China behauptet ja, diese ganze Geschichte mit dem Ballon sei ziemlich aufgeblasen. Aber was sollen die Amerikaner davon halten, wenn ein solches Ding über ihr heimisches Militärgelände fliegt. Und zeitgleich ein anderes über Kolumbien. Wie immer bei solchen Vorkommnissen werden dazu zwei Wahrheiten in die Welt gesetzt – eine aus Washington und eine aus Peking. Welche man zu glauben neigt, ist wohl eine Frage der Weltanschauung, selbst wenn die USA in diesem Fall moralisch wie auch rechtlich im Vorteil sind, wie Michael Radunski der Posse bescheinigt. In China scheint man auf Schadensbegrenzung aus.
Die Vermutung, dass US-Außenminister Antony Blinken ausschließlich wegen des weißen Balls in der Luft nicht nach Peking gereist ist, verliert angesichts eines Berichts des Wall Street Journal jedenfalls an Überzeugungskraft. Denn mindestens so verstimmt könnten die Amerikaner sein, weil chinesische Unternehmen im vergangenen Jahr große Mengen an dual-use-Komponenten nach Russland verschifft haben. Also genau solche, die auch militärisch verwendet werden können.
Die Chinesen haben sich den US-Sanktionen gegen Russland zwar nicht angeschlossen, aber hatten sie nicht empört verkündet, sie würden Russland militärisch nicht unterstützen? Die Russen behaupten zwar, sie seien technologisch selbst in der Lage, sich auszurüsten. Aber irgendwie mag man das nicht so recht glauben. Zumal, wenn man sich andere Industriebereiche genauer anschaut. Russland ist inzwischen zur Resterampe chinesischer Autobauer geworden, wie es Christian Domke-Seidel formuliert.
Wenn einem schon dieser Ruf nachgesagt wird, dann ist kaum vorstellbar, dass man sich militärisch ohne fremde Hilfe zurecht findet. Zynismus Ende.
Mao Ning war am Montag wahrlich nicht zu beneiden. Zu eindeutig sind die bisherigen Erkenntnisse rund um den Ballon-Zwischenfall über den USA. Und so gab sich die Sprecherin des chinesischen Außenministeriums denn auch kleinlaut: Ja, auch der zweite Ballon über Südamerika stamme aus China. Auch dieser sei unbeabsichtigt in den Luftraum anderer Staaten geflogen. Aber auch dieser zweite Ballon diene wie jener über den USA lediglich zivilen Zwecken zur Wetteruntersuchung.
Auf die Frage, wie es nur sein könne, dass China innerhalb weniger Tage gleich über zwei Ballone vermeintlich die Kontrolle verliere, musste dann selbst Mao Ning passen: “Ich bin keine Expertin”, gab sie zu Protokoll. Zudem sei es ihr nicht genehm, diese Frage zu beantworten.
Doch nicht nur im chinesischen Außenministerium ist man zu Wochenbeginn zerknirscht. Der Zwischenfall rund um ein vermeintliches Spionage-Objekt über den USA kommt für Xi Jinping zur Unzeit. Moralisch wie auch rechtlich sind die USA im Vorteil. Nur: Öffentlich kann das die Führung in Peking unmöglich zugeben. Und so hat die Suche nach einem gesichtswahrenden Ausweg längst begonnen.
Denn Staatspräsident und Parteichef Xi Jinping steht derzeit unter Druck: Die heimische Wirtschaft leidet noch unter den Folgen seiner strikten Null-Covid-Politik. Zudem muss er dringend eine fortdauernde Immobilienkrise entschärfen. Und mit den neuesten US-Beschränkungen für den Verkauf von hochwertiger Halbleiter-Technologie nach China wartet schon die nächste schwierige Herausforderung.
Entsprechend versuchte Xi zuletzt, die Spannungen mit dem Westen abzubauen – zunächst mit Europa, dann mit Australien. Nun sollten auch Verbesserungen in den Beziehungen mit den USA erreicht werden: Am Rande des G20-Gipfels auf Bali kam es zu einem ersten entspannenden Gespräch zwischen Xi und US-Präsident Joe Biden. Diese Woche wollte US-Außenminister Antony Blinken nach China reisen, wo selbst ein Treffen mit Xi in Rede stand.
