Table.Briefing: China

Ungarns Ratspräsidentschaft + Xiang Biao zum Generalverdacht in der Forschung

Liebe Leserin, lieber Leser,

chinesische Wissenschaftler erhalten immer schwerer Visa für Deutschland, beobachtet der prominente Migrationsforscher Xiang Biao vom Max-Planck-Institut für ethnologische Forschung in Halle. Xiang sieht darin einen verdeckten Politikwechsel, um chinesischen Wissenschaftlern den Zugang zu erschweren. Das werde Deutschland aber fast nur schaden und kaum nützen, glaubt er: “De-Risking sollte in der Art eines Chirurgen durchgeführt werden, der ganz gezielt auf bestimmte Bereiche ausgerichtet ist. Aber im Moment wird sie im Stil eines Security Guards durchgeführt, der alles blockiert”, sagt Xiang im Interview mit Fabian Peltsch. Moralisieren ohne einen Plan bringe Deutschland nicht weiter.

Ungarns EU-Ratspräsidentschaft hat noch gar nicht begonnen – da zeichnet sich bereits Streit um ein Kernthema ab. Viktor Orbán ist bekanntlich ein großer Freund Chinas. Sein Konzept für mehr wirtschaftliche Sicherheit sieht dementsprechend vor, die Zusammenarbeit mit Peking auszubauen und noch zu vertiefen. Wenn das ganz anders klingt als die bisherigen Ideen Ursula von der Leyens, dann liegt das daran, dass es einfach das gegenteilige Konzept ist. Doch tatsächlich kritisieren auch seriöse Wissenschaftler den einseitigen Fokus von der Leyens auf Risikominimierung, schreibt Amelie Richter.

Ihr
Finn Mayer-Kuckuk
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Analyse

EU-Rat: So unterschiedlich sehen Ungarn und die Kommission den Umgang mit China

Ungarn übernimmt die Präsidentschaft des EU-Rats – und bringt sein ganz eigenes Verständnis von wirtschaftlicher Sicherheit ein.

Ungarn übernimmt ab dem heutigen Montag die Präsidentschaft des EU-Rats. Für den Rest des Jahres bedeutet das in Bezug zu China ein Kräftemessen zwischen

  • dem Ratsvorsitz,
  • dem neuen EU-Ratspräsidenten
  • und der neu aufgestellten EU-Kommission.

Ungarn will die wirtschaftliche Sicherheit der EU stärken. Dieses Ziel verfolgt Ungarn als EU-Ratsvorsitz und befindet sich damit zunächst auf einer Linie mit dem EU-Rat in seiner Gesamtheit. Der EU-Rat ist die Vertretung der Regierungen der Mitgliedsstaaten.

Der EU-Rat hatte die Stärkung der wirtschaftlichen Sicherheit in seiner vergangenen Woche angenommenen strategischen Agenda bis 2029 beschlossen. Wie sich mehr Sicherheit erzielen lässt und welche Rolle China dabei spielt, wird aber noch für Diskussionen sorgen. Das alles vor dem Hintergrund des laufenden Handelsstreits zwischen der EU und der Volksrepublik über Zusatzzölle und Subventionen.

Mehr wirtschaftliche Sicherheit – durch mehr China?

Es ist vor allem unklar, ob mehr wirtschaftliche Sicherheit auch für Ungarn tendenziell eine Verringerung des China-Engagements bedeutet, so wie es andere EU-Staaten derzeit verstehen. Bisher klingt es nicht so. Ein wichtiges Ziel der ungarischen EU-Ratspräsidentschaft werde die Förderung der Zusammenarbeit mit China sein, sagte Außen- und Handelsminister Péter Szijjártó laut eines Berichts der ungarischen Nachrichtenagentur MTI vergangene Woche nach einem Telefonat mit seinem chinesischen Amtskollegen Wang Yi.

Die Förderung der Zusammenarbeit mit China und die Rückkehr auf einen stabilen Weg könne einen großen Beitrag zur Erreichung von Umwelt- und Wettbewerbsfähigkeitszielen leisten, sagte Szijjártó demnach. Es sei “notwendig”, dass die europäisch-chinesischen Beziehungen “eine pragmatische, objektive Zusammenarbeit auf der Grundlage gegenseitigen Respekts statt Ideologien” seien.

Ungarn ist der größte Empfänger chinesischer Investitionen

Die wirtschaftliche Zusammenarbeit mit China könne “eine große Rolle” bei der Wiederherstellung der Wettbewerbsfähigkeit Europas spielen, betonte Szijjártó. Ungarn sei “das beste Beispiel” für positive Auswirkungen der wirtschaftlichen Zusammenarbeit zwischen Ost und West, die auf gegenseitigem Respekt und gesundem Menschenverstand basiere, fügte er hinzu. “Es würde der Europäischen Union wirtschaftlich guttun, in der kommenden Zeit enger und effektiver mit China zusammenzuarbeiten, statt einen ideologischen Ansatz zu verfolgen, nach Isolation zu streben und Strafzölle einzuführen”, sagte er. Er fügte hinzu, ein Handelskrieg mit China würde “Hunderttausende” Arbeitsplätze gefährden.

Ungarn ist aktuell der größte Empfänger chinesischer Direktinvestitionen: BYD und CATL bauen Werke in dem EU-Staat. Ungarn ist theoretisch das Land, das von den Zusatzzöllen auf chinesische Elektroautos am meisten nutznießen kann – schließlich bietet Budapest einen Zugang zum EU-Markt, indem die chinesischen Hersteller noch mehr in Ungarn produzieren. Sollten sich die Beziehungen zwischen der EU und China jedoch weiter verschlechtern, könnte das auch die rosigen Handelsbeziehungen für Budapest gefährden.

“Wirtschaftliche Sicherheit gibt es nicht”

Für diese Stoßrichtung plädiert Ungarn auch im Programm der EU-Ratspräsidentschaft: “Ein pragmatischer und ausgewogener Ansatz gegenüber China ist ein zentrales Ziel der ungarischen Präsidentschaft. China sei ein wichtiger Handels- und Wirtschaftspartner, ein konstruktiver Dialog über die Wirtschaft und die strategische Sicherheit sei besonders wichtig.

János Bóka, der ungarische Minister für Europa-Angelegenheiten, sieht die Wirtschaftsbeziehung zu China als die größte Herausforderung für die kommende Amtsperiode der neuen Kommission, wie Politico ihn zitierte – gleichzeitig erklärte er, dass es “so etwas wie wirtschaftliche Sicherheit im Allgemeinen” nicht gebe. “Wenn es Risiken für unsere Sicherheit gibt, müssen diese Risiken speziell identifiziert und angegangen werden. Wenn Sie von wirtschaftlicher Sicherheit im Allgemeinen sprechen, dann sprechen Sie von Entkopplung. Ich denke, wir haben die Entscheidung getroffen, dass wir nicht entkoppeln, sondern die Risiken verringern.”

Fokus der wirtschaftlichen Sicherheit muss geändert werden

Ungarn liegt mit seiner Interpretation von wirtschaftlicher Sicherheit über Kreuz mit EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen. Sie hat das Thema in den vergangenen zwei Jahren hoch auf die Agenda gesetzt und vorangetrieben. Von der Leyen wird diesen Kurs in ihrer potenziellen zweiten Amtszeit vermutlich beibehalten. “Mit ihrer wirtschaftlichen Sicherheitsstrategie und ihrem Risikominimierungsparadigma hat die EU begonnen, die schlummernde Verbindung zwischen ihrer Sicherheits- und Wirtschaftspolitik wiederherzustellen”, schreibt die Denkfabrik European Council on Foreign Relations (ECFR) in einer neuen Studie, in der sie für eine “mutiges” Upgrade der EU-Strategie für wirtschaftliche Sicherheit plädiert.

Doch auch wenn Ungarns Sichtweise umstritten ist: Völlig ausgereift finden auch die Wissenschaftler die Haltung der EU zu China noch nicht. Sich ausschließlich auf die Risikominimierung zu konzentrieren, sei zu kurzsichtig und verhindere, dass die EU ihre geoökonomische Position effektiv steuern könne, da die Ambitionen anderer Mächte ihren Handlungsspielraum einzuschränken drohen, schreiben Tobias Gehrke und Filip Medunic in der Studie.

Gehrke: Frage der Kompetenz mit neuer Rolle lösen

Die EU müsse dringend das Fundament für die Analyse strategischer Handelsketten ausbauen, erklärt Gehrke ergänzend im Gespräch mit Table.Briefings. “Die Risikoanalysen sind ein wichtiger erster Schritt, greifen aber noch zu kurz, um tiefere Einblicke in Technologien und deren Anwendungen sowie Produktions- und Handelsmuster zu verstehen. Hier müssen neue Strukturen geschaffen werden.” Sprich: Die EU muss China noch viel, viel besser kennen und durchschauen als bisher.

Es liege viel Aufmerksamkeit auf dem vorgelagerten Teil von wichtigen Wertschöpfungsketten, beispielsweise bei Rohstoffen, sagt Gehrke. “Aber gerade in der Mitte, bei den Zwischenprodukten, wie Elektronik- und Maschinenkomponenten oder den Bauteilen von Batterien, ist Chinas Dominanz besonders groß und problematisch.”

