Chinas Staatspräsident Xi Jinping hat erstmals seit Beginn des Krieges gegen die Ukraine mit seinem Amtskollegen Wolodymyr Selenskyj telefoniert. Wie aus der chinesischen Stellungnahme hervorgeht, produzierte das Gespräch auch zwei handfeste Ergebnisse, berichtet Fabian Peltsch: Einerseits wird die chinesische Regierung einen Sondergesandten für eurasische Angelegenheiten in die Ukraine schicken, damit dieser dort Gespräche für eine politische Lösung der Krise führt. Zudem wird Peking humanitäre Hilfe nach Kiew entsenden.
Mehrere europäische Vertreter hatten in den vergangenen Wochen an Xi appelliert, mit Selenskyj zu sprechen. In Brüssel munkelten Stimmen, dass der denkwürdige Auftritt des chinesischen Botschafters in Frankreich, Lu Shaye, den letzten Stein ins Rollen gebracht haben könnte. Lu hatte vergangene Woche Staaten der ehemaligen Sowjetunion die Souveränität abgesprochen. Das Außenministerium in Peking ruderte schon bemerkenswert deutlich davon zurück. Nach dem Telefonat verbreiteten staatliche Stellen, Xi habe die “Achtung der Souveränität und territorialen Integrität” betont.
Am Dienstag war bekannt geworden, dass der Unabhängigkeits-Aktivist Yang Chih-yuan nach seiner Festnahme im August in China vor Gericht stehen wird. Der Vorwurf lautet: Sezession. Es ist das erste Mal, dass einem taiwanischen Staatsbürger vor einem chinesischen Gericht wegen seiner politischen Aktivität der Prozess gemacht wird, schreibt Marcel Grzanna. Die Anklage zeigt: Peking will seine Interessen im Ausland durch seine Gesetze im Inland wahren.
Die Meldung kam am Mittwochabend, Pekinger Ortszeit, wie aus heiterem Himmel: Chinas Präsident Xi Jinping hat mit Wolodymyr Selenskyj, dem Präsident der Ukraine telefoniert, meldeten die Staatsmedien. Wie Selenskyj kurz danach auf Twitter mitteilte, sei das Gespräch “lang und bedeutsam” gewesen. Das Telefonat wurde vor allem von ukrainischer Seite seit Monaten erwartet. Seit der Invasion russischer Truppen in der Ukraine herrschte zwischen den beiden Staatschefs Funkstille. Statt mit Selenskyj zu sprechen, traf Xi im März seinen “guten alten Freund” Wladimir Putin in Moskau. Freundschaftsbekundungen und wirtschaftliche Kooperation mit Russland standen dabei im Vordergrund. Als Selenskyj wenige Tage später eine Einladung an Xi aussprach und der Nachrichtenagentur AP erklärte “wir sind bereit, ihn hier zu sehen”, konnte man die Verzweiflung zwischen den Zeilen nicht überhören.
Selenskyj ist klar, dass China das einzige Land ist, das substantiellen Druck auf Russland ausüben kann, um gemeinsam mit der Ukraine auf einen Frieden hinzuarbeiten. Peking hatte zu diesem Zweck im Februar einen 12-Punkte-Plan für eine “politische Lösung der Ukraine-Krise” vorgelegt. Dieser beinhaltet unter anderem die Forderung nach einer Deeskalation und einen eventuellen Waffenstillstand. Bei näherem Hinsehen entpuppte sich der Plan jedoch als schwammig, unkonkret und tendenziell dem Narrativ und den Ansprüchen des russischen Partners folgend. So sah das auch Selenskyj. Er werde erst dann eine Friedensregelung in Betracht ziehen, wenn die russischen Truppen das ukrainische Gebiet verlassen haben.
Ob solche Pläne nun Teil des Telefonats mit Xi waren, ist nicht bekannt: “Ich glaube, dass dieser Anruf, ebenso wie die Ernennung des ukrainischen Botschafters in China, der Entwicklung unserer bilateralen Beziehungen Schwung verleihen wird”, schrieb Selenskyj nach dem Telefonat auf Twitter. Selenskyjs Sprecher Sergii Nikiforov sagte in einem Facebook-Post, die Diskussion habe fast eine Stunde gedauert. Der neue Botschafter für China, von dem die Rede ist, heißt Pawel Ryabikin. Er leitete bislang das Ministerium für strategische Industrien. Der Posten des Botschafters war seit Februar 2021 nicht besetzt gewesen.
Laut einem Readout, das die Staatsmedien veröffentlichten, war der Ton des Telefonats freundlich bis kooperativ. Xi bedankte sich bei Selenskyj, dass die Ukraine mitgeholfen habe, chinesische Bürger zu evakuieren. Selenskyj bekräftigte demnach wiederum, an der Ein-China-Politik festzuhalten. Man hoffe auf eine umfassende Zusammenarbeit mit China, um “ein neues Kapitel in den ukrainisch-chinesischen Beziehungen aufzuschlagen und gemeinsam an der Erhaltung von Frieden und Stabilität in der Welt zu arbeiten.”
In der Erklärung des Außenministeriums wurde laut der Nachrichtenagentur AP zudem der ukrainischen Forderung zugestimmt, ihr Territorium nicht durch russische Annexionen zu zerschlagen. Gleichzeitig wurde deutlich gemacht, dass Peking seine langjährigen Beziehungen zur Ukraine schätzt. “Unabhängig davon, wie sich die internationale Lage entwickelt, wird China mit der Ukraine zusammenarbeiten, um eine für beide Seiten vorteilhafte Kooperation zu fördern”, hieß es laut AP.
Wie geht es nach dem Telefonat weiter? Wie Hua Chunying, die Sprecherin des chinesischen Außenministeriums, ankündigte, werde Peking nun den Sonderbeauftragten der chinesischen Regierung für eurasische Angelegenheiten in die Ukraine und andere Länder entsenden, “um mit allen Parteien eingehende Gespräche über eine politische Lösung der Ukraine-Krise zu führen”. Der derzeitige Sonderbeauftragte Chinas für den eurasischen Raum ist seit 2019 Li Hui. Der 70-Jährige ist ein Kenner Osteuropas und Russlands. Schon Mitte der 1970er-Jahre trat er in die Abteilung für die UdSSR und Europa des chinesischen Außenministeriums ein. Von hier erklomm er als Sekretär der chinesischen Botschaft in der UdSSR und später als Sekretär der chinesischen Botschaft in der Russischen Föderation die Karriereleiter. Von 2009 bis 2019 war er schließlich Botschafter der Volksrepublik China in Russland, bis er im Juli 2019 seinen Rücktritt bekannt gab.
In seinem neuen Posten als Sonderbeauftragter Eurasiens propagiert Li bislang vor allem die Umsetzung der “Belt & Road”-Initiative in der Region, wobei er stets die wichtige Rolle Russlands betont. “Ein starkes gegenseitiges politisches Vertrauen ist das wichtigste Merkmal der chinesisch-russischen Beziehungen und die Grundlage der bilateralen Beziehungen”, erklärte er etwa im Vorfeld des zweiten Belt and Road Forums for International Cooperation (BRF) im April 2019, zu der auch Putin nach Peking reiste.
Ob Lis Mission zu für beide Seiten befriedigenden Friedensverhandlungen beitragen kann, ist fraglich. Chinas Ministerium machte keine näheren Angaben darüber, wann Li die Reise antreten wird und welche Länder er besuchen wird. Auch Chinas Staatsmedien bleiben gewohnt schwammig. Präsident Xi habe Selenskyj am Telefon mitgeteilt, dass “Gespräche und Verhandlungen der einzige Ausweg” aus dem Krieg seien. Alle beteiligten Parteien müssten “ruhig und beherrscht” bleiben. China sei “weder eine Konfliktpartei noch will es am Rande stehen, Öl ins Feuer gießen oder von der Situation profitieren” (我们既不会隔岸观火,也不会拱火浇油,更不干趁机牟利的事).
Selenskyj kann und will die Hoffnung in Peking ganz offensichtlich nicht aufgeben. Mit seinem Friedensplan habe China immerhin gezeigt, dass man über die Ukraine sprechen wolle, und das sei schon mal “nicht schlecht”, hatte er bei einer Rede zum Jahrestag der Invasion Ende Februar erklärt. Dass Xi sich auf seiner Moskau-Reise nicht positiv zur Rolle Russlands im Ukraine-Krieg äußerte, interpretierte Selenskyj sogar als Niederlage für Putin. “Er hat keine Verbündeten”, erklärte er damals in einem Interview.
