wenn es um Taiwan geht, ist Peking völlig kompromisslos. Jeder Zweifel an den chinesischen Ansprüchen an dem Nachbarland wird zur Staatsaffäre hochstilisiert. Seltsamerweise geschieht dies aber nicht, wenn es um Territorien geht, die Mitte des 19. Jahrhunderts von Russland besetzt wurden. Die gehörten damals zum Reich der Qing-Dynastie und führten in den 1960er-Jahren auch schon einmal zu militärischen Auseinandersetzungen zwischen Moskau und Peking.
Fabian Peltsch nimmt uns mit in die chinesische Historie, die erklärt, weshalb China mit zweierlei Maßstäben misst. Die Erkenntnis: Dass man in China nicht mehr über die Rückgabe russischer Gebiete diskutiert, aber in Sachen Taiwan immer lauter die Kriegstrommel anschlägt, weise vor allem auf das verdrehte Selbstbild der Volksrepublik hin.
Derweil hat sich Christian Domke-Seidel den Auftritt der chinesischen Hersteller bei der Nutzfahrzeuge-Version der IAA in Hannover genauer für uns angeschaut. Die Erkenntnis seiner Analyse: Chinesische Hersteller wollen auch diesen Markt erobern.
Wenn es nach Xi Jinping geht, soll Taiwan spätestens zum 100. Jahrestag der Gründung der Volksrepublik im Jahr 2049 vollständig in das chinesische Festland eingegliedert sein. Damit soll endlich die Wunde geheilt werden, die das Jahrhundert der Demütigung von 1839 bis 1949 im kollektiven Bewusstsein der Chinesen hinterlassen hat.
Doch warum fordert China im Zusammenhang mit seiner territorialen Integrität nicht auch riesige Teile der Mandschurei zurück? Während der schmachvollen Zeit wurden diese Gebiete einst von Russland in ähnlich ungleichen Verträgen annektiert. Diese Frage stellte kürzlich Taiwans Präsident William Lai. Und fügte provokant hinzu: “Russland ist doch jetzt am schwächsten, nicht wahr?”
Lai legte mit seiner Aussage bewusst einen Finger in die chinesische Wunde. Nach dem zweiten Opium-Krieg (1856-1860) hatte das Zarenreich – ebenso wie die Westmächte – die Schwäche der damals herrschenden Qing-Dynastie ausgenutzt und sich im Nordosten Chinas Gebiete einverleibt, dreimal so groß wie Deutschland. Dass China jene Gebiete gerne zurück hätte, zeigte sich 1969. Damals kam es zu militärischen Konfrontationen, weil sich die entzweiten Bruderstaaten nicht einigen konnten, wie die gemeinsame, über 4000 Kilometer lange Grenze wirklich verläuft.
Erst im Juli 2001 wurde zwischen den Ländern ein Freundschaftsvertrag unterzeichnet, in dem der Verzicht auf jegliche Gebietsansprüche festgehalten wurde. Schon damals saß Chinas “alter Freund” Putin mit am Tisch, sein Gegenüber war Staats- und Parteichef Jiang Zemin. Auf offiziellen chinesischen Karten werden aber immer noch die alten chinesischen Namen für die an Russland gefallenen Städte verwendet. “Beherrsche den Osten”, wie Wladiwostok zu Deutsch heißt, geht den Chinesen wohl doch nicht so einfach über die Lippen, auch wenn die chinesische Alternative nicht unbedingt Glanz und Größe ausstrahlt. In China heißt die Stadt Haishenwai – Seegurkenbucht.
“In China herrscht eine besondere historische Empfindlichkeit in Sachen territorialer Integrität, obwohl China zu den wenigen Ländern gehört, die es geschafft haben, die wesentlichsten Gebiete, die es einst verloren hat, im 20. Jahrhundert wiederzuerlangen.” Das sagt der Sinologe und Historiker Klaus Mühlhahn von der Zeppelin-Universität in Friedrichshafen, der sich zuletzt in seinem Buch “Geschichte des modernen China” intensiv mit der Qing-Zeit und ihren Folgen für das chinesische Geschichtsbild auseinandergesetzt hat.
“Wir sind in einer Situation, wo Nordkorea, Russland und China stärker zusammenrücken. Da wird Peking jetzt keinen Keil dazwischen treiben, indem man plötzlich irgendwelche Gebietsansprüche geltend macht.” Dass es aber doch noch eines Tages dazu kommen könnte oder dass sich China die Gebiete de facto über seinen wirtschaftlichen Einfluss zurückholt, sei nicht auszuschließen, so der Historiker.
Dass man in China nicht mehr über die Rückgabe russischer Gebiete diskutiert, aber in Sachen Taiwan immer lauter die Kriegstrommel rührt, weise aber vor allem auf das verdrehte Selbstbild der Volksrepublik hin.
Die Idee eines chinesischen Nationalstaates entwickelte sich erst relativ spät und auf Druck von außen. Lange empfanden sich die Chinesen vor allem als Angehörige der jeweils herrschenden Dynastie und nicht wie im heutigen Sinne als Bürger einer homogenen Kulturnation mit jahrtausendelanger Geschichte.
Die Qing-Dynastie, auf dessen Größe sich die heutige chinesische Nation beruft, war wiederum nicht nur eine Zeit der Schwäche, sondern auch eine, in der das Reich nach außen als Aggressor auftrat und sich selbst große Gebiete einverleibte. “In der Frühphase der Dynastie, also weit vor der oft heraufbeschworenen Phase der Schwäche, hatten die Qing eines der schlagkräftigsten Militärs der Welt”, sagt Mühlhahn. Die neuere Geschichtsschreibung behandelt die Annexion von Gebieten wie Xinjiang und Tibet dementsprechend als Eroberungsfeldzüge, die mit der Unterwerfung und Unterdrückung der jeweiligen Völker einhergingen. “Hier waren die Qing nicht viel besser als die ausländischen Imperialisten. Ihre Feldzüge hatten durchaus einen kolonialistischen und expansiven Unterwerfungscharakter.”
Im Fall der Dsungaren haben die Qing ein Volk an der Peripherie nicht nur unterdrückt, sondern fast völlig ausgerottet. Man könnte auch sagen, im Nationalstaat von heute lebt ein Kolonialreich fort, das nie dekolonisiert wurde.
“Das heutige China identifiziert sich also mit einer imperialen Vergangenheit, die eigentlich von einem nicht chinesischen Volk aktiv geprägt wurde, sondern von den Mandschus, die die Qing-Dynastie begründeten. Das macht die Sache noch komplizierter”, sagt Mühlhahn. Die Mandschus seien auch nicht derart von der Strahlkraft der chinesisch-konfuzianischen Kultur beeindruckt gewesen, dass sie sich freiwillig und vollständig sinisiert hätten, so der Historiker.
Gleiches gelte übrigens auch für die anderen eroberten Völker. “Dieses Narrativ ist längst überholt”, erklärt Mühlhahn. “Übrigens auch unter chinesischen Historikern, wenn man sich jenseits der Propaganda mit ihnen unterhält.” Bis zuletzt hatte die Mandschu-Elite auf ihre Eigenheiten gepocht, und die Han waren ihnen eindeutig untergeordnet. So wurden etwa Ehen zwischen Han und Mandschu erst 1902 erlaubt, in einer Zeit, als das Reich bereits stark im Verfall begriffen war.
Mühlhahns Urteil fällt klar aus: “Geschichte ist für Peking eine der entscheidenden Formen der Legitimation des Systems. Und deshalb spielt dieses desaströse 19. Jahrhundert genauso eine übergroße Rolle wie der imperiale Glanz dieses Regimes. Das historische Narrativ besagt: Die KP hat China aus diesem Desaster geführt, nur sie kann den Glanz der imperialen Vergangenheit wiederbeleben und für die große Wiedergeburt Chinas in der Gegenwart sorgen – und weil die Partei die einzige Kraft ist, die das bewerkstelligen kann, muss sie weiter regieren.”
Gleichzeitig wird aber noch immer die Propaganda von China als Befreier der Welt vom Imperialismus hochgehalten. Zusammengenommen ein historischer Eiertanz ohnegleichen. Wer dem nicht zustimmt, macht sich “historischem Nihilismus” schuldig, der in China harte Strafen nach sich ziehen kann.
