ein Ruck müsse durch Deutschland gehen, forderte der damalige Bundespräsident Roman Herzog vor bald 26 Jahren. Sonst werde Deutschland den Anschluss an die Globalisierung verlieren. Damals malten viele düstere Zukunftsszenarien. Aber es gab einen Ruck und Deutschland gehörte schnell zu den größten Profiteuren der Globalisierung.
Nun braucht es erneut einen Ruck – bei Innovationen für die Transformation. Aktuell hängt Deutschland wohl hinterher, kann aber von anderen Staaten lernen, wie meine Analyse zeigt.
Gelernt hat Deutschland bereits etwas über die Bedeutung einer resilienten Versorgung mit Rohstoffen und Batterien. Über den Spatenstich für den ersten europäischen Lithium-Konverter im brandenburgischen Guben, berichtet Leonie Düngefeld.
Schmerzhaft gelernt haben auch Bangladesch und Textil-Unternehmen aus dem Unglück von Rana Plaza vor fast zehn Jahren. Gemeinsam verbesserten sie die Sicherheitsbedingungen der gefährlichen Export-Fabriken. Welche Strategien die Bundesregierung verfolgt, erklärt Bundesentwicklungsministerin Svenja Schulze im Interview mit Carsten Hübner.
Was können europäische Unternehmen in Wertefragen von afrikanischen Staaten lernen? Damit beschäftigt sich Harrison Mwilima, Journalist und Politikwissenschaftler aus Tansania.
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Eine Bahntrasse am Waldrand südlich der deutsch-polnischen Grenzstadt Guben, einige Hundert Meter von der Neiße entfernt: Hier sollen bald Güterwaggons gefüllt mit Lithium-Gestein aus Kanada ankommen. Auf der angrenzenden Brachfläche, wo bislang nur einige Sandberge zu sehen sind, soll in zwei Jahren Europas erster Lithium-Konverter den Betrieb aufnehmen. Das deutsch-kanadische Unternehmen Rock Tech baut hier eine Industrieanlage, die das lithiumhaltige Gestein zu Lithiumhydroxid weiterverarbeitet – was pro Jahr für 500.000 Batterien für Elektroautos reichen soll. Beim Spatenstich hat Rock Tech am Montag die Baupläne vorgestellt.
Lokale Wertschöpfung, Ziele für die Kreislaufwirtschaft, schnelle Genehmigungsverfahren und ein gleichzeitiger Ausbau strategischer Rohstoffpartnerschaften: Das Projekt in Brandenburg ist ein Paradebeispiel der europäischen Rohstoffstrategie, welche die EU-Kommission vor Kurzem durch einen Gesetzesvorschlag untermauert hat.
24.000 Tonnen Lithiumhydroxid pro Jahr soll der Konverter in Guben ab 2026 herstellen und an die lokale Kathoden- und Batterieproduktion liefern. 40 Prozent des Materials wird Mercedes-Benz für die E-Auto-Produktion abnehmen.
“Brandenburg deckt damit künftig die komplette Wertschöpfungskette von der Rohstoffaufbereitung über die Batterie- und Zellfertigung bis zu E-Autobau sowie Batterierecycling ab”, sagte der brandenburgische Wirtschaftsminister Jörg Steinbach (SPD) während der Veranstaltung.
Nach Angaben der Wirtschaftsförderung Brandenburg (WFBB) sind bereits 33 Unternehmen und neun Forschungsinstitute im Bundesland an der Wertschöpfungskette für Batterien beteiligt; weitere Investitionen sind im Bau oder in Vorbereitung. Neben der Lithiumverarbeitung durch Rock Tech und dem Tesla-Werk in Grünheide stellt etwa BASF in seinem Werk in Schwarzheide Kathodenmaterial her. Das Unternehmen plant außerdem, Anfang 2024 am selben Standort eine Recyclinganlage für schwarze Masse aus Batterien in Betrieb zu nehmen.
Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) erklärte, Brandenburg zeige, wie Wirtschaftspolitik sein müsse, die auf eine klimaneutrale Zukunft ausgerichtet sei. Die neuen Arbeitsplätze in der Batterie-Wertschöpfungskette ersetzten solche, die durch den Kohleausstieg wegfielen. Gleichzeitig forderte er Respekt vor den Menschen, die von diesen Veränderungen betroffen seien.
In gewisser Weise findet in diesem Projekt der Critical Raw Materials Act Anwendung, bevor er überhaupt in Kraft getreten ist. Das Genehmigungsverfahren erfuhr starke politische Unterstützung und wurde beschleunigt – zwei Jahre nach der Entscheidung für den Standort Guben kann Rock Tech dank einer Genehmigung zum vorzeitigen Beginn bereits mit den Testarbeiten und Vorbereitungen beginnen. Eine zweite Teilgenehmigung steht noch aus, wird aber bis Ende des Jahres erwartet.
Das Lithium-Mineral Spodumen soll zunächst vor allem aus Rock Techs Bergbauprojekt im kanadischen Ontario bezogen werden. Kanada gilt als einer der vielversprechendsten Rohstoffpartner der EU. Auch aus Australien, wo es die weltweit größten Spodumen-Vorkommen gibt, könnte der Rohstoff in Zukunft geliefert werden. Die EU und Australien wollen demnächst ein Freihandelsabkommen abschließen, das auch ein Kapitel zu kritischen Rohstoffen enthalten soll.
Europa drohe nicht mehr nur von China und Südkorea abgehängt zu werden, sondern nun auch von Nordamerika, sagte Dirk Harbecke, CEO von Rock Tech. Die Subventionsprogramme des Inflation Reduction Acts machten es für viele Firmen attraktiver, Produktionsstätten in den USA aufzubauen. “Wir brauchen aber eine stabile Versorgungskette für Batteriezellen hier bei uns in Europa”, betonte er. “Und dafür brauchen wir auch die Unterstützung der Politik“.
Von den kürzlich angekündigten EU-Förderprogrammen zur Unterstützung von strategischen Zukunftstechnologien erhofft Harbecke sich auch positive Auswirkungen für den Lithium-Konverter. Die EU-Kommission schlägt im Net Zero Industry Act vor, mindestens 85 Prozent des jährlichen EU-Bedarfs an Batterien solle aus eigener Produktion stammen. Die Projekte sollen finanzielle Förderung über den Innovationsfonds und über InvestEU erhalten.
Der gleichzeitig vorgestellte Critical Raw Materials Act sieht vor, bis 2030 mindestens 40 Prozent des jährlichen EU-Bedarfs an strategischen Rohstoffen wie Lithium durch heimische Weiterverarbeitung zu decken. Ob der Lithium-Konverter sich als sogenanntes strategisches Projekt bewerben kann, um von der entsprechenden Förderung zu profitieren, sei noch nicht klar, erklärte ein Sprecher von Rock Tech.
Bei der Europäischen Investitionsbank (EIB) wird jedoch bereits eine Förderung in Höhe von 150 Millionen Euro geprüft, was knapp einem Viertel der erwarteten Kosten entspricht. Neben dem Projekt in Guben plant Rock Tech drei weitere Konverter in Europa und einen in Nordamerika.
Rock Tech hat sich nach eigenen Angaben zum Ziel gesetzt, das “erste zirkuläre Lithiumunternehmen der Welt zu werden”. Im Gubener Lithium-Konverter soll bis 2030 etwa 50 Prozent Recyclingmaterial eingesetzt werden – dies sei jedoch abhängig davon, wie gut der Markt funktioniere, erklärte ein Sprecher.
Geht es nach dem Kommissionsentwurf für den Critical Raw Materials Act, sollen 2030 mindestens 15 Prozent des Rohstoffbedarfs aus dem Recycling stammen. Die lange Nutzung der Batterien verzögert jedoch den Hochlauf der Kapazitäten: Batterien von E-Fahrzeugen sind rund 15 Jahre im Gebrauch. Experten rechnen damit, dass der europäische Recyclingmarkt für Lithium-Ionen-Batterien, zeitversetzt mit dem Wachstum der Elektromobilität, in den kommenden zwanzig Jahren stark wachsen und spätestens Mitte des aktuellen Jahrzehnts anziehen wird.
Um Innovationen für kreislauffähige Lithium- und Wasserstoffproduktion zu entwickeln, beteiligt sich Rock Tech gemeinsam mit der Baustoffindustrie am Deutschen Lithiuminstitut (ITEL) in Halle. Dort soll neben der CO₂-neutralen Produktion auch die Nutzung der Nebenprodukte erforscht werden, die beispielsweise für die Gips- und Zementindustrie verwendet werden könnten. Die angekündigte Zero Waste-Strategie bleibt erst einmal nur ein Versprechen.
Die Zahlen des Europäischen Patentamts (EPA) für 2022 signalisieren, dass Deutschland sich anstrengen muss, wenn es bei Patentanmeldungen nicht zurückfallen will. Insgesamt stiegen die Patentanmeldungen bei der EPA um 2,5 Prozent auf 193.460. Aber unter dem Spitzenquintett verzeichneten die USA, China und Frankreich eine Zunahme, Japan ein leichtes Minus und nur Deutschland einen deutlichen Rückgang um 4,7 Prozent.
In den vergangenen zehn Jahren fiel der Anteil deutscher Anmeldungen bei der EPA sogar von 17,9 Prozent auf 12,8. Wenn es darum geht, den Trend zu stoppen und bei Innovation zu punkten, könnte Deutschland einiges von anderen Ländern lernen. Das ist das Ergebnis einer Gemeinschaftsstudie des Thinktanks Progressives Zentrum und der Hertie School of Governance, die am Montagabend in Berlin vorgestellt wurde.
Gezielt haben sich die Studien-Autoren Maik Bohne, Anke Hassel und Daniela Blaschke dafür entschieden, Deutschland in puncto Innovation nicht mit den USA oder China zu vergleichen, sondern mit einer Reihe anderer Staaten, die hinsichtlich ihrer Struktur eine größere Ähnlichkeit aufweisen. Deutschland hinke bei hinterher, sagte Anke Hassel, die an der Hertie School of Governance Public Policy lehrt.
Es gebe einige Blockaden, die sich negativ auf Innovationen auswirkten, “andere Länder sind dort anders aufgestellt“. Die Wissenschaftlerin erklärt dies unter anderem damit, dass Deutschland über eine lange Zeit mit seinem Wirtschaftsmodell erfolgreich gewesen sei. Andere Länder seien früher gezwungen gewesen, sich zu verändern, ob die Niederlande, Finnland oder Schweden. Die Wissenschaftler identifizieren in der Studie unterschiedliche Strategien anderer Länder.
Die Niederlande belegen im Global Innovation Index 2022 den fünften Platz, wozu besonders die hohe Gründungsdynamik beiträgt. Dabei gibt es gleichzeitig international führende Großunternehmen wie Philips, ASML, Unilever und Shell sowie eine große Zahl von Start-ups. Das Land liegt auf dem zweiten Platz, wenn es darum geht, Unternehmensgründungen leicht zu machen. Allerdings beschäftigen die neu gegründeten Firmen wenige Menschen.
Die Niederlande würden ihre Innovationspolitik “konsistent ausgestalten und das Land verbindlich auf gemeinsame Innovationsschwerpunkt ausrichten”, heißt es in der Studie. Dazu legte das Land 2011 zehn Topsektoren fest, unter anderem Landwirtschaft und Ernährung, Chemie, Wasser & maritime Wirtschaft und Digitalisierung. Für diese Sektoren gebe es konkrete gesellschaftliche Missionen wie die Einführung einer vollständigen zirkulären Wirtschaft bis 2040. Zudem legte die Regierung fest, welche finanziellen Ressourcen für die Umsetzung der Missionen jeweils hinterlegt sein müssen und welche Forschungskapazitäten geschaffen werden sollen.
Die beiden skandinavischen Länder Finnland und Schweden sind bei Innovationen stark, Schweden liegt beim Global Innovation Index auf Rang 3, Finnland auf Rang 9, einen hinter Deutschland, was auf Rang 8 liegt. Allerdings punkten die beiden skandinavischen Länder damit, dass es “leicht scheint”, dort Ideen in die gesellschaftliche und wirtschaftliche Praxis zu übertragen. Beide Länder haben auch gute übergreifende Rahmenbedingungen für unternehmerische Aktivitäten geschaffen. Finnland hat sich nach dem Abstieg des Mobilfunkkonzerns Nokia zu einem “Hotspot für Start-up-Unternehmen entwickelt”.
Eine wichtige Rolle spielte dabei die Entscheidung in Espoo mehrere Bildungseinrichtungen zur Aalto-Universität zusammenzulegen. Rund um den Campus werden jährlich 80 neue Unternehmen gegründet. Bei der Zahl der angemeldeten Patente liegt die Stadt in Europa heute auf Platz sechs. Die Prägung der Menschen in Finnland beginne bereits in der Schule, heißt es. Beide Länder hätten sich auf einen politischen Grundkonsens mit Blick auf Innovationen geeinigt.
Schweden richtete seine Strategie an sechs übergreifenden Missionen aus: Gesundheit, Bioökonomie, Energieversorgung, Transport, Klimawandel und Ressourcen sowie sichere Gesellschaft. Auch Finnland habe sich für einen systemischen Ansatz entschieden und nahm sich vor, jährlich vier Prozent des BIP für Forschungs- und Innovationsaktivitäten bereitzustellen. Derzeit arbeite die Regierung an einer missionsübergreifenden Innovationsagenda.
In beiden Ländern gibt es Innovationsräte, die institutionell bei den Ministerpräsidenten aufgehängt sind. In Schweden tagt der Rat halbjährlich in wechselnden Regionen und analysiert die dortigen Innovationsökosysteme. Die Räte spielen in beiden Ländern eine wichtige Rolle für die strategische Vorausschau und Konsensfindung.
Trotz aller Probleme zählt Großbritannien zu den innovationsstärksten Ländern weltweit. Auffallend sei die “ungebrochene Gründungsmentalität”, heißt es in der Studie. In dem Land könnten sich mehr als die Hälfte der Menschen vorstellen, ein Unternehmen zu gründen, ohne Angst vor einem Scheitern zu haben. Als eines von wenigen Ländern verfüge Großbritannien über ein eigenes Innovationsministerium. Vier Missionen verfolge die Regierung: Sauberes Wachstum, Künstliche Intelligenz und Datenwirtschaft, alternde Bevölkerung und Zukunft der Mobilität.