Das Weiße Haus teilte mit, es sei nicht vorab über das Telefonat informiert worden, bezeichnete es aber als positive Entwicklung. Das Gespräch ermögliche es Xi, die Sicht der Ukraine auf die illegale, unprovozierte Invasion zu hören. “Wir halten das für eine gute Sache”, sagte der Sprecher des Nationalen Sicherheitsrates des Weißen Hauses, John Kirby.
Auch die Bundesregierung wertete das Telefonat zwischen Xi und Selenskyj positiv. China habe als ständiges Mitglied des UN-Sicherheitsrats eine “besondere Verantwortung zur Beendigung des völkerrechtswidrigen russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine”, sagte ein Regierungssprecher am Mittwoch. “Dass es nun einen Dialog zwischen der Ukraine und China auf höchster Ebene gibt, ist ein gutes Signal.” Die deutsche Haltung zum Krieg bleibe dabei unverändert, betonte der Sprecher: “Grundlage für die Entwicklung eines fairen Friedens in der Ukraine ist ein Truppenrückzug Russlands.”
Die Nachrichten von zwei Festnahmen beunruhigen Taiwan. Seit mehreren Monaten schon befinden sich ein taiwanischer Verleger und ein Aktivist in chinesischer Haft. Erst jetzt wurden Einzelheiten der Fälle publik, die vordergründig nichts miteinander zu tun haben. Tatsächlich sind sie Ausdruck eines Selbstverständnisses der chinesischen Justiz, über taiwanische Staatsbürger Recht sprechen zu dürfen wie über die eigenen Bürger.
Am Dienstag war bekannt geworden, dass der Unabhängigkeits-Aktivist Yang Chih-yuan nach seiner Festnahme im August in China vor Gericht stehen wird. Der Vorwurf lautet: Sezession. Es ist das erste Mal, dass einem taiwanischen Staatsbürger vor einem chinesischen Gericht wegen seiner politischen Aktivität der Prozess gemacht wird.
Wenige Tage zuvor hatte zudem die Familie des Verlegers Li Yanhe darüber informiert, dass der in Taiwan eingebürgerte Festland-Chinese ebenfalls seit Monaten in China in Haft sitzt. Li, der auch unter dem Namen Fu Cha bekannt ist, hat Bücher publiziert zu Themen, die in China zensiert werden: zum Schicksal der Uiguren in Xinjiang, zu chinesischer Propaganda oder zum blutigen Ende der Demokratie-Bewegung von 1989.
Die Zivilgesellschaft in Taiwan ist aufgeschreckt. Die beiden Fälle werfen Fragen auf. Wie sicher sind Reisen in die Volksrepublik für Bürger des Inselstaates? Und auf welcher rechtlichen Grundlage klagt die chinesische Strafverfolgung Taiwaner an, die lediglich die Bürgerrechte ihres eigenen Landes ausüben?
Der Aktivist Lee Ming-che, der bis zum April vergangenen Jahres seinerseits fünf Jahre in chinesischer Haft gesessen hat und inzwischen zurück in seiner Heimat ist, warnt seine Mitbürger vor Übergriffen der chinesischen Regierung: “Chinas Unterdrückung des taiwanischen Selbstbewusstseins wird nicht aufhören, und Chefredakteur Fu Cha ist erst der Anfang. In der Vergangenheit war es impliziter Druck, aber jetzt ist es unverhohlene Verhaftung”, hatte er am Wochenende über soziale Medien kommentiert. Da wusste er noch nichts von der Inhaftierung von Aktivist Yang.
In der Volksrepublik sind beide Männer nach dem jetzigen Stand der Dinge nicht straffällig geworden. Die Festnahmen deuten darauf hin, dass China die eigene Rechtssprechung über die eigenen Staatsgrenzen hinaus als legitim betrachtet. “Als aufstrebende Weltmacht liegt es im Interesse Chinas, ein Rechtssystem der Extraterritorialität zu schaffen, um seine eigenen nationalen Interessen, die sich auf die ganze Welt erstrecken, zu schützen“, bilanzieren die Autoren Huo Zhengxin und Yip Man in einem Beitrag für das Chinese Journal of Comparative Law der Universität Oxford.
In Hongkong, dessen Autonomie die chinesische Regierung trotz gegenteiliger Zusagen abgewürgt hat, erhebt das Nationale Sicherheitsgesetz seit Mitte 2020 einen solchen extraterritorialen Anspruch. Nicht nur Hongkonger Staatsbürger, die im Exil leben, können sich demnach strafbar machen, sondern auch ausländische Bürger im Ausland, deren Handeln staatlichen Hongkonger Interessen zuwiderläuft.
Einer der ersten Ausländer, die aufgrund des Sicherheitsgesetzes zur internationalen Fahndung ausgeschrieben waren, war der frühere dänische Kulturminister Uffe Elbaek. Der Parlamentarier hatte einem Hongkonger Politiker mit einer Einladung zu einer getürkten Konferenz in Kopenhagen zur Flucht aus Hongkong verholfen und ihn somit vor einem Gerichtsprozess bewahrt.
Die Fälle Li Yanhe und Yang Chih-yuan sind ein starkes Warnsignal für alle Taiwaner, die die Absicht haben, in die Volksrepublik zu reisen. Beide Inhaftierten waren in dem sicheren Glauben nach China eingereist, dass ihnen trotz ihrer Tätigkeiten nichts passieren würde. Li soll 2020 bereits in der Volksrepublik gewesen sein und konnte seinerzeit noch mühelos nach Taiwan zurückkehren. Dieses Mal habe er Familienmitglieder besuchen wollen, schrieb der chinesische Dichter Bei Ling in Sozialmedien. Bei hatte nach Rücksprache mit Lis Familie dessen Festnahme öffentlich gemacht.
Weshalb sein erneuter Besuch zur Festnahme führte, ist unklar. Tatsache ist nur, dass die geopolitischen Spannungen um Taiwan in den vergangenen Jahren massiv zugenommen haben. Jeder taiwanische Staatsbürger in den Händen der chinesischen Justiz ist ein Trumpf in möglichen Verhandlungen zwischen beiden Regierungen.
Dazu gehört nun auch der Aktivist Yang. Der 33-Jährige wurde kurz nach dem Besuch der damaligen Sprecherin des US-Repräsentantenhauses Nancy Pelosi in Taiwan festgenommen und zunächst für sechs Monate ohne Anklage festgehalten. Nach chinesischem Strafrecht droht ihm als Mitglied einer Partei, die sich für Taiwans Unabhängigkeit einsetzt, eine lange Haftstrafe zwischen zehn Jahren und lebenslang.
Der chinesische Handelsminister Wang Wentao hat am Mittwoch Kanzleramtschef Wolfgang Schmidt in Berlin getroffen. Mit Schmidt habe Wang die “Umsetzung von gemeinsamen Absichten deutscher und chinesischer Führungspersönlichkeiten” besprochen, teilte das Ministry of Commerce (Mofcom) mit. Damit ist vermutlich die Nachbereitung der China-Reise des Bundeskanzlers im vergangenen November gemeint.
Ein weiteres Thema sei die Zusammenarbeit in den Bereichen erneuerbare Energie und Digitalwirtschaft gewesen, so das Mofcom. Auch die Erleichterung von Geschäftsreisen zwischen beiden Ländern stand auf der Tagesordnung. Das Bundespresseamt wollte sich nicht zu den Inhalten des Gesprächs äußern. Mit Wirtschaftsminister Robert Habeck war ebenfalls ein Termin angesetzt. Vonseiten des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) waren dazu am Mittwoch aber keine Details zu erfahren.
Wang traf in Berlin am Mittwoch auch Dirk Hilbert, den Oberbürgermeister von Dresden. Zum Wochenbeginn hatte Wang bereits Termine in München und Brüssel absolviert. In München saß der Handelsminister unter anderem mit Bayerns Ministerpräsidenten Markus Söder an einem Tisch. Hier ging es den Informationen aus China zufolge um die Themen Investitionen und Fragen der Stabilität von Lieferketten. Die Bayerische Staatskanzlei wollte sich zu dem Treffen Wang-Söder nicht äußern.
