innerstaatlichen Medienregulierungspraxis geschaut werden müsse. Die Ziele des EMFA seien lobenswert, aber Harmonisierung um jeden Preis sei nicht das Ziel. Wichtig sei für IMCO, dass insbesondere die Digitalakteure wie Suchmaschinen einbezogen würden. Zudem sei die Trennung in audiovisuelle Dienste und Presse weiterhin relevant, um den Besonderheiten Rechnung zu tragen. Der IMCO plane für Mai sein zweites Schattenberichterstattertreffen, um im Juni zu einem Ergebnis zu kommen.
Der Zeitdruck der Parlamentarier hat dabei unausgesprochen einen zweiten Hintergrund – neben der Tatsache, dass im Mai kommenden Jahres das EP neu gewählt wird: Nacheinander werden ab Juli 2024 erst Ungarn und dann Polen die Ratspräsidentschaft innehaben – zwei der Länder, auf die der European Media Freedom eigentlich abzielt.
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Die Fraktionen im Europaparlament haben die Zuständigkeiten für wesentliche Gesetzesvorhaben untereinander aufgeteilt. Bei einem Treffen der Koordinatoren im Ausschuss für Industrie, Forschung und Energie (ITRE) sicherte sich nach Informationen aus EP-Kreisen die sozialdemokratische S&D-Fraktion den Bericht über die Reform des Strommarktes. Der Net-Zero Industry Act geht demnach an einen EVP-Berichterstatter, der Critical Raw Materials Act an die liberale Renew-Fraktion.
Welche Abgeordneten jeweils mit dem Bericht beauftragt werden, ist noch nicht entschieden. Die Strommarktreform dürfte an einen spanischen Sozialisten gehen, da es in Spanien großes Interesse an dem Dossier gibt. Gute Chancen werden im Parlament dem Abgeordneten Nicolás González Casares zugesprochen. Die Christdemokraten wollen am Donnerstag entscheiden, wer den Bericht zum Net-Zero Industrial Act erhält. Als möglicher Kandidat gilt EVP-Koordinator Christian Ehler (CDU). tho
Am Dienstag hat sich der Ausschuss für bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres (LIBE) auf ein Mandat bei vier entscheidenden Gesetzen des Migrationspaktes geeinigt:
“Es ist eine historische Abstimmung. Zu lange schon befindet sich die EU in einer Sackgasse. Entweder nehmen wir uns der komplexen Problematik nun an, oder wir scheitern. Das Europaparlament hat jedenfalls gezeigt, dass wir uns zusammenraufen und Kompromisse ausarbeiten können“, betonte Tomas Tobé im Anschluss an die Abstimmung.
Seit über zwei Jahren verhandeln Parlament und Rat über die vielen Gesetze, die den EU-Migrationspakt ausmachen. Während das Parlament nun eine Position für alle Elemente des Paktes hat, ist der Rat noch nicht verhandlungsbereit: Es fehlen unter anderem die Ratsposition zur Asyl- und Managementverordnung, Krisenverordnung und Asylverfahrensverordnung. “Der Rat hat bis zum Sommer, um sich auf eine Position zu einigen, ansonsten ist es zu spät für Triloge in dieser Legislaturperiode”, forderte denn auch Birgit Sippel.
Eine besondere Herausforderung für die Verhandlungen: die Balance zwischen Verantwortung und Solidarität zu finden. Beispielsweise dafür zu sorgen, dass die EU27 die Mitgliedstaaten entlasten, die unter hohem Migrationsdruck stehen, – etwa durch eine Umverteilung der Flüchtlinge, Hilfe beim Kapazitätsaufbau oder durch finanzielle Unterstützung. Es sei wichtig, das gegenseitige Vertrauen zwischen Mitgliedstaaten wieder aufzubauen, betonte Tomas Tobé.
Gleichzeitig würde das Parlament der Wahrung der Menschenrechte achten, unterstrich SPD-Politikerin Birgit Sippel. So fordert das Parlament etwa einen unabhängigen Überwachungsmechanismus an den EU-Außengrenzen, um sicherzustellen, dass es nicht zu Menschenrechtsverletzungen durch EU-Mitgliedstaaten kommt.
