Table.Briefing: Climate

EU: Renaturierungsgesetz erfolgreich + London ignoriert Klimapolitik + Russland als Black Box

Liebe Leserin, lieber Leser,

am 15. Juli ist der erste “europaweite Gedenktag für die Opfer der globalen Klimakrise”. Die EU will an diesem Tag an “die Toten und die Betroffenen von Klimakatastrophen” erinnern. EU-Klimakommissar Timmermanns wird in drei Regionen reisen, die 2021 besonders von Extremwetter betroffen waren. Eine schöne Geste. Doch reicht das angesichts der derzeitigen Hitzewellen und Überschwemmungen in zahlreichen Weltregionen aus? Müsste es nicht eine europaweite Schweigeminute geben? Ein öffentliches Innehalten, damit die Klimakrise wirklich im Bewusstsein der Menschen ankommt, statt im parteipolitischen Klein-Klein unterzugehen?

Die EU selbst hat gestern bei dem wichtigen Gesetz zur Wiederherstellung der Natur gerade noch die Kurve gekriegt. Überraschenderweise wurde das Gesetz vom Europaparlament doch angenommen – Claire Stam hat die Details. Was die neuen Klimaziele für die internationale Schifffahrt für die zukünftigen Emissionen bedeutet, berichtet Bernhard Pötter.

Während es bei der Schifffahrt bald mehr Klarheit über Emissionen gibt, wird Russland zunehmend zur “Black Box”. Drei weitere Klima-NGOs wurden nun verboten, was gravierende Auswirkungen für die Klimapolitik hat, weiß Angelina Davydova. Und warum Großbritannien kein Vorreiter mehr ist, berichtet Philippa Nuttall Jones.

Beste Grüße

Ihr
Nico Beckert
Bild von Nico  Beckert

Analyse

Erfolg für Green Deal: EU-Parlament beschließt Renaturierungsgesetz

Selten wurde eine Abstimmung im EU-Parlament mit so viel Spannung erwartet. Nach wochenlangen politischen Streitereien über Manipulationsvorwürfen und Druck durch Green-Deal-Kommissar Frans Timmermans fiel endlich das Urteil: Die in Straßburg versammelten Abgeordneten nahmen am gestrigen Mittwoch den umstrittenen Entwurf einer Verordnung zur Wiederherstellung der Natur mit 336 Ja-Stimmen, 300 Nein-Stimmen und 13 Enthaltungen an. Kurz zuvor war ein von Christdemokraten (EVP) eingebrachter Antrag, das Gesetz als Ganzes abzulehnen, mit zwölf Stimmen Mehrheit abgelehnt worden.

Das Gesetz war zuletzt zum Symbol der politischen Spannungen um die europäische Umweltpolitik geworden, knapp ein Jahr vor den Europawahlen. Die Annahme der Parlamentsposition bedeutet, dass die Trilog-Verhandlungen zwischen Kommission, Parlament und den Mitgliedstaaten beginnen können. Der weitere Weg des Gesetzes ist dadurch allerdings nicht leichter geworden.

Schwächer als Kommission und Rat

Zwar hat das EU-Parlament einen Änderungsantrag angenommen, auf Basis der Ratsposition weiterzuarbeiten. Jedoch ist das Ambitionsniveau des Rates deutlich unter dem Kommissionsvorschlag, weshalb auch die Befürworter des Renaturierungsgesetzes – Grüne, Sozialdemokraten, Linke und einige Liberale – gestern nur vorsichtig feiern konnten. Der schließlich angenommene Text sei eine Mischung aus der Ratsposition und den Änderungsanträgen des Parlaments, erklärte der verantwortliche Berichterstatter für das Renaturierungsgesetzes, Cesar Luena (S&D).

“Wir befinden uns in einer bizarren Situation, in der der Text des Parlaments weniger ambitioniert ist als der des Rates”, gestand der Vorsitzende des Umweltausschusses, Pascal Canfin (Renew), ein. Normalerweise sei es umgekehrt. Der gesamte Teil, der sich mit der Landwirtschaft befasst, sei verwässert worden. “Das ist ein wichtiger Aspekt, den wir mit dem Rat verhandeln wollen”, so Canfin.

Berichterstatter Luena schmerzt besonders die Streichung eines Artikels zur Wiederherstellung landwirtschaftlicher Ökosysteme, darunter auch Ziele für die Wiedervernässung trockengelegter Torfmoore. Die ultrakonservative EKR-Fraktion hatte dies beantragt und dafür eine Mehrheit erhalten.

“Besser als keinen Text”

Luena und Canfin betonten, es sei besser, einen verwässerten Text zu haben als gar keinen Text. Vor allem aber sei durch die Abstimmung die “Geiselnahme” eines wesentlichen Gesetzes des Green Deals durch die EVP unter Manfred Weber beendet, erklärten sie. Der Text sei nicht verwässert worden, konterte Weber. “Er wurde geändert, um sicherzustellen, dass er vor Ort richtig umgesetzt werden kann.”

Der ehemalige französische Umweltminister Canfin hob abschließend noch das wichtige globale Signal hervor: Die Annahme des Textes im EU-Parlament sei wenige Monate vor der COP28 bedeutsam. Auf der internationalen Klimabühne habe die EU auf mehr Ehrgeiz bei der Biodiversität gedrängt. “Wir stehen unter Beobachtung”, sagte er und betonte, dass die Glaubwürdigkeit der EU bei den internationalen Verhandlungen über Klima und Biodiversität auf dem Spiel stehe. “Wenn die EU den Text abgelehnt hätte, hätte sie das Signal ausgesendet, dass sie andere Länder dazu drängt, etwas zu tun, was sie selbst zu Hause nicht umsetzen will.

Ziele des Gesetzes leicht geschwächt

Der Kompromiss bedeutet, dass das Ursprungsziel des Gesetzes leicht abgeändert wird. Zwar sollen weiterhin bis 2030 mindestens 20 Prozent aller Land- und Meeresflächen in der EU renaturiert werden. Jedoch soll diese Quote nur auf Lebensräume angewendet werden, die sich nicht in einem “guten Zustand” befinden. Zudem muss das Ziel nicht für jede Lebensraumgruppe einzeln erreicht werden, sondern für alle im Durchschnitt.

Eine weitere Abschwächung gegenüber des Kommissionsvorschlags steckt im Verschlechterungsverbot für Habitate, die Gegenstand von Wiederherstellungsmaßnahmen sind. Die neuen Regeln sollen nur im Falle einer “signifikanten” Verschlechterung gelten, beschloss der Rat. Im Falle von Gebieten, die sich bereits in einem guten Zustand befinden oder in denen noch keine Wiederherstellungsmaßnahmen durchgeführt wurden, insbesondere außerhalb von Natura-2000-Gebieten, “werden sich die Mitgliedstaaten bemühen, die erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, um eine erhebliche Verschlechterung zu verhindern”. Dies bedeutet eine aufwandsbasierte Verpflichtung statt einer ergebnisorientierten.

Erschwert werden könnten die Trilog-Verhandlungen auch durch die vorgezogenen Parlamentswahlen in Spanien am 23. Juli. Teresa Ribera, spanische Ministerin für den ökologischen Wandel, hatte angekündigt, “alles zu tun”, um im Trilog unter der spanischen Ratspräsidentschaft eine Einigung zu erzielen. Sie könnte jedoch schon bald nicht mehr Teil der Regierung sein, da ein rechtes Parteienbündnis die Macht übernehmen könnte.

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Großbritannien verspielt Vorreiterrolle in der Klimapolitik

“Das Vereinigte Königreich hat seine klare globale Führungsposition beim Klimaschutz verloren”. Dies war nur einer der vernichtenden Sätze im Fortschrittsbericht an das britische Parlament, den das Climate Change Committee (CCC) Ende Juni veröffentlicht hat. Das CCC spielt für die britische Klimapolitik eine wichtige Rolle: Es wurde 2008 unter dem Climate Change Act als ein unabhängiges, öffentliches Gremium eingerichtet, um dem Parlament regelmäßig über den Fortgang der Klimapolitik zu berichten und die Regierung zu beraten.

In seinem jüngsten Bericht nahm es kein Blatt vor den Mund. Zwar habe das Land auf “jüngste Preiskrise bei fossilen Brennstoffen” reagiert, aber dabei nicht die “raschen Schritte” getan, “die zur Verringerung der Energienachfrage und zum Ausbau der erneuerbaren Energien hätten unternommen werden können”. Großbritannien habe auch “bei den Zusagen für fossile Brennstoffe einen Rückzieher gemacht, mit der Genehmigung einer neuen Kohlemine und der Unterstützung für neue britische Öl- und Gasförderung”.

Ohne eine Änderung der Politik würde sich die Lage verschlimmern, machte das CCC deutlich. Das Vereinigte Königreich würde seine Emissionsreduktionsziele für 2030 verfehlen.

Sunak verliert an Rückhalt in seiner Partei

Der frühere Premierminister Boris Johnson begriff den Klimaschutz noch als außenpolitisches Element seiner Politik. Doch seine Nachfolger zeigen wenig Interesse am Thema. Der Einmarsch Russlands in der Ukraine und die folgende Energiekrise wurden genutzt, um die Energiekrise an die Spitze der politischen Agenda zu setzen. Die Folge: Es wird lautstark auf die Notwendigkeit von einer vermehrten Förderung von britischem Öl und Gas hingewiesen.

Sunak erntet dafür auch viel Gegenwind unter seinen eigenen Leuten. Als Zac Goldsmith Ende Juni von seinem Amt als Klimaminister zurücktrat, rechnete er mit dem Premier ab: “Das Problem ist nicht, dass die Regierung der Umwelt gegenüber feindlich gesinnt ist, sondern dass Sie, unser Premierminister, einfach desinteressiert sind”. Dieses Desinteresse habe die Regierung gelähmt.

Nächste Klimaklage gegen die Regierung

Doch der Druck auf Sunak, mehr zu unternehmen, nimmt zu. Drei gemeinnützige Organisationen, Friends of the Earth, ClientEarth und Good Law Project, kündigten diesen Monat an, dass sie die Regierung zum zweiten Mal innerhalb von weniger als zwei Jahren wegen ihrer “schwachen und unzureichenden Strategie zur Bekämpfung des Klimawandels” verklagen werden.

Im Juli 2022 hatte der Oberste Gerichtshof entschieden, dass die Netto-Null-Strategie des Vereinigten Königreichs nicht den Verpflichtungen der Regierung aus dem Klimaschutzgesetz entspricht. Das Gesetz sieht vor, dass die Regierung politische Strategien vorlegt, aus denen hervorgeht, wie die rechtlich verbindlichen Kohlenstoffbudgets des Vereinigten Königreichs eingehalten werden sollen. Das CCC hat festgestellt, dass es nur glaubwürdige Pläne für weniger als ein Fünftel der Emissionssenkungen gibt, die notwendig wären, um die Klimaziele des Landes zu erreichen.

Die Nichtregierungsorganisationen argumentieren nun: Auch die überarbeitete Netto-Null-Strategie, die die Regierung Anfang des Jahres veröffentlicht hat, bleibe hinter dem für die Erreichung der Klimaziele Nötigen zurück.

Wo steht die Labour-Partei?

Lord Deben, ein Parteifreund Sunaks und bis vor kurzem Vorsitzender des CCC, hatte sich in einer Fernsehdebatte Anfang Juli sogar auf die Seite der oppositionellen Labour-Partei geschlagen und ihre Forderung unterstützt, alle neuen inländischen Öl- und Gasprojekte zu stoppen.

Die Rhetorik des Labour-Vorsitzenden Keir Starmer deutet darauf hin, dass das Vereinigte Königreich unter einer Mitte-Links- statt einer Mitte-Rechts-Regierung an Klimadynamik gewinnen würde. Dennoch sind auch Starmers klimapolitische Absichten nicht immer klar. Labour verspricht bei einer Wahl im Jahr 2025 zwar:

  • das britische Energiesystem bis 2030 zu dekarbonisieren – fünf Jahre vor dem Zeitplan der aktuellen Regierung
  • die Ausgaben für grüne Technologien zu erhöhen
  • innerhalb von fünf Jahren bis zu acht Gigawatt an erneuerbare Energien-Projekten zu schaffen und das De-facto-Verbot für Onshore-Windenergieprojekte zu beenden
  • den Übergang zu Netto-Null-Emissionen “fair” zu gestalten und die Schaffung von grünen Arbeitsplätzen in Großbritannien zu verfolgen.

Doch Starmer scheint sich weniger wohl dabei zu fühlen, das ganze Ausmaß der Klimakrise zu erkennen. Die Sunday Times zitierte ihn diesen Monat mit den Worten, er “hasse Baumumarmer”.

Unklarheit bei Klimafinanzierung

Und wie so oft scheint Geld, insbesondere die internationale Klimafinanzierung, ein heikles Thema für beide Parteien zu sein. In den letzten Wochen wurde in den Medien diskutiert, ob Sunak die 2019 gemachte Zusage Großbritanniens, die Klimafinanzierung für die ärmsten Länder der Welt bis 2026 auf 11,6 Milliarden Pfund zu verdoppeln, einhalten wird. Presseartikel deuten darauf hin, dass auch Starmer zögert, dieses Versprechen zu halten. Von Philippa Nuttall Jones

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Russlands Klimapolitik wird undurchschaubar

Seit dem Beginn des Krieges in der Ukraine wächst in Russland der Druck auf jede Form von unabhängigem öffentlichem Aktivismus und kritischer Analyse. Schon 2022 wurden fünf russische Umwelt-NGOs aufgrund ihrer internationalen Verbindungen als “ausländische Agenten” eingestuft. Das erschwert die Arbeit der Organisationen erheblich. Unter anderem ist ihnen die Zusammenarbeit mit Behörden und staatlichen Bildungseinrichtungen untersagt. Deshalb beschlossen vier der fünf Organisationen, ihre Arbeit als NGOs einzustellen. Ihre Expertinnen und Experten arbeiten jetzt inoffiziell weiter, zum Beispiel auf persönlicher Ebene.

Im Jahr 2023 wurde auch der Druck auf internationale Organisationen verstärkt, die noch in Russland arbeiten. Viele Klima- und Umweltorganisationen waren trotz des Krieges in der Ukraine im Land geblieben – im Gegensatz zu den meisten internationalen Menschenrechts- oder politischen Organisationen, einschließlich aller deutschen politischen Stiftungen, die ihre Büros im Land schon zuvor schließen mussten.

Fünftgrößter Emittent weltweit

Dass sie nun auch unter Druck geraten, verschlechtert die Aussichten für eine wirksame russische Klimapolitik. Das hat Auswirkungen auf das Weltklima: Russland ist nach China, den USA, der EU und Indien der fünftgrößte Emittent von Treibhausgasen weltweit. Zwar sanken die Emissionen des Landes vor allem wegen der Wirtschaftskrise in den 1990er und frühen 2000er Jahren. 2012 waren sie um 32 Prozent niedriger als 1990, wenn man die CO₂-Sequestrierung durch Wälder nicht berücksichtigt. Berechnet man sie mit ein, lagen sie um 50 Prozent niedriger. Derzeit liegen die Emissionen ohne Landnutzungsänderungen etwa 30 Prozent unter dem Niveau von 1990.

