Visumfreiheit für Deutsche! China ist immer für eine Überraschung gut, und diesmal waren es die Einreiseregeln, die plötzlich von Gelb auf Grün umgesprungen sind, nachdem sie bis März auf Rot gestanden hatten.
Die Befreiung gilt zwar nur für Reisen von bis zu 15 Tagen. Doch in meinem Bekanntenkreis habe ich übers Wochenende immer wieder gehört: “Ich suche schon nach Flügen” – “Dann komme ich endlich wieder nach China” – “Unter diesen Umständen möchte ich auch bald wieder hin.” Wenn das gute Indikatoren sind, rollt eine Reisewelle auf das Land zu. Das wäre für beide Seiten hochwillkommen. Chinas Volkswirtschaft braucht derzeit Tourismusausgaben und Investitionen. Für beides müssen die Leute auch unkompliziert einreisen können.
Was jetzt noch fehlt: Ähnlich großzügige Erleichterungen für chinesische Reisende, die nach Deutschland wollen. Auch die deutsche Volkswirtschaft könnte einen Schub gut gebrauchen.
Von der taiwanischen Präsidentenwahl im kommenden Januar hängt viel ab. Es weiß zwar keiner, ob eine Annäherung an China oder deutliche Warnungen vor einem Übergriff den Frieden langfristig besser sichern. Was wir aber jetzt wissen: Taiwan wird mit höherer Wahrscheinlichkeit auf mehr Distanz zu China setzen.
Denn indem die Opposition sich trotz Kooperationsversprechen heillos zerstritten hat, steigen die Chancen der regierenden DPP enorm, sich das Präsidentenamt erneut zu sichern. Denn die Stimmen der Wähler, die einen engeren Dialog mit China befürworten, verteilen sich nun auf verschiedene Kandidaten. David Demes berichtet alle Details.
Die Nachricht kam am Freitag selbst für informierte Kreise in Wirtschaft und Diplomatie überraschend: China verlangt für kurze Reisen von deutschen Staatsbürgern keinen Antrag auf ein Visum mehr. Von der Regelung profitieren auch Frankreich, Italien, die Niederlanden, Spanien und Malaysia.
Es handelt sich hier ausdrücklich um ein “unilaterales” Entgegenkommen, sagte die Sprecherin des chinesischen Außenministeriums. Sprich: Die betreffenden Länder mussten ihrerseits keine Gegenleistung erbringen.
Die Vereinfachung kommt allerdings mit einer Reihe von Bedingungen und Einschränkungen:
Die Sprecherin nennt die Regel eine “Visum-freie Vorgehensweise” und sagt klar, es liege eine “Befreiung von der Visumpflicht” vor. Wenn diese Worte richtig gewählt sind, handelt es sich nicht bloß um eine Erleichterung durch unbürokratische Visavergabe bei Einreise (“Via on arrival”), sondern tatsächlich um einen Kurswechsel mit einer Aufhebung der Visumpflicht.
Chinas Angebot an Reisende aus den sechs begünstigten Ländern reicht also sehr weit. Auch eine Einreise in die USA ist ohne Visum möglich – doch dort ist zwingend eine Online-Vorprüfung mit vielen Fragen (“Esta”) vorgeschaltet.
Die Außenamtssprecherin nennt auch die Gründe für das plötzliche Entgegenkommen: “um grenzüberschreitende Reisen und Chinas qualitativ hochwertige Entwicklung und Öffnung auf hohem Niveau weiter zu erleichtern”. Im Klartext: China braucht dringend Touristen und Geschäftsreisende.
Während Corona hatte China die Grenzen gnadenlos dichtgemacht. Erst seit März 2023 gibt es wieder in üblicher Weise Visa für Ausländer. Von 2021 bis 2022 stand die Angst vor der Einschleppung von Infektionen dahinter und der Wunsch, für die Olympischen Winterspiele Ruhe vor Corona zu haben. Die Grenzschließungen beruhten dann auch schnell auf Gegenseitigkeit. Nach Aufhebung der Lockdowns Ende 2022 sollten Ausländer wohl nicht sehen, wie heftig die Infektionswelle durchs Land rauscht.
Das Ausbleiben der Reisenden hat die Wirtschaftskrise nach Corona allen Indikatoren zufolge deutlich verschärft.
Als Reaktion auf die aktuelle Wirtschaftsschwäche läuft derzeit generell eine Charmeoffensive, die China attraktiver machen und weitere Handelshemmnisse verhindern soll. Der Rückgang der Investitionen liegt indessen kaum an einer konsequenten Reaktion der Wirtschaft auf die “De-Risking”-Rufe der Politik, sondern eher an einer langen Reihe von gebrochenen Zusagen. Dazu gehört auch der physische Zugang zum Land. Wer keine Dienstreisen nach China machen kann, wird dort kaum Millionensummen ausgeben. Man will Geschäftspartner treffen, Produkte anfassen, entstehende Gewerbegebiete begehen.
Die geringe Investitionsbereitschaft betrifft übrigens nicht Deutschland, im Gegenteil, die deutsche Wirtschaft pumpt mehr Geld nach China als zuvor. Ein guter Teil des Rückgangs seit 2022 dürfte auch am Rückgang der Weltkonjunktur liegen.
Die begünstigten fünf europäischen Länder können die Gefälligkeit der chinesischen Seite nicht ohne Weiteres erwidern. Dann Einreisepolitik in den Schengen-Raum, zu dem sie alle gehören, ist gemeinsame Sache. Schließlich können Reisende sich innerhalb der 27 teilnehmenden Länder in der Praxis frei bewegen.
Deutschland, Italien, Frankreich, die Niederlande oder Spanien können also nicht einfach für chinesische Staatsbürger zwei Wochen Visafreiheit ausrufen. Doch 22 der 27 Schengen-Länder sind eben nicht von Chinas Wohltat betroffen. Sie hätten keine Motivation, mitzuziehen.
Es ließe sich spekulieren, dass es in Chinas Interesse liegen könnte, die Regel auf die ganze EU auszuweiten. Die Auswahl der Länder spiegelt ohnehin die Erwartung wider, dass von dort kaum illegale Einreisen, dafür aber sehr viele nützliche Besuche zu erwarten sind. Das würde für den Rest von Schengen ebenso gelten. “Wir hoffen, dass die chinesische Regierung die heute angekündigten Maßnahmen für alle EU-Mitgliedsstaaten einführen wird”, schrieb die deutsche Botschafterin Patricia Flor auf X.
Mit der 15-Tage-Regel dürfte ein Großteil der Reisewünsche von Touristen, Managern und Fachleuten abgedeckt sein. Doch China bietet auch Vereinfachungen für die längeren Reisen mit der üblichen Gültigkeitsdauer von 90 Tagen für das Visum.
Der Visumsantrag für China-Reisende ist nun ohne Termin möglich. Die Online-Terminvereinbarung entfällt also, wie das chinesische Fremdenverkehrsamt mitteilt. Man kann demnach einfach in eines der fünf Visazentren in Deutschland fahren. Sie befinden sich in Hamburg, Berlin, Düsseldorf, Frankfurt/Main und München.
Der Antrag sollte rund einen Monat vor Reiseantritt vorliegen. Bis man das Visum erhält, dauert es nach dem Antrag in der Regel vier Tage, so das Fremdenverkehrsamt. Man muss online ein Visaformular ausfüllen, ausdrucken und vorlegen. Testweise entfällt seit Anfang August bis Jahresende die Notwendigkeit, Fingerabdrücke abzugeben.
Die Aufhebung der Visumpflicht und die übrigen Vereinfachungen stießen auf breite Zustimmung. “Die gerade angekündigte Aufhebung des Visumszwangs bei Kurzreisen ist ein wichtiges Signal, das sowohl den Tourismus als auch den wirtschaftlichen Austausch ankurbeln kann”, sagte der Außenwirtschaftschef der Deutschen Industrie- und Handelskammer (DIHK), Volker Treier.
“Die Regelung erleichtert vor allem die Wartung von deutschen Maschinen, die Sicherung von Qualität ‘made in Germany’, den unternehmerischen Austausch und die zwischenmenschliche Kontaktpflege”, so Treier. Finn Mayer-Kuckuk/dpa/rtr
Taiwans Politikbetrieb ist für seine theatralischen Inszenierungen bekannt. Handgreiflichkeiten im Parlament und Tränen im Wahlkampf sind keine Seltenheit. Was sich am Donnerstagabend im Grand Hyatt in der Hauptstadt Taipeh abspielte, war allerdings selbst für Taiwan außergewöhnlich.