Gehrke sieht eine Reform in der Arbeitsweise der EU zu wirtschaftlicher Sicherheit als unumgänglich: “Dazu muss nicht zwingend die kontroverse Frage der Kompetenzen auf den Tisch. Eine neue Executive-Vice-President-Rolle in der Kommission kann bei der oft schwierigen Koordinierung von verschieden Politikbereichen und Analysen helfen.”

  • Europäische Kommission
  • Handel
  • Ungarn
  • wirtschaftliche Sicherheit
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Interview

Anthropologe Xiang Biao: “Man bewirkt kein De-Risking, indem man Visa für Forscher erschwert”

Xiang Biao ist Direktor des Max-Planck-Instituts für ethnologische Forschung in Halle.

Ihre Forschung beschäftigt sich mit verschiedenen Formen der Migration. Wie nehmen chinesische Bürger und Wissenschaftler die deutsche Migrationspolitik der vergangenen Jahre wahr, die sich nun in einem politischen Rechtsruck, zum Beispiel bei den letzten Europawahlen, widerspiegelt?

Meiner Meinung nach ist das kein großes Thema. Eine besonders kritische Sichtweise ist mir nicht bekannt. Gewöhnliche Chinesen interessiert es nicht, wie andere Länder die Migration regeln. Sie wissen vielleicht ein bisschen mehr über die US-Politik. Ich denke, die Menschen haben immer noch den allgemeinen Eindruck, dass Deutschland sich in den Bereichen Bildung, Kunst und Hightech-Industrie sehr aktiv internationalisiert und natürlich sehr an einer Ausweitung des Handels interessiert ist. Aber im akademischen Bereich haben wir im vergangenen Jahr gesehen, dass es für Akademiker und Studenten immer schwieriger wird, ein Visum zu erhalten. Dies scheint das Ergebnis einer neuen Politik zu sein, die zwar nicht auf dem Papier festgeschrieben steht, aber dennoch eine Menge Stress verursacht.

Die Debatte über die Risiken der Zusammenarbeit zwischen chinesischen und deutschen Forschern ist in vollem Gange.

Mir ist bewusst, dass die Politiker von Risikominderung sprechen. Aber man entschärft Risiken nicht, indem man Visumverfahren verlangsamt. Das De-Risking sollte in der Art eines Chirurgen durchgeführt werden, der ganz gezielt auf bestimmte Bereiche ausgerichtet ist. Aber im Moment wird sie im Stil eines Security Guards durchgeführt, der alles blockiert.

Einige Politiker und Akademiker gehen davon aus, dass jeder chinesische Forscher und Student der chinesischen Regierung Bericht erstatten muss.

Ich weiß, woher dieser Eindruck kommt. Es gibt da ein Regierungsstipendium. Und die Studenten, die dieses Stipendium erhalten, müssen einen Vertrag unterschreiben, in dem irgendwo steht, dass sie über ihre Fortschritte berichten sollen. Bislang habe ich noch von keinem Fall gehört, in dem die Studenten tatsächlich aufgefordert wurden, ihre Ergebnisse an die Regierungsstellen zu melden. Die Frage ist: Wollen wir diesen jungen Menschen, die ja bereits unter einem Mangel an Freiheit leiden, die Möglichkeit nehmen, nach Deutschland zu kommen, um zu lernen? Sehen wir sie als Träger des Wandels für die nächste Generation, oder behandeln wir sie als potenzielle Bedrohung?

Sie sehen also kein Risiko für Deutschland?

Es kann ein Risiko für einen ganz bestimmten Bereich strategischer Technologie geben, die vom Militär genutzt werden kann. Und ich habe volles Verständnis dafür, dass deutsche Politiker auf diese Dinge achten, das sollten sie ja auch tun. Aber es bleibt die Frage, wie man diese Risiken bewerten und regulieren soll. Ist das Risiko höher als der potenzielle Nutzen von mehr Interaktionen? Die öffentliche Debatte in Deutschland scheint die Tendenz zu haben, die geopolitische Diskussion stark moralisch zu färben, was für Ausländer wie mich überraschend ist, weil wir immer dachten, die deutsche Politik sei recht pragmatisch. Moralisieren ergibt Sinn in Familienbeziehungen und Gemeinschaftsangelegenheiten. Aber die Geopolitik hat ihre eigene Logik und verändert sich ständig. Wenn man da eine übermäßig moralisierende Sprache hineinbringt, drängt man sich selbst in die Enge und verliert die notwendige Flexibilität. Außerdem verschärft die Moralisierung die Konflikte und kann letztlich die Gesellschaft destabilisieren.

Sie glauben also, dass Deutschland noch viel von der Zusammenarbeit mit China profitieren kann?

Ich denke, eine offene Kommunikation wird Deutschland mehr Vorteile bringen. Die wirtschaftliche Prosperität und die soziale Zukunft der deutschen Gesellschaft hängen von der weiteren Internationalisierung ab. Wir müssen uns damit auseinandersetzen, dass Deutschlands technologisches Erbe ausläuft. So mächtig Deutschland auch ist, es kann die globale Agenda nicht selbst bestimmen und muss sich zwischen größeren Mächten bewegen. Es ist daher nicht gesund, zu einseitig zu sein. Zudem verändern sich die chinesische Gesellschaft und sogar die Politik schnell. Man kann sehen, dass sich die internationale Politik des Landes in den letzten Jahren bereits verändert hat, und einige Kanäle sind wieder offen. Man kann diese Veränderungen nicht aus der Ferne verfolgen, man muss sich engagieren, um die Temperatur zu spüren und schnell etwas zu bewirken.

Sind Sie als Wissenschaftler chinesischer Herkunft von diesen Problemen persönlich betroffen?

In meiner täglichen Arbeit fühle ich mich davon nicht betroffen; ich persönlich fühle mich hier sehr willkommen. Aber ich erhalte einige Anfragen, die nicht nur unschuldig sind, sondern hinter denen eine Art Jagdabsicht zu stecken scheint, als ob man einen versteckten Feind fangen müsste. Dahinter steckt eine neue politische Kultur. Ich habe den Eindruck, dass die deutsche Öffentlichkeit ziemlich offen und dynamisch ist. Aber irgendwie hat die politische Klasse Schwierigkeiten, diese Vielfalt und Dynamik zu repräsentieren.

Lassen Sie uns ein wenig über Ihr Forschungsgebiet sprechen. Was fasziniert Sie am Thema Migration?

Ich habe 1992 als Student begonnen, mich mit dem Thema Migration zu beschäftigen. Ich erkannte, dass die Migration innerhalb Chinas eine sehr wichtige Triebkraft war, um die chinesische Gesellschaft von unten nach oben zu verändern. Die Land-Stadt-Migration war keine offizielle Initiative, sondern eine Initiative des Volkes, die letztendlich die Politik und das Leben der Menschen in vielerlei Hinsicht verändert hat. Es ist ein Mythos, dass die Entwicklung Chinas ausschließlich von der Regierung vorangetrieben wurde.

Sie sprechen von Phänomenen wie den Wanderarbeitern. Wie sieht es mit der internationalen Migration aus?

Die internationale Migration aus China hat sich stark verändert. Vor den 2010er-Jahren wurde sie von dem Traum angetrieben, nach Übersee zu gehen und reich zu werden. Die Menschen nahmen an, der Westen sei perfekt, die Länder seien wirtschaftlich wohlhabend, politisch fortschrittlich und frei. Doch seit den 2010er-Jahren ist das anders. Viele junge Menschen, vor allem diejenigen, die in die USA gegangen sind, waren von der Armut, der Klassenungleichheit sowie der Brutalität der Politik unter der Trump-Präsidentschaft desillusioniert. In Deutschland sind sie von der Kontroverse um den Gazastreifen überrascht. Einige Chinesen erlebten das, was man als “umgekehrten Kulturschock” bezeichnen kann. Sie sind nicht schockiert darüber, wie sehr sich Deutschland von China unterscheidet, sondern darüber, wie ähnlich beide aussehen können, wenn es um die Zensur von Journalisten, Künstlern und Wissenschaftlern geht.

Viele jüngere Chinesen ziehen jetzt nach Thailand, um ein entspannteres Leben zu führen, statt in die USA oder nach Europa …

Nach Covid änderte sich die internationale Migration erneut, und zwar aufgrund des wirtschaftlichen Abschwungs und der politischen Unterdrückung in China. Viele Migranten werden jetzt nicht mehr von der Hoffnung in der Ferne angezogen, sondern eher getrieben von der Enttäuschung in ihrer Heimat. Es ist ihnen weniger wichtig, wohin sie gehen, sondern vor allem, dass sie weggehen. Thailand, Südkorea oder Ungarn sind Orte, die früher nicht zu den ersten Wahlmöglichkeiten gehörten. Das Ziel ist nicht, Geld zu verdienen, sondern einen friedlichen Lebensstil zu führen, bei dem man Arbeit und Entspannung miteinander vereinbaren kann. Entspannung und Freiheit sind für viele ein wichtiger Wert geworden.

