Klima- und Umweltschutz sind globale Aufgaben. Nur wenn alle an einem Strang ziehen, kann das 21. Jahrhundert ein nachhaltiges werden. Bei der Frage, wie das gelingt, gibt es aber unterschiedliche Ansichten – und Europas Standards werden im Globalen Süden immer häufiger kritisiert. Der Vorwurf: regulatorischer Imperialismus. Ist er berechtigt? In einer neuen Serie gehen wir dieser Frage nach. Den Auftakt liefern Caspar Dohmen und Till Hoppe.
Auf Dialog setzen, das will Ritter Sport. Der Schokoladenhersteller hat vor elf Jahren begonnen, eine eigene Plantage zu bewirtschaften – und lernt daraus, wie man externe Prozesse internalisiert, um einen größeren Unterschied machen zu können. Annette Mühlberger hat sich das angesehen.
Verzichten Sie? Auf Flüge oder Fleisch? Falls nicht – Hans-Georg Häusel weiß, warum das so selten klappt. In Annette Mühlbergers Interview erläutert der Psychologe, warum unser Gehirn mit dem bösen V-Wort Probleme hat und wie nachhaltiger Konsum vermarktet werden sollte.
Und: Der Standpunkt kommt diese Woche von Steffi Lemke. Die Bundesumweltministerin erklärt, dass sie beim G7-Umweltministertreffen am Wochenende Grundsätze für besseren Ressourcenschutz und eine Kreislaufwirtschaft verabschieden will.
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Harte Machtinstrumente, militärische etwa, hat die Europäische Union nur wenige zur Hand. Was nicht bedeutet, dass sie machtlos wäre: Niemand sonst vermag internationale Regeln und Standards zu setzen wie die EU, auch nicht die beiden Großmächte USA und China. Was Europaparlament und Mitgliedstaaten für den europäischen Binnenmarkt beschließen, prägt häufig die Geschäftspraktiken und Gesetze in anderen Teilen der Welt. Dieser “Brussels Effect”, so die US-Forscherin Anu Bradford, wirke von den Datenschutzregeln bis hin zu Chemikalienvorschriften für Spielsachen.
Kritik daran hat es in anderen Teilen der Welt immer wieder gegeben. Aber sie gewinnt inzwischen an Lautstärke. Insbesondere Europas Nachhaltigkeitsagenda werde von anderen “zunehmend laut und deutlich als grüner Protektionismus und extraterritoriale Regulierung kritisiert”, warnte kürzlich die Handelsgeneraldirektorin der EU-Kommission, Sabine Weyand. Von Gesprächspartnern in Asien, Afrika oder Lateinamerika bekomme sie häufig den Vorwurf des “regulatorischen Imperialismus” zu hören.

Der Stein des Anstoßes:
Hatte die EU den “Brussels Effect” zuvor vor allem den Marktkräften überlassen, greift sie mit ihrer Nachhaltigkeitsagenda tiefer ein in die Regulierungshoheit anderer Länder. Die laute Kritik daran, die den Europäern aus Brasilien, Indonesien oder Südafrika entgegenschallt, wurzelt aber auch im wachsenden Selbstbewusstsein der Staaten im Globalen Süden: Sie sind nicht mehr auf Europa angewiesen. In Südamerika etwa hat China die EU zuletzt als wichtigster Handelspartner abgelöst. Peking interessiert sich bekanntlich wenig für die Produktionsbedingungen vor Ort. Insofern ist die wachsende Kritik Ausdruck einer zunehmend multipolaren Welt.
Die Redaktion von Table.Media wird sich diesem Themenkomplex in den kommenden Wochen in einer Serie von Artikeln widmen. Wir berichten im Africa.Table über die Kritik dort an den neuen Standards, die den Akteuren vor Ort ungefragt auferlegt werden. Die Kollegen von Climate.Table analysieren, warum etwa China und Indien den CO₂-Grenzausgleich als grünen Protektionismus werten. China.Table wiederum zeichnet nach, wie Peking über seine neue Seidenstraße eigene Normen und Standards durchzusetzen versucht. Die veröffentlichten Artikel bündeln wir hier für Sie an einem Ort.
Die neuen Kräfteverhältnisse erlauben es den Ländern im Globalen Süden, stärker ihre Interessen durchzusetzen, um ihre wirtschaftliche Entwicklung voranzubringen. So hat Indonesien den Export von Nickel verboten und damit erreicht, dass reihenweise Fabriken zur Nickelverarbeitung entstanden und damit mehr Wertschöpfung im Land bleibt. Chile setzte im Freihandelsabkommen mit der EU eine Preisdifferenzierung durch: Wenn die Minen dort Lithium aus dem Boden holen, darf es für eine inländische Produktion zu niedrigeren Preisen verkauft werden, als wenn der Rohstoff exportiert wird.
Die Verantwortlichen in Berlin und Brüssel schlagen daher neue Töne an: Er wolle “klarmachen, dass wir ein fairer Partner sind”, sagt Kanzler Olaf Scholz. Er finde, dass das Abkommen mit Chile “sehr vorbildlich ist, weil es auch eigenständige Entwicklungsmöglichkeiten Chiles mit beinhaltet”.
Die Frage nach sozialen Standards im Welthandel ist so alt wie die moderne Globalisierung. Schon die Gründung der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) vor mehr als hundert Jahren erfolgte, weil die Industrieländer verhindern wollten, dass sich einige von ihnen über Sozialdumping unfaire Wettbewerbsvorteile verschaffen.
Bei der Gründung der WTO 1995 scheiterte die US-Regierung dann mit dem Vorhaben, soziale Mindeststandards im Welthandel zu verankern. Die Entwicklungsländer wollten nicht auf ihren Wettbewerbsvorteil niedriger Löhne verzichten und warfen den Industrieländern Protektionismus durch die Hintertür vor. Aber es kamen auch Vorstöße aus dem Globalen Süden zur Regulierung der internationalen Wirtschaft: Seit 2014 verhandelt eine Arbeitsgruppe des UN-Menschenrechtsausschusses über neue Regeln für transnational tätige Unternehmen. Der Anstoß kam von Ecuador und Südafrika.
Die Diskussion wird heute unter neuen Vorzeichen erneut geführt. So fordert Frankreichs Präsident Emmanuel Macron, die Landwirte in Südamerika müssten unter vergleichbaren Anforderungen etwa beim Pestizideinsatz produzieren wie die heimischen Bauern – sonst könne Paris dem Mercosur-Handelsabkommen nicht zustimmen. In der Berliner Ampel-Koalition knüpfen die Grünen ihre Zustimmung zu dem Abkommen daran, die dort verankerten Klimaschutz-Zusagen müssten notfalls über Sanktionen wie neue Zölle durchgesetzt werden können. Darauf aber würden sich die Regierungen von Brasilien und Co nicht einlassen, heißt es warnend in Kreisen der EU-Kommission.
Befürworter wie der grüne Bundestagsabgeordnete Maik Außendorf wenden ein, die Eliten in den Staaten des Globalen Südens verträten oft eigene Interessen – bei den Betroffenen vor Ort, etwa indigenen Völkern im Amazonasgebiet, seien die von Europa eingeforderten Standards sehr willkommen.
Bei lokalen Unternehmen aber wächst die Sorge: “Wir müssen aufpassen, die kleinen und mittelständischen Unternehmen nicht zu überlasten mit Anforderungen – sonst werden sie ausgeschlossen vom Handel”, sagt Maria Fernanda Garza, Präsidentin der Internationalen Handelskammer (ICC) und Chefin eines 80-Mitarbeiter-Betriebes aus Mexiko. Diese Firmen bräuchten finanzielle und organisatorische Hilfe, um die Vorgaben überhaupt umsetzen zu können.

Nachhaltigkeit braucht Transparenz, Konsequenz und Kontrolle. Vor allem, wenn es um einen kritischen Rohstoff wie Kakao geht, denn in der Branche gibt es immer noch viele ungelöste Probleme: Kinderarbeit, zu niedrige Löhne, Entwaldung und den Verlust der biologischen Vielfalt. Der Zusammenschluss von internationalen NGO, der alle zwei Jahre die kritische Untersuchung “Kakaobarometer” herausgibt, fordert deshalb einen “systemischen Wandel”.
Ritter Sport hat diesen von sich aus angestoßen. Das Unternehmen verändert sich, vom reinen Fabrikanten, der sämtliche Ressourcen bei externen Zulieferern einkauft, zum Hersteller, der wichtige Prozesse ins eigene Haus holt und Rohstoffe selbst produziert. Es ist das Prinzip der Rückintegration, bei der Energie etwa. Die Schokoladenfirma erzeugt Solarstrom fürs Zentrallager, hat eine Solarthermieanlage auf ihrem Gelände in Waldenbuch bei Stuttgart und wird bis zum Sommer in Bayern zwei eigene Windkraftanlagen in Betrieb nehmen. “Unser Ziel ist es, unsere Energie komplett selbst zu erzeugen”, sagt Asmus Wolff, Geschäftsführer Supply Chain.
Bei den Zutaten geht er ebenfalls neue Wege. Weil die Arbeitsbedingungen im Haselnussanbau im Hauptland Türkei in der Kritik stehen, baut Wolff in Südfrankreich eine eigene Farm auf; erste kleine Mengen will er in diesem Jahr ernten. Die größte Veränderung vollzieht Ritter Sport aber beim Kakao – seit dem Entschluss vor elf Jahren, in Nicaragua unter die Bauern zu gehen und eine Plantage zu bewirtschaften. Die dort gemachten Erfahrungen überträgt das Unternehmen jetzt. Ab 2025 will es jeden Sack Bohnen bis zum Ursprung zurückverfolgen können. Nicht nur in Nicaragua, sondern quer durch die gesamte Lieferkette.
Das ist keine leichte Aufgabe. 20.000 Tonnen Kakaomasse und Kakaobutter verarbeitet der Mittelständler jährlich. Der Kakao stammt – neben Nicaragua – aus Ghana, der Elfenbeinküste, Nigeria und Peru. Seit 2018 bezieht das Unternehmen für alle Produkte der Marken Ritter Sport und Amicelli – als erstes Sortiment eines großen Tafelherstellers überhaupt – zertifizierten Kakao; er stammt zu 90 Prozent aus dem Rainforest Alliance Cocoa Program und zu 10 Prozent von Fair-Trade-Farmen. Die Labels sind jedoch keine Garantie dafür, dass die Bauern ihre Grundbedürfnisse sichern können: “Rückverfolgbarkeit alleine garantiert kein existenzsicherndes Einkommen”, sagt Friedel Hütz-Adams von der Nichtregierungsorganisation Südwind.
Auch Ritter versteht die Zertifizierung nur als Mindestanforderung. “Wir gehen konsequent an den Ursprung”, sagt Asmus Wolff. Die 2.500 Hektar große Fläche in Nicaragua, eine der weltweit größten zusammenhängenden Kakaoplantagen, wird von 350 einheimischen Mitarbeitern im nachhaltigen Mischanbau mit Kakao- und Schattenpflanzen bewirtschaftet. Das Agroforstsystem schont die Böden und fördert die Biodiversität. Entwickelt wurde das Konzept mit der Universidad Nacional de Colombia.
Laut Wolff hat Ritter Sport dadurch viel Neues erfahren, etwa, was benötigt wird, um effizient und hochwertig zu produzieren. Die Menschen in den Anbauländern wüssten sehr viel über Kakao: “Wir lernen eine Menge auf unserer Plantage, bringen unser Wissen ein und erhalten durch die Symbiose rückstandsfreie Rohstoffe in bester Qualität.”
Das hat allerdings auch Zeit gebraucht. Erst zehn Jahre nach Eröffnung der Plantage konnten die Beschäftigten im vergangenen Jahr erstmals eine größere Ernte einfahren. “Es sind die ganz langen Linien, in denen wir als Familienunternehmen denken und handeln.” Ähnlich langfristig sind die Programme angelegt, über die Ritter Sport mit den Erzeugerorganisationen, meist Kooperativen, zusammenarbeitet.
Die meisten Unternehmen, vor allem die großen, kaufen Kakao über die Börsen und kennen ihre Produzenten gar nicht. Mit Direktverträgen hingegen garantieren Hersteller den Kakaobauern einen Zuschlag zum Weltmarktpreis sowie feste Abnahmemengen. Zwar sei die Höhe der Zuschläge sehr unterschiedlich, sagt Friedel Hütz-Adams von Südwind. Aber die Verträge geben den Bauern und Unternehmen Planungssicherheit.