Mehr als zwanzig Minuten lang saßen der ehemalige Präsident Ma Ying-jeou, KMT-Parteichef Eric Chu und Präsidentschaftskandidat Hou Yu-ih schweigend vor der versammelten Presse. Neben ihnen eine Digitalanzeige mit einem Countdown, der die Zeit bis zum Ende der Registrierungsfrist für die Präsidentschaftskandidatur am Freitagnachmittag anzeigte. Ihre Gastgeber, Foxconn-Gründer Terry Gou und TPP-Kandidat Ko Wen-je, ließen die drei bewusst warten – ein öffentlicher Affront und der Beginn vom Ende einer lang erwarteten Zusammenarbeit.
Im Gesamtbild sinken die Chancen der China-freundlicheren Opposition auf einen Sieg bei der Präsidentenwahl erheblich. Denn das Lager bleibt gespalten, die Wählerstimmen verteilen sich auf mehrere Parteien. Die derzeit regierende DPP kann dagegen darauf hoffen, erneut den Präsidenten zu stellen. Sie ist eher für deutliche Worte gegen Peking bekannt.
Wochenlang hatten die Oppositionsparteien KMT und TPP über eine mögliche Koalitionsregierung und eine gemeinsame Präsidentschaftskandidatur debattiert. Nur so könne der Wille der Mehrheit erfüllt werden, die regierende DPP abzulösen, so die Argumentation. Gleichzeitig schien keiner der beiden Spitzenkandidaten bereit, dem anderen den Vortritt zu lassen. Erst nachdem sich Ex-Präsident Ma und der ehemalige Bürgermeister der südlichen Großstadt Kaohsiung, Han Kuo-yu, öffentlich für eine Kooperation zwischen KMT und TPP ausgesprochen hatten, kam Bewegung in die Verhandlungen.
Die DPP und ihr Kandidat William Lai stehen tendenziell für einen kritischeren Kurs gegenüber China, die KMT und die kleinere TPP stehen tendenziell für eine Annäherung an den großen Nachbarn. Die KMT ist das Urgestein der taiwanischen Politik. Sie wurde nach der Absetzung des letzten Kaisers auf dem chinesischen Festland gegründet. Viele ihrer Mitglieder sind nach der Machtübernahme der Kommunisten im Jahr 1949 nach Taiwan geflohen und haben dort die Republik China fortgeführt.
Die DPP hatte zunächst das Image der jungen Opposition, hat aber inzwischen bereits viermal die Präsidentin beziehungsweise den Präsidenten gestellt. Die KMT geriert sich nun als Angreiferin und stellt den China-kritischen Kurs der DPP als Gefahr für Stabilität und Frieden dar. Ex-Präsident Ma war im März sogar zu Besuch in der Volksrepublik.
Am vorvergangenen Mittwoch (15. November) trafen sich Ko Wen-je, Hou Yu-ih und Eric Chu in den Räumen der Ma Ying-jeou Foundation, um ihre Kooperation zu konkretisieren. In einem Gespräch unter acht Augen, bei dem Ex-Präsident Ma als Zeuge fungierte, kamen Ko und Hou schließlich zu einer Einigung und unterzeichneten ein Dokument, in dem sie sich prinzipiell auf eine gemeinsame Kandidatur einigten und Regeln für die Bestimmung des Kandidaten festlegten.
Drei Meinungsforscher sollten den stärksten Kandidaten ermitteln. Weil seine Partei jünger ist und er weniger Ressourcen hat als die KMT, stimmte Ko zu, Hou den Vortritt zu lassen, selbst wenn er bei den Meinungsumfragen besser abschneiden sollte. Die einzige Bedingung: Sein Vorsprung müsse innerhalb der statistischen “Fehlerspanne” liegen. Noch am Tag der öffentlichkeitswirksamen Einigung äußerte Ko jedoch Zweifel an dem Deal und gab in einem Interview zu, dass er übervorteilt worden sei.
Kurz darauf änderte Ko auch seine Definition der Fehlerspanne und zog seine Zustimmung zurück. Beide Seiten warfen sich schließlich mangelnde Vertrauenswürdigkeit vor und eine Einigung vor Ablauf der Registrierungsfrist am vergangenen Freitag schien kaum mehr möglich. Ko wandte sich daraufhin dem unabhängigen Kandidaten Terry Gou zu und versuchte, ihn von einer möglichen gemeinsamen Kandidatur zu überzeugen. Der Gründer des iPhone-Herstellers Foxconn ist einer der reichsten Männer des Landes und hätte Kos Kampagne eine dringend nötige Finanzspritze geben können.
Als am Donnerstagmorgen Hou Yu-ih erneut bei der Ma Ying-jeou Foundation auftauchte und erklärte, dort auf Ko Wen-je warten zu wollen, war eigentlich bereits klar, dass die beiden Seiten zu keiner Einigung mehr kommen würden. Es war ein letzter Versuch Hous, seine Bereitschaft zur Zusammenarbeit zu zeigen und Ko so die alleinige Schuld am Zusammenbruch der Verhandlungen geben zu können. Anstatt Hous Einladung zu folgen, sprach Ko gemeinsam mit Terry Gou eine Gegeneinladung aus. Die drei Präsidentschaftskandidaten der Opposition sollten sich am Nachmittag im Grand Hyatt treffen und öffentlich verhandeln, so Kos Vorschlag.
Hou machte sich gemeinsam mit Ma und Chu auf den Weg in das Hotel und die drei KMT-Politiker nahmen auf der Bühne Platz. Nach langer Wartezeit machten Ko und Gou klar, dass Eric Chu und Ma nicht willkommen seien. Die Gespräche erreichten schließlich ihren Tiefpunkt, als Hou eine SMS von Ko laut vorlas, in der dieser feststellte, man müsse Gou eine gesichtswahrende Chance geben, seine Kandidatur zurückzuziehen.
Spätestens an diesem Punkt war jede Basis für eine Kooperation zwischen Ko und Hou, aber auch zwischen Ko und Gou zerstört. Am Freitagvormittag präsentieren KMT und TPP schließlich gesondert ihre Kandidaten für das Amt des Vizepräsidenten. Der Gedanke einer gemeinsamen Kandidatur war tot. Wenig später veröffentlichte auch Terry Gou eine Stellungnahme, in der er seine Kandidatur zurückzog. Offizielle Begründung: um Platz für die anderen Oppositionskandidaten zu machen und einen Machtwechsel zu ermöglichen.
KMT-Parteichef Eric Chu erließ bei einer Sitzung des Zentralkomitees am Freitagvormittag offiziell einen Mobilisierungsbefehl und rief die gesamte Partei dazu auf, sich hinter dem Kandidaten Hou Yu-ih zu vereinen. Danach trat Hou ans Mikrofon, um seinen Kandidaten für das Amt des Vizepräsidenten zu verkünden: den 73-jährigen Medienunternehmer Jaw Shaw-kang.
Jaw hatte sich Anfang der 1990er-Jahre mit der KMT überworfen und die “New Party” gegründet. Seit 2021 ist er wieder Mitglied der KMT. Es ist abzusehen, dass Jaw den Wahlkampf inhaltlich dominieren und in der Auseinandersetzung mit der regierenden DPP in die Offensive gehen wird. Im Wahlkampf um das Amt des Bürgermeisters von Taipeh hatte Jaw die DPP 1994 als Nazis und Faschisten bezeichnet.
Jaws Kandidatur und die Entscheidung, den ehemaligen Bürgermeister von Kaohsiung Han Kuo-yu auf Platz eins der Parteiliste zu setzen, gelten als Versuch der KMT-Führung, die Basis der Partei zu konsolidieren. Mit dem Aufstellen besonders China-freundlicher Kandidaten wie Jaw und Han wird es die Partei aber schwer haben, Wählerinnen und Wähler in der Mitte der Gesellschaft für sich zu gewinnen. Für William Lai und die DPP sind das gute Neuigkeiten.
Ko Wen-je stellte derweil die TPP-Abgeordnete Cynthia Wu als seine Vizepräsidentin vor. Die 45-Jährige kommt aus einer wohlhabenden Familie und ist eine erfolgreiche Unternehmerin. Beobachter gehen davon aus, dass nachdem Terry Gou als Kos Finanzier ausgefallen ist, womöglich Wu diese Rolle übernehmen soll. Zu Kos Image als neuem und frischem Politiker passt das jedenfalls nicht.
Das China Center an der Technischen Universtität Berlin hat am Freitag mit einer Tagung zum Thema “Young China” sein 30-jähriges Bestehen gefeiert. Die Leiterin des Zentrums, Sigrun Abels, betonte dabei die Notwendigkeit einer stabilen Finanzierung der praxisorientierten China-Forschung, auch im Hinblick auf die Erhöhung der China-Kompetenz, einem erklärten Ziel der Bundesregierung.