Am Montag in Brüssel war Wang bereits mit EU-Handelskommissar Valdis Dombrovskis zusammengetroffen. Hier war ein Thema die Vorbereitung des 10. EU-China-Dialogs zu Wirtschaft und Handel. fin
Die Inselrepublik konzentriert sich bei ihrer jährlichen Militärübung dieses Mal auf Maßnahmen gegen eine Blockade der Insel. Bei dem Manöver Han Kuang solle auf einen Planungsteil vom 15. bis 19. Mai die Einsatzübung mit scharfer Munition vom 24. bis 28. Juli folgen, teilte das Verteidigungsministerium am Mittwoch mit.
Die geplante Überprüfung der Kampfbereitschaft stehe unter dem Eindruck der jüngsten Militärübungen Chinas. Dabei hatte das chinesische Militär nicht nur für eine Blockade der Insel trainiert, sondern auch Präzisionsangriffe geübt. Für Mittwoch kündigte China weitere Manöver in einigen Teilen des Ostchinesischen Meers an, das nordöstlich von Taiwan liegt.
Chinesische Staatsmedien meldeten zudem eine Übereinkunft Chinas und Russlands im Hinblick auf das Seerecht. Die chinesische Küstenwache und der russische Sicherheitsdienst hätten eine Absichtserklärung unterzeichnet, die ein gemeinsames Vorgehen im Kampf gegen Terrorismus, illegale Einwanderung, Drogen- und Waffenschmuggel sowie unerlaubte Fischerei vorsehe.
Die jüngsten Kommentare des EU-Außenbeauftragten Josep Borrell mit Blick auf Taiwan sorgen unterdessen für Aufregung in China. Das Taiwan-Büro der chinesischen Regierung erklärte am Mittwoch, die Behörden seien vorbereitet und in höchster Alarmbereitschaft, sollte die Souveränität des chinesischen Territoriums infrage gestellt werden. Borrell hatte in einem Meinungsartikel für die französische Sonntagszeitung Le Journal du Dimanche EU-Marine-Patrouillen in der Taiwan-Straße zwischen der Insel und dem chinesischen Festland gefordert. rtr/flee
Großbritanniens Außenminister James Cleverly hat in einer Grundsatzrede zur britischen Außenpolitik zu konstruktiven, aber auch widerstandsfähigen Beziehungen zu China aufgerufen. Eine Isolierung der Volksrepublik verstoße gegen das nationale Interesse Großbritanniens, sagte Cleverly am Dienstagabend im Mansion House London. “Kein bedeutendes globales Problem – vom Klimawandel bis zur Pandemieprävention, von der wirtschaftlichen Stabilität bis zur nuklearen Proliferation – kann ohne China gelöst werden”, sagte Cleverly.
“Es wäre einfach – vielleicht sogar befriedigend – für mich, einen neuen Kalten Krieg auszurufen und zu sagen, dass es unser Ziel ist, China zu isolieren”, sagte Cleverly. Dieser Schritt wäre jedoch falsch. “Weil es ein Verrat an unseren nationalen Interessen und ein vorsätzliches Missverständnis der modernen Welt wäre”, sagte der Minister.
Gleichzeitig warnte er Peking davor, seine Streitkräfte weiter aufzubauen und eine “tragische Fehlkalkulation” im Pazifik zu riskieren. Er forderte China auf, seine militärische Expansion transparent zu machen, und beschuldigte Peking, “die größte militärische Aufrüstung in der Friedensgeschichte durchgeführt” zu haben. ari
Das Verhältnis zwischen China und den USA ist so schlecht wie nie seit Aufnahme der diplomatischen Beziehungen im Jahre 1979. Bezog sich die schlechte Stimmung vor allem auf die geopolitischen Spannungen zwischen den beiden größten Mächten der Welt, macht sie sich nun auch unter US-Unternehmen breit.
In einer Umfrage der US-Handelskammer in China (AmCham) gaben im April 87 Prozent der Befragten an, dass sie pessimistisch auf das Verhältnis zwischen den beiden größten Volkswirtschaften blicken. Ein Monat zuvor waren es noch 14 Prozentpunkte weniger.
Knapp ein Viertel (23 Prozent) erwägt oder hat bereits damit begonnen, seine Lieferketten in andere Länder zu verlegen. 27 Prozent berichteten, dass ihre Unternehmen neue Prioritäten auf andere Länder legten – ein Zuwachs um 22 Prozentpunkte. “Der Mangel an Vertrauen in die bilateralen Beziehungen hat die Sorgen über amerikanische Investitionen und die Gesamtrisikobelastung vergrößert”, heißt es in einem Schreiben der US-Handelskammer. flee
Abgeordnete des Europaparlaments drängen auf eine gemeinsame EU-Strategie gegen Desinformation aus China über die anstehenden Europa-Wahlen. Die EU-Parlamentarier des Sonderausschusses zu ausländischer Einflussnahme forderten EU-Kommission und -Rat auf, die Nutzung von Ausrüstung und Software von TikTok, ByteDance, Huawei, ZTE, Nuctech zu unterbinden.
Der Ausschuss arbeitet an einem neuen Bericht zur ausländischen Einflussnahme, neben China auch aus Russland. Der Bericht, der Empfehlungen für die anderen EU-Institutionen enthält, befindet sich noch in der Abstimmung. Auch “die sofortige Beendigung bestehender Kooperationen mit Forschungseinrichtungen, die direkt vom chinesischen Militär finanziert werden oder Beziehungen zu diesem haben” soll in dem Bericht gefordert werden. ari
Für die Einreise in China wird ab diesem Wochenende kein negativer PCR-Test auf das Coronavirus mehr verlangt. Die Gäste könnten stattdessen einen negativen Antigentest vorlegen, der nicht älter als 48 Stunden sei, teilte die Sprecherin des chinesischen Außenministeriums, Mao Ning mit. Zudem seien Fluggesellschaften nicht länger verpflichtet, die Testergebnisse vor dem Abflug zu prüfen. flee
Nach fünf Jahren eines einst undenkbaren Handelskriegs mit China hat US-Finanzministerin Janet Yellen am 20. April ihre Worte mit großer Sorgfalt gewählt. In einer thematisch breit gefächerten Rede kehrte sie die Voraussetzungen eines US-Engagements mit China um und räumte Bedenken über die nationale Sicherheit Vorrang vor wirtschaftlichen Überlegungen ein. Es war das offizielle Ende eines 40 Jahre währenden Schwerpunkts auf Wirtschaft und Handel als Anker der wichtigsten bilateralen Beziehung der Welt. Yellens Haltung bezüglich der Sicherheit war fast schon auf Konfrontation ausgelegt: “Wir werden in der Frage dieser Bedenken keine Kompromisse eingehen, selbst wenn sie Abstriche in Bezug auf unsere wirtschaftlichen Interessen erzwingen.”
Yellens Sicht liegt klar auf einer Linie mit der schrillen chinafeindlichen Stimmung, die die USA inzwischen im Griff hält. Der “neue Washingtoner Konsens” (so die Bezeichnung des Financial Times-Kolumnisten Edward Luce) besagt, dass das Zugehen auf China der Sündenfall innerhalb der US-chinesischen Beziehung war, weil es China freie Hand gab, von der geschäftsorientierten Naivität der USA zu profitieren. Chinas Aufstieg in die Welthandelsorganisation 2001 gilt in dieser Hinsicht als Paradebeispiel: Die USA hätten ihre Märkte geöffnet, doch China habe sein Versprechen gebrochen, mehr so zu werden wie die USA. Das Zugehen auf China öffnete laut diesem verworrenen, aber weithin akzeptierten Argument Sicherheitsrisiken und Menschenrechtsverstößen Tür und Tor. Amerikas Regierungsvertreter sind nun entschlossen, diese Türen zuzuschlagen.
Weitere Schritte stehen bevor. Präsident Joe Biden ist kurz davor, eine Präsidentenverordnung zu erlassen, die Direktinvestitionen durch US-Unternehmen in China bei bestimmten “sensiblen Technologien” wie künstlicher Intelligenz und Quantencomputern einschränkt. Die USA bestreiten den Vorwurf Chinas, dass dies darauf zielt, die chinesische Entwicklung abzuwürgen. Wie die gegen den chinesischen Telekommunikationsriesen Huawei verhängten und die gegenüber der Social-Media-App TikTok erwogenen Sanktionen werden auch diese Maßnahmen mit der nationalen Sicherheit begründet.