Ihre Vorlesungen, Bücher und Podcasts sind in China sehr beliebt und verbreiten sich sogar viral. Waren Sie überrascht, dass diese Art von akademischen Themen aus Ihrer Forschung eine solche Popularität erlangen würden?

Ich bin überrascht, wie weit sie verbreitet sind. Als ich das letzte Mal in China war, ging ich in ein Restaurant und der Chefkoch kam heraus, um mir Fragen zu stellen, die auf der Lektüre meines Buches beruhten. Einige meiner Artikel werden sogar in Schulprüfungen verwendet. Ich glaube, die jungen Menschen in China sind sehr hungrig nach kritischen, neuen Ideen. Sie sind gebildet und in viel größerem Wohlstand aufgewachsen als ihre Eltern. Sie machen sich keine Sorgen über Hunger und dergleichen. Aber sie haben viele Fragen darüber, was ein gutes Leben bedeutet, warum die Welt so ist, wie sie ist, und wie sie anders sein könnte.

Xiang Biao 项飙, Jahrgang 1972, ist einer der einflussreichsten Anthropologen des heutigen China. Er machte sich bereits während seines Studiums an der Universität Peking einen Namen durch seine Feldforschung unter der Migrantenbevölkerung. 2003 ging er an die Universität Oxford, wo er über die globale Rekrutierung indischer IT-Fachkräfte promovierte. Seit 2020 arbeitet er als Direktor des Max-Planck-Instituts für ethnologische Forschung in Halle. Sein Buch “Das Selbst als Methode” wurde in der Volksrepublik zum einflussreichsten Sachbuchtitel des Jahres 2020 gekürt.

  • China-Strategie
  • De-Risking
  • Forschung
  • Geopolitik
  • Hochschulen
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News

Datentransfer: Warum Scholz sich über Wissing ärgert

Das Bundesverkehrsministerium von Volker Wissing (FDP) wehrt sich gegen Kritik von Kanzler Olaf Scholz (SPD) an einer Vereinbarung mit China zum Daten-Transfer. Eine konkrete Übereinkunft, wie der Datentransfer organisiert werde, sei mit der Absichtserklärung nicht verbunden, betonte ein Sprecher Wissings am Freitagnachmittag. Es gehe darum, in einen Dialog mit China zu rechtlichen Fragen des Daten-Austausches zu treten. “Die Etablierung von fachlichen Dialogen steht im Einklang mit der China-Strategie der Bundesregierung und wird von den Fachressorts im Rahmen ihrer Zuständigkeit verfolgt.”

Zuvor war Wissing vor allem aus Grünen- und SPD-Kreisen ein Alleingang in der sensiblen Fragen des Transfers von Daten von deutschen Betrieben aus China heraus vorgeworfen worden. Scholz hatte Wissings Vorgehen in Brüssel sogar öffentlich kritisiert.

Dem Vorwurf des Alleingangs widersprach das Wissing-Ministerium: Man habe im Rahmen des Austauschs mit den anderen Ressorts frühzeitig über die China-Reise von Wissing und die damit verbundenen Absichten informiert. Die regierungsinternen Abstimmungen zu dem Memorandum of Understanding (MoU) zum Datenverkehr hätten unmittelbar nach den deutsch-chinesischen Regierungskonsultationen und der Unterzeichnung der Absichtserklärung zum autonomen Fahren im April 2024 begonnen. “Ein erster Entwurf für das MoU wurde bereits Mitte Mai vorgelegt.”

Wissing hatte am Mittwoch im Zuge seines China-Besuchs die Vereinbarung bekannt gegeben: “Mit unserer Absichtserklärung schaffen wir einen kontinuierlichen Austausch sowie ein gemeinsames Verständnis für den datenpolitischen Rechtsrahmen zwischen beiden Ländern.” Um das Potenzial der Digitalisierung nutzen zu können, sei es wichtig, “dass Daten möglichst ungehindert fließen können”. Dabei müsse der Schutz der Privatsphäre und Sicherheitsinteressen umfassend berücksichtigt werden.

Der Verband der deutschen Automobilindustrie (VDA) hatte die Vereinbarung sofort gelobt. Der grenzüberschreitende Datentransfer sei für die deutschen Hersteller und Zulieferer von entscheidender Bedeutung, um bei Zukunftstechnologien weiterhin weltweit führend zu bleiben, erklärte VDA-Geschäftsführer Marcus Bollig.

Bisher hatte die Führung in Peking etwa im Bereich des autonomen Fahrens darauf gepocht, dass ausländische Firmen ihre in China erhobenen Daten auch in China speichern müssen. 2022 verschärfte sie mit dem Hinweis auf die nationale Sicherheit generell die Regeln für den Transfer von Daten ins Ausland, was auf deutliche Kritik und Verärgerung ausländischer Unternehmen und der Europäischen Handelskammer in China stieß. rtr

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Rohstoffe: Deshalb verknappt Peking die Ausfuhr von Seltenen Erden erneut

China verschärft die Kontrolle des Staates über die weltweit begehrte Metallgruppe der Seltenen Erden. Die Regierung veröffentlichte am Samstag Vorschriften, die zum Ziel haben, die chinesischen Vorkommen an Seltenen Erden im Namen der nationalen Sicherheit zu schützen. Festgelegt sind Regeln für den Abbau, die Verarbeitung und den Handel. Seltene Erden werden unter anderem für Elektroautos gebraucht. China ist der weltgrößte Verarbeiter dieser Gruppe von 17 Elementen, deren Bedarf sich Prognosen zufolge allein in der EU bis 2030 vervielfachen wird.

Die vom Staatsrat am Samstag erlassenen Vorschriften besagen, dass die Vorkommen an Seltenen Erden dem Staat gehören und dass die Regierung die Entwicklung der Branche beaufsichtigen wird. Firmen, die Seltene Erden abbauen, schmelzen, trennen oder exportieren, sollen ein System zur Rückverfolgbarkeit aufbauen. Die Regeln sollen zum 1. Oktober in Kraft treten.

Die Ankündigung kommt inmitten des Vorhabens der EU, vorläufige Zölle auf chinesische Elektroautos zu erheben. Die EU will sich damit vor einer Flut solcher Fahrzeuge in Europa schützen, die ihrer Meinung nach mit unfairen staatlichen Subventionen günstig gebaut werden. Die USA haben Sonderzölle für chinesische E-Autos schon eingeführt.

China hat bereits im vergangenen Jahr Beschränkungen für die Ausfuhr der Elemente Germanium und Gallium eingeführt, die in der Chipindustrie genutzt werden. Begründet wurde dies mit der nationalen Sicherheit und nationalen Interessen. Das Vorgehen schürte die Sorge, dass dies Spannungen vor allem zwischen den USA und China verschärfen könnte. rtr

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Cybersicherheit: Diese Macht hat China über Handys von Einreisenden

Ab diesem Montag haben Chinas Behörden das Recht, die Smartphones von ankommenden Reisenden zu überprüfen. Ein Jahr nach Inkrafttreten des Anti-Spionage-Gesetzes zeigen sich hier immer mehr Auswirkungen auf die praktischen Belange von Ausländern, die mit China in Kontakt stehen.

Für Polizei und Zoll reicht nun der Verdacht von Spionage, um das Gepäck und sämtliche Digitalgeräte einer eingehenden Prüfung zu unterziehen. Es sei aber nicht geplant, die Handys aller Einreisenden lückenlos zu inspizieren, zitiert die Wirtschaftszeitung Nikkei chinesische Medienberichte. Die neuen Befugnisse passen aber zu dem Trend, das ganze Land gegen vermeintliche ausländische Spione zu mobilisieren. fin

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  • Spionage

Flughafen-Erweiterung: Wie Shanghai-Pudong noch weiter wachsen will

Shanghais Flughafenbehörde hat den Bau des dritten Terminals am Pudong International Airport genehmigt. Der Bau soll noch in diesem Jahr beginnen. Der Bau des neuen Terminals ist Teil der vierten Erweiterungsphase von Shanghais größtem Flughafens.