Doch der Ballon-Zwischenfall bremst Chinas Charme-Offensive, noch bevor sie so richtig begonnen hat. Es ist offensichtlich: China hat sich mit dem Ballon-Zwischenfall selbst geschadet. Im Tennis nennt man so etwas “unforced error” – solch unerzwungene Fehler sind ausschließlich auf das eigene Missgeschick zurückzuführen und nicht auf die Fähigkeiten oder das Verhalten des Gegners.
Und so ist China auf Schadensbegrenzung aus – ohne dabei das Gesicht zu verlieren. Zwar drohte Peking nach dem Abschuss des Ballons mit eigenen Maßnahmen. Zudem ist zu erwarten, dass man weiterhin leugnen wird, der Ballon könne ein Mittel zur Spionage gewesen sein. Und auch ein vermeintliches Bauern-Opfer wurde mit Zhuang Guotai, dem Leiter der Chinesischen Meteorologischen Verwaltung, schnell serviert.
Doch entgegen der Darstellung, Zhuang sei zum Rücktritt gezwungen worden, war er in Wahrheit schon Mitte Januar befördert worden. Zhuang leitet zukünftig die Konsultativ-Konferenz der Provinz Gansu. Sein Rückzug war längst beschlossene Sache.
Doch abgesehen von diesen kosmetischen Vorgängen, lässt sich in der Wortwahl der chinesischen Behörden tatsächlich das Bemühen erkennen, den Streit nicht in die Länge ziehen zu wollen. So beschuldigt China die Vereinigten Staaten, durch den Abschuss des Ballons gegen internationale Praxis verstoßen zu haben (违反国际惯例) – nicht jedoch gegen das Völkerrecht, wie Peking sonst gerne klagt.
Zudem heißt es in Bezug auf den Ballon, dass man “die legitimen Rechte und Interessen des beteiligten Unternehmens verteidigen” würde. Auch hier tut sich ein diplomatischer Ausweg auf, könnte man dadurch doch irgendwann auch argumentieren, dass Chinas Regierung gar nicht direkt am Start des Ballons beteiligt gewesen sei.
Komplizierter sieht es hingegen auf US-Seite aus. Zum einen stufen etliche Sicherheitsexperten den Vorgang als ungefährlich ein. Zum anderen kamen in der jüngeren Vergangenheit immer wieder chinesische Spionageballone über den USA zum Einsatz, wie der Sprecher des Pentagon einräumte. Sie seien unter anderem in der Nähe von Hawaii gesichtet worden, wo unter anderem das Indo-Pacific Command der US-Streitkräfte seinen Sitz hat.
Auch sollte man sich nichts vormachen: China und die USA spionieren sich tagtäglich gegenseitig aus. Und gerade im Vergleich zur weitaus umfassenderen Spionage im Wirtschafts- oder Cyberraum stellte der weiße Ballon über Montana eine technisch durchaus überschaubare Sicherheitsbedrohung dar. Die US-Regierung reagierte denn auch besonnen. Dass Außenminister Blinken seine Reise nach China lediglich verschoben hat, ist ein gutes Zeichen.
Die Wahrheit über den Ballon wird sich erst mit der Bergung der Überreste einstellen. Bis dato gilt die Unschuldsvermutung – oder die Annahme: Wetterballon mit chinesischen Eigenschaften. Doch mag die Aufregung auch schnell verfliegen, so steht dennoch zu befürchten, dass derartige Zwischenfälle weiter zunehmen werden, weshalb eine kontinuierliche und verlässliche Kommunikation abseits der Kameras unverzichtbar ist. Auch wenn damit weder Xi Jinping noch Joe Biden im Moment punkten können.
Die chinesische Führung wandelt seit Ausbruch des Krieges in der Ukraine auf einem schmalen Grat. Sie positioniert sich offiziell neutral, schiebt aber den Amerikanern die Schuld in die Schuhe. Sie verweist frühzeitige Kenntnis über Russlands Absichten ins Reich der Fabeln, verzichtet aber auf eine Verurteilung der Aggressionen.
