Analyse | Artenschutz
Erscheinungsdatum: 09. Oktober 2025

Biodiversität: Wie sich der neue Zertifikatemarkt entwickelt

Jaguar im Amazonas-Gebiet: Ein Indikator dafür, dass die Natur intakt ist. (picture alliance / Zoonar | Gianluca Scalera)

Biodiversitätszertifikate erleben einen Hype – Unternehmen können jetzt die ersten Credits kaufen. Das soll mehr Geld für den Naturschutz mobilisieren. Welche Herausforderungen und Chancen es gibt.

Seit Anfang September kann man online die ersten, unabhängigen Biodiversitätszertifikate handeln. Sie stammen von dem Non-Profit-Unternehmen Savimbo und wurden vom Zertifizierer Cercabono geprüft.  

Das ist ein wichtiger Schritt für die Etablierung eines freiwilligen Markts für Biodiversitätszertifikate („Biodiversity Credit“). Seitdem auf der Weltnaturkonferenz COP15 im Jahr 2022 in der Abschlusserklärung von der Notwendigkeit von „innovativen Mechanismen“ zur weltweiten Finanzierung des Naturschutzes gesprochen wurde, sind Biodiversitätszertifikate zunehmend relevanter geworden. Auch in der EU. Sie hat eine Roadmap für „Nature Credits“ vorgelegt.  

Die Idee: Es soll ein Markt für die Leistungen der Natur entwickelt werden, analog zum Kohlenstoffmarkt. „Es gibt aktuell einen wachsenden Hype um Biodiversitätszertifikate“, sagt Simas Gradeckas. Er ist Gründer der Plattform Bloomlabs, die den Biodiversitätsmarkt analysiert.  

Viele Akteure sehen Credits als einen neuen Weg, mehr privates Geld für Naturschutz zu mobilisieren. Bei Savimbo heißt das: Für aktuell 30 US-Dollar kann man einen Biodiversity Credit kaufen, mit dem dann einen Monat lang ein Hektar Land konserviert wird, etwa im Amazonas-Regenwald. Dieses Areal steht dann für die wirtschaftliche Nutzung nicht zur Verfügung.  

Drea Burbank, Geschäftsführerin von Savimbo, ist überzeugt, dass das mit ihrem Ansatz gelingt. „Biodiversität ist greifbarer als Kohlenstoff.“ Deshalb sei es einfacher, Leute vor Ort von den Projekten zu überzeugen – beispielsweise Indigene in Villagarzón in der kolumbianischen Amazonas-Region.  

Noch aber sind viele Fragen offen. Zum Beispiel ist nicht geklärt, wer Biodiversitätszertifikate in größerem Stil kaufen sollte. Burbank glaubt, dass Unternehmen für Marketing- oder Compliance-Ziele freiwillig investieren werden. Gradeckas hingegen geht eher davon aus, dass es zumindest staatliche Initiativen oder gesetzliche Verpflichtungen für Artenschutz braucht, um den Zertifikatehandel ins Rollen zu bringen.   

Darüber, wie Biodiversität gemessen werden soll, gibt es ebenfalls kein einheitliches Verständnis. Denn anders als auf dem Kohlenstoffmarkt existiert dafür keine allgemeingültige Methode. Oft werden Arten oder Individuen einer Art gezählt – oder beides zusammen. Ein anderer Ansatz: „Wir beobachten, dass zunehmend auf den Zustand von Ökosystemen geschaut wird“, sagt Gradeckas. Das heißt, die Funktionalität von ökologischen Prozessen wird bewertet.  