Die Institution hat 1993 als “Arbeitsstelle für Geschichte und Philosophie der chinesischen Wissenschaft und Technik” ihre Arbeit aufgenommen. Heute heißt sie mit vollem Namen “Center for Cultural Studies on Science and Technology in China”. Ein Schwerpunkt der Arbeit ist Forschung zwischen den Fachgebieten wie Informatik und Philosophie. Thema ist dabei immer wieder die schnelle Entwicklung der Hochtechnik in China und deren Bedeutung für Deutschland.
Auf der Tagung wurde zum zweiten Mal der Ernst-Boerschmann-Preis für herausragende Projekte an der Schnittstelle zwischen China und Architektur vergeben. Preisträger sind Hang Su und Silvan Hagenbrock für ihr Happening Dusted Atlas, das sich mit Spuren des deutschen Kolonialismus mit Bezug zu China im Berliner Stadtraum beschäftigt. fin
Die Außenminister Chinas, Japans und Südkoreas haben sich am Sonntag bei einem Treffen im südkoreanischen Busan ein Gipfeltreffen ihrer drei Staatsoberhäupter in Aussicht gestellt. Die Wiederaufnahme der Zusammenarbeit soll dabei helfen, Spannungen in der Region zu verringern. Es war das erste gemeinsame Treffen der Außenminister der drei Länder seit 2019.
Die Minister vereinbarten in ihrem 100-minütigen Gespräch, die Zusammenarbeit in sechs Bereichen zu stärken, darunter Sicherheit, Wirtschaft und Technologie, teilte das japanische Außenministerium in einer Erklärung mit.
Eigentlich wollten Peking, Seoul und Tokio ab dem Jahr 2008 jährliche Gipfeltreffen abhalten, aber bilaterale Streitigkeiten und die Covid-19-Pandemie unterbrachen diesen Plan. Seit 2019 haben sich die Staatsoberhäupter nicht zu dritt getroffen.
In Busan kündigten Chinas Außenminister Wang Yi und Japans Außenminister Yoko Kamikawa zudem baldige Sicherheitsgespräche zwischen China und Japan an. Einem Bericht des chinesischen Außenministeriums zufolge sagte Wang, beide Seiten müssten deutlich machen, dass sie “keine gegenseitige Bedrohung” darstellten, während sie “die legitimen Bedenken der anderen Seite” respektierten. Auch Wirtschaftsgespräche sollen stattfinden, ein Datum wurde aber noch nicht genannt. rtr
Das chinesische Gesundheitsministerium hat die örtlichen Behörden aufgefordert, mehr Krankenhäusern zur Behandlung der derzeit kursierenden Atemwegserkrankungen einzurichten. Diese haben in China in den vergangenen Wochen deutlich zugenommen und bereits die Weltgesundheitsorganisation auf den Plan gerufen, die von dem Land mehr Informationen dazu verlangt hatte. Laut WHO hat China allerdings keine ungewöhnlichen oder neuen Krankheitserreger entdeckt. In China ist es der erste komplette Winter nach dem Wegfall der rigiden Corona-Schutzmaßnahmen.
Der Sprecher der Nationalen Gesundheitskommission, Mi Feng, sagte am Sonntag auf einer Pressekonferenz, dass der Anstieg der Atemwegserkrankungen von mehreren Erregern und vor allem dem Grippevirus ausgelöst werde. Die Zahl der entsprechenden Kliniken und Behandlungszentren müsse erhöht und die Öffnungszeiten ausgeweitet werden. Die Versorgung mit Medikamenten müsse sichergestellt werden. Außerdem seien nun eine effektive Prävention und Kontrolle in Schulen, Kindergärten und Pflegeheimen wichtig. Gerade bei Kindern in Nordchina hatten die Infekte zuletzt stark zugenommen. Krankenhäuser dort warnten vor langen Wartezeiten. rtr
François Godement ist Historiker, Sinologe und Frankreichs führender Experte für die Beziehungen zwischen China und der EU. Als Professor für Politikwissenschaft lehrte er an der Universität von Kalifornien, der Sciences Po und dem Inalco Asia Institute in Paris. Heute ist er Berater für China und Asien bei der Denkfabrik Institut Montaigne in Paris und Non-Resident Fellow im Asienprogramm der Carnegie Endowment in Washington D.C.
Der 74-jährige François Godement erinnert sich noch gut daran, wie seine Leidenschaft für China begann. “Als Kind bekam ich vereinfachte Versionen klassischer chinesischer Romane zu lesen.” Dazu gehörte “Die Reise in den Westen”, die berühmte Geschichte aus dem 16. Jahrhundert über die Reise eines buddhistischen Mönchs und des Affenkönigs Sun Wukong. Die darin enthaltene buddhistische Philosophie inspirierte ihn schon als Kind.
Godement erforscht seit mehr als 50 Jahren die geopolitische Rolle Chinas, seit 2005 mit einem Fokus auf die Beziehungen zur EU. Als Professor für chinesische Geschichte lehrte er am Ostasieninstitut Inalco in Paris, später als Professor für Politikwissenschaft an der Sciences Po und der University of California. Der größte Unterschied zwischen der Lehre in den USA und in Europa liegt für ihn in der Ausstattung: “Ich wäre überrascht, wenn wir in Frankreich mehr als zwei Prozent der Bibliotheksressourcen und des Personals hätten, die in den USA vorhanden sind.” Was er während seiner Lehrtätigkeit in Kalifornien wiederum vermisste, waren die leidenschaftliche Atmosphäre und die kontroversen Diskussionen unter den französischen Studenten.
Es war dieser Geist an französischen Universitäten, der ihn als jungen Studenten in den 60er-Jahren motivierte, sein Wissen über China zu vertiefen. Während seine links-maoistischen Kommilitonen im Fach Geschichte oft soziale Themen für ihre Dissertationen wählten, studierte er chinesische Geschichte und lernte Chinesisch. Nach einem Stipendium in Harvard wurde sein Blick auf China durch ein anschließendes Ausbildungsjahr im Taiwan der 1970er-Jahre geprägt.
Nachdem er in Frankreich über Hungersnöte in China recherchiert hatte, war er erstaunt über die Erfolge, die die Kommunistische Partei dennoch in der Landwirtschaft erzielte. “Seitdem habe ich nie unterschätzt, dass die Partei als treibende Kraft es geschafft hat, das Volk trotz aller Opfer zu ernähren.” Auch deshalb nahm er die Reformbemühungen nach Maos Tod 1976 ernst. Und sollte Recht behalten, dass entgegen der Einschätzung seiner Zeitgenossen bis 1989 keine linke Kurskorrektur folgte. Auf die ersten Anzeichen einer Öffnung folgte mit der Niederschlagung der Proteste auf dem Platz des Himmlischen Friedens 1989 ein Schock. “Zu diesem Zeitpunkt verlor ich die Hoffnung, dass sich China allmählich zu einem humaneren System entwickeln würde.”
Dass europäischen Regierungen Mitte der 1990er-Jahre noch weitgehend mit veralteten Annahmen arbeiteten und davon ausgingen, dass Tian’anmen ein Ausrutscher gewesen sei, erstaunt ihn noch heute. Dies sei einer der Gründe gewesen, warum er ab 2006 seinen Forschungsschwerpunkt verlagerte, zunehmend in Think-Tanks wie dem European Council on Foreign Relations (ECFR), dem Institut Montaigne oder dem Carnegie Endowment arbeitete.
In diesen Rollen beriet er meist informell Unternehmen, die französische Regierung und die EU-Kommission. “Als ich mich auf die Beziehungen zwischen der EU und China spezialisierte, beschloss ich, nicht mehr den Umweg über die USA zu nehmen.” Eine vorausschauende Entscheidung, angesichts des Alleingangs der USA ab 2016.
Warum er mit seiner Prognose einer zunehmenden Machtkonzentration innerhalb der KP richtig lag, erklärt er mit einer Anekdote. Ein hochrangiger chinesischer Beamter habe ihm einmal gesagt: “Sie berücksichtigen immer noch die Politik und die Existenz der Kommunistischen Partei. Deshalb haben Sie oft recht.” Godement lacht und fährt ernster fort: “Viele Beobachter betrachten China entweder aus der Perspektive des Marktes oder aus der Perspektive der Soziologie, wonach die Partei nur eine überlebende Organisation ist.” Doch die Partei ist stattdessen sich selbst treu geblieben, und ihre autoritäre DNA setzt sich mehr und mehr durch.
