der jährliche Nationale Volkskongress (NVK) hat begonnen, mit 3.000 Delegierten theoretisch die größte gesetzgebende Versammlung der Welt. Doch tatsächlich haben die Abgeordneten nicht viel zu sagen. Sie nicken ab, was die Parteiführung ihnen vorgibt. Auch das neue Personal-Tableau nach dem Abtritt des bisherigen Premierministers Li Keqiang und des erfahrenen Wirtschaftsexperten Liu He steht bereits fest.
Und doch: Ganz reibungslos geht es hinter den Kulissen nicht zu – und wir achten auf die Details. Li Keqiang scheidet mit einem der wirtschaftlich schlechtesten Jahre aus dem Amt. Er legt nun zwar ein Programm zur Wiederbelebung der Konjunktur vor, schreibt Frank Sieren in seiner Analyse der Regierungserklärung. Doch leicht wird es sein Nachfolger bei der Umsetzung nicht haben. Dazu haben sich zu viele wirtschaftspolitische Widersprüche angesammelt.
Ebenfalls traditionell zum Auftakt des NVK verkündet die Führung den Wehretat. Dieser wird für 2023 zwar so hoch sein wie noch nie. Doch um eine übertriebene Steigerung handelt es sich nicht, analysiert unser Autor Jörn Petring. Schon in den vergangenen Jahren wuchsen die Rüstungsausgaben schneller als die Wirtschaft. Als Begründung dienen die Spannungen mit den Nachbarn. In diese hat China sich allerdings zu einem guten Teil selbst verstrickt.
Ein weiteres zentrales Thema der Regierungserklärung ist Chinas durchgeplanter technologischer Aufstieg. Die USA blockieren ihn derzeit durch Sanktionen auf Halbleiterprodukte. Doch die Chancen stehen gut, in Zukunft alle nötigen Fähigkeiten für modernste Chips selbst zu erlagen, sagt die Würzburger China-Ökonomin Doris Fischer im Gespräch mit Finn Mayer-Kuckuk.
Sie sehen, wir liefern Ihnen zum diesjährigen Volkskongress reichlich analytischen Lesestoff.
Premierminister Li Keqiang hat am Sonntag zum Beginn der jährlichen Tagung des Nationalen Volkskongresses seine Regierungserklärung vorgetragen. Es ist seine letzte. Li dankt am Ende der Tagung ab, sein Nachfolger (wahrscheinlich Li Qiang) wird voraussichtlich Anfang kommender Woche gewählt.
Wie immer lag der Schwerpunkt des Regierungsreports auf Wirtschaft und Entwicklung. Das sind die wichtigsten Punkte:
Die wichtigste Nuance kam zum Schluss seiner Rede: Li zeigte sich ein wenig entspannter in Bezug auf Taiwan. Während seiner Rede im vergangenen Jahr hat er zwar auch schon nicht mehr ausdrücklich von einer militärischen Option gesprochen. Doch 2022 umschrieb er es noch so: “Wir widersetzen uns entschieden separatistischen Aktivitäten, die ‘Taiwans Unabhängigkeit’ wollen. Und sind strikt gegen internationale Einmischung.”
Stattdessen heißt es nun 2023 softer: “Ziel muss es sein, die friedliche Wiedervereinigung des Vaterlandes voranzutreiben. Die Landsleute auf beiden Seiten sind blutsverwandt.” Die Betonung der Blutsverwandtschaft hängt die Latte für ein militärisches Eingreifen eher höher. Das bedeutet noch keine Entwarnung, kann aber durchaus der Beginn eines Trends sein.
Zur Außenpolitik sagte Li, China sei bereit, die “Initiative für globale Entwicklung und die Initiative für globale Sicherheit gemeinsam mit der internationalen Gemeinschaft umzusetzen”. Dabei handelt es sich um Formulierungen, die den aktuellen außenpolitischen Programmen entsprechen. Eine Änderung der Haltung gegenüber Russland und Ukraine lässt sich daraus nicht ableiten.
Ansonsten drehte sich Lis Rede vor allem um Chinas Volkswirtschaft. Niemand möchte mit einem der ökonomisch schlechtesten Jahre aus dem Amt scheiden. Doch genau das passiert Premier Li. 2022 hatte er mit drei Prozent das zweitschlechteste Wachstum seit der Reform und Öffnungspolitik Anfang der 1980er-Jahre vorgewiesen. Nur im ersten Corona-Jahr 2020 fiel es mit 2,2 Prozent noch schlechter aus.
Nicht überraschend, dass seine jährliche Regierungserklärung von der Frage geprägt war, wie schnell es nun wieder bergauf geht. Ganz entscheidend dafür: Konsumenten und Investoren haben größere Ausgaben in den Krisen vor allem aufgeschoben. Die Haushaltsersparnisse sind gestiegen, die Devisenreserven stabil. Die Inflation ist mit zwei Prozent niedrig.
Es geht Li nun also darum, die Menschen zum Geldausgeben zu bewegen. Allerdings soll unter Punkt 1 seines Wirtschaftsprogramms für 2023 nicht nur der Staat den Binnenkonsum fördern, vielmehr soll die “Vitalität der privaten Investitionen weiter entfaltet werden”. Es gilt also weiter offizielle eine Balance zwischen Staats- und Privatwirtschaft.
Das Ziel von fünf Prozent ist als Kompromiss zu sehen zwischen einem Aufschwungversprechen und dem Versuch, den Fehler des vergangenen Jahres zu vermeiden. Das Ziel lag 2022 um 5,5 Prozent und wurde krachend verfehlt. Von übertriebenem Optimismus hält sich die Regierung nun fern. Sie übertrifft dafür lieber am Jahresende das eigene Ziel.
Unter Punkt 2 folgt die Modernisierung traditioneller Industrien, besonders auch “kleiner und mittlerer Unternehmen” zu mehr “High End, künstlicher Intelligenz und Umweltfreundlichkeit”. Außerdem will die Regierung “die Erforschung, Entwicklung sowie Anwendung und Verbreitung von Spitzentechnologien beschleunigen“.
Chinas Forschungsaufwendungen sind Li zufolge in den vergangenen fünf Jahren von 2,1 Prozent des Bruttonlandprodukts auf 2,5 Prozent gestiegen. Dem Haushaltsentwurf des Finanzministeriums vom Sonntag zufolge will die Zentralregierung mit 328 Milliarden Yuan im Vergleich zum Vorjahr noch einmal knapp zehn Milliarden Yuan bei der Forschungsförderung drauflegen. In dieser Zahl sind Aufwendungen der Provinzen, der Städte und der Unternehmen nicht enthalten.
Unter Punkt 3 geht es darum, die marktwirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit der Privat- und Staatsbetriebe zu verbessern. Das umschreibt Li mit dem Begriff der “doppelten Unbeirrbarkeit”. Privatunternehmen sollen besser “angespornt und unterstützt” werden. Das gelte besonders für kleine und mittelständische Betriebe. Die Beziehung zwischen Regierung und Geschäftsleuten solle durch “Freundlichkeit und Integrität” geprägt sein, mit dem Ziel, “die Zuversicht des Marktes zu steigern”.
Punkt 4: Es soll mehr ausländisches Kapital angezogen werden. Dazu will die Regierung den “Marktzugang weiter lockern”, vor allem im Bereich der modernen Dienstleistungsgesellschaft. China bekennt sich in der Rede zum internationalen Handel. Zudem will Li “Unternehmen aus aller Welt mehr Chancen für ihre Entwicklung in China bieten”.
Erst dann geht es in Punkt 5 um “schwere Risiken im Wirtschafts- und Finanzwesen”, die es also offensichtlich gibt. Besonders erwähnt werden große Immobilienfirmen, deren Risiko Li “effektiv beseitigen” will. Er will “unverhältnismäßige Expansionen verhindern”, die Unternehmen zwingen, ihre “Schulden abzubauen und die Neuverschuldung begrenzen”.
In Punkt 6 geht es um die Landwirtschaft: Die Regierung will die Getreideproduktion und die Preise für landwirtschaftliche Güter stabilisieren, die Einkommen der Landwirte steigern, um so einen “Rückfall in großem Stil in die Armut zu verhindern”.
Punkt 7 beschäftigt sich mit der “grünen Transformation”. Er will den Auf- und Ausbau einer umweltbezogenen Infrastruktur in Stadt und Land “verstärken” und “Ökosysteme schützen und wieder herzustellen”.
Interessant ist dabei eher die Reihenfolge der folgenden beiden Sätze: “Unser Land wird die saubere und hocheffiziente Nutzung von Kohle fördern sowie entsprechende Technologien erforschen und entwickeln. Erhöht wird außerdem das Tempo beim Aufbau eines alternativen Energiesystems.” Die Kohleverstromung erlebt offensichtlich eine Renaissance, aus Sorge vor zu großer internationaler Abhängigkeit.