Einzigartig sei, dass diese Missionen von zwei Innovationsagenturen in sehr konkrete Programme umgesetzt würden. So entstand ein Programm, das eine für “auch für Deutschland sehr interessante Initiative etabliert”. Bei dem Knowledge Transfer Partnership Programme würden Unternehmen und NGO gezielt mit Nachwuchswissenschaftlern an ausgewählten Hochschulen zusammengebracht. Am Anfange stehe stets “ein Innovationswunsch aus der Praxis, für den konkrete Lösungen gefunden werden sollten”. Die Partnerschaft finanzieren die Innovationsagentur und beteiligten NGO sowie Unternehmen anteilig über einen Zeitraum von zwölf bis 36 Monaten.
Wichtig sei, dass es in den Ländern nicht bei der Formulierung von abstrakten Missionen bleibe. Sie würden stets “in ein aktives Management überführt – mit konkreten Zielen, Agenden, Maßnahmen und einer auskömmlichen finanziellen Ausstattung”, heißt es in der Studie. Eine solche Missionsorientierung und Operationalisierung ihrer Ziele empfiehlt Politikberaterin Anke Hassel der Ampelkoalition.
Das Feuer in der Textilfabrik Rana Plaza in Bangladesch mit über 1.100 Toten ist zehn Jahre her. Was hat sich aus entwicklungspolitischer Sicht seither getan?
Als Reaktion auf Rana Plaza hat das Entwicklungsministerium 2014 das Bündnis für nachhaltige Textilien gegründet. Als nächsten Schritt hat mein Vorgänger Gerd Müller dann 2019 das staatliche Siegel Grüner Knopf auf den Weg gebracht, damit im Laden auf einen Blick erkennbar ist, welche Kleidungsstücke nachhaltig produziert wurden. Seit diesem Jahr ist das Lieferkettengesetz in Kraft, das ebenfalls viel mit Rana Plaza zu tun hat. Viele Unternehmen – zunächst die größeren – sind jetzt gesetzlich verpflichtet sicherzustellen, dass beim Herstellen ihrer Waren Menschenrechte und zentrale Umweltstandards eingehalten wurden. Auf europäischer Ebene diskutieren wir jetzt einen EU-Rechtsrahmen, der dies künftig noch weitergehend regelt. Es gibt also Fortschritte. Die Textilindustrie bekommt immer mehr Leitplanken, die immer verbindlicher werden.
Aber spürt man diese Bemühungen auch vor Ort?
Auch in den Produktionsländern gibt es zahlreiche Verbesserungen. Bangladesch hat eine Vereinbarung zum Brandschutz und zur Gebäudesicherheit getroffen. Sie gilt für 1.600 Textilfabriken, die mehr als 200 Modemarken beliefern und in denen zwei Millionen Menschen Kleidung nähen. Wir als Entwicklungsministerium setzen uns dafür ein, dass diese Vereinbarung auch auf andere Länder in der Region ausgeweitet wird. Seit Anfang des Jahres gibt es eine abgeschwächte Form in Pakistan. Wir unterstützen außerdem Arbeitsunfallversicherungen im Textilsektor, wie sie Bangladesch im vergangenen Sommer eingeführt hat.
Sie stehen für eine feministische Entwicklungspolitik. Welchen Stellenwert hat die Textilindustrie für Ihre Strategie, die Sie in diesem Monat vorgestellt haben?
Weltweit arbeiten im Textilsektor 75 Millionen Menschen, der Großteil davon sind Frauen. Sie werden schlecht bezahlt, es gibt kaum soziale Absicherung wie Krankengeld oder Mutterschutz. Sobald es aber um die einflussreichen und besser bezahlten Jobs geht, schwindet der Frauenanteil. Im Textilmanagement, aber auch in den Gewerkschaften und in politischen Positionen, trifft man vor allem auf Männer und ihren männlichen Blick auf die Welt. Für den Textilsektor haben wir daher in der Entwicklungszusammenarbeit einige gute Maßnahmen erprobt, die den weiblichen Blick stärken.
Wie kann man sich das konkret vorstellen?
In Bangladesch, Kambodscha und Myanmar wurden Frauencafés eröffnet, in denen sich Frauen über ihre Rechte informieren und professionelle Rechtsberatung erhalten. In Äthiopien unterstützen wir Unternehmen dabei, gegen sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz vorzugehen. Solche Maßnahmen stärken wir im Rahmen unserer feministischen Entwicklungspolitik weiter. Denn Frauen müssen gleiche Rechte haben wie Männer. Sie müssen gleichermaßen in Entscheidungsgremien vertreten sein und sie brauchen den gleichen Zugang zu Ressourcen wie Krediten, Bildung und Besitz.
Das Bündnis für nachhaltige Textilien sollte dafür ja bessere Rahmenbedingungen schaffen. Ist das gelungen? Langfristige Erfolge benötigen viel Vorarbeit – das gilt ganz besonders in der stark fragmentierten globalen Lieferkette. Das Textilbündnis war eine wichtige Vorarbeit für das Lieferkettengesetz und es wird wichtig bleiben, denn nicht alles kann gesetzlich geregelt werden. Es wird auch weiterhin neben den gesetzlichen Bestimmungen gute Unternehmensführungen brauchen. Dabei können Unternehmen Missstände gar nicht beheben, wenn sie ihre Lieferkette nicht ganz genau kennen. Das Bündnis unterstützt deshalb die Unternehmen dabei, Transparenz in ihre Lieferketten zu bringen.
Das funktioniert doch aber nur, wenn die Unternehmen auch bereit sind, sich mit den anderen Akteuren an einen Tisch zu setzen.
Das Besondere am Textilbündnis ist, dass hier 130 Mitglieder aus Unternehmen und Verbänden, Nichtregierungsorganisationen, Gewerkschaften und der Bundesregierung zusammen an Lösungen arbeiten und diese in gemeinsamen Projekten vor Ort umsetzen. Aktuell werden beispielsweise im indischen Tamil Nadu über 40 lokale Nichtregierungsorganisationen geschult, damit sie in Fabriken Weiterbildungen zu den Themen “Arbeitsrechte” sowie “Aufbau von Schlichtungs- und Beschwerdekomitees” anbieten können.
Der Grüne Knopf steht ja für so eine transparente Lieferkette, in der grundlegende Sozial- und Arbeitsstandards anerkannt werden. Wird er denn vom Kunden in Deutschland auch angenommen?
Das Siegel wird immer bekannter, was eine wichtige Voraussetzung für bewusste Kaufentscheidungen ist. Wichtig ist auch, dass der Grüne Knopf im Rahmen der privaten und öffentlichen nachhaltigen Beschaffung mittlerweile breit genutzt wird. Man kann ihn an der Arbeitskleidung der Bahn finden oder an der Bettwäsche in großen Hotelketten oder Krankenhäusern. Inzwischen haben wir das Siegel weiterentwickelt. Es soll ja über die neuen Anforderungen des Lieferkettengesetzes hinausgehen. Um diesen Grünen Knopf 2.0 zu erhalten, müssen Unternehmen nun auch zeigen, dass sie wichtige Schritte hin zu existenzsichernden Löhnen gehen sowie die Menschen vor Ort stärker an Entscheidungen beteiligen. Auch die Anforderungen an die Rohstoffgewinnung sowie den Faser- und Materialeinsatz sind verschärft worden.
Die Bundesregierung will das Recycling und den Aufbau einer Kreislaufwirtschaft ja insgesamt aufwerten. Das gilt also auch für die Entwicklungspolitik?
Das Thema Kreislaufwirtschaft rückt immer stärker in den Vordergrund. Um die Textilproduktion nachhaltig zu gestalten, müssen Ressourcen wiederverwendet und Abfälle vermieden werden. Unternehmen müssen noch sehr viel stärker darauf achten, dass ihre fertigen Produkte nicht anderswo zum Müllproblem werden – zum Beispiel in Ghana, das ich im Februar besucht habe. Ghana ist einer der größten Nettoimporteure von Alt-Textilien. Viele davon kommen aus Deutschland. Allerdings sind circa 40 Prozent der Ware – 15 Millionen Kleidungsstücke pro Woche – für den Weiterverkauf unbrauchbar. Häufig werden sie dann als Abfall an Flüssen und Stränden wild entsorgt oder verbrannt. Das darf so nicht weitergehen. Im Koalitionsvertrag haben wir uns als Ampelregierung klar dafür ausgesprochen, dass Produkte langlebig, wiederverwendbar, recycelbar und möglichst reparierbar sein müssen. Wir wollen daher die Verantwortung der Hersteller auf europäischer Ebene stärken.
29.3.2023, 10:30 Uhr
Öffentliche Anhörung Soziale Sicherungssysteme im Globalen Süden (Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung) Info
29.3.2023, 11:00 Uhr
Öffentliche Anhörung Wärmewende (Ausschuss für Klimaschutz und Energie) Info
29.3.2023, 16:00 Uhr
Unterrichtung durch die Bundesregierung Wasserstoffstrategie der Europäischen Union (Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union) Info
29.3.2023, 18:00 Uhr
Aussprache und Beschlussfassung Positionspapier zum Thema “Menschliches Wohlbefinden und Fähigkeiten, soziale Gerechtigkeit” (Parlamentarischer Beirat für nachhaltige Entwicklung) Info
30.3.2023, 13:45 Uhr
Erste Beratung Sicherheit und Klarheit beim Strukturwandel in der Lausitz (Antrag der Fraktion Die Linke)
Der Antrag fordert die Bundesregierung auf, die geplante Förderung des Strukturwandels in der Kohleregion auf den Zeitraum 2023 bis 2033 vorzuziehen. Zudem soll ein Unterstützungspaket für die Kommunen in den Kohlerevieren aufgelegt werden. Drucksache
30.3.2023, 15:05 Uhr
Überweisung im vereinfachten Verfahren Gesetz zum Neustart der Digitalisierung der Energiewende (Bundesregierung)
Das Gesetz verfolgt das Ziel, den Einbau intelligenter Messsysteme zu beschleunigen. Hierfür sollen die Verwaltungsverfahren entbürokratisiert und die Rechts- und Planungssicherheit für alle Akteure gestärkt werden. Neben der Bündelung von Kompetenzen wird zudem eine Verteilung der Kosten angestrebt. Drucksache
30.3.2023, 15:45 Uhr
Zweite und dritte Beratung Mehrere Gesetzentwürfe zum besseren Schutz von hinweisgebenden Personen (Bundesregierung)
Ziel der Gesetze ist, dass Hinweisgeber auf Rechts- und Regelverstöße in Unternehmen und Behörden, sogenannte Whistleblower, einfacher und ohne Angst vor Repressalien auf Missstände aufmerksam machen können. Deutschland ist durch die EU-Richtlinie 2019/1937 zur Regelung des Hinweisgeberschutzes verpflichtet und unterliegt bereits einem Vertragsverletzungsverfahren, weil es diese Richtlinie nicht fristgemäß umgesetzt hat. Info
30.3.2023, 18:00-19:30 Uhr und 20:45-21:45 Uhr
Beratung von Anträgen der CDU/CSU-Fraktion Sonnenpaket für Deutschland, Stellungnahme zu EU-Verhandlungen über Pflanzenschutzmitteln, Meeresverschmutzung, CO₂-Speicherung und -Nutzung
30.3.2023, 19:30 Uhr
Erste Beratung Aktionsplan zur Stärkung der Tarifbindung – Für gute Arbeitsbedingungen und höhere Löhne (Antrag der Fraktion Die Linke)
China Strategie 2023. 3 Stunden, 3 Sessions, 30 Köpfe aus Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Gesellschaft. Table.Media beleuchtet am 25. April China als Wettbewerber, Rivale und Partner. Die Digital-Konferenz schafft mitten in der aktuellen Debatte Orientierung für Entscheiderinnen und Entscheider.
Nur wenige deutsche Stiftungen setzen bei ihrer Vermögensanlage auf ESG-Kriterien. Das ist das Ergebnis einer Analyse der NGO Facing Finance, die Table Media vorab vorliegt. Die 37 untersuchten Stiftungen verfügen zusammen über ein Anlagevermögen von mindestens 30 Milliarden Euro. Obwohl die Institute teils soziale oder ökologische Ziele als Stiftungszweck verfolgen, berücksichtigen nur wenige diese Ziele auch bei der Anlage ihres Vermögens. Facing Finance hat für die Untersuchung öffentlich zugängliche Dokumente wie Jahresberichte analysiert und – weil nur wenige Stiftungen transparent über ihre Finanzanlagen berichten – den Dialog gesucht.
Knapp die Hälfte der untersuchten Stiftungen legt das eigene Vermögen ohne jegliche Berücksichtigungen von Nachhaltigkeitskriterien an. Etwa ein Drittel bekennt sich zwar zu einer nachhaltigen Finanzanlage, bleibt aber bei der Wahl der Nachhaltigkeitskriterien sehr vage. Das heißt, öffentlich gibt es von ihnen weder ein Bekenntnis zu konkreten Kriterien noch zu konkreten ESG-Instrumenten.
Da Nachhaltigkeit im Finanzmarkt noch nicht abschließend definiert ist, wäre Transparenz hier dringend erforderlich, sagt Facing Finance Vorstand Thomas Küchenmeister. Ohne die “müssen wir leider davon ausgehen, dass in Stiftungsportfolios mitunter eine nicht unerhebliche Anzahl an Beteiligungen an konfliktbehafteten, nicht-nachhaltigen Unternehmen schlummert, deren Geschäftsmodelle klimaschädigend sind oder gegen Menschenrechte verstoßen”, mahnt Küchenmeister.
Unter dem Schlagwort “Nachhaltigkeit” können sich Ausschlüsse von kontroversen Investments wie etwa Waffengeschäfte, klimaschädliche Geschäftsmodelle oder Tabak verbergen, die diese Praktiken zwar grundsätzlich ausschließen, aber Umsatzschwellen von bis zu 30 Prozent tolerieren. Es gilt auch als nachhaltiges Investieren, wenn ein Best-In-Class-Ansatz angewandt wird. Das heißt, bei der Wahl des Investments werden die Unternehmen ausgewählt, die mit Blick auf ein Nachhaltigkeitskriterium am besten abschneiden, ohne kontroverse Branchen gänzlich auszuschließen.