In den Jahren vor dem Beginn des Krieges in der Ukraine sind die russischen Emissionen langsam angestiegen. Wie sie sich weiter entwickeln, hängt vor allem von der künftigen Wirtschaftsleistung Russlands ab, und damit auch von den internationalen Sanktionen und Handelshemmnissen. Russlands Low-Carbon Strategy bis 2050 sieht ein Netto-Null-Ziel für das Jahr 2060 vor und rechnet mit einer erheblichen Zunahme der CO₂-Bindung durch Wälder. Einige Analysten halten das für unrealistisch. Climate Action Tracker bezeichnet Russlands Klimapolitik als “kritisch unzureichend”.

Unerwünscht: Greenpeace, WWF, Bellona

Im April 2023 wurde die norwegische Umweltorganisation Bellona als unerwünscht eingestuft. Im Mai folgte Greenpeace International, im Juni WWF International, im Juli das Altai-Projekt. Damit ist ihnen praktisch jede Aktivität im Land untersagt. Russische Bürgerinnen und Bürger können für die Zusammenarbeit mit diesen Organisation strafrechtlich belangt werden.

Bellona hatte ihr Büro in der Russischen Föderation bereits 2022 geschlossen. Die Organisation arbeitet nun von einem neuen Büro im Exil in Vilnius aus weiter zu Russland. Greenpeace ist gerade dabei, sein Büro in Moskau zu schließen. Beide Organisationen waren seit über 30 Jahren in Russland tätig. Die russische Organisation World Wide Fund for Nature kündigte an, nicht mehr mit dem internationalen WWF zusammenzuarbeiten, auf das Panda-Logo und das Akronym “WWF” zu verzichten.

Der offizielle Grund für das Verbot der internationalen Organisationen ist: Sie haben sich kritisch gegenüber großen neuen Infrastrukturprojekten geäußert und sich bemüht, diese unabhängig zu untersuchen. Darunter waren auch Projekte zur Gewinnung fossiler Brennstoffe, insbesondere in der arktischen Region.

Tatsächlich aber verdrängt Russland alle internationalen Organisationen, die unabhängiges Fachwissen und Analysen liefern, klima- und umweltpolitische Maßnahmen bewerten, alternative Ansichten zu denen des Staates äußern und die Weltgemeinschaft über Umwelt- und Klimamissstände im Lande informieren könnten.

Großer Verlust von Klima- und Umweltexpertise

Mit dem Rückzug dieser Organisationen aus Russland geht viel unabhängige Klima- und Umweltexpertise verloren – rein zahlenmäßig und auch qualitativ. Schließlich verfügten all diese Organisationen über Dutzende von Expertinnen und Experten. Sie haben Gesetzesänderungen sowie Regierungs- und unternehmerische Maßnahmen analysiert und kritisiert, organisierten Kampagnen in der Öffentlichkeit und den Medien und konnten mit Tausenden von Freiwilligen zusammenarbeiten.

Auch die Unterstützung für viele Umwelt-Basisinitiativen nimmt ab. Selbst während des Krieges in der Ukraine gibt es in den meisten Regionen Russlands nach wie vor Basis-Umweltbewegungen und Proteste. Ihre Initiatorinnen und Initiatoren erhielten bis vor kurzem rechtliche, administrative oder mediale Unterstützung beispielsweise von Greenpeace oder WWF Russland.

Raum für unabhängige Analysen schwindet

Dass die internationalen NGOs sich zurückziehen, ist ein schwerer Schlag für die Klimapolitik des Landes. In den vergangenen Jahren gehörten WWF Russland und Greenpeace zu den wichtigsten Klimaorganisationen. Zum Beispiel erstellte Greenpeace zusammen mit einer Reihe von Forschenden und weiteren Experten im Jahr 2021 den “Green Turn” Bericht (Disclaimer: Die Autorin dieses Textes war Redakteurin dieses Berichts). Er zeigt auf, welchen Bedrohungen und Risiken Russland durch die Klimakrise ausgesetzt ist, und weist auf die Chancen hin, die eine Umstrukturierung der Wirtschaft und die Abkehr von fossilen Brennstoffen bietet.

Jetzt schwindet die Möglichkeit einer solchen unabhängigen Analyse schnell. Es bleibt nur noch eine offizielle Meinung und keine öffentliche Diskussion. Besonders deutlich wird das bei der kritischen Bewertung der Klimaziele Russlands, der zu ihrer Erreichung erforderlichen Gesetze und Programme und der Klimaerklärungen russischer Unternehmen.

Elitenschutz statt Klimaschutz

Anna Korppoo vom Fridtjof Nansen Institut, die mit weiteren Expertinnen und Experten aus Russland und der EU an dem Projekt “Russian Climate Strategy: Imitating Leadership” des Londoner ThinkTanks Climate Strategies mitgewirkt hat, sagt: “Russlands Klimapolitik hatte schon immer einen imitierenden Charakter. Sie zielte darauf ab, wirksame Maßnahmen zur Reduzierung der Treibhausgasemissionen zu verwässern, um die Interessen der Eliten der fossilen Brennstoffindustrie zu schützen”.

In der Vergangenheit habe externer Druck Russland dazu gebracht, einige echte Klimaregeln zu entwickeln, sagt sie. Beispiele seien die Verwaltung von Joint-Implementation-Projekten im Rahmen des Kyoto-Protokolls in den Jahren 2008 bis 2012 und die Unterstützung der Entwicklung erneuerbarer Energien. Doch seit Februar 2022 “haben dieser Druck und die Anreize des Westens nachgelassen und damit auch die Möglichkeiten der russischen Beamten und der Zivilgesellschaft, auf Mängel in der Umsetzung der Politik hinzuweisen”.

In der Vergangenheit konnten russische Nichtregierungsorganisationen – zusammen mit kritischen Stimmen innerhalb der Regierung – aktiv an der Festlegung von Klimazielen mitwirken, beispielsweise im Rahmen der Low Carbon Strategy bis 2050, und die Umsetzung der Politik sorgfältig kritisieren. Jetzt werden diese Stimmen fehlen.

“Obstruktive Rolle in der Klimadiplomatie”

Zum Beispiel, wenn es darum geht, das unrealistische Ziel der Kohlenstoffsenken in russische Wälder im Rahmen der Low Carbon Strategy infrage zu stellen, sagt Anna Korppoo. Die Senken werden herangezogen, um weitere Emissionen aus dem Industriesektor zu rechtfertigen. Auch die Emissionsberichterstattung und die Klimaversprechen großer russischer Unternehmen bräuchten eine Kontrollinstanz, sagt Korppoo. Aber die russische Gesetzgebung bietet keinen Rahmen, um die erhobenen Daten zu bewerten. Und die NGOs werden nicht mehr da sein, um das zu tun.

Thane Gustafson, Professor für Politik an der US-Universität Georgetown und Autor des Buchs “Klimat” zur russischen Energiepolitik, betont, das Land sei “in der Klimapolitik wie auf anderen Feldern an das Modell der Kohlenwasserstoffe gekettet”. Es habe sehr wenig Anstrengungen in Erneuerbare und die Entwicklung von E-Autos gesteckt, selbst vor der Invasion der Ukraine. “Bei jeder vernünftigen Projektion wird Russland der ,böse Bube’ der großen CO₂-Verschmutzer bleiben“, so Gustafson. “Ohne Zweifel wird es weiterhin eine obstruktive Rolle in der internationalen Klimapolitik spielen. Es wird seine Wälder herausstellen und groß über Wasserstoff reden. Aber fossile Brennstoffe werden im Zentrum bleiben.”

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IMO-Einigung soll Schiffsverkehr auf Paris-Kurs bringen

Das Abkommen zum Klimaschutz der UN-Schifffahrtsorganisation IMO von Ende vergangener Woche ist das seit langem folgenreichste Abkommen im internationalen Klimaschutz. Es kann die Emissionen aus dem Seetransport mit der Zwei-Grad-Grenze in Einklang bringen und die zuletzt festgefahrenen diplomatischen Bemühungen vor der COP28 in Dubai beeinflussen. Allerdings bleibt es hinter den Erwartungen zurück, die Schifffahrt auf einen 1,5-Grad-Kurs zu bringen.

Am Ende der langen und komplizierten IMO-Verhandlungen des Umweltkomittees MEPC (Marine Environemt Protection Committee) in London, bei denen traditionell weder Medien noch Nichtregierungsorganisationen zugelassen waren, stand ein Kompromiss. Statt Emissionsziele für bestimmte Jahre festzulegen, enthält er Emissions-“Checkpoints”. Diese sind juristisch nicht bindend, sollen aber politisch wirken und der Industrie den Weg zu Investitionen klarmachen.

Mindestens minus 20 Prozent bis 2030

Die jetzt getroffene Regelung verschärft die bisherigen Klimaziele der 175 IMO-Länder von 2018. Sie hatten nur eine Reduktion der Emissionen des Sektors bis 2050 um 50 Prozent postuliert. Nun einigten sich die Staaten darauf, dass:

  • die Treibhausgas-Emissionen des internationalen Schiffsverkehrs bis 2030 um mindestens 20 Prozent gegenüber 2008 zurückgehen sollen, angestrebt werden aber 30 Prozent,
  • die Emissionen bis 2040 um 70 Prozent (angestrebt: 80 Prozent) reduziert werden sollen,
  • die Schifffahrt “um oder in der Nähe von 2050” bei Netto-Null sein soll – im “Licht der gemeinsamen, aber differenzierten Verantwortlichkeiten” – ein Hinweis darauf, dass Schwellen- und Entwicklungsländer Ausnahmen und Erleichterungen erwarten,
  • eine geforderte CO₂-Abgabe für die Seefahrt bis Frühjahr 2025 entwickelt und 2027 in Kraft treten soll,
  • die CO₂-Intensität der Schifffahrt bis 2030 gegenüber 2008 um 40 Prozent verringert werden soll.

“Für Durchbruch fehlt CO₂-Preis”

Lob gab es nach der Verabschiedung etwa von der EU-Kommission für diesen “Meilenstein, um den CO₂-Fußabdruck des internationalen Schiffssektors zu reduzieren und sicherzustellen, dass er einen fairen Beitrag zur Erreichung des Pariser Abkommens leistet”. Auch David Ryfisch, Klimaexperte der Umwelt- und Entwicklungsorganisation Germanwatch, sprach von einem “wichtigen Fortschritt“: “In nur fünf Jahren steht die Debatte in der Schifffahrt an einem ganz anderen Punkt”, die Risiken für “falsche Lösungen wie in der Luftfahrt beim Offsetting scheinen deutlich geringer.” Für einen echten Durchbruch fehle aber die Einigung auf eine CO₂-Abgabe.

Immerhin macht der Sektor etwa drei Prozent aller globalen Treibhausgasemissionen aus. Und die Emissionen würden in einem “Business as usual” (BAU)-Szenario von 2008 bis 2050 im Extremfall um 250 Prozent steigen.

Auch die norwegische Reederei A.P. Moller-Maersk, die für ein ehrgeiziges Abkommen lobbyiert hatte, zeigte sich gegenüber Table.Media zufrieden: Noch vor einem Jahr sei “die bloße Idee, bis 2027 einen globalen Emissionspreis-Mechanismus und einen globalen Standard für umweltfreundliche Kraftstoffe einzuführen, für eine Fantasie gehalten worden”, sagte Simon Bergulf, zuständig für Energiewende und öffentliche Angelegenheiten bei der Reederei. Er sprach von einem “deutlichen Signal an die Schifffahrtsbranche und die Hersteller von Kraftstoffen: Die Zeit für Investitionen ist jetzt, und damit verbundene Risiken sind beseitigt.” Ein CO₂-Preis und die technischen Maßnahmen sollten “innerhalb der nächsten vier Jahre weltweit umgesetzt werden”.

Kritik: Aufgabe des 1,5-Grad-Ziels

Umweltgruppen wiederum liefen Sturm gegen die aus ihrer Sicht unzureichenden Ergebnisse: Der neue Kompromiss gebe das 1,5-Grad-Ziel für den Schiffssektor auf. Für dieses Ziel müssten die Emissionen bis 2030 halbiert und bereits bis 2040 auf null gebracht werden, so die Kritik. Nun müssten ehrgeizige “Länder und Blöcke” wie die USA, EU und Großbritannien dabei vorangehen, die Emissionen mit mindestens 100 Dollar pro Tonne CO₂ zu bepreisen. Zu nachhaltigen Treibstoffen hat die EU gerade ihre zuständige FuelEU-Maritime-Regelung verabschiedet.

Für mehr Klimaschutz auf See fordern die Gruppen, etwa die Clean Shipping Coalition:

  • Anreize für mehr Wind-basierte Antriebe bei Schiffen,
  • Vorgaben für grüne Treibstoffe,
  • Aktionen gegen kurzzeitige Klimakiller wie Methan oder Ruß,
  • Verbindliche Regeln für geringeres Tempo und weniger Verbrauch,
  • Die Einbindung des Seeverkehrs in den Emissionshandel, wie es die EU und Großbritannien bereits beschlossen haben.

Gegner: Hohe Preise für Export, unrealistische Ziele

Immerhin zeigte die Einigung in Zeiten von verhärteten Fronten im Klimabereich den Willen zur Kooperation zwischen den Staaten, deren Interessen weit auseinander liegen. Allerdings hatten auch in London nach Berichten von Beobachtern lange die Zeichen auf Konfrontation gestanden: Während eine Allianz aus den Industrie- und Inselstaaten für ehrgeizigere Ziele eintrat, argumentierten Länder mit Exportabhängigkeit oder Ölproduktion wie China, Saudi-Arabien oder Brasilien für weniger Ehrgeiz und gegen “unrealistische Ziele”.

Besonders die pazifischen Inselstaaten machten Druck, unter den Bremsern waren auch die COP-Gastgeber Vereinigten Arabische Emirate. Das Argument vor allem der lateinamerikanischen Staaten war, dass eine CO₂-Abgabe den Seehandel verteuern, ihre Exportwirtschaft benachteiligen und die bestehenden Ungleichheiten im Welthandel zementieren würde.

Mit der IMO-Vereinbarung ist nun ein Akteur an Bord, der sich lange aus den Klima-Verpflichtungen herausgehalten hat. Denn seit 1995 wurden die Emissionen des internationalen Flug- und Schiffsverkehrs zwar regelmäßig von der UNFCCC debattiert, aber keinen Reduktionsforderungen unterworfen. Schließlich tauchten sie in den entscheidenden Länderstatistiken zum CO₂-Ausstoß nicht auf.

“Die globale Schifffahrtsindustrie und die IMO waren immer zurückhaltend beim Klimaschutz und werden von einer Handvoll maritimer Länder kontrolliert”, sagt Saleemul Huq, Direktor des Thinktanks ICCAD in Dhaka und erfahrener Klima-Berater der Entwicklungsländer. “Deshalb ist diese Entscheidung ein wichtiger Durchbruch, damit endlich Verantwortung übernommen und gehandelt wird. Hoffentlich werden wir zukünftig noch mehr Ehrgeiz dabei sehen.”