Für Godement ist klar, dass es sich nie lohne, sein Gegenüber zu unterschätzen. “Ich versuche, die Wahrheit hinter einem Mythos herauszufinden. Nicht um zu widersprechen, sondern um vorherrschende Interpretationen zu hinterfragen.” Neugierde ist für ihn der größte Antrieb. Und das nicht nur in Bezug auf China, sondern auch persönlich. Der buddhistische Mönch aus “Die Reise nach Westen” würde es wohl nicht viel anders sehen. Carlos Hanke Barajas
Jochen Goller, zuletzt Präsident und CEO der BMW Group Region China, hat seit dem 1.11. einen neuen Job. Er ist nun im Vorstand der BMW AG für das Ressort Kunde, Marken, Vertrieb zuständig. “Mit Jochen Goller berufen wir einen international erfahrenen Vertriebsmanager in den Vorstand, der als ausgewiesener China-Experte den größten Markt der BMW Group wie kaum ein Zweiter kennt”, kommentierte der Vorsitzende des Aufsichtsrats der BMW AG, Norbert Reithofer, die Personalie.
Ändert sich etwas in Ihrer Organisation? Schicken Sie doch einen Hinweis für unsere Personal-Rubrik an heads@table.media!
Mekkes statt Mexikaner, U-Bahn statt Uber, Rewe statt Reformhaus – in Zeiten praller Preise und wenig wirtschaftlicher Wohlfühlstimmung schaltet so mancher Verbraucher konsummäßig einen Gang runter. Gewollt oder ungewollt steigt man so allmählich im Alltagsshopping in die zweite oder dritte Verbraucherliga ab, spielt im Portemonnaie-Poker plötzlich nur noch auf Regional- statt Bundesliganiveau. Die Chinesen haben für diese gedrosselte Konsumschleichfahrt mit angezogener Handbremse sogar einen eigenen Neologismus kreiert. Sie betiteln die Misere als “Konsum-Downgrade”, auf Chinesisch 消费降级 xiāofèi jiàngjí (von 消费 xiāofèi “Konsum, konsumieren” + 降级 jiàngjí “herabstufen, zurückstufen, absteigen”). Will heißen: Man wird im Shopping-Staffellauf einfach nach unten durchgereicht.
Statt kaufen, was das Zeug hält, wie früher – nach dem Mandarinmotto 买买买 mǎi mǎi mǎi (“Kaufen, kaufen, kaufen!”), heißt die Devise heute angesichts der ruckelnden Weltwirtschaft 理性购物 lǐxìng gòuwù – “bewusst kaufen”. Gut und günstig will es da auch die chinesische Spar-Armada, auf Chinesisch 物美价廉 wùměi-jiàlián (wörtlich “Sache schön & Preis günstig”). Das Preisleistungsverhältnis soll eben stimmen (性价比高 xìngjiàbǐ gāo “gutes Preisleistungsverhältnis” statt 性价比低 xìngjiàbǐ dī “schlechtes Preisleistungsverhältnis”). Viele Verbraucher im Reich der Mitte greifen daher neuerdings gerne auf preisgünstige Alternativen zurück. 平替píngtì nennt man diese im chinesischen Neusprech, ebenfalls ein Trendwort. Es ist die mundgerechte alltagssprachliche Abkürzung für 平价代替品 píngjià dàitìpǐn, also “preiswerte Ersatzprodukte”.
Vorstellen muss man sich das Ganze im chinesischen Kontext folgendermaßen: Statt Starbucks (星巴克Xīngbākè) gibt es Kaffee von Luckin (瑞幸 Ruìxìng), statt einem Dyson-Fön (戴森吹风机 Dàisēn chuīfēngjī) pustet ein heimischer Laifen (徕芬吹风机 Láifēn chuīfēngjī) durchs Haar, statt in Sneakern von Nike (耐克Nàikè) drippeln die Kids preisgünstig in Tretern von Anta (安踏 āntà), und statt italienischer Pasta (意面yìmiàn) und japanischen Ramen (日本拉面 rìběn lāmiàn) schlürfen die Büroangestellten lieber sparsam Chongqing-Nudeln (重庆小面 Chóngqìng xiǎomiàn) oder Lanzhou-Ramen (兰州拉面 Lánzhōu lāmiàn).
Nicht selten sind die preisgünstigeren Güter sogenannte “Dupes”, also günstige Duplikate, die High-End-Produkte nachahmen. Gemeint sind hier allerdings keine plumpen Eins-zu-Eins-Kopien, also eindeutige Plagiate, auf Chinesisch bekannt als山寨 shānzhài oder 假货jiǎhuò, sondern erschwingliche No-Name-Varianten. Meist stammen sie aus heimischer Herstellung, weshalb die Chinesen sie scherzhaft gerne in den Euphemismus 祖国版 zǔguóbǎn kleiden, also “Vaterlandsausgabe”.
Der Ansatz der Dupe-Produkte ist nicht neu. Im Westen feiern beispielsweise Fast-Fashion-Hersteller wie H&M und Co. sowie günstige Kosmetikanbieter seit Jahren Erfolge mit diesem Prinzip. Social-Media-Kanäle wie TikTok beziehungsweise Douyin, auf denen sich viele junge Konsumenten tummeln, haben den Trend weiter befeuert. Im Englischen spricht man gar von einer “Dupe Culture”, einer Art Gegenkultur von Menschen, die großen Stil mit kleinem Budget suchen. Der Gedanke: Wieso einen Batzen Geld für teure Marken ausgeben, wenn es fast genau das gleiche Produkt auch wesentlich günstiger gibt? Oder wie chinesische Sparfüchse es formulieren würden: 不要交智商税 bú yào jiāo zhìshāngshuì – Bitte keine IQ-Steuer zahlen! Sprich: nicht hirnlos Geld zum Fenster herausschmeißen.
In diese Kaufkerbe schlägt übrigens auch der Shoppingzirkus, der auf dem chinesischen Verkaufsportal 拼多多 Pīnduōduō freudig zelebriert wird. Eine Plattform, die ehemaligen Platzhirschen wie Taobao und Jingdong erfolgreich ihre Vorherrschaft streitig macht. Pinduoduo ist ein Mekka für Mäusezähler, wo in unzähligen Livestreaming-Luken lukrative Schnäppchen am laufenden Band locken. Das Zauberwort lautet hier 直播带货zhíbō dàihuò – Waren per Livestreaming absetzen. Der Firmenname leitet sich von der Idee ab, dass sich Käufer zusammenschließen (拼团 pīntuán “sich zu einer Gruppe zusammenschließen”), um in der Masse ein Mehr (多 duō) an Schnäppchen und Rabatten abzusahnen. Kurz und sinngemäß: zusammen gibt’s mehr (拼多多 pīnduōduō). Der Name ist also Programm.
Auch im Westen rollt das chinesische Portal seit geraumer Zeit das Onlineshoppingfeld mit Massenartikeln zum Spottpreis auf. Bei uns geschieht das unter dem Namen Temu, der sich aus dem englischen Slogan “Team up, price down” ableiten soll.
Im Versuch, die eigenen Kröten zusammenzuhalten, mutiert also manch einstiger Shopaholic (购物狂gòuwùkuáng) im Reich der Mitte in der neuen Konsumliga zum echten Sparbrötchen, pardon, “Blechgockel” (铁公鸡 tiěgōngjī), wie man in authentischem China-Sprech ja sagen muss. Und zwar immer auf der Suche nach Chinakohl- und Hochhausspringerpreisen (白菜价 báicàijià und 跳楼价 tiàolóujià), beides chinesische Synonyme für Schnäppchen- beziehungsweise Schleuderpreise.
Bei einem Hinweis auf eine weitere, letzte Trumpfkarte in Sachen Preisknüller erntet man im Gespräch mit chinesischen Bekannten allerdings erstaunlicherweise nur Achselzucken und ratlose Blicke. Oder haben Ihre chinesischen Kolleginnen und Freunde schon einmal etwas von Shein gehört? Nein? Na dann vielleicht von 希音 Xīyīn, wie das Portal ja offiziell auf Chinesisch heißt? Auch nicht? Nicht verwunderlich. Denn tatsächlich ist das B2C-Verkaufsportal, das gerade unter jungen Leuten im Ausland dank seinen Fast-Fashion-Ramschangeboten einen regelrechten Hype erlebt, im Reich der Mitte völlig unbekannt. Dabei handelt es sich bei dem weltweit erfolgreichen Konzern in Wahrheit um ein ureigen chinesisches Unternehmen, mit Stammsitz in Guangzhou, das in China allerdings fast niemand kennt.