Und der letzte, der 8. Punkt, dreht sich um soziale Themen: mehr sozialer Wohnungsbau, bessere Schulbildung, Berufsschul- und Hochschulbildung. Es geht um die “legitimen Rechte und Interessen” von Frauen, Kindern und Senioren sowie Menschen mit körperlicher oder geistiger Behinderung.
Nicht nach Entspannung sieht es im Bereich der Religion aus. Li möchte an der “Grundorientierung der Sinisierung der Religionen in unserem Land festzuhalten und aktiv bei ihrer Anpassung an die sozialistische Gesellschaft anleiten”.
Zu Hongkong gelten nun drei Slogans. “Ein Land, zwei Systeme”, “Hongkonger verwalten Hongkong” und “Patrioten verwalten Hongkong”. Li scheint dazwischen keinen Widerspruch zu sehen.
Chinas Militär kann sich auch in diesem Jahr über deutlich mehr Geld freuen. Der am Sonntag zum Auftakt des Volkskongresses vorgelegte Haushaltsentwurf sieht eine Steigerung der Verteidigungsausgaben um 7,2 Prozent auf 1,5537 Billionen Yuan (umgerechnet 211 Milliarden Euro) vor.
Der Anstieg ist zwar beachtlich, dürfte aber wenig mit der aktuellen Weltlage zu tun haben. Schließlich wachsen die chinesischen Militärausgaben seit Jahren schneller als die Wirtschaft. Nach einem Plus von 7,5 Prozent im Jahr 2019 folgten Steigerungen von 6,6 Prozent, 6,8 Prozent und zuletzt 7,1 Prozent. Der nun geplante Haushalt, der am Ende des Volkskongresses verabschiedet werden soll, ist also kein Ausreißer nach oben.
Damit unterscheidet sich China von den USA, deren Rüstungsaufwendungen überproportional wachsen. Der Kongress in Washington bewilligte im Dezember einen kräftigen Anstieg der Militärausgaben um acht Prozent auf 858 Milliarden Dollar. Begründet wurde das üppige Paket unter anderem mit notwendigen Unterstützungsmaßnahmen für die Ukraine und auch für Taiwan, wie die New York Times damals berichtete. Wegen der hohen Inflation in den USA musste zudem den Soldaten eine kräftige Gehaltserhöhung gewährt werden.
Wenig überraschend vermied es China am Sonntag zu Beginn des Volkskongresses, den Krieg in der Ukraine zu erwähnen. Möglicherweise wird sich China aber am Dienstag dazu äußern. Denn dann wird der neue Außenminister Qin Gang am Rande des Volkskongresses eine Pressekonferenz geben, die mit Spannung erwartet wird.
Allgemein war im Zusammenhang mit der Weltlage von “unruhigen Gewässern” die Rede. Insgesamt tauchten in der Rede von Li Keqiang zwölfmal die Begriffe “friedlich” oder “Frieden” auf – nach achtmal im Vorjahr.
Die Erhöhung der Militärausgaben begründete Li stattdessen mit der Notwendigkeit, die Modernisierung der Streitkräfte weiter voranzutreiben. Konkret nannte Li das Jahr 2027, in dem die Volksbefreiungsarmee ihr 100-jähriges Bestehen feiern wird. Bis dahin, so Li, müsse “an der Durchführung militärischer Operationen, der Verbesserung der Kampfbereitschaft und der Verbesserung der militärischen Fähigkeiten” gearbeitet werden.
Das Militärjubiläum ist nur eines von mehreren Etappenzielen, die sich China gesetzt hat. Wichtiger ist das Jahr 2035, in dem die Modernisierung der Streitkräfte “weitgehend abgeschlossen” sein soll. Bis 2050 soll das Land dann über eine “Armee von Weltklasse” verfügen. Damit sind weitere kräftige Steigerungen der Militärausgaben auch in den kommenden Jahren sicher.
Wie sehr belasten die Chip-Sanktionen der USA die chinesische Wirtschaft ganz akut?
Aktuell haben die chinesischen Unternehmen noch viele Möglichkeiten, die Folgen abzufedern. Man hat zum Teil Vorräte an Chips angelegt, von denen noch etwas da ist. Aber ja, natürlich machen sich die Folgen jetzt schon bemerkbar. Das betrifft aber wohlgemerkt nur Hightech-Chips. Es geht bei den amerikanischen Handelsbeschränkungen nicht um alle Chips, sondern nur um hoch entwickelte Produktklassen an der Grenze des technisch Machbaren. Diese Produktgruppe kann China noch nicht selbst fertigen.
Die Einschränkungen betreffen zwei Bereiche: die Lieferung der Chips selbst und von Maschinen zu ihrer Herstellung. Was wiegt schwerer?
Kurzfristig wiegen die Einschränkungen in Bezug auf die Produkte selbst schwerer, langfristig die bezüglich der Ausrüstung. Die Alternative wäre ja, sie selbst herzustellen, indem man die nötigen Maschinen im Ausland kauft. Das ließe sich vergleichsweise kurzfristig bewerkstelligen. Die Entwicklung eigener Fertigungsmaschinen von Grund auf dauert jedoch deutlich länger. Das sind sehr komplexe Produkte. Wir kennen das aktuell auch bei uns in Deutschland. Es kommen Überlegungen auf, Solarpanels wieder selbst herstellen. Das dauert.
Im Bereich Solar plant China ja seinerseits Exportbeschränkungen für die EU. Es entspinnt sich ein Schlagabtausch der Volkswirtschaft mit immer weiter reichenden Sanktionen.
Wissen Sie, was das wirklich Traurige an dieser ganzen Entwicklung ist?
Was?
Dass diejenigen in China bestärkt werden, die schon immer gesagt haben: Die Amerikaner wollen uns klein halten. Das war lange Zeit eine Minoritätshaltung in China und ist erst unter Xi Jinping zu einer Mehrheitsmeinung geworden. Der Westen wird unseren Aufstieg nie akzeptieren, lautet der Tenor.
Derzeit stimmt das doch.
Ja, aber das hat sich aber in den vergangenen Jahren erst so hochgeschaukelt. Dazu haben sowohl Donald Trump als auch Xi Jinping beigetragen, jetzt führt Joe Biden diese Linie fort.
Wie kann China umgekehrt verhindern, dass die Chip-Sanktionen den technischen Aufstieg langfristig bremsen?
Die chinesische Regierung wird alles daransetzen, dass eigene Anbieter diese Fähigkeiten erlangen und die Abhängigkeit verschwindet. Es gibt schon lange Investitionsprogramme in den entsprechenden Branchen, und trotz aller Rückschläge ist anzunehmen, dass sie es irgendwann in Zukunft schaffen.
Japan und die Niederlande sind bei den Chip-Sanktionen jetzt offenbar ebenfalls an Bord. Warum war es den USA so wichtig, dass gerade diese zwei Länder ebenfalls den Export nach China beschränken?
Weil sie da, wo es um die Herstellung von Chips oder Teilprozessen der Herstellung von Chips geht, wichtige Lieferanten von Maschinen sind. Sonst hätte die chinesische Strategie sein können, über diesen Einkauf dieser Maschinen die Sanktionen zu umgehen. Den Amerikanern geht es aber noch um etwas anderes.
Um was?
Tatsächlich lautete die Sorge in den USA auch, abhängig zu werden von chinesischer Zulieferung. Wenn sie die Entwicklung am Markt einfach hätten weiterlaufen lassen, dann wären Chips zwar weiterhin in den USA konzipiert worden, in zunehmendem Maße aber in China oder mit chinesischer Zuarbeit hergestellt werden. Es geht hier aber um Spitzentechnologie, die auch militärisch relevant ist, zum Teil zumindest. Und deswegen will man in den USA die gesamte Wertschöpfungskette eigentlich am liebsten auf dem Kontinent haben.
Sie haben es gerade erwähnt: Chips sind auch Waffen. Als Nächstes kommt vermutlich eine Generation von KI-Waffen wie Schwarmdrohnen und Killerrobotern auf die Schlachtfelder zu, die gewaltige Rechenleistung benötigen. Da ist China noch abhängig?
Ich bin keine Waffenexpertin. Aber es ist sehr wahrscheinlich, dass China hart daran arbeitet, eigene Produktionskapazitäten für die nötigen Halbleiterelemente zu schaffen. Das sieht nicht anders als aus als bei den zivilen Anwendungen. Der Komplex aus staatlichen und privaten Akteuren arbeitet in der Innovation zum Teil sehr geschickt und effektiv.
Politiker im Westen wirken erschrocken darüber, wie erfolgreich Chinas Industriepolitik ist und wollen sich nun eine Scheibe davon abschneiden.
Das ist natürlich die Ironie des Ganzen. Ich habe in meiner Forschung über 20 Jahre argumentiert, dass Industriepolitik vielleicht manchmal doch funktionieren kann. Das wurde lange Zeit kaum anerkannt. Gerade in Deutschland war Industriepolitik lange Zeit ein No-Go, es galt als unfein, das Wort überhaupt zu benutzen. Jetzt sehen wir eine vollständige Wende unter dem Eindruck Chinas. Doch die Politik sollte nicht vergessen, dass dabei die Effizienz auf der Strecke bleibt.