Ritter Sport bezieht 85 Prozent seines Kakaos über Partnerverträge und verpflichtet sich darin zu weiteren Investitionen vor Ort. “Wir unterstützen die Bauern dabei, Communityprojekte zu entwickeln”, sagt Asmus Wolff. Das können Schulen, Brunnen oder Maßnahmen gegen Kinderarbeit sein. Über Mitarbeiter vor Ort, Partnerorganisationen und regelmäßige Besuche stelle man sicher, dass die Themen umgesetzt würden. Rund sieben Millionen Euro investiert Ritter jedes Jahr in Kakaoprogramme in Westafrika, Mittel- und Südamerika.
Bei der Entwicklung der Programme ließ sich der Hersteller durch das Sustainable Agriculture Network (SAN) unterstützen. Die Verbesserung der Lebensbedingungen der Kakaobauern für den Pilotmarkt Nicaragua bestätigte 2022 eine unabhängige Studie von Südwind: Die Landwirte konnten ihre Produktivität und damit ihre Einnahmen steigern. Gleichzeitig verbesserte sich die Qualität der Bohnen, was zu höheren Abnahmepreisen führte und neue Kundengruppen erschloss. Die von Ritter getätigten Investitionen in Trocknung und Fermentierung erschlossen den Kooperativen zusätzliche Märkte.
Auch bei der Weiterverarbeitung der Bohnen steigerten die Vorgaben des Herstellers die Qualität. Durch den von Ritter geförderten Anbau im Agroforstsystem konnten sich Kooperativen nach dem Standard UTZ/Rainforest Alliance oder den EU-Standards für Bio-Produkte zertifizieren. Die Abwanderung aus den betroffenen Gebieten nahm ab – und degenerierte Weideflächen wurden rekultiviert. “In Nicaragua hat Ritter Sport Pionierarbeit geleistet”, sagt Studienautor Hütz-Adams – und begrüßt den kürzlich erfolgten Rollout der Programme in Westafrika.


Herr Häusel, warum kaufen Menschen und warum kaufen sie zu viel?
Hinter jedem Kauf stehen Bedürfnisse, die aus unseren Emotionssystemen kommen. Dazu gehören Dominanz, Balance und Stimulanz – wir wollen etwa Status und Macht ausdrücken, Bindungen eingehen und uns überraschen lassen. Befriedigen wir unsere Emotionssysteme, erleben wir das als Belohnung. Tun wir es nicht, als Bestrafung. Die Tücke ist: Unser Belohnungssystem ist auf Dauer nie zufrieden. Wenn ich mich mit einem Kauf belohne, ist beim zweiten Mal das Glücksgefühl deutlich geringer. Will ich den gleichen Glückszustand, muss ich eine Schippe drauflegen. Deshalb werden die Autos immer größer, die Reisen immer exotischer. Dazu kommt der kulturelle Aspekt: Unsere Konsumgesellschaft lebt genau von diesem Mechanismus.
Sind Kaufentscheidungen nie rational?
Wir meinen zwar, den Steuerknüppel fest in der Hand zu haben, die Hirnforschung zeigt aber etwas völlig anderes. Bevor wir das Gefühl haben, dass der Steuerknüppel bewegt wurde, wurde er im Unbewussten längst eingestellt. Ein Beispiel: Sie laufen durch die Stadt, sehen eine tolle Jacke, überlegen rational, nehme ich die gelbe oder die grüne, haben sich aber die Frage “Woher kommt überhaupt mein Wunsch, die Jacke zu besitzen?” gar nicht gestellt. Geht es um Attraktivität, geht es um Status? Wir sind keine Marionetten, aber die Machtverhältnisse sind völlig andere, als wir glauben. Das hat die Hirnforschung dramatisch bestätigt.
Sie beraten Unternehmen zum sogenannten Neuromarketing und erklären ihnen, wie Werbe- und Markenbotschaften optimal unser Emotions- und Belohnungssystem ansprechen. Wie könnte der Prozess umgekehrt aussehen, beim Konsumverzicht?
Beim Verzicht landen wir in unserem Bestrafungssystem. Bekommen wir weniger, erlebt unser Gehirn das als Verlust. Verluste erleben wir doppelt so stark wie Gewinne. Auch dies hat die Hirnforschung weitreichend belegt. Mit Verzicht hat unser Gehirn deshalb erstmal ein Problem.
Lässt sich das kulturell – im Sinne eines nachhaltigen Konsums – umdeuten?
Hierfür sind dann mehrere Dinge entscheidend. Wenn ich für meinen Sprit schluckenden Sportwagen keine bewundernden Blicke mehr bekomme, muss ich mein Dominanzsystem anders stimulieren. Die soziale Belohnung bleibt aber wichtig. Deshalb brauchen wir einen neuen gesellschaftlichen Konsens, wie wir uns verhalten, sodass umweltgerechtes, soziales Verhalten belohnt wird. Ein weiterer Aspekt: Auch nachhaltige Produkte müssen so gestaltet sein, dass sie unser Belohnungssystem ansprechen. Und die Gesetzgebung muss die Industrie dazu zwingen, dass sie ressourcenschonende Produkte entwickelt.
Von alleine funktioniert es nicht?
Unser Gehirn ist tendenziell eher faul. Wenn es nicht denken muss, tut es das nicht. Um andere Verhaltensweisen aufzubauen, brauchen wir einen Anlass, einen Initialzwang. Gewohnheiten verändern sich aber auch durch bessere Alternativen. Deshalb ist es wichtig, dass nachhaltige Produkte genauso nützlich sind, sonst setzen sie sich nicht durch.
Passt ein “Weniger statt Mehr” überhaupt in die Zeit?
In den Zeitgeist des Kapitalismus, des Neoliberalismus, der auf Steigerung setzt, passt der Verzicht nicht. Freiheit wird in diesem Kontext vor allem als Freiheit zum Konsum interpretiert. Verzicht bedeutet dann einen Eingriff in unsere Freiheit. Deshalb ist es so schwierig in unserer Gesellschaft, von Verzicht zu sprechen. Besser wäre es zu sagen, wir müssen die Belohnungsstrukturen und die Technologien, mit denen wir Waren produzieren, verändern, um nachhaltiger zu werden.
Gibt es keine Möglichkeit, unser Emotionssystem auszutricksen?
Natürlich haben wir die Möglichkeit, durch Reflektion einzugreifen. Hierfür muss man aber die Mechanismen kennen und sie sich bewusst machen. Wie schwer ein Umlenken sein kann, sieht man allein daran, dass die Kaufsucht in den gleichen Hirnzentren verankert ist wie die Heroin- oder Alkoholsucht. Das heißt, es braucht Kontrollmechanismen. Bei vielen Menschen geschieht das, indem sie mehr Wünsche als Geld haben. Fällt diese Limitierung weg, werden aus einer Yacht eben zwei.
Sie sehen keine Verantwortung beim Verbraucher?
Wir müssen gemeinsam einen neuen Kontext schaffen: Gesetzgeber, Hersteller und Konsumenten. Wenn ich alleine verzichte, um mich herum aber alles auf Konsum eingestellt ist, fällt das wahnsinnig schwer. Wenn es ein allgemeines Bewusstsein gibt, einen bestimmten Zwang, eine bestimmte Regulatorik, füge ich mich ein. Auch Aufklärung tut unserem Gehirn gut. Die Frage nach dem Warum ist wichtig.
Kauft der aufgeklärte Mensch nachhaltig?
Aufklärung geht vom rationalen Menschen aus, der selbstbewusst und frei seine Entscheidung trifft. Das funktioniert aber nicht, wie wir durch die Hirnforschung wissen, sondern wir müssen auch unsere Emotionssysteme unter Kontrolle bekommen. Wir haben ein Fürsorgesystem in unserem Gehirn, die Nächstenliebe. Und wir haben so etwas wie eine “Fernsten”-Liebe: Wenn ich das Gefühl habe, ich tue etwas der Umwelt und Gemeinschaft zuliebe, wird mein Harmoniesystem angesprochen. Wenn ich jetzt noch die Resonanz der Gesellschaft erhalte, die sagt, du bist aber ein guter Kerl, ist auch mein Dominanzsystem aktiv. Dann steht mein Status nicht für Macht, sondern für sozial zuträgliches Verhalten. Viele wohlhabende Menschen engagieren sich aus diesem Grund für soziale Belange oder die Umwelt. Da geht es auch um moralische Überlegenheit.
Nachhaltige Produkte sind oft teurer. Wie kann das im Massenmarkt funktionieren?
Wer sehr wenig Geld hat, wird sich für das Billigste entscheiden, um wenigstens seine Grundbedürfnisse zu decken. Allerdings verändert sich der gesellschaftliche Konsens, auch Discounter verkaufen Bioprodukte. Dennoch braucht es zusätzlich Regelungen, die Anbieter dazu bringen, nach Lösungen zu suchen, wie sie nachhaltige Waren zu einigermaßen bezahlbaren Preisen anbieten können.
Wie sollten Firmen, die nachhaltigen Konsum fördern wollen, ihre Kunden ansprechen?
Das Grundprodukt darf keinen Verzicht beinhalten, die Grundfunktion muss mindestens gleich sein. Dann wird Nachhaltigkeit zu einer Belohnung und einem Marketingvorteil. Sobald es um Verzicht geht, stößt man in einer breiten Masse der Bevölkerung auf erheblichen Widerstand. Wenn Kunden für eine Hose dann mehr bezahlen sollen, muss man bedenken, dass Geld ausgeben auch mit Schmerz verbunden ist. Dieser Schmerz ist im gleichen Hirnareal wie der Zahnschmerz verortet. Es braucht also auch eine Kompensation, zum Beispiel ein besseres Tragegefühl, eine längere Haltbarkeit.
Wie kommen wir aus der Steigerungsfalle heraus?
Wir können nur etwas verändern, wenn wir uns vom Bild des aufgeklärten Menschen verabschieden und akzeptieren, dass nicht die Ratio, sondern die emotionalen Zentren in unserem Gehirn die eigentliche Macht haben. Diese “vernünftig” anzusprechen, das ist der Schlüssel.
        12.4.2023, 17:00-18:30, Berlin und online
        Diskussion        The State of Democracy in Africa: What Do Africans Think?        
Due to a recent wave of military coups and a new wave of resource-plundering democratic achievements in Africa are at risk according to many observers. How do African publics view the developments?            Info & Anmeldung                            
        15.-16.4.2023, Sapporo, Japan
        Internationale Politik        G7-Treffen der Minister für Klima, Energie und Umwelt            
        17.-21.4.2023, Hannover
        Messe        Industrial Transformation Starts Here – Hannover Messe        
Auf der diesjährigen Hannover Messe liegt der Fokus auf den Themen CO₂-neutrale Produktion, Energiemanagement, Industrie 4.0, KI und Maschinelles Lernen sowie Wasserstoff & Brennstoffzellen.            Info                            
        17.-22.4.2023, München
        Messe        BAU 2023 – Weltleitmesse für Architektur, Materialien, Systeme        
Zu den Leitthemen gehören der Klimawandel, die digitale Transformation sowie Circular Economy.            Info                            
        17.4.2023, ab 18:00 Uhr, Frankfurt am Main
        Diskussion        Direkt investieren mit Wirkung in Afrika: Chancen und Risiken im aktuellen Umfeld (Mimastitan und Weitere)        
Impact Investing in Afrika: Mit spannenden und positiven Beispielen will diese Veranstaltung aufzeigen, wo schon erfolgreiche Pfade eingeschlagen worden sind, wie diese weitergeführt werden könnten.            Info & Anmeldung                            
        19.4.2023, Berlin und online
        Konferenz        Digital Sustainability Summit (Bitkom e.V.)        