Verena Menzel betreibt in Peking die Online-Sprachschule New Chinese.
Visumfreiheit für Deutsche! China ist immer für eine Überraschung gut, und diesmal waren es die Einreiseregeln, die plötzlich von Gelb auf Grün umgesprungen sind, nachdem sie bis März auf Rot gestanden hatten.
Die Befreiung gilt zwar nur für Reisen von bis zu 15 Tagen. Doch in meinem Bekanntenkreis habe ich übers Wochenende immer wieder gehört: “Ich suche schon nach Flügen” – “Dann komme ich endlich wieder nach China” – “Unter diesen Umständen möchte ich auch bald wieder hin.” Wenn das gute Indikatoren sind, rollt eine Reisewelle auf das Land zu. Das wäre für beide Seiten hochwillkommen. Chinas Volkswirtschaft braucht derzeit Tourismusausgaben und Investitionen. Für beides müssen die Leute auch unkompliziert einreisen können.
Was jetzt noch fehlt: Ähnlich großzügige Erleichterungen für chinesische Reisende, die nach Deutschland wollen. Auch die deutsche Volkswirtschaft könnte einen Schub gut gebrauchen.
Von der taiwanischen Präsidentenwahl im kommenden Januar hängt viel ab. Es weiß zwar keiner, ob eine Annäherung an China oder deutliche Warnungen vor einem Übergriff den Frieden langfristig besser sichern. Was wir aber jetzt wissen: Taiwan wird mit höherer Wahrscheinlichkeit auf mehr Distanz zu China setzen.
Denn indem die Opposition sich trotz Kooperationsversprechen heillos zerstritten hat, steigen die Chancen der regierenden DPP enorm, sich das Präsidentenamt erneut zu sichern. Denn die Stimmen der Wähler, die einen engeren Dialog mit China befürworten, verteilen sich nun auf verschiedene Kandidaten. David Demes berichtet alle Details.
Die Nachricht kam am Freitag selbst für informierte Kreise in Wirtschaft und Diplomatie überraschend: China verlangt für kurze Reisen von deutschen Staatsbürgern keinen Antrag auf ein Visum mehr. Von der Regelung profitieren auch Frankreich, Italien, die Niederlanden, Spanien und Malaysia.
Es handelt sich hier ausdrücklich um ein “unilaterales” Entgegenkommen, sagte die Sprecherin des chinesischen Außenministeriums. Sprich: Die betreffenden Länder mussten ihrerseits keine Gegenleistung erbringen.
Die Vereinfachung kommt allerdings mit einer Reihe von Bedingungen und Einschränkungen:
Die Sprecherin nennt die Regel eine “Visum-freie Vorgehensweise” und sagt klar, es liege eine “Befreiung von der Visumpflicht” vor. Wenn diese Worte richtig gewählt sind, handelt es sich nicht bloß um eine Erleichterung durch unbürokratische Visavergabe bei Einreise (“Via on arrival”), sondern tatsächlich um einen Kurswechsel mit einer Aufhebung der Visumpflicht.
Chinas Angebot an Reisende aus den sechs begünstigten Ländern reicht also sehr weit. Auch eine Einreise in die USA ist ohne Visum möglich – doch dort ist zwingend eine Online-Vorprüfung mit vielen Fragen (“Esta”) vorgeschaltet.
Die Außenamtssprecherin nennt auch die Gründe für das plötzliche Entgegenkommen: “um grenzüberschreitende Reisen und Chinas qualitativ hochwertige Entwicklung und Öffnung auf hohem Niveau weiter zu erleichtern”. Im Klartext: China braucht dringend Touristen und Geschäftsreisende.
Während Corona hatte China die Grenzen gnadenlos dichtgemacht. Erst seit März 2023 gibt es wieder in üblicher Weise Visa für Ausländer. Von 2021 bis 2022 stand die Angst vor der Einschleppung von Infektionen dahinter und der Wunsch, für die Olympischen Winterspiele Ruhe vor Corona zu haben. Die Grenzschließungen beruhten dann auch schnell auf Gegenseitigkeit. Nach Aufhebung der Lockdowns Ende 2022 sollten Ausländer wohl nicht sehen, wie heftig die Infektionswelle durchs Land rauscht.
Das Ausbleiben der Reisenden hat die Wirtschaftskrise nach Corona allen Indikatoren zufolge deutlich verschärft.
Als Reaktion auf die aktuelle Wirtschaftsschwäche läuft derzeit generell eine Charmeoffensive, die China attraktiver machen und weitere Handelshemmnisse verhindern soll. Der Rückgang der Investitionen liegt indessen kaum an einer konsequenten Reaktion der Wirtschaft auf die “De-Risking”-Rufe der Politik, sondern eher an einer langen Reihe von gebrochenen Zusagen. Dazu gehört auch der physische Zugang zum Land. Wer keine Dienstreisen nach China machen kann, wird dort kaum Millionensummen ausgeben. Man will Geschäftspartner treffen, Produkte anfassen, entstehende Gewerbegebiete begehen.
Die geringe Investitionsbereitschaft betrifft übrigens nicht Deutschland, im Gegenteil, die deutsche Wirtschaft pumpt mehr Geld nach China als zuvor. Ein guter Teil des Rückgangs seit 2022 dürfte auch am Rückgang der Weltkonjunktur liegen.
Die begünstigten fünf europäischen Länder können die Gefälligkeit der chinesischen Seite nicht ohne Weiteres erwidern. Dann Einreisepolitik in den Schengen-Raum, zu dem sie alle gehören, ist gemeinsame Sache. Schließlich können Reisende sich innerhalb der 27 teilnehmenden Länder in der Praxis frei bewegen.
Deutschland, Italien, Frankreich, die Niederlande oder Spanien können also nicht einfach für chinesische Staatsbürger zwei Wochen Visafreiheit ausrufen. Doch 22 der 27 Schengen-Länder sind eben nicht von Chinas Wohltat betroffen. Sie hätten keine Motivation, mitzuziehen.
Es ließe sich spekulieren, dass es in Chinas Interesse liegen könnte, die Regel auf die ganze EU auszuweiten. Die Auswahl der Länder spiegelt ohnehin die Erwartung wider, dass von dort kaum illegale Einreisen, dafür aber sehr viele nützliche Besuche zu erwarten sind. Das würde für den Rest von Schengen ebenso gelten. “Wir hoffen, dass die chinesische Regierung die heute angekündigten Maßnahmen für alle EU-Mitgliedsstaaten einführen wird”, schrieb die deutsche Botschafterin Patricia Flor auf X.
Mit der 15-Tage-Regel dürfte ein Großteil der Reisewünsche von Touristen, Managern und Fachleuten abgedeckt sein. Doch China bietet auch Vereinfachungen für die längeren Reisen mit der üblichen Gültigkeitsdauer von 90 Tagen für das Visum.
Der Visumsantrag für China-Reisende ist nun ohne Termin möglich. Die Online-Terminvereinbarung entfällt also, wie das chinesische Fremdenverkehrsamt mitteilt. Man kann demnach einfach in eines der fünf Visazentren in Deutschland fahren. Sie befinden sich in Hamburg, Berlin, Düsseldorf, Frankfurt/Main und München.
Der Antrag sollte rund einen Monat vor Reiseantritt vorliegen. Bis man das Visum erhält, dauert es nach dem Antrag in der Regel vier Tage, so das Fremdenverkehrsamt. Man muss online ein Visaformular ausfüllen, ausdrucken und vorlegen. Testweise entfällt seit Anfang August bis Jahresende die Notwendigkeit, Fingerabdrücke abzugeben.
Die Aufhebung der Visumpflicht und die übrigen Vereinfachungen stießen auf breite Zustimmung. “Die gerade angekündigte Aufhebung des Visumszwangs bei Kurzreisen ist ein wichtiges Signal, das sowohl den Tourismus als auch den wirtschaftlichen Austausch ankurbeln kann”, sagte der Außenwirtschaftschef der Deutschen Industrie- und Handelskammer (DIHK), Volker Treier.
“Die Regelung erleichtert vor allem die Wartung von deutschen Maschinen, die Sicherung von Qualität ‘made in Germany’, den unternehmerischen Austausch und die zwischenmenschliche Kontaktpflege”, so Treier. Finn Mayer-Kuckuk/dpa/rtr
Taiwans Politikbetrieb ist für seine theatralischen Inszenierungen bekannt. Handgreiflichkeiten im Parlament und Tränen im Wahlkampf sind keine Seltenheit. Was sich am Donnerstagabend im Grand Hyatt in der Hauptstadt Taipeh abspielte, war allerdings selbst für Taiwan außergewöhnlich.