Die Grünen kritisierten gestern vor allem die Krisenverordnung: “Wir können die derzeitigen Tendenzen zu einer ausgedehnten und verlängerten Internierung an unseren Außengrenzen sowie Ausnahmen der bestehenden Schutzmaßnahmen und Grundrechtsgarantien nicht gutheißen”, sagte die migrationspolitische Sprecherin der Grünen, Tineke Strik.
Die gestrigen Kompromisse werden Ende im April dem Plenum zum Veto vorgestellt. Derweil stimmte der Haushaltsausschuss gestern in einem Änderungsantrag für den Haushaltsplan 2024 gegen eine EU-Finanzierung von Grenzzäunen.
Die Abstimmungen im Parlament kommt einen Tag, nachdem die Vereinten Nationen das Migrationsmanagement der EU scharf kritisiert haben: In einem Bericht attestiert die UN der EU Mitschuld an den menschenunwürdigen Zuständen in den dortigen Internierungslagern. cw
Die EU-Minister haben am Dienstag die Trilog-Ergebnisse zu drei wesentlichen Gesetzesvorschlägen des Fit-for-55-Pakets angenommen. Das Parlament hatte die Überarbeitungen von LULUCF, Effort Sharing und Marktstabilitätsreserve bereits vor zwei Wochen bestätigt. Somit können alle drei Dossiers im EU-Amtsblatt erscheinen, wodurch sie zu geltendem Recht werden.
Mit der neuen Verordnung zur Landnutzung, Landnutzungsänderung und Forstwirtschaft (LULUCF) kommen neue Regeln für natürliche CO₂-Senken in der EU. Bis 2030 soll die Senkleistung um 15 Prozent auf 310 Millionen Tonnen CO₂-Äquivalent erhöht werden. Da dieses Ziel höher ist als im EU-Klimagesetz von 2021 beschlossen (225 Millionen Tonnen), besteht die Möglichkeit, dass die EU nun ihr bei der UN hinterlegtes Klimaziel von 55 Prozent CO₂-Reduktion bis 2030 anhebt. Die EU-Länder hatten diesen Schritt angekündigt, sobald alle Teile des Fit-for-55-Paket fertig verhandelt sind.
Die überarbeitete Effort Sharing Regulation (ESR, Lastenteilungsverordnung) legt verbindliche Reduktionsziele für Treibhausgasemissionen für jedes EU-Land individuell fest. Für Deutschland gilt: bis 2030 mindestens 50 Prozent weniger Treibhausgasemissionen (THG) als noch 2005. Im Durchschnitt müssen die EU-Staaten ihre Emissionen um 40 Prozent senken.
Die ESR gilt für Sektoren, die nicht im europäischen Emissionshandel (ETS) abgedeckt sind – derzeit rund 60 Prozent aller EU-Emissionen. Darunter sind die Sektoren Straßenverkehr, Gebäudebeheizung, Landwirtschaft, kleinere Industrieanlagen und die Abfallwirtschaft. Allerdings werden einige der Sektoren im Rahmen der ETS-Reform voraussichtlich in den kommenden Jahren in den Emissionshandel aufgenommen. Über die Trilog-Einigung zur ETS-Reform stimmen EU-Parlament und Rat erst im April ab.
Die Marktstabilitätsreserve (MSR) ist Teil des ETS. Deren Überarbeitung wurde jedoch in einem eigenen Gesetzesvorschlag verhandelt und abgestimmt. Die MSR regelt den Abbau von Überschüssen an Emissionszertifikaten im ETS, um Preisvolatilität am CO₂-Markt möglichst gering zu halten. Bis Ende 2030 gehen jährlich 24 Prozent der nicht verkauften Zertifikate in die MSR über, mindestens aber 200 Millionen Zertifikate. 2031 sinkt die Aufnahmequote wieder auf 12 Prozent ab und die Mindestzahl auf 100 Millionen Zertifikate. luk
Der Binnenmarktausschuss des Europaparlaments hat am Montagnachmittag die weiteren Schritte für die Umsetzung des Digital Services Act (DSA) besprochen. Eingeladen waren auch Vertreter von Twitter und TikTok – die nahmen aber nicht an der Sitzung teil.
