Table.Briefing: ESG

+++ Table.Alert: Erste Lieferkettengesetz-Beschwerde gegen Amazon und Ikea +++

Table.Alert: Erste Lieferkettengesetz-Beschwerde gegen Amazon und Ikea

Liebe Leserin, lieber Leser,

Rana Plaza war für Lieferketten, was Fukushima für den Atomausstieg war. In beiden Fällen hatte es vorher kleine und große Unfälle sowie eine Menge Warnungen gegeben – aber erst nach der Katastrophe steuerte die Politik tatsächlich um.

Bei dem Einsturz von Rana Plaza am 24. April 2013 starben in dem Gebäudekomplex 1.138 Menschen, rund 2.600 verletzten sich. Nach dem schwersten Unglück in der Geschichte der Textilindustrie fingen einige Regierungen an, grenzüberschreitende Lieferketten mit Blick auf menschenrechtliche Sorgfaltspflichten zu regulieren. Gleichzeitig nahmen einige Unternehmen ihre Verantwortung in puncto Gebäudesicherheit und Feuerschutz ernster und beteiligten sich neben Gewerkschaften und NGO am sogenannten Bangladesch Accord.

Zehn Jahre später dürfte das EU-Parlament am Dienstag seine Position für die Trilog-Verhandlungen mit EU-Kommission und Rat für ein europäisches Lieferkettengesetz festzurren. Und in Deutschland testen NGO die Möglichkeiten des seit Anfang des Jahres geltenden Lieferkettengesetzes – sie haben die erste Beschwerde beim zuständigen BAFA eingereicht, gegen Ikea und Amazon.

Ihr
Caspar Dohmen
Bild von Caspar  Dohmen

Analyse

Lieferkettengesetz: Organisationen reichen erste Beschwerde gegen Amazon und Ikea ein

Beim Einsturz von Rana Plaza in Sabhar (Bangladesch) am 24. April 2013 starben 1.138 Menschen.

Drei Organisationen haben gegen Amazon und Ikea eine Beschwerde auf Grundlage des deutschen Lieferkettengesetzes bei dem zuständigen Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) eingereicht. Beteiligt sind die Organsationen FEMNET, European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR) und der National Garment Workers Federation (NGWF) aus Bangladesch. Die Beschwerden liegen Table.Media vor.

Aus Sicht der Beschwerdeführenden müssten Unternehmen dem Internationale Abkommen für Gesundheit und Sicherheit in der Textilindustrie (Bangladesch Accord) beitreten, um ihre menschenrechtlichen Sorgfaltspflichten einzuhalten, wie sie sich aus dem deutschen Lieferkettengesetz ergeben. “Wir sind davon überzeugt, dass die Nichtunterzeichnung eine Verletzung der Sorgfaltspflicht von Unternehmen darstellt”, sagt Miriam Saage-Maaß, Juristin und Legal Director des ECCHR. Das Gesetz trat Anfang des Jahres in Kraft und gilt auch für ausländische Unternehmen in Deutschland mit hierzulande mehr als 3.000 Beschäftigten.

Das BAFA wollte den Eingang der Beschwerde auf Anfrage nicht bestätigen und teilte mit, “generell gilt, dass jede Beschwerde durch das BAFA gründlich und individuell geprüft wird”. Die Behörde prüfe immer, “ob die Beschwerde substantiiert, ist”.

Immer noch unsichere Fabriken in Bangladesch

Zur Begründung der Beschwerde sagte NGWF-Präsident Amirul Haque Amin, zehn Jahre nach Rana Plaza gebe es noch immer Fabriken in Bangladesch, die für internationale Konzerne wie Amazon oder Ikea produzierten, “in denen es kaum Sicherheitskontrollen gibt”. Laut der Beschwerde ist die Vereinigungsfreiheit in Zulieferfabriken nicht gewährleistet und Beschäftigte hätten Angst, sich zu beschweren. Das ist laut Organisationen das Ergebnis einer Studie der Gewerkschaft unter Beschäftigten von Exportfabriken, welche für Amazon und Ikea fertigen und nicht dem Accord sowie dem Nachfolgeabkommen angehören. Die Studie ist aber noch nicht abgeschlossen und unveröffentlicht. Bangladesch gehört laut dem Rechtsindex des Internationalen Gewerkschaftsbundes zu den zehn Ländern mit den schlimmsten Bedingungen für Erwerbstätige.

IKEA will weiterhin auf “eigene Systeme” setzen

IKEA teilt Table.Media mit, es begrüße die Verpflichtungen zur Verbesserung der Standards und Arbeitsbedingungen im Produktionssektor, “wird aber unabhängig von der Internationalen Vereinbarung bleiben“. Das Unternehmen setze auf “eigenen Systeme, die auf jahrzehntelanger Erfahrung und der Zusammenarbeit mit Tausenden von Zulieferern auf der ganzen Welt beruhen” und Ikea “am besten in die Lage versetzen, die Bedingungen im Produktionssektor und darüber hinaus weiter zu verbessern und zu stärken”. Amazon antworte nicht auf Table.Media-Anfrage.