Der Summit bringt Expertinnen und Experten zusammen, um über Lösungen für Unternehmen und Politik zu sprechen, die Transformation zum digitaleren, nachhaltigeren Wirtschaften zu beschleunigen.            Info & Anmeldung                            
        19.4.2023, 16:00-17:30 Uhr
        Webinar        Produkt-als-Dienstleistung in der Praxis (NRW.Bank)        
Produkte-als-Dienstleistungen gewinnen im Zuge der klimaneutralen Transformation der Wirtschaft an Bedeutung. Welche Erfahrungen machen Unternehmen mit Produkt-Service-Systemen?            Info & Anmeldung                            
        19.4.2023, 17:00-20:00 Uhr
        Vortrag        Innovative Formate für die kommunale Starkregen- und Hitzevorsorge (Difu)        
In drei Pilotquartieren in Köln und Dortmund hat das Difu neue Formate für die kommunale Starkregen- und Hitzevorsorge entwickelt und erprobt. Auf der Veranstaltung werden die Ergebnisse diskutiert.            Info & Anmeldung                            
        20.-21.4.2023
        Webinar        Neue Aufgaben – alte Strukturen? Das Querschnittsthema Klima in der Verwaltung verankern        
Im Fokus stehen Erfahrungen rund um effektive und nachhaltige Ansätze in der Verwaltung, um einen verantwortungsvollen Umgang mit den Herausforderungen der Zukunft zu ermöglichen.            Info & Anmeldung                            
        21.-23.4.2023, Washington D.C., USA
        Internationale Politik        Frühjahrsmeeting von Weltbank und IWF            
Kurz vor der Veröffentlichung der endgültigen Fassung des ersten Sets an Standards für die unternehmerischen Berichtspflichten für Nachhaltigkeit verstärken sich die Konflikte um den Zeitplan. Es geht um eine spätere Verabschiedung der Standards für Umwelt, Soziales und Governance und einer Priorisierung der Standards fürs Klima.
Pascal Durand, der für die Renew Europe Fraktion im EU-Parlament Berichterstatter für die Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) war, sagt im Interview mit Table.Media, innerhalb der EU-Kommission würde momentan “ein Kampf um Einfluss” geführt, obwohl es “keine Zeit für Verschiebungen” gebe. “Einige Leute fordern die Kommission auf, bei den Standards langsamer vorzugehen”, sagt Durand und ergänzt: “Ein französischer Abgeordneter, dem sehr an der Klimafrage gelegen ist, schrieb einen Brief an die Kommission” – mit dem Vorschlag, erst mal nur die Standards fürs Klima anzugehen.
Im vergangenen Sommer hatten sich das Parlament, die Kommission und der Rat darauf geeinigt, dass durch die CSRD ab 2024 neue unternehmerische Berichtspflichten für Nachhaltigkeit gelten sollen. Nun wird es anscheinend immer schwieriger, den Zeitplan und den geplanten Gleichschritt der Standards für die vier Bereiche Klima, Umwelt, Soziales und Governance einzuhalten.
Genau das aber sei wichtig, so Durand: Es müsse darum gehen, einen delegierten Rechtsakt vorzulegen, der alle Themen betrifft. Die Parlamentarier stünden sonst vor einem Dilemma. Durand etwa fragt sich: “Lehne ich den delegierten Rechtsakt ab, weil die Sozial-, Umwelt- und Governance-Standards nicht dabei sind – obwohl ich weiß, dass die USA und China an ihren eigenen Klimastandards arbeiten und wir daher schnell unsere eigenen haben müssen?”
Mit Blick auf die USA und das International Sustainability Standard Board (ISSB), das im Auftrag der US-amerikanischen Stiftung IFRS internationale Standards für die Nachhaltigkeitsberichterstattung erarbeitet, sagt Durand, dass dieses keinen umfassenden Ansatz verfolge. Während bei der EU ein ausgewogenes Verhältnis und das Prinzip der doppelten Wesentlichkeit im Vordergrund stehe, “interessiert dieser Aspekt die angelsächsische, zumindest die amerikanische Normativität überhaupt nicht”. Bei der sogenannten doppelten Wesentlichkeit müssen Unternehmen nicht nur die für sie relevanten Risiken beachten, sondern auch solche, die vom Unternehmen etwa für eine Region ausgehen.
Durand zufolge würde das Parlament es akzeptieren, wenn die Anwendung bestimmter Standards verschoben werde. Daran, dass der delegierte Rechtsakt planmäßig im Juni für alle vier Bereiche Klima, Umwelt, Soziales und Governance kommt, will es allerdings festhalten. Table.Media-Redaktion
Das ganze Interview mit Pascal Durand lesen Sie bei den Kolleginnen und Kollegen im Europe.Table.
Die niederländische Aktivistengruppe Follow This hat zusammen mit 17 Investoren einen Gesellschafterbeschluss eingereicht, um den französischen Energiekonzern TotalEnergies zu mehr Klimaschutz zu drängen. Der Vorschlag soll auf der diesjährigen Hauptversammlung am 26. Mai zur Abstimmung kommen und, bei ausreichend Unterstützung, zu mehr Investitionen in Erneuerbare Energie führen. Die Gruppe hält zusammen etwa ein Prozent der Aktien des Konzerns.
Im Kern kritisiert sie, dass der Kurs des Unternehmens bislang nicht im Einklang mit den Vorgaben des Pariser Klimaabkommens ist. Zwar stiegen die jährlichen Investitionen in saubere Energien von mehr als vier auf mehr als fünf Milliarden US-Dollar. Das meiste Geld, zwischen 16 und 18 Milliarden US-Dollar, ist jedoch für Vorhaben vorgesehen, die etwa auf das Verbrennen von Erdöl und Gas setzen. “Das erste, was wir von Total erwarten, ist, dass das Unternehmen weniger in neue Öl- und Gasprojekte investiert”, sagte die Portfolio-Managerin Bertille Knuckey von der an der Resolution beteiligten Sycomore Asset Management der “Financial Times”. Follow This hatte bereits im vergangenen Jahr erfolglos versucht, TotalEnergies mit einer bindenden Resolution grüner zu machen; die neue würde den Vorstand nicht zum Handeln verpflichten.
Im Dezember hatte die NGO zusätzlich weitere Gesellschafterbeschlüsse eingereicht, bei den Unternehmen BP, Shell, ExxonMobil und Chevron. “Kein einziger dieser Großkonzerne hat bislang Pläne, seine absoluten Emissionen bis zum Jahr 2030 zu reduzieren. Das ist aber das, was Investoren wollen”, erklärte Follow-This-Gründer Mark von Baal damals. Seit 2015 bringt seine Initiative Aktionäre großer Energiefirmen zusammen, die mehr Nachhaltigkeit fordern. Marc Winkelmann
Der Bundesverband Carsharing e.V. (BCS) fordert von der Bundesregierung, die Branche bei der Elektrifizierung ihrer Flotten zu unterstützen. Schon heute nehme das Carsharing mit einem Anteil von 20,5 Prozent Elektroautos eine Vorreiterrolle ein, so der BCS. Zum Vergleich: Bei allen in Deutschland zugelassenen Pkw sind es nur 3,9 Prozent. Um die weitere Elektrifizierung nicht auszubremsen, müssten die Rahmenbedingungen verbessert werden, so der Verband.
Michael Ziesak, Referent für Verkehrspolitik beim BCS, verweist auf den Koalitionsvertrag, der eine Förderung des Carsharing vorsieht. “Die Carsharer haben den zuständigen Ministerien bereits mehrfach Vorschläge unterbreitet, wie eine Förderung insbesondere des E-Carsharing aussehen könnte”, betonte Ziesak. Man erwarte nun “Deutschland-Tempo” bei vier zentralen Maßnahmen:
Der Carsharing-Sektor ist stark gewachsen. Am 1. Januar 2023 waren laut BCS 4.472.800 Fahrberechtigte registriert. Das entspricht einem Zuwachs von 31,8 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Der Fahrzeugbestand stieg im gleichen Zeitraum um 12,4 Prozent auf 33.930 Fahrzeuge. Eine im Jahr 2022 vorgelegte Studie des Öko-Instituts im Auftrag des Umweltbundesamtes (UBA) hat ergeben, dass Carsharing jährlich bis zu 6,7 Millionen Tonnen Treibhausgase einsparen kann. ch
Das Umweltbundesamt hat das Rechtsgutachten umweltfreundliche öffentliche Beschaffung aktualisiert. In der neuen Fassung gehen die Autoren unter anderem auf die neue Allgemeine Verwaltungsvorschrift Klima (AVV Klima) ein. Diese verpflichtet Beschaffungsstellen des Bundes seit etwas mehr als einem Jahr, bei der Vergabe von öffentlichen Aufträgen, die Klimaschädlichkeit von Produkten und Dienstleistungen zu berücksichtigen.
Zudem enthält die Aktualisierung Informationen zu dem Saubere-Fahrzeuge-Beschaffungs-Gesetz, dem Maßnahmenprogramm Nachhaltigkeit in seiner Weiterentwicklung von 2021, die Änderung des § 13 des Klimaschutzgesetzes, sowie einen Exkurs zum Thema “Forderung von Mitgliedschaften in Vergabeverfahren“.
Das Gutachten soll Beschaffenden helfen, Umweltaspekte rechtssicher in Vergabeverfahren einbeziehen zu können. Nach einer Einführung zur Vorbereitung und Durchführung des Verfahrens sowie zum Vergaberecht geht es ausführlich um die Berücksichtigung von Umweltaspekten oberhalb und unterhalb der Schwellenwerte. nh
Einwegflaschen – eine Frage der Ökobilanz – SZ
Ist das Recyceln von PET-Flaschen ökologisch besser als Mehrweg? Eine Studie, aus der Uwe Ritzer zitiert, deutet darauf hin. Der Autor hinterfragt die Pläne von EU und Bundesregierung, den Mehrweganteil bei Getränken stark zu erhöhen, und er besucht die Schwarz Gruppe (Lidl, Kaufland), die im Jahr etwa 3,3 Milliarden Liter Getränke in PET-Flaschen verkauft. Zum Artikel
The Case for an environmentalism that builds – The Economist
Der Umbau der globalen Energieversorgung ist aufwendig und teuer, aber unerlässlich. Deutlich weniger fossile Quellen, viel mehr grüner Strom, schlankere Regeln und höhere Investitionen – darum geht es jetzt. Der Economist argumentiert deshalb, dass vor allem Wachstum zu mehr Klimaschutz beitragen kann. Mit den Idealen der Umweltbewegung allein gelingt das nicht. Zum Artikel
Welcome to a new era of petrodollar power – The Economist
Der Economist hat untersucht, wie die Golf-Staaten ihre Gewinne aus dem Verkauf von Öl investieren. Das Ergebnis: Weniger Geld als noch vor einigen Jahren fließe in den Westen zurück. Stattdessen wachse der Anteil, mit dem die Staaten politische Ziele im Inland fördern und im Ausland ihren Einfluss vergrößern zu versuchen, was das globale Finanzsystem undurchsichtiger mache. Zum Artikel
US-Elektrosubventionen spalten die Autowelt – Handelsblatt
In dem Beitrag von Felix Holtermann geht es um die Gewinner und Verlierer der E-Auto-Förderung im Rahmen des Inflation Reduction Act der USA. VW erwartet, dass der ID.4 sich für eine Gutschrift qualifiziert, die Autos von BMW und Mercedes-Benz werden wohl nicht förderfähig sein. Zum Artikel
Banken nehmen Lieferketten ihrer Kunden verstärkt unter die Lupe – Handelsblatt
Die Erfahrungen aus der Pandemie und geopolitische Spannungen wirkten sich zunehmend auf die Kreditpolitik von Banken aus. Sie drängten Kunden zu Diversifizierung ihrer Lieferketten. Yasmin Osman berichtet über eine neue Studie von EY, nach der 80 Prozent der befragten Banken Abhängigkeiten in den Lieferketten der Antragssteller bei Kreditentscheidung künftig mit berücksichtigen wollen. Zum Artikel
Profit für die Natur – Die Zeit
Carolin Wahnbaeck geht in ihrem Beitrag der Frage nach, ob die Outdoor-Marke Patagonia es ernst meint mit dem Umweltschutz. Ausgangspunkt ist der Vjosa in Albanien, den die albanische Regierung vor Kurzem zum ersten Wildfluss-Nationalpark Europas erklärt hat. Zum Artikel
BeschA-Präsident: It’s all about logistics – Behörden Spiegel
Im Interview erklärt Dr. Alexander Eisvogel, seit Anfang des Jahres Präsident des Beschaffungsamtes des BMI (BeschA), warum er sein Haus als Treiber der Digitalisierung sieht und was er vom Transformationsprozess des Vergaberechts erwartet. Zum Artikel
Auch Deutschland soll CO₂ unter die Nordsee verfrachten – Klimareporter
Bei der Verpressung von CO₂ unter dem Meeresboden gibt es durchaus Risiken. Diese seien laut Experten aber kontrollierbar, hat Sandra Kirchner herausgefunden. So fordere auch die “Deutsche Allianz Meeresforschung”, dass Deutschland CO₂ unter dem Meer speichert, um seine Klimaziele einzuhalten. Zum Artikel
Lieferketten: “Wenn Produktion zurückgeholt wird, dann selten nach Deutschland” – VDI Nachrichten
André Weikard hat Sebastian Wellmann zum Thema Lieferketten interviewt. Der Principal bei der Einkaufsberatung Inverto berichtet vom Bemühen vieler Unternehmen, ihre Lieferketten resilienter zu machen. Allerdings fühle sich nur jedes dritte Unternehmen gut aufgestellt, um die Anforderungen des neuen Lieferkettengesetzes zu erfüllen. Zum Artikel
Eat less meat, we need space for biofuels, German producer says – Euractiv
Jonathan Packroff berichtet von einer überraschenden Wortmeldung im anhaltenden Streit über Biokraftstoffe, die aus Pflanzen wie Raps und Weizen hergestellt werden. Deutschlands größter Biokraftstoffproduzent argumentiert, dass eine Verringerung des Fleischkonsums ein viel besserer Weg wäre, um landwirtschaftliche Flächen für die Nahrungsmittelproduktion freizugeben, als die schrittweise Abschaffung von Biokraftstoffen auf Pflanzenbasis. Zum Artikel
Rewilding animals could be key for climate: Report – Mongabay
Liz Kimbrough berichtet über einen in Nature Climate Change veröffentlichten Bericht, demzufolge der Schutz und die Wiederansiedlung von nur neun Tierarten dazu beitragen könnte, das 1,5-Grad-Ziel zu erreichen. Tiere spielten eine wichtige Rolle beim natürlichen Klimaschutz, weil ihre Präsenz beeinflusst, wie viel Kohlenstoff Pflanzen, Böden und Sedimente binden können. Zum Artikel

Beim Umweltschutz denken viele Menschen zuerst an saubere Flüsse, blühende Wiesen und Naturschutzgebiete. Beim Klimaschutz hat man Windparks, E-Autos und Wärmepumpen im Kopf. Zweifellos sind erneuerbare Energien und Naturschutz zentrale Bausteine, um unser Land klimaneutral zu machen und die natürlichen Lebensgrundlagen zu bewahren. Ein anderer Baustein wird dabei aber – noch – häufig vergessen: die vielen Dinge, die jeden Tag hergestellt, verkauft und verbraucht werden.