Warum ist das so?
Industriepolitik erfordert Subventionen, sie ist teuer. Und es klappt nicht immer alles. China hat eine hohe Toleranz für solche gescheiterten Versuche und schreibt die Investitionen als versuchten Schritt hin zu übergeordneten Zielen ab. Unsere Forschung ist zu dem Ergebnis gekommen, dass die chinesische Regierung unter Xi Jinping in erheblichem Maße bereit ist, hohe Kosten für politisch motivierte Vorhaben in Kauf zu nehmen.
Das Gleiche gilt für Europa und Deutschland in der Chipbranche ja auch. Wir subventionieren uns ebenfalls eine Halbleiterindustrie herbei.
Deswegen haben wir das gleiche Problem mit den steigenden Kosten im Vergleich zu einer Arbeitsteilung im Welthandel. Wir können natürlich sagen: Okay, wir gucken nicht mehr nur auf Effizienz für – in Anführungszeichen – höhere Ziele. Ob das dann aufgeht, müssen wir sehen.
Wird dadurch nicht alles für alle teurer?
Wenn wir versuchen, alles selbst zu machen und dafür wahnsinnig viel Geld in die Hand nehmen, dann sind die Sachen nicht mehr so kostengünstig. China erreicht in der Massenproduktion enorme Skaleneffekte.
Ist denn ein Ende dieser Sanktionen absehbar?
Derzeit folgt eher Schlag auf Gegenschlag. Die Amerikaner fordern ein Ende von marktverzerrenden Subventionen als Voraussetzung für eine Annäherung. Doch zugleich sehen sie allein schon die Existenz von Staatsunternehmen als Subvention an. Das hieße ja, dass China sein wirtschaftliches System komplett umkrempeln müsste. Es wirklich schwierig, sich im Moment vorzustellen, welche Schritte gegangen werden können, um das aufzuhalten. Gespräche miteinander wären schon mal hilfreich. Wegen der Geschichte mit dem Ballon herrscht aber im Gegenteil wohl eher Funkstille.
Doris Fischer ist Professorin für China Business und Economics an der Universität Würzburg. Sie hat einen Hintergrund in Sinologie und BWL. Derzeit forscht sie zur Rolle und Ausgestaltung von Industriepolitik für die Energiewende unter der Führung von Xi Jinping.
Wolfgang Ischinger, ehemaliger Spitzendiplomat und bis zum vergangenen Jahr Leiter der Münchner Sicherheitskonferenz, erwartet für die nahe Zukunft internationale Friedensverhandlungen im Ukraine-Krieg. Er könne sich vorstellen, dass “Staaten wie Brasilien, wie Indien, vielleicht sogar – mit einem Fragezeichen – China” mit einbezogen werden, sagte Ischinger im ZDF. Einer Nuklearmacht wie Russland müsse eine Gruppe von entsprechend starken Ländern entgegentreten. Ischinger hält es daher für “vollkommen falsch, das chinesische Friedens-Positionspapier zu ignorieren oder abzutun“. Voraussetzung für Gespräche sei allerdings, dass Russland militärisch nicht mehr weiterkomme.
Ischinger sagt, er habe sich ein Gedankenexperiment gegönnt. Er habe die 12 Punkte des chinesischen Papiers durch zwei zusätzlich kleine Sätze ergänzt und durch das Streichen eines der 12 Punkte so adaptiert, dass “es aus unserer Sicht ein sinnvoller Beitrag zu einer Diskussion über mögliche Optionen” sein könnte. Das Papier sei sinnvoll, um in den Versuch eines Gesprächs einzutreten. Es lohne, China in ein vertieftes Gespräch hineinzuziehen.
Beim Treffen am Wochenende zwischen Bundeskanzler Olaf Scholz und US-Präsident Joe Biden ging es dem Vernehmen nach ebenfalls um Chinas Vorschlag. Parallel dazu hat der französische Präsident Emmanuel Macron mit dem ukrainischen Präsidenten Selenskyj über eine mögliche Friedenskonferenz in Paris gesprochen. Die Antwort von Selenskyj: Er würde nur daran teilnehmen, wenn die Präsidenten Joe Biden und Xi Jinping dabei seien. frs
Um zu vermeiden, dass Europa noch abhängiger von China wird, will die EU-Kommission Produktionsziele für Solarzellen, Windräder, Batterien und Wärmepumpen vorgeben. Bis 2030 soll die EU in der Lage sein, 40 Prozent ihres jährlichen Bedarfs an emissionsfreien Technologien selbst zu produzieren, berichtete das Handelsblatt und beruft sich auf einen Entwurf für den “Green Deal Industrial Plan” zum klimafreundlichen Umbau der Wirtschaft.
Die Europäische Union sei bei bestimmten Netto-Null-Technologien und ihren Komponenten in hohem Maße von konzentrierten Einfuhren abhängig, wie etwa bei “Fotovoltaik-Technologien und ihre Komponenten” aus China. Hier werde bislang teils der gesamte europäische Bedarf durch chinesische Importe gedeckt, heißt es laut Handelsblatt in dem Papier. Zudem drohe sich bei Wärmepumpen und Windrädern Europas Position im globalen Wettbewerb zu verschlechtern.
Die EU-Kommission hatte Anfang Februar ein Maßnahmenbündel für klimafreundliche Technologien vorgeschlagen, mit dem die Wettbewerbsfähigkeit der Europäischen Union gesichert und großen Subventionspaketen wie dem Paket der USA entgegengetreten werden soll. rtr
Viele iPhones könnten demnächst nicht mehr aus China kommen, sondern aus Indien. Der taiwanische Elektronikkonzern und Apple-Zulieferer Foxconn hat angekündigt, eine weitere iPhone-Fabrik in Indien zu errichten. Schon “bald” werden in Karnataka Telefone von Apple gebaut, twitterte der Regierungschef des indischen Bundesstaates, Basavaraj S Bommai. Das werde rund 100.000 Jobs schaffen.
In dem Staat liegt die Technologiemetropole Bangalore. Foxconn-Chef Young Liu hatte die Stadt örtlichen Medienberichten zufolge am Freitag besucht, nachdem er sich zuvor mit Premierminister Narendra Modi getroffen hatte.
Foxconn ist der größte iPhone-Zulieferer und stellt bereits seit 2019 auch Handys in Indien in einer Fabrik im südlichen Staat Tamil Nadu her, darunter sein neuestes iPhone 14. Derzeit macht Indien aber nur fünf Prozent der globalen Produktion für den US-Konzern Apple aus, hinter den USA, China, Japan sowie fünf weiteren Ländern. flee
Erst Hamburg, nun Bremen? Der Vorstandsvorsitzende des Bremer Seehafen- und Logistikdienstleisters BLG Logistics, Frank Dreeke, lehnt einen potenziellen Einstieg chinesischer Investoren nicht kategorisch ab. “Ich würde es nicht ausschließen. Man muss jeden Einzelfall genau prüfen”, sagte Dreeke im Gespräch mit der Nachrichtenagentur dpa. Eine große Beteiligung werde BLG Logistics “sicher nicht erlauben”, schränkte er allerdings ein. flee
Die Frankfurter Goethe-Universität hat ihren Kooperationsvertrag mit dem Frankfurter Konfuzius-Institut nicht verlängert. Wie die Hochschule mitteilte, soll die Zusammenarbeit mit der Einrichtung “anlassbezogen” fortgesetzt werden. Der seit 2008 bestehende Vertrag sei deshalb Ende Februar nicht verlängert worden. Für die Zukunft vorstellen könne man sich zum Beispiel Chinesisch-Sprachkurse für Angehörige oder Abteilungen der Universität. Der Neubewertung der Kooperation mit dem Konfuzius-Institut sei eine Überprüfung durch eine unabhängige Expertenkommission vorausgegangen, teilte die Uni mit. Die Zusammenarbeit sei “positiv bewertet” worden. Es habe “keine erkennbare Einflussnahme chinesischer Stellen auf Forschung und Lehre der Goethe-Universität stattgefunden”.
Während die Zusammenarbeit mit dem Konfuzius-Institut zunächst nicht fortgesetzt wurde, arbeite die Goethe-Universität daran, die “institutionelle und wissenschaftliche Kooperation mit der Fudan-Universität in Shanghai auszuweiten”. Dazu seien bereits erste Schritte unternommen worden. Einen Austausch für Studenten bieten die beiden Universitäten bereits an. “Wir freuen uns darauf, diesen Austausch auch auf wissenschaftlicher Basis weiterzuentwickeln – vorurteilsfrei, jedoch auch mit dem nötigen Augenmaß, was die Freiheit von Forschung und Lehre betrifft”, betonte Uni-Vizepräsident Michael Huth in einer Pressemitteilung. ari
China und Russland wollen eine andere Weltordnung, sagt Roderick Kefferpütz vom Merics. Der Unterschied zwischen den beiden ungleichen Partnern liege in der Rollenaufteilung. Russland sei für das Grobe verantwortlich und zerstöre die Weltordnung; der Krieg gegen die Ukraine ist das beste Beispiel. China nutze dieses Chaos, um die eigenen alternativen Strukturen anzubieten. “In dem Sinne ergänzen die beiden sich sehr gut”, erklärt Kefferpütz.