Nach Fertigstellung voraussichtlich 2026 soll Pudong 130 Millionen Passagiere im Jahr abfertigen können. Eine fünfte Start- und Landebahn ist östlich der bestehenden Anlage ebenfalls im Bau. Bereits 2019 betrug das Passagieraufkommen 76 Millionen. Shanghai-Pudong ist schon jetzt der zweitgrößte Flughafen in China nach Peking und der achtgrößte der Welt. flee

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  • Infrastruktur
  • Technologie

Presseschau

Vereinbarung mit China: Autodatenvereinbarung sorgt für Kabinettsstreit HEISE
FDP-Fraktionsvize Lukas Köhler: China nicht mehr als Entwicklungsland behandeln WEB.DE
Wichtige Rohstoffe: China verschärft Kontrolle über Seltene Erden TAGESSCHAU
Huawei könnte bald unabhängig von westlichen Chips sein GOLEM
Chinesische Industrieproduktion sinkt auch im Juni ZEIT
Chinesische Rüstungshersteller drängen auf den Weltmarkt für Drohnen TELEPOLIS
Südamerika als Chinas neuer Hinterhof ORF
EU-Kommission fordert Informationen von Temu und Shein HEISE
Angst vor Temu und Shein: Amazon will chinesischer werden DER STANDARD
Hisense, BYD, Vivo – Warum bei der EM so viel chinesische Werbung zu sehen ist RND
Klimawandel und Extremwetter: Wie China zwischen Hitze und Flut lebt ZDF

Personalie

Ding Xuexiang wird Leiter der Zentralen Kommission für Wissenschaft und Technologie der Kommunistischen Partei. Ding war bislang Vizepremier. Die Kommission wurde im März vergangenen Jahres im Rahmen einer Umstrukturierung der Regierungs- und Parteiorgane eingerichtet, um Chinas Bestreben nach Eigenständigkeit in Wissenschaft und Technologie zu überwachen. Ihre Leitung war bisher unbekannt. 

Ändert sich etwas in Ihrer Organisation? Schicken Sie doch einen Hinweis für unsere Personal-Rubrik an heads@table.media!

Zur Sprache

Fußballwitwe

足球寡妇 – zúqiú guǎfu – Fußballwitwe

Es ist Fußball-EM. Aktuell wird also auf dem Platz wieder scharf geschossen. Leider lassen die heftigen Zweikämpfe auf dem Rasen jenseits des Spielfeldes zahlreiche Fußballwitwen zurück. Glücklicherweise geht es hier nicht um tatsächliche Trauerfälle. Denn der Gatte dreht sich nicht im Grabe herum, sondern allerhöchsten auf der Couch … oder er grölt quicklebendig im Stadion … oder er trötet und bechert höchst vital beim Public Viewing. 

In mancher Wohnstube herrscht trotzdem Grabesstimmung, da das Torfieber bei FIFA-Fußballfesten schon mal das Liebesleben abtöten kann. Schließlich haben viele Männer in diesen Tagen nur noch Augen für Lederbälle und Fußballerbeine. Die Chinesinnen haben aus dieser Not heraus den Begriff der Fußballwitwe geboren (足球寡妇 zúqiú guǎfu) – eine augenzwinkernde Selbstbezeichnung, mit der linksliegengelassene Partnerinnen dem herzlosen Herzblatt verbal die gelbe Karte zeigen. Die lässt sich aber natürlich auch umgekehrt zücken! Wenn Ladies das Soccer-Fieber packt, werden männliche Fußballmuffel auch schon mal zum Fußballwitwer (足球寡夫 zúqiú guǎfū – man beachte hier die unterschiedliche Schreibweise mit dem Zeichen 夫 fū wie in 丈夫 zhàngfu “Ehemann, Gatte”, ansonsten heißt Witwer auch 鳏夫guānfū).

Bloß kein Oolong-Ball

Rund um den Rasen rasen im Mandarin auch noch jede Menge andere drollige Redensarten durchs Vokabelregister. Wundern Sie sich nicht, wenn chinesische Kommentatoren Ihnen etwas von Teetoren, Kuhschwänzen und Butterfingern erzählen. Das ist regelkonform! Hier der Vokabelbeweis in der Zeitlupe:

Kommt das Runde ins falsche Eckige – sprich es zappelt ein Eigentor im Netz – sprechen Chinesen von einem Oolong-Ball (乌龙球 wūlóngqiú). Land der Teetrinker hin oder her, was bitte haben fermentierte Teeblätter mit frenetischem Ballsport zu tun? Nun, das hat China der Kreativität seiner Hongkonger Fußballfans zu verdanken. Die nämlich erinnerte der englische Begriff “own goal” lautlich an das chinesische Wort “wūlóng”. Und da es im Raum Hongkong-Guangdong just den regionalen Ausdruck 摆乌龙 bǎi wūlóng für “etwas vermasseln” gibt (wörtlich “Oolong schwenken”), brachten die Ballsportfreunde kurzerhand beides zusammen und tauften das Eigentor “Oolong-Tor”, ein “Vermasseltor” also.

Schwarzes Pferd

Während in unseren Breiten manchmal ein “Underdog” die Siegesserie der Großen durchbeißt, galoppieren in China “schwarze Pferde” am vermeintlichen Favoriten vorbei. 黑马 hēimǎ (“Rappe”) nennt man auf Chinesisch nämlich Außenseiter, die zum Favoritenschreck werden. Beteiligt sind daran manchmal auch Butterhände (黄油手 huángyóushǒu). Sie gehören zu unglücklichen Torhütern, denen die Bälle nur so durch die Finger flutschen und dann ins Tor abschmieren.

Keeper haben es ohnehin nicht wirklich leicht. Zum Beispiel, wenn Stürmer ihnen einen auf den Kopf gestellten “goldenen Haken” vor die Nase hämmern. 倒挂金钩 dàoguà jīngōu (wörtlich: “umgekehrt aufgehängter Goldhaken”) ist das chinesische Pendant für einen “Fallrückzieher” (der auf Englisch übrigens “bicycle kick”, also “Fahrradkick” heißt – auch kreativ!). Wer gleich drei solcher Kunststückchen ins Tor hämmert, der legt einen Hütchen-Trick hin (帽子戏法 màozi-xìfǎ, von 帽子màozi “Hut, Mütze” und 戏法 xìfǎ “Kunststück, Taschenspielertrick, Magie”). Hütchen-Hokuspokus ist damit eine quasi Eins-zu-Eins-Übersetzung des aus dem Englischen stammenden “Hattrick”.

Dribbel-Vokabular

Auch für Dribbling-Finten, mit denen Ballkünstler den Gegner entzaubern, zaubert das Chinesische magische Metaphern aus dem Hut. Sie wollen beim nächsten Fußballabend mit chinesischen Freunden mal so richtig angeben? Dann memorieren sie einfach folgendes Vokabelrepertoire zur Beschreibung von Ballkünsten:

  • 牛尾巴 niúwěibā – “der Kuhschwanz“: Mehrfaches Antäuschen mit Richtungswechsel zur Verwirrung des Gegners, eine Bewegungskurve wie ein wedelnder Kuhschwanz eben! Im Deutschen und Englischen ist das als “Elastico” bekannt.
  • 踩单车 cǎi dānchē – “in die Fahrradpedale treten“: im deutschen Fußballjargon “Übersteiger” genannt (engl. step over).
  • 穿裆过人 chuāndāng guòrén – “durch den Schritt am Spieler vorbei“: ist zum Glück nicht ganz wörtlich zu nehmen – gemeint ist einfach klassisches “tunneln”.
  • 油炸丸子 yóuzhá wánzi – “frittierte Schweinefleischbällchen”: unter Fußball-Cracks ist dieses Manöver auch als “La Croqueta” bekannt – eine Finte, bei dem kurz vor dem Gegner der Ball zum anderen Fuß gewechselt wird. Dieser Move gilt als einstiger Lieblingstrick des spanischen Spielers Andrés Iniesta, daher die spanische Bezeichnung. Da es in China leider keine Kroketten-Kultur gibt, haben die Chinesen den Dribbling-Kniff kurzerhand in “frittiere Schweinefleischbällchen” umgetauft. Wird schließlich alles in Öl ausgebacken.

Jede Menge Witwen

Manche Turteltäubchen, die gedacht haben, sie könnten das Trauergewand nach dem EM-Finale dauerhaft in die Mottenkiste packen, werden eventuell enttäuscht. Denn in China weiß man: neben Fußballwitwen gibt es im Beziehungsalltag traurigerweise auch noch jede Menge andere Trauerfälle, in denen man seines Partners beraubt wird. Da wären zum Beispiel einsame Aktien-Witwen (股票寡妇 gǔpiào guǎfu – wenn dem Mann nur noch Aktienkurse im Kopf herumschwirren) oder Onlinespiel-Witwen (网游寡妇 wǎngyóu guǎfu – wenn er nur noch am Zocken ist). Doch auch für die Herren der Schöpfung wird das Eheleben manchmal zum Trauerspiel. So klagen rund um das Doppelelf-Shopping-Fest in China die Doppelelf-Witwer (‘双11’寡夫 shuāng-shíyī guǎfu) ihr Leid – wegen des Liebesentzugs der im Kaufrausch benebelten Liebsten.

Manch einer ertränkt seinen Kummer in solchen Fällen in Hochprozentigem. Das mag manchmal tröstlich sein. Strohwitwer und Strohwitwen in aller Welt seien jedoch gewarnt vor dem Verzehr von “Witwenschnaps” (喝寡酒 hē guǎjiǔ “Witwenschnaps trinken”). Damit bezeichnet man im Mandarin doch tatsächlich bierernst das Bechern auf leeren Magen. Und das ist ja – wie wir alle wissen – nicht wirklich zu empfehlen. Weil man am Ende damit möglicherweise den Schlusspfiff verpasst, und zwar nicht nur in EM-Zeiten, sondern in allen Lebenslagen.

Verena Menzel betreibt in Peking die Online-Sprachschule New Chinese.