Mehr als zwanzig Minuten lang saßen der ehemalige Präsident Ma Ying-jeou, KMT-Parteichef Eric Chu und Präsidentschaftskandidat Hou Yu-ih schweigend vor der versammelten Presse. Neben ihnen eine Digitalanzeige mit einem Countdown, der die Zeit bis zum Ende der Registrierungsfrist für die Präsidentschaftskandidatur am Freitagnachmittag anzeigte. Ihre Gastgeber, Foxconn-Gründer Terry Gou und TPP-Kandidat Ko Wen-je, ließen die drei bewusst warten – ein öffentlicher Affront und der Beginn vom Ende einer lang erwarteten Zusammenarbeit.
Im Gesamtbild sinken die Chancen der China-freundlicheren Opposition auf einen Sieg bei der Präsidentenwahl erheblich. Denn das Lager bleibt gespalten, die Wählerstimmen verteilen sich auf mehrere Parteien. Die derzeit regierende DPP kann dagegen darauf hoffen, erneut den Präsidenten zu stellen. Sie ist eher für deutliche Worte gegen Peking bekannt.
Wochenlang hatten die Oppositionsparteien KMT und TPP über eine mögliche Koalitionsregierung und eine gemeinsame Präsidentschaftskandidatur debattiert. Nur so könne der Wille der Mehrheit erfüllt werden, die regierende DPP abzulösen, so die Argumentation. Gleichzeitig schien keiner der beiden Spitzenkandidaten bereit, dem anderen den Vortritt zu lassen. Erst nachdem sich Ex-Präsident Ma und der ehemalige Bürgermeister der südlichen Großstadt Kaohsiung, Han Kuo-yu, öffentlich für eine Kooperation zwischen KMT und TPP ausgesprochen hatten, kam Bewegung in die Verhandlungen.
Die DPP und ihr Kandidat William Lai stehen tendenziell für einen kritischeren Kurs gegenüber China, die KMT und die kleinere TPP stehen tendenziell für eine Annäherung an den großen Nachbarn. Die KMT ist das Urgestein der taiwanischen Politik. Sie wurde nach der Absetzung des letzten Kaisers auf dem chinesischen Festland gegründet. Viele ihrer Mitglieder sind nach der Machtübernahme der Kommunisten im Jahr 1949 nach Taiwan geflohen und haben dort die Republik China fortgeführt.
Die DPP hatte zunächst das Image der jungen Opposition, hat aber inzwischen bereits viermal die Präsidentin beziehungsweise den Präsidenten gestellt. Die KMT geriert sich nun als Angreiferin und stellt den China-kritischen Kurs der DPP als Gefahr für Stabilität und Frieden dar. Ex-Präsident Ma war im März sogar zu Besuch in der Volksrepublik.
Am vorvergangenen Mittwoch (15. November) trafen sich Ko Wen-je, Hou Yu-ih und Eric Chu in den Räumen der Ma Ying-jeou Foundation, um ihre Kooperation zu konkretisieren. In einem Gespräch unter acht Augen, bei dem Ex-Präsident Ma als Zeuge fungierte, kamen Ko und Hou schließlich zu einer Einigung und unterzeichneten ein Dokument, in dem sie sich prinzipiell auf eine gemeinsame Kandidatur einigten und Regeln für die Bestimmung des Kandidaten festlegten.
Drei Meinungsforscher sollten den stärksten Kandidaten ermitteln. Weil seine Partei jünger ist und er weniger Ressourcen hat als die KMT, stimmte Ko zu, Hou den Vortritt zu lassen, selbst wenn er bei den Meinungsumfragen besser abschneiden sollte. Die einzige Bedingung: Sein Vorsprung müsse innerhalb der statistischen “Fehlerspanne” liegen. Noch am Tag der öffentlichkeitswirksamen Einigung äußerte Ko jedoch Zweifel an dem Deal und gab in einem Interview zu, dass er übervorteilt worden sei.
Kurz darauf änderte Ko auch seine Definition der Fehlerspanne und zog seine Zustimmung zurück. Beide Seiten warfen sich schließlich mangelnde Vertrauenswürdigkeit vor und eine Einigung vor Ablauf der Registrierungsfrist am vergangenen Freitag schien kaum mehr möglich. Ko wandte sich daraufhin dem unabhängigen Kandidaten Terry Gou zu und versuchte, ihn von einer möglichen gemeinsamen Kandidatur zu überzeugen. Der Gründer des iPhone-Herstellers Foxconn ist einer der reichsten Männer des Landes und hätte Kos Kampagne eine dringend nötige Finanzspritze geben können.
Als am Donnerstagmorgen Hou Yu-ih erneut bei der Ma Ying-jeou Foundation auftauchte und erklärte, dort auf Ko Wen-je warten zu wollen, war eigentlich bereits klar, dass die beiden Seiten zu keiner Einigung mehr kommen würden. Es war ein letzter Versuch Hous, seine Bereitschaft zur Zusammenarbeit zu zeigen und Ko so die alleinige Schuld am Zusammenbruch der Verhandlungen geben zu können. Anstatt Hous Einladung zu folgen, sprach Ko gemeinsam mit Terry Gou eine Gegeneinladung aus. Die drei Präsidentschaftskandidaten der Opposition sollten sich am Nachmittag im Grand Hyatt treffen und öffentlich verhandeln, so Kos Vorschlag.
Hou machte sich gemeinsam mit Ma und Chu auf den Weg in das Hotel und die drei KMT-Politiker nahmen auf der Bühne Platz. Nach langer Wartezeit machten Ko und Gou klar, dass Eric Chu und Ma nicht willkommen seien. Die Gespräche erreichten schließlich ihren Tiefpunkt, als Hou eine SMS von Ko laut vorlas, in der dieser feststellte, man müsse Gou eine gesichtswahrende Chance geben, seine Kandidatur zurückzuziehen.
Spätestens an diesem Punkt war jede Basis für eine Kooperation zwischen Ko und Hou, aber auch zwischen Ko und Gou zerstört. Am Freitagvormittag präsentieren KMT und TPP schließlich gesondert ihre Kandidaten für das Amt des Vizepräsidenten. Der Gedanke einer gemeinsamen Kandidatur war tot. Wenig später veröffentlichte auch Terry Gou eine Stellungnahme, in der er seine Kandidatur zurückzog. Offizielle Begründung: um Platz für die anderen Oppositionskandidaten zu machen und einen Machtwechsel zu ermöglichen.
KMT-Parteichef Eric Chu erließ bei einer Sitzung des Zentralkomitees am Freitagvormittag offiziell einen Mobilisierungsbefehl und rief die gesamte Partei dazu auf, sich hinter dem Kandidaten Hou Yu-ih zu vereinen. Danach trat Hou ans Mikrofon, um seinen Kandidaten für das Amt des Vizepräsidenten zu verkünden: den 73-jährigen Medienunternehmer Jaw Shaw-kang.
Jaw hatte sich Anfang der 1990er-Jahre mit der KMT überworfen und die “New Party” gegründet. Seit 2021 ist er wieder Mitglied der KMT. Es ist abzusehen, dass Jaw den Wahlkampf inhaltlich dominieren und in der Auseinandersetzung mit der regierenden DPP in die Offensive gehen wird. Im Wahlkampf um das Amt des Bürgermeisters von Taipeh hatte Jaw die DPP 1994 als Nazis und Faschisten bezeichnet.
Jaws Kandidatur und die Entscheidung, den ehemaligen Bürgermeister von Kaohsiung Han Kuo-yu auf Platz eins der Parteiliste zu setzen, gelten als Versuch der KMT-Führung, die Basis der Partei zu konsolidieren. Mit dem Aufstellen besonders China-freundlicher Kandidaten wie Jaw und Han wird es die Partei aber schwer haben, Wählerinnen und Wähler in der Mitte der Gesellschaft für sich zu gewinnen. Für William Lai und die DPP sind das gute Neuigkeiten.
Ko Wen-je stellte derweil die TPP-Abgeordnete Cynthia Wu als seine Vizepräsidentin vor. Die 45-Jährige kommt aus einer wohlhabenden Familie und ist eine erfolgreiche Unternehmerin. Beobachter gehen davon aus, dass nachdem Terry Gou als Kos Finanzier ausgefallen ist, womöglich Wu diese Rolle übernehmen soll. Zu Kos Image als neuem und frischem Politiker passt das jedenfalls nicht.