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Termine

10.-19. Juli, New York
Forum High-Level Political Forum on Sustainable Development 2023
Das Motto des High-Level Political Forum (HLPF) des Wirtschafs- und Sozialrat der UN (ECOSOC) ist “Accelerating the recovery from the coronavirus disease (COVID-19) and the full implementation of the 2030 Agenda for Sustainable Development at all levels”. Ausführlich evaluiert werden SDG 6 (Wasser), 7 (Energie), 9 (Industrie, Innovation und Infrastruktur), 11 (Städte) und 17 (Partnerschaften). Infos

13. Juli, 15.30 Uhr, Online
Diskussion No Water, No Food – Glacier Loss Threats to US and Chinese Agriculture
Auf der Diskussion des Wilson Center geht es um die Auswirkungen des Abschmelzens des sogenannten “Dritten Pols” (Gletscher im Himalaya) und die Auswirkungen davon auf die Landwirtschaft.  Infos

13. bis 14. Juli, Brüssel
G7-Treffen Ministerial on Climate Action
Das Ministertreffen der G7 zum Thema Klima, Energie und Umwelt im Jahr 2023 wird unter der japanischen G7-Präsidentschaft stattfinden und vorrangige Themen in den Bereichen Klima, Energie und Umwelt behandeln. Infos

15. Juli, Chaudefontaine, Eschweiler und Valkenburg
Gedenktag Erster EU-Gedenktag für die Opfer der globalen Klimakrise
EU-Kommissions-Vizepräsident Frans Timmermans reist anlässlich des ersten EU-weiten Gedenktags für die Opfer der globalen Klimakrise nach Chaudefontaine (B), Eschweiler (D) und Valkenburg (NL). Dort trifft er Betroffene und Helfende der Flutkatastrophe des Sommers 2021. Infos

17.-18. Juli, Brüssel
Gipfeltreffen EU-CELAC Summit
Das Treffen zwischen der EU und der Gemeinschaft der Lateinamerikanischen und Karibischen Staaten (CELAC) bringt Spitzenpolitiker aus den beiden Regionen zusammen.  Infos

19. Juli, 10 Uhr, Online
Webinar Klimaanpassung im Kontext des kulturellen Erbes
Welche Auswirkungen hat die Klimakrise für das kulturelle Erbe und wie kann man dem begegnen? Darüber wird auf dem Webinar des Zentrums KlimaAnpassung diskutiert.  Infos

19. Juli, 15 Uhr, Augustusburg
Workshop Iss was? Welchen Einfluss meine Ernährung auf den Klimawandel hat
Bei dem Workshop der Heinrich-Böll-Stiftung werden die Zusammenhänge zwischen Ernährung und Klimakrise ausgearbeitet.  Infos

News

Klima in Zahlen: Minusrekord in der Antarktis

Auf den ersten Blick sieht der Trend so aus, wie man ihn vom anderen Ende der Welt kennt: Die Ausdehnung des Meereises vor der Antarktis liegt im dort beginnenden Winter auf einem historischen Tiefstand. Es froren bislang 2,1 Millionen Quadratkilometer weniger Meerwasser fest als im langjährigen Mittel, seit 1979 die Satellitenmessungen begannen: Eine Fläche so groß wie Grönland oder etwa sechsmal so groß wie Deutschland, berichtet das aktuelle “Sea Ice Portal“, das unter anderem vom Alfred-Wegener-Institut (AWI) erstellt wird. Ende Juni waren 12,4 Millionen Quadratkilometer des südlichen Ozeans mit Eis bedeckt.

Damit setzt sich ein Trend fort. Mit Ausnahme von zwei Stellen vor dem eisigen Kontinent, der Amundsen-See und der Ross-See, bildet sich in den letzten Jahren deutlich weniger Eis. Auch die Lufttemperaturen liegen derzeit um 2 bis 3 Grad Celsius über dem Mittelwert, teilweise sogar um sechs Grad.

Aber Achtung: Anders als im arktischen Meer ist den Wissenschaftlern nicht klar, ob dieser Trend eine Folge der zunehmenden Erderwärmung ist. Laut Meereis-Physikerin Stefanie Arndt vom AWI ist es “zu früh, um zu behaupten, es gebe einen signifikanten negativen Trend bei der Eisausdehnung im antarktischen Meer, ähnlich zu dem in der Arktis”.

Zwar habe sich auf der antarktischen Halbinsel über die letzten 50 Jahre ein Trend etabliert, dass die Region um 0,5 Grad Celsius pro Jahrzehnt wärmer wird. Aber noch wird die Hauptmasse des Kontinents von mächtigen Luftströmungen, dem polaren Jetstream, von den wärmeren Luftmassen der gemäßigten Breiten abgeschnitten. Es gebe große jährliche Schwankungen bei der Eisbildung, so Arndt. Es bleibe abzuwarten, ob sich hier ein klarer Trend zeigt. bpo

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  • Globale Erwärmung

Flugverkehr: Europa verliert 34 Milliarden Steuereinnahmen

Den europäischen Staaten entgehen durch Steuerausnahmen für den Luftfahrtssektor mehr als 34 Milliarden Euro an Einnahmen, wie eine neue Studie des Umweltdachverbands Transport & Environment (T&E) zeigt. Deutschland hat sich demnach im Jahr 2022 vier Milliarden Euro entgehen lassen und gehört mit Großbritannien (5,5 Milliarden Steuerverlust), Frankreich (4,7 Milliarden), Spanien (4,6 Milliarden) und Italien (3,1 Milliarden) zu den Staaten mit den größten Steuerausfällen.

Um die Steuerausfälle zu berechnen, hat T&E:

  • gesetzliche Ausnahmen von der Mehrwertsteuer und bei Ticketsteuern,
  • Ausnahmen bei der Kerosinsteuer,
  • und Ausnahmen vom europäischen Emissionshandel für internationale Flüge zu Zielen außerhalb der EU, addiert.

In Deutschland gibt es keine Kerosinsteuer, die Flugticketsteuer ist auf 1,75 Milliarden Euro pro Jahr gedeckelt und die Mehrwertsteuer gilt nur für Inlandsflüge, bemängelt die Umwelt- und Entwicklungsorganisation Germanwatch. Laut T&E sollten die Regierungen beispielsweise Ticketsteuern einführen. Für Inlandsflüge würden sie bei rund 23 Euro liegen; Flüge mit Zielen außerhalb der EU sollten demnach im Durchschnitt mit 259 Euro besteuert werden. “Finanzminister Lindner muss endlich sein Wahlkampfversprechen einlösen und bei den klimaschädlichsten Subventionen den Rotstift ansetzen”, sagt Sebastian Bock, Geschäftsführer von T&E Deutschland.

Blieben die Steuerlücken bestehen, wird der finanzielle Schaden in Zukunft aufgrund steigender Passagierzahlen zunehmen, so die beiden Organisationen. Die Internationale Luftverkehrs-Vereinigung (IATA) geht davon aus, dass die weltweiten Passagierzahlen von derzeit gut zwei auf mehr als zehn Milliarden Passagiere (2050) steigen werden.

Studie: Klimaziele nur mit Reduktion erreichbar

Eine neue Studie des Paul Scherrer Instituts (PSI) und der ETH Zürich zeigt, dass die Passagierzahlen abnehmen müssten, damit der Flugverkehr seine Klimaziele erreichen kann. “Neue Antriebe, klimaschonende Treibstoffe und das Herausfiltern von CO₂ aus der Atmosphäre, um es unterirdisch zu speichern (“Carbon Capture and Storage”) werden uns allein nicht ans Ziel bringen”, sagt Marco Mazzotti, Professor für Verfahrenstechnik an der ETH. Gelingt es, klimaschonendere Treibstoffe einzusetzen, sollte der globale Verkehr um 0,4 Prozent pro Jahr sinken. Bleiben die Airlines bei fossilem Kerosin, müsste die Reduktion ab sofort 0,8 Prozent pro Jahr betragen, so die Forschenden. nib/maw

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Energiewende: IRENA warnt vor Rohstoff-Engpässen

Die Internationale Organisation für erneuerbare Energien (IRENA) warnt in einem neuen Bericht vor “Versorgungsunterbrechungen”, die kurz- oder mittelfristig die Energiewende verlangsamen könnten. Durch die steigende Nachfrage nach Rohstoffen für die Energiewende und die Konzentration der Förderung und Weiterverarbeitung auf wenige Staaten und Unternehmen könnte es zu Versorgungsengpässen kommen, so IRENA. Bei Lithium zeige sich schon heute ein “Missverhältnis zwischen Angebot und Nachfrage”. Die Organisation warnt beispielsweise vor Exportbeschränkungen, Ressourcen-Nationalismus und politischer Instabilität in großen Förderländern.

Viele Staaten würden zwar versuchen, ihre Abhängigkeiten zu senken. Doch neue Bergbau- und Verarbeitungsanlagen hätten lange Vorlaufzeiten. Die Konzentration auf wenige Förderländer bliebe “wahrscheinlich auf absehbare Zeit” bestehen.

IEA: E-Autos treiben Rohstoff-Nachfrage

Derweil schreibt die Internationalen Energieagentur (IEA) in einem neuen Bericht, die Nachfrage nach kritischen Mineralien für grüne Technologien könnte sich bis 2030 verdoppeln. Demnach ist es den Importeuren bisher nicht gelungen, die Rohstoffabhängigkeit von wenigen Lieferländern zu verringern. E-Autos sind bei vielen Rohstoffen der größte Treiber einer erhöhten Nachfrage.

Mit dem Wachstum bei E-Autos, Energiespeichern, Wind- und Solaranlagen und anderen “grünen Technologien” geht eine hohe Nachfrage nach kritischen Mineralien wie Kupfer, Lithium, Kobalt, Nickel und weiteren Rohstoffen einher, so die IEA. Setzen die Staaten ihre angekündigten Klimaziele für das Jahr 2030 um, könnte sich der Bedarf sogar verdoppeln. Allerdings könne das Angebot durch schon angekündigte neue Minen beinahe mithalten.

E-Autos sind bei vielen Rohstoffen für einen Großteil des Nachfrageanstiegs verantwortlich: Laut IEA-Szenario werden:

  • E-Autos im Jahr 2030 fast 80 Prozent der weltweiten Lithium-Nachfrage, circa 40 Prozent der Kobalt-Nachfrage, gut 35 Prozent der Nickel-Nachfrage und gut 20 Prozent der Neodym-Nachfrage ausmachen.
  • Die globale Nachfrage nach Kupfer für grüne Technologien wird sich zwischen 2022 und 2040 verdoppeln
  • Auch die Wind- und Solarkraft und der Ausbau der Stromnetze wird zu einer erhöhten Rohstoff-Nachfrage führen. Allerdings sind hier die Anteile an der Gesamtnachfrage nach Rohstoffen nicht so hoch wie bei E-Autos.

Weiterhin hohe Abhängigkeit von China

Laut IEA ist die Abhängigkeit von anderen Ländern in den letzten drei Jahren teilweise noch gestiegen:

  • China fördert 68 Prozent der Seltenen Erden und 70 Prozent des Grafits und dominiert die Weiterverarbeitung von Kupfer (42 Prozent Weltmarktanteil), Kobalt (74 Prozent), Lithium (65 Prozent), Grafit (100 Prozent) und Seltenen Erden (90 Prozent)
  • Australien und Chile fördern 73 Prozent des Lithiums
  • Kobalt stammt zu 74 Prozent aus der DR Kongo
  • Nickel wird zu 49 Prozent von Indonesien gefördert
  • Auch bei “Nischen-Mineralien” wie Magnesium, hoch-konzentriertes Mangan und Silizium gäbe es hohe Konzentrationen. nib
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Klimawandel gefährdet nukleare Abschreckung der USA

Der Klimawandel könnte die nukleare Abschreckungsfähigkeit der US-Streitkräfte gefährden, wie eine Analyse des Think-Tanks Carnegie Endowment for International Peace zeigt. Der steigende Meeresspiegel, Extremwetterereignisse und höhere Temperaturen könnten sich demnach auf jeden Teil der sogenannten nuklearen Triade der USA – die Abschreckung durch mit Atomwaffen bestückte U-Boote, durch Interkontinentalraketen und durch Bomber – auswirken.

Für die Analyse wurde jeweils eine “repräsentative US-Militärbasis” genauer untersucht:

  • Teile der Infrastruktur der U-Boot-Basis Kings Bay in Georgia am Atlantik sei demnach anfällig für den Meeresspiegelanstieg und damit einhergehende, stärkere Sturmfluten. Der Transport von Nukleargefechtsköpfen zu den U-Booten könnte dadurch in Mitleidenschaft gezogen werden. Auch könnten die flachen Wasserwege vor der Basis durch stärkere Hurrikane unpassierbar werden. Die Kings Bay Basis ist demnach einer von lediglich “zwei US-Stützpunkten, die für die volle Unterstützung der U-Boote mit ballistischen Raketen ausgerüstet sind”.
  • der Minot Luftwaffenstützpunkt in Norddakota, auf dem zahlreiche Atomraketen-Silos untergebracht sind, sei demnach durch Überflutungen gefährdet, wobei Abschussanlagen nicht in Flutgebieten lägen. Der Klimawandel könnte “die extremen Überschwemmungen, die die Region bereits mehrfach verwüstet haben, noch verschlimmern”, so die Carnegie-Autorin Jamie Kwong. Flutschäden an Infrastruktur könnte die Instandhaltung der Raketen-Silos gefährden.
  • auch die Abschreckung durch Tarnkappen-Atombomber sei durch höhere Temperaturen und extremere Niederschläge gefährdet, beispielsweise weil das Personal unter Hitzestress leiden könnte. Extreme Hitze, Sturzfluten oder “eine Kaskade von Ereignissen” könnten dazu führen, dass die Bomber nicht abheben können und somit die nukleare Abschreckung gefährdet ist, so Kwong.

Die Analyse empfiehlt der Regierung unter anderem, regelmäßig die Anfälligkeit der militärischen Einrichtungen für den Klimawandel zu beurteilen und im Bereich der Klimaanpassung einen neuen Fokus auf die nukleare Abschreckung zu legen. nib

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  • Sicherheitspolitik
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Australien tritt Klimaclub bei

Australien ist dem Klimaclub der G7-Staaten beigetreten. Das gab der australische Premierminister Anthony Albanese am Montag auf einer gemeinsamen Pressekonferenz mit Bundeskanzler Olaf Scholz bekannt. “Das ist nicht nur das Richtige für die Umwelt, sondern auch für die Arbeitsplätze und unsere Wirtschaft“, sagte Albanese.

Der Klimaclub geht auf eine Initiative von Scholz zurück. Er soll grüne Leitmärkte in schwer zu dekarbonisierbaren Industriesektoren fördern, indem einheitliche Standards für die Industrietransformation gesetzt und gemeinsame Märkte entwickelt werden.

Ursprünglich kommt die Idee des Klimaclubs von dem Wirtschaftswissenschaftler William Nordhaus. Sein 2015 vor der COP21 in Paris vorgeschlagenes Konzept sah vergleichbare Mechanismen zur CO₂-Bepreisung in den einzelnen Mitgliedsstaaten und Strafen für Nicht-Mitglieder vor, die eine weniger ambitionierte Klimapolitik verfolgen, beispielsweise in Form eines CO₂-Grenzausgleichs. Scholz’ Klimaclub unterscheidet sich grundlegend von diesen Vorschlägen.

Neben den G7-Staaten und der EU sind bisher auch Argentinien, Chile, Dänemark, Indonesien, Kolumbien, Luxemburg, die Niederlande, die Schweiz, Singapur und Uruguay dem Klimaclub beigetreten. nib

  • Australien
  • Klimaclub

Energiecharta: Kommission schlägt EU-Austritt vor

Die EU-Kommission hat am Freitag den kollektiven Austritt der EU und ihrer Mitgliedstaaten aus dem Energiecharta-Vertrag (ECT) vorgeschlagen. Sie reagierte damit auf die fehlende Unterstützung für die im vergangenen Jahr ausgehandelte Reform des internationalen Vertrages aus den 1990er-Jahren, der Grundlage für viele Klagen von Energieunternehmen vor privaten Schiedsgerichten ist.