Die US-Argumentation beruht nicht auf klaren Beweisen, sondern auf der Mutmaßung böser Absichten in Verbindung mit Chinas Verwischung der Grenzen zwischen militärischer und ziviler Nutzung. Doch ringen die USA mit einer eigenen sicherheitsbezogenen Grenzverwischung: der schwammigen Unterscheidung zwischen Amerikas mangelnden Investitionen in die Innovation und den realen und eingebildeten Gefahren chinesischer Technologien.
Yellens Rede offenbart, dass beide Supermächte in die gleiche Richtung denken. Auf dem 20. Nationalkongress der Kommunistischen Partei im vergangenen Oktober betonte der chinesische Präsident Xi Jinping in seiner Eröffnungsrede ebenfalls die nationale Sicherheit. Beide Länder fürchten sich gleichermaßen von der vom jeweils anderen ausgehenden Sicherheitsbedrohung; die Abkehr vom Dialog hin zur Konfrontation beruht auf Gegenseitigkeit.
Yellen hat völlig Recht, wenn sie diese Wende in den Beziehungen als Zielkonflikt fasst. Doch hat sie die wirtschaftlichen Folgen des Konflikts lediglich angedeutet. Und sie zu quantifizieren ist nicht einfach. Aber die amerikanische Öffentlichkeit hat Anspruch darauf, zu wissen, was auf dem Spiel stellt, wenn ihre Regierung eine lebenswichtige Wirtschaftsbeziehung infrage stellt. Einige faszinierende neue wissenschaftliche Untersuchungen tragen viel zur Klärung dieser Frage bei.
Eine aktuelle Studie des Internationalen Währungsfonds (zusammengefasst im World Economic Outlook vom April 2023) macht einen ersten Versuch, die Kosten zu beziffern. Die IWF-Ökonomen betrachten das Problem durch die Brille der Verlangsamung der Globalisierung: die Verringerung grenzüberschreitender Waren- und Kapitalflüsse, die sich in den geostrategischen Strategien des “Reshorings” (der Rückführung der Auslandsproduktion ins eigene Land) und des “Friendshorings” (der Verlagerung der Auslandsproduktion aus Gegnerländern in gleichgesinnte Bündnisländer) widerspiegelt.
Derartige Maßnahmen führen zur Aufspaltung der ausländischen Direktinvestitionen in zwei Blöcke. Der IWF schätzt, dass die Bildung eines US-Blocks und eines China-Blocks die globale Wirtschaftsleistung längerfristig um bis zu 2 Prozent verringern könnte. Auf die USA als weltgrößte Volkswirtschaft wird ein erheblicher Anteil dieses Leistungsrückgangs entfallen.
Die Präsidentin der Europäischen Zentralbank Christine Lagarde hat vor kurzem auf einen anderen Weg hingewiesen, über den ein eskalierender Konflikt zwischen den USA und China die Wirtschaftsentwicklung beeinträchtigen könnte. Sie stützt sich auf Untersuchungen von EZB-Mitarbeitern und konzentriert sich auf die Kostensteigerungen und den Anstieg der Inflation, die aus durch eine konfliktbedingte Aufspaltung der ausländischen Direktinvestitionen verursachten Verwerfungen innerhalb der Lieferketten resultieren könnten. Die EZB-Studie kommt zu dem Schluss, dass ein geostrategischer Konflikt die Inflation kurzfristig um bis zu 5 Prozent und längerfristig um etwa 1 Prozent steigern könnte. Dies hätte Auswirkungen auf die Geldpolitik und die Finanzstabilität.
Gemeinsam implizieren diese modellgestützten Berechnungen der Kosten eines Konflikts eine stagflationäre Kombination aus verringerter Wirtschaftsleistung und höherer Inflation – im heutigen fragilen Wirtschaftsklima nicht gerade eine triviale Überlegung. Und sie entsprechen auch der Wirtschaftstheorie. Länder treiben Handel miteinander, um von komparativen Kostenvorteilen zu profitieren. Auslandsinvestitionen in beide Richtungen verfolgen das Ziel, ähnliche Vorteile zu erreichen; sie ermöglichen multinationalen Unternehmen, die in ihren Heimatmärkten erhöhten Kosten ausgesetzt sind, im Ausland Effizienzsteigerungen, und sie locken ausländisches Kapital an, um im Inland den Ausbau der Wirtschaftskapazitäten und die Schaffung von Arbeitsplätzen zu unterstützen. Unabhängig von ihren unterschiedlichen politischen Systemen und Wirtschaftsstrukturen gilt dies sowohl für die USA als auch für China. Ein Konflikt wird diese Vorteile folglich reduzieren.
Doch gibt es, was die USA angeht, eine wichtige Besonderheit: Ihr chronisches inländisches Ersparnisdefizit stellt die wirtschaftlichen Folgen eines Konflikts mit China in ein deutlich anderes Licht. Die US-Nettoersparnisse – die abschreibungsbereinigten Ersparnisse der privaten Haushalte, Unternehmen und des öffentlichen Sektors – sanken 2022 auf bloße 1,6 Prozent vom Nationaleinkommen. Dies ist deutlich weniger als der langfristige Durchschnitt von 5,8 Prozent der Jahre 1960 bis 2020. Angesichts des Mangels an Ersparnissen und des Wunsches, zu investieren und zu wachsen, schöpfen die USA das “exorbitante Privileg” des Dollars als vorherrschende Reservewährung der Welt voll aus und importieren in großem Stil Ersparnisüberschüsse aus dem Ausland. Um ausländisches Kapital anzulocken, weisen sie ein enormes Zahlungsbilanzdefizit und ein multilaterales Handelsdefizit auf.
Insofern decken sich die wirtschaftlichen Interessen der unter Ersparnismangel leidenden USA eng mit ihren enormen Ungleichgewichten bei Handel und Kapitalflüssen. Ohne einen höchst unwahrscheinlichen Anstieg der inländischen Ersparnisse hat jede Verringerung dieser Handels- und Kapitalflüsse – etwa aufgrund von Sicherheitsbedenken in Bezug auf China – erhebliche wirtschaftliche und finanzielle Folgen für die USA. Die oben zitierten Untersuchungen legen nahe, dass sich diese Folgen in Gestalt eines geringeren Wirtschaftswachstums, höherer Inflation und womöglich eines schwächeren Dollars äußern könnten.
Dies ist nicht gerade ein ideales Ergebnis für eine US-Wirtschaft, die sich bereits an einem gefährlichen Punkt innerhalb des Wirtschaftszyklus befindet. Man sollte Kompromisse bei der nationalen Sicherheit nicht auf die leichte Schulter nehmen. Aber man sollte auch dem Hang der USA, die Bedrohung ihrer Sicherheit zu übertreiben, nicht blind nachgeben. Aus dem Englischen von Jan Doolan
Stephen S. Roach ist ehemaliger Chairman von Morgan Stanley Asia. Er lehrt an der Universität Yale und ist Verfasser mehrerer Bücher, darunter zuletzt Accidental Conflict: America, China, and the Clash of False Narratives (Yale University Press, 2022).
Copyright: Project Syndicate, 2023.
www.project-syndicate.org
“Tatsächlich ist ein treibendes Motiv das der Rache”: Alexander Gabuev ist Experte für das russisch-chinesische Verhältnis. Ein Gespräch darüber, wie Moskau Chinas Aufstieg zur Supermacht fördert und den Weg ins Vasallentum in Kauf nimmt. Mehr
Was das drohende Tiktok-Verbot in den USA bedeutet: Die Maßnahme träfe nicht nur mitteilungsbedürftige Teenager, sondern auch unzählige Kleinunternehmer – vom Fitnessstudiobesitzer bis zur Katzenpflegerin. Gespräche mit Betroffenen. Mehr
Frank Wöller ist seit Februar Vice President of Business Development für die EMEA-Region bei dem chinesischen Hotelvertriebs-Anbieter und Flugticket-Großhändler Dida Travel. Wöller war zuvor in verschiedenen Positionen, unter anderem bei der Schweizer Hotelbeds Group tätig.
Ayfer Kabatas ist seit Beginn des Monats Projektkoordinatorin für Assembly und Production Planning bei der Mercedes-Benz Group in China.
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Was mit dem Fels und der Pagode so idyllisch aus dem Wasser im Kreis Jiujiang in der Provinz Jiangxi ragt, ist leider eine mittlere Umweltkatastrophe. Anhaltende Regenfälle in den letzten Tagen haben dafür gesorgt, dass der Pegel des Poyang-Sees bedrohlich angeschwollen ist und die Ufer überschwemmt hat.