Stiftungen liefen somit Gefahr, mit ihrer Geldanlage die eigenen, gemeinnützigen Stiftungszwecke zu konterkarieren, so Küchenmeister. Positiv sticht die UNICEF-Stiftung heraus. Sie veröffentlicht die Anlagestrategie samt Ausschlusskriterien und Umsatzschwellen. vvo
Der Weltklimarat (IPCC) hat es noch einmal deutlich gemacht: Um den Klimawandel aufzuhalten, wird auf lange Sicht kein Weg an Netto-Negativ-Emissionen vorbeiführen. Es muss also mehr CO₂ aus der Atmosphäre gefiltert und gespeichert als ausgestoßen werden. Wichtigste Senke an Land sind die Böden. Doch diese sind in einem schlechten Zustand, emittieren in Europa mehr, als sie speichern.
Lieblingslösung in Brüssel: Carbon Farming. Durch nachhaltigere und regenerative Anbaumethoden sollen die Böden widerstandsfähiger werden, wieder mehr Hummus aufbauen und Treibhausgase speichern. Doch die Umstellung ist aufwendig und teuer, entsprechend dreht sich alles um die Frage der Finanzierung.
Der Europäischen Kommission schwebt ein kontrollierter Zertifikate-Handel vor. Dafür hat die Behörde Ende vergangenen Jahres einen Rechtsrahmen vorgestellt, der nun hitzig diskutiert wird. Der Handel und das damit verbundene Offsetting von Emissionen aus anderen Sektoren könne dem Kampf gegen den Klimawandel einen Bärendienst erweisen und die Ziele gefährden, sagen Kritiker.
Eine Studie des Naturschutzbundes (Nabu) und der Boston Consulting Group zeigt jetzt: Regenerative Landwirtschaft lohnt sich auch ohne den Zertifikate-Handel. Eine Umstellung könne nach sechs bis zehn Jahren für einen durchschnittlichen Ackerbau-Betrieb zu einer Gewinnsteigerung um bis zu 60 Prozent führen, prognostizieren die Autoren. Der Zertifikate-Handel sei hierbei zwar mit 30 Euro pro Tonne CO₂ berücksichtigt, mache aber nur einen kleinen Teil aus, sagt Co-Autor und Nabu-Agrarexperte Simon Krämer.
Denn: Agrar- und Ernährungswirtschaft gehören zu den Hauptverursachern von Klima- und Biodiversitätskrise und sind gleichzeitig mit am stärksten davon betroffen. Gesunde Böden, ökologische Vielfalt, Wassermanagement und Klimaresilienz würden also immer mehr zu entscheidenden Produktionsfaktoren, heißt es in der Studie. tl
Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International kritisiert, dass westliche Staaten bei der Bewertung von Menschenrechtsverletzungen verschiedene Maßstäbe anlegten. Das geht aus dem am Montag vorgelegten Bericht zur Lage der weltweiten Menschenrechte 2022/23 der Organisation hervor. Deutlich werde die laut Amnesty selektive und egoistische Haltung westlicher Staaten bei Menschenrechten vor allem durch das “ohrenbetäubende Schweigen zu Menschenrechtsverletzungen in Saudi-Arabien und Ägypten” oder die weitere Unterstützung für die Verfestigung von Israels “Apartheidsystem” gegenüber Palästinensern.
Wichtige globale Trends seien die massenhaften Proteste – wie in Iran, Peru oder jüngst in Georgien – sowie eine steigende Zahl schutzsuchender Menschen, ob aus der Ukraine, Myanmar, Venezuela oder der Demokratischen Republik Kongo. In 85 der 156 betrachteten Länder (54 Prozent) hätten Sicherheitskräfte unrechtmäßige Gewalt gegen Protestierende eingesetzt. In 35 Ländern seien sie mit tödlichen Waffen vorgegangen. In 79 Ländern seien Aktivistinnen und Aktivisten willkürlich festgenommen (51 Prozent) worden. In 29 Ländern schränkten Staaten das Recht auf friedlichen Protest ein.
Darüber hinaus kritisiert Amnesty International, dass Staaten es bislang nicht geschafft hätten, die nötigen Maßnahmen zu ergreifen, um die Erderwärmung unter 1,5 Grad zu halten. Und dass sich die Staatengemeinschaft weiter weigere, den Klimawandel-Treiber Nummer Eins – die Produktion und Nutzung von fossiler Energie – wirkungsvoll anzugehen. So müssen der während der COP27 vereinbarte Loss and Damage Fund für die am stärksten betroffenen Länder erst noch aufgesetzt werden. Reiche Staaten hätten die zugesagten 100 Milliarden US-Dollar pro Jahr noch nicht gezahlt, während die sechs größten westlichen Ölkonzerne 2022 Rekordprofite in Höhe von über 200 Milliarden US-Dollar vor Steuern gemacht hätten. Die hohen Gewinne resultierten keineswegs nur aus den hohen Energiepreisen infolge des Krieges in der Ukraine, sondern grundsätzlich aus einem Geschäftsmodell, bei dem die Konzerne die Folgen für die Umwelt bewusst ignorierten. nh
Die EU hat endgültig grünes Licht für das geplante Aus von Verbrennungsmotoren ab 2035 gegeben. Die Energieminister der 27 EU-Länder stimmten am Dienstag in Brüssel dafür. Am Wochenende hatte es eine Einigung zwischen Deutschland und der EU-Kommission gegeben, eine für die FDP wichtige Ausnahme zuzulassen. Demnach können Autos mit Verbrennungsmotoren weiter neu zugelassen werden, wenn sie ausschließlich mit CO₂-freien Kraftstoffen – sogenannten E-Fuels – betrieben werden. Der Verkehrssektor steht für fast ein Viertel der CO₂-Emissionen in der EU.
Bundesumweltministerin Steffi Lemke (Grüne) zeigte sich trotz des Kompromisses zufrieden und sprach von einem Signal für E-Autos: “Elektromobilität ist die effizientere, kostengünstigere und vor allem emissionsfreie Option. Es ist gut, dass mit der EU-Kommission am Ende eine Lösung gefunden wurde, die den Weg für die neuen Flottengrenzwerte freimacht und gleichzeitig den Bedenken der FDP Rechnung trägt.”
Polen votierte gegen die Pläne. Das osteuropäische Land nannte sie unrealistisch und fürchtet künftig steigende Preise für Fahrzeuge. Italien, Bulgarien und Rumänien enthielten sich. Italien wollte eigentlich noch eine Ausnahme für Biosprit durchsetzen. Die entsprechende Gesetzgebung kann nach der Zustimmung der Energieminister nun in Kraft treten. Demnach dürfen Neuwagen ab 2035 keine CO₂-Emissionen mehr ausstoßen. Im Jahr 2030 müssen die Werte 55 Prozent unter dem Niveau von 2021 liegen.
Der jüngste Kompromiss mit Deutschland sieht vor, dass künftig eine eigene E-Fuels-Typenklasse für Autos geschaffen wird. Dafür wurde ein Verfahren vereinbart, das aber noch ausgearbeitet werden soll. Dabei soll die EU-Kommission festlegen, wie E-Fuels-Autos zu den Klimazielen beitragen. Das soll dann über einen sogenannten delegierten Rechtsakt beschlossen werden.
E-Fuels werden mithilfe großer Mengen grünen Stroms, Wasserstoffs sowie mit CO₂ aus der Atmosphäre produziert. Die Verbrenner sind so klimaneutral, obwohl sie am Auspuff CO₂ ausstoßen. E-Fuels gelten derzeit als ineffizient und teuer, die FDP hofft in den nächsten Jahren aber auf Fortschritte. Bisher gibt es keine nennenswerte Produktion. Diese soll später vor allem im Schiffs- und Flugverkehr eingesetzt werden, der anders als Autos nicht einfach auf Strom umstellen kann.
Während sich Hersteller und Zulieferer mit offiziellen Äußerungen zurückhielten, zeigte sich die größte Erdölfördergesellschaft der Welt erfreut. Matthias Braun vom Saudi-Aramco-Research-Centre sagte: “Mit dem E-Fuels-Kompromiss öffnet sich für die Industrie eine Tür: Für Investoren wird damit die industrielle Herstellung von synthetischen Kraftstoffen zur Verwendung in Neuwagen-Pkw interessant.”
Das Unternehmen aus Saudi-Arabien baut derzeit zwei Demonstrationsfabriken für die Herstellung von E-Fuels in Bilbao und in Saudi-Arabien und stellt für Rallye-Wettbewerbe und Straßenrennen synthetische Kraftstoffe zur Verfügung. Das Unternehmen hat zudem angekündigt, ab 2030 E-Fuels im industriellen Maßstab an Tankstellen verfügbar zu machen. rtr/Redaktion
Der Nilstreit zeigt, wie eng Nutzung von Ressourcen, Nachhaltigkeit und Konfliktmanagement miteinander verknüpft sind. Und der Kampf um die Ressource Wasser wird zunehmen, besonders in Afrika, dessen Bevölkerung in den kommenden Jahrzehnten besonders schnell wachsen wird. Das zu verteilende Wasser muss deshalb klug genutzt werden. Die Wissenschaft kann inzwischen wertvolle Methoden für die Praxis liefern.
Ein Beispiel sind ausgeklügelte Beobachtungs- und Vorhersagesysteme, die Wasserexperte Harald Kunstmann vom Karlsruher Institut für Technologie mit seinem Team entwickelt. Sie sollen helfen, die immer kürzer werdenden Regenphasen in vielen afrikanischen Ländern besser für die Landwirtschaft zu nutzen. Für die Erfassung des landesweiten Regens nutzen er und sein Team unter anderem das Handynetz und ein physikalisches Phänomen, das die Betreiber von Mobilfunknetzen eher stört: Regentropfen dämpfen nämlich Mobilfunksignale, und das schon bei kleinen Schauern. Für Wasserforscher Kunstmann lässt sich daraus berechnen, wie viel Niederschlag zwischen zwei Sendemasten niedergeht. Tausende solcher Masten dienen so zur Quantifizierung des Regens landesweit, und das in Gegenden, in denen es meist keine oder nur sehr wenige klassische Niederschlagsmessungen gibt.
Extreme Wetterereignisse wie Überschwemmungen und Dürren dominieren normalerweise die Nachrichten. Doch die eher unscheinbaren Klimaänderungen sind genauso ernst: In Ghana und Burkina Faso etwa hat sich der Beginn der Regenzeit in den vergangenen 40 Jahren um mehr als einen Monat nach hinten verschoben. Das traditionelle Wissen um den besten Zeitpunkt der Aussaat ist damit praktisch wertlos geworden. Entscheidend ist nämlich, dass nach den ersten Regentropfen auch am Ende der Trockenzeit ausreichend Niederschlag fällt, damit das Saatgut und die Jungpflanzen nicht verdorren. Für die Bauern liefern die neu entwickelten Vorhersagesysteme nun bis zu sieben Monate im Voraus wichtige Informationen darüber, wann es sehr heiße, trockene oder feuchte Perioden geben wird.
Auf seine riesigen Wasserreserven kann Afrika nur bedingt setzen, denn häufig findet sich die Ressource nicht dort, wo die Menschen leben. Berechnungen zufolge verfügt Afrika zwar über 600.000 Kubikkilometer Grundwasser, rund 30-mal so viel wie in einem Jahr auf dem gesamten Kontinent durch Regen zusammen kommt. Das große Problem aber ist der Zugang zu sauberem Trinkwasser. In den gewaltigen Strömen wie Nil, Kongo, Niger und fast 700 afrikanischen Seen ist das Wasser oft verschmutzt, mit Keimen und Krankheitserregern kontaminiert und zudem sehr ungleich verteilt. In ländlichen Regionen sind es oft viele Kilometer bis zur nächsten Wasserstelle. Und wenn viel mehr Grundwasser abgepumpt wird, als sich neu bilden kann, führt das zu fallenden Grundwasserpegeln oder in Küstennähe zu Versalzung. Ohne klare Vorgaben der Wissenschaftler verschlimmert das Abpumpen von Grundwasser die Situation.
Eines der bedrohlichsten Probleme sieht der Wasserexperte Kunstmann aber an ganz anderer Stelle. Wasserzugang ist Macht, und mit Geld lässt sich diese Macht in Afrika gut erreichen. Der Zugang zur kostbaren Ressource Wasser muss nach seiner Ansicht vor dem Profitstreben privater Akteure und Unternehmen geschützt werden, sonst droht der Wasserversorgung der afrikanischen Bevölkerung weitere Gefahr. hp
Umweltorganisationen und Klimaaktivisten verstärken den Druck auf die weltgrößten Versicherer. In einem Brief an die Vorstandschefs von 30 Versicherern und Rückversicherern fordern knapp zwei Dutzend in der Initiative “Insure our Future” zusammengeschlossene Interessengruppen die Manager auf, Projekte zur Erschließung fossiler Energiequellen “ab sofort” nicht mehr zu versichern. Gleiches gelte für Beteiligungen an Unternehmen in diesen Branchen, die sich dem 1,5-Grad-Ziel nicht verschrieben hätten. Die Zusagen der Versicherungsbranche, die sich bisher vor allem auf die Kohleförderung und -verstromung beziehen, reichten nicht aus, um das Ziel einer weltweiten Erwärmung um maximal 1,5 Grad Celsius einzuhalten.
Der Initiative gehören unter anderem Greenpeace und Urgewald an. Zu den Adressaten des Briefes zählen der weltgrößte Rückversicherer Münchener Rück sowie die Versicherer Allianz, Zurich, Axa und Travelers.
“Als Risikomanager der Gesellschaft tragen die Versicherer eine besondere Verantwortung, zu handeln und Veränderungen voranzutreiben”, heißt es in dem sechsseitigen Brief. Ohne Versicherung könnten neue Projekte mit fossilen Brennstoffen nicht umgesetzt und bestehende nicht weitergeführt werden.