Auch deshalb sei es ein essenzieller Bestandteil von China-Kompetenz, solche Narrative nicht einfach unreflektiert zu akzeptieren, sagt Mühlhahn. “Historische Fakten fallen bei der Instrumentalisierung der Geschichte leicht unter den Tisch. Deshalb halte ich es für eine wichtige Aufgabe, dem chinesischen Narrativ ein differenzierteres Geschichtsbild entgegenzusetzen.”
Auf der IAA Transportation in Hannover sind chinesische Hersteller zahlreich vertreten. Sie beweisen eindrücklich, dass E-Mobilität auch mit großen Lasten, auf Baustellen und im öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) funktioniert. Das muss sie auch. Denn die Verkehrswende macht vor diesem Sektor nicht halt.
Die strengen Abgasnormen zwingen Unternehmen, ihre Logistik entsprechend umzustellen. Davon wollen auch Marken aus der Volksrepublik wie BYD, Windrose, Anhui Jianghuai Automobile (JAC) und Xiamen King Long profitieren. Bis zu elf Prozent Marktanteile könnten die Anbieter aus der Volksrepublik mit ihren Lkw und Bussen in Europa erobern, rechnet eine Studie der Boston Consulting Group (BCG) vor.
Um sich ein derart großes Stück vom Kuchen zu sichern, haben die Hersteller unterschiedliche Strategien. JAC beispielsweise setzt auf regionale Zusammenarbeit. Das Unternehmen ist in China etabliert und kann sich auf einen starken Heimatmarkt verlassen. Mit rund 600.000 produzierten Einheiten im Jahr 2023 gehört das Unternehmen dort zu den Top fünf im Bereich der Nutzfahrzeuge. In Europa hat der Hersteller ein Designzentrum in Turin.
Interessiert sich ein Unternehmen dafür, seine Flotte zu erneuern oder zu elektrifizieren, verbringt JAC zwischen drei und zwölf Monaten mit dem Kunden, um die Anwendungen bis ins letzte Detail zu verstehen und individuelle Lösungen anzubieten. Im Bereich der Nutzfahrzeuge sind die Aufbauten und Detaillösungen oft entscheidend. Das Designzentrum in Turin setzt die Lösungen dann um.
“Es ist kein chinesischer Lkw. Es ist eine Zusammenarbeit zwischen dem europäischen Kunden und uns“, erklärt Oscar Yu, Deputy General Manager of JAC International, auf der IAA Transportation. In Spanien und Frankreich konnte JAC bereits namhafte Unternehmen wie Carrefour, Heineken, Danone und Dachser überzeugen.
Der chinesische Lkw-Bauer Windrose setzt hingegen auf eine globale Lösung, die dank dieser Skalierung mit einem Niedrigpreis auf den Markt kommen kann. Der Lkw kommt mit einer Batterie von China Aviation Lithium Battery (CALB) und stellt eine üppige Kapazität von 729 Kilowattstunden bereit. Das soll genug für insgesamt 670 Kilometer Reichweite sein – in den USA kostet das Modell rund 250.000 Dollar. “Unsere Investitionen amortisieren sich bei 10.000 verkauften Lkw”, rechnete Windrose-Gründer Han Wen in einem Interview mit der NZZ vor.
Daimler würde diese Grenze bereits bei 500 Stück erreichen, sagt Han. Was Daimler allerdings nicht kommentiert. Wie schon bei vielen chinesischen Pkw-Herstellern ist auch hier das Ziel zunächst Marktanteile zu generieren, bevor an Rendite gedacht wird. Allein in den USA hatte das Unternehmen im Juni 2024 bereits 5.000 Vorbestellungen.
Auch BYD ist auf der IAA Transportation vertreten. Die Marke befindet sich aktuell im Höhenflug. Im ersten Halbjahr 2024 war der NEV-Spezialist der drittgrößte Automobilproduzent der Welt. Im Bereich der Nutzfahrzeuge möchte BYD vor allem damit punkten, für jede Anwendung eine elektrische Lösung zu bieten. Das beweist auch die Präsentation auf der Messe – der EYT2.0. Ein Spezialfahrzeug, das in Häfen, Flughäfen oder großen Logistikzentren Container oder andere Hänger transportiert.
Rein optisch sorgte King Long auf der IAA Transportation vor allem mit dem Merry Combo für Aufsehen. Der luxuriöse Reisebus erhielt den Red Dot Design Award. Doch auch was den Vertrieb in Europa angeht, macht das Unternehmen aus Xiamen einen Schritt nach vorn. Denn es bringt seinen Partner Digital Sustainable Transport (DST) mit. Der übernimmt Betriebsdienstleistungen für Kunden, die sich für die elektrischen Nutzfahrzeuge von King Long entscheiden. Das heißt, er kümmert sich unter anderem darum, dass der Service eingehalten wird, klärt die Lademöglichkeiten ab, stellt Leasing-Angebote bereit und kümmert sich am Ende des Lebenszyklus um das Recycling bzw. die Abholung. Kurzum: DST erledigt die Punkte, die vielen Flottenmanagern im Bereich der elektrischen Nutzfahrzeuge Kopfschmerzen bereiten.
Dass die chinesischen Hersteller mit ihren elektrischen Nutzfahrzeugen gerade jetzt in Europa in die Offensive gehen, ist kein Zufall, wie auch Pinglu Kang, Executive Vice President von DST, auf der IAA Transportation betont. “Europas Elektrifizierungspläne passen genau zu unserem Produktportfolio.” Er spielt damit auf den Fahrplan der Europäischen Union (EU) zur Senkung CO₂-Emissionen von schweren Nutzfahrzeugen an, der seit Anfang des Jahres 2024 klar ist. Im Zeitfenster 2030 bis 2034 müssen sie um 45 Prozent niedriger liegen als im Vergleichsjahr 2019. In den darauffolgenden Jahren sind es 65 Prozent (2035 bis 2039) und 90 Prozent (ab 2040). Im ÖPNV gelten noch strengere Vorgaben. Neue Stadtbusse müssen bereits ab dem Jahr 2030 um 90 Prozent geringere Emissionen haben und ab 2035 komplett (lokal) emissionsfrei sein.
Der Aufbau einer entsprechenden Ladeinfrastruktur läuft längst. Denn eine EU-Verordnung legt bereits konkrete Mindestziele fest. Bis zum Jahr 2030 müssen allein in Deutschland 314 Lkw-Ladestandorte stehen. Und zwar alle 60 bis 100 Kilometer entlang der wichtigsten deutschen Autobahnen. Die IAA Transportation macht deutlich, dass auch viele chinesische Modelle hier ihre Batterien laden werden.
Der Geschäftsführer der Wirtschaftsvereinigung Stahl, Martin Theuringer, hat die EU-Kommission aufgefordert, “den europäischen Markt vor unfairer Konkurrenz zu schützen.” Im Interview mit Table.Briefings warnte Theuringer, die jüngste Nachfrageschwäche in China habe zu einem enormen Anstieg der chinesischen Einfuhren geführt, sowohl auf dem europäischen Markt als auch auf Drittmärkten. “Wir merken den deutlich gestiegenen Importdruck als Folge der enormen globalen Überkapazitäten, die nun auf den EU-Markt drängen und auch auf Drittmärkten EU-Anbieter verdrängen”, sagte Theuringer.
Chinesische Importe würden dieses Jahr ein Niveau von mehr als 100 Millionen Tonnen erreichen – so viel wie zuletzt 2016. “Die wirtschaftliche Lage ist sowohl in Deutschland als auch in Europa sehr ernst. Für die Stahlindustrie in Deutschland gilt dies in besonderem Maße. In Teilen geht es sogar um die Existenz”, warnt Theuringer. Er fordert, die bestehenden Möglichkeiten der EU-Kommission auszuschöpfen – “das Antidumping-Recht, aber auch die Möglichkeit, mit breit angelegten Antisubventionsverfahren gegen den chinesischen Importdruck vorzugehen.”