Die Kommission hatte zunächst versucht, die EU-Staaten für die Modernisierung des ECT zu gewinnen. Sie erreichte dafür aber nicht die nötige qualifizierte Mehrheit. In den vergangenen Monaten hatte ein EU-Staat nach dem anderen seinen Austritt aus der Charta angekündigt. Im Dezember beschloss die Bundesregierung formell den Ausstieg Deutschlands. Auch das Europaparlament hat sich vergangenen November für einen Rückzug ausgesprochen.

“Rückzug einzige Option”

Da die nötige Zustimmung zum modernisierten Vertrag fehle, sei “ein Rückzug der EU aus dem ECT die einzige verfügbare Option”, schreibt die Kommission in ihrer Vorlage für den Ratsbeschluss. Diese braucht ebenfalls eine qualifizierte Mehrheit der Mitgliedstaaten. Die Energieminister sollen beim informellen Rat im spanischen Valladolid diese Woche darüber beraten.

Laut dem Vorschlag würde die EU ein Jahr nach der Notifizierung des Rückzuges aus dem ECT austreten. Die Bestimmungen zum Schutz von Investoren würden wegen der sogenannten Sunset-Klausel aber dann noch weitere 20 Jahre gelten. Um Klagen innerhalb der EU zu erschweren, schlägt die Kommission eine entsprechende Vereinbarung der Mitgliedstaaten vor. tho

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  • Klimaklagen

Report: Gender-Diskriminierung kann Klimaanpassung schaden

Viele Länder, in denen Frauen nur eingeschränkt Zugang zu Bildung, medizinischer Versorgung und wirtschaftlicher Unabhängigkeit haben, sind besonders schlecht gegen die Klimakrise gerüstet. Zu diesem Ergebnis kommt ein neuer Report der NGO “Population Institute”. Sie setzt sich von Washington, D.C. aus für die Gleichberechtigung der Geschlechter und einen universellen Zugang zu sexueller und reproduktiver Gesundheitsversorgung ein.

Laut dem Bericht “Population and Climate Vulnerability” wächst in den 80 Ländern, die am besonders anfällig gegen die Auswirkungen des Klimawandels sind, die Bevölkerung doppelt so schnell wie im globalen Durchschnitt. Das habe in vielen Ländern mit einer Ungleichbehandlung der Geschlechter zu tun. So mangle es beispielsweise am Zugang zu Familienplanung.

Lisa Schipper, als Professorin für Entwicklungsgeographie der Uni Bonn auf Klimaanpassungsforschung spezialisiert und nicht am Report beteiligt, betont die Bedeutung von Geschlechtergerechtigkeit für Anpassung. Es gehe aber nicht um Bevölkerungskontrolle an sich, sagte Schipper. Sie sei “nicht die erste Verteidigungslinie oder die beste Anpassungsstrategie. Wir können viele, viele andere Dinge besser machen, um die Menschen weniger verletzbar zu machen.”

Laut “Population Institute” belaste “die Kombination aus schweren Klimafolgen und schnellerem (Bevölkerungs-)Wachstum … die Fähigkeit der Regierungen, grundlegende Dienste für die Klimaanpassung und Widerstandsfähigkeit bereitzustellen”. Das verstärke die Auswirkungen des Klimawandels und die Anfälligkeit für die Folgen der Klimakrise noch.

Der vom UNDP jährlich erstellte Index der geschlechtsspezifischen Ungleichheit (Gender Inequality Index, GII) liegt laut “Population Institute” in den 80 Ländern, die besonders schlecht in der Lage sind, sich gegen die Klimakrise zu schützen, im Durchschnitt bei 0,521. Dort würden besonders viele junge Mädchen Mutter, und die Müttersterblichkeit sei besonders hoch. Ein hoher GII-Wert steht dabei für eine hohe geschlechtsspezifische Ungleichheit. Zum Vergleich: Deutschlands GII liegt bei 0,073. Der Indexwert der USA beträgt 0,179, der weltweite Durchschnitt liegt bei 0,465. ae

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  • UNDP

Presseschau

Nachricht: In Uruguay herrscht die schlimmste Dürre seit Langem, viele Haushalte könnten bald kein Wasser mehr haben DW
Nachricht: Die EU sieht ein globales Biodiversitätsziel in Gefahr, wenn es ihr nicht gelingt, das eigene Naturschutzgesetz zu verabschieden Reuters
Nachricht: Pazifische Inselstaaten haben “gemischte Gefühle” nach dem Kompromiss zu den Klimazielen in der Schifffahrt Climate Home News
Podcast: Klimawandelleugner und Desinformation rund ums Klima – in mehreren Folgen rollt der Podcast sowohl vergangene als auch aktuelle Entwicklungen auf Origin Story
Analyse: Drei Hitzerekorde in einer Woche – was steht dahinter? AP News
Recherche: Doppelagenten – Lobbyisten der fossilen Industrie in den USA arbeiten auch für Gruppen, die gegen die Klimakrise kämpfen The Guardian
Analyse: Wie der Klimawandel Reiseziele verändern wird Financial Times
Essay: Warum die Antarktis der letzte Ort ist, an den jemand reisen sollte The Atlantic
Interview: Kann Literatur die Welt grüner machen? Ein Gespräch mit T.C. Boyle Die Zeit
Daten-Recherche: So schnell schmelzen die Gletscher weltweit Bloomberg

Standpunkt

Keine Zeit für Fatalismus: 1,5 Grad sind noch zu halten

Von Carl-Friedrich Schleussner, Bill Hare und Johan Rockström
Carl-Friedrich Schleussner, Bill Hare und Johan Rockström
Carl-Friedrich Schleussner, Bill Hare und Johan Rockström

Das Ziel der Pariser Klimakonferenz, die globale Erwärmung auf 1,5 Grad Celsius zu beschränken, ist erneut in den Schlagzeilen. Laut aktueller Prognosen der Weltorganisation für Meteorologie besteht “eine 66-prozentige Wahrscheinlichkeit, dass die Jahresdurchschnittstemperatur in Bodennähe zwischen 2023 und 2027 für mindestens ein Jahr mehr als 1,5 Grad Celsius über dem vorindustriellen Niveau liegt”. Ein besonders starker El-Niño-Zyklus bedeutet, dass es mit ziemlicher Sicherheit Rekordtemperaturen geben wird.

Aber so beängstigend diese Warnungen auch sein mögen: Noch schlimmer wäre es, wenn ein Jahr oberhalb der 1,5 Grad so interpretiert würde, dass das 1,5-Grad-Ziel verfehlt wurde. Diese falsche Schlussfolgerung würde uns dazu bringen, das Ziel des Pariser Abkommens aufzugeben, anstatt es wie nötig noch stärker zu verfolgen.

Ein oder wenige Jahre mit extremen Temperaturen bedeutet nicht, dass das 1,5-Grad-Ziel gescheitert ist. Es bezieht sich auf menschlich verursachte Temperaturveränderungen, die über Jahrzehnte hinweg gemessen werden. Daran müssen wir uns dringend erinnern, um den gefährlichen Klimafatalismus abzuwehren, der in den letzten Jahren zugenommen hat.

Die 1,5-Grad-Grenze kann immer noch gehalten werden

Ja, jetzt wo sich der Planet um etwa 1,2 Grad Celsius gegenüber dem vorindustriellen Niveau aufgeheizt hat, werden uns “Jahrhundert”-Hitzewellen, Waldbrände und Überschwemmungen immer vertrauter. In einigen tief liegenden Regionen wird die Bevölkerung bereits durch steigende Meeresspiegel zur Umsiedlung gezwungen. Aber zwischen 1,2 und 1,5 Grad (und ganz zu schweigen von 1,5 und 2 Grad) besteht immer noch ein erheblicher Unterschied, und die Wissenschaft zeigt uns, dass es weiterhin möglich ist, am Ende des Jahrhunderts bei oder unter 1,5 Grad Celsius zu landen.

Die Bedeutung und Notwendigkeit der 1,5-Grad-Grenze wird von der aktuellen Klimaforschung bestätigt. Wie der Weltklimarat IPCC im letzten Jahr gewarnt hat, können extreme Wetterereignisse, der Zusammenbruch von Ökosystemen und planetarische Kipppunkte bereits bei deutlich niedrigerer globaler Erwärmung stattfinden als bisher gedacht. Seit dem letzten Berichtszyklus des IPCC im Jahr 2014 haben wir immer mehr Beweise dafür gefunden, dass sogar eine um lediglich 1,5 Grad wärmere Welt extrem herausfordernd wäre – und dass eine Erwärmung über diese Grenze hinaus wirklich katastrophale Folgen hätte.

Mit jedem zusätzlichen Zehntelgrad Erwärmung werden mehr Menschen unter lebensbedrohlichen Hitzewellen, Wasserknappheit und Überschwemmungen leiden. Schlimmer noch, verschiedene Studien zeigen, dass die Wahrscheinlichkeit von Kipppunkten -wie dem möglichen Kollaps des westantarktischen Eisschildes – über 1,5 Grad exponentiell steigt. Diese Kipppunkte stellen rote Linien dar: Die Welt würde dann zwar nicht untergehen, sich aber grundlegend verändern. Noch mehr Eis würde schmelzen, die Meeresökosysteme würden sich verändern und der Meeresspiegel würde steigen – und all das wäre dann unumkehrbar.

Bis 2030 Emissionen halbieren

Der einzige vernünftige Ansatz besteht darin, diese Gefahr zu verringern, indem wir die Treibhausgasemissionen so schnell wie möglich senken. Dann können wir, auch wenn wir kurzfristig die 1,5-Grad-Grenze überschreiten, langfristig dorthin zurückkehren. Aber dies ist nur möglich, wenn wir die fossilen Emissionen auf null bringen – als ersten entscheidenden Schritt hin zu Nettonull-Treibhausgasemissionen.

Genauso wichtig ist es, die natürlichen Land- und Meeressysteme zu schützen, die Kohlenstoff absorbieren und speichern. Gerät (beispielsweise durch das Tauen des Permafrostbodens) der Kohlenstoffzyklus der Erde aus den Fugen, werden wir nicht mehr in der Lage sein, die globalen Temperatursteigerungen rückgängig zu machen.

Um die Erwärmung in diesem Jahrhundert auf 1,5 Grad zu begrenzen, müssen wir bis 2030 unsere Emissionen halbieren. Diese Zahl ist nicht beliebig: Nur wenn dies geschieht, können wir die Erwärmungsgeschwindigkeit in den 2030ern halbieren und in den 2040ern zum Stillstand bringen. Wir haben die Wahl, das Problem des Klimawandels selbst zu lösen, oder unseren Kindern eine zivilisatorische Zeitbombe zu übergeben.

Die Grenzen der Anpassung

Verlangsamt sich der Erwärmungsprozess, verschafft uns das auch wertvolle Zeit für Anpassungsmaßnahmen. Sogar ein reiches Land wie die Vereinigten Staaten stößt bei der Frage, wie schnell und vollständig es sich an die Folgen des Klimawandels anpassen kann, an seine Grenzen. Anderswo ist die Lage viel schlimmer: Katastrophen wie die letztjährigen Überschwemmungen in Pakistan können die Wirtschaft eines Landes zerstören und es in eine Abwärtsspirale von Armut und steigenden Schulden stürzen. Dazu kommen noch künftige Klimakatastrophen, auf die vorzubereiten sich viele Länder nicht leisten können.

Außerdem ist die 1,5-Grad-Grenze die Grundlage vieler Nettonullverpflichtungen von Regierungen, Unternehmen und Städten auf der ganzen Welt. Hinter den Auslaufplänen für Kohle (wie in Deutschland, Vietnam oder Großbritannien) steht eine auf 1,5 Grad ausgerichtete Modellierung, die zeigt, dass die OECD-Länder bis 2030 und Nicht-OECD-Länder bis 2040 auf Kohle verzichten müssen. Kurz darauf muss dies dann auch für Gas gelten.

Die Prioritäten: CCS kommt erst zum Schluss

Da die verbleibende Zeit immer kürzer wird, geben uns diese auf der 1,5-Grad-Grenze beruhenden Modelle die richtigen Prioritäten vor: Zuerst müssen wir die Stromerzeugung dekarbonisieren, und dann das Transportwesen, die Bauwirtschaft und die Industrie so stark wie möglich elektrifizieren, wobei wir gleichzeitig den Verbrauch verringern. Über diese leicht erreichbaren Ziele hinaus müssen wir dann auch die Technologien zur Entfernung von Kohlendioxid aus der Atmosphäre ausbauen.

Die Investitionen gehen bereits in diese Richtung: Seit dem Pariser Abkommen von 2015 sind Solarstrom, Windenergie und Akkus viel billiger geworden. Elektrofahrzeuge und Wärmepumpen gehören immer mehr zur Normalität. Dies sind marktgetriebene Reaktionen auf staatliche Anreize: Um Vertrauen zu schaffen und das Wachstum sauberer Energieträger zu unterstützen, waren politische Vorgaben enorm wichtig.

Gefahr einer fossilen Renaissance

Aufzugeben und sich vom 1,5-Grad-Ziel zu verabschieden, würde großen Emittenten einen Freibrief geben. Anstatt Vertrauen zu schaffen würde es uns signalisieren, dass wir weniger erwarten sollten – und all jene im Stich lassen, die an Orten leben, wo es an Ressourcen und Möglichkeiten zur Anpassung an eine wärmere Welt mangelt.

Setzen wir uns jetzt nicht für die ehrgeizigsten wissenschaftlich fundierten Ziele ein, werden jene, die nichts ändern wollen, unseren Fatalismus ausnutzen. Beispielsweise hat der BP-Konzern – nach einem enorm profitablen Jahr, das Russlands Krieg in der Ukraine geschuldet war – kürzlich angedeutet, dass er nun einen großen Teil seiner eigentlich für die Dekarbonisierung vorgesehenen Investitionen wieder in Öl und Gas umleiten will.

Unsere besten wissenschaftlichen Erkenntnisse deuten darauf hin, dass das 1,5-Grad-Ziel immer noch erreichbar ist, und sie zeigen uns, wie wir dorthin kommen können. Wie es der britische Klimawandeldiplomat Pete Betts ausdrückt: “Wenn wir 1,5 Grad überschreiten, heißt das nicht, dass wir aufgeben sollten. Es heißt, dass wir uns mehr anstrengen müssen.”

Carl-Friedrich Schleussner ist klimawissenschaftlicher Vorsitzender bei Climate Analytics und Honorarprofessor an der Humboldt-Universität Berlin. Bill Hare ist Gründer und CEO von Climate Analytics. Johan Rockström ist Direktor des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung und Professor für Erdsystemwissenschaft an der Universität von PotsdamIn Kooperation mit Project Syndicate, 2023. Aus dem Englischen von Harald Eckhoff.