Kefferpütz blickt bei dieser Analyse der beiden autoritären Akteure auf sieben Jahre im Europäischen Parlament zurück. Während andere noch vom China-Optimismus der Nullerjahre gezehrt haben, merkte Kefferpütz als Büroleiter von Reinhard Bütikofer, wie schwierig der Umgang mit China geworden ist. “Ich habe gesehen, wie China Wirtschaft als Waffe einsetzt und ich habe das als sehr aggressiv empfunden”. Deshalb warnt der Politikberater auch heute noch davor, sich von Chinas Charmeoffensiven, wie der neuen Friedensinitiative, einlullen zu lassen.
Dabei sei ihm wichtig, in der Fülle aus Publikationen über Russland oder China immer einen Mehrwert zu generieren. Er greift dabei auf Daten, Reden und Verträge zurück, die er akribisch auf Muster und Trends analysiert. Dazu komme der persönliche Kontakt: “Wenn man wirklich verstehen will, was passiert, muss man mit den Leuten im Austausch sein, die mit China in Berührung kommen.” Gesagt, getan: In einer groß angelegten Studie befragt Kefferpütz zahlreiche Bundestagsabgeordnete, wie sie sich über China informieren.
Die Erkenntnis: Chinawissen kommt im Bundestag von außen. Das sei erstmal kein Problem, erklärt Kefferpütz, aber nicht jeder Abgeordnete habe gute Kontakte in die Thinktank-Welt. Und dann bestehe die Gefahr, dass unerfahrene Abgeordnete Opfer von Desinformation aus China werden. In England oder Australien werden Chinawissenschaftler mittlerweile für das Parlament eingestellt, das könne auch für den Bundestag eine Idee sein, schlägt Kefferpütz vor. Denn nur mit den richtigen Informationen könne man durch die Schattierungen der internationalen Politik navigieren.
Auch Kefferpütz’ Weg in die internationale Politik brauchte Navigationsfähigkeit: Nach seinem Abitur in Kanada segelte Kefferpütz zusammen mit 25 Mitschülern auf einem College-Schiff um die Welt. Angefangen in Europa ging es über den Atlantik durch den Panamakanal und bis zum Cap der guten Hoffnung. “Die Regel war immer: Wenn du auf dem Wasser bist, machst du Unterricht”, erinnert er sich. Zurück an Land ließ ihn die Welt nicht mehr los und Kefferpütz ging nach Paris und Oxford, um internationale Beziehungen mit Schwerpunkt Russland zu studieren.
Zum Chinaexperten wurde er im Büro von Reinhard Bütikofer, der genau wie Kefferpütz heutiger Arbeitgeber Merics unter chinesischen Sanktionen steht. Wenn man Kefferpütz fragt, wie Deutschland mit der schwierigen Allianz zwischen Moskau und Peking umgehen soll, ist er sich sicher: Der sogenannte “Kissinger-Salto” – China an den Westen binden, um Russland in seine Schranken zu weisen – sei wenig aussichtsreich. “Wir müssen uns bewusst machen, dass Russland und China gemeinsam an einem Strang ziehen”, betont Kefferpütz. “Und dann die Frage beantworten, wie wir damit umgehen.” Jonathan Lehrer
Linda Lew ist als Reporterin für den chinesischen Markt nun Teil des Auto-Teams der Wirtschaftsnachrichtenagentur Bloomberg. Lew arbeitet von Hongkong aus.
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Wetter, Weltgeschehen, Wochenendprogramm – das sind drei beliebte Rede-Rettungsringe, an die wir uns in unseren Breiten gerne klammern, wenn eine Gesprächsgelegenheit in Gesprächsverlegenheit abzudriften droht. Auch in China kennt man solche Smalltalk-Dilemmas, in denen sich die Beteiligten mühsam die letzten Thementröpfchen aus den Hirnwindungen wringen, damit der Gesprächsfluss nicht versiegt. Im Mandarin gibt es neuerdings sogar ein eigenes sprachliches Label für solche Szenarien, nämlich 尬聊 gàliáo.
Die Wortneuschöpfung ist das Kondensat aus den Wörtern 尴尬 gān’gà “peinlich, unangenehm, verlegen” und 聊天 liáotiān “sich unterhalten, quatschen, schwätzen” (wörtlich eigentlich “vom Himmel reden”, ähnlich wie “über Gott und die Welt sprechen” im Deutschen). “Ga-Talk” bezeichnet nicht etwa unbefangenen Smalltalk – den nennt man auf Chinesisch nämlich 闲聊xiánliáo, also wörtlich “Müßigkeits-Talk” – sondern krampfigen “Schäm-Talk”, also Plaudereien, bei denen hinter jedem Punkt peinliche Löcher des Schweigens lauern. Wehe also dem, der auf Wortdilettanten trifft, die sich “nicht unterhalten können” (不会聊天 bú huì liáotiān) und die den gemeinsamen Plausch immer wieder zielsicher in eine Gesprächssackgasse manövrieren. Auf Chinesisch heißt das “den Himmel totreden” (把天聊死 bǎ tiān liáosǐ).
Überhaupt scheint 尬 gà im Zeitalter von Smartphones und Social Media in China derzeit einen Nerv zu treffen. In wenigen Pinselstrichen fängt das Zeichen einen Zeitgeist ein, der an unser Konzept der Fremdscham erinnert (ja ebenfalls ein vergleichsweise neuer Begriff). Mittlerweile spricht man in China von einer regelrechten “ga-Kultur” (尬文化 gà wénhuà). Dahinter verbirgt sich ein ganzes Sammelsurium an Begrifflichkeiten für peinliche soziale Situationen, die bei zartbesaiteten Zeitgenossen schambedingte Fluchtreflexe auslösen.
Was die wenigsten wissen: die “Schäm”-Semantik findet ihre Ursprünge eigentlich in der Taiwaner Streetdance-Szene und hatte anfangs rein gar nichts mit Peinlichkeitsanflügen zu tun. Die Streetdance-Subkultur auf der Insel prägte schon vor einigen Jahren den Trendbegriff des 較舞 (in Kurzzeichen 较舞 jiàowǔ – wörtlich “Vergleichstanz”) zur Beschreibung eines Dance-Battles. Langsam schwappte das Wort dann in die Mainstream-Kultur und auch auf das chinesische Festland über. Dort wurde das ursprüngliche Zeichen 較 jiào, das im Taiwaner Dialekt ähnlich wie das hochchinesische “gà” klingt, dann durch 尬 gà ersetzt. Das bereitete den Boden für den Bedeutungsshift.
Heute hat sich ein ganzes Wortfeld um das Fremdschäm-Zeichen verdichtet. So durchleidet manches sensibles Seelchen (unabhängig vom Kulturkreis) wahrscheinlich Fremdschäm-Anflüge, wenn Partybegleiter mit hölzernen Hüften in halbleeren Hallen aus Verlegenheit zu einem seltsamen “Shame-Dance” (尬舞 gàwǔ) ansetzen. Wer trotz mangelnder musikalischer Begabung wild das Mikrofon in Karaoke-Kammern schwingt, um die unterkühlte Stimmung anzutauen, der betreibt derweil “Shame-Singing” (尬唱 gàchàng). Weiß man im Verlauf eines Wechat-Geplänkels gesprächsmäßig weder ein noch aus, ist das Versenden eines “Verlegenheitsbildchen” (尬图 gàtú) oft die letzte Option. Und alle Versuche, die krampfige Stimmung eines Business-Banketts in einem peinlichen Kraftakt durch Hochprozentiges zu retten, nennt die Jugend 尬酒 gàjiǔ – “Shame-Schnaps”.
Doch keine Sorge: Wenn Sie das nächste Mal im Alltag vor Scham am liebsten im Erdboden versinken möchten, kontern Sie die Peinlichkeiten des Planeten doch einfach durch eine “Gaga”-Gegenattacke. Frei nach folgender Spruchweisheit aus den Weiten des chinesischen Webs, die in China in der ga-Debatte längst zu einem geflügelten Wort geworden ist: 只要你不尴尬,尴尬的就是别人 Zhǐyào nǐ bù gān’gà, gān’gà de jiù shì biérén – “Solange es dir nicht peinlich ist, sind es die anderen, die sich schämen.” Ganz genau.