Dessert

Glücksspiel ist in China eigentlich verboten – sofern direkt um Geld gespielt wird. Das ist hier beim Poker-Festival in der Stadt Fuyang, Provinz Anhui, zwar nicht der Fall. Erlaubt ist aber eine Prämie für den Sieger des Turniers. Wenn das Preisgeld in Höhe von umgerechnet rund 10.000 Euro nicht so hoch wäre, würden sicherlich auch nicht so viele teilnehmen – auch wenn Pokern in China sehr beliebt ist.

China.Table Redaktion

CHINA.TABLE REDAKTION

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    Ungarns EU-Ratspräsidentschaft hat noch gar nicht begonnen – da zeichnet sich bereits Streit um ein Kernthema ab. Viktor Orbán ist bekanntlich ein großer Freund Chinas. Sein Konzept für mehr wirtschaftliche Sicherheit sieht dementsprechend vor, die Zusammenarbeit mit Peking auszubauen und noch zu vertiefen. Wenn das ganz anders klingt als die bisherigen Ideen Ursula von der Leyens, dann liegt das daran, dass es einfach das gegenteilige Konzept ist. Doch tatsächlich kritisieren auch seriöse Wissenschaftler den einseitigen Fokus von der Leyens auf Risikominimierung, schreibt Amelie Richter.

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    Ungarn übernimmt die Präsidentschaft des EU-Rats – und bringt sein ganz eigenes Verständnis von wirtschaftlicher Sicherheit ein.

    Ungarn übernimmt ab dem heutigen Montag die Präsidentschaft des EU-Rats. Für den Rest des Jahres bedeutet das in Bezug zu China ein Kräftemessen zwischen

    • dem Ratsvorsitz,
    • dem neuen EU-Ratspräsidenten
    • und der neu aufgestellten EU-Kommission.

    Ungarn will die wirtschaftliche Sicherheit der EU stärken. Dieses Ziel verfolgt Ungarn als EU-Ratsvorsitz und befindet sich damit zunächst auf einer Linie mit dem EU-Rat in seiner Gesamtheit. Der EU-Rat ist die Vertretung der Regierungen der Mitgliedsstaaten.

    Der EU-Rat hatte die Stärkung der wirtschaftlichen Sicherheit in seiner vergangenen Woche angenommenen strategischen Agenda bis 2029 beschlossen. Wie sich mehr Sicherheit erzielen lässt und welche Rolle China dabei spielt, wird aber noch für Diskussionen sorgen. Das alles vor dem Hintergrund des laufenden Handelsstreits zwischen der EU und der Volksrepublik über Zusatzzölle und Subventionen.

    Mehr wirtschaftliche Sicherheit – durch mehr China?

    Es ist vor allem unklar, ob mehr wirtschaftliche Sicherheit auch für Ungarn tendenziell eine Verringerung des China-Engagements bedeutet, so wie es andere EU-Staaten derzeit verstehen. Bisher klingt es nicht so. Ein wichtiges Ziel der ungarischen EU-Ratspräsidentschaft werde die Förderung der Zusammenarbeit mit China sein, sagte Außen- und Handelsminister Péter Szijjártó laut eines Berichts der ungarischen Nachrichtenagentur MTI vergangene Woche nach einem Telefonat mit seinem chinesischen Amtskollegen Wang Yi.

    Die Förderung der Zusammenarbeit mit China und die Rückkehr auf einen stabilen Weg könne einen großen Beitrag zur Erreichung von Umwelt- und Wettbewerbsfähigkeitszielen leisten, sagte Szijjártó demnach. Es sei “notwendig”, dass die europäisch-chinesischen Beziehungen “eine pragmatische, objektive Zusammenarbeit auf der Grundlage gegenseitigen Respekts statt Ideologien” seien.

    Ungarn ist der größte Empfänger chinesischer Investitionen

    Die wirtschaftliche Zusammenarbeit mit China könne “eine große Rolle” bei der Wiederherstellung der Wettbewerbsfähigkeit Europas spielen, betonte Szijjártó. Ungarn sei “das beste Beispiel” für positive Auswirkungen der wirtschaftlichen Zusammenarbeit zwischen Ost und West, die auf gegenseitigem Respekt und gesundem Menschenverstand basiere, fügte er hinzu. “Es würde der Europäischen Union wirtschaftlich guttun, in der kommenden Zeit enger und effektiver mit China zusammenzuarbeiten, statt einen ideologischen Ansatz zu verfolgen, nach Isolation zu streben und Strafzölle einzuführen”, sagte er. Er fügte hinzu, ein Handelskrieg mit China würde “Hunderttausende” Arbeitsplätze gefährden.

    Ungarn ist aktuell der größte Empfänger chinesischer Direktinvestitionen: BYD und CATL bauen Werke in dem EU-Staat. Ungarn ist theoretisch das Land, das von den Zusatzzöllen auf chinesische Elektroautos am meisten nutznießen kann – schließlich bietet Budapest einen Zugang zum EU-Markt, indem die chinesischen Hersteller noch mehr in Ungarn produzieren. Sollten sich die Beziehungen zwischen der EU und China jedoch weiter verschlechtern, könnte das auch die rosigen Handelsbeziehungen für Budapest gefährden.

    “Wirtschaftliche Sicherheit gibt es nicht”

    Für diese Stoßrichtung plädiert Ungarn auch im Programm der EU-Ratspräsidentschaft: “Ein pragmatischer und ausgewogener Ansatz gegenüber China ist ein zentrales Ziel der ungarischen Präsidentschaft. China sei ein wichtiger Handels- und Wirtschaftspartner, ein konstruktiver Dialog über die Wirtschaft und die strategische Sicherheit sei besonders wichtig.

    János Bóka, der ungarische Minister für Europa-Angelegenheiten, sieht die Wirtschaftsbeziehung zu China als die größte Herausforderung für die kommende Amtsperiode der neuen Kommission, wie Politico ihn zitierte – gleichzeitig erklärte er, dass es “so etwas wie wirtschaftliche Sicherheit im Allgemeinen” nicht gebe. “Wenn es Risiken für unsere Sicherheit gibt, müssen diese Risiken speziell identifiziert und angegangen werden. Wenn Sie von wirtschaftlicher Sicherheit im Allgemeinen sprechen, dann sprechen Sie von Entkopplung. Ich denke, wir haben die Entscheidung getroffen, dass wir nicht entkoppeln, sondern die Risiken verringern.”

    Fokus der wirtschaftlichen Sicherheit muss geändert werden

    Ungarn liegt mit seiner Interpretation von wirtschaftlicher Sicherheit über Kreuz mit EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen. Sie hat das Thema in den vergangenen zwei Jahren hoch auf die Agenda gesetzt und vorangetrieben. Von der Leyen wird diesen Kurs in ihrer potenziellen zweiten Amtszeit vermutlich beibehalten. “Mit ihrer wirtschaftlichen Sicherheitsstrategie und ihrem Risikominimierungsparadigma hat die EU begonnen, die schlummernde Verbindung zwischen ihrer Sicherheits- und Wirtschaftspolitik wiederherzustellen”, schreibt die Denkfabrik European Council on Foreign Relations (ECFR) in einer neuen Studie, in der sie für eine “mutiges” Upgrade der EU-Strategie für wirtschaftliche Sicherheit plädiert.

    Doch auch wenn Ungarns Sichtweise umstritten ist: Völlig ausgereift finden auch die Wissenschaftler die Haltung der EU zu China noch nicht. Sich ausschließlich auf die Risikominimierung zu konzentrieren, sei zu kurzsichtig und verhindere, dass die EU ihre geoökonomische Position effektiv steuern könne, da die Ambitionen anderer Mächte ihren Handlungsspielraum einzuschränken drohen, schreiben Tobias Gehrke und Filip Medunic in der Studie.

    Gehrke: Frage der Kompetenz mit neuer Rolle lösen

    Die EU müsse dringend das Fundament für die Analyse strategischer Handelsketten ausbauen, erklärt Gehrke ergänzend im Gespräch mit Table.Briefings. “Die Risikoanalysen sind ein wichtiger erster Schritt, greifen aber noch zu kurz, um tiefere Einblicke in Technologien und deren Anwendungen sowie Produktions- und Handelsmuster zu verstehen. Hier müssen neue Strukturen geschaffen werden.” Sprich: Die EU muss China noch viel, viel besser kennen und durchschauen als bisher.

    Es liege viel Aufmerksamkeit auf dem vorgelagerten Teil von wichtigen Wertschöpfungsketten, beispielsweise bei Rohstoffen, sagt Gehrke. “Aber gerade in der Mitte, bei den Zwischenprodukten, wie Elektronik- und Maschinenkomponenten oder den Bauteilen von Batterien, ist Chinas Dominanz besonders groß und problematisch.”

    Gehrke sieht eine Reform in der Arbeitsweise der EU zu wirtschaftlicher Sicherheit als unumgänglich: “Dazu muss nicht zwingend die kontroverse Frage der Kompetenzen auf den Tisch. Eine neue Executive-Vice-President-Rolle in der Kommission kann bei der oft schwierigen Koordinierung von verschieden Politikbereichen und Analysen helfen.”