Chinas Staatspräsident Xi Jinping hat erstmals seit Beginn des Krieges gegen die Ukraine mit seinem Amtskollegen Wolodymyr Selenskyj telefoniert. Wie aus der chinesischen Stellungnahme hervorgeht, produzierte das Gespräch auch zwei handfeste Ergebnisse, berichtet Fabian Peltsch: Einerseits wird die chinesische Regierung einen Sondergesandten für eurasische Angelegenheiten in die Ukraine schicken, damit dieser dort Gespräche für eine politische Lösung der Krise führt. Zudem wird Peking humanitäre Hilfe nach Kiew entsenden.
Mehrere europäische Vertreter hatten in den vergangenen Wochen an Xi appelliert, mit Selenskyj zu sprechen. In Brüssel munkelten Stimmen, dass der denkwürdige Auftritt des chinesischen Botschafters in Frankreich, Lu Shaye, den letzten Stein ins Rollen gebracht haben könnte. Lu hatte vergangene Woche Staaten der ehemaligen Sowjetunion die Souveränität abgesprochen. Das Außenministerium in Peking ruderte schon bemerkenswert deutlich davon zurück. Nach dem Telefonat verbreiteten staatliche Stellen, Xi habe die “Achtung der Souveränität und territorialen Integrität” betont.
Am Dienstag war bekannt geworden, dass der Unabhängigkeits-Aktivist Yang Chih-yuan nach seiner Festnahme im August in China vor Gericht stehen wird. Der Vorwurf lautet: Sezession. Es ist das erste Mal, dass einem taiwanischen Staatsbürger vor einem chinesischen Gericht wegen seiner politischen Aktivität der Prozess gemacht wird, schreibt Marcel Grzanna. Die Anklage zeigt: Peking will seine Interessen im Ausland durch seine Gesetze im Inland wahren.
Die Meldung kam am Mittwochabend, Pekinger Ortszeit, wie aus heiterem Himmel: Chinas Präsident Xi Jinping hat mit Wolodymyr Selenskyj, dem Präsident der Ukraine telefoniert, meldeten die Staatsmedien. Wie Selenskyj kurz danach auf Twitter mitteilte, sei das Gespräch “lang und bedeutsam” gewesen. Das Telefonat wurde vor allem von ukrainischer Seite seit Monaten erwartet. Seit der Invasion russischer Truppen in der Ukraine herrschte zwischen den beiden Staatschefs Funkstille. Statt mit Selenskyj zu sprechen, traf Xi im März seinen “guten alten Freund” Wladimir Putin in Moskau. Freundschaftsbekundungen und wirtschaftliche Kooperation mit Russland standen dabei im Vordergrund. Als Selenskyj wenige Tage später eine Einladung an Xi aussprach und der Nachrichtenagentur AP erklärte “wir sind bereit, ihn hier zu sehen”, konnte man die Verzweiflung zwischen den Zeilen nicht überhören.
Selenskyj ist klar, dass China das einzige Land ist, das substantiellen Druck auf Russland ausüben kann, um gemeinsam mit der Ukraine auf einen Frieden hinzuarbeiten. Peking hatte zu diesem Zweck im Februar einen 12-Punkte-Plan für eine “politische Lösung der Ukraine-Krise” vorgelegt. Dieser beinhaltet unter anderem die Forderung nach einer Deeskalation und einen eventuellen Waffenstillstand. Bei näherem Hinsehen entpuppte sich der Plan jedoch als schwammig, unkonkret und tendenziell dem Narrativ und den Ansprüchen des russischen Partners folgend. So sah das auch Selenskyj. Er werde erst dann eine Friedensregelung in Betracht ziehen, wenn die russischen Truppen das ukrainische Gebiet verlassen haben.
Ob solche Pläne nun Teil des Telefonats mit Xi waren, ist nicht bekannt: “Ich glaube, dass dieser Anruf, ebenso wie die Ernennung des ukrainischen Botschafters in China, der Entwicklung unserer bilateralen Beziehungen Schwung verleihen wird”, schrieb Selenskyj nach dem Telefonat auf Twitter. Selenskyjs Sprecher Sergii Nikiforov sagte in einem Facebook-Post, die Diskussion habe fast eine Stunde gedauert. Der neue Botschafter für China, von dem die Rede ist, heißt Pawel Ryabikin. Er leitete bislang das Ministerium für strategische Industrien. Der Posten des Botschafters war seit Februar 2021 nicht besetzt gewesen.
Laut einem Readout, das die Staatsmedien veröffentlichten, war der Ton des Telefonats freundlich bis kooperativ. Xi bedankte sich bei Selenskyj, dass die Ukraine mitgeholfen habe, chinesische Bürger zu evakuieren. Selenskyj bekräftigte demnach wiederum, an der Ein-China-Politik festzuhalten. Man hoffe auf eine umfassende Zusammenarbeit mit China, um “ein neues Kapitel in den ukrainisch-chinesischen Beziehungen aufzuschlagen und gemeinsam an der Erhaltung von Frieden und Stabilität in der Welt zu arbeiten.”
In der Erklärung des Außenministeriums wurde laut der Nachrichtenagentur AP zudem der ukrainischen Forderung zugestimmt, ihr Territorium nicht durch russische Annexionen zu zerschlagen. Gleichzeitig wurde deutlich gemacht, dass Peking seine langjährigen Beziehungen zur Ukraine schätzt. “Unabhängig davon, wie sich die internationale Lage entwickelt, wird China mit der Ukraine zusammenarbeiten, um eine für beide Seiten vorteilhafte Kooperation zu fördern”, hieß es laut AP.
Wie geht es nach dem Telefonat weiter? Wie Hua Chunying, die Sprecherin des chinesischen Außenministeriums, ankündigte, werde Peking nun den Sonderbeauftragten der chinesischen Regierung für eurasische Angelegenheiten in die Ukraine und andere Länder entsenden, “um mit allen Parteien eingehende Gespräche über eine politische Lösung der Ukraine-Krise zu führen”. Der derzeitige Sonderbeauftragte Chinas für den eurasischen Raum ist seit 2019 Li Hui. Der 70-Jährige ist ein Kenner Osteuropas und Russlands. Schon Mitte der 1970er-Jahre trat er in die Abteilung für die UdSSR und Europa des chinesischen Außenministeriums ein. Von hier erklomm er als Sekretär der chinesischen Botschaft in der UdSSR und später als Sekretär der chinesischen Botschaft in der Russischen Föderation die Karriereleiter. Von 2009 bis 2019 war er schließlich Botschafter der Volksrepublik China in Russland, bis er im Juli 2019 seinen Rücktritt bekannt gab.
In seinem neuen Posten als Sonderbeauftragter Eurasiens propagiert Li bislang vor allem die Umsetzung der “Belt & Road”-Initiative in der Region, wobei er stets die wichtige Rolle Russlands betont. “Ein starkes gegenseitiges politisches Vertrauen ist das wichtigste Merkmal der chinesisch-russischen Beziehungen und die Grundlage der bilateralen Beziehungen”, erklärte er etwa im Vorfeld des zweiten Belt and Road Forums for International Cooperation (BRF) im April 2019, zu der auch Putin nach Peking reiste.
Ob Lis Mission zu für beide Seiten befriedigenden Friedensverhandlungen beitragen kann, ist fraglich. Chinas Ministerium machte keine näheren Angaben darüber, wann Li die Reise antreten wird und welche Länder er besuchen wird. Auch Chinas Staatsmedien bleiben gewohnt schwammig. Präsident Xi habe Selenskyj am Telefon mitgeteilt, dass “Gespräche und Verhandlungen der einzige Ausweg” aus dem Krieg seien. Alle beteiligten Parteien müssten “ruhig und beherrscht” bleiben. China sei “weder eine Konfliktpartei noch will es am Rande stehen, Öl ins Feuer gießen oder von der Situation profitieren” (我们既不会隔岸观火,也不会拱火浇油,更不干趁机牟利的事).
Selenskyj kann und will die Hoffnung in Peking ganz offensichtlich nicht aufgeben. Mit seinem Friedensplan habe China immerhin gezeigt, dass man über die Ukraine sprechen wolle, und das sei schon mal “nicht schlecht”, hatte er bei einer Rede zum Jahrestag der Invasion Ende Februar erklärt. Dass Xi sich auf seiner Moskau-Reise nicht positiv zur Rolle Russlands im Ukraine-Krieg äußerte, interpretierte Selenskyj sogar als Niederlage für Putin. “Er hat keine Verbündeten”, erklärte er damals in einem Interview.