Immerhin 41 Unternehmen hätten seit 2017 Beschränkungen für die Versicherung von Kohleunternehmen eingeführt, 22 für Teersande, aber nur 13 für Öl und Gas, heißt es in dem Brief. Letzteres ist den Organisationen ein Dorn im Auge. “Zahlreiche Schlupflöcher in den Standards erlauben den Versicherern, den Ausbau der Förderung fossiler Brennstoffe weiter zu unterstützen.” Münchener Rück und Zurich betonten auf Anfrage, sie pflegten regelmäßigen Kontakt mit unterschiedlichen Interessengruppen und verfolgten strikte Richtlinien im Umgang mit der Branche. rtr
Geld her – Süddeutsche Zeitung
Streiken liege den Deutschen nicht, schreibt Nils Minkmar. Gut, dass sich das nun ändere. Dass dies unterschiedlich gesehen werden könnte, hält der Autor für charakteristisch in einer offenen Gesellschaft. Und er weist auf die Historie hin: “Dass eine Störung ungerechter Verhältnisse ein erster Schritt zur Besserung ist, dass nichts von dem, was heute das gute Leben in Deutschland ausmacht, ohne Kampf erreicht worden ist”. Aber all das klinge mittlerweile wie ein Sakrileg, denn längst habe sich ein Bewusstsein durchgesetzt, “in der besten aller möglichen Arbeitswelten zu leben”. Zum Artikel
Confronting the global water crisis – Social Europe
Ohne einen anderen Umgang mit Wasser werde die Welt weder den Klimawandel in den Griff bekommen, noch die meisten anderen Ziele für nachhaltige Entwicklung der Vereinten Nationen. Denn wir befänden uns in einem Teufelskreis, in dem die Wechselwirkung zwischen der Wasserkrise, der globalen Erwärmung und dem Verlust der biologischen Vielfalt und des “Naturkapitals” alle drei Faktoren noch verschärften. Zum Artikel
Neuer Streit um Mercosur-Abkommen – Süddeutsche Zeitung
Von dem Mercosur-Abkommen erhofft sich die EU nicht zuletzt einen besseren Zugang zu Rohstoffen für die Transformation. Zuletzt hatte die EU mit einem Zusatzinstrument nachgebessert. Aber Kritiker fürchten trotzdem Verstöße gegen Menschenrechte und Umwelt, schreiben Michael Bauchmüller und Jan Diesteldorf. “Das ist reine Augenwischerei”, sagt etwa Armin Paasch, Menschenrechtsexperte bei Misereor. Denn es handele sich um eine völlig unverbindliche Interpretationserklärung. Zum Artikel
“Der Wohlstand Europas steht auf dem Spiel” – FAZ
Die EU will sich mit dem Critical Raw Material Act Rohstoffe für die Energiewende auf dem Kontinent sichern. Sven Astheimer berichtet über die Reaktionen von Benedikt Sobotka, Vorstandschef des kasachischen Bergbaukonzerns ERG, der die Haltung Europas verlogen findet. Zudem komme Europa im Vergleich zu anderen Regionen 20 Jahre zu spät. China, Kanada und die USA seien weit voraus und alle konkurrierten um die gleichen wichtigen Rohstofflieferanten. Zum Artikel
China may face more embarrassment over its human-rights record – The Economist
Im Oktober verhinderte eine Mehrheit im Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen eine Debatte über einen hinausgezögerten Bericht zu China und der Misshandlung der Uiguren. Ein diplomatischer Erfolg der Chinesen. Aber gleichzeitig sei dies ein großer Erfolg gewesen, sagen Menschenrechtsexperten, weil es das erste Mal war, dass China direkt im Menschenrechtsrat angegriffen worden sei. Zum Artikel
China wants the world to forget about its crimes in Xinjiang – The Economist
China habe seit 2017 mehr als eine Million Uiguren und andere ethnische Minderheiten in “Umerziehungslagern” eingesperrt. Während das Land versuche, die Uiguren weiter zum Schweigen zu bringen, versuche es gleichzeitig die Welt davon zu überzeugen, dass Xinjiang eine Region sei wie jede andere auch. Zum Artikel
Bauernaufstand – Der Spiegel
Die niederländische Regierung geht die Klimaprobleme der heimischen Landwirte mit einem ambitionierten Programm an. Um die Stickstoffemissionen bis 2030 zu halbieren, soll die Zahl der Kühe und Schweine drastisch sinken. Rund ein Drittel der Betriebe könnte vor dem Aus stehen. Von dem Widerstand der Bauern profitierte nun Caroline von der Plaas mit ihrer Anti-Establishment-Partei BBB bei den Provinzwahlen. Zum Artikel
Putting the Silicon in Silicon Valley – London Review of Books
Der Mikrochip spielt für die Transformation eine entscheidende Rolle. Hier lohnt sich die Besprechung von John Lanchester des Buches von Chris Millers Geschichte des Mikrochips. Leserinnen und Leser erfahren eine Menge über die Technologie und ökonomische Kriegsführung. Denn bislang kann nur eine einzige Firma, ASML aus den Niederlanden, Silizium mithilfe ultravioletter Lithografie auf die Chips ätzen. Und nur drei Konzerne – Intel, TSCM und Samsung – können Hochleistungschips herstellen. Zum Artikel
Pensionsfonds mit Nachhaltigkeit – Behördenspiegel
Baden-Württemberg, Brandenburg, Hessen und Nordrhein-Westfalen richten ihre Anlagen in Pensionsfonds seit dem 17. März nach den Zielen des Pariser Klimaabkommens aus. Wie Marlies Vossebrecker herausgefunden hat, haben die vier Länder aber bereits 2019 damit begonnen, in gemeinsam entwickelte, nachhaltige Aktienindizes (ESG Länder fossil free) zu investieren. Rund elf Milliarden Euro wurden auf diese Weise angelegt. Zum Artikel
Kreditvergabe und Nachhaltigkeit: Worauf es für Landwirte ankommt – Agrarheute
Nachhaltiges Wirtschaften wird für Landwirte immer wichtiger – auch wenn es um Kreditgespräche mit der Bank geht. Darüber berichtet Johanna Michel am Beispiel der DKB. Zum Artikel
Nachhaltigkeit bedeutet für viele westliche Unternehmen vor allem soziale Verantwortung und eine umweltfreundliche Wirtschaftsweise. Doch gerade in Afrika gibt es weitere traditionelle Werte. Unternehmen und Investoren sollten sie kennen, wenn sie dort ins Geschäft kommen wollen.
Die Weisheit der Ethik, also die Frage, wie ein Mensch ein gedeihliches Leben führen kann, ist weitgehend ungeschrieben. Sie findet sich allerdings in vielen Sprichwörtern, Volksweisheiten, in der Folklore, der Poesie und in Liedern sowie in Tabus und Bräuchen. Diese Werte dienten in der vorkolonialen Zeit als Richtschnur für ein soziales und moralisches Verhalten und haben auch in den modernen afrikanischen Ländern von ihrer Gültigkeit nichts verloren.
Die Werte in vielen afrikanischen Gesellschaften betonen gemeinsame soziale Regeln gegenüber dem Individualismus. Anstatt sich auf die Frage zu konzentrieren, wie der Einzelne ein besserer Mensch werden kann, liegt der traditionelle afrikanische Schwerpunkt darauf, wie jeder Einzelne ein verantwortungsvolleres Mitglied der Gemeinschaft wird.
Das Konzept des “Ubuntu” beispielsweise erlangte im Südafrika nach der Apartheid Bedeutung, um die Menschlichkeit in der heutigen Zeit zu betonen. Der Begriff wird metaphorisch in der Formulierung “umuntu ngumuntu ngabantu” ausgedrückt. Er bedeutet so viel wie “ein Mensch ist ein Mensch durch andere Menschen”. Dieser Begriff spiegelt die Idee der menschlichen Zusammengehörigkeit wider, bei der gegenseitige Rücksichtnahme grundlegend ist.
In Tansania wurde nach der Unabhängigkeit das Suaheli-Wort “Ujamaa” verwendet, das “Familie” bedeutet. Damit sollten Gerechtigkeit und Fairness innerhalb der Gesellschaft betont werden. Obwohl das Konzept zunächst vor allem eine afrikanische Version des Sozialismus in Tansania fördern sollte, also die gerechte Verteilung von Ressourcen und Abschaffung des Privateigentums an Produktionsmitteln, werden Werte wie Gerechtigkeit und Fairness auch im modernen Tansania noch geachtet.
Ein weiteres Beispiel findet sich in Ruanda. Dort wurde das Konzept des “Imihigo”, das in der Landessprache Kinyarwanda “Engagement für die Gemeinschaft” bedeutet, auf die moderne Ära übertragen. In der vorkolonialen Kultur nutzten Führer oder Krieger Imihigo, um die Gemeinschaft auf bestimmte Ziele einzuschwören. Das moderne Imihigo-Konzept wird seit 2006 in Ruanda angewandt, um sicherzustellen, dass sich lokale Führer in den Dienst ihrer Gemeinden stellen.
Afrikaner, die diesen kommunitären Prinzipien folgen, engagieren sich stark für die Unterstützung anderer. Diese gegenseitige Unterstützung ist gerade in Zeiten der Not für viele Länder weiterhin von wesentlicher Bedeutung.
Gemeinschaftlich gelebte soziale Grundsätze werden nicht nur von Einzelpersonen respektiert. Häufig bestimmen sie auch das Verhalten von Unternehmen im Geschäftsverkehr. Wer in afrikanischen Ländern tätig werden will, sollte diesen gesellschaftlichen Kontext verstehen und die traditionellen Weisheiten aus der vorkolonialen Zeit berücksichtigen. Dies bedeutet dann auch, traditionelle afrikanische Werte in die eigene Corporate Social Responsibility Strategy einzubetten.
Wenngleich afrikanische Länder durch historische Sünden wie Sklaverei und Kolonialismus ihres traditionellen Wissens beraubt wurden, haben bestimmte Ideale überlebt und wirken bis heute fort. Mancher mag ihren Einfluss kaum erkennen, aber die hier genannten Beispiele zeigen, dass traditionelle afrikanische Werte auch heute noch von großer Bedeutung sind. Ohne Kenntnis dieser vorkolonialen Ideale kann die afrikanische Gesellschaft nicht wirklich verstanden werden.
Harrison Kalunga Mwilima lebt in Berlin und ist Dozent, Berater und Journalist, der sich stark auf nachhaltige Beziehungen zwischen Europa und Afrika konzentriert.
Wenn Uta-Bettina von Altenbockum einmal in Fahrt kommt, dann ist sie kaum noch zu bremsen. Nachhaltige Standards in der EU? “Sehr gern”, sagt die Leiterin des Fachbereichs Nachhaltigkeit und Kommunikation am Deutschen Aktieninstitut, “aber doch bitte in realistischem Maße“. Zu häufig seien die Ideen der EU schön und gut, doch kaum umzusetzen. Viel zu kleinteilig, zu bürokratisch, zu aufwendig für Unternehmen.
“Ich verstehe, dass bei dem Thema Nachhaltigkeit immer ein gewisser Zeitdruck besteht, alle wollen gerne jetzt handeln”, sagt die 57-jährige. Aber wenn Standards “durchgepeitscht” würden, bringe das nichts. Dann würden die Standards “am Ende nicht die Informationen bringen, die wir brauchen, um eine Transformation der Wirtschaft voranzubringen”, sagt Altenbockum.
Gerade bei den neuen EU-Standards für die Nachhaltigkeitsberichterstattung (ESRS) sieht sie dafür einige Anhaltspunkte: So habe es eine verkürzte Konsultationspflicht gegeben und auch das Sustainability Reporting Board (SRB) habe nur zehn Wochen Zeit gehabt, um umfangreiche Rückläufe der Konsultation auszuwerten. Hier hätte sich Altenbockum etwa gewünscht, die Themen nicht alle gleichzeitig anzugehen oder diese zumindest in reduzierter Form vorzulegen.
Deshalb will das Deutsche Aktieninstitut, das 200 Mitglieder zählt und 85 Prozent der Marktkapitalisierung deutscher, börsennotierter Unternehmen abdeckt, jetzt mitreden. Mit einer Neuaufstellung vor einigen Monaten schuf es erstmals einen Fachbereich Nachhaltigkeit. Einen solchen im Jahr 2023 zu gründen, das ist spät – und Altenbockum an die Spitze zu setzen, kann durchaus verschiedene Lesarten haben. Einerseits ist das Thema im Lobbyverband endlich auf der Führungsebene angekommen. Andererseits hat das Thema eine Leiterin bekommen, die noch einen anderen Bereich betreut. Denn sie bleibt Kommunikationschefin.
Auch bisher lag das Thema Nachhaltigkeit schon zu großen Teilen bei ihr, sagt die Juristin. In der Presse ist sie allerdings eher selten mit weitreichenden Vorschlägen zu Nachhaltigkeitsstandards aufgefallen. Generell sieht sie viele Regulierungsvorhaben – ähnlich wie ihr Arbeitgeber – kritisch. In den neuesten Statements forderte das Deutsche Aktieninstitut unter anderem, die Berichtspflichten für Unternehmen schlanker zu gestalten und hielt eine Konsultation der europäischen Aufsichtsbehörden beim Thema Greenwashing für “verfrüht”.
Das dürfte die Meinung vieler Unternehmen widerspiegeln, deren Stimme Altenbockum als Leiterin des Fachbereichs stärken will. Zu oft, sagt sie, seien Unternehmen in den vergangenen Jahren überrollt worden von den politischen Initiativen. Das will sie geraderücken und hat deshalb bereits in anderen Verbänden nach Verbündeten für ihre Vorschläge gesucht. Statt all die Regulatorik über die Unternehmen zu stülpen, hätte man sich etwa einige wenige europäische Konzerne greifen und mit diesen Pilotprojekte durchführen sollen, sagt Altenbockum.
Argumentativ ist sie damit sicher liberal eingestellt, was bei ihrem Werdegang aber auch nicht übermäßig verwundert. Ursprünglich hatte sie ihre Karriere bei der Sparkassen gestartet, lebte dann unter anderem in Schweden, wo sie die Aktienrendite erlebte und für großartig befand. In der Zwischenzeit promovierte sie in Jura. Doch nach einigen Jahren als Mutter bei den Kindern fand sie, es wäre wieder Zeit, in den Arbeitsmarkt zurückzukehren. Als über zwei Ecken der Kontakt zum Aktieninstitut kam, begann sie als Praktikantin, wurde Referentin, später Leiterin der Pressestelle, Kommunikationschefin und teilweise Gesicht des Instituts. Jetzt muss sie beweisen, dass der Verband im Bereich Nachhaltigkeit auch eine Rolle spielen kann. In ihrer E-Mail-Signatur jedenfalls steht der neue Titel schon – wenn auch an zweiter Stelle. Nils Wischmeyer
ein Ruck müsse durch Deutschland gehen, forderte der damalige Bundespräsident Roman Herzog vor bald 26 Jahren. Sonst werde Deutschland den Anschluss an die Globalisierung verlieren. Damals malten viele düstere Zukunftsszenarien. Aber es gab einen Ruck und Deutschland gehörte schnell zu den größten Profiteuren der Globalisierung.