So versucht auch Savimbo, den Zustand von Ökosystemen zu erfassen. Die Methode des Unternehmens beruht auf sogenannten Indikatorarten, deren Existenz darauf hindeutet, dass ein Ökosystem intakt ist. Das sind dann meistens Arten, die weit oben in der Nahrungskette stehen. Sie überleben nur, wenn verschiedene Tiere und Pflanzen weiter unten in der Kette auch vorhanden sind. Eine dieser Indikatorarten ist beispielsweise der Jaguar. Wenn er im südamerikanischen Amazonas-Gebiet gesichtet wird, könne man davon ausgehen, dass die Natur in diesem Gebiet intakt sei. Die Indikatorarten werden beispielsweise mit Kameras erfasst und auf Basis der Sichtungen dann Biodiversitätszertifikate kreiert.  

Um zu beurteilen, in welche Richtung sich der Markt entwickelt, sei es „noch viel zu früh“, so Gradeckas. Trotzdem versuchen immer mehr Unternehmen und Initiativen, mitzumischen. Bloomlabs zählt in diesem Jahr bereits mehr als 1.000 Akteure auf dem freiwilligen Biodiversitätsmarkt, darunter Investoren, Projektentwickler und Zertifizierer.  

Wie erfolgreich der Biodiversitätsmarkt wird, hängt auch davon ab, ob verlässliche und transparente Standards etabliert werden. Die Szene will aus den Fehlern des freiwilligen Kohlenstoffmarkts lernen. Der steckt aktuell in einer Krise – unter anderem, weil verschiedene Recherchen gezeigt haben, dass viele Zertifikate praktisch wertlos für den Klimaschutz sind. Ein wissenschaftlicher Preprint über die bisherige Forschung zu Naturmärkten hat fünf „goldene Regeln“ zusammengefasst. Sie sollen helfen, es besser zu machen.  

  1. Die Metrik – oder Einheit –, mit der Biodiversität gemessen wird, muss zu dem gewünschten Ergebnis passen. Das kann beispielsweise Konservierung, Zugewinn oder Wiederherstellung von Biodiversität sein.   

  1. Die Zusätzlichkeit („Additionality“) muss nachgewiesen werden, sonst muss man davon ausgehen, dass sie nicht vorliegt. Auf dem CO₂-Markt hatte sich oftmals im Nachhinein herausgestellt, dass Emissionseinsparungen gar nicht zusätzlich zu schon vorhandenen Bemühungen waren. 

  1. Es muss sichergestellt sein, dass der Markt keine negativen Folgen an anderer Stelle hat. 

  1. Die Ergebnisse müssen unabhängig verifizierbar sein.  

  1. Verstöße müssen glaubwürdig aufgearbeitet und geahndet werden können. 

„Im Idealfall würden sich außerdem alle nach den Standards einer einzigen Organisation richten“, meint Gradeckas. Das könnte helfen, für Transparenz zu sorgen.  

Laut Gradeckas gebe es – anders als beim freiwilligen Kohlenstoffmarkt – bereits jetzt einen relativ großen Konsens. Demnach sollten Biodiversitätszertifikate nicht zum Ausgleich von Eingriffen („Offsetting“) verwendet, sondern nur als zusätzliche Beiträge („Contribution“) für den Naturschutz gekennzeichnet werden. Drea Burkbank von Savimbo ergänzt, dass die Projekte ihres Unternehmens direkt von den und für die Einheimischen entwickelt werden würden.   

Aber selbst wenn der Aufbau eines robusten und verlässlichen Markts gelingt: Die Auswirkungen dürften überschaubar sein. Während Schätzungen davon ausgehen, dass für den Naturschutz weltweit hunderte Milliarden US-Dollar im Jahr fehlen, sind die Prognosen für das Volumen eines Biodiversitätsmarkts eher klein. Das World Economic Forum geht selbst in seinem optimistischsten Szenario nur von rund zwei Milliarden US-Dollar im Jahr 2030 aus. Immerhin: Für die Zukunft sieht es Potenzial: 2050 könnten im besten Fall Biodiversitätszertifikate im Wert von 69 Milliarden US-Dollar verkauft werden. 

Alle Artikel der Serie zur Biodiversität lesen Sie hier.

Letzte Aktualisierung: 10. Oktober 2025

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