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Climate.Table Redaktion

REDAKTION CLIMATE.TABLE

Licenses:
    Liebe Leserin, lieber Leser,

    am 15. Juli ist der erste “europaweite Gedenktag für die Opfer der globalen Klimakrise”. Die EU will an diesem Tag an “die Toten und die Betroffenen von Klimakatastrophen” erinnern. EU-Klimakommissar Timmermanns wird in drei Regionen reisen, die 2021 besonders von Extremwetter betroffen waren. Eine schöne Geste. Doch reicht das angesichts der derzeitigen Hitzewellen und Überschwemmungen in zahlreichen Weltregionen aus? Müsste es nicht eine europaweite Schweigeminute geben? Ein öffentliches Innehalten, damit die Klimakrise wirklich im Bewusstsein der Menschen ankommt, statt im parteipolitischen Klein-Klein unterzugehen?

    Die EU selbst hat gestern bei dem wichtigen Gesetz zur Wiederherstellung der Natur gerade noch die Kurve gekriegt. Überraschenderweise wurde das Gesetz vom Europaparlament doch angenommen – Claire Stam hat die Details. Was die neuen Klimaziele für die internationale Schifffahrt für die zukünftigen Emissionen bedeutet, berichtet Bernhard Pötter.

    Während es bei der Schifffahrt bald mehr Klarheit über Emissionen gibt, wird Russland zunehmend zur “Black Box”. Drei weitere Klima-NGOs wurden nun verboten, was gravierende Auswirkungen für die Klimapolitik hat, weiß Angelina Davydova. Und warum Großbritannien kein Vorreiter mehr ist, berichtet Philippa Nuttall Jones.

    Beste Grüße

    Ihr
    Nico Beckert
    Bild von Nico  Beckert

    Analyse

    Erfolg für Green Deal: EU-Parlament beschließt Renaturierungsgesetz

    Selten wurde eine Abstimmung im EU-Parlament mit so viel Spannung erwartet. Nach wochenlangen politischen Streitereien über Manipulationsvorwürfen und Druck durch Green-Deal-Kommissar Frans Timmermans fiel endlich das Urteil: Die in Straßburg versammelten Abgeordneten nahmen am gestrigen Mittwoch den umstrittenen Entwurf einer Verordnung zur Wiederherstellung der Natur mit 336 Ja-Stimmen, 300 Nein-Stimmen und 13 Enthaltungen an. Kurz zuvor war ein von Christdemokraten (EVP) eingebrachter Antrag, das Gesetz als Ganzes abzulehnen, mit zwölf Stimmen Mehrheit abgelehnt worden.

    Das Gesetz war zuletzt zum Symbol der politischen Spannungen um die europäische Umweltpolitik geworden, knapp ein Jahr vor den Europawahlen. Die Annahme der Parlamentsposition bedeutet, dass die Trilog-Verhandlungen zwischen Kommission, Parlament und den Mitgliedstaaten beginnen können. Der weitere Weg des Gesetzes ist dadurch allerdings nicht leichter geworden.

    Schwächer als Kommission und Rat

    Zwar hat das EU-Parlament einen Änderungsantrag angenommen, auf Basis der Ratsposition weiterzuarbeiten. Jedoch ist das Ambitionsniveau des Rates deutlich unter dem Kommissionsvorschlag, weshalb auch die Befürworter des Renaturierungsgesetzes – Grüne, Sozialdemokraten, Linke und einige Liberale – gestern nur vorsichtig feiern konnten. Der schließlich angenommene Text sei eine Mischung aus der Ratsposition und den Änderungsanträgen des Parlaments, erklärte der verantwortliche Berichterstatter für das Renaturierungsgesetzes, Cesar Luena (S&D).

    “Wir befinden uns in einer bizarren Situation, in der der Text des Parlaments weniger ambitioniert ist als der des Rates”, gestand der Vorsitzende des Umweltausschusses, Pascal Canfin (Renew), ein. Normalerweise sei es umgekehrt. Der gesamte Teil, der sich mit der Landwirtschaft befasst, sei verwässert worden. “Das ist ein wichtiger Aspekt, den wir mit dem Rat verhandeln wollen”, so Canfin.

    Berichterstatter Luena schmerzt besonders die Streichung eines Artikels zur Wiederherstellung landwirtschaftlicher Ökosysteme, darunter auch Ziele für die Wiedervernässung trockengelegter Torfmoore. Die ultrakonservative EKR-Fraktion hatte dies beantragt und dafür eine Mehrheit erhalten.

    “Besser als keinen Text”

    Luena und Canfin betonten, es sei besser, einen verwässerten Text zu haben als gar keinen Text. Vor allem aber sei durch die Abstimmung die “Geiselnahme” eines wesentlichen Gesetzes des Green Deals durch die EVP unter Manfred Weber beendet, erklärten sie. Der Text sei nicht verwässert worden, konterte Weber. “Er wurde geändert, um sicherzustellen, dass er vor Ort richtig umgesetzt werden kann.”

    Der ehemalige französische Umweltminister Canfin hob abschließend noch das wichtige globale Signal hervor: Die Annahme des Textes im EU-Parlament sei wenige Monate vor der COP28 bedeutsam. Auf der internationalen Klimabühne habe die EU auf mehr Ehrgeiz bei der Biodiversität gedrängt. “Wir stehen unter Beobachtung”, sagte er und betonte, dass die Glaubwürdigkeit der EU bei den internationalen Verhandlungen über Klima und Biodiversität auf dem Spiel stehe. “Wenn die EU den Text abgelehnt hätte, hätte sie das Signal ausgesendet, dass sie andere Länder dazu drängt, etwas zu tun, was sie selbst zu Hause nicht umsetzen will.

    Ziele des Gesetzes leicht geschwächt

    Der Kompromiss bedeutet, dass das Ursprungsziel des Gesetzes leicht abgeändert wird. Zwar sollen weiterhin bis 2030 mindestens 20 Prozent aller Land- und Meeresflächen in der EU renaturiert werden. Jedoch soll diese Quote nur auf Lebensräume angewendet werden, die sich nicht in einem “guten Zustand” befinden. Zudem muss das Ziel nicht für jede Lebensraumgruppe einzeln erreicht werden, sondern für alle im Durchschnitt.

    Eine weitere Abschwächung gegenüber des Kommissionsvorschlags steckt im Verschlechterungsverbot für Habitate, die Gegenstand von Wiederherstellungsmaßnahmen sind. Die neuen Regeln sollen nur im Falle einer “signifikanten” Verschlechterung gelten, beschloss der Rat. Im Falle von Gebieten, die sich bereits in einem guten Zustand befinden oder in denen noch keine Wiederherstellungsmaßnahmen durchgeführt wurden, insbesondere außerhalb von Natura-2000-Gebieten, “werden sich die Mitgliedstaaten bemühen, die erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, um eine erhebliche Verschlechterung zu verhindern”. Dies bedeutet eine aufwandsbasierte Verpflichtung statt einer ergebnisorientierten.

    Erschwert werden könnten die Trilog-Verhandlungen auch durch die vorgezogenen Parlamentswahlen in Spanien am 23. Juli. Teresa Ribera, spanische Ministerin für den ökologischen Wandel, hatte angekündigt, “alles zu tun”, um im Trilog unter der spanischen Ratspräsidentschaft eine Einigung zu erzielen. Sie könnte jedoch schon bald nicht mehr Teil der Regierung sein, da ein rechtes Parteienbündnis die Macht übernehmen könnte.

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    Großbritannien verspielt Vorreiterrolle in der Klimapolitik

    “Das Vereinigte Königreich hat seine klare globale Führungsposition beim Klimaschutz verloren”. Dies war nur einer der vernichtenden Sätze im Fortschrittsbericht an das britische Parlament, den das Climate Change Committee (CCC) Ende Juni veröffentlicht hat. Das CCC spielt für die britische Klimapolitik eine wichtige Rolle: Es wurde 2008 unter dem Climate Change Act als ein unabhängiges, öffentliches Gremium eingerichtet, um dem Parlament regelmäßig über den Fortgang der Klimapolitik zu berichten und die Regierung zu beraten.

    In seinem jüngsten Bericht nahm es kein Blatt vor den Mund. Zwar habe das Land auf “jüngste Preiskrise bei fossilen Brennstoffen” reagiert, aber dabei nicht die “raschen Schritte” getan, “die zur Verringerung der Energienachfrage und zum Ausbau der erneuerbaren Energien hätten unternommen werden können”. Großbritannien habe auch “bei den Zusagen für fossile Brennstoffe einen Rückzieher gemacht, mit der Genehmigung einer neuen Kohlemine und der Unterstützung für neue britische Öl- und Gasförderung”.

    Ohne eine Änderung der Politik würde sich die Lage verschlimmern, machte das CCC deutlich. Das Vereinigte Königreich würde seine Emissionsreduktionsziele für 2030 verfehlen.

    Sunak verliert an Rückhalt in seiner Partei

    Der frühere Premierminister Boris Johnson begriff den Klimaschutz noch als außenpolitisches Element seiner Politik. Doch seine Nachfolger zeigen wenig Interesse am Thema. Der Einmarsch Russlands in der Ukraine und die folgende Energiekrise wurden genutzt, um die Energiekrise an die Spitze der politischen Agenda zu setzen. Die Folge: Es wird lautstark auf die Notwendigkeit von einer vermehrten Förderung von britischem Öl und Gas hingewiesen.

    Sunak erntet dafür auch viel Gegenwind unter seinen eigenen Leuten. Als Zac Goldsmith Ende Juni von seinem Amt als Klimaminister zurücktrat, rechnete er mit dem Premier ab: “Das Problem ist nicht, dass die Regierung der Umwelt gegenüber feindlich gesinnt ist, sondern dass Sie, unser Premierminister, einfach desinteressiert sind”. Dieses Desinteresse habe die Regierung gelähmt.

    Nächste Klimaklage gegen die Regierung

    Doch der Druck auf Sunak, mehr zu unternehmen, nimmt zu. Drei gemeinnützige Organisationen, Friends of the Earth, ClientEarth und Good Law Project, kündigten diesen Monat an, dass sie die Regierung zum zweiten Mal innerhalb von weniger als zwei Jahren wegen ihrer “schwachen und unzureichenden Strategie zur Bekämpfung des Klimawandels” verklagen werden.

    Im Juli 2022 hatte der Oberste Gerichtshof entschieden, dass die Netto-Null-Strategie des Vereinigten Königreichs nicht den Verpflichtungen der Regierung aus dem Klimaschutzgesetz entspricht. Das Gesetz sieht vor, dass die Regierung politische Strategien vorlegt, aus denen hervorgeht, wie die rechtlich verbindlichen Kohlenstoffbudgets des Vereinigten Königreichs eingehalten werden sollen. Das CCC hat festgestellt, dass es nur glaubwürdige Pläne für weniger als ein Fünftel der Emissionssenkungen gibt, die notwendig wären, um die Klimaziele des Landes zu erreichen.

    Die Nichtregierungsorganisationen argumentieren nun: Auch die überarbeitete Netto-Null-Strategie, die die Regierung Anfang des Jahres veröffentlicht hat, bleibe hinter dem für die Erreichung der Klimaziele Nötigen zurück.

    Wo steht die Labour-Partei?

    Lord Deben, ein Parteifreund Sunaks und bis vor kurzem Vorsitzender des CCC, hatte sich in einer Fernsehdebatte Anfang Juli sogar auf die Seite der oppositionellen Labour-Partei geschlagen und ihre Forderung unterstützt, alle neuen inländischen Öl- und Gasprojekte zu stoppen.

    Die Rhetorik des Labour-Vorsitzenden Keir Starmer deutet darauf hin, dass das Vereinigte Königreich unter einer Mitte-Links- statt einer Mitte-Rechts-Regierung an Klimadynamik gewinnen würde. Dennoch sind auch Starmers klimapolitische Absichten nicht immer klar. Labour verspricht bei einer Wahl im Jahr 2025 zwar:

    • das britische Energiesystem bis 2030 zu dekarbonisieren – fünf Jahre vor dem Zeitplan der aktuellen Regierung
    • die Ausgaben für grüne Technologien zu erhöhen
    • innerhalb von fünf Jahren bis zu acht Gigawatt an erneuerbare Energien-Projekten zu schaffen und das De-facto-Verbot für Onshore-Windenergieprojekte zu beenden
    • den Übergang zu Netto-Null-Emissionen “fair” zu gestalten und die Schaffung von grünen Arbeitsplätzen in Großbritannien zu verfolgen.

    Doch Starmer scheint sich weniger wohl dabei zu fühlen, das ganze Ausmaß der Klimakrise zu erkennen. Die Sunday Times zitierte ihn diesen Monat mit den Worten, er “hasse Baumumarmer”.

    Unklarheit bei Klimafinanzierung

    Und wie so oft scheint Geld, insbesondere die internationale Klimafinanzierung, ein heikles Thema für beide Parteien zu sein. In den letzten Wochen wurde in den Medien diskutiert, ob Sunak die 2019 gemachte Zusage Großbritanniens, die Klimafinanzierung für die ärmsten Länder der Welt bis 2026 auf 11,6 Milliarden Pfund zu verdoppeln, einhalten wird. Presseartikel deuten darauf hin, dass auch Starmer zögert, dieses Versprechen zu halten. Von Philippa Nuttall Jones

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    Russlands Klimapolitik wird undurchschaubar

    Seit dem Beginn des Krieges in der Ukraine wächst in Russland der Druck auf jede Form von unabhängigem öffentlichem Aktivismus und kritischer Analyse. Schon 2022 wurden fünf russische Umwelt-NGOs aufgrund ihrer internationalen Verbindungen als “ausländische Agenten” eingestuft. Das erschwert die Arbeit der Organisationen erheblich. Unter anderem ist ihnen die Zusammenarbeit mit Behörden und staatlichen Bildungseinrichtungen untersagt. Deshalb beschlossen vier der fünf Organisationen, ihre Arbeit als NGOs einzustellen. Ihre Expertinnen und Experten arbeiten jetzt inoffiziell weiter, zum Beispiel auf persönlicher Ebene.

    Im Jahr 2023 wurde auch der Druck auf internationale Organisationen verstärkt, die noch in Russland arbeiten. Viele Klima- und Umweltorganisationen waren trotz des Krieges in der Ukraine im Land geblieben – im Gegensatz zu den meisten internationalen Menschenrechts- oder politischen Organisationen, einschließlich aller deutschen politischen Stiftungen, die ihre Büros im Land schon zuvor schließen mussten.

    Fünftgrößter Emittent weltweit

    Dass sie nun auch unter Druck geraten, verschlechtert die Aussichten für eine wirksame russische Klimapolitik. Das hat Auswirkungen auf das Weltklima: Russland ist nach China, den USA, der EU und Indien der fünftgrößte Emittent von Treibhausgasen weltweit. Zwar sanken die Emissionen des Landes vor allem wegen der Wirtschaftskrise in den 1990er und frühen 2000er Jahren. 2012 waren sie um 32 Prozent niedriger als 1990, wenn man die CO₂-Sequestrierung durch Wälder nicht berücksichtigt. Berechnet man sie mit ein, lagen sie um 50 Prozent niedriger. Derzeit liegen die Emissionen ohne Landnutzungsänderungen etwa 30 Prozent unter dem Niveau von 1990.