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    Interview

    Anthropologe Xiang Biao: “Man bewirkt kein De-Risking, indem man Visa für Forscher erschwert”

    Xiang Biao ist Direktor des Max-Planck-Instituts für ethnologische Forschung in Halle.

    Ihre Forschung beschäftigt sich mit verschiedenen Formen der Migration. Wie nehmen chinesische Bürger und Wissenschaftler die deutsche Migrationspolitik der vergangenen Jahre wahr, die sich nun in einem politischen Rechtsruck, zum Beispiel bei den letzten Europawahlen, widerspiegelt?

    Meiner Meinung nach ist das kein großes Thema. Eine besonders kritische Sichtweise ist mir nicht bekannt. Gewöhnliche Chinesen interessiert es nicht, wie andere Länder die Migration regeln. Sie wissen vielleicht ein bisschen mehr über die US-Politik. Ich denke, die Menschen haben immer noch den allgemeinen Eindruck, dass Deutschland sich in den Bereichen Bildung, Kunst und Hightech-Industrie sehr aktiv internationalisiert und natürlich sehr an einer Ausweitung des Handels interessiert ist. Aber im akademischen Bereich haben wir im vergangenen Jahr gesehen, dass es für Akademiker und Studenten immer schwieriger wird, ein Visum zu erhalten. Dies scheint das Ergebnis einer neuen Politik zu sein, die zwar nicht auf dem Papier festgeschrieben steht, aber dennoch eine Menge Stress verursacht.

    Die Debatte über die Risiken der Zusammenarbeit zwischen chinesischen und deutschen Forschern ist in vollem Gange.

    Mir ist bewusst, dass die Politiker von Risikominderung sprechen. Aber man entschärft Risiken nicht, indem man Visumverfahren verlangsamt. Das De-Risking sollte in der Art eines Chirurgen durchgeführt werden, der ganz gezielt auf bestimmte Bereiche ausgerichtet ist. Aber im Moment wird sie im Stil eines Security Guards durchgeführt, der alles blockiert.

    Einige Politiker und Akademiker gehen davon aus, dass jeder chinesische Forscher und Student der chinesischen Regierung Bericht erstatten muss.

    Ich weiß, woher dieser Eindruck kommt. Es gibt da ein Regierungsstipendium. Und die Studenten, die dieses Stipendium erhalten, müssen einen Vertrag unterschreiben, in dem irgendwo steht, dass sie über ihre Fortschritte berichten sollen. Bislang habe ich noch von keinem Fall gehört, in dem die Studenten tatsächlich aufgefordert wurden, ihre Ergebnisse an die Regierungsstellen zu melden. Die Frage ist: Wollen wir diesen jungen Menschen, die ja bereits unter einem Mangel an Freiheit leiden, die Möglichkeit nehmen, nach Deutschland zu kommen, um zu lernen? Sehen wir sie als Träger des Wandels für die nächste Generation, oder behandeln wir sie als potenzielle Bedrohung?

    Sie sehen also kein Risiko für Deutschland?

    Es kann ein Risiko für einen ganz bestimmten Bereich strategischer Technologie geben, die vom Militär genutzt werden kann. Und ich habe volles Verständnis dafür, dass deutsche Politiker auf diese Dinge achten, das sollten sie ja auch tun. Aber es bleibt die Frage, wie man diese Risiken bewerten und regulieren soll. Ist das Risiko höher als der potenzielle Nutzen von mehr Interaktionen? Die öffentliche Debatte in Deutschland scheint die Tendenz zu haben, die geopolitische Diskussion stark moralisch zu färben, was für Ausländer wie mich überraschend ist, weil wir immer dachten, die deutsche Politik sei recht pragmatisch. Moralisieren ergibt Sinn in Familienbeziehungen und Gemeinschaftsangelegenheiten. Aber die Geopolitik hat ihre eigene Logik und verändert sich ständig. Wenn man da eine übermäßig moralisierende Sprache hineinbringt, drängt man sich selbst in die Enge und verliert die notwendige Flexibilität. Außerdem verschärft die Moralisierung die Konflikte und kann letztlich die Gesellschaft destabilisieren.

    Sie glauben also, dass Deutschland noch viel von der Zusammenarbeit mit China profitieren kann?

    Ich denke, eine offene Kommunikation wird Deutschland mehr Vorteile bringen. Die wirtschaftliche Prosperität und die soziale Zukunft der deutschen Gesellschaft hängen von der weiteren Internationalisierung ab. Wir müssen uns damit auseinandersetzen, dass Deutschlands technologisches Erbe ausläuft. So mächtig Deutschland auch ist, es kann die globale Agenda nicht selbst bestimmen und muss sich zwischen größeren Mächten bewegen. Es ist daher nicht gesund, zu einseitig zu sein. Zudem verändern sich die chinesische Gesellschaft und sogar die Politik schnell. Man kann sehen, dass sich die internationale Politik des Landes in den letzten Jahren bereits verändert hat, und einige Kanäle sind wieder offen. Man kann diese Veränderungen nicht aus der Ferne verfolgen, man muss sich engagieren, um die Temperatur zu spüren und schnell etwas zu bewirken.

    Sind Sie als Wissenschaftler chinesischer Herkunft von diesen Problemen persönlich betroffen?

    In meiner täglichen Arbeit fühle ich mich davon nicht betroffen; ich persönlich fühle mich hier sehr willkommen. Aber ich erhalte einige Anfragen, die nicht nur unschuldig sind, sondern hinter denen eine Art Jagdabsicht zu stecken scheint, als ob man einen versteckten Feind fangen müsste. Dahinter steckt eine neue politische Kultur. Ich habe den Eindruck, dass die deutsche Öffentlichkeit ziemlich offen und dynamisch ist. Aber irgendwie hat die politische Klasse Schwierigkeiten, diese Vielfalt und Dynamik zu repräsentieren.

    Lassen Sie uns ein wenig über Ihr Forschungsgebiet sprechen. Was fasziniert Sie am Thema Migration?

    Ich habe 1992 als Student begonnen, mich mit dem Thema Migration zu beschäftigen. Ich erkannte, dass die Migration innerhalb Chinas eine sehr wichtige Triebkraft war, um die chinesische Gesellschaft von unten nach oben zu verändern. Die Land-Stadt-Migration war keine offizielle Initiative, sondern eine Initiative des Volkes, die letztendlich die Politik und das Leben der Menschen in vielerlei Hinsicht verändert hat. Es ist ein Mythos, dass die Entwicklung Chinas ausschließlich von der Regierung vorangetrieben wurde.

    Sie sprechen von Phänomenen wie den Wanderarbeitern. Wie sieht es mit der internationalen Migration aus?

    Die internationale Migration aus China hat sich stark verändert. Vor den 2010er-Jahren wurde sie von dem Traum angetrieben, nach Übersee zu gehen und reich zu werden. Die Menschen nahmen an, der Westen sei perfekt, die Länder seien wirtschaftlich wohlhabend, politisch fortschrittlich und frei. Doch seit den 2010er-Jahren ist das anders. Viele junge Menschen, vor allem diejenigen, die in die USA gegangen sind, waren von der Armut, der Klassenungleichheit sowie der Brutalität der Politik unter der Trump-Präsidentschaft desillusioniert. In Deutschland sind sie von der Kontroverse um den Gazastreifen überrascht. Einige Chinesen erlebten das, was man als “umgekehrten Kulturschock” bezeichnen kann. Sie sind nicht schockiert darüber, wie sehr sich Deutschland von China unterscheidet, sondern darüber, wie ähnlich beide aussehen können, wenn es um die Zensur von Journalisten, Künstlern und Wissenschaftlern geht.

    Viele jüngere Chinesen ziehen jetzt nach Thailand, um ein entspannteres Leben zu führen, statt in die USA oder nach Europa …

    Nach Covid änderte sich die internationale Migration erneut, und zwar aufgrund des wirtschaftlichen Abschwungs und der politischen Unterdrückung in China. Viele Migranten werden jetzt nicht mehr von der Hoffnung in der Ferne angezogen, sondern eher getrieben von der Enttäuschung in ihrer Heimat. Es ist ihnen weniger wichtig, wohin sie gehen, sondern vor allem, dass sie weggehen. Thailand, Südkorea oder Ungarn sind Orte, die früher nicht zu den ersten Wahlmöglichkeiten gehörten. Das Ziel ist nicht, Geld zu verdienen, sondern einen friedlichen Lebensstil zu führen, bei dem man Arbeit und Entspannung miteinander vereinbaren kann. Entspannung und Freiheit sind für viele ein wichtiger Wert geworden.

    Ihre Vorlesungen, Bücher und Podcasts sind in China sehr beliebt und verbreiten sich sogar viral. Waren Sie überrascht, dass diese Art von akademischen Themen aus Ihrer Forschung eine solche Popularität erlangen würden?