Überall dort, wo etwas produziert wird, seien es Turnschuhe, Handys oder Einfamilienhäuser, werden wertvolle Ressourcen verbraucht. Und zwar jedes Jahr mehr. Zwischen 1970 und 2017 hat sich weltweit der Verbrauch natürlicher Ressourcen verdreifacht. Ohne geeignete Maßnahmen würde er sich bis 2060 noch einmal verdoppeln.
Rohstoffe für Güter müssen abgebaut, aus dem Boden gepumpt sowie in vielen Fällen aufwändig vom Gestein getrennt oder mit Chemikalien aufbereitet werden. Sie müssen transportiert, weiterverarbeitet und verpackt werden – alles mit hohem Energieeinsatz und CO₂-Ausstoß und teils massiven Belastungen für Böden, Gewässer, Flora und Fauna. Nach Berechnungen des Weltressourcenrats IRP sind mindestens die Hälfte aller Treibhausgasemissionen und etwa 90 Prozent des Biodiversitätsverlustes und der globalen Wasserprobleme auf die Gewinnung und Verarbeitung von Ressourcen zurückzuführen.
Wenn wir unsere Wirtschaft klimaneutral und naturverträglich machen wollen, ist die Ressourcenschonung der schlafende Riese. Ihn gilt es zu wecken.
Ziel muss es sein, deutlich weniger Primärrohstoffe zu verbrauchen – also Rohstoffe, die neu in den Wirtschaftskreislauf gelangen – und Stoffkreisläufe zu schließen. Das hat die Bundesregierung im Koalitionsvertrag vereinbart. Die Natur macht es uns vor, sie ist ein einziger Kreislauf: In einem Wald fallen Blätter auf den Boden. Insekten, Pilze und Mikroorganismen zersetzen sie und bilden so wertvollen Humus, der wieder Bäume und Pflanzen ernährt.
Die Natur sollte uns ein Vorbild sein. Rohstoffe, die bereits im Kreislauf sind, müssen als Sekundärrohstoffe ein zweites, drittes und viertes Leben bekommen. Das geht weit über Recycling hinaus. Produkte müssen von Anfang an so gestaltet werden, dass sie langlebig sind, leicht zu reparieren und zu zerlegen, und ihre Bestandteile verwertbar. Erst dann schließt sich der Kreis zur Kreislaufwirtschaft, die die Ressourcenverschwendung beendet. In Zeiten knapper und teurer Rohstoffe sichern wir damit auch die Widerstands- und Wettbewerbsfähigkeit unserer Wirtschaft.
Als Umweltministerin setze ich mich dafür ein, bei der Lösung der globalen Umweltkrisen noch stärker auf Ressourcenschutz zu setzen.
Dazu möchte ich unter anderem das anstehende Treffen der G7-Umweltministerinnen und -minister am 15. und 16. April in Japan nutzen. Die großen Industrienationen sind auch die großen Ressourcenverbraucher und stehen damit besonders in der Verantwortung. Im letzten Jahr, unter deutscher Präsidentschaft, haben die G7-Staaten den Zusammenhang zwischen Ressourcenverbrauch und der globalen Dreifachkrise von Biodiversitätsverlust, Klimakrise und Umweltverschmutzung anerkannt. In der Berlin Roadmap haben wir uns auf einen Arbeitsplan für einen schonenderen Umgang mit Ressourcen verständigt.
Darauf aufbauend wollen wir in Japan Grundsätze für Unternehmen verabschieden. Sie sollen Unternehmen darin unterstützen, Ressourcen einzusparen und den Grundsatz der Kreislaufwirtschaft in ihrer Firmenpolitik zu verwirklichen – denn die Unternehmen sind es, die zum Beispiel durch nachhaltige Lieferketten oder langlebiges Produktdesign ganz praktisch etwas gegen Ressourcenverschwendung tun können.
Ressourcenschonung und Kreislaufwirtschaft möchte ich überall dort verankern, wo es um die Bewältigung der großen Umweltkrisen geht: bei den Klimakonferenzen, bei den Weltnaturkonferenzen, bei der Umsetzung der Agenda 2030. Deutschland hat zum Beispiel auf der letzten UN-Klimakonferenz eine Zusammenarbeit zwischen dem Weltklimarat IPCC und dem Weltressourcenrat IRP angestoßen. Diesen Weg werden wir konsequent weitergehen.
Für Deutschland erarbeitet das Bundesumweltministerium derzeit eine Nationale Kreislaufwirtschaftsstrategie. Die Strategie schafft einen neuen Rahmen dafür, dass Rohstoffe sparsam genutzt und durch recycelte Materialien ersetzt werden. Einzelheiten werden wir ab April in intensivem Austausch mit den anderen Ressorts und Fachleuten aus Wirtschaft, Wissenschaft und Zivilgesellschaft diskutieren und entwickeln.
Zur Bekämpfung von Klimakrise, Artenaussterben und Umweltverschmutzung sollten wir alle Hebel nutzen. Der Ressourcenverbrauch ist mit all diesen Krisen untrennbar verknüpft. Ressourcenschonung und Kreislaufwirtschaft sind deshalb ein unverzichtbarer Teil ihrer Lösung.

Christian Hiß ist in der nachhaltigen Landwirtschaft aufgewachsen: Sein Vater hatte seinen Hof bereits 1950 umgestellt, seine Heimat, Eichstetten in der Nähe von Freiburg, gilt als Wiege des Ökolandbaus. Mit 21 Jahren gründete Hiß seinen ersten Betrieb. Fast drei Jahrzehnte lang führte er einen Öko-Gemüsebaubetrieb mit Viehhaltung, züchtete eigene Gemüsesorten und vermehrte Saatgut. Eine bereichernde Arbeit, wie er erzählt, und damals einzigartig unter Gemüsebauern.
Dabei blieb er aber nicht, sondern fing an, grundsätzliche Fragen zu stellen. Was muss passieren, damit mein Betrieb lange profitabel bleibt – und die Landwirtschaft insgesamt nachhaltiger wird? Die These, dass Verbraucher für gute Produkte einfach mehr zahlen müssten, damit so letztlich alle Betriebe auf Öko umsteigen können, bezweifelte er. Für ihn war die Frage nach der Gerechtigkeit entscheidend: Welche Arbeit erhält und fördert die Natur und hat deshalb einen Wert? Und welche nicht?
“Ich habe davon profitiert, dass es Konsumenten gab, die hohe Preise für meine ökologische Arbeit bezahlt haben”, sagt Hiß. “Aber ich fand das auch ungerecht, weil nur wenige für den Schutz der Ökosysteme für alle bezahlen.” Seine Schlussfolgerung: Die betriebliche Erfolgsrechnung müsse in Hinblick auf Nachhaltigkeit dringend überarbeitet werden. Positive Maßnahmen eines Betriebes, sagt er, wie zum Beispiel zur Bodenfruchtbarkeit oder Biodiversität, werden durch die herkömmliche finanzielle Erfolgsrechnung entwertet. Dabei haben sie einen Wert, der bezahlt werden müsse.
Diese Neubewertung von betriebswirtschaftlichem Erfolg ist das Herzensthema des heute 62-Jährigen. Er gründete in Freiburg die erste Regionalwert AG und schrieb das Buch zum Thema: “Richtig rechnen! Durch die Reform der Finanzbuchhaltung zur ökologisch-ökonomischen Wende”. Neben der Arbeit studierte Hiß Social Banking and Social Finance. “Ich wollte nicht nur Gärtner sein und bestimmte Thesen vertreten, sondern diese Gesichtspunkte auch wissenschaftlich belegen können.”
Die erste Regionalwert AG entstand 2006, heute gibt es bundesweit acht weitere Bürgeraktiengesellschaften, wie sich das Netzwerk selbst nennt. Die Idee: Bürger können Anteilseigner ihrer jeweiligen Regionalwert AG werden und fördern so ausgewählte Höfe in ihrer Umgebung. 15 Millionen Euro Grundkapital sind laut eigenen Angaben bereits zusammengekommen, es gibt 5.000 Aktionäre und 200 Partnerbetriebe.
Bis Herbst 2022 stand der Sozialunternehmer an der Spitze seiner Freiburger AG, inzwischen hat er die Leitung abgegeben. Er führt jetzt eine Ausgründung, die Regionalwert Leistungen GmbH, die er vor eineinhalb Jahren ins Leben gerufen hat. Jeder landwirtschaftliche Betrieb kann so mithilfe einer Software seine Leistungen fürs Gemeinwohl dokumentieren – auch konventionelle Betriebe. Das betont Hiß immer wieder: Es gehe ihm nicht nur um den Ökolandbau. Besonders kleine Betriebe hätten stark unter der Inflation gelitten und dürften nicht vergessen werden. Die Analyse umfasst rund 300 Indikatoren, die helfen, schwer greifbare Aspekte wie Wasser- und Erosionsschutz, Arbeitsplatzqualität, Inklusion und Fruchtfolge zu erfassen und zu monetarisieren.
“Mein Wunsch ist, dass in ein paar Jahren alle landwirtschaftlichen Betriebe in Deutschland diese Möglichkeit nutzen. Und ich wünsche mir, dass öffentliches Geld in die Betriebe fließt für Leistungen für das Gemeinwohl. Die Politik muss einen Transformationsfonds schaffen, wenn die Landwirtschaft nachhaltiger werden soll.”