    In den Jahren vor dem Beginn des Krieges in der Ukraine sind die russischen Emissionen langsam angestiegen. Wie sie sich weiter entwickeln, hängt vor allem von der künftigen Wirtschaftsleistung Russlands ab, und damit auch von den internationalen Sanktionen und Handelshemmnissen. Russlands Low-Carbon Strategy bis 2050 sieht ein Netto-Null-Ziel für das Jahr 2060 vor und rechnet mit einer erheblichen Zunahme der CO₂-Bindung durch Wälder. Einige Analysten halten das für unrealistisch. Climate Action Tracker bezeichnet Russlands Klimapolitik als “kritisch unzureichend”.

    Unerwünscht: Greenpeace, WWF, Bellona

    Im April 2023 wurde die norwegische Umweltorganisation Bellona als unerwünscht eingestuft. Im Mai folgte Greenpeace International, im Juni WWF International, im Juli das Altai-Projekt. Damit ist ihnen praktisch jede Aktivität im Land untersagt. Russische Bürgerinnen und Bürger können für die Zusammenarbeit mit diesen Organisation strafrechtlich belangt werden.

    Bellona hatte ihr Büro in der Russischen Föderation bereits 2022 geschlossen. Die Organisation arbeitet nun von einem neuen Büro im Exil in Vilnius aus weiter zu Russland. Greenpeace ist gerade dabei, sein Büro in Moskau zu schließen. Beide Organisationen waren seit über 30 Jahren in Russland tätig. Die russische Organisation World Wide Fund for Nature kündigte an, nicht mehr mit dem internationalen WWF zusammenzuarbeiten, auf das Panda-Logo und das Akronym “WWF” zu verzichten.

    Der offizielle Grund für das Verbot der internationalen Organisationen ist: Sie haben sich kritisch gegenüber großen neuen Infrastrukturprojekten geäußert und sich bemüht, diese unabhängig zu untersuchen. Darunter waren auch Projekte zur Gewinnung fossiler Brennstoffe, insbesondere in der arktischen Region.

    Tatsächlich aber verdrängt Russland alle internationalen Organisationen, die unabhängiges Fachwissen und Analysen liefern, klima- und umweltpolitische Maßnahmen bewerten, alternative Ansichten zu denen des Staates äußern und die Weltgemeinschaft über Umwelt- und Klimamissstände im Lande informieren könnten.

    Großer Verlust von Klima- und Umweltexpertise

    Mit dem Rückzug dieser Organisationen aus Russland geht viel unabhängige Klima- und Umweltexpertise verloren – rein zahlenmäßig und auch qualitativ. Schließlich verfügten all diese Organisationen über Dutzende von Expertinnen und Experten. Sie haben Gesetzesänderungen sowie Regierungs- und unternehmerische Maßnahmen analysiert und kritisiert, organisierten Kampagnen in der Öffentlichkeit und den Medien und konnten mit Tausenden von Freiwilligen zusammenarbeiten.

    Auch die Unterstützung für viele Umwelt-Basisinitiativen nimmt ab. Selbst während des Krieges in der Ukraine gibt es in den meisten Regionen Russlands nach wie vor Basis-Umweltbewegungen und Proteste. Ihre Initiatorinnen und Initiatoren erhielten bis vor kurzem rechtliche, administrative oder mediale Unterstützung beispielsweise von Greenpeace oder WWF Russland.

    Raum für unabhängige Analysen schwindet

    Dass die internationalen NGOs sich zurückziehen, ist ein schwerer Schlag für die Klimapolitik des Landes. In den vergangenen Jahren gehörten WWF Russland und Greenpeace zu den wichtigsten Klimaorganisationen. Zum Beispiel erstellte Greenpeace zusammen mit einer Reihe von Forschenden und weiteren Experten im Jahr 2021 den “Green Turn” Bericht (Disclaimer: Die Autorin dieses Textes war Redakteurin dieses Berichts). Er zeigt auf, welchen Bedrohungen und Risiken Russland durch die Klimakrise ausgesetzt ist, und weist auf die Chancen hin, die eine Umstrukturierung der Wirtschaft und die Abkehr von fossilen Brennstoffen bietet.

    Jetzt schwindet die Möglichkeit einer solchen unabhängigen Analyse schnell. Es bleibt nur noch eine offizielle Meinung und keine öffentliche Diskussion. Besonders deutlich wird das bei der kritischen Bewertung der Klimaziele Russlands, der zu ihrer Erreichung erforderlichen Gesetze und Programme und der Klimaerklärungen russischer Unternehmen.

    Elitenschutz statt Klimaschutz

    Anna Korppoo vom Fridtjof Nansen Institut, die mit weiteren Expertinnen und Experten aus Russland und der EU an dem Projekt “Russian Climate Strategy: Imitating Leadership” des Londoner ThinkTanks Climate Strategies mitgewirkt hat, sagt: “Russlands Klimapolitik hatte schon immer einen imitierenden Charakter. Sie zielte darauf ab, wirksame Maßnahmen zur Reduzierung der Treibhausgasemissionen zu verwässern, um die Interessen der Eliten der fossilen Brennstoffindustrie zu schützen”.

    In der Vergangenheit habe externer Druck Russland dazu gebracht, einige echte Klimaregeln zu entwickeln, sagt sie. Beispiele seien die Verwaltung von Joint-Implementation-Projekten im Rahmen des Kyoto-Protokolls in den Jahren 2008 bis 2012 und die Unterstützung der Entwicklung erneuerbarer Energien. Doch seit Februar 2022 “haben dieser Druck und die Anreize des Westens nachgelassen und damit auch die Möglichkeiten der russischen Beamten und der Zivilgesellschaft, auf Mängel in der Umsetzung der Politik hinzuweisen”.

    In der Vergangenheit konnten russische Nichtregierungsorganisationen – zusammen mit kritischen Stimmen innerhalb der Regierung – aktiv an der Festlegung von Klimazielen mitwirken, beispielsweise im Rahmen der Low Carbon Strategy bis 2050, und die Umsetzung der Politik sorgfältig kritisieren. Jetzt werden diese Stimmen fehlen.

    “Obstruktive Rolle in der Klimadiplomatie”

    Zum Beispiel, wenn es darum geht, das unrealistische Ziel der Kohlenstoffsenken in russische Wälder im Rahmen der Low Carbon Strategy infrage zu stellen, sagt Anna Korppoo. Die Senken werden herangezogen, um weitere Emissionen aus dem Industriesektor zu rechtfertigen. Auch die Emissionsberichterstattung und die Klimaversprechen großer russischer Unternehmen bräuchten eine Kontrollinstanz, sagt Korppoo. Aber die russische Gesetzgebung bietet keinen Rahmen, um die erhobenen Daten zu bewerten. Und die NGOs werden nicht mehr da sein, um das zu tun.

    Thane Gustafson, Professor für Politik an der US-Universität Georgetown und Autor des Buchs “Klimat” zur russischen Energiepolitik, betont, das Land sei “in der Klimapolitik wie auf anderen Feldern an das Modell der Kohlenwasserstoffe gekettet”. Es habe sehr wenig Anstrengungen in Erneuerbare und die Entwicklung von E-Autos gesteckt, selbst vor der Invasion der Ukraine. “Bei jeder vernünftigen Projektion wird Russland der ,böse Bube’ der großen CO₂-Verschmutzer bleiben“, so Gustafson. “Ohne Zweifel wird es weiterhin eine obstruktive Rolle in der internationalen Klimapolitik spielen. Es wird seine Wälder herausstellen und groß über Wasserstoff reden. Aber fossile Brennstoffe werden im Zentrum bleiben.”

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    IMO-Einigung soll Schiffsverkehr auf Paris-Kurs bringen

    Das Abkommen zum Klimaschutz der UN-Schifffahrtsorganisation IMO von Ende vergangener Woche ist das seit langem folgenreichste Abkommen im internationalen Klimaschutz. Es kann die Emissionen aus dem Seetransport mit der Zwei-Grad-Grenze in Einklang bringen und die zuletzt festgefahrenen diplomatischen Bemühungen vor der COP28 in Dubai beeinflussen. Allerdings bleibt es hinter den Erwartungen zurück, die Schifffahrt auf einen 1,5-Grad-Kurs zu bringen.

    Am Ende der langen und komplizierten IMO-Verhandlungen des Umweltkomittees MEPC (Marine Environemt Protection Committee) in London, bei denen traditionell weder Medien noch Nichtregierungsorganisationen zugelassen waren, stand ein Kompromiss. Statt Emissionsziele für bestimmte Jahre festzulegen, enthält er Emissions-“Checkpoints”. Diese sind juristisch nicht bindend, sollen aber politisch wirken und der Industrie den Weg zu Investitionen klarmachen.

    Mindestens minus 20 Prozent bis 2030

    Die jetzt getroffene Regelung verschärft die bisherigen Klimaziele der 175 IMO-Länder von 2018. Sie hatten nur eine Reduktion der Emissionen des Sektors bis 2050 um 50 Prozent postuliert. Nun einigten sich die Staaten darauf, dass:

    • die Treibhausgas-Emissionen des internationalen Schiffsverkehrs bis 2030 um mindestens 20 Prozent gegenüber 2008 zurückgehen sollen, angestrebt werden aber 30 Prozent,
    • die Emissionen bis 2040 um 70 Prozent (angestrebt: 80 Prozent) reduziert werden sollen,
    • die Schifffahrt “um oder in der Nähe von 2050” bei Netto-Null sein soll – im “Licht der gemeinsamen, aber differenzierten Verantwortlichkeiten” – ein Hinweis darauf, dass Schwellen- und Entwicklungsländer Ausnahmen und Erleichterungen erwarten,
    • eine geforderte CO₂-Abgabe für die Seefahrt bis Frühjahr 2025 entwickelt und 2027 in Kraft treten soll,
    • die CO₂-Intensität der Schifffahrt bis 2030 gegenüber 2008 um 40 Prozent verringert werden soll.

    “Für Durchbruch fehlt CO₂-Preis”

    Lob gab es nach der Verabschiedung etwa von der EU-Kommission für diesen “Meilenstein, um den CO₂-Fußabdruck des internationalen Schiffssektors zu reduzieren und sicherzustellen, dass er einen fairen Beitrag zur Erreichung des Pariser Abkommens leistet”. Auch David Ryfisch, Klimaexperte der Umwelt- und Entwicklungsorganisation Germanwatch, sprach von einem “wichtigen Fortschritt“: “In nur fünf Jahren steht die Debatte in der Schifffahrt an einem ganz anderen Punkt”, die Risiken für “falsche Lösungen wie in der Luftfahrt beim Offsetting scheinen deutlich geringer.” Für einen echten Durchbruch fehle aber die Einigung auf eine CO₂-Abgabe.

    Immerhin macht der Sektor etwa drei Prozent aller globalen Treibhausgasemissionen aus. Und die Emissionen würden in einem “Business as usual” (BAU)-Szenario von 2008 bis 2050 im Extremfall um 250 Prozent steigen.

    Auch die norwegische Reederei A.P. Moller-Maersk, die für ein ehrgeiziges Abkommen lobbyiert hatte, zeigte sich gegenüber Table.Media zufrieden: Noch vor einem Jahr sei “die bloße Idee, bis 2027 einen globalen Emissionspreis-Mechanismus und einen globalen Standard für umweltfreundliche Kraftstoffe einzuführen, für eine Fantasie gehalten worden”, sagte Simon Bergulf, zuständig für Energiewende und öffentliche Angelegenheiten bei der Reederei. Er sprach von einem “deutlichen Signal an die Schifffahrtsbranche und die Hersteller von Kraftstoffen: Die Zeit für Investitionen ist jetzt, und damit verbundene Risiken sind beseitigt.” Ein CO₂-Preis und die technischen Maßnahmen sollten “innerhalb der nächsten vier Jahre weltweit umgesetzt werden”.

    Kritik: Aufgabe des 1,5-Grad-Ziels

    Umweltgruppen wiederum liefen Sturm gegen die aus ihrer Sicht unzureichenden Ergebnisse: Der neue Kompromiss gebe das 1,5-Grad-Ziel für den Schiffssektor auf. Für dieses Ziel müssten die Emissionen bis 2030 halbiert und bereits bis 2040 auf null gebracht werden, so die Kritik. Nun müssten ehrgeizige “Länder und Blöcke” wie die USA, EU und Großbritannien dabei vorangehen, die Emissionen mit mindestens 100 Dollar pro Tonne CO₂ zu bepreisen. Zu nachhaltigen Treibstoffen hat die EU gerade ihre zuständige FuelEU-Maritime-Regelung verabschiedet.

    Für mehr Klimaschutz auf See fordern die Gruppen, etwa die Clean Shipping Coalition:

    • Anreize für mehr Wind-basierte Antriebe bei Schiffen,
    • Vorgaben für grüne Treibstoffe,
    • Aktionen gegen kurzzeitige Klimakiller wie Methan oder Ruß,
    • Verbindliche Regeln für geringeres Tempo und weniger Verbrauch,
    • Die Einbindung des Seeverkehrs in den Emissionshandel, wie es die EU und Großbritannien bereits beschlossen haben.

    Gegner: Hohe Preise für Export, unrealistische Ziele

    Immerhin zeigte die Einigung in Zeiten von verhärteten Fronten im Klimabereich den Willen zur Kooperation zwischen den Staaten, deren Interessen weit auseinander liegen. Allerdings hatten auch in London nach Berichten von Beobachtern lange die Zeichen auf Konfrontation gestanden: Während eine Allianz aus den Industrie- und Inselstaaten für ehrgeizigere Ziele eintrat, argumentierten Länder mit Exportabhängigkeit oder Ölproduktion wie China, Saudi-Arabien oder Brasilien für weniger Ehrgeiz und gegen “unrealistische Ziele”.

    Besonders die pazifischen Inselstaaten machten Druck, unter den Bremsern waren auch die COP-Gastgeber Vereinigten Arabische Emirate. Das Argument vor allem der lateinamerikanischen Staaten war, dass eine CO₂-Abgabe den Seehandel verteuern, ihre Exportwirtschaft benachteiligen und die bestehenden Ungleichheiten im Welthandel zementieren würde.

    Mit der IMO-Vereinbarung ist nun ein Akteur an Bord, der sich lange aus den Klima-Verpflichtungen herausgehalten hat. Denn seit 1995 wurden die Emissionen des internationalen Flug- und Schiffsverkehrs zwar regelmäßig von der UNFCCC debattiert, aber keinen Reduktionsforderungen unterworfen. Schließlich tauchten sie in den entscheidenden Länderstatistiken zum CO₂-Ausstoß nicht auf.

    “Die globale Schifffahrtsindustrie und die IMO waren immer zurückhaltend beim Klimaschutz und werden von einer Handvoll maritimer Länder kontrolliert”, sagt Saleemul Huq, Direktor des Thinktanks ICCAD in Dhaka und erfahrener Klima-Berater der Entwicklungsländer. “Deshalb ist diese Entscheidung ein wichtiger Durchbruch, damit endlich Verantwortung übernommen und gehandelt wird. Hoffentlich werden wir zukünftig noch mehr Ehrgeiz dabei sehen.”