Das Problem der bestehenden Praxis sei, dass die Antidumping-Verfahren sehr punktuell wirken. “Sie richten sich gegen ein spezifisches Produkt und gegen sehr spezifische Anbieter. Das ist häufig nicht wirksam, weil es dann zahlreiche Umgehungsmöglichkeiten gibt. Deswegen fordern wir, dass es wirklich ein breit angelegtes Verfahren gibt, weil wir wissen, dass die gesamte chinesische Stahlindustrie in hohem Maße subventioniert ist.” grz
Anlässlich des Besuchs von Bundeskanzler Olaf Scholz hat André Algermißen von der Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS) davor gewarnt, dem Einfluss von China und Russland in Zentralasien zu wenig entgegenzusetzen. “Wenn diese Länder sich hoffnungsvoll an Europa wenden, muss ihnen eine angemessene und verlässliche Antwort gegeben werden, um zu verhindern, dass sie enttäuscht werden. Es ist entscheidend, dass die Region nicht allein Russland und China überlassen wird”, betonte Algermißen im Interview mit Table.Briefings.
Dass sich Zentralasien immer weiter von Europa weg entwickelt, könne man nicht pauschal auf alle Staaten der Region übertragen, erklärte der Leiter des KAS-Regionalprogramms für Zentralasien. “Für Tadschikistan und Kirgisistan stimmt das. Aber Usbekistan und Kasachstan haben ihre Abhängigkeiten verringert. Insbesondere in der Wirtschafts- und Sicherheitspolitik bieten sich Chancen für eine engere Zusammenarbeit mit Europa.” Auch Brüssel sollte sein Engagement in Zentralasien steigern und die Region nicht Peking und Moskau überlassen, so Algermißen. “Eine Aktualisierung der Zentralasienstrategie der EU ist dringend erforderlich.”
Die Nutzung von Rohstoffen, die Ölversorgung in Deutschland und der Ukraine-Krieg haben am zweiten Tag der Zentralasien-Reise von Scholz im Mittelpunkt gestanden. Er habe “sehr gute Gespräche” geführt, sagte Scholz am Montag nach einem Treffen mit Kasachstans Präsident Kassym-Schomart Tokajew in Astana. Zudem seien “sehr viele sehr praktische Vereinbarungen abgeschlossen worden”, was “ein gutes Zeichen für die Verbesserung der ökonomischen und politischen Beziehungen” sei.
Bei dem Besuch ging es Scholz zufolge um den Ausbau von erneuerbaren Energien und die Möglichkeiten des Einstiegs in die Wasserstoffwirtschaft. Zudem seien Logistikfragen erörtert worden und “wie wir Infrastrukturen weiter ertüchtigen können, sodass sich die wirtschaftlichen Beziehungen mit dieser Region weiter und besser entwickeln können”. Ferner sei es um konkrete Investitionen deutscher Firmen in der Region gegangen.
Auch der Ostausschuss der Deutschen Wirtschaft betonte angesichts von Scholz’ Reise nach Usbekistan und Kasachstan die Bedeutung der Region. “Die Staaten in Zentralasien spielen eine entscheidende Rolle für die Energiewende“, erklärte der stellvertretende Ausschussvorsitzende Christian Bruch. “Die Region verfügt nicht nur über wertvolle Rohstoffe (…), sondern sie bietet auch ideale Bedingungen für die Erzeugung erneuerbarer Energie und bildet junge, motivierte Fachkräfte aus, die wir in Deutschland dringend benötigen.”
Insbesondere Kasachstan sei bereits ein wichtiger Erdöllieferant und könne künftig eine wichtige Rolle bei der Versorgung der europäischen Industrie mit Grünem Wasserstoff spielen, erklärte der Ostausschuss. Mitglieder des Ausschusses sowie Unternehmensvertreter begleiten Scholz auf der Reise. ari
Italien unterstützt die von der Europäischen Kommission vorgeschlagenen Zölle auf chinesische Exporte von Elektrofahrzeugen. Das sagte der italienische Außenminister Antonio Tajani vor seinem Treffen mit dem chinesischen Handelsminister am Montag in Rom “Wir unterstützen die Zölle, die die EU-Kommission vorschlägt, um die Wettbewerbsfähigkeit unserer Unternehmen zu schützen“, sagte Tajani in einem Interview mit der Tageszeitung Corriere della Sera.
Der Minister empfing seinen chinesischen Amtskollegen Wang Wentao, der in Europa über das Antisubventionsverfahren der Europäischen Union gegen Elektrofahrzeuge aus China sprechen will. Weitere Themen waren der Schutz geistigen Eigentums, Handel im Agrar- und Ernährungssektor sowie Investitionen.
“Wir wollen an einem Handelsplan arbeiten, der auf Gleichberechtigung basiert, und wir fordern gleichen Zugang für unsere Produkte auf ihren Märkten. Unsere Unternehmen müssen unter gleichen Bedingungen miteinander konkurrieren”, sagte Tajani.
Italien hatte sich in einer unverbindlichen Abstimmung der EU-Mitglieder im Juli zunächst für Zölle ausgesprochen, doch Industrieminister Adolfo Urso erklärte vergangene Woche gegenüber Reuters, er erwarte eine Verhandlungslösung. Kürzlich hatte Spaniens Ministerpräsident Pedro Sánchez bei einem Besuch in Peking seine Haltung zu den Zöllen überdacht und den Chinesen sogar Unterstützung zugesagt.
Italien ist nach wie vor ein bedeutender Automobilhersteller mit Marken wie Fiat. Die Europäische Kommission steht kurz davor, endgültige Zölle von bis zu 35,3 % auf in China hergestellte Elektroautos vorzuschlagen, zusätzlich zu den in der EU üblichen Einfuhrzöllen von 10 % auf Autos. rtr
China hat neue Vorkommen Seltener Erden entdeckt. Wie die Hongkonger Zeitung “South China Morning Post” berichtet, hätten Spezialisten für Seltene Erden auf einem Symposium der China Rare Earth Group vergangene Woche bekannt gegeben, dass in der Autonomen Präfektur Liangshan Yi (Provinz Sichuan) 4,96 Millionen Tonnen Seltene Erden gefunden worden seien.
Schon jetzt ist China dem US Geological Survey zufolge mit 44 Millionen Tonnen Vorkommen der weltweit größte Produzent von Seltenen Erden, zu denen 17 Metalloxide gehören. Seltene Erden sind für die technologische Entwicklung von Elektrofahrzeugen, Windturbinen, Robotern oder auch moderner Militärwaffen von entscheidender Bedeutung.
Angesichts der Rivalität zwischen China und den USA im Technologiesektor weckt Chinas Dominanz bei den Seltenen Erden zunehmend Bedenken. Zuletzt hat Peking Exportbeschränkungen von Seltenen Erden erlassen. Zuvor hatte das Ministerium für Staatssicherheit die Elemente als strategische Mineralressourcen eingestuft, die “in direktem Zusammenhang mit der nationalen Sicherheit” stünden. Offizielle Zolldaten zeigen allerdings, dass Chinas Exporte an Seltenen Erden in den ersten acht Monaten des Jahres im Vergleich zum Vorjahr um 6,4 Prozent auf 38.755 Tonnen angestiegen sind. rad
Die Justiz in Hongkong hat erstmals ein Urteil auf Grundlage des neuen Nationalen Sicherheitsgesetzes gefällt. Ein 27-Jähriger bekannte sich am Montag der “aufrührerischen Absicht” schuldig. Sein Vergehen: Er hatte ein T-Shirt mit einem Protestslogan getragen. Wegen der Verschärfung des Sicherheitsgesetzes im März 2024 drohen dem Mann jetzt sieben statt nur zwei Jahren Haft.
Chu Kai-pong war am 12. Juni an einer U-Bahn-Station verhaftet worden. Er hatte ein T-Shirt getragen mit dem Slogan “Befreit Hongkong, die Revolution unserer Zeit” und eine gelbe Maske mit der Aufschrift “FDNOL” – die Kurzform des Slogans “Five demands, not one less”. Beide Slogans wurden bei den massiven, teilweise gewalttätigen Protesten für die Demokratie im Jahr 2019 skandiert. Der 12. Juni gilt als Beginn der monatelangen Unruhen.