Nun braucht es erneut einen Ruck – bei Innovationen für die Transformation. Aktuell hängt Deutschland wohl hinterher, kann aber von anderen Staaten lernen, wie meine Analyse zeigt.
Gelernt hat Deutschland bereits etwas über die Bedeutung einer resilienten Versorgung mit Rohstoffen und Batterien. Über den Spatenstich für den ersten europäischen Lithium-Konverter im brandenburgischen Guben, berichtet Leonie Düngefeld.
Schmerzhaft gelernt haben auch Bangladesch und Textil-Unternehmen aus dem Unglück von Rana Plaza vor fast zehn Jahren. Gemeinsam verbesserten sie die Sicherheitsbedingungen der gefährlichen Export-Fabriken. Welche Strategien die Bundesregierung verfolgt, erklärt Bundesentwicklungsministerin Svenja Schulze im Interview mit Carsten Hübner.
Was können europäische Unternehmen in Wertefragen von afrikanischen Staaten lernen? Damit beschäftigt sich Harrison Mwilima, Journalist und Politikwissenschaftler aus Tansania.
Zu guter Letzt: Wenn Ihnen der ESG.Table gefällt, leiten Sie uns bitte weiter. Wenn Ihnen diese Mail zugeleitet wurde: Hier können Sie das Briefing kostenlos testen.
Eine Bahntrasse am Waldrand südlich der deutsch-polnischen Grenzstadt Guben, einige Hundert Meter von der Neiße entfernt: Hier sollen bald Güterwaggons gefüllt mit Lithium-Gestein aus Kanada ankommen. Auf der angrenzenden Brachfläche, wo bislang nur einige Sandberge zu sehen sind, soll in zwei Jahren Europas erster Lithium-Konverter den Betrieb aufnehmen. Das deutsch-kanadische Unternehmen Rock Tech baut hier eine Industrieanlage, die das lithiumhaltige Gestein zu Lithiumhydroxid weiterverarbeitet – was pro Jahr für 500.000 Batterien für Elektroautos reichen soll. Beim Spatenstich hat Rock Tech am Montag die Baupläne vorgestellt.
Lokale Wertschöpfung, Ziele für die Kreislaufwirtschaft, schnelle Genehmigungsverfahren und ein gleichzeitiger Ausbau strategischer Rohstoffpartnerschaften: Das Projekt in Brandenburg ist ein Paradebeispiel der europäischen Rohstoffstrategie, welche die EU-Kommission vor Kurzem durch einen Gesetzesvorschlag untermauert hat.
24.000 Tonnen Lithiumhydroxid pro Jahr soll der Konverter in Guben ab 2026 herstellen und an die lokale Kathoden- und Batterieproduktion liefern. 40 Prozent des Materials wird Mercedes-Benz für die E-Auto-Produktion abnehmen.
“Brandenburg deckt damit künftig die komplette Wertschöpfungskette von der Rohstoffaufbereitung über die Batterie- und Zellfertigung bis zu E-Autobau sowie Batterierecycling ab”, sagte der brandenburgische Wirtschaftsminister Jörg Steinbach (SPD) während der Veranstaltung.
Nach Angaben der Wirtschaftsförderung Brandenburg (WFBB) sind bereits 33 Unternehmen und neun Forschungsinstitute im Bundesland an der Wertschöpfungskette für Batterien beteiligt; weitere Investitionen sind im Bau oder in Vorbereitung. Neben der Lithiumverarbeitung durch Rock Tech und dem Tesla-Werk in Grünheide stellt etwa BASF in seinem Werk in Schwarzheide Kathodenmaterial her. Das Unternehmen plant außerdem, Anfang 2024 am selben Standort eine Recyclinganlage für schwarze Masse aus Batterien in Betrieb zu nehmen.
Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) erklärte, Brandenburg zeige, wie Wirtschaftspolitik sein müsse, die auf eine klimaneutrale Zukunft ausgerichtet sei. Die neuen Arbeitsplätze in der Batterie-Wertschöpfungskette ersetzten solche, die durch den Kohleausstieg wegfielen. Gleichzeitig forderte er Respekt vor den Menschen, die von diesen Veränderungen betroffen seien.
In gewisser Weise findet in diesem Projekt der Critical Raw Materials Act Anwendung, bevor er überhaupt in Kraft getreten ist. Das Genehmigungsverfahren erfuhr starke politische Unterstützung und wurde beschleunigt – zwei Jahre nach der Entscheidung für den Standort Guben kann Rock Tech dank einer Genehmigung zum vorzeitigen Beginn bereits mit den Testarbeiten und Vorbereitungen beginnen. Eine zweite Teilgenehmigung steht noch aus, wird aber bis Ende des Jahres erwartet.
Das Lithium-Mineral Spodumen soll zunächst vor allem aus Rock Techs Bergbauprojekt im kanadischen Ontario bezogen werden. Kanada gilt als einer der vielversprechendsten Rohstoffpartner der EU. Auch aus Australien, wo es die weltweit größten Spodumen-Vorkommen gibt, könnte der Rohstoff in Zukunft geliefert werden. Die EU und Australien wollen demnächst ein Freihandelsabkommen abschließen, das auch ein Kapitel zu kritischen Rohstoffen enthalten soll.
Europa drohe nicht mehr nur von China und Südkorea abgehängt zu werden, sondern nun auch von Nordamerika, sagte Dirk Harbecke, CEO von Rock Tech. Die Subventionsprogramme des Inflation Reduction Acts machten es für viele Firmen attraktiver, Produktionsstätten in den USA aufzubauen. “Wir brauchen aber eine stabile Versorgungskette für Batteriezellen hier bei uns in Europa”, betonte er. “Und dafür brauchen wir auch die Unterstützung der Politik“.
Von den kürzlich angekündigten EU-Förderprogrammen zur Unterstützung von strategischen Zukunftstechnologien erhofft Harbecke sich auch positive Auswirkungen für den Lithium-Konverter. Die EU-Kommission schlägt im Net Zero Industry Act vor, mindestens 85 Prozent des jährlichen EU-Bedarfs an Batterien solle aus eigener Produktion stammen. Die Projekte sollen finanzielle Förderung über den Innovationsfonds und über InvestEU erhalten.
Der gleichzeitig vorgestellte Critical Raw Materials Act sieht vor, bis 2030 mindestens 40 Prozent des jährlichen EU-Bedarfs an strategischen Rohstoffen wie Lithium durch heimische Weiterverarbeitung zu decken. Ob der Lithium-Konverter sich als sogenanntes strategisches Projekt bewerben kann, um von der entsprechenden Förderung zu profitieren, sei noch nicht klar, erklärte ein Sprecher von Rock Tech.
Bei der Europäischen Investitionsbank (EIB) wird jedoch bereits eine Förderung in Höhe von 150 Millionen Euro geprüft, was knapp einem Viertel der erwarteten Kosten entspricht. Neben dem Projekt in Guben plant Rock Tech drei weitere Konverter in Europa und einen in Nordamerika.
Rock Tech hat sich nach eigenen Angaben zum Ziel gesetzt, das “erste zirkuläre Lithiumunternehmen der Welt zu werden”. Im Gubener Lithium-Konverter soll bis 2030 etwa 50 Prozent Recyclingmaterial eingesetzt werden – dies sei jedoch abhängig davon, wie gut der Markt funktioniere, erklärte ein Sprecher.
Geht es nach dem Kommissionsentwurf für den Critical Raw Materials Act, sollen 2030 mindestens 15 Prozent des Rohstoffbedarfs aus dem Recycling stammen. Die lange Nutzung der Batterien verzögert jedoch den Hochlauf der Kapazitäten: Batterien von E-Fahrzeugen sind rund 15 Jahre im Gebrauch. Experten rechnen damit, dass der europäische Recyclingmarkt für Lithium-Ionen-Batterien, zeitversetzt mit dem Wachstum der Elektromobilität, in den kommenden zwanzig Jahren stark wachsen und spätestens Mitte des aktuellen Jahrzehnts anziehen wird.
Um Innovationen für kreislauffähige Lithium- und Wasserstoffproduktion zu entwickeln, beteiligt sich Rock Tech gemeinsam mit der Baustoffindustrie am Deutschen Lithiuminstitut (ITEL) in Halle. Dort soll neben der CO₂-neutralen Produktion auch die Nutzung der Nebenprodukte erforscht werden, die beispielsweise für die Gips- und Zementindustrie verwendet werden könnten. Die angekündigte Zero Waste-Strategie bleibt erst einmal nur ein Versprechen.
Die Zahlen des Europäischen Patentamts (EPA) für 2022 signalisieren, dass Deutschland sich anstrengen muss, wenn es bei Patentanmeldungen nicht zurückfallen will. Insgesamt stiegen die Patentanmeldungen bei der EPA um 2,5 Prozent auf 193.460. Aber unter dem Spitzenquintett verzeichneten die USA, China und Frankreich eine Zunahme, Japan ein leichtes Minus und nur Deutschland einen deutlichen Rückgang um 4,7 Prozent.
In den vergangenen zehn Jahren fiel der Anteil deutscher Anmeldungen bei der EPA sogar von 17,9 Prozent auf 12,8. Wenn es darum geht, den Trend zu stoppen und bei Innovation zu punkten, könnte Deutschland einiges von anderen Ländern lernen. Das ist das Ergebnis einer Gemeinschaftsstudie des Thinktanks Progressives Zentrum und der Hertie School of Governance, die am Montagabend in Berlin vorgestellt wurde.
Gezielt haben sich die Studien-Autoren Maik Bohne, Anke Hassel und Daniela Blaschke dafür entschieden, Deutschland in puncto Innovation nicht mit den USA oder China zu vergleichen, sondern mit einer Reihe anderer Staaten, die hinsichtlich ihrer Struktur eine größere Ähnlichkeit aufweisen. Deutschland hinke bei hinterher, sagte Anke Hassel, die an der Hertie School of Governance Public Policy lehrt.
Es gebe einige Blockaden, die sich negativ auf Innovationen auswirkten, “andere Länder sind dort anders aufgestellt“. Die Wissenschaftlerin erklärt dies unter anderem damit, dass Deutschland über eine lange Zeit mit seinem Wirtschaftsmodell erfolgreich gewesen sei. Andere Länder seien früher gezwungen gewesen, sich zu verändern, ob die Niederlande, Finnland oder Schweden. Die Wissenschaftler identifizieren in der Studie unterschiedliche Strategien anderer Länder.
Die Niederlande belegen im Global Innovation Index 2022 den fünften Platz, wozu besonders die hohe Gründungsdynamik beiträgt. Dabei gibt es gleichzeitig international führende Großunternehmen wie Philips, ASML, Unilever und Shell sowie eine große Zahl von Start-ups. Das Land liegt auf dem zweiten Platz, wenn es darum geht, Unternehmensgründungen leicht zu machen. Allerdings beschäftigen die neu gegründeten Firmen wenige Menschen.
Die Niederlande würden ihre Innovationspolitik “konsistent ausgestalten und das Land verbindlich auf gemeinsame Innovationsschwerpunkt ausrichten”, heißt es in der Studie. Dazu legte das Land 2011 zehn Topsektoren fest, unter anderem Landwirtschaft und Ernährung, Chemie, Wasser & maritime Wirtschaft und Digitalisierung. Für diese Sektoren gebe es konkrete gesellschaftliche Missionen wie die Einführung einer vollständigen zirkulären Wirtschaft bis 2040. Zudem legte die Regierung fest, welche finanziellen Ressourcen für die Umsetzung der Missionen jeweils hinterlegt sein müssen und welche Forschungskapazitäten geschaffen werden sollen.
Die beiden skandinavischen Länder Finnland und Schweden sind bei Innovationen stark, Schweden liegt beim Global Innovation Index auf Rang 3, Finnland auf Rang 9, einen hinter Deutschland, was auf Rang 8 liegt. Allerdings punkten die beiden skandinavischen Länder damit, dass es “leicht scheint”, dort Ideen in die gesellschaftliche und wirtschaftliche Praxis zu übertragen. Beide Länder haben auch gute übergreifende Rahmenbedingungen für unternehmerische Aktivitäten geschaffen. Finnland hat sich nach dem Abstieg des Mobilfunkkonzerns Nokia zu einem “Hotspot für Start-up-Unternehmen entwickelt”.
Eine wichtige Rolle spielte dabei die Entscheidung in Espoo mehrere Bildungseinrichtungen zur Aalto-Universität zusammenzulegen. Rund um den Campus werden jährlich 80 neue Unternehmen gegründet. Bei der Zahl der angemeldeten Patente liegt die Stadt in Europa heute auf Platz sechs. Die Prägung der Menschen in Finnland beginne bereits in der Schule, heißt es. Beide Länder hätten sich auf einen politischen Grundkonsens mit Blick auf Innovationen geeinigt.
Schweden richtete seine Strategie an sechs übergreifenden Missionen aus: Gesundheit, Bioökonomie, Energieversorgung, Transport, Klimawandel und Ressourcen sowie sichere Gesellschaft. Auch Finnland habe sich für einen systemischen Ansatz entschieden und nahm sich vor, jährlich vier Prozent des BIP für Forschungs- und Innovationsaktivitäten bereitzustellen. Derzeit arbeite die Regierung an einer missionsübergreifenden Innovationsagenda.
In beiden Ländern gibt es Innovationsräte, die institutionell bei den Ministerpräsidenten aufgehängt sind. In Schweden tagt der Rat halbjährlich in wechselnden Regionen und analysiert die dortigen Innovationsökosysteme. Die Räte spielen in beiden Ländern eine wichtige Rolle für die strategische Vorausschau und Konsensfindung.
Trotz aller Probleme zählt Großbritannien zu den innovationsstärksten Ländern weltweit. Auffallend sei die “ungebrochene Gründungsmentalität”, heißt es in der Studie. In dem Land könnten sich mehr als die Hälfte der Menschen vorstellen, ein Unternehmen zu gründen, ohne Angst vor einem Scheitern zu haben. Als eines von wenigen Ländern verfüge Großbritannien über ein eigenes Innovationsministerium. Vier Missionen verfolge die Regierung: Sauberes Wachstum, Künstliche Intelligenz und Datenwirtschaft, alternde Bevölkerung und Zukunft der Mobilität.