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    • Klimaziele
    • Verkehrspolitik

    Termine

    10.-19. Juli, New York
    Forum High-Level Political Forum on Sustainable Development 2023
    Das Motto des High-Level Political Forum (HLPF) des Wirtschafs- und Sozialrat der UN (ECOSOC) ist “Accelerating the recovery from the coronavirus disease (COVID-19) and the full implementation of the 2030 Agenda for Sustainable Development at all levels”. Ausführlich evaluiert werden SDG 6 (Wasser), 7 (Energie), 9 (Industrie, Innovation und Infrastruktur), 11 (Städte) und 17 (Partnerschaften). Infos

    13. Juli, 15.30 Uhr, Online
    Diskussion No Water, No Food – Glacier Loss Threats to US and Chinese Agriculture
    Auf der Diskussion des Wilson Center geht es um die Auswirkungen des Abschmelzens des sogenannten “Dritten Pols” (Gletscher im Himalaya) und die Auswirkungen davon auf die Landwirtschaft.  Infos

    13. bis 14. Juli, Brüssel
    G7-Treffen Ministerial on Climate Action
    Das Ministertreffen der G7 zum Thema Klima, Energie und Umwelt im Jahr 2023 wird unter der japanischen G7-Präsidentschaft stattfinden und vorrangige Themen in den Bereichen Klima, Energie und Umwelt behandeln. Infos

    15. Juli, Chaudefontaine, Eschweiler und Valkenburg
    Gedenktag Erster EU-Gedenktag für die Opfer der globalen Klimakrise
    EU-Kommissions-Vizepräsident Frans Timmermans reist anlässlich des ersten EU-weiten Gedenktags für die Opfer der globalen Klimakrise nach Chaudefontaine (B), Eschweiler (D) und Valkenburg (NL). Dort trifft er Betroffene und Helfende der Flutkatastrophe des Sommers 2021. Infos

    17.-18. Juli, Brüssel
    Gipfeltreffen EU-CELAC Summit
    Das Treffen zwischen der EU und der Gemeinschaft der Lateinamerikanischen und Karibischen Staaten (CELAC) bringt Spitzenpolitiker aus den beiden Regionen zusammen.  Infos

    19. Juli, 10 Uhr, Online
    Webinar Klimaanpassung im Kontext des kulturellen Erbes
    Welche Auswirkungen hat die Klimakrise für das kulturelle Erbe und wie kann man dem begegnen? Darüber wird auf dem Webinar des Zentrums KlimaAnpassung diskutiert.  Infos

    19. Juli, 15 Uhr, Augustusburg
    Workshop Iss was? Welchen Einfluss meine Ernährung auf den Klimawandel hat
    Bei dem Workshop der Heinrich-Böll-Stiftung werden die Zusammenhänge zwischen Ernährung und Klimakrise ausgearbeitet.  Infos

    News

    Klima in Zahlen: Minusrekord in der Antarktis

    Auf den ersten Blick sieht der Trend so aus, wie man ihn vom anderen Ende der Welt kennt: Die Ausdehnung des Meereises vor der Antarktis liegt im dort beginnenden Winter auf einem historischen Tiefstand. Es froren bislang 2,1 Millionen Quadratkilometer weniger Meerwasser fest als im langjährigen Mittel, seit 1979 die Satellitenmessungen begannen: Eine Fläche so groß wie Grönland oder etwa sechsmal so groß wie Deutschland, berichtet das aktuelle “Sea Ice Portal“, das unter anderem vom Alfred-Wegener-Institut (AWI) erstellt wird. Ende Juni waren 12,4 Millionen Quadratkilometer des südlichen Ozeans mit Eis bedeckt.

    Damit setzt sich ein Trend fort. Mit Ausnahme von zwei Stellen vor dem eisigen Kontinent, der Amundsen-See und der Ross-See, bildet sich in den letzten Jahren deutlich weniger Eis. Auch die Lufttemperaturen liegen derzeit um 2 bis 3 Grad Celsius über dem Mittelwert, teilweise sogar um sechs Grad.

    Aber Achtung: Anders als im arktischen Meer ist den Wissenschaftlern nicht klar, ob dieser Trend eine Folge der zunehmenden Erderwärmung ist. Laut Meereis-Physikerin Stefanie Arndt vom AWI ist es “zu früh, um zu behaupten, es gebe einen signifikanten negativen Trend bei der Eisausdehnung im antarktischen Meer, ähnlich zu dem in der Arktis”.

    Zwar habe sich auf der antarktischen Halbinsel über die letzten 50 Jahre ein Trend etabliert, dass die Region um 0,5 Grad Celsius pro Jahrzehnt wärmer wird. Aber noch wird die Hauptmasse des Kontinents von mächtigen Luftströmungen, dem polaren Jetstream, von den wärmeren Luftmassen der gemäßigten Breiten abgeschnitten. Es gebe große jährliche Schwankungen bei der Eisbildung, so Arndt. Es bleibe abzuwarten, ob sich hier ein klarer Trend zeigt. bpo

    • Antarktis
    • Eisschmelze
    • Globale Erwärmung

    Flugverkehr: Europa verliert 34 Milliarden Steuereinnahmen

    Den europäischen Staaten entgehen durch Steuerausnahmen für den Luftfahrtssektor mehr als 34 Milliarden Euro an Einnahmen, wie eine neue Studie des Umweltdachverbands Transport & Environment (T&E) zeigt. Deutschland hat sich demnach im Jahr 2022 vier Milliarden Euro entgehen lassen und gehört mit Großbritannien (5,5 Milliarden Steuerverlust), Frankreich (4,7 Milliarden), Spanien (4,6 Milliarden) und Italien (3,1 Milliarden) zu den Staaten mit den größten Steuerausfällen.

    Um die Steuerausfälle zu berechnen, hat T&E:

    • gesetzliche Ausnahmen von der Mehrwertsteuer und bei Ticketsteuern,
    • Ausnahmen bei der Kerosinsteuer,
    • und Ausnahmen vom europäischen Emissionshandel für internationale Flüge zu Zielen außerhalb der EU, addiert.

    In Deutschland gibt es keine Kerosinsteuer, die Flugticketsteuer ist auf 1,75 Milliarden Euro pro Jahr gedeckelt und die Mehrwertsteuer gilt nur für Inlandsflüge, bemängelt die Umwelt- und Entwicklungsorganisation Germanwatch. Laut T&E sollten die Regierungen beispielsweise Ticketsteuern einführen. Für Inlandsflüge würden sie bei rund 23 Euro liegen; Flüge mit Zielen außerhalb der EU sollten demnach im Durchschnitt mit 259 Euro besteuert werden. “Finanzminister Lindner muss endlich sein Wahlkampfversprechen einlösen und bei den klimaschädlichsten Subventionen den Rotstift ansetzen”, sagt Sebastian Bock, Geschäftsführer von T&E Deutschland.

    Blieben die Steuerlücken bestehen, wird der finanzielle Schaden in Zukunft aufgrund steigender Passagierzahlen zunehmen, so die beiden Organisationen. Die Internationale Luftverkehrs-Vereinigung (IATA) geht davon aus, dass die weltweiten Passagierzahlen von derzeit gut zwei auf mehr als zehn Milliarden Passagiere (2050) steigen werden.

    Studie: Klimaziele nur mit Reduktion erreichbar

    Eine neue Studie des Paul Scherrer Instituts (PSI) und der ETH Zürich zeigt, dass die Passagierzahlen abnehmen müssten, damit der Flugverkehr seine Klimaziele erreichen kann. “Neue Antriebe, klimaschonende Treibstoffe und das Herausfiltern von CO₂ aus der Atmosphäre, um es unterirdisch zu speichern (“Carbon Capture and Storage”) werden uns allein nicht ans Ziel bringen”, sagt Marco Mazzotti, Professor für Verfahrenstechnik an der ETH. Gelingt es, klimaschonendere Treibstoffe einzusetzen, sollte der globale Verkehr um 0,4 Prozent pro Jahr sinken. Bleiben die Airlines bei fossilem Kerosin, müsste die Reduktion ab sofort 0,8 Prozent pro Jahr betragen, so die Forschenden. nib/maw

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    Energiewende: IRENA warnt vor Rohstoff-Engpässen

    Die Internationale Organisation für erneuerbare Energien (IRENA) warnt in einem neuen Bericht vor “Versorgungsunterbrechungen”, die kurz- oder mittelfristig die Energiewende verlangsamen könnten. Durch die steigende Nachfrage nach Rohstoffen für die Energiewende und die Konzentration der Förderung und Weiterverarbeitung auf wenige Staaten und Unternehmen könnte es zu Versorgungsengpässen kommen, so IRENA. Bei Lithium zeige sich schon heute ein “Missverhältnis zwischen Angebot und Nachfrage”. Die Organisation warnt beispielsweise vor Exportbeschränkungen, Ressourcen-Nationalismus und politischer Instabilität in großen Förderländern.

    Viele Staaten würden zwar versuchen, ihre Abhängigkeiten zu senken. Doch neue Bergbau- und Verarbeitungsanlagen hätten lange Vorlaufzeiten. Die Konzentration auf wenige Förderländer bliebe “wahrscheinlich auf absehbare Zeit” bestehen.

    IEA: E-Autos treiben Rohstoff-Nachfrage

    Derweil schreibt die Internationalen Energieagentur (IEA) in einem neuen Bericht, die Nachfrage nach kritischen Mineralien für grüne Technologien könnte sich bis 2030 verdoppeln. Demnach ist es den Importeuren bisher nicht gelungen, die Rohstoffabhängigkeit von wenigen Lieferländern zu verringern. E-Autos sind bei vielen Rohstoffen der größte Treiber einer erhöhten Nachfrage.

    Mit dem Wachstum bei E-Autos, Energiespeichern, Wind- und Solaranlagen und anderen “grünen Technologien” geht eine hohe Nachfrage nach kritischen Mineralien wie Kupfer, Lithium, Kobalt, Nickel und weiteren Rohstoffen einher, so die IEA. Setzen die Staaten ihre angekündigten Klimaziele für das Jahr 2030 um, könnte sich der Bedarf sogar verdoppeln. Allerdings könne das Angebot durch schon angekündigte neue Minen beinahe mithalten.

    E-Autos sind bei vielen Rohstoffen für einen Großteil des Nachfrageanstiegs verantwortlich: Laut IEA-Szenario werden:

    • E-Autos im Jahr 2030 fast 80 Prozent der weltweiten Lithium-Nachfrage, circa 40 Prozent der Kobalt-Nachfrage, gut 35 Prozent der Nickel-Nachfrage und gut 20 Prozent der Neodym-Nachfrage ausmachen.
    • Die globale Nachfrage nach Kupfer für grüne Technologien wird sich zwischen 2022 und 2040 verdoppeln
    • Auch die Wind- und Solarkraft und der Ausbau der Stromnetze wird zu einer erhöhten Rohstoff-Nachfrage führen. Allerdings sind hier die Anteile an der Gesamtnachfrage nach Rohstoffen nicht so hoch wie bei E-Autos.

    Weiterhin hohe Abhängigkeit von China

    Laut IEA ist die Abhängigkeit von anderen Ländern in den letzten drei Jahren teilweise noch gestiegen:

    • China fördert 68 Prozent der Seltenen Erden und 70 Prozent des Grafits und dominiert die Weiterverarbeitung von Kupfer (42 Prozent Weltmarktanteil), Kobalt (74 Prozent), Lithium (65 Prozent), Grafit (100 Prozent) und Seltenen Erden (90 Prozent)
    • Australien und Chile fördern 73 Prozent des Lithiums
    • Kobalt stammt zu 74 Prozent aus der DR Kongo
    • Nickel wird zu 49 Prozent von Indonesien gefördert
    • Auch bei “Nischen-Mineralien” wie Magnesium, hoch-konzentriertes Mangan und Silizium gäbe es hohe Konzentrationen. nib
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    Klimawandel gefährdet nukleare Abschreckung der USA

    Der Klimawandel könnte die nukleare Abschreckungsfähigkeit der US-Streitkräfte gefährden, wie eine Analyse des Think-Tanks Carnegie Endowment for International Peace zeigt. Der steigende Meeresspiegel, Extremwetterereignisse und höhere Temperaturen könnten sich demnach auf jeden Teil der sogenannten nuklearen Triade der USA – die Abschreckung durch mit Atomwaffen bestückte U-Boote, durch Interkontinentalraketen und durch Bomber – auswirken.

    Für die Analyse wurde jeweils eine “repräsentative US-Militärbasis” genauer untersucht:

    • Teile der Infrastruktur der U-Boot-Basis Kings Bay in Georgia am Atlantik sei demnach anfällig für den Meeresspiegelanstieg und damit einhergehende, stärkere Sturmfluten. Der Transport von Nukleargefechtsköpfen zu den U-Booten könnte dadurch in Mitleidenschaft gezogen werden. Auch könnten die flachen Wasserwege vor der Basis durch stärkere Hurrikane unpassierbar werden. Die Kings Bay Basis ist demnach einer von lediglich “zwei US-Stützpunkten, die für die volle Unterstützung der U-Boote mit ballistischen Raketen ausgerüstet sind”.
    • der Minot Luftwaffenstützpunkt in Norddakota, auf dem zahlreiche Atomraketen-Silos untergebracht sind, sei demnach durch Überflutungen gefährdet, wobei Abschussanlagen nicht in Flutgebieten lägen. Der Klimawandel könnte “die extremen Überschwemmungen, die die Region bereits mehrfach verwüstet haben, noch verschlimmern”, so die Carnegie-Autorin Jamie Kwong. Flutschäden an Infrastruktur könnte die Instandhaltung der Raketen-Silos gefährden.
    • auch die Abschreckung durch Tarnkappen-Atombomber sei durch höhere Temperaturen und extremere Niederschläge gefährdet, beispielsweise weil das Personal unter Hitzestress leiden könnte. Extreme Hitze, Sturzfluten oder “eine Kaskade von Ereignissen” könnten dazu führen, dass die Bomber nicht abheben können und somit die nukleare Abschreckung gefährdet ist, so Kwong.

    Die Analyse empfiehlt der Regierung unter anderem, regelmäßig die Anfälligkeit der militärischen Einrichtungen für den Klimawandel zu beurteilen und im Bereich der Klimaanpassung einen neuen Fokus auf die nukleare Abschreckung zu legen. nib

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    Australien tritt Klimaclub bei

    Australien ist dem Klimaclub der G7-Staaten beigetreten. Das gab der australische Premierminister Anthony Albanese am Montag auf einer gemeinsamen Pressekonferenz mit Bundeskanzler Olaf Scholz bekannt. “Das ist nicht nur das Richtige für die Umwelt, sondern auch für die Arbeitsplätze und unsere Wirtschaft“, sagte Albanese.

    Der Klimaclub geht auf eine Initiative von Scholz zurück. Er soll grüne Leitmärkte in schwer zu dekarbonisierbaren Industriesektoren fördern, indem einheitliche Standards für die Industrietransformation gesetzt und gemeinsame Märkte entwickelt werden.

    Ursprünglich kommt die Idee des Klimaclubs von dem Wirtschaftswissenschaftler William Nordhaus. Sein 2015 vor der COP21 in Paris vorgeschlagenes Konzept sah vergleichbare Mechanismen zur CO₂-Bepreisung in den einzelnen Mitgliedsstaaten und Strafen für Nicht-Mitglieder vor, die eine weniger ambitionierte Klimapolitik verfolgen, beispielsweise in Form eines CO₂-Grenzausgleichs. Scholz’ Klimaclub unterscheidet sich grundlegend von diesen Vorschlägen.