Ein Bericht der Zeitung Wall Street Journals offenbart nun neue Widersprüche in Pekings Handhabe des Konflikts. Der Zeitung liegen Daten des russischen Zolls vor, die Einfuhren von Rüstungsgütern aus der Volksrepublik China belegen sollen. Sie zitiert aus einer Liste mit “Zehntausenden von Lieferungen” von Gütern, die sowohl kommerzielle als auch militärische Anwendung finden können. Nicht alle, aber die meisten dieser Lieferungen stammten direkt aus China.
Das Wall Street Journal bezieht sich auf Zollunterlagen, die ihm vom Center for Advanced Defense Studies (C4ADS) mit Sitz in Washington zur Verfügung gestellt worden sind. C4ADS gilt als gemeinnützige Forschungsorganisation, die globale Konflikte untersucht und sich dabei auf datengestützte Analysen und faktengestützte Berichte stütze, heißt es.
Navigationsgeräte für militärische Transporthubschrauber, Teleskopantennen für Militärfahrzeuge, Radargeräte oder Komponenten für Kampfflugzeuge seien demnach im vergangenen Jahr nach Russland verschifft worden. Solche Lieferungen aus westlicher Hand würden eine Verletzung der wirtschaftlichen US-Sanktionen bedeuten.
China dagegen droht in erster Linie ein grober Verlust an Glaubwürdigkeit, weil das Land Vorwürfe verbittet, es würde das russische Militär bei seinem Feldzug in der Ukraine unterstützen. Dass US-Außenminister Antony Blinken seine geplante China-Reise kurzfristig abgesagt hatte, könnte auch mit dem C4ADS-Bericht zu tun haben.
Das Institut untersucht unter anderem akribisch öffentlich zugängliche Daten. “Trotz internationaler Kontrolle und Sanktionsprotokollen zeigen zuverlässige globale Handelsdaten, dass staatliche chinesische Rüstungsunternehmen weiterhin militärisch nutzbare Teile an sanktionierte russische Rüstungsunternehmen liefern”, sagte Naomi Garcia von C4ADS dem Journal. “Es wurde festgestellt, dass diese russischen Unternehmen dieselbe Art von Teilen direkt in Russlands Krieg in der Ukraine verwendet haben.”
Staatliche Firmen wie das Verteidigungsunternehmen Poly Technologies, der Militärversorger JSC Rosoboronexport oder das Luftfahrtunternehmen AVIC International Holding Corp wurden ebenso als Lieferanten von dual-use-Komponenten identifiziert wie das private Elektronikunternehmen Fujian Nanan Baofeng Electronic.
In einer Stellungnahme an die Zeitung wies der Geschäftsführer der Fujian Baofeng Electronics die Vorwürfe kategorisch zurück. Sein Unternehmen stelle keine Teleskopantennen her. Auch gebe es keine Aufzeichnungen über Lieferungen an staatliche usbekische Verteidigungsunternehmen, über die der Handel laut Zolldaten abgewickelt worden ist.
Russland produziert einen Großteil seiner militärischen Ausrüstung im eigenen Land, ist in bestimmten technischen Bereichen wie Halbleitern aber dringend auf Zulieferungen angewiesen. Rüstungsgüter finden aber nicht nur aus China den Weg nach Russland, sondern auch über Länder wie die Türkei, die Vereinigten Arabischen Emirate oder eben Usbekistan. Der Kreml hingegen widerspricht Vermutungen, dass die dual-use-Komponenten einen militärischen Bedarf decken würden. Russland verfüge über ausreichend technologisches Potenzial, sagte ein Sprecher.
Und auch aus Peking ist Empörung zu hören. Behauptungen, dass die Volksrepublik solche Güter Russland liefere, entbehrten nicht nur jeder sachlichen Grundlage, sondern seien rein spekulativ und würden absichtlich aufgebauscht. Ohnehin spreche man sich schon seit langem gegen einseitige Sanktionen aus, die nach internationalem Recht keine Grundlage haben.
Chinesische Autohersteller, die Gefahr laufen auf ihrem Heimatmarkt den Anschluss zu verlieren, schaffen sich in Russland gerade ein weiteres Standbein. Dort gewinnen sie, auch ohne die eigentlichen Stückzahlen erhöht zu haben, massiv an Marktanteilen. Sie profitieren davon, dass der russische Automarkt eingebrochen ist und sich die westliche Konkurrenz weitestgehend zurückgezogen hat. So können sie Überkapazitäten loswerden und Forschung und Entwicklung in der Volksrepublik finanzieren. Ein politisches Statement ist dieses wirtschaftliche Engagement allerdings nicht. Dafür ist der russische Markt zu klein.