Einzigartig sei, dass diese Missionen von zwei Innovationsagenturen in sehr konkrete Programme umgesetzt würden. So entstand ein Programm, das eine für “auch für Deutschland sehr interessante Initiative etabliert”. Bei dem Knowledge Transfer Partnership Programme würden Unternehmen und NGO gezielt mit Nachwuchswissenschaftlern an ausgewählten Hochschulen zusammengebracht. Am Anfange stehe stets “ein Innovationswunsch aus der Praxis, für den konkrete Lösungen gefunden werden sollten”. Die Partnerschaft finanzieren die Innovationsagentur und beteiligten NGO sowie Unternehmen anteilig über einen Zeitraum von zwölf bis 36 Monaten.
Wichtig sei, dass es in den Ländern nicht bei der Formulierung von abstrakten Missionen bleibe. Sie würden stets “in ein aktives Management überführt – mit konkreten Zielen, Agenden, Maßnahmen und einer auskömmlichen finanziellen Ausstattung”, heißt es in der Studie. Eine solche Missionsorientierung und Operationalisierung ihrer Ziele empfiehlt Politikberaterin Anke Hassel der Ampelkoalition.
Das Feuer in der Textilfabrik Rana Plaza in Bangladesch mit über 1.100 Toten ist zehn Jahre her. Was hat sich aus entwicklungspolitischer Sicht seither getan?
Als Reaktion auf Rana Plaza hat das Entwicklungsministerium 2014 das Bündnis für nachhaltige Textilien gegründet. Als nächsten Schritt hat mein Vorgänger Gerd Müller dann 2019 das staatliche Siegel Grüner Knopf auf den Weg gebracht, damit im Laden auf einen Blick erkennbar ist, welche Kleidungsstücke nachhaltig produziert wurden. Seit diesem Jahr ist das Lieferkettengesetz in Kraft, das ebenfalls viel mit Rana Plaza zu tun hat. Viele Unternehmen – zunächst die größeren – sind jetzt gesetzlich verpflichtet sicherzustellen, dass beim Herstellen ihrer Waren Menschenrechte und zentrale Umweltstandards eingehalten wurden. Auf europäischer Ebene diskutieren wir jetzt einen EU-Rechtsrahmen, der dies künftig noch weitergehend regelt. Es gibt also Fortschritte. Die Textilindustrie bekommt immer mehr Leitplanken, die immer verbindlicher werden.
Aber spürt man diese Bemühungen auch vor Ort?
Auch in den Produktionsländern gibt es zahlreiche Verbesserungen. Bangladesch hat eine Vereinbarung zum Brandschutz und zur Gebäudesicherheit getroffen. Sie gilt für 1.600 Textilfabriken, die mehr als 200 Modemarken beliefern und in denen zwei Millionen Menschen Kleidung nähen. Wir als Entwicklungsministerium setzen uns dafür ein, dass diese Vereinbarung auch auf andere Länder in der Region ausgeweitet wird. Seit Anfang des Jahres gibt es eine abgeschwächte Form in Pakistan. Wir unterstützen außerdem Arbeitsunfallversicherungen im Textilsektor, wie sie Bangladesch im vergangenen Sommer eingeführt hat.
Sie stehen für eine feministische Entwicklungspolitik. Welchen Stellenwert hat die Textilindustrie für Ihre Strategie, die Sie in diesem Monat vorgestellt haben?
Weltweit arbeiten im Textilsektor 75 Millionen Menschen, der Großteil davon sind Frauen. Sie werden schlecht bezahlt, es gibt kaum soziale Absicherung wie Krankengeld oder Mutterschutz. Sobald es aber um die einflussreichen und besser bezahlten Jobs geht, schwindet der Frauenanteil. Im Textilmanagement, aber auch in den Gewerkschaften und in politischen Positionen, trifft man vor allem auf Männer und ihren männlichen Blick auf die Welt. Für den Textilsektor haben wir daher in der Entwicklungszusammenarbeit einige gute Maßnahmen erprobt, die den weiblichen Blick stärken.
Wie kann man sich das konkret vorstellen?
In Bangladesch, Kambodscha und Myanmar wurden Frauencafés eröffnet, in denen sich Frauen über ihre Rechte informieren und professionelle Rechtsberatung erhalten. In Äthiopien unterstützen wir Unternehmen dabei, gegen sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz vorzugehen. Solche Maßnahmen stärken wir im Rahmen unserer feministischen Entwicklungspolitik weiter. Denn Frauen müssen gleiche Rechte haben wie Männer. Sie müssen gleichermaßen in Entscheidungsgremien vertreten sein und sie brauchen den gleichen Zugang zu Ressourcen wie Krediten, Bildung und Besitz.
Das Bündnis für nachhaltige Textilien sollte dafür ja bessere Rahmenbedingungen schaffen. Ist das gelungen? Langfristige Erfolge benötigen viel Vorarbeit – das gilt ganz besonders in der stark fragmentierten globalen Lieferkette. Das Textilbündnis war eine wichtige Vorarbeit für das Lieferkettengesetz und es wird wichtig bleiben, denn nicht alles kann gesetzlich geregelt werden. Es wird auch weiterhin neben den gesetzlichen Bestimmungen gute Unternehmensführungen brauchen. Dabei können Unternehmen Missstände gar nicht beheben, wenn sie ihre Lieferkette nicht ganz genau kennen. Das Bündnis unterstützt deshalb die Unternehmen dabei, Transparenz in ihre Lieferketten zu bringen.
Das funktioniert doch aber nur, wenn die Unternehmen auch bereit sind, sich mit den anderen Akteuren an einen Tisch zu setzen.
Das Besondere am Textilbündnis ist, dass hier 130 Mitglieder aus Unternehmen und Verbänden, Nichtregierungsorganisationen, Gewerkschaften und der Bundesregierung zusammen an Lösungen arbeiten und diese in gemeinsamen Projekten vor Ort umsetzen. Aktuell werden beispielsweise im indischen Tamil Nadu über 40 lokale Nichtregierungsorganisationen geschult, damit sie in Fabriken Weiterbildungen zu den Themen “Arbeitsrechte” sowie “Aufbau von Schlichtungs- und Beschwerdekomitees” anbieten können.
Der Grüne Knopf steht ja für so eine transparente Lieferkette, in der grundlegende Sozial- und Arbeitsstandards anerkannt werden. Wird er denn vom Kunden in Deutschland auch angenommen?
Das Siegel wird immer bekannter, was eine wichtige Voraussetzung für bewusste Kaufentscheidungen ist. Wichtig ist auch, dass der Grüne Knopf im Rahmen der privaten und öffentlichen nachhaltigen Beschaffung mittlerweile breit genutzt wird. Man kann ihn an der Arbeitskleidung der Bahn finden oder an der Bettwäsche in großen Hotelketten oder Krankenhäusern. Inzwischen haben wir das Siegel weiterentwickelt. Es soll ja über die neuen Anforderungen des Lieferkettengesetzes hinausgehen. Um diesen Grünen Knopf 2.0 zu erhalten, müssen Unternehmen nun auch zeigen, dass sie wichtige Schritte hin zu existenzsichernden Löhnen gehen sowie die Menschen vor Ort stärker an Entscheidungen beteiligen. Auch die Anforderungen an die Rohstoffgewinnung sowie den Faser- und Materialeinsatz sind verschärft worden.
Die Bundesregierung will das Recycling und den Aufbau einer Kreislaufwirtschaft ja insgesamt aufwerten. Das gilt also auch für die Entwicklungspolitik?
Das Thema Kreislaufwirtschaft rückt immer stärker in den Vordergrund. Um die Textilproduktion nachhaltig zu gestalten, müssen Ressourcen wiederverwendet und Abfälle vermieden werden. Unternehmen müssen noch sehr viel stärker darauf achten, dass ihre fertigen Produkte nicht anderswo zum Müllproblem werden – zum Beispiel in Ghana, das ich im Februar besucht habe. Ghana ist einer der größten Nettoimporteure von Alt-Textilien. Viele davon kommen aus Deutschland. Allerdings sind circa 40 Prozent der Ware – 15 Millionen Kleidungsstücke pro Woche – für den Weiterverkauf unbrauchbar. Häufig werden sie dann als Abfall an Flüssen und Stränden wild entsorgt oder verbrannt. Das darf so nicht weitergehen. Im Koalitionsvertrag haben wir uns als Ampelregierung klar dafür ausgesprochen, dass Produkte langlebig, wiederverwendbar, recycelbar und möglichst reparierbar sein müssen. Wir wollen daher die Verantwortung der Hersteller auf europäischer Ebene stärken.
29.3.2023, 10:30 Uhr
Öffentliche Anhörung Soziale Sicherungssysteme im Globalen Süden (Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung) Info
29.3.2023, 11:00 Uhr
Öffentliche Anhörung Wärmewende (Ausschuss für Klimaschutz und Energie) Info
29.3.2023, 16:00 Uhr
Unterrichtung durch die Bundesregierung Wasserstoffstrategie der Europäischen Union (Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union) Info
29.3.2023, 18:00 Uhr
Aussprache und Beschlussfassung Positionspapier zum Thema “Menschliches Wohlbefinden und Fähigkeiten, soziale Gerechtigkeit” (Parlamentarischer Beirat für nachhaltige Entwicklung) Info
30.3.2023, 13:45 Uhr
Erste Beratung Sicherheit und Klarheit beim Strukturwandel in der Lausitz (Antrag der Fraktion Die Linke)
Der Antrag fordert die Bundesregierung auf, die geplante Förderung des Strukturwandels in der Kohleregion auf den Zeitraum 2023 bis 2033 vorzuziehen. Zudem soll ein Unterstützungspaket für die Kommunen in den Kohlerevieren aufgelegt werden. Drucksache
30.3.2023, 15:05 Uhr
Überweisung im vereinfachten Verfahren Gesetz zum Neustart der Digitalisierung der Energiewende (Bundesregierung)
Das Gesetz verfolgt das Ziel, den Einbau intelligenter Messsysteme zu beschleunigen. Hierfür sollen die Verwaltungsverfahren entbürokratisiert und die Rechts- und Planungssicherheit für alle Akteure gestärkt werden. Neben der Bündelung von Kompetenzen wird zudem eine Verteilung der Kosten angestrebt. Drucksache
30.3.2023, 15:45 Uhr
Zweite und dritte Beratung Mehrere Gesetzentwürfe zum besseren Schutz von hinweisgebenden Personen (Bundesregierung)
Ziel der Gesetze ist, dass Hinweisgeber auf Rechts- und Regelverstöße in Unternehmen und Behörden, sogenannte Whistleblower, einfacher und ohne Angst vor Repressalien auf Missstände aufmerksam machen können. Deutschland ist durch die EU-Richtlinie 2019/1937 zur Regelung des Hinweisgeberschutzes verpflichtet und unterliegt bereits einem Vertragsverletzungsverfahren, weil es diese Richtlinie nicht fristgemäß umgesetzt hat. Info
30.3.2023, 18:00-19:30 Uhr und 20:45-21:45 Uhr
Beratung von Anträgen der CDU/CSU-Fraktion Sonnenpaket für Deutschland, Stellungnahme zu EU-Verhandlungen über Pflanzenschutzmitteln, Meeresverschmutzung, CO₂-Speicherung und -Nutzung
30.3.2023, 19:30 Uhr
Erste Beratung Aktionsplan zur Stärkung der Tarifbindung – Für gute Arbeitsbedingungen und höhere Löhne (Antrag der Fraktion Die Linke)
China Strategie 2023. 3 Stunden, 3 Sessions, 30 Köpfe aus Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Gesellschaft. Table.Media beleuchtet am 25. April China als Wettbewerber, Rivale und Partner. Die Digital-Konferenz schafft mitten in der aktuellen Debatte Orientierung für Entscheiderinnen und Entscheider.
Nur wenige deutsche Stiftungen setzen bei ihrer Vermögensanlage auf ESG-Kriterien. Das ist das Ergebnis einer Analyse der NGO Facing Finance, die Table Media vorab vorliegt. Die 37 untersuchten Stiftungen verfügen zusammen über ein Anlagevermögen von mindestens 30 Milliarden Euro. Obwohl die Institute teils soziale oder ökologische Ziele als Stiftungszweck verfolgen, berücksichtigen nur wenige diese Ziele auch bei der Anlage ihres Vermögens. Facing Finance hat für die Untersuchung öffentlich zugängliche Dokumente wie Jahresberichte analysiert und – weil nur wenige Stiftungen transparent über ihre Finanzanlagen berichten – den Dialog gesucht.
Knapp die Hälfte der untersuchten Stiftungen legt das eigene Vermögen ohne jegliche Berücksichtigungen von Nachhaltigkeitskriterien an. Etwa ein Drittel bekennt sich zwar zu einer nachhaltigen Finanzanlage, bleibt aber bei der Wahl der Nachhaltigkeitskriterien sehr vage. Das heißt, öffentlich gibt es von ihnen weder ein Bekenntnis zu konkreten Kriterien noch zu konkreten ESG-Instrumenten.
Da Nachhaltigkeit im Finanzmarkt noch nicht abschließend definiert ist, wäre Transparenz hier dringend erforderlich, sagt Facing Finance Vorstand Thomas Küchenmeister. Ohne die “müssen wir leider davon ausgehen, dass in Stiftungsportfolios mitunter eine nicht unerhebliche Anzahl an Beteiligungen an konfliktbehafteten, nicht-nachhaltigen Unternehmen schlummert, deren Geschäftsmodelle klimaschädigend sind oder gegen Menschenrechte verstoßen”, mahnt Küchenmeister.
Unter dem Schlagwort “Nachhaltigkeit” können sich Ausschlüsse von kontroversen Investments wie etwa Waffengeschäfte, klimaschädliche Geschäftsmodelle oder Tabak verbergen, die diese Praktiken zwar grundsätzlich ausschließen, aber Umsatzschwellen von bis zu 30 Prozent tolerieren. Es gilt auch als nachhaltiges Investieren, wenn ein Best-In-Class-Ansatz angewandt wird. Das heißt, bei der Wahl des Investments werden die Unternehmen ausgewählt, die mit Blick auf ein Nachhaltigkeitskriterium am besten abschneiden, ohne kontroverse Branchen gänzlich auszuschließen.