Chu sagte der Polizei, er habe das T-Shirt getragen, um die Menschen an die Proteste zu erinnern. Oberrichter Victor So, der von Regierungschef John Lee persönlich ausgewählt wurde, um Fälle der nationalen Sicherheit zu verhandeln, vertagte den Fall auf Donnerstag zur Urteilsverkündung.
Nach den monatelangen Protesten in der Finanzmetropole erließ Peking 2020 ein Gesetz zur nationalen Sicherheit, das Abspaltung, Subversion, Terrorismus oder Kollaboration mit ausländischen Kräften mit bis zu lebenslanger Haft bestraft. Im März 2024 verabschiedete Hongkong ein zweites neues Sicherheitsgesetz – eine hausgemachte Verordnung, die auch als “Artikel 23” bekannt ist. Es ist drastischer und soll Schlupflöcher des Vorgängergesetzes schließen. rtr/grz
China hat den seit 2006 inhaftierten US-Pastor David Lin freigelassen. Das teilte das Außenministerium bereits am Sonntag mit. Jahrelang hatten US-Politiker Peking dazu gedrängt, Lin freizulassen. Der Geistliche war wegen angeblichen Vertragsbetrugs zu lebenslanger Haft verurteilt worden. Lin ist bereits in die USA zurückgekehrt.
“Wir begrüßen die Freilassung von David Lin aus der Haft in der Volksrepublik China. Er ist in die Vereinigten Staaten zurückgekehrt und kann nun zum ersten Mal seit fast 20 Jahren seine Familie wiedersehen”, sagte ein Ministeriumssprecher. Im vergangenen November hatte der Ausschuss für auswärtige Beziehungen des US-Senats Präsident Joe Biden gedrängt, sich beim chinesischen Staatschef Xi Jinping für die Freilassung von Lin und weiteren Inhaftierten – Kai Li und Mark Swidan – einzusetzen. Washington behauptet, alle drei seien zu Unrecht inhaftiert worden. rtr/grz
Der chinesische Wissenschaftler He Jiankui, der 2018 weltweit für Empörung sorgte, als er die ersten genetisch veränderten Babys schuf, denkt offen über einen Umzug in die USA nach, um dort an einer Gen-Behandlung gegen Alzheimer zu arbeiten.
He hatte vor sechs Jahren weltweit Schlagzeilen gemacht, weil er das Erbgut zweier Embryonen manipulierte, um sie gegen HIV resistent zu machen. Der Eingriff entfachte ethische Debatten über die Grenzen der Genforschung. Obwohl He behauptete, die Gen-Editierung sei erfolgreich gewesen, gibt es erhebliche Zweifel an der Wirksamkeit und Sicherheit seiner Experimente. Viele Wissenschaftler kritisieren, dass die langfristigen Auswirkungen der Eingriffe unbekannt sind.
Ein Investor aus dem Silicon Valley habe ihm Geld geboten, um ein Unternehmen zu gründen, das Gentherapien gegen Alzheimer entwickelt, sagte He in einem vom Wissenschaftsmagazin MIT Technology Review organisierten Online-Gespräch. “Es ist ein interessantes Angebot, und ich denke darüber nach”, so He.
He verbrachte nach dem Skandal 2018 drei Jahre im Gefängnis wegen illegaler medizinischer Praktiken. Seit seiner Freilassung 2022 hat er Schwierigkeiten, in der Forschung wieder Fuß zu fassen. Pläne, in Hongkong zu arbeiten, scheiterten, als sein Visum wegen angeblich falscher Angaben widerrufen wurde. Derzeit betreibt He ein Labor in Wuhan und hat zudem eine neue Einrichtung in Sanya auf Hainan eröffnet. Finanziert werde diese von amerikanischen Geldgebern und chinesischen Unternehmen.
Der in den USA ausgebildete Wissenschaftler studierte an der Rice University und forschte an der Stanford University. Er habe sich inzwischen für die Alzheimer-Forschung entschieden, da seine Mutter betroffen sei.
He plant, mit einer neuen Genbearbeitungstechnik, dem Basen-Editing, eine genetische Mutation in menschliche Embryonen einzuführen, um gegen Demenz zu schützen. Dabei betont He, dass er seine Forschung fortsetzen will, jedoch geläutert scheint: Seine Arbeit würde sich zunächst auf Mäuse, Affen und nicht lebensfähige Embryonen beschränken. “Die Grundlagenforschung kann in zwei Jahren abgeschlossen sein.”
Wann die Technik in menschliche Versuche gehe, bestimme die Gesellschaft, sagt He. In 50 Jahren werde die Embryonenbearbeitung so üblich sein wie heute die IVF, und alle Babys würden ohne bekannte Krankheiten geboren. “Ich glaube, die Gesellschaft wird erkennen, dass genetische Bearbeitung die menschliche Gesundheit verbessert.”
He nutzte bei den zwei von ihm manipulierten Babys die sogenannte CRISPR-Cas9-Technik. Mit dieser Methode können gezielt Schnitte in der DNA vorgenommen werden, um Gene zu verändern. Bei den Babys entfernte He das Gen CCR5, um sie gegen HIV zu schützen. Das Verfahren ist bekannt für seine Präzision, birgt aber das Risiko von Off-Target-Effekten, also unbeabsichtigten Veränderungen im Erbgut.
Im Gegensatz dazu ist das Basen-Editing eine weiterentwickelte Technik, die ohne Doppelstrangbrüche in der DNA auskommt. Doppelstrangbrüche sind Risse in beiden Strängen der DNA, die bei CRISPR-Cas9 entstehen und unbeabsichtigte Veränderungen verursachen können.
Beim Basen-Editing werden gezielt einzelne Bausteine der DNA verändert, was es sicherer und genauer macht. Während CRISPR-Cas9 wie eine Schere arbeitet, die die DNA zerschneidet, funktioniert das Basen-Editing wie ein Bleistift, der einen einzelnen Buchstaben im genetischen Code ändert. Diese Technik verspricht präzisere Eingriffe mit weniger Risiken.
In den USA verbieten Bundesgesetze die Finanzierung von Experimenten an genetisch veränderten Embryonen durch staatliche Mittel, und die Food and Drug Administration (FDA) hat keine genetischen Modifikationen in Embryonen zur Anwendung am Menschen genehmigt. In China wurde nach dem Skandal um He die Gesetzgebung verschärft, um unautorisierte genetische Experimente zu verhindern, was zu strengeren Kontrollen und härteren Strafen führte.
In der EU regeln sowohl nationale Gesetze als auch gemeinsame Richtlinien Manipulation von Embryonen. Die meisten EU-Länder, darunter auch Deutschland, verbieten die Keimbahnmanipulation, um Risiken zu vermeiden. In allen drei Regionen ist die gesellschaftliche und wissenschaftliche Debatte über die ethischen Implikationen der Genbearbeitung weiterhin intensiv. Jörn Petring
Tim Rühlig ist seit dieser Woche neuer Senior Analyst für Global China beim EU Institute for Security Studies. Davor war er Senior Research Fellow am Zentrum für Geopolitik, Geoökonomie und Technologie der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP).
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Die Welt des Sports kommt schon lange nicht mehr an China vorbei. Der Markt ist zu verlockend, als dass Sportverbände die Volksrepublik als Austragungsort von Weltmeisterschaften oder Weltcup-Serien meiden würden. So kommt es, dass in China inzwischen Skisprung- oder Rennrodel-Wettbewerbe, Formel 1 oder Motocross-Rennen stattfinden. Am Wochenende flogen die Gelände-Maschinen der weltbesten Crossfahrer in Shanghai beim Oriental Beauty Valley MXGP of China an den Tribünen vorbei. Der Wettbewerb bedeutete die Rückkehr der Serie nach vierjähriger Pause. Wegen der Corona-Pandemie war der Termin in China seit 2020 aus dem Kalender gestrichen. Chinesische Fahrer waren auch am Start. Sie belegten zwar die letzten drei Plätze, ließen aber immerhin die ausgeschiedenen Fahrer hinter sich.
wenn es um Taiwan geht, ist Peking völlig kompromisslos. Jeder Zweifel an den chinesischen Ansprüchen an dem Nachbarland wird zur Staatsaffäre hochstilisiert. Seltsamerweise geschieht dies aber nicht, wenn es um Territorien geht, die Mitte des 19. Jahrhunderts von Russland besetzt wurden. Die gehörten damals zum Reich der Qing-Dynastie und führten in den 1960er-Jahren auch schon einmal zu militärischen Auseinandersetzungen zwischen Moskau und Peking.