    Ich bin überrascht, wie weit sie verbreitet sind. Als ich das letzte Mal in China war, ging ich in ein Restaurant und der Chefkoch kam heraus, um mir Fragen zu stellen, die auf der Lektüre meines Buches beruhten. Einige meiner Artikel werden sogar in Schulprüfungen verwendet. Ich glaube, die jungen Menschen in China sind sehr hungrig nach kritischen, neuen Ideen. Sie sind gebildet und in viel größerem Wohlstand aufgewachsen als ihre Eltern. Sie machen sich keine Sorgen über Hunger und dergleichen. Aber sie haben viele Fragen darüber, was ein gutes Leben bedeutet, warum die Welt so ist, wie sie ist, und wie sie anders sein könnte.

    Xiang Biao 项飙, Jahrgang 1972, ist einer der einflussreichsten Anthropologen des heutigen China. Er machte sich bereits während seines Studiums an der Universität Peking einen Namen durch seine Feldforschung unter der Migrantenbevölkerung. 2003 ging er an die Universität Oxford, wo er über die globale Rekrutierung indischer IT-Fachkräfte promovierte. Seit 2020 arbeitet er als Direktor des Max-Planck-Instituts für ethnologische Forschung in Halle. Sein Buch “Das Selbst als Methode” wurde in der Volksrepublik zum einflussreichsten Sachbuchtitel des Jahres 2020 gekürt.

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    News

    Datentransfer: Warum Scholz sich über Wissing ärgert

    Das Bundesverkehrsministerium von Volker Wissing (FDP) wehrt sich gegen Kritik von Kanzler Olaf Scholz (SPD) an einer Vereinbarung mit China zum Daten-Transfer. Eine konkrete Übereinkunft, wie der Datentransfer organisiert werde, sei mit der Absichtserklärung nicht verbunden, betonte ein Sprecher Wissings am Freitagnachmittag. Es gehe darum, in einen Dialog mit China zu rechtlichen Fragen des Daten-Austausches zu treten. “Die Etablierung von fachlichen Dialogen steht im Einklang mit der China-Strategie der Bundesregierung und wird von den Fachressorts im Rahmen ihrer Zuständigkeit verfolgt.”

    Zuvor war Wissing vor allem aus Grünen- und SPD-Kreisen ein Alleingang in der sensiblen Fragen des Transfers von Daten von deutschen Betrieben aus China heraus vorgeworfen worden. Scholz hatte Wissings Vorgehen in Brüssel sogar öffentlich kritisiert.

    Dem Vorwurf des Alleingangs widersprach das Wissing-Ministerium: Man habe im Rahmen des Austauschs mit den anderen Ressorts frühzeitig über die China-Reise von Wissing und die damit verbundenen Absichten informiert. Die regierungsinternen Abstimmungen zu dem Memorandum of Understanding (MoU) zum Datenverkehr hätten unmittelbar nach den deutsch-chinesischen Regierungskonsultationen und der Unterzeichnung der Absichtserklärung zum autonomen Fahren im April 2024 begonnen. “Ein erster Entwurf für das MoU wurde bereits Mitte Mai vorgelegt.”

    Wissing hatte am Mittwoch im Zuge seines China-Besuchs die Vereinbarung bekannt gegeben: “Mit unserer Absichtserklärung schaffen wir einen kontinuierlichen Austausch sowie ein gemeinsames Verständnis für den datenpolitischen Rechtsrahmen zwischen beiden Ländern.” Um das Potenzial der Digitalisierung nutzen zu können, sei es wichtig, “dass Daten möglichst ungehindert fließen können”. Dabei müsse der Schutz der Privatsphäre und Sicherheitsinteressen umfassend berücksichtigt werden.

    Der Verband der deutschen Automobilindustrie (VDA) hatte die Vereinbarung sofort gelobt. Der grenzüberschreitende Datentransfer sei für die deutschen Hersteller und Zulieferer von entscheidender Bedeutung, um bei Zukunftstechnologien weiterhin weltweit führend zu bleiben, erklärte VDA-Geschäftsführer Marcus Bollig.

    Bisher hatte die Führung in Peking etwa im Bereich des autonomen Fahrens darauf gepocht, dass ausländische Firmen ihre in China erhobenen Daten auch in China speichern müssen. 2022 verschärfte sie mit dem Hinweis auf die nationale Sicherheit generell die Regeln für den Transfer von Daten ins Ausland, was auf deutliche Kritik und Verärgerung ausländischer Unternehmen und der Europäischen Handelskammer in China stieß. rtr

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    Rohstoffe: Deshalb verknappt Peking die Ausfuhr von Seltenen Erden erneut

    China verschärft die Kontrolle des Staates über die weltweit begehrte Metallgruppe der Seltenen Erden. Die Regierung veröffentlichte am Samstag Vorschriften, die zum Ziel haben, die chinesischen Vorkommen an Seltenen Erden im Namen der nationalen Sicherheit zu schützen. Festgelegt sind Regeln für den Abbau, die Verarbeitung und den Handel. Seltene Erden werden unter anderem für Elektroautos gebraucht. China ist der weltgrößte Verarbeiter dieser Gruppe von 17 Elementen, deren Bedarf sich Prognosen zufolge allein in der EU bis 2030 vervielfachen wird.

    Die vom Staatsrat am Samstag erlassenen Vorschriften besagen, dass die Vorkommen an Seltenen Erden dem Staat gehören und dass die Regierung die Entwicklung der Branche beaufsichtigen wird. Firmen, die Seltene Erden abbauen, schmelzen, trennen oder exportieren, sollen ein System zur Rückverfolgbarkeit aufbauen. Die Regeln sollen zum 1. Oktober in Kraft treten.

    Die Ankündigung kommt inmitten des Vorhabens der EU, vorläufige Zölle auf chinesische Elektroautos zu erheben. Die EU will sich damit vor einer Flut solcher Fahrzeuge in Europa schützen, die ihrer Meinung nach mit unfairen staatlichen Subventionen günstig gebaut werden. Die USA haben Sonderzölle für chinesische E-Autos schon eingeführt.

    China hat bereits im vergangenen Jahr Beschränkungen für die Ausfuhr der Elemente Germanium und Gallium eingeführt, die in der Chipindustrie genutzt werden. Begründet wurde dies mit der nationalen Sicherheit und nationalen Interessen. Das Vorgehen schürte die Sorge, dass dies Spannungen vor allem zwischen den USA und China verschärfen könnte. rtr

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    Cybersicherheit: Diese Macht hat China über Handys von Einreisenden

    Ab diesem Montag haben Chinas Behörden das Recht, die Smartphones von ankommenden Reisenden zu überprüfen. Ein Jahr nach Inkrafttreten des Anti-Spionage-Gesetzes zeigen sich hier immer mehr Auswirkungen auf die praktischen Belange von Ausländern, die mit China in Kontakt stehen.

    Für Polizei und Zoll reicht nun der Verdacht von Spionage, um das Gepäck und sämtliche Digitalgeräte einer eingehenden Prüfung zu unterziehen. Es sei aber nicht geplant, die Handys aller Einreisenden lückenlos zu inspizieren, zitiert die Wirtschaftszeitung Nikkei chinesische Medienberichte. Die neuen Befugnisse passen aber zu dem Trend, das ganze Land gegen vermeintliche ausländische Spione zu mobilisieren. fin

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    • Spionage

    Flughafen-Erweiterung: Wie Shanghai-Pudong noch weiter wachsen will

    Shanghais Flughafenbehörde hat den Bau des dritten Terminals am Pudong International Airport genehmigt. Der Bau soll noch in diesem Jahr beginnen. Der Bau des neuen Terminals ist Teil der vierten Erweiterungsphase von Shanghais größtem Flughafens.

    Nach Fertigstellung voraussichtlich 2026 soll Pudong 130 Millionen Passagiere im Jahr abfertigen können. Eine fünfte Start- und Landebahn ist östlich der bestehenden Anlage ebenfalls im Bau. Bereits 2019 betrug das Passagieraufkommen 76 Millionen. Shanghai-Pudong ist schon jetzt der zweitgrößte Flughafen in China nach Peking und der achtgrößte der Welt. flee

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    Presseschau

    Vereinbarung mit China: Autodatenvereinbarung sorgt für Kabinettsstreit HEISE
    FDP-Fraktionsvize Lukas Köhler: China nicht mehr als Entwicklungsland behandeln WEB.DE
    Wichtige Rohstoffe: China verschärft Kontrolle über Seltene Erden TAGESSCHAU
    Huawei könnte bald unabhängig von westlichen Chips sein GOLEM
    Chinesische Industrieproduktion sinkt auch im Juni ZEIT
    Chinesische Rüstungshersteller drängen auf den Weltmarkt für Drohnen TELEPOLIS
    Südamerika als Chinas neuer Hinterhof ORF
    EU-Kommission fordert Informationen von Temu und Shein HEISE
    Angst vor Temu und Shein: Amazon will chinesischer werden DER STANDARD
    Hisense, BYD, Vivo – Warum bei der EM so viel chinesische Werbung zu sehen ist RND
    Klimawandel und Extremwetter: Wie China zwischen Hitze und Flut lebt ZDF

    Personalie

    Ding Xuexiang wird Leiter der Zentralen Kommission für Wissenschaft und Technologie der Kommunistischen Partei. Ding war bislang Vizepremier. Die Kommission wurde im März vergangenen Jahres im Rahmen einer Umstrukturierung der Regierungs- und Parteiorgane eingerichtet, um Chinas Bestreben nach Eigenständigkeit in Wissenschaft und Technologie zu überwachen. Ihre Leitung war bisher unbekannt. 