Verena Menzel betreibt in Peking die Online-Sprachschule New Chinese.
der jährliche Nationale Volkskongress (NVK) hat begonnen, mit 3.000 Delegierten theoretisch die größte gesetzgebende Versammlung der Welt. Doch tatsächlich haben die Abgeordneten nicht viel zu sagen. Sie nicken ab, was die Parteiführung ihnen vorgibt. Auch das neue Personal-Tableau nach dem Abtritt des bisherigen Premierministers Li Keqiang und des erfahrenen Wirtschaftsexperten Liu He steht bereits fest.
Und doch: Ganz reibungslos geht es hinter den Kulissen nicht zu – und wir achten auf die Details. Li Keqiang scheidet mit einem der wirtschaftlich schlechtesten Jahre aus dem Amt. Er legt nun zwar ein Programm zur Wiederbelebung der Konjunktur vor, schreibt Frank Sieren in seiner Analyse der Regierungserklärung. Doch leicht wird es sein Nachfolger bei der Umsetzung nicht haben. Dazu haben sich zu viele wirtschaftspolitische Widersprüche angesammelt.
Ebenfalls traditionell zum Auftakt des NVK verkündet die Führung den Wehretat. Dieser wird für 2023 zwar so hoch sein wie noch nie. Doch um eine übertriebene Steigerung handelt es sich nicht, analysiert unser Autor Jörn Petring. Schon in den vergangenen Jahren wuchsen die Rüstungsausgaben schneller als die Wirtschaft. Als Begründung dienen die Spannungen mit den Nachbarn. In diese hat China sich allerdings zu einem guten Teil selbst verstrickt.
Ein weiteres zentrales Thema der Regierungserklärung ist Chinas durchgeplanter technologischer Aufstieg. Die USA blockieren ihn derzeit durch Sanktionen auf Halbleiterprodukte. Doch die Chancen stehen gut, in Zukunft alle nötigen Fähigkeiten für modernste Chips selbst zu erlagen, sagt die Würzburger China-Ökonomin Doris Fischer im Gespräch mit Finn Mayer-Kuckuk.
Sie sehen, wir liefern Ihnen zum diesjährigen Volkskongress reichlich analytischen Lesestoff.
Premierminister Li Keqiang hat am Sonntag zum Beginn der jährlichen Tagung des Nationalen Volkskongresses seine Regierungserklärung vorgetragen. Es ist seine letzte. Li dankt am Ende der Tagung ab, sein Nachfolger (wahrscheinlich Li Qiang) wird voraussichtlich Anfang kommender Woche gewählt.
Wie immer lag der Schwerpunkt des Regierungsreports auf Wirtschaft und Entwicklung. Das sind die wichtigsten Punkte:
Die wichtigste Nuance kam zum Schluss seiner Rede: Li zeigte sich ein wenig entspannter in Bezug auf Taiwan. Während seiner Rede im vergangenen Jahr hat er zwar auch schon nicht mehr ausdrücklich von einer militärischen Option gesprochen. Doch 2022 umschrieb er es noch so: “Wir widersetzen uns entschieden separatistischen Aktivitäten, die ‘Taiwans Unabhängigkeit’ wollen. Und sind strikt gegen internationale Einmischung.”
Stattdessen heißt es nun 2023 softer: “Ziel muss es sein, die friedliche Wiedervereinigung des Vaterlandes voranzutreiben. Die Landsleute auf beiden Seiten sind blutsverwandt.” Die Betonung der Blutsverwandtschaft hängt die Latte für ein militärisches Eingreifen eher höher. Das bedeutet noch keine Entwarnung, kann aber durchaus der Beginn eines Trends sein.
Zur Außenpolitik sagte Li, China sei bereit, die “Initiative für globale Entwicklung und die Initiative für globale Sicherheit gemeinsam mit der internationalen Gemeinschaft umzusetzen”. Dabei handelt es sich um Formulierungen, die den aktuellen außenpolitischen Programmen entsprechen. Eine Änderung der Haltung gegenüber Russland und Ukraine lässt sich daraus nicht ableiten.
Ansonsten drehte sich Lis Rede vor allem um Chinas Volkswirtschaft. Niemand möchte mit einem der ökonomisch schlechtesten Jahre aus dem Amt scheiden. Doch genau das passiert Premier Li. 2022 hatte er mit drei Prozent das zweitschlechteste Wachstum seit der Reform und Öffnungspolitik Anfang der 1980er-Jahre vorgewiesen. Nur im ersten Corona-Jahr 2020 fiel es mit 2,2 Prozent noch schlechter aus.
Nicht überraschend, dass seine jährliche Regierungserklärung von der Frage geprägt war, wie schnell es nun wieder bergauf geht. Ganz entscheidend dafür: Konsumenten und Investoren haben größere Ausgaben in den Krisen vor allem aufgeschoben. Die Haushaltsersparnisse sind gestiegen, die Devisenreserven stabil. Die Inflation ist mit zwei Prozent niedrig.
Es geht Li nun also darum, die Menschen zum Geldausgeben zu bewegen. Allerdings soll unter Punkt 1 seines Wirtschaftsprogramms für 2023 nicht nur der Staat den Binnenkonsum fördern, vielmehr soll die “Vitalität der privaten Investitionen weiter entfaltet werden”. Es gilt also weiter offizielle eine Balance zwischen Staats- und Privatwirtschaft.
Das Ziel von fünf Prozent ist als Kompromiss zu sehen zwischen einem Aufschwungversprechen und dem Versuch, den Fehler des vergangenen Jahres zu vermeiden. Das Ziel lag 2022 um 5,5 Prozent und wurde krachend verfehlt. Von übertriebenem Optimismus hält sich die Regierung nun fern. Sie übertrifft dafür lieber am Jahresende das eigene Ziel.
Unter Punkt 2 folgt die Modernisierung traditioneller Industrien, besonders auch “kleiner und mittlerer Unternehmen” zu mehr “High End, künstlicher Intelligenz und Umweltfreundlichkeit”. Außerdem will die Regierung “die Erforschung, Entwicklung sowie Anwendung und Verbreitung von Spitzentechnologien beschleunigen“.
Chinas Forschungsaufwendungen sind Li zufolge in den vergangenen fünf Jahren von 2,1 Prozent des Bruttonlandprodukts auf 2,5 Prozent gestiegen. Dem Haushaltsentwurf des Finanzministeriums vom Sonntag zufolge will die Zentralregierung mit 328 Milliarden Yuan im Vergleich zum Vorjahr noch einmal knapp zehn Milliarden Yuan bei der Forschungsförderung drauflegen. In dieser Zahl sind Aufwendungen der Provinzen, der Städte und der Unternehmen nicht enthalten.
Unter Punkt 3 geht es darum, die marktwirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit der Privat- und Staatsbetriebe zu verbessern. Das umschreibt Li mit dem Begriff der “doppelten Unbeirrbarkeit”. Privatunternehmen sollen besser “angespornt und unterstützt” werden. Das gelte besonders für kleine und mittelständische Betriebe. Die Beziehung zwischen Regierung und Geschäftsleuten solle durch “Freundlichkeit und Integrität” geprägt sein, mit dem Ziel, “die Zuversicht des Marktes zu steigern”.
Punkt 4: Es soll mehr ausländisches Kapital angezogen werden. Dazu will die Regierung den “Marktzugang weiter lockern”, vor allem im Bereich der modernen Dienstleistungsgesellschaft. China bekennt sich in der Rede zum internationalen Handel. Zudem will Li “Unternehmen aus aller Welt mehr Chancen für ihre Entwicklung in China bieten”.
Erst dann geht es in Punkt 5 um “schwere Risiken im Wirtschafts- und Finanzwesen”, die es also offensichtlich gibt. Besonders erwähnt werden große Immobilienfirmen, deren Risiko Li “effektiv beseitigen” will. Er will “unverhältnismäßige Expansionen verhindern”, die Unternehmen zwingen, ihre “Schulden abzubauen und die Neuverschuldung begrenzen”.
In Punkt 6 geht es um die Landwirtschaft: Die Regierung will die Getreideproduktion und die Preise für landwirtschaftliche Güter stabilisieren, die Einkommen der Landwirte steigern, um so einen “Rückfall in großem Stil in die Armut zu verhindern”.
Punkt 7 beschäftigt sich mit der “grünen Transformation”. Er will den Auf- und Ausbau einer umweltbezogenen Infrastruktur in Stadt und Land “verstärken” und “Ökosysteme schützen und wieder herzustellen”.
Interessant ist dabei eher die Reihenfolge der folgenden beiden Sätze: “Unser Land wird die saubere und hocheffiziente Nutzung von Kohle fördern sowie entsprechende Technologien erforschen und entwickeln. Erhöht wird außerdem das Tempo beim Aufbau eines alternativen Energiesystems.” Die Kohleverstromung erlebt offensichtlich eine Renaissance, aus Sorge vor zu großer internationaler Abhängigkeit.