Stiftungen liefen somit Gefahr, mit ihrer Geldanlage die eigenen, gemeinnützigen Stiftungszwecke zu konterkarieren, so Küchenmeister. Positiv sticht die UNICEF-Stiftung heraus. Sie veröffentlicht die Anlagestrategie samt Ausschlusskriterien und Umsatzschwellen. vvo
Der Weltklimarat (IPCC) hat es noch einmal deutlich gemacht: Um den Klimawandel aufzuhalten, wird auf lange Sicht kein Weg an Netto-Negativ-Emissionen vorbeiführen. Es muss also mehr CO₂ aus der Atmosphäre gefiltert und gespeichert als ausgestoßen werden. Wichtigste Senke an Land sind die Böden. Doch diese sind in einem schlechten Zustand, emittieren in Europa mehr, als sie speichern.
Lieblingslösung in Brüssel: Carbon Farming. Durch nachhaltigere und regenerative Anbaumethoden sollen die Böden widerstandsfähiger werden, wieder mehr Hummus aufbauen und Treibhausgase speichern. Doch die Umstellung ist aufwendig und teuer, entsprechend dreht sich alles um die Frage der Finanzierung.
Der Europäischen Kommission schwebt ein kontrollierter Zertifikate-Handel vor. Dafür hat die Behörde Ende vergangenen Jahres einen Rechtsrahmen vorgestellt, der nun hitzig diskutiert wird. Der Handel und das damit verbundene Offsetting von Emissionen aus anderen Sektoren könne dem Kampf gegen den Klimawandel einen Bärendienst erweisen und die Ziele gefährden, sagen Kritiker.
Eine Studie des Naturschutzbundes (Nabu) und der Boston Consulting Group zeigt jetzt: Regenerative Landwirtschaft lohnt sich auch ohne den Zertifikate-Handel. Eine Umstellung könne nach sechs bis zehn Jahren für einen durchschnittlichen Ackerbau-Betrieb zu einer Gewinnsteigerung um bis zu 60 Prozent führen, prognostizieren die Autoren. Der Zertifikate-Handel sei hierbei zwar mit 30 Euro pro Tonne CO₂ berücksichtigt, mache aber nur einen kleinen Teil aus, sagt Co-Autor und Nabu-Agrarexperte Simon Krämer.
Denn: Agrar- und Ernährungswirtschaft gehören zu den Hauptverursachern von Klima- und Biodiversitätskrise und sind gleichzeitig mit am stärksten davon betroffen. Gesunde Böden, ökologische Vielfalt, Wassermanagement und Klimaresilienz würden also immer mehr zu entscheidenden Produktionsfaktoren, heißt es in der Studie. tl
Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International kritisiert, dass westliche Staaten bei der Bewertung von Menschenrechtsverletzungen verschiedene Maßstäbe anlegten. Das geht aus dem am Montag vorgelegten Bericht zur Lage der weltweiten Menschenrechte 2022/23 der Organisation hervor. Deutlich werde die laut Amnesty selektive und egoistische Haltung westlicher Staaten bei Menschenrechten vor allem durch das “ohrenbetäubende Schweigen zu Menschenrechtsverletzungen in Saudi-Arabien und Ägypten” oder die weitere Unterstützung für die Verfestigung von Israels “Apartheidsystem” gegenüber Palästinensern.
Wichtige globale Trends seien die massenhaften Proteste – wie in Iran, Peru oder jüngst in Georgien – sowie eine steigende Zahl schutzsuchender Menschen, ob aus der Ukraine, Myanmar, Venezuela oder der Demokratischen Republik Kongo. In 85 der 156 betrachteten Länder (54 Prozent) hätten Sicherheitskräfte unrechtmäßige Gewalt gegen Protestierende eingesetzt. In 35 Ländern seien sie mit tödlichen Waffen vorgegangen. In 79 Ländern seien Aktivistinnen und Aktivisten willkürlich festgenommen (51 Prozent) worden. In 29 Ländern schränkten Staaten das Recht auf friedlichen Protest ein.
Darüber hinaus kritisiert Amnesty International, dass Staaten es bislang nicht geschafft hätten, die nötigen Maßnahmen zu ergreifen, um die Erderwärmung unter 1,5 Grad zu halten. Und dass sich die Staatengemeinschaft weiter weigere, den Klimawandel-Treiber Nummer Eins – die Produktion und Nutzung von fossiler Energie – wirkungsvoll anzugehen. So müssen der während der COP27 vereinbarte Loss and Damage Fund für die am stärksten betroffenen Länder erst noch aufgesetzt werden. Reiche Staaten hätten die zugesagten 100 Milliarden US-Dollar pro Jahr noch nicht gezahlt, während die sechs größten westlichen Ölkonzerne 2022 Rekordprofite in Höhe von über 200 Milliarden US-Dollar vor Steuern gemacht hätten. Die hohen Gewinne resultierten keineswegs nur aus den hohen Energiepreisen infolge des Krieges in der Ukraine, sondern grundsätzlich aus einem Geschäftsmodell, bei dem die Konzerne die Folgen für die Umwelt bewusst ignorierten. nh
Die EU hat endgültig grünes Licht für das geplante Aus von Verbrennungsmotoren ab 2035 gegeben. Die Energieminister der 27 EU-Länder stimmten am Dienstag in Brüssel dafür. Am Wochenende hatte es eine Einigung zwischen Deutschland und der EU-Kommission gegeben, eine für die FDP wichtige Ausnahme zuzulassen. Demnach können Autos mit Verbrennungsmotoren weiter neu zugelassen werden, wenn sie ausschließlich mit CO₂-freien Kraftstoffen – sogenannten E-Fuels – betrieben werden. Der Verkehrssektor steht für fast ein Viertel der CO₂-Emissionen in der EU.
Bundesumweltministerin Steffi Lemke (Grüne) zeigte sich trotz des Kompromisses zufrieden und sprach von einem Signal für E-Autos: “Elektromobilität ist die effizientere, kostengünstigere und vor allem emissionsfreie Option. Es ist gut, dass mit der EU-Kommission am Ende eine Lösung gefunden wurde, die den Weg für die neuen Flottengrenzwerte freimacht und gleichzeitig den Bedenken der FDP Rechnung trägt.”
Polen votierte gegen die Pläne. Das osteuropäische Land nannte sie unrealistisch und fürchtet künftig steigende Preise für Fahrzeuge. Italien, Bulgarien und Rumänien enthielten sich. Italien wollte eigentlich noch eine Ausnahme für Biosprit durchsetzen. Die entsprechende Gesetzgebung kann nach der Zustimmung der Energieminister nun in Kraft treten. Demnach dürfen Neuwagen ab 2035 keine CO₂-Emissionen mehr ausstoßen. Im Jahr 2030 müssen die Werte 55 Prozent unter dem Niveau von 2021 liegen.
Der jüngste Kompromiss mit Deutschland sieht vor, dass künftig eine eigene E-Fuels-Typenklasse für Autos geschaffen wird. Dafür wurde ein Verfahren vereinbart, das aber noch ausgearbeitet werden soll. Dabei soll die EU-Kommission festlegen, wie E-Fuels-Autos zu den Klimazielen beitragen. Das soll dann über einen sogenannten delegierten Rechtsakt beschlossen werden.
E-Fuels werden mithilfe großer Mengen grünen Stroms, Wasserstoffs sowie mit CO₂ aus der Atmosphäre produziert. Die Verbrenner sind so klimaneutral, obwohl sie am Auspuff CO₂ ausstoßen. E-Fuels gelten derzeit als ineffizient und teuer, die FDP hofft in den nächsten Jahren aber auf Fortschritte. Bisher gibt es keine nennenswerte Produktion. Diese soll später vor allem im Schiffs- und Flugverkehr eingesetzt werden, der anders als Autos nicht einfach auf Strom umstellen kann.
Während sich Hersteller und Zulieferer mit offiziellen Äußerungen zurückhielten, zeigte sich die größte Erdölfördergesellschaft der Welt erfreut. Matthias Braun vom Saudi-Aramco-Research-Centre sagte: “Mit dem E-Fuels-Kompromiss öffnet sich für die Industrie eine Tür: Für Investoren wird damit die industrielle Herstellung von synthetischen Kraftstoffen zur Verwendung in Neuwagen-Pkw interessant.”
Das Unternehmen aus Saudi-Arabien baut derzeit zwei Demonstrationsfabriken für die Herstellung von E-Fuels in Bilbao und in Saudi-Arabien und stellt für Rallye-Wettbewerbe und Straßenrennen synthetische Kraftstoffe zur Verfügung. Das Unternehmen hat zudem angekündigt, ab 2030 E-Fuels im industriellen Maßstab an Tankstellen verfügbar zu machen. rtr/Redaktion
Der Nilstreit zeigt, wie eng Nutzung von Ressourcen, Nachhaltigkeit und Konfliktmanagement miteinander verknüpft sind. Und der Kampf um die Ressource Wasser wird zunehmen, besonders in Afrika, dessen Bevölkerung in den kommenden Jahrzehnten besonders schnell wachsen wird. Das zu verteilende Wasser muss deshalb klug genutzt werden. Die Wissenschaft kann inzwischen wertvolle Methoden für die Praxis liefern.
Ein Beispiel sind ausgeklügelte Beobachtungs- und Vorhersagesysteme, die Wasserexperte Harald Kunstmann vom Karlsruher Institut für Technologie mit seinem Team entwickelt. Sie sollen helfen, die immer kürzer werdenden Regenphasen in vielen afrikanischen Ländern besser für die Landwirtschaft zu nutzen. Für die Erfassung des landesweiten Regens nutzen er und sein Team unter anderem das Handynetz und ein physikalisches Phänomen, das die Betreiber von Mobilfunknetzen eher stört: Regentropfen dämpfen nämlich Mobilfunksignale, und das schon bei kleinen Schauern. Für Wasserforscher Kunstmann lässt sich daraus berechnen, wie viel Niederschlag zwischen zwei Sendemasten niedergeht. Tausende solcher Masten dienen so zur Quantifizierung des Regens landesweit, und das in Gegenden, in denen es meist keine oder nur sehr wenige klassische Niederschlagsmessungen gibt.
Extreme Wetterereignisse wie Überschwemmungen und Dürren dominieren normalerweise die Nachrichten. Doch die eher unscheinbaren Klimaänderungen sind genauso ernst: In Ghana und Burkina Faso etwa hat sich der Beginn der Regenzeit in den vergangenen 40 Jahren um mehr als einen Monat nach hinten verschoben. Das traditionelle Wissen um den besten Zeitpunkt der Aussaat ist damit praktisch wertlos geworden. Entscheidend ist nämlich, dass nach den ersten Regentropfen auch am Ende der Trockenzeit ausreichend Niederschlag fällt, damit das Saatgut und die Jungpflanzen nicht verdorren. Für die Bauern liefern die neu entwickelten Vorhersagesysteme nun bis zu sieben Monate im Voraus wichtige Informationen darüber, wann es sehr heiße, trockene oder feuchte Perioden geben wird.
Auf seine riesigen Wasserreserven kann Afrika nur bedingt setzen, denn häufig findet sich die Ressource nicht dort, wo die Menschen leben. Berechnungen zufolge verfügt Afrika zwar über 600.000 Kubikkilometer Grundwasser, rund 30-mal so viel wie in einem Jahr auf dem gesamten Kontinent durch Regen zusammen kommt. Das große Problem aber ist der Zugang zu sauberem Trinkwasser. In den gewaltigen Strömen wie Nil, Kongo, Niger und fast 700 afrikanischen Seen ist das Wasser oft verschmutzt, mit Keimen und Krankheitserregern kontaminiert und zudem sehr ungleich verteilt. In ländlichen Regionen sind es oft viele Kilometer bis zur nächsten Wasserstelle. Und wenn viel mehr Grundwasser abgepumpt wird, als sich neu bilden kann, führt das zu fallenden Grundwasserpegeln oder in Küstennähe zu Versalzung. Ohne klare Vorgaben der Wissenschaftler verschlimmert das Abpumpen von Grundwasser die Situation.
Eines der bedrohlichsten Probleme sieht der Wasserexperte Kunstmann aber an ganz anderer Stelle. Wasserzugang ist Macht, und mit Geld lässt sich diese Macht in Afrika gut erreichen. Der Zugang zur kostbaren Ressource Wasser muss nach seiner Ansicht vor dem Profitstreben privater Akteure und Unternehmen geschützt werden, sonst droht der Wasserversorgung der afrikanischen Bevölkerung weitere Gefahr. hp
Umweltorganisationen und Klimaaktivisten verstärken den Druck auf die weltgrößten Versicherer. In einem Brief an die Vorstandschefs von 30 Versicherern und Rückversicherern fordern knapp zwei Dutzend in der Initiative “Insure our Future” zusammengeschlossene Interessengruppen die Manager auf, Projekte zur Erschließung fossiler Energiequellen “ab sofort” nicht mehr zu versichern. Gleiches gelte für Beteiligungen an Unternehmen in diesen Branchen, die sich dem 1,5-Grad-Ziel nicht verschrieben hätten. Die Zusagen der Versicherungsbranche, die sich bisher vor allem auf die Kohleförderung und -verstromung beziehen, reichten nicht aus, um das Ziel einer weltweiten Erwärmung um maximal 1,5 Grad Celsius einzuhalten.
Der Initiative gehören unter anderem Greenpeace und Urgewald an. Zu den Adressaten des Briefes zählen der weltgrößte Rückversicherer Münchener Rück sowie die Versicherer Allianz, Zurich, Axa und Travelers.
“Als Risikomanager der Gesellschaft tragen die Versicherer eine besondere Verantwortung, zu handeln und Veränderungen voranzutreiben”, heißt es in dem sechsseitigen Brief. Ohne Versicherung könnten neue Projekte mit fossilen Brennstoffen nicht umgesetzt und bestehende nicht weitergeführt werden.