    Ändert sich etwas in Ihrer Organisation? Schicken Sie doch einen Hinweis für unsere Personal-Rubrik an heads@table.media!

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    Fußballwitwe

    足球寡妇 – zúqiú guǎfu – Fußballwitwe

    Es ist Fußball-EM. Aktuell wird also auf dem Platz wieder scharf geschossen. Leider lassen die heftigen Zweikämpfe auf dem Rasen jenseits des Spielfeldes zahlreiche Fußballwitwen zurück. Glücklicherweise geht es hier nicht um tatsächliche Trauerfälle. Denn der Gatte dreht sich nicht im Grabe herum, sondern allerhöchsten auf der Couch … oder er grölt quicklebendig im Stadion … oder er trötet und bechert höchst vital beim Public Viewing. 

    In mancher Wohnstube herrscht trotzdem Grabesstimmung, da das Torfieber bei FIFA-Fußballfesten schon mal das Liebesleben abtöten kann. Schließlich haben viele Männer in diesen Tagen nur noch Augen für Lederbälle und Fußballerbeine. Die Chinesinnen haben aus dieser Not heraus den Begriff der Fußballwitwe geboren (足球寡妇 zúqiú guǎfu) – eine augenzwinkernde Selbstbezeichnung, mit der linksliegengelassene Partnerinnen dem herzlosen Herzblatt verbal die gelbe Karte zeigen. Die lässt sich aber natürlich auch umgekehrt zücken! Wenn Ladies das Soccer-Fieber packt, werden männliche Fußballmuffel auch schon mal zum Fußballwitwer (足球寡夫 zúqiú guǎfū – man beachte hier die unterschiedliche Schreibweise mit dem Zeichen 夫 fū wie in 丈夫 zhàngfu “Ehemann, Gatte”, ansonsten heißt Witwer auch 鳏夫guānfū).

    Bloß kein Oolong-Ball

    Rund um den Rasen rasen im Mandarin auch noch jede Menge andere drollige Redensarten durchs Vokabelregister. Wundern Sie sich nicht, wenn chinesische Kommentatoren Ihnen etwas von Teetoren, Kuhschwänzen und Butterfingern erzählen. Das ist regelkonform! Hier der Vokabelbeweis in der Zeitlupe:

    Kommt das Runde ins falsche Eckige – sprich es zappelt ein Eigentor im Netz – sprechen Chinesen von einem Oolong-Ball (乌龙球 wūlóngqiú). Land der Teetrinker hin oder her, was bitte haben fermentierte Teeblätter mit frenetischem Ballsport zu tun? Nun, das hat China der Kreativität seiner Hongkonger Fußballfans zu verdanken. Die nämlich erinnerte der englische Begriff “own goal” lautlich an das chinesische Wort “wūlóng”. Und da es im Raum Hongkong-Guangdong just den regionalen Ausdruck 摆乌龙 bǎi wūlóng für “etwas vermasseln” gibt (wörtlich “Oolong schwenken”), brachten die Ballsportfreunde kurzerhand beides zusammen und tauften das Eigentor “Oolong-Tor”, ein “Vermasseltor” also.

    Schwarzes Pferd

    Während in unseren Breiten manchmal ein “Underdog” die Siegesserie der Großen durchbeißt, galoppieren in China “schwarze Pferde” am vermeintlichen Favoriten vorbei. 黑马 hēimǎ (“Rappe”) nennt man auf Chinesisch nämlich Außenseiter, die zum Favoritenschreck werden. Beteiligt sind daran manchmal auch Butterhände (黄油手 huángyóushǒu). Sie gehören zu unglücklichen Torhütern, denen die Bälle nur so durch die Finger flutschen und dann ins Tor abschmieren.

    Keeper haben es ohnehin nicht wirklich leicht. Zum Beispiel, wenn Stürmer ihnen einen auf den Kopf gestellten “goldenen Haken” vor die Nase hämmern. 倒挂金钩 dàoguà jīngōu (wörtlich: “umgekehrt aufgehängter Goldhaken”) ist das chinesische Pendant für einen “Fallrückzieher” (der auf Englisch übrigens “bicycle kick”, also “Fahrradkick” heißt – auch kreativ!). Wer gleich drei solcher Kunststückchen ins Tor hämmert, der legt einen Hütchen-Trick hin (帽子戏法 màozi-xìfǎ, von 帽子màozi “Hut, Mütze” und 戏法 xìfǎ “Kunststück, Taschenspielertrick, Magie”). Hütchen-Hokuspokus ist damit eine quasi Eins-zu-Eins-Übersetzung des aus dem Englischen stammenden “Hattrick”.

    Dribbel-Vokabular

    Auch für Dribbling-Finten, mit denen Ballkünstler den Gegner entzaubern, zaubert das Chinesische magische Metaphern aus dem Hut. Sie wollen beim nächsten Fußballabend mit chinesischen Freunden mal so richtig angeben? Dann memorieren sie einfach folgendes Vokabelrepertoire zur Beschreibung von Ballkünsten:

    • 牛尾巴 niúwěibā – “der Kuhschwanz“: Mehrfaches Antäuschen mit Richtungswechsel zur Verwirrung des Gegners, eine Bewegungskurve wie ein wedelnder Kuhschwanz eben! Im Deutschen und Englischen ist das als “Elastico” bekannt.
    • 踩单车 cǎi dānchē – “in die Fahrradpedale treten“: im deutschen Fußballjargon “Übersteiger” genannt (engl. step over).
    • 穿裆过人 chuāndāng guòrén – “durch den Schritt am Spieler vorbei“: ist zum Glück nicht ganz wörtlich zu nehmen – gemeint ist einfach klassisches “tunneln”.
    • 油炸丸子 yóuzhá wánzi – “frittierte Schweinefleischbällchen”: unter Fußball-Cracks ist dieses Manöver auch als “La Croqueta” bekannt – eine Finte, bei dem kurz vor dem Gegner der Ball zum anderen Fuß gewechselt wird. Dieser Move gilt als einstiger Lieblingstrick des spanischen Spielers Andrés Iniesta, daher die spanische Bezeichnung. Da es in China leider keine Kroketten-Kultur gibt, haben die Chinesen den Dribbling-Kniff kurzerhand in “frittiere Schweinefleischbällchen” umgetauft. Wird schließlich alles in Öl ausgebacken.

    Jede Menge Witwen

    Manche Turteltäubchen, die gedacht haben, sie könnten das Trauergewand nach dem EM-Finale dauerhaft in die Mottenkiste packen, werden eventuell enttäuscht. Denn in China weiß man: neben Fußballwitwen gibt es im Beziehungsalltag traurigerweise auch noch jede Menge andere Trauerfälle, in denen man seines Partners beraubt wird. Da wären zum Beispiel einsame Aktien-Witwen (股票寡妇 gǔpiào guǎfu – wenn dem Mann nur noch Aktienkurse im Kopf herumschwirren) oder Onlinespiel-Witwen (网游寡妇 wǎngyóu guǎfu – wenn er nur noch am Zocken ist). Doch auch für die Herren der Schöpfung wird das Eheleben manchmal zum Trauerspiel. So klagen rund um das Doppelelf-Shopping-Fest in China die Doppelelf-Witwer (‘双11’寡夫 shuāng-shíyī guǎfu) ihr Leid – wegen des Liebesentzugs der im Kaufrausch benebelten Liebsten.

    Manch einer ertränkt seinen Kummer in solchen Fällen in Hochprozentigem. Das mag manchmal tröstlich sein. Strohwitwer und Strohwitwen in aller Welt seien jedoch gewarnt vor dem Verzehr von “Witwenschnaps” (喝寡酒 hē guǎjiǔ “Witwenschnaps trinken”). Damit bezeichnet man im Mandarin doch tatsächlich bierernst das Bechern auf leeren Magen. Und das ist ja – wie wir alle wissen – nicht wirklich zu empfehlen. Weil man am Ende damit möglicherweise den Schlusspfiff verpasst, und zwar nicht nur in EM-Zeiten, sondern in allen Lebenslagen.

    Verena Menzel betreibt in Peking die Online-Sprachschule New Chinese.

    Dessert

    Glücksspiel ist in China eigentlich verboten – sofern direkt um Geld gespielt wird. Das ist hier beim Poker-Festival in der Stadt Fuyang, Provinz Anhui, zwar nicht der Fall. Erlaubt ist aber eine Prämie für den Sieger des Turniers. Wenn das Preisgeld in Höhe von umgerechnet rund 10.000 Euro nicht so hoch wäre, würden sicherlich auch nicht so viele teilnehmen – auch wenn Pokern in China sehr beliebt ist.

    China.Table Redaktion

    CHINA.TABLE REDAKTION

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