NGO: Unternehmen verpflichten, Verantwortung zu übernehmen

Um Mängel bei Gebäudesicherheit und Feuerschutz in Bangladesch abzustellen, hatten Marken, Gewerkschaften und NGO nach dem Unglück von Rana Plaza den sogenannten Bangladesch Accord gegründet. Unabhängige Inspektoren hatten darauf mehr als 1.600 Fabriken inspiziert und mehr als 120.000 Sicherheitsrisiken identifiziert. Im September 2021 trat das Nachfolgeabkommen in Kraft, das mittlerweile 195 Unternehmen unterzeichnet haben. Es wurde zudem auf Pakistan ausgeweitet, allerdings machen hier bislang nur 45 Unternehmen mit – darunter C&A und die Otto Group. Die NGO Inkota fordert nun die Ausweitung des Accord auf Gerbereien, Schuh- und Lederfabriken.

Es sei an der Zeit, “das deutsche Gesetz dafür zu nutzen, solche Unternehmen, die nicht freiwillig Verantwortung für die Menschen in ihren Lieferketten übernehmen wollen, endlich dazu zu verpflichten“, sagte Gisela Burkhardt, Vorstandsvorsitzende von FEMNET. Die NGO hatte Ikea und Amazon Ende 2022 auf ihre Sicht der Dinge hingewiesen. Ikea verwies auf andere Standards. Amazon antwortete nach den Angaben der NGO zufolge überhaupt nicht.

  • Lieferkettengesetz
  • Menschenrechte
  • Sorgfaltspflichten

Aus der laufenden Serie 10 Jahre Rana Plaza

  • Armedangels produziert nur dort, wo Beschäftigte grundlegende Rechte genießen Zum Artikel
  • Textilindustrie in Afrika: Billig allein reicht nicht Zum Artikel
  • Svenja Schulze: “Die Textilindustrie bekommt immer mehr Leitplanken” Zum Artikel
  • Dominique Potier: “Das deutsche Lieferkettengesetz verleitet Unternehmen dazu, lediglich Kästchen anzukreuzen.” Zum Artikel
  • Nachhaltiger Konsum: “Mit Verzicht hat unser Gehirn ein Problem” Zum Artikel
  • Ineke Zeldenrust: Es ist Zeit für die nächste verbindliche Vereinbarung in der Textilbranche Zum Artikel

China Strategie 2023. 3 Stunden, 3 Sessions, 30 Köpfe aus Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Gesellschaft. Table.Media beleuchtet am 25. April China als Wettbewerber, Rivale und Partner. Die Digital-Konferenz schafft mitten in der aktuellen Debatte Orientierung für Entscheiderinnen und Entscheider.

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ESG.Table Redaktion

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    Table.Alert: Erste Lieferkettengesetz-Beschwerde gegen Amazon und Ikea

    Liebe Leserin, lieber Leser,

    Rana Plaza war für Lieferketten, was Fukushima für den Atomausstieg war. In beiden Fällen hatte es vorher kleine und große Unfälle sowie eine Menge Warnungen gegeben – aber erst nach der Katastrophe steuerte die Politik tatsächlich um.

    Bei dem Einsturz von Rana Plaza am 24. April 2013 starben in dem Gebäudekomplex 1.138 Menschen, rund 2.600 verletzten sich. Nach dem schwersten Unglück in der Geschichte der Textilindustrie fingen einige Regierungen an, grenzüberschreitende Lieferketten mit Blick auf menschenrechtliche Sorgfaltspflichten zu regulieren. Gleichzeitig nahmen einige Unternehmen ihre Verantwortung in puncto Gebäudesicherheit und Feuerschutz ernster und beteiligten sich neben Gewerkschaften und NGO am sogenannten Bangladesch Accord.

    Zehn Jahre später dürfte das EU-Parlament am Dienstag seine Position für die Trilog-Verhandlungen mit EU-Kommission und Rat für ein europäisches Lieferkettengesetz festzurren. Und in Deutschland testen NGO die Möglichkeiten des seit Anfang des Jahres geltenden Lieferkettengesetzes – sie haben die erste Beschwerde beim zuständigen BAFA eingereicht, gegen Ikea und Amazon.

    Ihr
    Caspar Dohmen
    Bild von Caspar  Dohmen

    Analyse

    Lieferkettengesetz: Organisationen reichen erste Beschwerde gegen Amazon und Ikea ein

    Beim Einsturz von Rana Plaza in Sabhar (Bangladesch) am 24. April 2013 starben 1.138 Menschen.