Russen wollen derzeit keine Autos mehr kaufen. Das liegt am Krieg genauso wie am immer kleineren Angebot. Im Jahr 2022 ist der Absatz um 58,8 Prozent auf 687.370 Autos eingebrochen. Im Vorjahr waren es noch 1,7 Millionen Autos. Sein absolutes Rekordjahr hatte Russland im Jahr 2013 mit 2,8 Millionen Autos. Damals veröffentlichte die Boston Consulting Group eine Studie, nach der Russland bis zum Jahr 2020 zum größten Automarkt Europas werden sollte. Seitdem gingen die Verkaufszahlen zurück.
Der aktuelle Einbruch ist dramatisch. Große westliche Marken haben sich aus Russland zurückgezogen. Gleichzeitig konnten die russischen Hersteller die Produktion nicht am Laufen halten, weil es aufgrund der Sanktionspolitik an Teilen fehlte. Avtovaz beispielsweise stand nach dem Rückzug von Renault – die Franzosen gaben ihre rund 68 Prozent Beteiligung für einen symbolischen Rubel ab – alleine da. Die Marke produzierte so lange, bis die Lager leer waren. Viele Fahrzeuge rollten ohne Airbags und ABS vom Band. Auch anderen Herstellern geht es kaum besser. Lada musste seine Produktion halbieren.
Aktuell nutzen chinesische Hersteller die riesigen Lücken, die sich auftun – wenn auch auf niedrigem Niveau. Es liegt eher am kollabierten Markt, denn am Engagement der Hersteller. “An den Marktanteilen sieht man ganz klar, dass die chinesischen Hersteller aufholen. Die Stückzahlen und chinesischen Exporte sind aber fast identisch mit dem Vorjahr”, zeigt Gregor Sebastian, Analyst beim Mercator Institute for China Studies (Merics), im Gespräch mit Table Media auf.
Chery konnte im Jahr 2022 rund vier Prozent mehr Autos produzieren. Geely stagnierte und Haval baute 14 Prozent weniger Autos. Weil die russische Konkurrenz stärker leidet und die westliche ihr Engagement fast vollständig eingestellt hat, reicht das, um in Summe fast 25 Prozent Marktanteil zu halten. So viel wie nie zuvor. Ein Trend, der 2023 anhalten dürfte. “Meine Prognose für dieses Jahr: 60 Prozent chinesische und 40 Prozent russische Hersteller“, spekulierte Andrej Olchowskij vom Autohändler Avtodom gegenüber dem Handelsblatt.
Der Aufstieg der chinesischen Marken kommt nicht überraschend. Schon seit geraumer Zeit investieren sie in Russland. Schon im Jahr 2021 hat Haval etwa 500 Millionen Euro in Russland investiert. Chery gibt zwar keine offiziellen Zahlen heraus, investiert aber ebenfalls schon länger im Nachbarland und plant, ein neues Werk zu errichten. Die Gründe dafür sieht Sebastian vor allem im Wandel hin zu mehr Elektromobilität in China. “Einige private chinesische Hersteller, die bei den E-Auto-Verkäufen schlecht dastehen – wie Chery oder Great Wall Motor – gehen besonders stark in den russischen Markt“, erklärt der Merics-Analyst.
Dazu kommen Probleme auf dem heimischen Markt. Im Jahr 2017 wurden in China 28,9 Millionen Fahrzeuge verkauft (inklusive Nutzfahrzeuge). Ein Rekordwert, der seitdem nicht mehr erreicht werden konnte. “Seit 2017 gibt es einen stagnierenden und sogar schwächelnden Binnenmarkt in China. Die Hersteller haben aber große Kapazitäten aufgebaut. Deswegen wird verstärkt nach Absatzmärkten im Ausland gesucht”, sagt Sebastian.
Russland birgt allerdings politische Brisanz. Nach Einschätzung von Sebastian sehe die Führung in Peking hier allerdings keine Probleme. Zwar werde bislang penibel darauf geachtet, dass keine Ex- und Import-Regelungen missachtet werden, größer sei der Fokus der Regierungspartei allerdings nicht. “Die Kommunistische Partei sieht sicherlich mit Wohlwollen, dass die Autoindustrie der russischen Wirtschaft helfen kann. Aber ich glaube nicht, dass das großstaatlich gesteuert ist. Diese Entwicklung wird vom Markt getrieben“, erklärt Sebastian.