    Neben den G7-Staaten und der EU sind bisher auch Argentinien, Chile, Dänemark, Indonesien, Kolumbien, Luxemburg, die Niederlande, die Schweiz, Singapur und Uruguay dem Klimaclub beigetreten. nib

    • Australien
    • Klimaclub

    Energiecharta: Kommission schlägt EU-Austritt vor

    Die EU-Kommission hat am Freitag den kollektiven Austritt der EU und ihrer Mitgliedstaaten aus dem Energiecharta-Vertrag (ECT) vorgeschlagen. Sie reagierte damit auf die fehlende Unterstützung für die im vergangenen Jahr ausgehandelte Reform des internationalen Vertrages aus den 1990er-Jahren, der Grundlage für viele Klagen von Energieunternehmen vor privaten Schiedsgerichten ist.

    Die Kommission hatte zunächst versucht, die EU-Staaten für die Modernisierung des ECT zu gewinnen. Sie erreichte dafür aber nicht die nötige qualifizierte Mehrheit. In den vergangenen Monaten hatte ein EU-Staat nach dem anderen seinen Austritt aus der Charta angekündigt. Im Dezember beschloss die Bundesregierung formell den Ausstieg Deutschlands. Auch das Europaparlament hat sich vergangenen November für einen Rückzug ausgesprochen.

    “Rückzug einzige Option”

    Da die nötige Zustimmung zum modernisierten Vertrag fehle, sei “ein Rückzug der EU aus dem ECT die einzige verfügbare Option”, schreibt die Kommission in ihrer Vorlage für den Ratsbeschluss. Diese braucht ebenfalls eine qualifizierte Mehrheit der Mitgliedstaaten. Die Energieminister sollen beim informellen Rat im spanischen Valladolid diese Woche darüber beraten.

    Laut dem Vorschlag würde die EU ein Jahr nach der Notifizierung des Rückzuges aus dem ECT austreten. Die Bestimmungen zum Schutz von Investoren würden wegen der sogenannten Sunset-Klausel aber dann noch weitere 20 Jahre gelten. Um Klagen innerhalb der EU zu erschweren, schlägt die Kommission eine entsprechende Vereinbarung der Mitgliedstaaten vor. tho

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    Report: Gender-Diskriminierung kann Klimaanpassung schaden

    Viele Länder, in denen Frauen nur eingeschränkt Zugang zu Bildung, medizinischer Versorgung und wirtschaftlicher Unabhängigkeit haben, sind besonders schlecht gegen die Klimakrise gerüstet. Zu diesem Ergebnis kommt ein neuer Report der NGO “Population Institute”. Sie setzt sich von Washington, D.C. aus für die Gleichberechtigung der Geschlechter und einen universellen Zugang zu sexueller und reproduktiver Gesundheitsversorgung ein.

    Laut dem Bericht “Population and Climate Vulnerability” wächst in den 80 Ländern, die am besonders anfällig gegen die Auswirkungen des Klimawandels sind, die Bevölkerung doppelt so schnell wie im globalen Durchschnitt. Das habe in vielen Ländern mit einer Ungleichbehandlung der Geschlechter zu tun. So mangle es beispielsweise am Zugang zu Familienplanung.

    Lisa Schipper, als Professorin für Entwicklungsgeographie der Uni Bonn auf Klimaanpassungsforschung spezialisiert und nicht am Report beteiligt, betont die Bedeutung von Geschlechtergerechtigkeit für Anpassung. Es gehe aber nicht um Bevölkerungskontrolle an sich, sagte Schipper. Sie sei “nicht die erste Verteidigungslinie oder die beste Anpassungsstrategie. Wir können viele, viele andere Dinge besser machen, um die Menschen weniger verletzbar zu machen.”

    Laut “Population Institute” belaste “die Kombination aus schweren Klimafolgen und schnellerem (Bevölkerungs-)Wachstum … die Fähigkeit der Regierungen, grundlegende Dienste für die Klimaanpassung und Widerstandsfähigkeit bereitzustellen”. Das verstärke die Auswirkungen des Klimawandels und die Anfälligkeit für die Folgen der Klimakrise noch.

    Der vom UNDP jährlich erstellte Index der geschlechtsspezifischen Ungleichheit (Gender Inequality Index, GII) liegt laut “Population Institute” in den 80 Ländern, die besonders schlecht in der Lage sind, sich gegen die Klimakrise zu schützen, im Durchschnitt bei 0,521. Dort würden besonders viele junge Mädchen Mutter, und die Müttersterblichkeit sei besonders hoch. Ein hoher GII-Wert steht dabei für eine hohe geschlechtsspezifische Ungleichheit. Zum Vergleich: Deutschlands GII liegt bei 0,073. Der Indexwert der USA beträgt 0,179, der weltweite Durchschnitt liegt bei 0,465. ae

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    Presseschau

    Nachricht: In Uruguay herrscht die schlimmste Dürre seit Langem, viele Haushalte könnten bald kein Wasser mehr haben DW
    Nachricht: Die EU sieht ein globales Biodiversitätsziel in Gefahr, wenn es ihr nicht gelingt, das eigene Naturschutzgesetz zu verabschieden Reuters
    Nachricht: Pazifische Inselstaaten haben “gemischte Gefühle” nach dem Kompromiss zu den Klimazielen in der Schifffahrt Climate Home News
    Podcast: Klimawandelleugner und Desinformation rund ums Klima – in mehreren Folgen rollt der Podcast sowohl vergangene als auch aktuelle Entwicklungen auf Origin Story
    Analyse: Drei Hitzerekorde in einer Woche – was steht dahinter? AP News
    Recherche: Doppelagenten – Lobbyisten der fossilen Industrie in den USA arbeiten auch für Gruppen, die gegen die Klimakrise kämpfen The Guardian
    Analyse: Wie der Klimawandel Reiseziele verändern wird Financial Times
    Essay: Warum die Antarktis der letzte Ort ist, an den jemand reisen sollte The Atlantic
    Interview: Kann Literatur die Welt grüner machen? Ein Gespräch mit T.C. Boyle Die Zeit
    Daten-Recherche: So schnell schmelzen die Gletscher weltweit Bloomberg

    Standpunkt

    Keine Zeit für Fatalismus: 1,5 Grad sind noch zu halten

    Von Carl-Friedrich Schleussner, Bill Hare und Johan Rockström
    Carl-Friedrich Schleussner, Bill Hare und Johan Rockström
    Carl-Friedrich Schleussner, Bill Hare und Johan Rockström

    Das Ziel der Pariser Klimakonferenz, die globale Erwärmung auf 1,5 Grad Celsius zu beschränken, ist erneut in den Schlagzeilen. Laut aktueller Prognosen der Weltorganisation für Meteorologie besteht “eine 66-prozentige Wahrscheinlichkeit, dass die Jahresdurchschnittstemperatur in Bodennähe zwischen 2023 und 2027 für mindestens ein Jahr mehr als 1,5 Grad Celsius über dem vorindustriellen Niveau liegt”. Ein besonders starker El-Niño-Zyklus bedeutet, dass es mit ziemlicher Sicherheit Rekordtemperaturen geben wird.

    Aber so beängstigend diese Warnungen auch sein mögen: Noch schlimmer wäre es, wenn ein Jahr oberhalb der 1,5 Grad so interpretiert würde, dass das 1,5-Grad-Ziel verfehlt wurde. Diese falsche Schlussfolgerung würde uns dazu bringen, das Ziel des Pariser Abkommens aufzugeben, anstatt es wie nötig noch stärker zu verfolgen.

    Ein oder wenige Jahre mit extremen Temperaturen bedeutet nicht, dass das 1,5-Grad-Ziel gescheitert ist. Es bezieht sich auf menschlich verursachte Temperaturveränderungen, die über Jahrzehnte hinweg gemessen werden. Daran müssen wir uns dringend erinnern, um den gefährlichen Klimafatalismus abzuwehren, der in den letzten Jahren zugenommen hat.

    Die 1,5-Grad-Grenze kann immer noch gehalten werden

    Ja, jetzt wo sich der Planet um etwa 1,2 Grad Celsius gegenüber dem vorindustriellen Niveau aufgeheizt hat, werden uns “Jahrhundert”-Hitzewellen, Waldbrände und Überschwemmungen immer vertrauter. In einigen tief liegenden Regionen wird die Bevölkerung bereits durch steigende Meeresspiegel zur Umsiedlung gezwungen. Aber zwischen 1,2 und 1,5 Grad (und ganz zu schweigen von 1,5 und 2 Grad) besteht immer noch ein erheblicher Unterschied, und die Wissenschaft zeigt uns, dass es weiterhin möglich ist, am Ende des Jahrhunderts bei oder unter 1,5 Grad Celsius zu landen.

    Die Bedeutung und Notwendigkeit der 1,5-Grad-Grenze wird von der aktuellen Klimaforschung bestätigt. Wie der Weltklimarat IPCC im letzten Jahr gewarnt hat, können extreme Wetterereignisse, der Zusammenbruch von Ökosystemen und planetarische Kipppunkte bereits bei deutlich niedrigerer globaler Erwärmung stattfinden als bisher gedacht. Seit dem letzten Berichtszyklus des IPCC im Jahr 2014 haben wir immer mehr Beweise dafür gefunden, dass sogar eine um lediglich 1,5 Grad wärmere Welt extrem herausfordernd wäre – und dass eine Erwärmung über diese Grenze hinaus wirklich katastrophale Folgen hätte.

    Mit jedem zusätzlichen Zehntelgrad Erwärmung werden mehr Menschen unter lebensbedrohlichen Hitzewellen, Wasserknappheit und Überschwemmungen leiden. Schlimmer noch, verschiedene Studien zeigen, dass die Wahrscheinlichkeit von Kipppunkten -wie dem möglichen Kollaps des westantarktischen Eisschildes – über 1,5 Grad exponentiell steigt. Diese Kipppunkte stellen rote Linien dar: Die Welt würde dann zwar nicht untergehen, sich aber grundlegend verändern. Noch mehr Eis würde schmelzen, die Meeresökosysteme würden sich verändern und der Meeresspiegel würde steigen – und all das wäre dann unumkehrbar.

    Bis 2030 Emissionen halbieren

    Der einzige vernünftige Ansatz besteht darin, diese Gefahr zu verringern, indem wir die Treibhausgasemissionen so schnell wie möglich senken. Dann können wir, auch wenn wir kurzfristig die 1,5-Grad-Grenze überschreiten, langfristig dorthin zurückkehren. Aber dies ist nur möglich, wenn wir die fossilen Emissionen auf null bringen – als ersten entscheidenden Schritt hin zu Nettonull-Treibhausgasemissionen.

    Genauso wichtig ist es, die natürlichen Land- und Meeressysteme zu schützen, die Kohlenstoff absorbieren und speichern. Gerät (beispielsweise durch das Tauen des Permafrostbodens) der Kohlenstoffzyklus der Erde aus den Fugen, werden wir nicht mehr in der Lage sein, die globalen Temperatursteigerungen rückgängig zu machen.

    Um die Erwärmung in diesem Jahrhundert auf 1,5 Grad zu begrenzen, müssen wir bis 2030 unsere Emissionen halbieren. Diese Zahl ist nicht beliebig: Nur wenn dies geschieht, können wir die Erwärmungsgeschwindigkeit in den 2030ern halbieren und in den 2040ern zum Stillstand bringen. Wir haben die Wahl, das Problem des Klimawandels selbst zu lösen, oder unseren Kindern eine zivilisatorische Zeitbombe zu übergeben.

    Die Grenzen der Anpassung

    Verlangsamt sich der Erwärmungsprozess, verschafft uns das auch wertvolle Zeit für Anpassungsmaßnahmen. Sogar ein reiches Land wie die Vereinigten Staaten stößt bei der Frage, wie schnell und vollständig es sich an die Folgen des Klimawandels anpassen kann, an seine Grenzen. Anderswo ist die Lage viel schlimmer: Katastrophen wie die letztjährigen Überschwemmungen in Pakistan können die Wirtschaft eines Landes zerstören und es in eine Abwärtsspirale von Armut und steigenden Schulden stürzen. Dazu kommen noch künftige Klimakatastrophen, auf die vorzubereiten sich viele Länder nicht leisten können.

    Außerdem ist die 1,5-Grad-Grenze die Grundlage vieler Nettonullverpflichtungen von Regierungen, Unternehmen und Städten auf der ganzen Welt. Hinter den Auslaufplänen für Kohle (wie in Deutschland, Vietnam oder Großbritannien) steht eine auf 1,5 Grad ausgerichtete Modellierung, die zeigt, dass die OECD-Länder bis 2030 und Nicht-OECD-Länder bis 2040 auf Kohle verzichten müssen. Kurz darauf muss dies dann auch für Gas gelten.

    Die Prioritäten: CCS kommt erst zum Schluss

    Da die verbleibende Zeit immer kürzer wird, geben uns diese auf der 1,5-Grad-Grenze beruhenden Modelle die richtigen Prioritäten vor: Zuerst müssen wir die Stromerzeugung dekarbonisieren, und dann das Transportwesen, die Bauwirtschaft und die Industrie so stark wie möglich elektrifizieren, wobei wir gleichzeitig den Verbrauch verringern. Über diese leicht erreichbaren Ziele hinaus müssen wir dann auch die Technologien zur Entfernung von Kohlendioxid aus der Atmosphäre ausbauen.

    Die Investitionen gehen bereits in diese Richtung: Seit dem Pariser Abkommen von 2015 sind Solarstrom, Windenergie und Akkus viel billiger geworden. Elektrofahrzeuge und Wärmepumpen gehören immer mehr zur Normalität. Dies sind marktgetriebene Reaktionen auf staatliche Anreize: Um Vertrauen zu schaffen und das Wachstum sauberer Energieträger zu unterstützen, waren politische Vorgaben enorm wichtig.

    Gefahr einer fossilen Renaissance

    Aufzugeben und sich vom 1,5-Grad-Ziel zu verabschieden, würde großen Emittenten einen Freibrief geben. Anstatt Vertrauen zu schaffen würde es uns signalisieren, dass wir weniger erwarten sollten – und all jene im Stich lassen, die an Orten leben, wo es an Ressourcen und Möglichkeiten zur Anpassung an eine wärmere Welt mangelt.

    Setzen wir uns jetzt nicht für die ehrgeizigsten wissenschaftlich fundierten Ziele ein, werden jene, die nichts ändern wollen, unseren Fatalismus ausnutzen. Beispielsweise hat der BP-Konzern – nach einem enorm profitablen Jahr, das Russlands Krieg in der Ukraine geschuldet war – kürzlich angedeutet, dass er nun einen großen Teil seiner eigentlich für die Dekarbonisierung vorgesehenen Investitionen wieder in Öl und Gas umleiten will.

    Unsere besten wissenschaftlichen Erkenntnisse deuten darauf hin, dass das 1,5-Grad-Ziel immer noch erreichbar ist, und sie zeigen uns, wie wir dorthin kommen können. Wie es der britische Klimawandeldiplomat Pete Betts ausdrückt: “Wenn wir 1,5 Grad überschreiten, heißt das nicht, dass wir aufgeben sollten. Es heißt, dass wir uns mehr anstrengen müssen.”

    Carl-Friedrich Schleussner ist klimawissenschaftlicher Vorsitzender bei Climate Analytics und Honorarprofessor an der Humboldt-Universität Berlin. Bill Hare ist Gründer und CEO von Climate Analytics. Johan Rockström ist Direktor des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung und Professor für Erdsystemwissenschaft an der Universität von PotsdamIn Kooperation mit Project Syndicate, 2023. Aus dem Englischen von Harald Eckhoff.

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