Hiß spricht voller Begeisterung über seine Arbeit in der Wirtschaft. Doch auch die Arbeit auf seinem Öko-Hof hat er immer geliebt, sagt er. Was er daran heute noch vermisst, ist die Arbeit mit den Pflanzen. Die Auslesezüchtung, die Saatgutvermehrung. “Mein Sohn hat eine kleine Saatgutfirma gegründet. Da helfe ich jetzt ab und zu mit.” Kristina Kobl
Klima- und Umweltschutz sind globale Aufgaben. Nur wenn alle an einem Strang ziehen, kann das 21. Jahrhundert ein nachhaltiges werden. Bei der Frage, wie das gelingt, gibt es aber unterschiedliche Ansichten – und Europas Standards werden im Globalen Süden immer häufiger kritisiert. Der Vorwurf: regulatorischer Imperialismus. Ist er berechtigt? In einer neuen Serie gehen wir dieser Frage nach. Den Auftakt liefern Caspar Dohmen und Till Hoppe.
Auf Dialog setzen, das will Ritter Sport. Der Schokoladenhersteller hat vor elf Jahren begonnen, eine eigene Plantage zu bewirtschaften – und lernt daraus, wie man externe Prozesse internalisiert, um einen größeren Unterschied machen zu können. Annette Mühlberger hat sich das angesehen.
Verzichten Sie? Auf Flüge oder Fleisch? Falls nicht – Hans-Georg Häusel weiß, warum das so selten klappt. In Annette Mühlbergers Interview erläutert der Psychologe, warum unser Gehirn mit dem bösen V-Wort Probleme hat und wie nachhaltiger Konsum vermarktet werden sollte.
Und: Der Standpunkt kommt diese Woche von Steffi Lemke. Die Bundesumweltministerin erklärt, dass sie beim G7-Umweltministertreffen am Wochenende Grundsätze für besseren Ressourcenschutz und eine Kreislaufwirtschaft verabschieden will.
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Harte Machtinstrumente, militärische etwa, hat die Europäische Union nur wenige zur Hand. Was nicht bedeutet, dass sie machtlos wäre: Niemand sonst vermag internationale Regeln und Standards zu setzen wie die EU, auch nicht die beiden Großmächte USA und China. Was Europaparlament und Mitgliedstaaten für den europäischen Binnenmarkt beschließen, prägt häufig die Geschäftspraktiken und Gesetze in anderen Teilen der Welt. Dieser “Brussels Effect”, so die US-Forscherin Anu Bradford, wirke von den Datenschutzregeln bis hin zu Chemikalienvorschriften für Spielsachen.
Kritik daran hat es in anderen Teilen der Welt immer wieder gegeben. Aber sie gewinnt inzwischen an Lautstärke. Insbesondere Europas Nachhaltigkeitsagenda werde von anderen “zunehmend laut und deutlich als grüner Protektionismus und extraterritoriale Regulierung kritisiert”, warnte kürzlich die Handelsgeneraldirektorin der EU-Kommission, Sabine Weyand. Von Gesprächspartnern in Asien, Afrika oder Lateinamerika bekomme sie häufig den Vorwurf des “regulatorischen Imperialismus” zu hören.

Der Stein des Anstoßes:
Hatte die EU den “Brussels Effect” zuvor vor allem den Marktkräften überlassen, greift sie mit ihrer Nachhaltigkeitsagenda tiefer ein in die Regulierungshoheit anderer Länder. Die laute Kritik daran, die den Europäern aus Brasilien, Indonesien oder Südafrika entgegenschallt, wurzelt aber auch im wachsenden Selbstbewusstsein der Staaten im Globalen Süden: Sie sind nicht mehr auf Europa angewiesen. In Südamerika etwa hat China die EU zuletzt als wichtigster Handelspartner abgelöst. Peking interessiert sich bekanntlich wenig für die Produktionsbedingungen vor Ort. Insofern ist die wachsende Kritik Ausdruck einer zunehmend multipolaren Welt.
Die Redaktion von Table.Media wird sich diesem Themenkomplex in den kommenden Wochen in einer Serie von Artikeln widmen. Wir berichten im Africa.Table über die Kritik dort an den neuen Standards, die den Akteuren vor Ort ungefragt auferlegt werden. Die Kollegen von Climate.Table analysieren, warum etwa China und Indien den CO₂-Grenzausgleich als grünen Protektionismus werten. China.Table wiederum zeichnet nach, wie Peking über seine neue Seidenstraße eigene Normen und Standards durchzusetzen versucht. Die veröffentlichten Artikel bündeln wir hier für Sie an einem Ort.
Die neuen Kräfteverhältnisse erlauben es den Ländern im Globalen Süden, stärker ihre Interessen durchzusetzen, um ihre wirtschaftliche Entwicklung voranzubringen. So hat Indonesien den Export von Nickel verboten und damit erreicht, dass reihenweise Fabriken zur Nickelverarbeitung entstanden und damit mehr Wertschöpfung im Land bleibt. Chile setzte im Freihandelsabkommen mit der EU eine Preisdifferenzierung durch: Wenn die Minen dort Lithium aus dem Boden holen, darf es für eine inländische Produktion zu niedrigeren Preisen verkauft werden, als wenn der Rohstoff exportiert wird.
Die Verantwortlichen in Berlin und Brüssel schlagen daher neue Töne an: Er wolle “klarmachen, dass wir ein fairer Partner sind”, sagt Kanzler Olaf Scholz. Er finde, dass das Abkommen mit Chile “sehr vorbildlich ist, weil es auch eigenständige Entwicklungsmöglichkeiten Chiles mit beinhaltet”.
Die Frage nach sozialen Standards im Welthandel ist so alt wie die moderne Globalisierung. Schon die Gründung der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) vor mehr als hundert Jahren erfolgte, weil die Industrieländer verhindern wollten, dass sich einige von ihnen über Sozialdumping unfaire Wettbewerbsvorteile verschaffen.
Bei der Gründung der WTO 1995 scheiterte die US-Regierung dann mit dem Vorhaben, soziale Mindeststandards im Welthandel zu verankern. Die Entwicklungsländer wollten nicht auf ihren Wettbewerbsvorteil niedriger Löhne verzichten und warfen den Industrieländern Protektionismus durch die Hintertür vor. Aber es kamen auch Vorstöße aus dem Globalen Süden zur Regulierung der internationalen Wirtschaft: Seit 2014 verhandelt eine Arbeitsgruppe des UN-Menschenrechtsausschusses über neue Regeln für transnational tätige Unternehmen. Der Anstoß kam von Ecuador und Südafrika.
Die Diskussion wird heute unter neuen Vorzeichen erneut geführt. So fordert Frankreichs Präsident Emmanuel Macron, die Landwirte in Südamerika müssten unter vergleichbaren Anforderungen etwa beim Pestizideinsatz produzieren wie die heimischen Bauern – sonst könne Paris dem Mercosur-Handelsabkommen nicht zustimmen. In der Berliner Ampel-Koalition knüpfen die Grünen ihre Zustimmung zu dem Abkommen daran, die dort verankerten Klimaschutz-Zusagen müssten notfalls über Sanktionen wie neue Zölle durchgesetzt werden können. Darauf aber würden sich die Regierungen von Brasilien und Co nicht einlassen, heißt es warnend in Kreisen der EU-Kommission.
Befürworter wie der grüne Bundestagsabgeordnete Maik Außendorf wenden ein, die Eliten in den Staaten des Globalen Südens verträten oft eigene Interessen – bei den Betroffenen vor Ort, etwa indigenen Völkern im Amazonasgebiet, seien die von Europa eingeforderten Standards sehr willkommen.
Bei lokalen Unternehmen aber wächst die Sorge: “Wir müssen aufpassen, die kleinen und mittelständischen Unternehmen nicht zu überlasten mit Anforderungen – sonst werden sie ausgeschlossen vom Handel”, sagt Maria Fernanda Garza, Präsidentin der Internationalen Handelskammer (ICC) und Chefin eines 80-Mitarbeiter-Betriebes aus Mexiko. Diese Firmen bräuchten finanzielle und organisatorische Hilfe, um die Vorgaben überhaupt umsetzen zu können.

Nachhaltigkeit braucht Transparenz, Konsequenz und Kontrolle. Vor allem, wenn es um einen kritischen Rohstoff wie Kakao geht, denn in der Branche gibt es immer noch viele ungelöste Probleme: Kinderarbeit, zu niedrige Löhne, Entwaldung und den Verlust der biologischen Vielfalt. Der Zusammenschluss von internationalen NGO, der alle zwei Jahre die kritische Untersuchung “Kakaobarometer” herausgibt, fordert deshalb einen “systemischen Wandel”.
Ritter Sport hat diesen von sich aus angestoßen. Das Unternehmen verändert sich, vom reinen Fabrikanten, der sämtliche Ressourcen bei externen Zulieferern einkauft, zum Hersteller, der wichtige Prozesse ins eigene Haus holt und Rohstoffe selbst produziert. Es ist das Prinzip der Rückintegration, bei der Energie etwa. Die Schokoladenfirma erzeugt Solarstrom fürs Zentrallager, hat eine Solarthermieanlage auf ihrem Gelände in Waldenbuch bei Stuttgart und wird bis zum Sommer in Bayern zwei eigene Windkraftanlagen in Betrieb nehmen. “Unser Ziel ist es, unsere Energie komplett selbst zu erzeugen”, sagt Asmus Wolff, Geschäftsführer Supply Chain.
Bei den Zutaten geht er ebenfalls neue Wege. Weil die Arbeitsbedingungen im Haselnussanbau im Hauptland Türkei in der Kritik stehen, baut Wolff in Südfrankreich eine eigene Farm auf; erste kleine Mengen will er in diesem Jahr ernten. Die größte Veränderung vollzieht Ritter Sport aber beim Kakao – seit dem Entschluss vor elf Jahren, in Nicaragua unter die Bauern zu gehen und eine Plantage zu bewirtschaften. Die dort gemachten Erfahrungen überträgt das Unternehmen jetzt. Ab 2025 will es jeden Sack Bohnen bis zum Ursprung zurückverfolgen können. Nicht nur in Nicaragua, sondern quer durch die gesamte Lieferkette.
Das ist keine leichte Aufgabe. 20.000 Tonnen Kakaomasse und Kakaobutter verarbeitet der Mittelständler jährlich. Der Kakao stammt – neben Nicaragua – aus Ghana, der Elfenbeinküste, Nigeria und Peru. Seit 2018 bezieht das Unternehmen für alle Produkte der Marken Ritter Sport und Amicelli – als erstes Sortiment eines großen Tafelherstellers überhaupt – zertifizierten Kakao; er stammt zu 90 Prozent aus dem Rainforest Alliance Cocoa Program und zu 10 Prozent von Fair-Trade-Farmen. Die Labels sind jedoch keine Garantie dafür, dass die Bauern ihre Grundbedürfnisse sichern können: “Rückverfolgbarkeit alleine garantiert kein existenzsicherndes Einkommen”, sagt Friedel Hütz-Adams von der Nichtregierungsorganisation Südwind.
Auch Ritter versteht die Zertifizierung nur als Mindestanforderung. “Wir gehen konsequent an den Ursprung”, sagt Asmus Wolff. Die 2.500 Hektar große Fläche in Nicaragua, eine der weltweit größten zusammenhängenden Kakaoplantagen, wird von 350 einheimischen Mitarbeitern im nachhaltigen Mischanbau mit Kakao- und Schattenpflanzen bewirtschaftet. Das Agroforstsystem schont die Böden und fördert die Biodiversität. Entwickelt wurde das Konzept mit der Universidad Nacional de Colombia.
Laut Wolff hat Ritter Sport dadurch viel Neues erfahren, etwa, was benötigt wird, um effizient und hochwertig zu produzieren. Die Menschen in den Anbauländern wüssten sehr viel über Kakao: “Wir lernen eine Menge auf unserer Plantage, bringen unser Wissen ein und erhalten durch die Symbiose rückstandsfreie Rohstoffe in bester Qualität.”
Das hat allerdings auch Zeit gebraucht. Erst zehn Jahre nach Eröffnung der Plantage konnten die Beschäftigten im vergangenen Jahr erstmals eine größere Ernte einfahren. “Es sind die ganz langen Linien, in denen wir als Familienunternehmen denken und handeln.” Ähnlich langfristig sind die Programme angelegt, über die Ritter Sport mit den Erzeugerorganisationen, meist Kooperativen, zusammenarbeitet.
Die meisten Unternehmen, vor allem die großen, kaufen Kakao über die Börsen und kennen ihre Produzenten gar nicht. Mit Direktverträgen hingegen garantieren Hersteller den Kakaobauern einen Zuschlag zum Weltmarktpreis sowie feste Abnahmemengen. Zwar sei die Höhe der Zuschläge sehr unterschiedlich, sagt Friedel Hütz-Adams von Südwind. Aber die Verträge geben den Bauern und Unternehmen Planungssicherheit.