Fabian Peltsch nimmt uns mit in die chinesische Historie, die erklärt, weshalb China mit zweierlei Maßstäben misst. Die Erkenntnis: Dass man in China nicht mehr über die Rückgabe russischer Gebiete diskutiert, aber in Sachen Taiwan immer lauter die Kriegstrommel anschlägt, weise vor allem auf das verdrehte Selbstbild der Volksrepublik hin.
Derweil hat sich Christian Domke-Seidel den Auftritt der chinesischen Hersteller bei der Nutzfahrzeuge-Version der IAA in Hannover genauer für uns angeschaut. Die Erkenntnis seiner Analyse: Chinesische Hersteller wollen auch diesen Markt erobern.
Wenn es nach Xi Jinping geht, soll Taiwan spätestens zum 100. Jahrestag der Gründung der Volksrepublik im Jahr 2049 vollständig in das chinesische Festland eingegliedert sein. Damit soll endlich die Wunde geheilt werden, die das Jahrhundert der Demütigung von 1839 bis 1949 im kollektiven Bewusstsein der Chinesen hinterlassen hat.
Doch warum fordert China im Zusammenhang mit seiner territorialen Integrität nicht auch riesige Teile der Mandschurei zurück? Während der schmachvollen Zeit wurden diese Gebiete einst von Russland in ähnlich ungleichen Verträgen annektiert. Diese Frage stellte kürzlich Taiwans Präsident William Lai. Und fügte provokant hinzu: “Russland ist doch jetzt am schwächsten, nicht wahr?”
Lai legte mit seiner Aussage bewusst einen Finger in die chinesische Wunde. Nach dem zweiten Opium-Krieg (1856-1860) hatte das Zarenreich – ebenso wie die Westmächte – die Schwäche der damals herrschenden Qing-Dynastie ausgenutzt und sich im Nordosten Chinas Gebiete einverleibt, dreimal so groß wie Deutschland. Dass China jene Gebiete gerne zurück hätte, zeigte sich 1969. Damals kam es zu militärischen Konfrontationen, weil sich die entzweiten Bruderstaaten nicht einigen konnten, wie die gemeinsame, über 4000 Kilometer lange Grenze wirklich verläuft.
Erst im Juli 2001 wurde zwischen den Ländern ein Freundschaftsvertrag unterzeichnet, in dem der Verzicht auf jegliche Gebietsansprüche festgehalten wurde. Schon damals saß Chinas “alter Freund” Putin mit am Tisch, sein Gegenüber war Staats- und Parteichef Jiang Zemin. Auf offiziellen chinesischen Karten werden aber immer noch die alten chinesischen Namen für die an Russland gefallenen Städte verwendet. “Beherrsche den Osten”, wie Wladiwostok zu Deutsch heißt, geht den Chinesen wohl doch nicht so einfach über die Lippen, auch wenn die chinesische Alternative nicht unbedingt Glanz und Größe ausstrahlt. In China heißt die Stadt Haishenwai – Seegurkenbucht.
“In China herrscht eine besondere historische Empfindlichkeit in Sachen territorialer Integrität, obwohl China zu den wenigen Ländern gehört, die es geschafft haben, die wesentlichsten Gebiete, die es einst verloren hat, im 20. Jahrhundert wiederzuerlangen.” Das sagt der Sinologe und Historiker Klaus Mühlhahn von der Zeppelin-Universität in Friedrichshafen, der sich zuletzt in seinem Buch “Geschichte des modernen China” intensiv mit der Qing-Zeit und ihren Folgen für das chinesische Geschichtsbild auseinandergesetzt hat.
“Wir sind in einer Situation, wo Nordkorea, Russland und China stärker zusammenrücken. Da wird Peking jetzt keinen Keil dazwischen treiben, indem man plötzlich irgendwelche Gebietsansprüche geltend macht.” Dass es aber doch noch eines Tages dazu kommen könnte oder dass sich China die Gebiete de facto über seinen wirtschaftlichen Einfluss zurückholt, sei nicht auszuschließen, so der Historiker.
Dass man in China nicht mehr über die Rückgabe russischer Gebiete diskutiert, aber in Sachen Taiwan immer lauter die Kriegstrommel rührt, weise aber vor allem auf das verdrehte Selbstbild der Volksrepublik hin.
Die Idee eines chinesischen Nationalstaates entwickelte sich erst relativ spät und auf Druck von außen. Lange empfanden sich die Chinesen vor allem als Angehörige der jeweils herrschenden Dynastie und nicht wie im heutigen Sinne als Bürger einer homogenen Kulturnation mit jahrtausendelanger Geschichte.
Die Qing-Dynastie, auf dessen Größe sich die heutige chinesische Nation beruft, war wiederum nicht nur eine Zeit der Schwäche, sondern auch eine, in der das Reich nach außen als Aggressor auftrat und sich selbst große Gebiete einverleibte. “In der Frühphase der Dynastie, also weit vor der oft heraufbeschworenen Phase der Schwäche, hatten die Qing eines der schlagkräftigsten Militärs der Welt”, sagt Mühlhahn. Die neuere Geschichtsschreibung behandelt die Annexion von Gebieten wie Xinjiang und Tibet dementsprechend als Eroberungsfeldzüge, die mit der Unterwerfung und Unterdrückung der jeweiligen Völker einhergingen. “Hier waren die Qing nicht viel besser als die ausländischen Imperialisten. Ihre Feldzüge hatten durchaus einen kolonialistischen und expansiven Unterwerfungscharakter.”
Im Fall der Dsungaren haben die Qing ein Volk an der Peripherie nicht nur unterdrückt, sondern fast völlig ausgerottet. Man könnte auch sagen, im Nationalstaat von heute lebt ein Kolonialreich fort, das nie dekolonisiert wurde.
“Das heutige China identifiziert sich also mit einer imperialen Vergangenheit, die eigentlich von einem nicht chinesischen Volk aktiv geprägt wurde, sondern von den Mandschus, die die Qing-Dynastie begründeten. Das macht die Sache noch komplizierter”, sagt Mühlhahn. Die Mandschus seien auch nicht derart von der Strahlkraft der chinesisch-konfuzianischen Kultur beeindruckt gewesen, dass sie sich freiwillig und vollständig sinisiert hätten, so der Historiker.
Gleiches gelte übrigens auch für die anderen eroberten Völker. “Dieses Narrativ ist längst überholt”, erklärt Mühlhahn. “Übrigens auch unter chinesischen Historikern, wenn man sich jenseits der Propaganda mit ihnen unterhält.” Bis zuletzt hatte die Mandschu-Elite auf ihre Eigenheiten gepocht, und die Han waren ihnen eindeutig untergeordnet. So wurden etwa Ehen zwischen Han und Mandschu erst 1902 erlaubt, in einer Zeit, als das Reich bereits stark im Verfall begriffen war.
Mühlhahns Urteil fällt klar aus: “Geschichte ist für Peking eine der entscheidenden Formen der Legitimation des Systems. Und deshalb spielt dieses desaströse 19. Jahrhundert genauso eine übergroße Rolle wie der imperiale Glanz dieses Regimes. Das historische Narrativ besagt: Die KP hat China aus diesem Desaster geführt, nur sie kann den Glanz der imperialen Vergangenheit wiederbeleben und für die große Wiedergeburt Chinas in der Gegenwart sorgen – und weil die Partei die einzige Kraft ist, die das bewerkstelligen kann, muss sie weiter regieren.”
Gleichzeitig wird aber noch immer die Propaganda von China als Befreier der Welt vom Imperialismus hochgehalten. Zusammengenommen ein historischer Eiertanz ohnegleichen. Wer dem nicht zustimmt, macht sich “historischem Nihilismus” schuldig, der in China harte Strafen nach sich ziehen kann.