Für Russland ist China zum wichtigsten Handelspartner geworden. 190 Milliarden Euro betrug der Warenhandel zwischen den beiden Ländern im Jahr 2022. Umgekehrt gilt das allerdings nur bedingt. Drei Prozent des gesamten chinesischen Handels fanden mit Russland statt. “Für einige chinesische Firmen hat der russische Markt durchaus Benefits, für China als Gesamtwirtschaft hat Russlands Automarkt aber einen eher geringen Stellenwert“, schätzt Sebastian die Situation ein.
In Hongkong hat der bislang größte Prozess seit Inkrafttreten des umstrittenen Nationalen Sicherheitsgesetzes begonnen. 47 Demokratieaktivisten wird “bösartige Verschwörung zum Umsturz” vorgeworfen. Sie sollen vor der Parlamentswahl inoffizielle Vorwahlen organisiert haben.
Der Prozess gilt als Test dafür, wie unabhängig die Justiz in der Sonderverwaltungszone noch agieren kann, seitdem Peking seinen Einfluss kontinuierlich ausgeweitet hat. Vor Gericht stehen unter anderem der Rechtsgelehrte Benny Tai, die ehemaligen Abgeordneten Claudia Mo, Au Nok-hin sowie der 26-jährige Ex-Studentenführer Joshua Wong.
Vermutlich um das Strafmaß abzumildern, haben sich 30 Angeklagte bereits schuldig bekannt. Der langjährige Aktivist und ehemalige Parlamentarier Leung Kwok-hung, der ebenfalls auf der Anklagebank sitzt, erklärte zu den Vorwürfen, dass es kein Verbrechen sei, “gegen ein totalitäres Regime vorzugehen”. Der Prozess ist auf mindestens 90 Tage angesetzt. Urteile wurden bislang noch nicht verkündet. Im schlimmsten Fall drohen einzelnen Aktivisten jedoch lebenslange Haftstrafen.
Zum Prozessauftakt am Montagmorgen bildeten sich lange Menschenschlangen vor dem Gerichtsgebäude. Berichten lokaler Journalisten zufolge könne es sich zum Teil um bezahltes Publikum gehandelt haben, die möglichst vielen Aktivisten und Journalisten die begrenzten Zuschauerplätze wegschnappen sollten. Vor dem Gericht versammelten sich aber auch Menschen, die auf Plakaten die “Freilassung aller politischen Gefangenen” forderten. fpe
Taiwans größte Oppositionspartei, die Kuomintang (KMT), schickt ihren stellvertretenden Vorsitzenden zu ranghohen Gesprächen in die Volksrepublik. Andrew Hsia werde eine Delegation leiten, die ab Mittwoch für zehn Tage das Festland besuchen werde, teilte die KMT am Montag mit. Sie werde sich in Peking unter anderem mit Song Tao treffen, dem Leiter des Büros für Taiwan-Angelegenheiten. Ein Treffen mit dem KP-Chefideologen Wang Huning, der derzeit eine “Taiwan-Strategie” ausarbeiten soll, wurde hingegen nicht bestätigt.
Der Besuch der Delegation sei “streng unpolitisch”, es würden auch keine Vereinbarungen im Namen der Inselregierung getroffen, hieß es. Was das genau bedeuten soll, ist unklar. Als Oppositionspartei kann die KMT ohnehin keine Vereinbarungen im Namen der Regierung treffen. Zugleich betont die KMT, dass die Delegation ihren Gesprächspartnern “auf Grundlage von Parität und Würde” begegnen würden.
Nach dem verlorenen Bürgerkrieg gegen die Kommunisten war die KMT unter General Chiang Kai-shek 1949 nach Taiwan geflüchtet und proklamierte dort die provisorische Regierung der Republik China. Chiang wollte von Taiwan aus das chinesische Festland zurückzuerobern.
