China ist zum wichtigsten geopolitischen Player neben den USA aufgestiegen. Mit zahlreichen Infrastrukturprojekten weltweit schafft es starke Marktpositionen und baut seinen wirtschaftlichen und politischen Einfluss kontinuierlich aus. Für die EU hat dieses Engagement innerhalb und außerhalb Europas Implikationen. Nicht zuletzt, weil China nach Außenhandelsumsätzen der wichtigste Handelspartner der EU ist.
Nun streben die EU und auch Deutschland gegenüber dem systemischen Rivalen China eine außen- und sicherheitspolitisch motivierte Strategie an. Gleichzeitig vermeiden sie bei wirtschaftspolitischen Instrumenten eine explizite Lex China, um nicht mit dem Diskriminierungsverbot der multilateralen Wirtschaftsordnung in Konflikt zu geraten.
Fokus auf ein Land ist kontraproduktiv
Braucht Deutschland eine auf ein Land fokussierte außenpolitisch motivierte Strategie? Aus mehreren Gründen könnte die Antwort darauf „nein“ sein. Zuerst einmal, weil Deutschland damit genau das machen würde, was man China immer vorwirft: signifikante staatliche Vorgaben und protektionistische Eingriffe in privatwirtschaftliche Entscheidungen und Abläufe. Und damit unterstellt die Politik den Unternehmen rein betriebswirtschaftlich zu agieren und gesamtwirtschaftliche Risiken enger wirtschaftlicher Verbindungen zu China zu unterschätzen. Vermittelter Subtext: Unternehmen sollten besser von der Regierung geführt werden. Zudem, könnte sich schnell die Frage nach Strategien gegenüber anderen Ländern, beispielsweise den USA, stellen. Des Weiteren ist fraglich, warum es einer eigenen deutschen Strategie bedarf, wenn schon die EU an einer solchen arbeitet und über den stärksten Aktivposten im Umgang mit China verfügt.
Für eine klare, mit Zielen und Instrumenten versehene und mit einer detaillierten Bestandsaufnahme der gegenseitigen wirtschaftlichen Abhängigkeiten ausgestattete Strategie für die kommenden Jahre spräche aber, dass sie als Leitlinie für Unternehmen dienen könnte, diese zu einer stärkeren Gewichtung der betriebs- und volkswirtschaftlichen Risiken und damit zu einem von der Regierung gewünschten Verhalten veranlassen. An China würde zudem ein wichtiges politisches Signal gesendet. Um sicherzustellen, dass es sich wirklich um eine Strategie und nicht um einen Katalog von kurzfristigen Maßnahmen gegen die Interessen von Unternehmen handelt, müsste sie aber die großen wirtschaftlichen Herausforderungen und Veränderungen in Deutschland und China mitberücksichtigen.
Es wird deutlich, dass das, was bisher von der Bundesregierung vorgelegt wurde, noch zu große Lücken aufweist, um sich als eine Strategie zu verstehen. Insbesondere die Auseinandersetzung mit langfristigen Herausforderungen sowie Zielen Deutschlands fehlt noch völlig.
Den Umgang mit Autokratien klären
Generell stellt sich die Frage, ob es nicht einer breit angelegten Strategie jenseits eines einzelnen Landes bedarf. Denn die Schwierigkeiten, auf die Deutschland mit China stößt, sind vornehmlich dem für erratisches Verhalten anfälligen autoritären Regierungssystem geschuldet. Somit würde der Umgang mit allen Autokratien zum Dreh- und Angelpunkt einer möglichst auf EU-Ebene abgestimmten Strategie, und nicht der Fokus auf lediglich ein – wenn auch großes – autokratisches System. Gerade die Rufe nach Diversifizierung sprechen hier auch für eine Strategie im Umgang mit allen schwierigen Handelspartnern – wie sich zum Beispiel bei der Suche nach neuen Lieferquellen für Gas zeigt. Ebenso ist die Umsetzung von Nachhaltigkeitszielen nicht China-spezifisch.
Dabei darf nicht ignoriert werden, dass die multilaterale Ordnung, welche durch landspezifische Strategien beschnitten würde, gerade wegen geoökonomischer Machtstrategien in ihrer schwersten Krise steckt und hier außenwirtschafts- und außenpolitischer Anpassungsbedarf besteht. Insbesondere Autokratien können erratische Kurswechsel ohne Rücksicht auf Gesetze, Wähler, Märkte oder globale Regelungen einleiten, Marktwirtschaften Angebotsschocks aussetzen und Nachhaltigkeitsziele stärker vernachlässigen. Auch dies spricht für eine generelle Strategie zum Umgang mit Autokratien. Eine solche Strategie sollte den Umgang mit diesen Staaten und Themen klar definieren, und dabei auf einen Schulterschluss von Ländern mit geteilten demokratischen Werten hinarbeiten.
Dabei müssen aber auch klar eigene Schwächen – was zum Beispiel die technologische Weiterentwicklung, aber auch die Innovationsfähigkeit unserer alternden Demokratien angeht – angesprochen werden. Nur so kann es gelingen, im Systemwettbewerb dort zu punkten, wo Autokratien ihre Schwächen haben, beispielsweise auf den internationalen Finanzmärkten und der Produktion modernster IT-Produkte und Umwelttechnologien. Deutschland im Zusammenspiel mit anderen Demokratien klar als attraktiven Investitions- und Innovationsstandort zu positionieren, sollte ein wichtiges Ziel einer zukunftsorientierten Strategie sein. Diese würde eine enge, auf ein einzelnes Land ausgerichtete Reaktion überflüssig machen.
Holger Görg ist Präsident des Kiel Instituts für Weltwirtschaft und Direktor des Kieler Zentrums für Globalisierung.
Katrin Kamin ist eine Postdoc und Co-Leiterin der Geopolitics and Economics Initiative am Kiel Institut für Weltwirtschaft.
Rolf J. Langhammer ist ein Senior Researcher am Kiel Institut für Weltwirtschaft. Er war außerdem bis 2012 Vizepräsident des Kiel Instituts.
Wan-Hsin Liu ist eine Senior Researcherin am Kiel Institut für Weltwirtschaft und Koordinatorin des Kieler Zentrums für Globalisierung.
Dieser Beitrag entsteht im Rahmen der Veranstaltungsreihe ,,Global China Conversations“ des Kiel Institut für Weltwirtschaft (IfW). Am Donnerstag (11.00 Uhr, MEZ) diskutieren Katja Leikert, Bundestagsabgeordnete und Mitglied im Auswärtigen Ausschuss & im Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, und Holger Görg, Präsident des Kiel Instituts für Weltwirtschaft, über das Thema: „Braucht Deutschland eine Chinastrategie?“ China.Table ist der Medienpartner dieser Veranstaltungsreihe.
Dieser Artikel ist die gekürzte Version einer Kiel Focus Publikation von Görg et al. (2023).