Immerhin 41 Unternehmen hätten seit 2017 Beschränkungen für die Versicherung von Kohleunternehmen eingeführt, 22 für Teersande, aber nur 13 für Öl und Gas, heißt es in dem Brief. Letzteres ist den Organisationen ein Dorn im Auge. “Zahlreiche Schlupflöcher in den Standards erlauben den Versicherern, den Ausbau der Förderung fossiler Brennstoffe weiter zu unterstützen.” Münchener Rück und Zurich betonten auf Anfrage, sie pflegten regelmäßigen Kontakt mit unterschiedlichen Interessengruppen und verfolgten strikte Richtlinien im Umgang mit der Branche. rtr
Geld her – Süddeutsche Zeitung
Streiken liege den Deutschen nicht, schreibt Nils Minkmar. Gut, dass sich das nun ändere. Dass dies unterschiedlich gesehen werden könnte, hält der Autor für charakteristisch in einer offenen Gesellschaft. Und er weist auf die Historie hin: “Dass eine Störung ungerechter Verhältnisse ein erster Schritt zur Besserung ist, dass nichts von dem, was heute das gute Leben in Deutschland ausmacht, ohne Kampf erreicht worden ist”. Aber all das klinge mittlerweile wie ein Sakrileg, denn längst habe sich ein Bewusstsein durchgesetzt, “in der besten aller möglichen Arbeitswelten zu leben”. Zum Artikel
Confronting the global water crisis – Social Europe
Ohne einen anderen Umgang mit Wasser werde die Welt weder den Klimawandel in den Griff bekommen, noch die meisten anderen Ziele für nachhaltige Entwicklung der Vereinten Nationen. Denn wir befänden uns in einem Teufelskreis, in dem die Wechselwirkung zwischen der Wasserkrise, der globalen Erwärmung und dem Verlust der biologischen Vielfalt und des “Naturkapitals” alle drei Faktoren noch verschärften. Zum Artikel
Neuer Streit um Mercosur-Abkommen – Süddeutsche Zeitung
Von dem Mercosur-Abkommen erhofft sich die EU nicht zuletzt einen besseren Zugang zu Rohstoffen für die Transformation. Zuletzt hatte die EU mit einem Zusatzinstrument nachgebessert. Aber Kritiker fürchten trotzdem Verstöße gegen Menschenrechte und Umwelt, schreiben Michael Bauchmüller und Jan Diesteldorf. “Das ist reine Augenwischerei”, sagt etwa Armin Paasch, Menschenrechtsexperte bei Misereor. Denn es handele sich um eine völlig unverbindliche Interpretationserklärung. Zum Artikel
“Der Wohlstand Europas steht auf dem Spiel” – FAZ
Die EU will sich mit dem Critical Raw Material Act Rohstoffe für die Energiewende auf dem Kontinent sichern. Sven Astheimer berichtet über die Reaktionen von Benedikt Sobotka, Vorstandschef des kasachischen Bergbaukonzerns ERG, der die Haltung Europas verlogen findet. Zudem komme Europa im Vergleich zu anderen Regionen 20 Jahre zu spät. China, Kanada und die USA seien weit voraus und alle konkurrierten um die gleichen wichtigen Rohstofflieferanten. Zum Artikel
China may face more embarrassment over its human-rights record – The Economist
Im Oktober verhinderte eine Mehrheit im Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen eine Debatte über einen hinausgezögerten Bericht zu China und der Misshandlung der Uiguren. Ein diplomatischer Erfolg der Chinesen. Aber gleichzeitig sei dies ein großer Erfolg gewesen, sagen Menschenrechtsexperten, weil es das erste Mal war, dass China direkt im Menschenrechtsrat angegriffen worden sei. Zum Artikel
China wants the world to forget about its crimes in Xinjiang – The Economist
China habe seit 2017 mehr als eine Million Uiguren und andere ethnische Minderheiten in “Umerziehungslagern” eingesperrt. Während das Land versuche, die Uiguren weiter zum Schweigen zu bringen, versuche es gleichzeitig die Welt davon zu überzeugen, dass Xinjiang eine Region sei wie jede andere auch. Zum Artikel
Bauernaufstand – Der Spiegel
Die niederländische Regierung geht die Klimaprobleme der heimischen Landwirte mit einem ambitionierten Programm an. Um die Stickstoffemissionen bis 2030 zu halbieren, soll die Zahl der Kühe und Schweine drastisch sinken. Rund ein Drittel der Betriebe könnte vor dem Aus stehen. Von dem Widerstand der Bauern profitierte nun Caroline von der Plaas mit ihrer Anti-Establishment-Partei BBB bei den Provinzwahlen. Zum Artikel
Putting the Silicon in Silicon Valley – London Review of Books
Der Mikrochip spielt für die Transformation eine entscheidende Rolle. Hier lohnt sich die Besprechung von John Lanchester des Buches von Chris Millers Geschichte des Mikrochips. Leserinnen und Leser erfahren eine Menge über die Technologie und ökonomische Kriegsführung. Denn bislang kann nur eine einzige Firma, ASML aus den Niederlanden, Silizium mithilfe ultravioletter Lithografie auf die Chips ätzen. Und nur drei Konzerne – Intel, TSCM und Samsung – können Hochleistungschips herstellen. Zum Artikel
Pensionsfonds mit Nachhaltigkeit – Behördenspiegel
Baden-Württemberg, Brandenburg, Hessen und Nordrhein-Westfalen richten ihre Anlagen in Pensionsfonds seit dem 17. März nach den Zielen des Pariser Klimaabkommens aus. Wie Marlies Vossebrecker herausgefunden hat, haben die vier Länder aber bereits 2019 damit begonnen, in gemeinsam entwickelte, nachhaltige Aktienindizes (ESG Länder fossil free) zu investieren. Rund elf Milliarden Euro wurden auf diese Weise angelegt. Zum Artikel
Kreditvergabe und Nachhaltigkeit: Worauf es für Landwirte ankommt – Agrarheute
Nachhaltiges Wirtschaften wird für Landwirte immer wichtiger – auch wenn es um Kreditgespräche mit der Bank geht. Darüber berichtet Johanna Michel am Beispiel der DKB. Zum Artikel
Nachhaltigkeit bedeutet für viele westliche Unternehmen vor allem soziale Verantwortung und eine umweltfreundliche Wirtschaftsweise. Doch gerade in Afrika gibt es weitere traditionelle Werte. Unternehmen und Investoren sollten sie kennen, wenn sie dort ins Geschäft kommen wollen.
Die Weisheit der Ethik, also die Frage, wie ein Mensch ein gedeihliches Leben führen kann, ist weitgehend ungeschrieben. Sie findet sich allerdings in vielen Sprichwörtern, Volksweisheiten, in der Folklore, der Poesie und in Liedern sowie in Tabus und Bräuchen. Diese Werte dienten in der vorkolonialen Zeit als Richtschnur für ein soziales und moralisches Verhalten und haben auch in den modernen afrikanischen Ländern von ihrer Gültigkeit nichts verloren.
Die Werte in vielen afrikanischen Gesellschaften betonen gemeinsame soziale Regeln gegenüber dem Individualismus. Anstatt sich auf die Frage zu konzentrieren, wie der Einzelne ein besserer Mensch werden kann, liegt der traditionelle afrikanische Schwerpunkt darauf, wie jeder Einzelne ein verantwortungsvolleres Mitglied der Gemeinschaft wird.
Das Konzept des “Ubuntu” beispielsweise erlangte im Südafrika nach der Apartheid Bedeutung, um die Menschlichkeit in der heutigen Zeit zu betonen. Der Begriff wird metaphorisch in der Formulierung “umuntu ngumuntu ngabantu” ausgedrückt. Er bedeutet so viel wie “ein Mensch ist ein Mensch durch andere Menschen”. Dieser Begriff spiegelt die Idee der menschlichen Zusammengehörigkeit wider, bei der gegenseitige Rücksichtnahme grundlegend ist.
In Tansania wurde nach der Unabhängigkeit das Suaheli-Wort “Ujamaa” verwendet, das “Familie” bedeutet. Damit sollten Gerechtigkeit und Fairness innerhalb der Gesellschaft betont werden. Obwohl das Konzept zunächst vor allem eine afrikanische Version des Sozialismus in Tansania fördern sollte, also die gerechte Verteilung von Ressourcen und Abschaffung des Privateigentums an Produktionsmitteln, werden Werte wie Gerechtigkeit und Fairness auch im modernen Tansania noch geachtet.
Ein weiteres Beispiel findet sich in Ruanda. Dort wurde das Konzept des “Imihigo”, das in der Landessprache Kinyarwanda “Engagement für die Gemeinschaft” bedeutet, auf die moderne Ära übertragen. In der vorkolonialen Kultur nutzten Führer oder Krieger Imihigo, um die Gemeinschaft auf bestimmte Ziele einzuschwören. Das moderne Imihigo-Konzept wird seit 2006 in Ruanda angewandt, um sicherzustellen, dass sich lokale Führer in den Dienst ihrer Gemeinden stellen.
Afrikaner, die diesen kommunitären Prinzipien folgen, engagieren sich stark für die Unterstützung anderer. Diese gegenseitige Unterstützung ist gerade in Zeiten der Not für viele Länder weiterhin von wesentlicher Bedeutung.
Gemeinschaftlich gelebte soziale Grundsätze werden nicht nur von Einzelpersonen respektiert. Häufig bestimmen sie auch das Verhalten von Unternehmen im Geschäftsverkehr. Wer in afrikanischen Ländern tätig werden will, sollte diesen gesellschaftlichen Kontext verstehen und die traditionellen Weisheiten aus der vorkolonialen Zeit berücksichtigen. Dies bedeutet dann auch, traditionelle afrikanische Werte in die eigene Corporate Social Responsibility Strategy einzubetten.
Wenngleich afrikanische Länder durch historische Sünden wie Sklaverei und Kolonialismus ihres traditionellen Wissens beraubt wurden, haben bestimmte Ideale überlebt und wirken bis heute fort. Mancher mag ihren Einfluss kaum erkennen, aber die hier genannten Beispiele zeigen, dass traditionelle afrikanische Werte auch heute noch von großer Bedeutung sind. Ohne Kenntnis dieser vorkolonialen Ideale kann die afrikanische Gesellschaft nicht wirklich verstanden werden.
Harrison Kalunga Mwilima lebt in Berlin und ist Dozent, Berater und Journalist, der sich stark auf nachhaltige Beziehungen zwischen Europa und Afrika konzentriert.
Wenn Uta-Bettina von Altenbockum einmal in Fahrt kommt, dann ist sie kaum noch zu bremsen. Nachhaltige Standards in der EU? “Sehr gern”, sagt die Leiterin des Fachbereichs Nachhaltigkeit und Kommunikation am Deutschen Aktieninstitut, “aber doch bitte in realistischem Maße“. Zu häufig seien die Ideen der EU schön und gut, doch kaum umzusetzen. Viel zu kleinteilig, zu bürokratisch, zu aufwendig für Unternehmen.
“Ich verstehe, dass bei dem Thema Nachhaltigkeit immer ein gewisser Zeitdruck besteht, alle wollen gerne jetzt handeln”, sagt die 57-jährige. Aber wenn Standards “durchgepeitscht” würden, bringe das nichts. Dann würden die Standards “am Ende nicht die Informationen bringen, die wir brauchen, um eine Transformation der Wirtschaft voranzubringen”, sagt Altenbockum.
Gerade bei den neuen EU-Standards für die Nachhaltigkeitsberichterstattung (ESRS) sieht sie dafür einige Anhaltspunkte: So habe es eine verkürzte Konsultationspflicht gegeben und auch das Sustainability Reporting Board (SRB) habe nur zehn Wochen Zeit gehabt, um umfangreiche Rückläufe der Konsultation auszuwerten. Hier hätte sich Altenbockum etwa gewünscht, die Themen nicht alle gleichzeitig anzugehen oder diese zumindest in reduzierter Form vorzulegen.
Deshalb will das Deutsche Aktieninstitut, das 200 Mitglieder zählt und 85 Prozent der Marktkapitalisierung deutscher, börsennotierter Unternehmen abdeckt, jetzt mitreden. Mit einer Neuaufstellung vor einigen Monaten schuf es erstmals einen Fachbereich Nachhaltigkeit. Einen solchen im Jahr 2023 zu gründen, das ist spät – und Altenbockum an die Spitze zu setzen, kann durchaus verschiedene Lesarten haben. Einerseits ist das Thema im Lobbyverband endlich auf der Führungsebene angekommen. Andererseits hat das Thema eine Leiterin bekommen, die noch einen anderen Bereich betreut. Denn sie bleibt Kommunikationschefin.
Auch bisher lag das Thema Nachhaltigkeit schon zu großen Teilen bei ihr, sagt die Juristin. In der Presse ist sie allerdings eher selten mit weitreichenden Vorschlägen zu Nachhaltigkeitsstandards aufgefallen. Generell sieht sie viele Regulierungsvorhaben – ähnlich wie ihr Arbeitgeber – kritisch. In den neuesten Statements forderte das Deutsche Aktieninstitut unter anderem, die Berichtspflichten für Unternehmen schlanker zu gestalten und hielt eine Konsultation der europäischen Aufsichtsbehörden beim Thema Greenwashing für “verfrüht”.
Das dürfte die Meinung vieler Unternehmen widerspiegeln, deren Stimme Altenbockum als Leiterin des Fachbereichs stärken will. Zu oft, sagt sie, seien Unternehmen in den vergangenen Jahren überrollt worden von den politischen Initiativen. Das will sie geraderücken und hat deshalb bereits in anderen Verbänden nach Verbündeten für ihre Vorschläge gesucht. Statt all die Regulatorik über die Unternehmen zu stülpen, hätte man sich etwa einige wenige europäische Konzerne greifen und mit diesen Pilotprojekte durchführen sollen, sagt Altenbockum.
Argumentativ ist sie damit sicher liberal eingestellt, was bei ihrem Werdegang aber auch nicht übermäßig verwundert. Ursprünglich hatte sie ihre Karriere bei der Sparkassen gestartet, lebte dann unter anderem in Schweden, wo sie die Aktienrendite erlebte und für großartig befand. In der Zwischenzeit promovierte sie in Jura. Doch nach einigen Jahren als Mutter bei den Kindern fand sie, es wäre wieder Zeit, in den Arbeitsmarkt zurückzukehren. Als über zwei Ecken der Kontakt zum Aktieninstitut kam, begann sie als Praktikantin, wurde Referentin, später Leiterin der Pressestelle, Kommunikationschefin und teilweise Gesicht des Instituts. Jetzt muss sie beweisen, dass der Verband im Bereich Nachhaltigkeit auch eine Rolle spielen kann. In ihrer E-Mail-Signatur jedenfalls steht der neue Titel schon – wenn auch an zweiter Stelle. Nils Wischmeyer