Der Digital Services Act wird aktuell Stück für Stück umgesetzt. Ein Jahr nach der Einigung zwischen Europaparlament, Rat und Kommission im Trilog baut die EU-Kommission die nötigen Personalkapazitäten weiter auf, parallel kommen nun auch die im DSA vorgesehenen Umsetzungsrechtsakte.
Welcher Schritt wann kommt:
Weitere Umsetzungsrechtsakte können erst später kommen. Voraussetzung dafür ist die Schaffung des Digitale-Dienste-Ausschusses, das gemeinsame Gremium der Aufseher. Das aber setzt wiederum die Benennung der nationalen Koordinatoren voraus. Und die steht noch aus. Für das entsprechende deutsche Umsetzungsgesetz, das Digitale-Dienste-Gesetz, wird für die Zeit nach Ostern ein Entwurf erwartet. Dass dann die Bundesnetzagentur als deutscher Koordinator benannt wird, gilt als sicher.
Bis Februar ’24 soll dann:
Konkrete Einzelheiten zu den bisherigen Gesprächen mit Anbietern, die als besonders große Plattform oder besonders große Suchmaschine eingestuften werden, wollte die EU-Kommission im IMCO-Ausschuss am Montag nicht nennen. Auf Nachfrage wies sie aber darauf hin, dass die Kommission und die US-Administration derzeit bei Fragen der Plattformregulierung in guten Gesprächen sei. In der Arbeitsgruppe 5 des Trade and Technology Councils würden DSA- und DMA-Themen besprochen, die US-Seite sei daran ebenfalls sehr interessiert. fst
Die Komplexität der geplanten KI-Verordnung der EU ist zu hoch, und oft vor allem unklar. Zu diesem Schluss kommt eine Studie der “Initiative for Applied Artificial Intelligence” (IAAI), die vom bayerischen Staatsministerium für Digitalisierung gefördert wird.
Die Autoren setzen sich dabei vor allem mit den vorgesehenen Klassifizierungen auseinander: verbotene, Hochrisiko- sowie Systeme mit geringem Risiko. Die KI-Verordnung soll für Hochrisikosysteme Vorschriften beinhalten, damit diese adäquat zum Einsatz kommen können. Geprüft wurde, wie 106 bekannte KI-Systeme klassifiziert würden. Grundlage der Studie war dabei der Kommissionsvorschlag von 2021.
Als Hauptproblem erkennen die Studienautoren, dass die Klassifizierung anhand der vorgeschlagenen Regeln kaum zuverlässig möglich sei. So würden bis zu rund 60 Prozent der Anwendungen möglicherweise in den Hochrisikobereich fallen.
“Der Entwurf der KI-Verordnung der EU ist zu risikofixiert und an zu vielen Stellen noch unklar”, kritisiert die bayerische Staatsministerin für Digitales, Judith Gerlach. Es brauche Planungssicherheit und mehr Betonung der Chancen im internationalen Wettbewerb. Aktuell wird aufgrund der neuen Generation selbstlernender Modelle wie ChatGPT4 oder Midjourney eine breitere Diskussion über KI geführt.
Besonders stark werden von den Studienautoren inkonsistente und unklare Definitionen in verschiedenen EU-Gesetzeswerken kritisiert. So sei etwa die Frage, wie KI-Systeme im Kontext von Kritischer Infrastruktur eingestuft werden, maßgeblich davon abhängig, was zur Kritischen Infrastruktur gezählt wird: Sollen die Definitionen aus der CER-Richtlinie Anwendung finden? Oder die – abweichenden – aus der NIS2? Übergangsweise die Nationalen?
Allerdings drücken sich die Autoren in ihrer Studie um die Antwort auf die Frage, ob eine Schwellenwertdefinition bei skalierender KI überhaupt eine sinnvolle Größenordnung sein könne.