Das China Center an der Technischen Universtität Berlin hat am Freitag mit einer Tagung zum Thema “Young China” sein 30-jähriges Bestehen gefeiert. Die Leiterin des Zentrums, Sigrun Abels, betonte dabei die Notwendigkeit einer stabilen Finanzierung der praxisorientierten China-Forschung, auch im Hinblick auf die Erhöhung der China-Kompetenz, einem erklärten Ziel der Bundesregierung.
Die Institution hat 1993 als “Arbeitsstelle für Geschichte und Philosophie der chinesischen Wissenschaft und Technik” ihre Arbeit aufgenommen. Heute heißt sie mit vollem Namen “Center for Cultural Studies on Science and Technology in China”. Ein Schwerpunkt der Arbeit ist Forschung zwischen den Fachgebieten wie Informatik und Philosophie. Thema ist dabei immer wieder die schnelle Entwicklung der Hochtechnik in China und deren Bedeutung für Deutschland.
Auf der Tagung wurde zum zweiten Mal der Ernst-Boerschmann-Preis für herausragende Projekte an der Schnittstelle zwischen China und Architektur vergeben. Preisträger sind Hang Su und Silvan Hagenbrock für ihr Happening Dusted Atlas, das sich mit Spuren des deutschen Kolonialismus mit Bezug zu China im Berliner Stadtraum beschäftigt. fin
Die Außenminister Chinas, Japans und Südkoreas haben sich am Sonntag bei einem Treffen im südkoreanischen Busan ein Gipfeltreffen ihrer drei Staatsoberhäupter in Aussicht gestellt. Die Wiederaufnahme der Zusammenarbeit soll dabei helfen, Spannungen in der Region zu verringern. Es war das erste gemeinsame Treffen der Außenminister der drei Länder seit 2019.
Die Minister vereinbarten in ihrem 100-minütigen Gespräch, die Zusammenarbeit in sechs Bereichen zu stärken, darunter Sicherheit, Wirtschaft und Technologie, teilte das japanische Außenministerium in einer Erklärung mit.
Eigentlich wollten Peking, Seoul und Tokio ab dem Jahr 2008 jährliche Gipfeltreffen abhalten, aber bilaterale Streitigkeiten und die Covid-19-Pandemie unterbrachen diesen Plan. Seit 2019 haben sich die Staatsoberhäupter nicht zu dritt getroffen.
In Busan kündigten Chinas Außenminister Wang Yi und Japans Außenminister Yoko Kamikawa zudem baldige Sicherheitsgespräche zwischen China und Japan an. Einem Bericht des chinesischen Außenministeriums zufolge sagte Wang, beide Seiten müssten deutlich machen, dass sie “keine gegenseitige Bedrohung” darstellten, während sie “die legitimen Bedenken der anderen Seite” respektierten. Auch Wirtschaftsgespräche sollen stattfinden, ein Datum wurde aber noch nicht genannt. rtr
Das chinesische Gesundheitsministerium hat die örtlichen Behörden aufgefordert, mehr Krankenhäusern zur Behandlung der derzeit kursierenden Atemwegserkrankungen einzurichten. Diese haben in China in den vergangenen Wochen deutlich zugenommen und bereits die Weltgesundheitsorganisation auf den Plan gerufen, die von dem Land mehr Informationen dazu verlangt hatte. Laut WHO hat China allerdings keine ungewöhnlichen oder neuen Krankheitserreger entdeckt. In China ist es der erste komplette Winter nach dem Wegfall der rigiden Corona-Schutzmaßnahmen.
Der Sprecher der Nationalen Gesundheitskommission, Mi Feng, sagte am Sonntag auf einer Pressekonferenz, dass der Anstieg der Atemwegserkrankungen von mehreren Erregern und vor allem dem Grippevirus ausgelöst werde. Die Zahl der entsprechenden Kliniken und Behandlungszentren müsse erhöht und die Öffnungszeiten ausgeweitet werden. Die Versorgung mit Medikamenten müsse sichergestellt werden. Außerdem seien nun eine effektive Prävention und Kontrolle in Schulen, Kindergärten und Pflegeheimen wichtig. Gerade bei Kindern in Nordchina hatten die Infekte zuletzt stark zugenommen. Krankenhäuser dort warnten vor langen Wartezeiten. rtr
François Godement ist Historiker, Sinologe und Frankreichs führender Experte für die Beziehungen zwischen China und der EU. Als Professor für Politikwissenschaft lehrte er an der Universität von Kalifornien, der Sciences Po und dem Inalco Asia Institute in Paris. Heute ist er Berater für China und Asien bei der Denkfabrik Institut Montaigne in Paris und Non-Resident Fellow im Asienprogramm der Carnegie Endowment in Washington D.C.
Der 74-jährige François Godement erinnert sich noch gut daran, wie seine Leidenschaft für China begann. “Als Kind bekam ich vereinfachte Versionen klassischer chinesischer Romane zu lesen.” Dazu gehörte “Die Reise in den Westen”, die berühmte Geschichte aus dem 16. Jahrhundert über die Reise eines buddhistischen Mönchs und des Affenkönigs Sun Wukong. Die darin enthaltene buddhistische Philosophie inspirierte ihn schon als Kind.
Godement erforscht seit mehr als 50 Jahren die geopolitische Rolle Chinas, seit 2005 mit einem Fokus auf die Beziehungen zur EU. Als Professor für chinesische Geschichte lehrte er am Ostasieninstitut Inalco in Paris, später als Professor für Politikwissenschaft an der Sciences Po und der University of California. Der größte Unterschied zwischen der Lehre in den USA und in Europa liegt für ihn in der Ausstattung: “Ich wäre überrascht, wenn wir in Frankreich mehr als zwei Prozent der Bibliotheksressourcen und des Personals hätten, die in den USA vorhanden sind.” Was er während seiner Lehrtätigkeit in Kalifornien wiederum vermisste, waren die leidenschaftliche Atmosphäre und die kontroversen Diskussionen unter den französischen Studenten.
Es war dieser Geist an französischen Universitäten, der ihn als jungen Studenten in den 60er-Jahren motivierte, sein Wissen über China zu vertiefen. Während seine links-maoistischen Kommilitonen im Fach Geschichte oft soziale Themen für ihre Dissertationen wählten, studierte er chinesische Geschichte und lernte Chinesisch. Nach einem Stipendium in Harvard wurde sein Blick auf China durch ein anschließendes Ausbildungsjahr im Taiwan der 1970er-Jahre geprägt.
Nachdem er in Frankreich über Hungersnöte in China recherchiert hatte, war er erstaunt über die Erfolge, die die Kommunistische Partei dennoch in der Landwirtschaft erzielte. “Seitdem habe ich nie unterschätzt, dass die Partei als treibende Kraft es geschafft hat, das Volk trotz aller Opfer zu ernähren.” Auch deshalb nahm er die Reformbemühungen nach Maos Tod 1976 ernst. Und sollte Recht behalten, dass entgegen der Einschätzung seiner Zeitgenossen bis 1989 keine linke Kurskorrektur folgte. Auf die ersten Anzeichen einer Öffnung folgte mit der Niederschlagung der Proteste auf dem Platz des Himmlischen Friedens 1989 ein Schock. “Zu diesem Zeitpunkt verlor ich die Hoffnung, dass sich China allmählich zu einem humaneren System entwickeln würde.”
Dass europäischen Regierungen Mitte der 1990er-Jahre noch weitgehend mit veralteten Annahmen arbeiteten und davon ausgingen, dass Tian’anmen ein Ausrutscher gewesen sei, erstaunt ihn noch heute. Dies sei einer der Gründe gewesen, warum er ab 2006 seinen Forschungsschwerpunkt verlagerte, zunehmend in Think-Tanks wie dem European Council on Foreign Relations (ECFR), dem Institut Montaigne oder dem Carnegie Endowment arbeitete.
In diesen Rollen beriet er meist informell Unternehmen, die französische Regierung und die EU-Kommission. “Als ich mich auf die Beziehungen zwischen der EU und China spezialisierte, beschloss ich, nicht mehr den Umweg über die USA zu nehmen.” Eine vorausschauende Entscheidung, angesichts des Alleingangs der USA ab 2016.
Warum er mit seiner Prognose einer zunehmenden Machtkonzentration innerhalb der KP richtig lag, erklärt er mit einer Anekdote. Ein hochrangiger chinesischer Beamter habe ihm einmal gesagt: “Sie berücksichtigen immer noch die Politik und die Existenz der Kommunistischen Partei. Deshalb haben Sie oft recht.” Godement lacht und fährt ernster fort: “Viele Beobachter betrachten China entweder aus der Perspektive des Marktes oder aus der Perspektive der Soziologie, wonach die Partei nur eine überlebende Organisation ist.” Doch die Partei ist stattdessen sich selbst treu geblieben, und ihre autoritäre DNA setzt sich mehr und mehr durch.