Und der letzte, der 8. Punkt, dreht sich um soziale Themen: mehr sozialer Wohnungsbau, bessere Schulbildung, Berufsschul- und Hochschulbildung. Es geht um die “legitimen Rechte und Interessen” von Frauen, Kindern und Senioren sowie Menschen mit körperlicher oder geistiger Behinderung.
Nicht nach Entspannung sieht es im Bereich der Religion aus. Li möchte an der “Grundorientierung der Sinisierung der Religionen in unserem Land festzuhalten und aktiv bei ihrer Anpassung an die sozialistische Gesellschaft anleiten”.
Zu Hongkong gelten nun drei Slogans. “Ein Land, zwei Systeme”, “Hongkonger verwalten Hongkong” und “Patrioten verwalten Hongkong”. Li scheint dazwischen keinen Widerspruch zu sehen.
Chinas Militär kann sich auch in diesem Jahr über deutlich mehr Geld freuen. Der am Sonntag zum Auftakt des Volkskongresses vorgelegte Haushaltsentwurf sieht eine Steigerung der Verteidigungsausgaben um 7,2 Prozent auf 1,5537 Billionen Yuan (umgerechnet 211 Milliarden Euro) vor.
Der Anstieg ist zwar beachtlich, dürfte aber wenig mit der aktuellen Weltlage zu tun haben. Schließlich wachsen die chinesischen Militärausgaben seit Jahren schneller als die Wirtschaft. Nach einem Plus von 7,5 Prozent im Jahr 2019 folgten Steigerungen von 6,6 Prozent, 6,8 Prozent und zuletzt 7,1 Prozent. Der nun geplante Haushalt, der am Ende des Volkskongresses verabschiedet werden soll, ist also kein Ausreißer nach oben.
Damit unterscheidet sich China von den USA, deren Rüstungsaufwendungen überproportional wachsen. Der Kongress in Washington bewilligte im Dezember einen kräftigen Anstieg der Militärausgaben um acht Prozent auf 858 Milliarden Dollar. Begründet wurde das üppige Paket unter anderem mit notwendigen Unterstützungsmaßnahmen für die Ukraine und auch für Taiwan, wie die New York Times damals berichtete. Wegen der hohen Inflation in den USA musste zudem den Soldaten eine kräftige Gehaltserhöhung gewährt werden.
Wenig überraschend vermied es China am Sonntag zu Beginn des Volkskongresses, den Krieg in der Ukraine zu erwähnen. Möglicherweise wird sich China aber am Dienstag dazu äußern. Denn dann wird der neue Außenminister Qin Gang am Rande des Volkskongresses eine Pressekonferenz geben, die mit Spannung erwartet wird.
Allgemein war im Zusammenhang mit der Weltlage von “unruhigen Gewässern” die Rede. Insgesamt tauchten in der Rede von Li Keqiang zwölfmal die Begriffe “friedlich” oder “Frieden” auf – nach achtmal im Vorjahr.
Die Erhöhung der Militärausgaben begründete Li stattdessen mit der Notwendigkeit, die Modernisierung der Streitkräfte weiter voranzutreiben. Konkret nannte Li das Jahr 2027, in dem die Volksbefreiungsarmee ihr 100-jähriges Bestehen feiern wird. Bis dahin, so Li, müsse “an der Durchführung militärischer Operationen, der Verbesserung der Kampfbereitschaft und der Verbesserung der militärischen Fähigkeiten” gearbeitet werden.
Das Militärjubiläum ist nur eines von mehreren Etappenzielen, die sich China gesetzt hat. Wichtiger ist das Jahr 2035, in dem die Modernisierung der Streitkräfte “weitgehend abgeschlossen” sein soll. Bis 2050 soll das Land dann über eine “Armee von Weltklasse” verfügen. Damit sind weitere kräftige Steigerungen der Militärausgaben auch in den kommenden Jahren sicher.
Wie sehr belasten die Chip-Sanktionen der USA die chinesische Wirtschaft ganz akut?
Aktuell haben die chinesischen Unternehmen noch viele Möglichkeiten, die Folgen abzufedern. Man hat zum Teil Vorräte an Chips angelegt, von denen noch etwas da ist. Aber ja, natürlich machen sich die Folgen jetzt schon bemerkbar. Das betrifft aber wohlgemerkt nur Hightech-Chips. Es geht bei den amerikanischen Handelsbeschränkungen nicht um alle Chips, sondern nur um hoch entwickelte Produktklassen an der Grenze des technisch Machbaren. Diese Produktgruppe kann China noch nicht selbst fertigen.
Die Einschränkungen betreffen zwei Bereiche: die Lieferung der Chips selbst und von Maschinen zu ihrer Herstellung. Was wiegt schwerer?
Kurzfristig wiegen die Einschränkungen in Bezug auf die Produkte selbst schwerer, langfristig die bezüglich der Ausrüstung. Die Alternative wäre ja, sie selbst herzustellen, indem man die nötigen Maschinen im Ausland kauft. Das ließe sich vergleichsweise kurzfristig bewerkstelligen. Die Entwicklung eigener Fertigungsmaschinen von Grund auf dauert jedoch deutlich länger. Das sind sehr komplexe Produkte. Wir kennen das aktuell auch bei uns in Deutschland. Es kommen Überlegungen auf, Solarpanels wieder selbst herstellen. Das dauert.
Im Bereich Solar plant China ja seinerseits Exportbeschränkungen für die EU. Es entspinnt sich ein Schlagabtausch der Volkswirtschaft mit immer weiter reichenden Sanktionen.
Wissen Sie, was das wirklich Traurige an dieser ganzen Entwicklung ist?
Was?
Dass diejenigen in China bestärkt werden, die schon immer gesagt haben: Die Amerikaner wollen uns klein halten. Das war lange Zeit eine Minoritätshaltung in China und ist erst unter Xi Jinping zu einer Mehrheitsmeinung geworden. Der Westen wird unseren Aufstieg nie akzeptieren, lautet der Tenor.
Derzeit stimmt das doch.
Ja, aber das hat sich aber in den vergangenen Jahren erst so hochgeschaukelt. Dazu haben sowohl Donald Trump als auch Xi Jinping beigetragen, jetzt führt Joe Biden diese Linie fort.
Wie kann China umgekehrt verhindern, dass die Chip-Sanktionen den technischen Aufstieg langfristig bremsen?
Die chinesische Regierung wird alles daransetzen, dass eigene Anbieter diese Fähigkeiten erlangen und die Abhängigkeit verschwindet. Es gibt schon lange Investitionsprogramme in den entsprechenden Branchen, und trotz aller Rückschläge ist anzunehmen, dass sie es irgendwann in Zukunft schaffen.
Japan und die Niederlande sind bei den Chip-Sanktionen jetzt offenbar ebenfalls an Bord. Warum war es den USA so wichtig, dass gerade diese zwei Länder ebenfalls den Export nach China beschränken?
Weil sie da, wo es um die Herstellung von Chips oder Teilprozessen der Herstellung von Chips geht, wichtige Lieferanten von Maschinen sind. Sonst hätte die chinesische Strategie sein können, über diesen Einkauf dieser Maschinen die Sanktionen zu umgehen. Den Amerikanern geht es aber noch um etwas anderes.
Um was?
Tatsächlich lautete die Sorge in den USA auch, abhängig zu werden von chinesischer Zulieferung. Wenn sie die Entwicklung am Markt einfach hätten weiterlaufen lassen, dann wären Chips zwar weiterhin in den USA konzipiert worden, in zunehmendem Maße aber in China oder mit chinesischer Zuarbeit hergestellt werden. Es geht hier aber um Spitzentechnologie, die auch militärisch relevant ist, zum Teil zumindest. Und deswegen will man in den USA die gesamte Wertschöpfungskette eigentlich am liebsten auf dem Kontinent haben.
Sie haben es gerade erwähnt: Chips sind auch Waffen. Als Nächstes kommt vermutlich eine Generation von KI-Waffen wie Schwarmdrohnen und Killerrobotern auf die Schlachtfelder zu, die gewaltige Rechenleistung benötigen. Da ist China noch abhängig?
Ich bin keine Waffenexpertin. Aber es ist sehr wahrscheinlich, dass China hart daran arbeitet, eigene Produktionskapazitäten für die nötigen Halbleiterelemente zu schaffen. Das sieht nicht anders als aus als bei den zivilen Anwendungen. Der Komplex aus staatlichen und privaten Akteuren arbeitet in der Innovation zum Teil sehr geschickt und effektiv.
Politiker im Westen wirken erschrocken darüber, wie erfolgreich Chinas Industriepolitik ist und wollen sich nun eine Scheibe davon abschneiden.
Das ist natürlich die Ironie des Ganzen. Ich habe in meiner Forschung über 20 Jahre argumentiert, dass Industriepolitik vielleicht manchmal doch funktionieren kann. Das wurde lange Zeit kaum anerkannt. Gerade in Deutschland war Industriepolitik lange Zeit ein No-Go, es galt als unfein, das Wort überhaupt zu benutzen. Jetzt sehen wir eine vollständige Wende unter dem Eindruck Chinas. Doch die Politik sollte nicht vergessen, dass dabei die Effizienz auf der Strecke bleibt.