Auch deshalb sei es ein essenzieller Bestandteil von China-Kompetenz, solche Narrative nicht einfach unreflektiert zu akzeptieren, sagt Mühlhahn. “Historische Fakten fallen bei der Instrumentalisierung der Geschichte leicht unter den Tisch. Deshalb halte ich es für eine wichtige Aufgabe, dem chinesischen Narrativ ein differenzierteres Geschichtsbild entgegenzusetzen.”
Auf der IAA Transportation in Hannover sind chinesische Hersteller zahlreich vertreten. Sie beweisen eindrücklich, dass E-Mobilität auch mit großen Lasten, auf Baustellen und im öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) funktioniert. Das muss sie auch. Denn die Verkehrswende macht vor diesem Sektor nicht halt.
Die strengen Abgasnormen zwingen Unternehmen, ihre Logistik entsprechend umzustellen. Davon wollen auch Marken aus der Volksrepublik wie BYD, Windrose, Anhui Jianghuai Automobile (JAC) und Xiamen King Long profitieren. Bis zu elf Prozent Marktanteile könnten die Anbieter aus der Volksrepublik mit ihren Lkw und Bussen in Europa erobern, rechnet eine Studie der Boston Consulting Group (BCG) vor.
Um sich ein derart großes Stück vom Kuchen zu sichern, haben die Hersteller unterschiedliche Strategien. JAC beispielsweise setzt auf regionale Zusammenarbeit. Das Unternehmen ist in China etabliert und kann sich auf einen starken Heimatmarkt verlassen. Mit rund 600.000 produzierten Einheiten im Jahr 2023 gehört das Unternehmen dort zu den Top fünf im Bereich der Nutzfahrzeuge. In Europa hat der Hersteller ein Designzentrum in Turin.
Interessiert sich ein Unternehmen dafür, seine Flotte zu erneuern oder zu elektrifizieren, verbringt JAC zwischen drei und zwölf Monaten mit dem Kunden, um die Anwendungen bis ins letzte Detail zu verstehen und individuelle Lösungen anzubieten. Im Bereich der Nutzfahrzeuge sind die Aufbauten und Detaillösungen oft entscheidend. Das Designzentrum in Turin setzt die Lösungen dann um.
“Es ist kein chinesischer Lkw. Es ist eine Zusammenarbeit zwischen dem europäischen Kunden und uns“, erklärt Oscar Yu, Deputy General Manager of JAC International, auf der IAA Transportation. In Spanien und Frankreich konnte JAC bereits namhafte Unternehmen wie Carrefour, Heineken, Danone und Dachser überzeugen.
Der chinesische Lkw-Bauer Windrose setzt hingegen auf eine globale Lösung, die dank dieser Skalierung mit einem Niedrigpreis auf den Markt kommen kann. Der Lkw kommt mit einer Batterie von China Aviation Lithium Battery (CALB) und stellt eine üppige Kapazität von 729 Kilowattstunden bereit. Das soll genug für insgesamt 670 Kilometer Reichweite sein – in den USA kostet das Modell rund 250.000 Dollar. “Unsere Investitionen amortisieren sich bei 10.000 verkauften Lkw”, rechnete Windrose-Gründer Han Wen in einem Interview mit der NZZ vor.
Daimler würde diese Grenze bereits bei 500 Stück erreichen, sagt Han. Was Daimler allerdings nicht kommentiert. Wie schon bei vielen chinesischen Pkw-Herstellern ist auch hier das Ziel zunächst Marktanteile zu generieren, bevor an Rendite gedacht wird. Allein in den USA hatte das Unternehmen im Juni 2024 bereits 5.000 Vorbestellungen.
Auch BYD ist auf der IAA Transportation vertreten. Die Marke befindet sich aktuell im Höhenflug. Im ersten Halbjahr 2024 war der NEV-Spezialist der drittgrößte Automobilproduzent der Welt. Im Bereich der Nutzfahrzeuge möchte BYD vor allem damit punkten, für jede Anwendung eine elektrische Lösung zu bieten. Das beweist auch die Präsentation auf der Messe – der EYT2.0. Ein Spezialfahrzeug, das in Häfen, Flughäfen oder großen Logistikzentren Container oder andere Hänger transportiert.
Rein optisch sorgte King Long auf der IAA Transportation vor allem mit dem Merry Combo für Aufsehen. Der luxuriöse Reisebus erhielt den Red Dot Design Award. Doch auch was den Vertrieb in Europa angeht, macht das Unternehmen aus Xiamen einen Schritt nach vorn. Denn es bringt seinen Partner Digital Sustainable Transport (DST) mit. Der übernimmt Betriebsdienstleistungen für Kunden, die sich für die elektrischen Nutzfahrzeuge von King Long entscheiden. Das heißt, er kümmert sich unter anderem darum, dass der Service eingehalten wird, klärt die Lademöglichkeiten ab, stellt Leasing-Angebote bereit und kümmert sich am Ende des Lebenszyklus um das Recycling bzw. die Abholung. Kurzum: DST erledigt die Punkte, die vielen Flottenmanagern im Bereich der elektrischen Nutzfahrzeuge Kopfschmerzen bereiten.
Dass die chinesischen Hersteller mit ihren elektrischen Nutzfahrzeugen gerade jetzt in Europa in die Offensive gehen, ist kein Zufall, wie auch Pinglu Kang, Executive Vice President von DST, auf der IAA Transportation betont. “Europas Elektrifizierungspläne passen genau zu unserem Produktportfolio.” Er spielt damit auf den Fahrplan der Europäischen Union (EU) zur Senkung CO₂-Emissionen von schweren Nutzfahrzeugen an, der seit Anfang des Jahres 2024 klar ist. Im Zeitfenster 2030 bis 2034 müssen sie um 45 Prozent niedriger liegen als im Vergleichsjahr 2019. In den darauffolgenden Jahren sind es 65 Prozent (2035 bis 2039) und 90 Prozent (ab 2040). Im ÖPNV gelten noch strengere Vorgaben. Neue Stadtbusse müssen bereits ab dem Jahr 2030 um 90 Prozent geringere Emissionen haben und ab 2035 komplett (lokal) emissionsfrei sein.
Der Aufbau einer entsprechenden Ladeinfrastruktur läuft längst. Denn eine EU-Verordnung legt bereits konkrete Mindestziele fest. Bis zum Jahr 2030 müssen allein in Deutschland 314 Lkw-Ladestandorte stehen. Und zwar alle 60 bis 100 Kilometer entlang der wichtigsten deutschen Autobahnen. Die IAA Transportation macht deutlich, dass auch viele chinesische Modelle hier ihre Batterien laden werden.
Der Geschäftsführer der Wirtschaftsvereinigung Stahl, Martin Theuringer, hat die EU-Kommission aufgefordert, “den europäischen Markt vor unfairer Konkurrenz zu schützen.” Im Interview mit Table.Briefings warnte Theuringer, die jüngste Nachfrageschwäche in China habe zu einem enormen Anstieg der chinesischen Einfuhren geführt, sowohl auf dem europäischen Markt als auch auf Drittmärkten. “Wir merken den deutlich gestiegenen Importdruck als Folge der enormen globalen Überkapazitäten, die nun auf den EU-Markt drängen und auch auf Drittmärkten EU-Anbieter verdrängen”, sagte Theuringer.
Chinesische Importe würden dieses Jahr ein Niveau von mehr als 100 Millionen Tonnen erreichen – so viel wie zuletzt 2016. “Die wirtschaftliche Lage ist sowohl in Deutschland als auch in Europa sehr ernst. Für die Stahlindustrie in Deutschland gilt dies in besonderem Maße. In Teilen geht es sogar um die Existenz”, warnt Theuringer. Er fordert, die bestehenden Möglichkeiten der EU-Kommission auszuschöpfen – “das Antidumping-Recht, aber auch die Möglichkeit, mit breit angelegten Antisubventionsverfahren gegen den chinesischen Importdruck vorzugehen.”