Wie auch die kommunistische Führung in Peking hält die KMT weiter an der Politik fest, dass es nur ein China gebe. Entgegen der regierenden DPP unter Präsidentin Tsai Ing-wen und einer Mehrheit der Taiwaner bemüht sich die KMT um engere Beziehungen zur KP-Führung in Peking. Die Delegation wird auch nach Shanghai, Nanjing, Wuhan, Chongqing und Chengdu reisen. flee
Nach diplomatischer Verstimmung und Handelsblockaden nähern sich Australien und China wieder an. In einem Videogespräch lud Chinas Handelsminister Wang Wentao am Montag seinen Amtskollegen Don Farrell zu einem Treffen nach Peking ein.
Der Austausch zwischen beiden sei “professionell, pragmatisch und offen” gewesen, hieß es in einer Erklärung aus Peking. “Das Treffen ist ein bedeutender Schritt, um die Wirtschafts- und Handelsbeziehungen zwischen China und Australien wieder auf Kurs zu bringen“, sagte Wang. Die Volksrepublik sei bereit, den Dialog mit Australien wieder auszuweiten, etwa in Fragen des Klimaschutzes und der Erneuerbaren Energien.
Zu den Verstimmungen war es gekommen, nachdem Australien 2020 eine unabhängige Untersuchung des Corona-Ausbruchs in Wuhan gefordert hatte. In der Folge kam es zu einem drastischen Importrückgang von australischen Produkten wie Wein oder Rindfleisch. China hatte vor kurzem den inoffiziellen Einfuhr-Bann auf australische Kohle gelockert. rtr/ari
Nach zwei Jahren Reisepause kann David Feng endlich wieder Zug fahren. Nach Aufhebung der Corona-Maßnahmen berichtet der Schweizer wieder auf Twitter und seiner Internetseite über Details des chinesischen Schienennetzes – von Hochgeschwindigkeitstrassen bis zu Ticketmaschinen.
Doch mehr noch trägt Feng als unabhängiger Berater dazu bei, dass die verkorkste Mischung aus Chinesisch und Englisch (Chinglish) aus dem Serviceangebot des Personentransportnetzes verschwindet. Denn die Standardisierung englischsprachiger Beschilderungen, Displays, Signale und Durchsagen in Chinas Bahnhöfen ist vor allem ihm zu verdanken – wobei mancher Ausländer nicht traurig wäre um eine Fortsetzung des linguistischen Kuddelmuddels. Denn unterhaltsam war er trotz aller Verwirrung allemal.
Seine Sprachgewandtheit hat Feng aus der Schweiz, in die er 1988 als kleiner Junge mit seiner Familie kommt. Dort besucht er die Schule und lernt Deutsch, Schwizerdütsch, Englisch und Französisch. Im Jahr 2000 kehrt er nach China zurück, macht seinen Masterabschluss, und steigt später zum Professor an der Pekinger Universität für Kommunikation auf. Dort gerät Feng endgültig in den Bann der Züge. Denn auch der Schienen-Nahverkehr hat es Feng angetan. Da passt es, dass in Peking zu dieser Zeit die neue U-Bahn Linie 5 entsteht.
Nicht-Freaks müssen dazu wissen: “Die Linie 5 hat das U-Bahnfahren in Peking revolutioniert. In Sachen Service, Ticketing, Schnelligkeit und Übersichtlichkeit war das ein neues Level”, sagt Feng. Die Linie 5 ist mit acht anderen U-Bahnlinien der Stadt verbunden, zum Teil auch mehrfach. Sie verknüpft dicht besiedelte Vororte direkt mit dem Stadtzentrum – immer rappelvoll wie eine richtige Hauptverkehrsader.
Wenn Feng aus dem Zugfenster blickt, fällt ihm die massive Urbanisierung auf. “Was ich in China sehe, ist die gewaltige Verstädterung in allen Provinzen, Städten und Regionen.” Stationen, die früher mitten im Nirgendwo standen, seien heute umgeben von Hochhäusern und Schnellstraßen. China habe es geschafft, die Verstädterung mit dem Ausbau des Schienen- und Straßensystems zu verbinden. “Es wurden zwei landesweite, riesige Transportnetze übereinander gebaut”, sagt er.