Das Weiße Haus teilte mit, es sei nicht vorab über das Telefonat informiert worden, bezeichnete es aber als positive Entwicklung. Das Gespräch ermögliche es Xi, die Sicht der Ukraine auf die illegale, unprovozierte Invasion zu hören. “Wir halten das für eine gute Sache”, sagte der Sprecher des Nationalen Sicherheitsrates des Weißen Hauses, John Kirby.
Auch die Bundesregierung wertete das Telefonat zwischen Xi und Selenskyj positiv. China habe als ständiges Mitglied des UN-Sicherheitsrats eine “besondere Verantwortung zur Beendigung des völkerrechtswidrigen russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine”, sagte ein Regierungssprecher am Mittwoch. “Dass es nun einen Dialog zwischen der Ukraine und China auf höchster Ebene gibt, ist ein gutes Signal.” Die deutsche Haltung zum Krieg bleibe dabei unverändert, betonte der Sprecher: “Grundlage für die Entwicklung eines fairen Friedens in der Ukraine ist ein Truppenrückzug Russlands.”
Die Nachrichten von zwei Festnahmen beunruhigen Taiwan. Seit mehreren Monaten schon befinden sich ein taiwanischer Verleger und ein Aktivist in chinesischer Haft. Erst jetzt wurden Einzelheiten der Fälle publik, die vordergründig nichts miteinander zu tun haben. Tatsächlich sind sie Ausdruck eines Selbstverständnisses der chinesischen Justiz, über taiwanische Staatsbürger Recht sprechen zu dürfen wie über die eigenen Bürger.
Am Dienstag war bekannt geworden, dass der Unabhängigkeits-Aktivist Yang Chih-yuan nach seiner Festnahme im August in China vor Gericht stehen wird. Der Vorwurf lautet: Sezession. Es ist das erste Mal, dass einem taiwanischen Staatsbürger vor einem chinesischen Gericht wegen seiner politischen Aktivität der Prozess gemacht wird.
Wenige Tage zuvor hatte zudem die Familie des Verlegers Li Yanhe darüber informiert, dass der in Taiwan eingebürgerte Festland-Chinese ebenfalls seit Monaten in China in Haft sitzt. Li, der auch unter dem Namen Fu Cha bekannt ist, hat Bücher publiziert zu Themen, die in China zensiert werden: zum Schicksal der Uiguren in Xinjiang, zu chinesischer Propaganda oder zum blutigen Ende der Demokratie-Bewegung von 1989.
Die Zivilgesellschaft in Taiwan ist aufgeschreckt. Die beiden Fälle werfen Fragen auf. Wie sicher sind Reisen in die Volksrepublik für Bürger des Inselstaates? Und auf welcher rechtlichen Grundlage klagt die chinesische Strafverfolgung Taiwaner an, die lediglich die Bürgerrechte ihres eigenen Landes ausüben?
Der Aktivist Lee Ming-che, der bis zum April vergangenen Jahres seinerseits fünf Jahre in chinesischer Haft gesessen hat und inzwischen zurück in seiner Heimat ist, warnt seine Mitbürger vor Übergriffen der chinesischen Regierung: “Chinas Unterdrückung des taiwanischen Selbstbewusstseins wird nicht aufhören, und Chefredakteur Fu Cha ist erst der Anfang. In der Vergangenheit war es impliziter Druck, aber jetzt ist es unverhohlene Verhaftung”, hatte er am Wochenende über soziale Medien kommentiert. Da wusste er noch nichts von der Inhaftierung von Aktivist Yang.
In der Volksrepublik sind beide Männer nach dem jetzigen Stand der Dinge nicht straffällig geworden. Die Festnahmen deuten darauf hin, dass China die eigene Rechtssprechung über die eigenen Staatsgrenzen hinaus als legitim betrachtet. “Als aufstrebende Weltmacht liegt es im Interesse Chinas, ein Rechtssystem der Extraterritorialität zu schaffen, um seine eigenen nationalen Interessen, die sich auf die ganze Welt erstrecken, zu schützen“, bilanzieren die Autoren Huo Zhengxin und Yip Man in einem Beitrag für das Chinese Journal of Comparative Law der Universität Oxford.
In Hongkong, dessen Autonomie die chinesische Regierung trotz gegenteiliger Zusagen abgewürgt hat, erhebt das Nationale Sicherheitsgesetz seit Mitte 2020 einen solchen extraterritorialen Anspruch. Nicht nur Hongkonger Staatsbürger, die im Exil leben, können sich demnach strafbar machen, sondern auch ausländische Bürger im Ausland, deren Handeln staatlichen Hongkonger Interessen zuwiderläuft.
Einer der ersten Ausländer, die aufgrund des Sicherheitsgesetzes zur internationalen Fahndung ausgeschrieben waren, war der frühere dänische Kulturminister Uffe Elbaek. Der Parlamentarier hatte einem Hongkonger Politiker mit einer Einladung zu einer getürkten Konferenz in Kopenhagen zur Flucht aus Hongkong verholfen und ihn somit vor einem Gerichtsprozess bewahrt.
Die Fälle Li Yanhe und Yang Chih-yuan sind ein starkes Warnsignal für alle Taiwaner, die die Absicht haben, in die Volksrepublik zu reisen. Beide Inhaftierten waren in dem sicheren Glauben nach China eingereist, dass ihnen trotz ihrer Tätigkeiten nichts passieren würde. Li soll 2020 bereits in der Volksrepublik gewesen sein und konnte seinerzeit noch mühelos nach Taiwan zurückkehren. Dieses Mal habe er Familienmitglieder besuchen wollen, schrieb der chinesische Dichter Bei Ling in Sozialmedien. Bei hatte nach Rücksprache mit Lis Familie dessen Festnahme öffentlich gemacht.
Weshalb sein erneuter Besuch zur Festnahme führte, ist unklar. Tatsache ist nur, dass die geopolitischen Spannungen um Taiwan in den vergangenen Jahren massiv zugenommen haben. Jeder taiwanische Staatsbürger in den Händen der chinesischen Justiz ist ein Trumpf in möglichen Verhandlungen zwischen beiden Regierungen.
Dazu gehört nun auch der Aktivist Yang. Der 33-Jährige wurde kurz nach dem Besuch der damaligen Sprecherin des US-Repräsentantenhauses Nancy Pelosi in Taiwan festgenommen und zunächst für sechs Monate ohne Anklage festgehalten. Nach chinesischem Strafrecht droht ihm als Mitglied einer Partei, die sich für Taiwans Unabhängigkeit einsetzt, eine lange Haftstrafe zwischen zehn Jahren und lebenslang.
Der chinesische Handelsminister Wang Wentao hat am Mittwoch Kanzleramtschef Wolfgang Schmidt in Berlin getroffen. Mit Schmidt habe Wang die “Umsetzung von gemeinsamen Absichten deutscher und chinesischer Führungspersönlichkeiten” besprochen, teilte das Ministry of Commerce (Mofcom) mit. Damit ist vermutlich die Nachbereitung der China-Reise des Bundeskanzlers im vergangenen November gemeint.
Ein weiteres Thema sei die Zusammenarbeit in den Bereichen erneuerbare Energie und Digitalwirtschaft gewesen, so das Mofcom. Auch die Erleichterung von Geschäftsreisen zwischen beiden Ländern stand auf der Tagesordnung. Das Bundespresseamt wollte sich nicht zu den Inhalten des Gesprächs äußern. Mit Wirtschaftsminister Robert Habeck war ebenfalls ein Termin angesetzt. Vonseiten des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) waren dazu am Mittwoch aber keine Details zu erfahren.
Wang traf in Berlin am Mittwoch auch Dirk Hilbert, den Oberbürgermeister von Dresden. Zum Wochenbeginn hatte Wang bereits Termine in München und Brüssel absolviert. In München saß der Handelsminister unter anderem mit Bayerns Ministerpräsidenten Markus Söder an einem Tisch. Hier ging es den Informationen aus China zufolge um die Themen Investitionen und Fragen der Stabilität von Lieferketten. Die Bayerische Staatskanzlei wollte sich zu dem Treffen Wang-Söder nicht äußern.