Das Problem der bestehenden Praxis sei, dass die Antidumping-Verfahren sehr punktuell wirken. “Sie richten sich gegen ein spezifisches Produkt und gegen sehr spezifische Anbieter. Das ist häufig nicht wirksam, weil es dann zahlreiche Umgehungsmöglichkeiten gibt. Deswegen fordern wir, dass es wirklich ein breit angelegtes Verfahren gibt, weil wir wissen, dass die gesamte chinesische Stahlindustrie in hohem Maße subventioniert ist.” grz
Anlässlich des Besuchs von Bundeskanzler Olaf Scholz hat André Algermißen von der Konrad-Adenauer-Stiftung (KAS) davor gewarnt, dem Einfluss von China und Russland in Zentralasien zu wenig entgegenzusetzen. “Wenn diese Länder sich hoffnungsvoll an Europa wenden, muss ihnen eine angemessene und verlässliche Antwort gegeben werden, um zu verhindern, dass sie enttäuscht werden. Es ist entscheidend, dass die Region nicht allein Russland und China überlassen wird”, betonte Algermißen im Interview mit Table.Briefings.
Dass sich Zentralasien immer weiter von Europa weg entwickelt, könne man nicht pauschal auf alle Staaten der Region übertragen, erklärte der Leiter des KAS-Regionalprogramms für Zentralasien. “Für Tadschikistan und Kirgisistan stimmt das. Aber Usbekistan und Kasachstan haben ihre Abhängigkeiten verringert. Insbesondere in der Wirtschafts- und Sicherheitspolitik bieten sich Chancen für eine engere Zusammenarbeit mit Europa.” Auch Brüssel sollte sein Engagement in Zentralasien steigern und die Region nicht Peking und Moskau überlassen, so Algermißen. “Eine Aktualisierung der Zentralasienstrategie der EU ist dringend erforderlich.”
Die Nutzung von Rohstoffen, die Ölversorgung in Deutschland und der Ukraine-Krieg haben am zweiten Tag der Zentralasien-Reise von Scholz im Mittelpunkt gestanden. Er habe “sehr gute Gespräche” geführt, sagte Scholz am Montag nach einem Treffen mit Kasachstans Präsident Kassym-Schomart Tokajew in Astana. Zudem seien “sehr viele sehr praktische Vereinbarungen abgeschlossen worden”, was “ein gutes Zeichen für die Verbesserung der ökonomischen und politischen Beziehungen” sei.
Bei dem Besuch ging es Scholz zufolge um den Ausbau von erneuerbaren Energien und die Möglichkeiten des Einstiegs in die Wasserstoffwirtschaft. Zudem seien Logistikfragen erörtert worden und “wie wir Infrastrukturen weiter ertüchtigen können, sodass sich die wirtschaftlichen Beziehungen mit dieser Region weiter und besser entwickeln können”. Ferner sei es um konkrete Investitionen deutscher Firmen in der Region gegangen.
Auch der Ostausschuss der Deutschen Wirtschaft betonte angesichts von Scholz’ Reise nach Usbekistan und Kasachstan die Bedeutung der Region. “Die Staaten in Zentralasien spielen eine entscheidende Rolle für die Energiewende“, erklärte der stellvertretende Ausschussvorsitzende Christian Bruch. “Die Region verfügt nicht nur über wertvolle Rohstoffe (…), sondern sie bietet auch ideale Bedingungen für die Erzeugung erneuerbarer Energie und bildet junge, motivierte Fachkräfte aus, die wir in Deutschland dringend benötigen.”
Insbesondere Kasachstan sei bereits ein wichtiger Erdöllieferant und könne künftig eine wichtige Rolle bei der Versorgung der europäischen Industrie mit Grünem Wasserstoff spielen, erklärte der Ostausschuss. Mitglieder des Ausschusses sowie Unternehmensvertreter begleiten Scholz auf der Reise. ari
Italien unterstützt die von der Europäischen Kommission vorgeschlagenen Zölle auf chinesische Exporte von Elektrofahrzeugen. Das sagte der italienische Außenminister Antonio Tajani vor seinem Treffen mit dem chinesischen Handelsminister am Montag in Rom “Wir unterstützen die Zölle, die die EU-Kommission vorschlägt, um die Wettbewerbsfähigkeit unserer Unternehmen zu schützen“, sagte Tajani in einem Interview mit der Tageszeitung Corriere della Sera.
Der Minister empfing seinen chinesischen Amtskollegen Wang Wentao, der in Europa über das Antisubventionsverfahren der Europäischen Union gegen Elektrofahrzeuge aus China sprechen will. Weitere Themen waren der Schutz geistigen Eigentums, Handel im Agrar- und Ernährungssektor sowie Investitionen.
“Wir wollen an einem Handelsplan arbeiten, der auf Gleichberechtigung basiert, und wir fordern gleichen Zugang für unsere Produkte auf ihren Märkten. Unsere Unternehmen müssen unter gleichen Bedingungen miteinander konkurrieren”, sagte Tajani.
Italien hatte sich in einer unverbindlichen Abstimmung der EU-Mitglieder im Juli zunächst für Zölle ausgesprochen, doch Industrieminister Adolfo Urso erklärte vergangene Woche gegenüber Reuters, er erwarte eine Verhandlungslösung. Kürzlich hatte Spaniens Ministerpräsident Pedro Sánchez bei einem Besuch in Peking seine Haltung zu den Zöllen überdacht und den Chinesen sogar Unterstützung zugesagt.
Italien ist nach wie vor ein bedeutender Automobilhersteller mit Marken wie Fiat. Die Europäische Kommission steht kurz davor, endgültige Zölle von bis zu 35,3 % auf in China hergestellte Elektroautos vorzuschlagen, zusätzlich zu den in der EU üblichen Einfuhrzöllen von 10 % auf Autos. rtr
China hat neue Vorkommen Seltener Erden entdeckt. Wie die Hongkonger Zeitung “South China Morning Post” berichtet, hätten Spezialisten für Seltene Erden auf einem Symposium der China Rare Earth Group vergangene Woche bekannt gegeben, dass in der Autonomen Präfektur Liangshan Yi (Provinz Sichuan) 4,96 Millionen Tonnen Seltene Erden gefunden worden seien.
Schon jetzt ist China dem US Geological Survey zufolge mit 44 Millionen Tonnen Vorkommen der weltweit größte Produzent von Seltenen Erden, zu denen 17 Metalloxide gehören. Seltene Erden sind für die technologische Entwicklung von Elektrofahrzeugen, Windturbinen, Robotern oder auch moderner Militärwaffen von entscheidender Bedeutung.
Angesichts der Rivalität zwischen China und den USA im Technologiesektor weckt Chinas Dominanz bei den Seltenen Erden zunehmend Bedenken. Zuletzt hat Peking Exportbeschränkungen von Seltenen Erden erlassen. Zuvor hatte das Ministerium für Staatssicherheit die Elemente als strategische Mineralressourcen eingestuft, die “in direktem Zusammenhang mit der nationalen Sicherheit” stünden. Offizielle Zolldaten zeigen allerdings, dass Chinas Exporte an Seltenen Erden in den ersten acht Monaten des Jahres im Vergleich zum Vorjahr um 6,4 Prozent auf 38.755 Tonnen angestiegen sind. rad
Die Justiz in Hongkong hat erstmals ein Urteil auf Grundlage des neuen Nationalen Sicherheitsgesetzes gefällt. Ein 27-Jähriger bekannte sich am Montag der “aufrührerischen Absicht” schuldig. Sein Vergehen: Er hatte ein T-Shirt mit einem Protestslogan getragen. Wegen der Verschärfung des Sicherheitsgesetzes im März 2024 drohen dem Mann jetzt sieben statt nur zwei Jahren Haft.
Chu Kai-pong war am 12. Juni an einer U-Bahn-Station verhaftet worden. Er hatte ein T-Shirt getragen mit dem Slogan “Befreit Hongkong, die Revolution unserer Zeit” und eine gelbe Maske mit der Aufschrift “FDNOL” – die Kurzform des Slogans “Five demands, not one less”. Beide Slogans wurden bei den massiven, teilweise gewalttätigen Protesten für die Demokratie im Jahr 2019 skandiert. Der 12. Juni gilt als Beginn der monatelangen Unruhen.