    Drei Organisationen haben gegen Amazon und Ikea eine Beschwerde auf Grundlage des deutschen Lieferkettengesetzes bei dem zuständigen Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) eingereicht. Beteiligt sind die Organsationen FEMNET, European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR) und der National Garment Workers Federation (NGWF) aus Bangladesch. Die Beschwerden liegen Table.Media vor.

    Aus Sicht der Beschwerdeführenden müssten Unternehmen dem Internationale Abkommen für Gesundheit und Sicherheit in der Textilindustrie (Bangladesch Accord) beitreten, um ihre menschenrechtlichen Sorgfaltspflichten einzuhalten, wie sie sich aus dem deutschen Lieferkettengesetz ergeben. “Wir sind davon überzeugt, dass die Nichtunterzeichnung eine Verletzung der Sorgfaltspflicht von Unternehmen darstellt”, sagt Miriam Saage-Maaß, Juristin und Legal Director des ECCHR. Das Gesetz trat Anfang des Jahres in Kraft und gilt auch für ausländische Unternehmen in Deutschland mit hierzulande mehr als 3.000 Beschäftigten.

    Das BAFA wollte den Eingang der Beschwerde auf Anfrage nicht bestätigen und teilte mit, “generell gilt, dass jede Beschwerde durch das BAFA gründlich und individuell geprüft wird”. Die Behörde prüfe immer, “ob die Beschwerde substantiiert, ist”.

    Immer noch unsichere Fabriken in Bangladesch

    Zur Begründung der Beschwerde sagte NGWF-Präsident Amirul Haque Amin, zehn Jahre nach Rana Plaza gebe es noch immer Fabriken in Bangladesch, die für internationale Konzerne wie Amazon oder Ikea produzierten, “in denen es kaum Sicherheitskontrollen gibt”. Laut der Beschwerde ist die Vereinigungsfreiheit in Zulieferfabriken nicht gewährleistet und Beschäftigte hätten Angst, sich zu beschweren. Das ist laut Organisationen das Ergebnis einer Studie der Gewerkschaft unter Beschäftigten von Exportfabriken, welche für Amazon und Ikea fertigen und nicht dem Accord sowie dem Nachfolgeabkommen angehören. Die Studie ist aber noch nicht abgeschlossen und unveröffentlicht. Bangladesch gehört laut dem Rechtsindex des Internationalen Gewerkschaftsbundes zu den zehn Ländern mit den schlimmsten Bedingungen für Erwerbstätige.

    IKEA will weiterhin auf “eigene Systeme” setzen

    IKEA teilt Table.Media mit, es begrüße die Verpflichtungen zur Verbesserung der Standards und Arbeitsbedingungen im Produktionssektor, “wird aber unabhängig von der Internationalen Vereinbarung bleiben“. Das Unternehmen setze auf “eigenen Systeme, die auf jahrzehntelanger Erfahrung und der Zusammenarbeit mit Tausenden von Zulieferern auf der ganzen Welt beruhen” und Ikea “am besten in die Lage versetzen, die Bedingungen im Produktionssektor und darüber hinaus weiter zu verbessern und zu stärken”. Amazon antworte nicht auf Table.Media-Anfrage.

    NGO: Unternehmen verpflichten, Verantwortung zu übernehmen

    Um Mängel bei Gebäudesicherheit und Feuerschutz in Bangladesch abzustellen, hatten Marken, Gewerkschaften und NGO nach dem Unglück von Rana Plaza den sogenannten Bangladesch Accord gegründet. Unabhängige Inspektoren hatten darauf mehr als 1.600 Fabriken inspiziert und mehr als 120.000 Sicherheitsrisiken identifiziert. Im September 2021 trat das Nachfolgeabkommen in Kraft, das mittlerweile 195 Unternehmen unterzeichnet haben. Es wurde zudem auf Pakistan ausgeweitet, allerdings machen hier bislang nur 45 Unternehmen mit – darunter C&A und die Otto Group. Die NGO Inkota fordert nun die Ausweitung des Accord auf Gerbereien, Schuh- und Lederfabriken.

    Es sei an der Zeit, “das deutsche Gesetz dafür zu nutzen, solche Unternehmen, die nicht freiwillig Verantwortung für die Menschen in ihren Lieferketten übernehmen wollen, endlich dazu zu verpflichten“, sagte Gisela Burkhardt, Vorstandsvorsitzende von FEMNET. Die NGO hatte Ikea und Amazon Ende 2022 auf ihre Sicht der Dinge hingewiesen. Ikea verwies auf andere Standards. Amazon antwortete nach den Angaben der NGO zufolge überhaupt nicht.

    • Lieferkettengesetz
    • Menschenrechte
    • Sorgfaltspflichten

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