Am Montag in Brüssel war Wang bereits mit EU-Handelskommissar Valdis Dombrovskis zusammengetroffen. Hier war ein Thema die Vorbereitung des 10. EU-China-Dialogs zu Wirtschaft und Handel. fin
Die Inselrepublik konzentriert sich bei ihrer jährlichen Militärübung dieses Mal auf Maßnahmen gegen eine Blockade der Insel. Bei dem Manöver Han Kuang solle auf einen Planungsteil vom 15. bis 19. Mai die Einsatzübung mit scharfer Munition vom 24. bis 28. Juli folgen, teilte das Verteidigungsministerium am Mittwoch mit.
Die geplante Überprüfung der Kampfbereitschaft stehe unter dem Eindruck der jüngsten Militärübungen Chinas. Dabei hatte das chinesische Militär nicht nur für eine Blockade der Insel trainiert, sondern auch Präzisionsangriffe geübt. Für Mittwoch kündigte China weitere Manöver in einigen Teilen des Ostchinesischen Meers an, das nordöstlich von Taiwan liegt.
Chinesische Staatsmedien meldeten zudem eine Übereinkunft Chinas und Russlands im Hinblick auf das Seerecht. Die chinesische Küstenwache und der russische Sicherheitsdienst hätten eine Absichtserklärung unterzeichnet, die ein gemeinsames Vorgehen im Kampf gegen Terrorismus, illegale Einwanderung, Drogen- und Waffenschmuggel sowie unerlaubte Fischerei vorsehe.
Die jüngsten Kommentare des EU-Außenbeauftragten Josep Borrell mit Blick auf Taiwan sorgen unterdessen für Aufregung in China. Das Taiwan-Büro der chinesischen Regierung erklärte am Mittwoch, die Behörden seien vorbereitet und in höchster Alarmbereitschaft, sollte die Souveränität des chinesischen Territoriums infrage gestellt werden. Borrell hatte in einem Meinungsartikel für die französische Sonntagszeitung Le Journal du Dimanche EU-Marine-Patrouillen in der Taiwan-Straße zwischen der Insel und dem chinesischen Festland gefordert. rtr/flee
Großbritanniens Außenminister James Cleverly hat in einer Grundsatzrede zur britischen Außenpolitik zu konstruktiven, aber auch widerstandsfähigen Beziehungen zu China aufgerufen. Eine Isolierung der Volksrepublik verstoße gegen das nationale Interesse Großbritanniens, sagte Cleverly am Dienstagabend im Mansion House London. “Kein bedeutendes globales Problem – vom Klimawandel bis zur Pandemieprävention, von der wirtschaftlichen Stabilität bis zur nuklearen Proliferation – kann ohne China gelöst werden”, sagte Cleverly.
“Es wäre einfach – vielleicht sogar befriedigend – für mich, einen neuen Kalten Krieg auszurufen und zu sagen, dass es unser Ziel ist, China zu isolieren”, sagte Cleverly. Dieser Schritt wäre jedoch falsch. “Weil es ein Verrat an unseren nationalen Interessen und ein vorsätzliches Missverständnis der modernen Welt wäre”, sagte der Minister.
Gleichzeitig warnte er Peking davor, seine Streitkräfte weiter aufzubauen und eine “tragische Fehlkalkulation” im Pazifik zu riskieren. Er forderte China auf, seine militärische Expansion transparent zu machen, und beschuldigte Peking, “die größte militärische Aufrüstung in der Friedensgeschichte durchgeführt” zu haben. ari
Das Verhältnis zwischen China und den USA ist so schlecht wie nie seit Aufnahme der diplomatischen Beziehungen im Jahre 1979. Bezog sich die schlechte Stimmung vor allem auf die geopolitischen Spannungen zwischen den beiden größten Mächten der Welt, macht sie sich nun auch unter US-Unternehmen breit.
In einer Umfrage der US-Handelskammer in China (AmCham) gaben im April 87 Prozent der Befragten an, dass sie pessimistisch auf das Verhältnis zwischen den beiden größten Volkswirtschaften blicken. Ein Monat zuvor waren es noch 14 Prozentpunkte weniger.
Knapp ein Viertel (23 Prozent) erwägt oder hat bereits damit begonnen, seine Lieferketten in andere Länder zu verlegen. 27 Prozent berichteten, dass ihre Unternehmen neue Prioritäten auf andere Länder legten – ein Zuwachs um 22 Prozentpunkte. “Der Mangel an Vertrauen in die bilateralen Beziehungen hat die Sorgen über amerikanische Investitionen und die Gesamtrisikobelastung vergrößert”, heißt es in einem Schreiben der US-Handelskammer. flee
Abgeordnete des Europaparlaments drängen auf eine gemeinsame EU-Strategie gegen Desinformation aus China über die anstehenden Europa-Wahlen. Die EU-Parlamentarier des Sonderausschusses zu ausländischer Einflussnahme forderten EU-Kommission und -Rat auf, die Nutzung von Ausrüstung und Software von TikTok, ByteDance, Huawei, ZTE, Nuctech zu unterbinden.
Der Ausschuss arbeitet an einem neuen Bericht zur ausländischen Einflussnahme, neben China auch aus Russland. Der Bericht, der Empfehlungen für die anderen EU-Institutionen enthält, befindet sich noch in der Abstimmung. Auch “die sofortige Beendigung bestehender Kooperationen mit Forschungseinrichtungen, die direkt vom chinesischen Militär finanziert werden oder Beziehungen zu diesem haben” soll in dem Bericht gefordert werden. ari
Für die Einreise in China wird ab diesem Wochenende kein negativer PCR-Test auf das Coronavirus mehr verlangt. Die Gäste könnten stattdessen einen negativen Antigentest vorlegen, der nicht älter als 48 Stunden sei, teilte die Sprecherin des chinesischen Außenministeriums, Mao Ning mit. Zudem seien Fluggesellschaften nicht länger verpflichtet, die Testergebnisse vor dem Abflug zu prüfen. flee
Nach fünf Jahren eines einst undenkbaren Handelskriegs mit China hat US-Finanzministerin Janet Yellen am 20. April ihre Worte mit großer Sorgfalt gewählt. In einer thematisch breit gefächerten Rede kehrte sie die Voraussetzungen eines US-Engagements mit China um und räumte Bedenken über die nationale Sicherheit Vorrang vor wirtschaftlichen Überlegungen ein. Es war das offizielle Ende eines 40 Jahre währenden Schwerpunkts auf Wirtschaft und Handel als Anker der wichtigsten bilateralen Beziehung der Welt. Yellens Haltung bezüglich der Sicherheit war fast schon auf Konfrontation ausgelegt: “Wir werden in der Frage dieser Bedenken keine Kompromisse eingehen, selbst wenn sie Abstriche in Bezug auf unsere wirtschaftlichen Interessen erzwingen.”
Yellens Sicht liegt klar auf einer Linie mit der schrillen chinafeindlichen Stimmung, die die USA inzwischen im Griff hält. Der “neue Washingtoner Konsens” (so die Bezeichnung des Financial Times-Kolumnisten Edward Luce) besagt, dass das Zugehen auf China der Sündenfall innerhalb der US-chinesischen Beziehung war, weil es China freie Hand gab, von der geschäftsorientierten Naivität der USA zu profitieren. Chinas Aufstieg in die Welthandelsorganisation 2001 gilt in dieser Hinsicht als Paradebeispiel: Die USA hätten ihre Märkte geöffnet, doch China habe sein Versprechen gebrochen, mehr so zu werden wie die USA. Das Zugehen auf China öffnete laut diesem verworrenen, aber weithin akzeptierten Argument Sicherheitsrisiken und Menschenrechtsverstößen Tür und Tor. Amerikas Regierungsvertreter sind nun entschlossen, diese Türen zuzuschlagen.
Weitere Schritte stehen bevor. Präsident Joe Biden ist kurz davor, eine Präsidentenverordnung zu erlassen, die Direktinvestitionen durch US-Unternehmen in China bei bestimmten “sensiblen Technologien” wie künstlicher Intelligenz und Quantencomputern einschränkt. Die USA bestreiten den Vorwurf Chinas, dass dies darauf zielt, die chinesische Entwicklung abzuwürgen. Wie die gegen den chinesischen Telekommunikationsriesen Huawei verhängten und die gegenüber der Social-Media-App TikTok erwogenen Sanktionen werden auch diese Maßnahmen mit der nationalen Sicherheit begründet.