Für Godement ist klar, dass es sich nie lohne, sein Gegenüber zu unterschätzen. “Ich versuche, die Wahrheit hinter einem Mythos herauszufinden. Nicht um zu widersprechen, sondern um vorherrschende Interpretationen zu hinterfragen.” Neugierde ist für ihn der größte Antrieb. Und das nicht nur in Bezug auf China, sondern auch persönlich. Der buddhistische Mönch aus “Die Reise nach Westen” würde es wohl nicht viel anders sehen. Carlos Hanke Barajas
Jochen Goller, zuletzt Präsident und CEO der BMW Group Region China, hat seit dem 1.11. einen neuen Job. Er ist nun im Vorstand der BMW AG für das Ressort Kunde, Marken, Vertrieb zuständig. “Mit Jochen Goller berufen wir einen international erfahrenen Vertriebsmanager in den Vorstand, der als ausgewiesener China-Experte den größten Markt der BMW Group wie kaum ein Zweiter kennt”, kommentierte der Vorsitzende des Aufsichtsrats der BMW AG, Norbert Reithofer, die Personalie.
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Mekkes statt Mexikaner, U-Bahn statt Uber, Rewe statt Reformhaus – in Zeiten praller Preise und wenig wirtschaftlicher Wohlfühlstimmung schaltet so mancher Verbraucher konsummäßig einen Gang runter. Gewollt oder ungewollt steigt man so allmählich im Alltagsshopping in die zweite oder dritte Verbraucherliga ab, spielt im Portemonnaie-Poker plötzlich nur noch auf Regional- statt Bundesliganiveau. Die Chinesen haben für diese gedrosselte Konsumschleichfahrt mit angezogener Handbremse sogar einen eigenen Neologismus kreiert. Sie betiteln die Misere als “Konsum-Downgrade”, auf Chinesisch 消费降级 xiāofèi jiàngjí (von 消费 xiāofèi “Konsum, konsumieren” + 降级 jiàngjí “herabstufen, zurückstufen, absteigen”). Will heißen: Man wird im Shopping-Staffellauf einfach nach unten durchgereicht.
Statt kaufen, was das Zeug hält, wie früher – nach dem Mandarinmotto 买买买 mǎi mǎi mǎi (“Kaufen, kaufen, kaufen!”), heißt die Devise heute angesichts der ruckelnden Weltwirtschaft 理性购物 lǐxìng gòuwù – “bewusst kaufen”. Gut und günstig will es da auch die chinesische Spar-Armada, auf Chinesisch 物美价廉 wùměi-jiàlián (wörtlich “Sache schön & Preis günstig”). Das Preisleistungsverhältnis soll eben stimmen (性价比高 xìngjiàbǐ gāo “gutes Preisleistungsverhältnis” statt 性价比低 xìngjiàbǐ dī “schlechtes Preisleistungsverhältnis”). Viele Verbraucher im Reich der Mitte greifen daher neuerdings gerne auf preisgünstige Alternativen zurück. 平替píngtì nennt man diese im chinesischen Neusprech, ebenfalls ein Trendwort. Es ist die mundgerechte alltagssprachliche Abkürzung für 平价代替品 píngjià dàitìpǐn, also “preiswerte Ersatzprodukte”.
Vorstellen muss man sich das Ganze im chinesischen Kontext folgendermaßen: Statt Starbucks (星巴克Xīngbākè) gibt es Kaffee von Luckin (瑞幸 Ruìxìng), statt einem Dyson-Fön (戴森吹风机 Dàisēn chuīfēngjī) pustet ein heimischer Laifen (徕芬吹风机 Láifēn chuīfēngjī) durchs Haar, statt in Sneakern von Nike (耐克Nàikè) drippeln die Kids preisgünstig in Tretern von Anta (安踏 āntà), und statt italienischer Pasta (意面yìmiàn) und japanischen Ramen (日本拉面 rìběn lāmiàn) schlürfen die Büroangestellten lieber sparsam Chongqing-Nudeln (重庆小面 Chóngqìng xiǎomiàn) oder Lanzhou-Ramen (兰州拉面 Lánzhōu lāmiàn).
Nicht selten sind die preisgünstigeren Güter sogenannte “Dupes”, also günstige Duplikate, die High-End-Produkte nachahmen. Gemeint sind hier allerdings keine plumpen Eins-zu-Eins-Kopien, also eindeutige Plagiate, auf Chinesisch bekannt als山寨 shānzhài oder 假货jiǎhuò, sondern erschwingliche No-Name-Varianten. Meist stammen sie aus heimischer Herstellung, weshalb die Chinesen sie scherzhaft gerne in den Euphemismus 祖国版 zǔguóbǎn kleiden, also “Vaterlandsausgabe”.
Der Ansatz der Dupe-Produkte ist nicht neu. Im Westen feiern beispielsweise Fast-Fashion-Hersteller wie H&M und Co. sowie günstige Kosmetikanbieter seit Jahren Erfolge mit diesem Prinzip. Social-Media-Kanäle wie TikTok beziehungsweise Douyin, auf denen sich viele junge Konsumenten tummeln, haben den Trend weiter befeuert. Im Englischen spricht man gar von einer “Dupe Culture”, einer Art Gegenkultur von Menschen, die großen Stil mit kleinem Budget suchen. Der Gedanke: Wieso einen Batzen Geld für teure Marken ausgeben, wenn es fast genau das gleiche Produkt auch wesentlich günstiger gibt? Oder wie chinesische Sparfüchse es formulieren würden: 不要交智商税 bú yào jiāo zhìshāngshuì – Bitte keine IQ-Steuer zahlen! Sprich: nicht hirnlos Geld zum Fenster herausschmeißen.
In diese Kaufkerbe schlägt übrigens auch der Shoppingzirkus, der auf dem chinesischen Verkaufsportal 拼多多 Pīnduōduō freudig zelebriert wird. Eine Plattform, die ehemaligen Platzhirschen wie Taobao und Jingdong erfolgreich ihre Vorherrschaft streitig macht. Pinduoduo ist ein Mekka für Mäusezähler, wo in unzähligen Livestreaming-Luken lukrative Schnäppchen am laufenden Band locken. Das Zauberwort lautet hier 直播带货zhíbō dàihuò – Waren per Livestreaming absetzen. Der Firmenname leitet sich von der Idee ab, dass sich Käufer zusammenschließen (拼团 pīntuán “sich zu einer Gruppe zusammenschließen”), um in der Masse ein Mehr (多 duō) an Schnäppchen und Rabatten abzusahnen. Kurz und sinngemäß: zusammen gibt’s mehr (拼多多 pīnduōduō). Der Name ist also Programm.
Auch im Westen rollt das chinesische Portal seit geraumer Zeit das Onlineshoppingfeld mit Massenartikeln zum Spottpreis auf. Bei uns geschieht das unter dem Namen Temu, der sich aus dem englischen Slogan “Team up, price down” ableiten soll.
Im Versuch, die eigenen Kröten zusammenzuhalten, mutiert also manch einstiger Shopaholic (购物狂gòuwùkuáng) im Reich der Mitte in der neuen Konsumliga zum echten Sparbrötchen, pardon, “Blechgockel” (铁公鸡 tiěgōngjī), wie man in authentischem China-Sprech ja sagen muss. Und zwar immer auf der Suche nach Chinakohl- und Hochhausspringerpreisen (白菜价 báicàijià und 跳楼价 tiàolóujià), beides chinesische Synonyme für Schnäppchen- beziehungsweise Schleuderpreise.
Bei einem Hinweis auf eine weitere, letzte Trumpfkarte in Sachen Preisknüller erntet man im Gespräch mit chinesischen Bekannten allerdings erstaunlicherweise nur Achselzucken und ratlose Blicke. Oder haben Ihre chinesischen Kolleginnen und Freunde schon einmal etwas von Shein gehört? Nein? Na dann vielleicht von 希音 Xīyīn, wie das Portal ja offiziell auf Chinesisch heißt? Auch nicht? Nicht verwunderlich. Denn tatsächlich ist das B2C-Verkaufsportal, das gerade unter jungen Leuten im Ausland dank seinen Fast-Fashion-Ramschangeboten einen regelrechten Hype erlebt, im Reich der Mitte völlig unbekannt. Dabei handelt es sich bei dem weltweit erfolgreichen Konzern in Wahrheit um ein ureigen chinesisches Unternehmen, mit Stammsitz in Guangzhou, das in China allerdings fast niemand kennt.
Verena Menzel betreibt in Peking die Online-Sprachschule New Chinese.