Chu sagte der Polizei, er habe das T-Shirt getragen, um die Menschen an die Proteste zu erinnern. Oberrichter Victor So, der von Regierungschef John Lee persönlich ausgewählt wurde, um Fälle der nationalen Sicherheit zu verhandeln, vertagte den Fall auf Donnerstag zur Urteilsverkündung.
Nach den monatelangen Protesten in der Finanzmetropole erließ Peking 2020 ein Gesetz zur nationalen Sicherheit, das Abspaltung, Subversion, Terrorismus oder Kollaboration mit ausländischen Kräften mit bis zu lebenslanger Haft bestraft. Im März 2024 verabschiedete Hongkong ein zweites neues Sicherheitsgesetz – eine hausgemachte Verordnung, die auch als “Artikel 23” bekannt ist. Es ist drastischer und soll Schlupflöcher des Vorgängergesetzes schließen. rtr/grz
China hat den seit 2006 inhaftierten US-Pastor David Lin freigelassen. Das teilte das Außenministerium bereits am Sonntag mit. Jahrelang hatten US-Politiker Peking dazu gedrängt, Lin freizulassen. Der Geistliche war wegen angeblichen Vertragsbetrugs zu lebenslanger Haft verurteilt worden. Lin ist bereits in die USA zurückgekehrt.
“Wir begrüßen die Freilassung von David Lin aus der Haft in der Volksrepublik China. Er ist in die Vereinigten Staaten zurückgekehrt und kann nun zum ersten Mal seit fast 20 Jahren seine Familie wiedersehen”, sagte ein Ministeriumssprecher. Im vergangenen November hatte der Ausschuss für auswärtige Beziehungen des US-Senats Präsident Joe Biden gedrängt, sich beim chinesischen Staatschef Xi Jinping für die Freilassung von Lin und weiteren Inhaftierten – Kai Li und Mark Swidan – einzusetzen. Washington behauptet, alle drei seien zu Unrecht inhaftiert worden. rtr/grz
Der chinesische Wissenschaftler He Jiankui, der 2018 weltweit für Empörung sorgte, als er die ersten genetisch veränderten Babys schuf, denkt offen über einen Umzug in die USA nach, um dort an einer Gen-Behandlung gegen Alzheimer zu arbeiten.
He hatte vor sechs Jahren weltweit Schlagzeilen gemacht, weil er das Erbgut zweier Embryonen manipulierte, um sie gegen HIV resistent zu machen. Der Eingriff entfachte ethische Debatten über die Grenzen der Genforschung. Obwohl He behauptete, die Gen-Editierung sei erfolgreich gewesen, gibt es erhebliche Zweifel an der Wirksamkeit und Sicherheit seiner Experimente. Viele Wissenschaftler kritisieren, dass die langfristigen Auswirkungen der Eingriffe unbekannt sind.
Ein Investor aus dem Silicon Valley habe ihm Geld geboten, um ein Unternehmen zu gründen, das Gentherapien gegen Alzheimer entwickelt, sagte He in einem vom Wissenschaftsmagazin MIT Technology Review organisierten Online-Gespräch. “Es ist ein interessantes Angebot, und ich denke darüber nach”, so He.
He verbrachte nach dem Skandal 2018 drei Jahre im Gefängnis wegen illegaler medizinischer Praktiken. Seit seiner Freilassung 2022 hat er Schwierigkeiten, in der Forschung wieder Fuß zu fassen. Pläne, in Hongkong zu arbeiten, scheiterten, als sein Visum wegen angeblich falscher Angaben widerrufen wurde. Derzeit betreibt He ein Labor in Wuhan und hat zudem eine neue Einrichtung in Sanya auf Hainan eröffnet. Finanziert werde diese von amerikanischen Geldgebern und chinesischen Unternehmen.
Der in den USA ausgebildete Wissenschaftler studierte an der Rice University und forschte an der Stanford University. Er habe sich inzwischen für die Alzheimer-Forschung entschieden, da seine Mutter betroffen sei.
He plant, mit einer neuen Genbearbeitungstechnik, dem Basen-Editing, eine genetische Mutation in menschliche Embryonen einzuführen, um gegen Demenz zu schützen. Dabei betont He, dass er seine Forschung fortsetzen will, jedoch geläutert scheint: Seine Arbeit würde sich zunächst auf Mäuse, Affen und nicht lebensfähige Embryonen beschränken. “Die Grundlagenforschung kann in zwei Jahren abgeschlossen sein.”
Wann die Technik in menschliche Versuche gehe, bestimme die Gesellschaft, sagt He. In 50 Jahren werde die Embryonenbearbeitung so üblich sein wie heute die IVF, und alle Babys würden ohne bekannte Krankheiten geboren. “Ich glaube, die Gesellschaft wird erkennen, dass genetische Bearbeitung die menschliche Gesundheit verbessert.”
He nutzte bei den zwei von ihm manipulierten Babys die sogenannte CRISPR-Cas9-Technik. Mit dieser Methode können gezielt Schnitte in der DNA vorgenommen werden, um Gene zu verändern. Bei den Babys entfernte He das Gen CCR5, um sie gegen HIV zu schützen. Das Verfahren ist bekannt für seine Präzision, birgt aber das Risiko von Off-Target-Effekten, also unbeabsichtigten Veränderungen im Erbgut.
Im Gegensatz dazu ist das Basen-Editing eine weiterentwickelte Technik, die ohne Doppelstrangbrüche in der DNA auskommt. Doppelstrangbrüche sind Risse in beiden Strängen der DNA, die bei CRISPR-Cas9 entstehen und unbeabsichtigte Veränderungen verursachen können.
Beim Basen-Editing werden gezielt einzelne Bausteine der DNA verändert, was es sicherer und genauer macht. Während CRISPR-Cas9 wie eine Schere arbeitet, die die DNA zerschneidet, funktioniert das Basen-Editing wie ein Bleistift, der einen einzelnen Buchstaben im genetischen Code ändert. Diese Technik verspricht präzisere Eingriffe mit weniger Risiken.
In den USA verbieten Bundesgesetze die Finanzierung von Experimenten an genetisch veränderten Embryonen durch staatliche Mittel, und die Food and Drug Administration (FDA) hat keine genetischen Modifikationen in Embryonen zur Anwendung am Menschen genehmigt. In China wurde nach dem Skandal um He die Gesetzgebung verschärft, um unautorisierte genetische Experimente zu verhindern, was zu strengeren Kontrollen und härteren Strafen führte.
In der EU regeln sowohl nationale Gesetze als auch gemeinsame Richtlinien Manipulation von Embryonen. Die meisten EU-Länder, darunter auch Deutschland, verbieten die Keimbahnmanipulation, um Risiken zu vermeiden. In allen drei Regionen ist die gesellschaftliche und wissenschaftliche Debatte über die ethischen Implikationen der Genbearbeitung weiterhin intensiv. Jörn Petring
Tim Rühlig ist seit dieser Woche neuer Senior Analyst für Global China beim EU Institute for Security Studies. Davor war er Senior Research Fellow am Zentrum für Geopolitik, Geoökonomie und Technologie der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP).
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Die Welt des Sports kommt schon lange nicht mehr an China vorbei. Der Markt ist zu verlockend, als dass Sportverbände die Volksrepublik als Austragungsort von Weltmeisterschaften oder Weltcup-Serien meiden würden. So kommt es, dass in China inzwischen Skisprung- oder Rennrodel-Wettbewerbe, Formel 1 oder Motocross-Rennen stattfinden. Am Wochenende flogen die Gelände-Maschinen der weltbesten Crossfahrer in Shanghai beim Oriental Beauty Valley MXGP of China an den Tribünen vorbei. Der Wettbewerb bedeutete die Rückkehr der Serie nach vierjähriger Pause. Wegen der Corona-Pandemie war der Termin in China seit 2020 aus dem Kalender gestrichen. Chinesische Fahrer waren auch am Start. Sie belegten zwar die letzten drei Plätze, ließen aber immerhin die ausgeschiedenen Fahrer hinter sich.