Warum ist das so?
Industriepolitik erfordert Subventionen, sie ist teuer. Und es klappt nicht immer alles. China hat eine hohe Toleranz für solche gescheiterten Versuche und schreibt die Investitionen als versuchten Schritt hin zu übergeordneten Zielen ab. Unsere Forschung ist zu dem Ergebnis gekommen, dass die chinesische Regierung unter Xi Jinping in erheblichem Maße bereit ist, hohe Kosten für politisch motivierte Vorhaben in Kauf zu nehmen.
Das Gleiche gilt für Europa und Deutschland in der Chipbranche ja auch. Wir subventionieren uns ebenfalls eine Halbleiterindustrie herbei.
Deswegen haben wir das gleiche Problem mit den steigenden Kosten im Vergleich zu einer Arbeitsteilung im Welthandel. Wir können natürlich sagen: Okay, wir gucken nicht mehr nur auf Effizienz für – in Anführungszeichen – höhere Ziele. Ob das dann aufgeht, müssen wir sehen.
Wird dadurch nicht alles für alle teurer?
Wenn wir versuchen, alles selbst zu machen und dafür wahnsinnig viel Geld in die Hand nehmen, dann sind die Sachen nicht mehr so kostengünstig. China erreicht in der Massenproduktion enorme Skaleneffekte.
Ist denn ein Ende dieser Sanktionen absehbar?
Derzeit folgt eher Schlag auf Gegenschlag. Die Amerikaner fordern ein Ende von marktverzerrenden Subventionen als Voraussetzung für eine Annäherung. Doch zugleich sehen sie allein schon die Existenz von Staatsunternehmen als Subvention an. Das hieße ja, dass China sein wirtschaftliches System komplett umkrempeln müsste. Es wirklich schwierig, sich im Moment vorzustellen, welche Schritte gegangen werden können, um das aufzuhalten. Gespräche miteinander wären schon mal hilfreich. Wegen der Geschichte mit dem Ballon herrscht aber im Gegenteil wohl eher Funkstille.
Doris Fischer ist Professorin für China Business und Economics an der Universität Würzburg. Sie hat einen Hintergrund in Sinologie und BWL. Derzeit forscht sie zur Rolle und Ausgestaltung von Industriepolitik für die Energiewende unter der Führung von Xi Jinping.
Wolfgang Ischinger, ehemaliger Spitzendiplomat und bis zum vergangenen Jahr Leiter der Münchner Sicherheitskonferenz, erwartet für die nahe Zukunft internationale Friedensverhandlungen im Ukraine-Krieg. Er könne sich vorstellen, dass “Staaten wie Brasilien, wie Indien, vielleicht sogar – mit einem Fragezeichen – China” mit einbezogen werden, sagte Ischinger im ZDF. Einer Nuklearmacht wie Russland müsse eine Gruppe von entsprechend starken Ländern entgegentreten. Ischinger hält es daher für “vollkommen falsch, das chinesische Friedens-Positionspapier zu ignorieren oder abzutun“. Voraussetzung für Gespräche sei allerdings, dass Russland militärisch nicht mehr weiterkomme.
Ischinger sagt, er habe sich ein Gedankenexperiment gegönnt. Er habe die 12 Punkte des chinesischen Papiers durch zwei zusätzlich kleine Sätze ergänzt und durch das Streichen eines der 12 Punkte so adaptiert, dass “es aus unserer Sicht ein sinnvoller Beitrag zu einer Diskussion über mögliche Optionen” sein könnte. Das Papier sei sinnvoll, um in den Versuch eines Gesprächs einzutreten. Es lohne, China in ein vertieftes Gespräch hineinzuziehen.
Beim Treffen am Wochenende zwischen Bundeskanzler Olaf Scholz und US-Präsident Joe Biden ging es dem Vernehmen nach ebenfalls um Chinas Vorschlag. Parallel dazu hat der französische Präsident Emmanuel Macron mit dem ukrainischen Präsidenten Selenskyj über eine mögliche Friedenskonferenz in Paris gesprochen. Die Antwort von Selenskyj: Er würde nur daran teilnehmen, wenn die Präsidenten Joe Biden und Xi Jinping dabei seien. frs
Um zu vermeiden, dass Europa noch abhängiger von China wird, will die EU-Kommission Produktionsziele für Solarzellen, Windräder, Batterien und Wärmepumpen vorgeben. Bis 2030 soll die EU in der Lage sein, 40 Prozent ihres jährlichen Bedarfs an emissionsfreien Technologien selbst zu produzieren, berichtete das Handelsblatt und beruft sich auf einen Entwurf für den “Green Deal Industrial Plan” zum klimafreundlichen Umbau der Wirtschaft.
Die Europäische Union sei bei bestimmten Netto-Null-Technologien und ihren Komponenten in hohem Maße von konzentrierten Einfuhren abhängig, wie etwa bei “Fotovoltaik-Technologien und ihre Komponenten” aus China. Hier werde bislang teils der gesamte europäische Bedarf durch chinesische Importe gedeckt, heißt es laut Handelsblatt in dem Papier. Zudem drohe sich bei Wärmepumpen und Windrädern Europas Position im globalen Wettbewerb zu verschlechtern.
Die EU-Kommission hatte Anfang Februar ein Maßnahmenbündel für klimafreundliche Technologien vorgeschlagen, mit dem die Wettbewerbsfähigkeit der Europäischen Union gesichert und großen Subventionspaketen wie dem Paket der USA entgegengetreten werden soll. rtr
Viele iPhones könnten demnächst nicht mehr aus China kommen, sondern aus Indien. Der taiwanische Elektronikkonzern und Apple-Zulieferer Foxconn hat angekündigt, eine weitere iPhone-Fabrik in Indien zu errichten. Schon “bald” werden in Karnataka Telefone von Apple gebaut, twitterte der Regierungschef des indischen Bundesstaates, Basavaraj S Bommai. Das werde rund 100.000 Jobs schaffen.
In dem Staat liegt die Technologiemetropole Bangalore. Foxconn-Chef Young Liu hatte die Stadt örtlichen Medienberichten zufolge am Freitag besucht, nachdem er sich zuvor mit Premierminister Narendra Modi getroffen hatte.
Foxconn ist der größte iPhone-Zulieferer und stellt bereits seit 2019 auch Handys in Indien in einer Fabrik im südlichen Staat Tamil Nadu her, darunter sein neuestes iPhone 14. Derzeit macht Indien aber nur fünf Prozent der globalen Produktion für den US-Konzern Apple aus, hinter den USA, China, Japan sowie fünf weiteren Ländern. flee
Erst Hamburg, nun Bremen? Der Vorstandsvorsitzende des Bremer Seehafen- und Logistikdienstleisters BLG Logistics, Frank Dreeke, lehnt einen potenziellen Einstieg chinesischer Investoren nicht kategorisch ab. “Ich würde es nicht ausschließen. Man muss jeden Einzelfall genau prüfen”, sagte Dreeke im Gespräch mit der Nachrichtenagentur dpa. Eine große Beteiligung werde BLG Logistics “sicher nicht erlauben”, schränkte er allerdings ein. flee
Die Frankfurter Goethe-Universität hat ihren Kooperationsvertrag mit dem Frankfurter Konfuzius-Institut nicht verlängert. Wie die Hochschule mitteilte, soll die Zusammenarbeit mit der Einrichtung “anlassbezogen” fortgesetzt werden. Der seit 2008 bestehende Vertrag sei deshalb Ende Februar nicht verlängert worden. Für die Zukunft vorstellen könne man sich zum Beispiel Chinesisch-Sprachkurse für Angehörige oder Abteilungen der Universität. Der Neubewertung der Kooperation mit dem Konfuzius-Institut sei eine Überprüfung durch eine unabhängige Expertenkommission vorausgegangen, teilte die Uni mit. Die Zusammenarbeit sei “positiv bewertet” worden. Es habe “keine erkennbare Einflussnahme chinesischer Stellen auf Forschung und Lehre der Goethe-Universität stattgefunden”.
Während die Zusammenarbeit mit dem Konfuzius-Institut zunächst nicht fortgesetzt wurde, arbeite die Goethe-Universität daran, die “institutionelle und wissenschaftliche Kooperation mit der Fudan-Universität in Shanghai auszuweiten”. Dazu seien bereits erste Schritte unternommen worden. Einen Austausch für Studenten bieten die beiden Universitäten bereits an. “Wir freuen uns darauf, diesen Austausch auch auf wissenschaftlicher Basis weiterzuentwickeln – vorurteilsfrei, jedoch auch mit dem nötigen Augenmaß, was die Freiheit von Forschung und Lehre betrifft”, betonte Uni-Vizepräsident Michael Huth in einer Pressemitteilung. ari
China und Russland wollen eine andere Weltordnung, sagt Roderick Kefferpütz vom Merics. Der Unterschied zwischen den beiden ungleichen Partnern liege in der Rollenaufteilung. Russland sei für das Grobe verantwortlich und zerstöre die Weltordnung; der Krieg gegen die Ukraine ist das beste Beispiel. China nutze dieses Chaos, um die eigenen alternativen Strukturen anzubieten. “In dem Sinne ergänzen die beiden sich sehr gut”, erklärt Kefferpütz.