Auch an anderer Stelle greift die Studie vor allem Unklarheiten auf: zum Beispiel bei der Erkennung von Schäden an Zügen. Dort sei die KI weder Teil vom Zug noch von den Gleisen. “Die Bilderkennung an sich (Kameras an Brücken) ist kein Teil eines Produktes oder des ‘Bahnsystems’ und stellt als solches auch kein Sicherheitsrisiko dar”, heißt es in der Studie der IAAI. Allerdings könne ein Ausfall oder eine Fehlfunktion durchaus relevante Folgen haben. fst
Sie ist eine der wichtigsten Vordenkerinnen in Sachen Privatrecht und Digitalisierung. Die Europäische Union goss einige ihrer Vorschläge bereits in Gesetze. Noch dazu war sie Co-Vorsitzende der deutschen Datenethikkommission. Aber bevor als das passierte, war sich Christiane Wendehorst gar nicht sicher, ob sie Rechtswissenschaft studieren soll.
Als Jugendliche träumte sie davon, einmal die Energieversorgung der Zukunft zu entwickeln. Oft verlor sie sich stundenlang in Grübeleien. “Aber in den Naturwissenschaften waren Anstellungen damals rar“, erzählt Wendehorst, die in den Siebzigerjahren aufgewachsen ist. Und dann war da die finanzielle Unsicherheit, ihre Eltern konnten sie nicht unterstützen. Also studierte sie Jura. “Da wusste ich: Es gibt Jobsicherheit.” Heute ist Wendehorst Professorin für Zivilrecht an der Universität in Wien und wissenschaftliche Direktorin am European Law Institute. Einer ihrer Schwerpunkte: Datenrecht.
Während des Referendariats schreibt Wendehorst als wissenschaftliche Hilfskraft an der Ludwig-Maximilian-Universität in München Rechtsgutachten zum ausländischen Recht im Akkord – oft von fünf bis fast um Mitternacht, ohne Internet, erzählt sie. “Inzwischen eigentlich unvorstellbar.” An einem Tag befasst sie sich mit iranischem Scheidungsrecht, an einem anderen mit russischem Erbrecht. Die Erfahrung, sich mit unterschiedlichsten Rechtsräumen zu beschäftigen, nützt ihr noch heute bei der Arbeit.
Im Jahr 2015 erlebt Wendehorst den Schlüsselmoment, der sie zum Digitalrecht führt: Ein Kollege bittet sie, einen Vortrag über Haftung und das Internet der Dinge zu halten. Wendehorst sagt zu, obwohl es nicht gerade ihr Fachgebiet ist. Bei der Recherche stellt sie fest, dass es zu dem Thema in der juristischen Literatur kaum etwas Brauchbares gibt. Doch sie meistert den Vortrag, sie bekommt enthusiastisches Feedback – und brennt fortan für das Digitalrecht. Ihr Fünf-Komponenten-Modell eines Geräts im Internet der Dinge und seine Implikationen für das Kaufrecht sind inzwischen europäisches Gesetz.
Was muss Datenschutz leisten, um ein guter Datenschutz zu sein? Die Antwort darauf habe viele Dimensionen: “Gerade ist das Sammeln von Daten oft die einzige Lösung, die wir für die Probleme unserer Welt haben”, sagt die Professorin. Aus Daten ergeben sich Handlungsmöglichkeiten – und je genauer die sind, desto effektiver sind die Handlungen. Das sei während der Corona-Pandemie deutlich geworden.
Daten sind also nur schlecht, wenn man Schlechtes mit ihnen macht. Wendehorst hat ein Beispiel parat: Man stelle sich nur vor, ein Verwandter im Ausland stirbt, die Anreise ist nur mit dem Flugzeug möglich. Was ist, wenn die Fluggesellschaften die Situation kennen und sie ausnutzen, indem sie Flüge nur zu exorbitanten Preise anbieten? Wendehorst nennt das Übervorteilung und findet, dass Praktiken wie diese verboten gehören.
Und damit zurück zur Frage: “Guter Datenschutz ist risikobasiert. Wenn ein kleines Risiko für Missbrauch besteht, dann sollte es kleine Hürden geben”, resümiert die Professorin. “Und wenn das Risiko groß ist, dann sollten die Hürden entsprechend groß sein.” Martin Hogger