Ritter Sport bezieht 85 Prozent seines Kakaos über Partnerverträge und verpflichtet sich darin zu weiteren Investitionen vor Ort. “Wir unterstützen die Bauern dabei, Communityprojekte zu entwickeln”, sagt Asmus Wolff. Das können Schulen, Brunnen oder Maßnahmen gegen Kinderarbeit sein. Über Mitarbeiter vor Ort, Partnerorganisationen und regelmäßige Besuche stelle man sicher, dass die Themen umgesetzt würden. Rund sieben Millionen Euro investiert Ritter jedes Jahr in Kakaoprogramme in Westafrika, Mittel- und Südamerika.
Bei der Entwicklung der Programme ließ sich der Hersteller durch das Sustainable Agriculture Network (SAN) unterstützen. Die Verbesserung der Lebensbedingungen der Kakaobauern für den Pilotmarkt Nicaragua bestätigte 2022 eine unabhängige Studie von Südwind: Die Landwirte konnten ihre Produktivität und damit ihre Einnahmen steigern. Gleichzeitig verbesserte sich die Qualität der Bohnen, was zu höheren Abnahmepreisen führte und neue Kundengruppen erschloss. Die von Ritter getätigten Investitionen in Trocknung und Fermentierung erschlossen den Kooperativen zusätzliche Märkte.
Auch bei der Weiterverarbeitung der Bohnen steigerten die Vorgaben des Herstellers die Qualität. Durch den von Ritter geförderten Anbau im Agroforstsystem konnten sich Kooperativen nach dem Standard UTZ/Rainforest Alliance oder den EU-Standards für Bio-Produkte zertifizieren. Die Abwanderung aus den betroffenen Gebieten nahm ab – und degenerierte Weideflächen wurden rekultiviert. “In Nicaragua hat Ritter Sport Pionierarbeit geleistet”, sagt Studienautor Hütz-Adams – und begrüßt den kürzlich erfolgten Rollout der Programme in Westafrika.


Herr Häusel, warum kaufen Menschen und warum kaufen sie zu viel?
Hinter jedem Kauf stehen Bedürfnisse, die aus unseren Emotionssystemen kommen. Dazu gehören Dominanz, Balance und Stimulanz – wir wollen etwa Status und Macht ausdrücken, Bindungen eingehen und uns überraschen lassen. Befriedigen wir unsere Emotionssysteme, erleben wir das als Belohnung. Tun wir es nicht, als Bestrafung. Die Tücke ist: Unser Belohnungssystem ist auf Dauer nie zufrieden. Wenn ich mich mit einem Kauf belohne, ist beim zweiten Mal das Glücksgefühl deutlich geringer. Will ich den gleichen Glückszustand, muss ich eine Schippe drauflegen. Deshalb werden die Autos immer größer, die Reisen immer exotischer. Dazu kommt der kulturelle Aspekt: Unsere Konsumgesellschaft lebt genau von diesem Mechanismus.
Sind Kaufentscheidungen nie rational?
Wir meinen zwar, den Steuerknüppel fest in der Hand zu haben, die Hirnforschung zeigt aber etwas völlig anderes. Bevor wir das Gefühl haben, dass der Steuerknüppel bewegt wurde, wurde er im Unbewussten längst eingestellt. Ein Beispiel: Sie laufen durch die Stadt, sehen eine tolle Jacke, überlegen rational, nehme ich die gelbe oder die grüne, haben sich aber die Frage “Woher kommt überhaupt mein Wunsch, die Jacke zu besitzen?” gar nicht gestellt. Geht es um Attraktivität, geht es um Status? Wir sind keine Marionetten, aber die Machtverhältnisse sind völlig andere, als wir glauben. Das hat die Hirnforschung dramatisch bestätigt.
Sie beraten Unternehmen zum sogenannten Neuromarketing und erklären ihnen, wie Werbe- und Markenbotschaften optimal unser Emotions- und Belohnungssystem ansprechen. Wie könnte der Prozess umgekehrt aussehen, beim Konsumverzicht?
Beim Verzicht landen wir in unserem Bestrafungssystem. Bekommen wir weniger, erlebt unser Gehirn das als Verlust. Verluste erleben wir doppelt so stark wie Gewinne. Auch dies hat die Hirnforschung weitreichend belegt. Mit Verzicht hat unser Gehirn deshalb erstmal ein Problem.
Lässt sich das kulturell – im Sinne eines nachhaltigen Konsums – umdeuten?
Hierfür sind dann mehrere Dinge entscheidend. Wenn ich für meinen Sprit schluckenden Sportwagen keine bewundernden Blicke mehr bekomme, muss ich mein Dominanzsystem anders stimulieren. Die soziale Belohnung bleibt aber wichtig. Deshalb brauchen wir einen neuen gesellschaftlichen Konsens, wie wir uns verhalten, sodass umweltgerechtes, soziales Verhalten belohnt wird. Ein weiterer Aspekt: Auch nachhaltige Produkte müssen so gestaltet sein, dass sie unser Belohnungssystem ansprechen. Und die Gesetzgebung muss die Industrie dazu zwingen, dass sie ressourcenschonende Produkte entwickelt.
Von alleine funktioniert es nicht?
Unser Gehirn ist tendenziell eher faul. Wenn es nicht denken muss, tut es das nicht. Um andere Verhaltensweisen aufzubauen, brauchen wir einen Anlass, einen Initialzwang. Gewohnheiten verändern sich aber auch durch bessere Alternativen. Deshalb ist es wichtig, dass nachhaltige Produkte genauso nützlich sind, sonst setzen sie sich nicht durch.
Passt ein “Weniger statt Mehr” überhaupt in die Zeit?
In den Zeitgeist des Kapitalismus, des Neoliberalismus, der auf Steigerung setzt, passt der Verzicht nicht. Freiheit wird in diesem Kontext vor allem als Freiheit zum Konsum interpretiert. Verzicht bedeutet dann einen Eingriff in unsere Freiheit. Deshalb ist es so schwierig in unserer Gesellschaft, von Verzicht zu sprechen. Besser wäre es zu sagen, wir müssen die Belohnungsstrukturen und die Technologien, mit denen wir Waren produzieren, verändern, um nachhaltiger zu werden.
Gibt es keine Möglichkeit, unser Emotionssystem auszutricksen?
Natürlich haben wir die Möglichkeit, durch Reflektion einzugreifen. Hierfür muss man aber die Mechanismen kennen und sie sich bewusst machen. Wie schwer ein Umlenken sein kann, sieht man allein daran, dass die Kaufsucht in den gleichen Hirnzentren verankert ist wie die Heroin- oder Alkoholsucht. Das heißt, es braucht Kontrollmechanismen. Bei vielen Menschen geschieht das, indem sie mehr Wünsche als Geld haben. Fällt diese Limitierung weg, werden aus einer Yacht eben zwei.
Sie sehen keine Verantwortung beim Verbraucher?
Wir müssen gemeinsam einen neuen Kontext schaffen: Gesetzgeber, Hersteller und Konsumenten. Wenn ich alleine verzichte, um mich herum aber alles auf Konsum eingestellt ist, fällt das wahnsinnig schwer. Wenn es ein allgemeines Bewusstsein gibt, einen bestimmten Zwang, eine bestimmte Regulatorik, füge ich mich ein. Auch Aufklärung tut unserem Gehirn gut. Die Frage nach dem Warum ist wichtig.
Kauft der aufgeklärte Mensch nachhaltig?
Aufklärung geht vom rationalen Menschen aus, der selbstbewusst und frei seine Entscheidung trifft. Das funktioniert aber nicht, wie wir durch die Hirnforschung wissen, sondern wir müssen auch unsere Emotionssysteme unter Kontrolle bekommen. Wir haben ein Fürsorgesystem in unserem Gehirn, die Nächstenliebe. Und wir haben so etwas wie eine “Fernsten”-Liebe: Wenn ich das Gefühl habe, ich tue etwas der Umwelt und Gemeinschaft zuliebe, wird mein Harmoniesystem angesprochen. Wenn ich jetzt noch die Resonanz der Gesellschaft erhalte, die sagt, du bist aber ein guter Kerl, ist auch mein Dominanzsystem aktiv. Dann steht mein Status nicht für Macht, sondern für sozial zuträgliches Verhalten. Viele wohlhabende Menschen engagieren sich aus diesem Grund für soziale Belange oder die Umwelt. Da geht es auch um moralische Überlegenheit.
Nachhaltige Produkte sind oft teurer. Wie kann das im Massenmarkt funktionieren?
Wer sehr wenig Geld hat, wird sich für das Billigste entscheiden, um wenigstens seine Grundbedürfnisse zu decken. Allerdings verändert sich der gesellschaftliche Konsens, auch Discounter verkaufen Bioprodukte. Dennoch braucht es zusätzlich Regelungen, die Anbieter dazu bringen, nach Lösungen zu suchen, wie sie nachhaltige Waren zu einigermaßen bezahlbaren Preisen anbieten können.
Wie sollten Firmen, die nachhaltigen Konsum fördern wollen, ihre Kunden ansprechen?
Das Grundprodukt darf keinen Verzicht beinhalten, die Grundfunktion muss mindestens gleich sein. Dann wird Nachhaltigkeit zu einer Belohnung und einem Marketingvorteil. Sobald es um Verzicht geht, stößt man in einer breiten Masse der Bevölkerung auf erheblichen Widerstand. Wenn Kunden für eine Hose dann mehr bezahlen sollen, muss man bedenken, dass Geld ausgeben auch mit Schmerz verbunden ist. Dieser Schmerz ist im gleichen Hirnareal wie der Zahnschmerz verortet. Es braucht also auch eine Kompensation, zum Beispiel ein besseres Tragegefühl, eine längere Haltbarkeit.
Wie kommen wir aus der Steigerungsfalle heraus?
Wir können nur etwas verändern, wenn wir uns vom Bild des aufgeklärten Menschen verabschieden und akzeptieren, dass nicht die Ratio, sondern die emotionalen Zentren in unserem Gehirn die eigentliche Macht haben. Diese “vernünftig” anzusprechen, das ist der Schlüssel.
        12.4.2023, 17:00-18:30, Berlin und online
        Diskussion        The State of Democracy in Africa: What Do Africans Think?        
Due to a recent wave of military coups and a new wave of resource-plundering democratic achievements in Africa are at risk according to many observers. How do African publics view the developments?            Info & Anmeldung                            
        15.-16.4.2023, Sapporo, Japan
        Internationale Politik        G7-Treffen der Minister für Klima, Energie und Umwelt            
        17.-21.4.2023, Hannover
        Messe        Industrial Transformation Starts Here – Hannover Messe        
Auf der diesjährigen Hannover Messe liegt der Fokus auf den Themen CO₂-neutrale Produktion, Energiemanagement, Industrie 4.0, KI und Maschinelles Lernen sowie Wasserstoff & Brennstoffzellen.            Info                            
        17.-22.4.2023, München
        Messe        BAU 2023 – Weltleitmesse für Architektur, Materialien, Systeme        
Zu den Leitthemen gehören der Klimawandel, die digitale Transformation sowie Circular Economy.            Info                            
        17.4.2023, ab 18:00 Uhr, Frankfurt am Main
        Diskussion        Direkt investieren mit Wirkung in Afrika: Chancen und Risiken im aktuellen Umfeld (Mimastitan und Weitere)        
Impact Investing in Afrika: Mit spannenden und positiven Beispielen will diese Veranstaltung aufzeigen, wo schon erfolgreiche Pfade eingeschlagen worden sind, wie diese weitergeführt werden könnten.            Info & Anmeldung                            
        19.4.2023, Berlin und online
        Konferenz        Digital Sustainability Summit (Bitkom e.V.)        