Kefferpütz blickt bei dieser Analyse der beiden autoritären Akteure auf sieben Jahre im Europäischen Parlament zurück. Während andere noch vom China-Optimismus der Nullerjahre gezehrt haben, merkte Kefferpütz als Büroleiter von Reinhard Bütikofer, wie schwierig der Umgang mit China geworden ist. “Ich habe gesehen, wie China Wirtschaft als Waffe einsetzt und ich habe das als sehr aggressiv empfunden”. Deshalb warnt der Politikberater auch heute noch davor, sich von Chinas Charmeoffensiven, wie der neuen Friedensinitiative, einlullen zu lassen.
Dabei sei ihm wichtig, in der Fülle aus Publikationen über Russland oder China immer einen Mehrwert zu generieren. Er greift dabei auf Daten, Reden und Verträge zurück, die er akribisch auf Muster und Trends analysiert. Dazu komme der persönliche Kontakt: “Wenn man wirklich verstehen will, was passiert, muss man mit den Leuten im Austausch sein, die mit China in Berührung kommen.” Gesagt, getan: In einer groß angelegten Studie befragt Kefferpütz zahlreiche Bundestagsabgeordnete, wie sie sich über China informieren.
Die Erkenntnis: Chinawissen kommt im Bundestag von außen. Das sei erstmal kein Problem, erklärt Kefferpütz, aber nicht jeder Abgeordnete habe gute Kontakte in die Thinktank-Welt. Und dann bestehe die Gefahr, dass unerfahrene Abgeordnete Opfer von Desinformation aus China werden. In England oder Australien werden Chinawissenschaftler mittlerweile für das Parlament eingestellt, das könne auch für den Bundestag eine Idee sein, schlägt Kefferpütz vor. Denn nur mit den richtigen Informationen könne man durch die Schattierungen der internationalen Politik navigieren.
Auch Kefferpütz’ Weg in die internationale Politik brauchte Navigationsfähigkeit: Nach seinem Abitur in Kanada segelte Kefferpütz zusammen mit 25 Mitschülern auf einem College-Schiff um die Welt. Angefangen in Europa ging es über den Atlantik durch den Panamakanal und bis zum Cap der guten Hoffnung. “Die Regel war immer: Wenn du auf dem Wasser bist, machst du Unterricht”, erinnert er sich. Zurück an Land ließ ihn die Welt nicht mehr los und Kefferpütz ging nach Paris und Oxford, um internationale Beziehungen mit Schwerpunkt Russland zu studieren.
Zum Chinaexperten wurde er im Büro von Reinhard Bütikofer, der genau wie Kefferpütz heutiger Arbeitgeber Merics unter chinesischen Sanktionen steht. Wenn man Kefferpütz fragt, wie Deutschland mit der schwierigen Allianz zwischen Moskau und Peking umgehen soll, ist er sich sicher: Der sogenannte “Kissinger-Salto” – China an den Westen binden, um Russland in seine Schranken zu weisen – sei wenig aussichtsreich. “Wir müssen uns bewusst machen, dass Russland und China gemeinsam an einem Strang ziehen”, betont Kefferpütz. “Und dann die Frage beantworten, wie wir damit umgehen.” Jonathan Lehrer
Linda Lew ist als Reporterin für den chinesischen Markt nun Teil des Auto-Teams der Wirtschaftsnachrichtenagentur Bloomberg. Lew arbeitet von Hongkong aus.
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Wetter, Weltgeschehen, Wochenendprogramm – das sind drei beliebte Rede-Rettungsringe, an die wir uns in unseren Breiten gerne klammern, wenn eine Gesprächsgelegenheit in Gesprächsverlegenheit abzudriften droht. Auch in China kennt man solche Smalltalk-Dilemmas, in denen sich die Beteiligten mühsam die letzten Thementröpfchen aus den Hirnwindungen wringen, damit der Gesprächsfluss nicht versiegt. Im Mandarin gibt es neuerdings sogar ein eigenes sprachliches Label für solche Szenarien, nämlich 尬聊 gàliáo.
Die Wortneuschöpfung ist das Kondensat aus den Wörtern 尴尬 gān’gà “peinlich, unangenehm, verlegen” und 聊天 liáotiān “sich unterhalten, quatschen, schwätzen” (wörtlich eigentlich “vom Himmel reden”, ähnlich wie “über Gott und die Welt sprechen” im Deutschen). “Ga-Talk” bezeichnet nicht etwa unbefangenen Smalltalk – den nennt man auf Chinesisch nämlich 闲聊xiánliáo, also wörtlich “Müßigkeits-Talk” – sondern krampfigen “Schäm-Talk”, also Plaudereien, bei denen hinter jedem Punkt peinliche Löcher des Schweigens lauern. Wehe also dem, der auf Wortdilettanten trifft, die sich “nicht unterhalten können” (不会聊天 bú huì liáotiān) und die den gemeinsamen Plausch immer wieder zielsicher in eine Gesprächssackgasse manövrieren. Auf Chinesisch heißt das “den Himmel totreden” (把天聊死 bǎ tiān liáosǐ).
Überhaupt scheint 尬 gà im Zeitalter von Smartphones und Social Media in China derzeit einen Nerv zu treffen. In wenigen Pinselstrichen fängt das Zeichen einen Zeitgeist ein, der an unser Konzept der Fremdscham erinnert (ja ebenfalls ein vergleichsweise neuer Begriff). Mittlerweile spricht man in China von einer regelrechten “ga-Kultur” (尬文化 gà wénhuà). Dahinter verbirgt sich ein ganzes Sammelsurium an Begrifflichkeiten für peinliche soziale Situationen, die bei zartbesaiteten Zeitgenossen schambedingte Fluchtreflexe auslösen.
Was die wenigsten wissen: die “Schäm”-Semantik findet ihre Ursprünge eigentlich in der Taiwaner Streetdance-Szene und hatte anfangs rein gar nichts mit Peinlichkeitsanflügen zu tun. Die Streetdance-Subkultur auf der Insel prägte schon vor einigen Jahren den Trendbegriff des 較舞 (in Kurzzeichen 较舞 jiàowǔ – wörtlich “Vergleichstanz”) zur Beschreibung eines Dance-Battles. Langsam schwappte das Wort dann in die Mainstream-Kultur und auch auf das chinesische Festland über. Dort wurde das ursprüngliche Zeichen 較 jiào, das im Taiwaner Dialekt ähnlich wie das hochchinesische “gà” klingt, dann durch 尬 gà ersetzt. Das bereitete den Boden für den Bedeutungsshift.
Heute hat sich ein ganzes Wortfeld um das Fremdschäm-Zeichen verdichtet. So durchleidet manches sensibles Seelchen (unabhängig vom Kulturkreis) wahrscheinlich Fremdschäm-Anflüge, wenn Partybegleiter mit hölzernen Hüften in halbleeren Hallen aus Verlegenheit zu einem seltsamen “Shame-Dance” (尬舞 gàwǔ) ansetzen. Wer trotz mangelnder musikalischer Begabung wild das Mikrofon in Karaoke-Kammern schwingt, um die unterkühlte Stimmung anzutauen, der betreibt derweil “Shame-Singing” (尬唱 gàchàng). Weiß man im Verlauf eines Wechat-Geplänkels gesprächsmäßig weder ein noch aus, ist das Versenden eines “Verlegenheitsbildchen” (尬图 gàtú) oft die letzte Option. Und alle Versuche, die krampfige Stimmung eines Business-Banketts in einem peinlichen Kraftakt durch Hochprozentiges zu retten, nennt die Jugend 尬酒 gàjiǔ – “Shame-Schnaps”.
Doch keine Sorge: Wenn Sie das nächste Mal im Alltag vor Scham am liebsten im Erdboden versinken möchten, kontern Sie die Peinlichkeiten des Planeten doch einfach durch eine “Gaga”-Gegenattacke. Frei nach folgender Spruchweisheit aus den Weiten des chinesischen Webs, die in China in der ga-Debatte längst zu einem geflügelten Wort geworden ist: 只要你不尴尬,尴尬的就是别人 Zhǐyào nǐ bù gān’gà, gān’gà de jiù shì biérén – “Solange es dir nicht peinlich ist, sind es die anderen, die sich schämen.” Ganz genau.
Verena Menzel betreibt in Peking die Online-Sprachschule New Chinese.