Die US-Argumentation beruht nicht auf klaren Beweisen, sondern auf der Mutmaßung böser Absichten in Verbindung mit Chinas Verwischung der Grenzen zwischen militärischer und ziviler Nutzung. Doch ringen die USA mit einer eigenen sicherheitsbezogenen Grenzverwischung: der schwammigen Unterscheidung zwischen Amerikas mangelnden Investitionen in die Innovation und den realen und eingebildeten Gefahren chinesischer Technologien.
Yellens Rede offenbart, dass beide Supermächte in die gleiche Richtung denken. Auf dem 20. Nationalkongress der Kommunistischen Partei im vergangenen Oktober betonte der chinesische Präsident Xi Jinping in seiner Eröffnungsrede ebenfalls die nationale Sicherheit. Beide Länder fürchten sich gleichermaßen von der vom jeweils anderen ausgehenden Sicherheitsbedrohung; die Abkehr vom Dialog hin zur Konfrontation beruht auf Gegenseitigkeit.
Yellen hat völlig Recht, wenn sie diese Wende in den Beziehungen als Zielkonflikt fasst. Doch hat sie die wirtschaftlichen Folgen des Konflikts lediglich angedeutet. Und sie zu quantifizieren ist nicht einfach. Aber die amerikanische Öffentlichkeit hat Anspruch darauf, zu wissen, was auf dem Spiel stellt, wenn ihre Regierung eine lebenswichtige Wirtschaftsbeziehung infrage stellt. Einige faszinierende neue wissenschaftliche Untersuchungen tragen viel zur Klärung dieser Frage bei.
Eine aktuelle Studie des Internationalen Währungsfonds (zusammengefasst im World Economic Outlook vom April 2023) macht einen ersten Versuch, die Kosten zu beziffern. Die IWF-Ökonomen betrachten das Problem durch die Brille der Verlangsamung der Globalisierung: die Verringerung grenzüberschreitender Waren- und Kapitalflüsse, die sich in den geostrategischen Strategien des “Reshorings” (der Rückführung der Auslandsproduktion ins eigene Land) und des “Friendshorings” (der Verlagerung der Auslandsproduktion aus Gegnerländern in gleichgesinnte Bündnisländer) widerspiegelt.
Derartige Maßnahmen führen zur Aufspaltung der ausländischen Direktinvestitionen in zwei Blöcke. Der IWF schätzt, dass die Bildung eines US-Blocks und eines China-Blocks die globale Wirtschaftsleistung längerfristig um bis zu 2 Prozent verringern könnte. Auf die USA als weltgrößte Volkswirtschaft wird ein erheblicher Anteil dieses Leistungsrückgangs entfallen.
Die Präsidentin der Europäischen Zentralbank Christine Lagarde hat vor kurzem auf einen anderen Weg hingewiesen, über den ein eskalierender Konflikt zwischen den USA und China die Wirtschaftsentwicklung beeinträchtigen könnte. Sie stützt sich auf Untersuchungen von EZB-Mitarbeitern und konzentriert sich auf die Kostensteigerungen und den Anstieg der Inflation, die aus durch eine konfliktbedingte Aufspaltung der ausländischen Direktinvestitionen verursachten Verwerfungen innerhalb der Lieferketten resultieren könnten. Die EZB-Studie kommt zu dem Schluss, dass ein geostrategischer Konflikt die Inflation kurzfristig um bis zu 5 Prozent und längerfristig um etwa 1 Prozent steigern könnte. Dies hätte Auswirkungen auf die Geldpolitik und die Finanzstabilität.
Gemeinsam implizieren diese modellgestützten Berechnungen der Kosten eines Konflikts eine stagflationäre Kombination aus verringerter Wirtschaftsleistung und höherer Inflation – im heutigen fragilen Wirtschaftsklima nicht gerade eine triviale Überlegung. Und sie entsprechen auch der Wirtschaftstheorie. Länder treiben Handel miteinander, um von komparativen Kostenvorteilen zu profitieren. Auslandsinvestitionen in beide Richtungen verfolgen das Ziel, ähnliche Vorteile zu erreichen; sie ermöglichen multinationalen Unternehmen, die in ihren Heimatmärkten erhöhten Kosten ausgesetzt sind, im Ausland Effizienzsteigerungen, und sie locken ausländisches Kapital an, um im Inland den Ausbau der Wirtschaftskapazitäten und die Schaffung von Arbeitsplätzen zu unterstützen. Unabhängig von ihren unterschiedlichen politischen Systemen und Wirtschaftsstrukturen gilt dies sowohl für die USA als auch für China. Ein Konflikt wird diese Vorteile folglich reduzieren.
Doch gibt es, was die USA angeht, eine wichtige Besonderheit: Ihr chronisches inländisches Ersparnisdefizit stellt die wirtschaftlichen Folgen eines Konflikts mit China in ein deutlich anderes Licht. Die US-Nettoersparnisse – die abschreibungsbereinigten Ersparnisse der privaten Haushalte, Unternehmen und des öffentlichen Sektors – sanken 2022 auf bloße 1,6 Prozent vom Nationaleinkommen. Dies ist deutlich weniger als der langfristige Durchschnitt von 5,8 Prozent der Jahre 1960 bis 2020. Angesichts des Mangels an Ersparnissen und des Wunsches, zu investieren und zu wachsen, schöpfen die USA das “exorbitante Privileg” des Dollars als vorherrschende Reservewährung der Welt voll aus und importieren in großem Stil Ersparnisüberschüsse aus dem Ausland. Um ausländisches Kapital anzulocken, weisen sie ein enormes Zahlungsbilanzdefizit und ein multilaterales Handelsdefizit auf.
Insofern decken sich die wirtschaftlichen Interessen der unter Ersparnismangel leidenden USA eng mit ihren enormen Ungleichgewichten bei Handel und Kapitalflüssen. Ohne einen höchst unwahrscheinlichen Anstieg der inländischen Ersparnisse hat jede Verringerung dieser Handels- und Kapitalflüsse – etwa aufgrund von Sicherheitsbedenken in Bezug auf China – erhebliche wirtschaftliche und finanzielle Folgen für die USA. Die oben zitierten Untersuchungen legen nahe, dass sich diese Folgen in Gestalt eines geringeren Wirtschaftswachstums, höherer Inflation und womöglich eines schwächeren Dollars äußern könnten.
Dies ist nicht gerade ein ideales Ergebnis für eine US-Wirtschaft, die sich bereits an einem gefährlichen Punkt innerhalb des Wirtschaftszyklus befindet. Man sollte Kompromisse bei der nationalen Sicherheit nicht auf die leichte Schulter nehmen. Aber man sollte auch dem Hang der USA, die Bedrohung ihrer Sicherheit zu übertreiben, nicht blind nachgeben. Aus dem Englischen von Jan Doolan
Stephen S. Roach ist ehemaliger Chairman von Morgan Stanley Asia. Er lehrt an der Universität Yale und ist Verfasser mehrerer Bücher, darunter zuletzt Accidental Conflict: America, China, and the Clash of False Narratives (Yale University Press, 2022).
Copyright: Project Syndicate, 2023.
www.project-syndicate.org
“Tatsächlich ist ein treibendes Motiv das der Rache”: Alexander Gabuev ist Experte für das russisch-chinesische Verhältnis. Ein Gespräch darüber, wie Moskau Chinas Aufstieg zur Supermacht fördert und den Weg ins Vasallentum in Kauf nimmt. Mehr
Was das drohende Tiktok-Verbot in den USA bedeutet: Die Maßnahme träfe nicht nur mitteilungsbedürftige Teenager, sondern auch unzählige Kleinunternehmer – vom Fitnessstudiobesitzer bis zur Katzenpflegerin. Gespräche mit Betroffenen. Mehr
Frank Wöller ist seit Februar Vice President of Business Development für die EMEA-Region bei dem chinesischen Hotelvertriebs-Anbieter und Flugticket-Großhändler Dida Travel. Wöller war zuvor in verschiedenen Positionen, unter anderem bei der Schweizer Hotelbeds Group tätig.
Ayfer Kabatas ist seit Beginn des Monats Projektkoordinatorin für Assembly und Production Planning bei der Mercedes-Benz Group in China.
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Was mit dem Fels und der Pagode so idyllisch aus dem Wasser im Kreis Jiujiang in der Provinz Jiangxi ragt, ist leider eine mittlere Umweltkatastrophe. Anhaltende Regenfälle in den letzten Tagen haben dafür gesorgt, dass der Pegel des Poyang-Sees bedrohlich angeschwollen ist und die Ufer überschwemmt hat.