Der Summit bringt Expertinnen und Experten zusammen, um über Lösungen für Unternehmen und Politik zu sprechen, die Transformation zum digitaleren, nachhaltigeren Wirtschaften zu beschleunigen.            Info & Anmeldung                            
        19.4.2023, 16:00-17:30 Uhr
        Webinar        Produkt-als-Dienstleistung in der Praxis (NRW.Bank)        
Produkte-als-Dienstleistungen gewinnen im Zuge der klimaneutralen Transformation der Wirtschaft an Bedeutung. Welche Erfahrungen machen Unternehmen mit Produkt-Service-Systemen?            Info & Anmeldung                            
        19.4.2023, 17:00-20:00 Uhr
        Vortrag        Innovative Formate für die kommunale Starkregen- und Hitzevorsorge (Difu)        
In drei Pilotquartieren in Köln und Dortmund hat das Difu neue Formate für die kommunale Starkregen- und Hitzevorsorge entwickelt und erprobt. Auf der Veranstaltung werden die Ergebnisse diskutiert.            Info & Anmeldung                            
        20.-21.4.2023
        Webinar        Neue Aufgaben – alte Strukturen? Das Querschnittsthema Klima in der Verwaltung verankern        
Im Fokus stehen Erfahrungen rund um effektive und nachhaltige Ansätze in der Verwaltung, um einen verantwortungsvollen Umgang mit den Herausforderungen der Zukunft zu ermöglichen.            Info & Anmeldung                            
        21.-23.4.2023, Washington D.C., USA
        Internationale Politik        Frühjahrsmeeting von Weltbank und IWF            
Kurz vor der Veröffentlichung der endgültigen Fassung des ersten Sets an Standards für die unternehmerischen Berichtspflichten für Nachhaltigkeit verstärken sich die Konflikte um den Zeitplan. Es geht um eine spätere Verabschiedung der Standards für Umwelt, Soziales und Governance und einer Priorisierung der Standards fürs Klima.
Pascal Durand, der für die Renew Europe Fraktion im EU-Parlament Berichterstatter für die Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) war, sagt im Interview mit Table.Media, innerhalb der EU-Kommission würde momentan “ein Kampf um Einfluss” geführt, obwohl es “keine Zeit für Verschiebungen” gebe. “Einige Leute fordern die Kommission auf, bei den Standards langsamer vorzugehen”, sagt Durand und ergänzt: “Ein französischer Abgeordneter, dem sehr an der Klimafrage gelegen ist, schrieb einen Brief an die Kommission” – mit dem Vorschlag, erst mal nur die Standards fürs Klima anzugehen.
Im vergangenen Sommer hatten sich das Parlament, die Kommission und der Rat darauf geeinigt, dass durch die CSRD ab 2024 neue unternehmerische Berichtspflichten für Nachhaltigkeit gelten sollen. Nun wird es anscheinend immer schwieriger, den Zeitplan und den geplanten Gleichschritt der Standards für die vier Bereiche Klima, Umwelt, Soziales und Governance einzuhalten.
Genau das aber sei wichtig, so Durand: Es müsse darum gehen, einen delegierten Rechtsakt vorzulegen, der alle Themen betrifft. Die Parlamentarier stünden sonst vor einem Dilemma. Durand etwa fragt sich: “Lehne ich den delegierten Rechtsakt ab, weil die Sozial-, Umwelt- und Governance-Standards nicht dabei sind – obwohl ich weiß, dass die USA und China an ihren eigenen Klimastandards arbeiten und wir daher schnell unsere eigenen haben müssen?”
Mit Blick auf die USA und das International Sustainability Standard Board (ISSB), das im Auftrag der US-amerikanischen Stiftung IFRS internationale Standards für die Nachhaltigkeitsberichterstattung erarbeitet, sagt Durand, dass dieses keinen umfassenden Ansatz verfolge. Während bei der EU ein ausgewogenes Verhältnis und das Prinzip der doppelten Wesentlichkeit im Vordergrund stehe, “interessiert dieser Aspekt die angelsächsische, zumindest die amerikanische Normativität überhaupt nicht”. Bei der sogenannten doppelten Wesentlichkeit müssen Unternehmen nicht nur die für sie relevanten Risiken beachten, sondern auch solche, die vom Unternehmen etwa für eine Region ausgehen.
Durand zufolge würde das Parlament es akzeptieren, wenn die Anwendung bestimmter Standards verschoben werde. Daran, dass der delegierte Rechtsakt planmäßig im Juni für alle vier Bereiche Klima, Umwelt, Soziales und Governance kommt, will es allerdings festhalten. Table.Media-Redaktion
Das ganze Interview mit Pascal Durand lesen Sie bei den Kolleginnen und Kollegen im Europe.Table.
Die niederländische Aktivistengruppe Follow This hat zusammen mit 17 Investoren einen Gesellschafterbeschluss eingereicht, um den französischen Energiekonzern TotalEnergies zu mehr Klimaschutz zu drängen. Der Vorschlag soll auf der diesjährigen Hauptversammlung am 26. Mai zur Abstimmung kommen und, bei ausreichend Unterstützung, zu mehr Investitionen in Erneuerbare Energie führen. Die Gruppe hält zusammen etwa ein Prozent der Aktien des Konzerns.
Im Kern kritisiert sie, dass der Kurs des Unternehmens bislang nicht im Einklang mit den Vorgaben des Pariser Klimaabkommens ist. Zwar stiegen die jährlichen Investitionen in saubere Energien von mehr als vier auf mehr als fünf Milliarden US-Dollar. Das meiste Geld, zwischen 16 und 18 Milliarden US-Dollar, ist jedoch für Vorhaben vorgesehen, die etwa auf das Verbrennen von Erdöl und Gas setzen. “Das erste, was wir von Total erwarten, ist, dass das Unternehmen weniger in neue Öl- und Gasprojekte investiert”, sagte die Portfolio-Managerin Bertille Knuckey von der an der Resolution beteiligten Sycomore Asset Management der “Financial Times”. Follow This hatte bereits im vergangenen Jahr erfolglos versucht, TotalEnergies mit einer bindenden Resolution grüner zu machen; die neue würde den Vorstand nicht zum Handeln verpflichten.
Im Dezember hatte die NGO zusätzlich weitere Gesellschafterbeschlüsse eingereicht, bei den Unternehmen BP, Shell, ExxonMobil und Chevron. “Kein einziger dieser Großkonzerne hat bislang Pläne, seine absoluten Emissionen bis zum Jahr 2030 zu reduzieren. Das ist aber das, was Investoren wollen”, erklärte Follow-This-Gründer Mark von Baal damals. Seit 2015 bringt seine Initiative Aktionäre großer Energiefirmen zusammen, die mehr Nachhaltigkeit fordern. Marc Winkelmann
Der Bundesverband Carsharing e.V. (BCS) fordert von der Bundesregierung, die Branche bei der Elektrifizierung ihrer Flotten zu unterstützen. Schon heute nehme das Carsharing mit einem Anteil von 20,5 Prozent Elektroautos eine Vorreiterrolle ein, so der BCS. Zum Vergleich: Bei allen in Deutschland zugelassenen Pkw sind es nur 3,9 Prozent. Um die weitere Elektrifizierung nicht auszubremsen, müssten die Rahmenbedingungen verbessert werden, so der Verband.
Michael Ziesak, Referent für Verkehrspolitik beim BCS, verweist auf den Koalitionsvertrag, der eine Förderung des Carsharing vorsieht. “Die Carsharer haben den zuständigen Ministerien bereits mehrfach Vorschläge unterbreitet, wie eine Förderung insbesondere des E-Carsharing aussehen könnte”, betonte Ziesak. Man erwarte nun “Deutschland-Tempo” bei vier zentralen Maßnahmen:
Der Carsharing-Sektor ist stark gewachsen. Am 1. Januar 2023 waren laut BCS 4.472.800 Fahrberechtigte registriert. Das entspricht einem Zuwachs von 31,8 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Der Fahrzeugbestand stieg im gleichen Zeitraum um 12,4 Prozent auf 33.930 Fahrzeuge. Eine im Jahr 2022 vorgelegte Studie des Öko-Instituts im Auftrag des Umweltbundesamtes (UBA) hat ergeben, dass Carsharing jährlich bis zu 6,7 Millionen Tonnen Treibhausgase einsparen kann. ch
Das Umweltbundesamt hat das Rechtsgutachten umweltfreundliche öffentliche Beschaffung aktualisiert. In der neuen Fassung gehen die Autoren unter anderem auf die neue Allgemeine Verwaltungsvorschrift Klima (AVV Klima) ein. Diese verpflichtet Beschaffungsstellen des Bundes seit etwas mehr als einem Jahr, bei der Vergabe von öffentlichen Aufträgen, die Klimaschädlichkeit von Produkten und Dienstleistungen zu berücksichtigen.
Zudem enthält die Aktualisierung Informationen zu dem Saubere-Fahrzeuge-Beschaffungs-Gesetz, dem Maßnahmenprogramm Nachhaltigkeit in seiner Weiterentwicklung von 2021, die Änderung des § 13 des Klimaschutzgesetzes, sowie einen Exkurs zum Thema “Forderung von Mitgliedschaften in Vergabeverfahren“.
Das Gutachten soll Beschaffenden helfen, Umweltaspekte rechtssicher in Vergabeverfahren einbeziehen zu können. Nach einer Einführung zur Vorbereitung und Durchführung des Verfahrens sowie zum Vergaberecht geht es ausführlich um die Berücksichtigung von Umweltaspekten oberhalb und unterhalb der Schwellenwerte. nh
Einwegflaschen – eine Frage der Ökobilanz – SZ
Ist das Recyceln von PET-Flaschen ökologisch besser als Mehrweg? Eine Studie, aus der Uwe Ritzer zitiert, deutet darauf hin. Der Autor hinterfragt die Pläne von EU und Bundesregierung, den Mehrweganteil bei Getränken stark zu erhöhen, und er besucht die Schwarz Gruppe (Lidl, Kaufland), die im Jahr etwa 3,3 Milliarden Liter Getränke in PET-Flaschen verkauft. Zum Artikel
The Case for an environmentalism that builds – The Economist
Der Umbau der globalen Energieversorgung ist aufwendig und teuer, aber unerlässlich. Deutlich weniger fossile Quellen, viel mehr grüner Strom, schlankere Regeln und höhere Investitionen – darum geht es jetzt. Der Economist argumentiert deshalb, dass vor allem Wachstum zu mehr Klimaschutz beitragen kann. Mit den Idealen der Umweltbewegung allein gelingt das nicht. Zum Artikel
Welcome to a new era of petrodollar power – The Economist
Der Economist hat untersucht, wie die Golf-Staaten ihre Gewinne aus dem Verkauf von Öl investieren. Das Ergebnis: Weniger Geld als noch vor einigen Jahren fließe in den Westen zurück. Stattdessen wachse der Anteil, mit dem die Staaten politische Ziele im Inland fördern und im Ausland ihren Einfluss vergrößern zu versuchen, was das globale Finanzsystem undurchsichtiger mache. Zum Artikel
US-Elektrosubventionen spalten die Autowelt – Handelsblatt
In dem Beitrag von Felix Holtermann geht es um die Gewinner und Verlierer der E-Auto-Förderung im Rahmen des Inflation Reduction Act der USA. VW erwartet, dass der ID.4 sich für eine Gutschrift qualifiziert, die Autos von BMW und Mercedes-Benz werden wohl nicht förderfähig sein. Zum Artikel
Banken nehmen Lieferketten ihrer Kunden verstärkt unter die Lupe – Handelsblatt
Die Erfahrungen aus der Pandemie und geopolitische Spannungen wirkten sich zunehmend auf die Kreditpolitik von Banken aus. Sie drängten Kunden zu Diversifizierung ihrer Lieferketten. Yasmin Osman berichtet über eine neue Studie von EY, nach der 80 Prozent der befragten Banken Abhängigkeiten in den Lieferketten der Antragssteller bei Kreditentscheidung künftig mit berücksichtigen wollen. Zum Artikel
Profit für die Natur – Die Zeit
Carolin Wahnbaeck geht in ihrem Beitrag der Frage nach, ob die Outdoor-Marke Patagonia es ernst meint mit dem Umweltschutz. Ausgangspunkt ist der Vjosa in Albanien, den die albanische Regierung vor Kurzem zum ersten Wildfluss-Nationalpark Europas erklärt hat. Zum Artikel
BeschA-Präsident: It’s all about logistics – Behörden Spiegel
Im Interview erklärt Dr. Alexander Eisvogel, seit Anfang des Jahres Präsident des Beschaffungsamtes des BMI (BeschA), warum er sein Haus als Treiber der Digitalisierung sieht und was er vom Transformationsprozess des Vergaberechts erwartet. Zum Artikel
Auch Deutschland soll CO₂ unter die Nordsee verfrachten – Klimareporter
Bei der Verpressung von CO₂ unter dem Meeresboden gibt es durchaus Risiken. Diese seien laut Experten aber kontrollierbar, hat Sandra Kirchner herausgefunden. So fordere auch die “Deutsche Allianz Meeresforschung”, dass Deutschland CO₂ unter dem Meer speichert, um seine Klimaziele einzuhalten. Zum Artikel
Lieferketten: “Wenn Produktion zurückgeholt wird, dann selten nach Deutschland” – VDI Nachrichten
André Weikard hat Sebastian Wellmann zum Thema Lieferketten interviewt. Der Principal bei der Einkaufsberatung Inverto berichtet vom Bemühen vieler Unternehmen, ihre Lieferketten resilienter zu machen. Allerdings fühle sich nur jedes dritte Unternehmen gut aufgestellt, um die Anforderungen des neuen Lieferkettengesetzes zu erfüllen. Zum Artikel
Eat less meat, we need space for biofuels, German producer says – Euractiv
Jonathan Packroff berichtet von einer überraschenden Wortmeldung im anhaltenden Streit über Biokraftstoffe, die aus Pflanzen wie Raps und Weizen hergestellt werden. Deutschlands größter Biokraftstoffproduzent argumentiert, dass eine Verringerung des Fleischkonsums ein viel besserer Weg wäre, um landwirtschaftliche Flächen für die Nahrungsmittelproduktion freizugeben, als die schrittweise Abschaffung von Biokraftstoffen auf Pflanzenbasis. Zum Artikel
Rewilding animals could be key for climate: Report – Mongabay
Liz Kimbrough berichtet über einen in Nature Climate Change veröffentlichten Bericht, demzufolge der Schutz und die Wiederansiedlung von nur neun Tierarten dazu beitragen könnte, das 1,5-Grad-Ziel zu erreichen. Tiere spielten eine wichtige Rolle beim natürlichen Klimaschutz, weil ihre Präsenz beeinflusst, wie viel Kohlenstoff Pflanzen, Böden und Sedimente binden können. Zum Artikel

Beim Umweltschutz denken viele Menschen zuerst an saubere Flüsse, blühende Wiesen und Naturschutzgebiete. Beim Klimaschutz hat man Windparks, E-Autos und Wärmepumpen im Kopf. Zweifellos sind erneuerbare Energien und Naturschutz zentrale Bausteine, um unser Land klimaneutral zu machen und die natürlichen Lebensgrundlagen zu bewahren. Ein anderer Baustein wird dabei aber – noch – häufig vergessen: die vielen Dinge, die jeden Tag hergestellt, verkauft und verbraucht werden.
Überall dort, wo etwas produziert wird, seien es Turnschuhe, Handys oder Einfamilienhäuser, werden wertvolle Ressourcen verbraucht. Und zwar jedes Jahr mehr. Zwischen 1970 und 2017 hat sich weltweit der Verbrauch natürlicher Ressourcen verdreifacht. Ohne geeignete Maßnahmen würde er sich bis 2060 noch einmal verdoppeln.
Rohstoffe für Güter müssen abgebaut, aus dem Boden gepumpt sowie in vielen Fällen aufwändig vom Gestein getrennt oder mit Chemikalien aufbereitet werden. Sie müssen transportiert, weiterverarbeitet und verpackt werden – alles mit hohem Energieeinsatz und CO₂-Ausstoß und teils massiven Belastungen für Böden, Gewässer, Flora und Fauna. Nach Berechnungen des Weltressourcenrats IRP sind mindestens die Hälfte aller Treibhausgasemissionen und etwa 90 Prozent des Biodiversitätsverlustes und der globalen Wasserprobleme auf die Gewinnung und Verarbeitung von Ressourcen zurückzuführen.
Wenn wir unsere Wirtschaft klimaneutral und naturverträglich machen wollen, ist die Ressourcenschonung der schlafende Riese. Ihn gilt es zu wecken.
Ziel muss es sein, deutlich weniger Primärrohstoffe zu verbrauchen – also Rohstoffe, die neu in den Wirtschaftskreislauf gelangen – und Stoffkreisläufe zu schließen. Das hat die Bundesregierung im Koalitionsvertrag vereinbart. Die Natur macht es uns vor, sie ist ein einziger Kreislauf: In einem Wald fallen Blätter auf den Boden. Insekten, Pilze und Mikroorganismen zersetzen sie und bilden so wertvollen Humus, der wieder Bäume und Pflanzen ernährt.
Die Natur sollte uns ein Vorbild sein. Rohstoffe, die bereits im Kreislauf sind, müssen als Sekundärrohstoffe ein zweites, drittes und viertes Leben bekommen. Das geht weit über Recycling hinaus. Produkte müssen von Anfang an so gestaltet werden, dass sie langlebig sind, leicht zu reparieren und zu zerlegen, und ihre Bestandteile verwertbar. Erst dann schließt sich der Kreis zur Kreislaufwirtschaft, die die Ressourcenverschwendung beendet. In Zeiten knapper und teurer Rohstoffe sichern wir damit auch die Widerstands- und Wettbewerbsfähigkeit unserer Wirtschaft.
Als Umweltministerin setze ich mich dafür ein, bei der Lösung der globalen Umweltkrisen noch stärker auf Ressourcenschutz zu setzen.
Dazu möchte ich unter anderem das anstehende Treffen der G7-Umweltministerinnen und -minister am 15. und 16. April in Japan nutzen. Die großen Industrienationen sind auch die großen Ressourcenverbraucher und stehen damit besonders in der Verantwortung. Im letzten Jahr, unter deutscher Präsidentschaft, haben die G7-Staaten den Zusammenhang zwischen Ressourcenverbrauch und der globalen Dreifachkrise von Biodiversitätsverlust, Klimakrise und Umweltverschmutzung anerkannt. In der Berlin Roadmap haben wir uns auf einen Arbeitsplan für einen schonenderen Umgang mit Ressourcen verständigt.
Darauf aufbauend wollen wir in Japan Grundsätze für Unternehmen verabschieden. Sie sollen Unternehmen darin unterstützen, Ressourcen einzusparen und den Grundsatz der Kreislaufwirtschaft in ihrer Firmenpolitik zu verwirklichen – denn die Unternehmen sind es, die zum Beispiel durch nachhaltige Lieferketten oder langlebiges Produktdesign ganz praktisch etwas gegen Ressourcenverschwendung tun können.
Ressourcenschonung und Kreislaufwirtschaft möchte ich überall dort verankern, wo es um die Bewältigung der großen Umweltkrisen geht: bei den Klimakonferenzen, bei den Weltnaturkonferenzen, bei der Umsetzung der Agenda 2030. Deutschland hat zum Beispiel auf der letzten UN-Klimakonferenz eine Zusammenarbeit zwischen dem Weltklimarat IPCC und dem Weltressourcenrat IRP angestoßen. Diesen Weg werden wir konsequent weitergehen.
Für Deutschland erarbeitet das Bundesumweltministerium derzeit eine Nationale Kreislaufwirtschaftsstrategie. Die Strategie schafft einen neuen Rahmen dafür, dass Rohstoffe sparsam genutzt und durch recycelte Materialien ersetzt werden. Einzelheiten werden wir ab April in intensivem Austausch mit den anderen Ressorts und Fachleuten aus Wirtschaft, Wissenschaft und Zivilgesellschaft diskutieren und entwickeln.
Zur Bekämpfung von Klimakrise, Artenaussterben und Umweltverschmutzung sollten wir alle Hebel nutzen. Der Ressourcenverbrauch ist mit all diesen Krisen untrennbar verknüpft. Ressourcenschonung und Kreislaufwirtschaft sind deshalb ein unverzichtbarer Teil ihrer Lösung.

Christian Hiß ist in der nachhaltigen Landwirtschaft aufgewachsen: Sein Vater hatte seinen Hof bereits 1950 umgestellt, seine Heimat, Eichstetten in der Nähe von Freiburg, gilt als Wiege des Ökolandbaus. Mit 21 Jahren gründete Hiß seinen ersten Betrieb. Fast drei Jahrzehnte lang führte er einen Öko-Gemüsebaubetrieb mit Viehhaltung, züchtete eigene Gemüsesorten und vermehrte Saatgut. Eine bereichernde Arbeit, wie er erzählt, und damals einzigartig unter Gemüsebauern.
Dabei blieb er aber nicht, sondern fing an, grundsätzliche Fragen zu stellen. Was muss passieren, damit mein Betrieb lange profitabel bleibt – und die Landwirtschaft insgesamt nachhaltiger wird? Die These, dass Verbraucher für gute Produkte einfach mehr zahlen müssten, damit so letztlich alle Betriebe auf Öko umsteigen können, bezweifelte er. Für ihn war die Frage nach der Gerechtigkeit entscheidend: Welche Arbeit erhält und fördert die Natur und hat deshalb einen Wert? Und welche nicht?
“Ich habe davon profitiert, dass es Konsumenten gab, die hohe Preise für meine ökologische Arbeit bezahlt haben”, sagt Hiß. “Aber ich fand das auch ungerecht, weil nur wenige für den Schutz der Ökosysteme für alle bezahlen.” Seine Schlussfolgerung: Die betriebliche Erfolgsrechnung müsse in Hinblick auf Nachhaltigkeit dringend überarbeitet werden. Positive Maßnahmen eines Betriebes, sagt er, wie zum Beispiel zur Bodenfruchtbarkeit oder Biodiversität, werden durch die herkömmliche finanzielle Erfolgsrechnung entwertet. Dabei haben sie einen Wert, der bezahlt werden müsse.
Diese Neubewertung von betriebswirtschaftlichem Erfolg ist das Herzensthema des heute 62-Jährigen. Er gründete in Freiburg die erste Regionalwert AG und schrieb das Buch zum Thema: “Richtig rechnen! Durch die Reform der Finanzbuchhaltung zur ökologisch-ökonomischen Wende”. Neben der Arbeit studierte Hiß Social Banking and Social Finance. “Ich wollte nicht nur Gärtner sein und bestimmte Thesen vertreten, sondern diese Gesichtspunkte auch wissenschaftlich belegen können.”
Die erste Regionalwert AG entstand 2006, heute gibt es bundesweit acht weitere Bürgeraktiengesellschaften, wie sich das Netzwerk selbst nennt. Die Idee: Bürger können Anteilseigner ihrer jeweiligen Regionalwert AG werden und fördern so ausgewählte Höfe in ihrer Umgebung. 15 Millionen Euro Grundkapital sind laut eigenen Angaben bereits zusammengekommen, es gibt 5.000 Aktionäre und 200 Partnerbetriebe.
Bis Herbst 2022 stand der Sozialunternehmer an der Spitze seiner Freiburger AG, inzwischen hat er die Leitung abgegeben. Er führt jetzt eine Ausgründung, die Regionalwert Leistungen GmbH, die er vor eineinhalb Jahren ins Leben gerufen hat. Jeder landwirtschaftliche Betrieb kann so mithilfe einer Software seine Leistungen fürs Gemeinwohl dokumentieren – auch konventionelle Betriebe. Das betont Hiß immer wieder: Es gehe ihm nicht nur um den Ökolandbau. Besonders kleine Betriebe hätten stark unter der Inflation gelitten und dürften nicht vergessen werden. Die Analyse umfasst rund 300 Indikatoren, die helfen, schwer greifbare Aspekte wie Wasser- und Erosionsschutz, Arbeitsplatzqualität, Inklusion und Fruchtfolge zu erfassen und zu monetarisieren.
“Mein Wunsch ist, dass in ein paar Jahren alle landwirtschaftlichen Betriebe in Deutschland diese Möglichkeit nutzen. Und ich wünsche mir, dass öffentliches Geld in die Betriebe fließt für Leistungen für das Gemeinwohl. Die Politik muss einen Transformationsfonds schaffen, wenn die Landwirtschaft nachhaltiger werden soll.”
Hiß spricht voller Begeisterung über seine Arbeit in der Wirtschaft. Doch auch die Arbeit auf seinem Öko-Hof hat er immer geliebt, sagt er. Was er daran heute noch vermisst, ist die Arbeit mit den Pflanzen. Die Auslesezüchtung, die Saatgutvermehrung. “Mein Sohn hat eine kleine Saatgutfirma gegründet. Da helfe ich jetzt ab und zu mit.” Kristina Kobl