Für Feng ist das eine Erfolgsgeschichte. Denn der Ausbau des Zugnetzes treffe die Nachfrage der Chinesen. Leute reisen jetzt nicht mehr nur, weil sie müssen, sondern weil sie können. Feng nennt das die “Just because Industry”. Und auch das Arbeitsleben habe sich verändert. Mit der neuen Hochgeschwindigkeitsstrecke zwischen Peking und Tianjin sei es möglich, täglich zwischen zwei Mega-Städten 120 Kilometer weit zu pendeln, erklärt er.
Begeistert von diesem rasanten Ausbau macht Feng aus seinem Hobby – dem Zug fahren – einen Beruf und wird Berater für die Standardisierung der englischsprachigen Kommunikation an Bahnhöfen und in Zügen. An seinem Ziel, alle Bahnhöfe in China einmal besucht und begutachtet zu haben, arbeitet Feng nach Corona jetzt wieder konsequent. Auch, weil er mittlerweile davon leben kann. Chinas Medien mögen den großgewachsenen Zug-Spezialisten, sein Expertenrat ist gefragt. Sein Motto: “Lasst uns etwas Gutes, noch ein bisschen besser machen.” Jonathan Lehrer
Patrick Fischer, verantwortlich für Forschung und Entwicklung beim Automobilzulieferer Hoerbiger Division Automotive China, wird die Volksrepublik Ende Februar verlassen und nach Deutschland zurückkehren. Nach eigenen Angaben wird er dort bei einem US-Maschinenbaukonzern als Entwicklungsleiter einer europäischen Division arbeiten.
Ändert sich etwas in Ihrer Organisation? Schicken Sie doch einen Hinweis für unsere Personal-Rubrik an heads@table.media!
An Humor mangelt es in China wahrlich nicht. In Sozialmedien kursierten am Wochenende etliche Fotoaufnahmen des chinesischen Spionageballons über den USA mit besten Wünschen zum Laternenfest am Sonntag.
China behauptet ja, diese ganze Geschichte mit dem Ballon sei ziemlich aufgeblasen. Aber was sollen die Amerikaner davon halten, wenn ein solches Ding über ihr heimisches Militärgelände fliegt. Und zeitgleich ein anderes über Kolumbien. Wie immer bei solchen Vorkommnissen werden dazu zwei Wahrheiten in die Welt gesetzt – eine aus Washington und eine aus Peking. Welche man zu glauben neigt, ist wohl eine Frage der Weltanschauung, selbst wenn die USA in diesem Fall moralisch wie auch rechtlich im Vorteil sind, wie Michael Radunski der Posse bescheinigt. In China scheint man auf Schadensbegrenzung aus.
Die Vermutung, dass US-Außenminister Antony Blinken ausschließlich wegen des weißen Balls in der Luft nicht nach Peking gereist ist, verliert angesichts eines Berichts des Wall Street Journal jedenfalls an Überzeugungskraft. Denn mindestens so verstimmt könnten die Amerikaner sein, weil chinesische Unternehmen im vergangenen Jahr große Mengen an dual-use-Komponenten nach Russland verschifft haben. Also genau solche, die auch militärisch verwendet werden können.
Die Chinesen haben sich den US-Sanktionen gegen Russland zwar nicht angeschlossen, aber hatten sie nicht empört verkündet, sie würden Russland militärisch nicht unterstützen? Die Russen behaupten zwar, sie seien technologisch selbst in der Lage, sich auszurüsten. Aber irgendwie mag man das nicht so recht glauben. Zumal, wenn man sich andere Industriebereiche genauer anschaut. Russland ist inzwischen zur Resterampe chinesischer Autobauer geworden, wie es Christian Domke-Seidel formuliert.
Wenn einem schon dieser Ruf nachgesagt wird, dann ist kaum vorstellbar, dass man sich militärisch ohne fremde Hilfe zurecht findet. Zynismus Ende.
Mao Ning war am Montag wahrlich nicht zu beneiden. Zu eindeutig sind die bisherigen Erkenntnisse rund um den Ballon-Zwischenfall über den USA. Und so gab sich die Sprecherin des chinesischen Außenministeriums denn auch kleinlaut: Ja, auch der zweite Ballon über Südamerika stamme aus China. Auch dieser sei unbeabsichtigt in den Luftraum anderer Staaten geflogen. Aber auch dieser zweite Ballon diene wie jener über den USA lediglich zivilen Zwecken zur Wetteruntersuchung.
Auf die Frage, wie es nur sein könne, dass China innerhalb weniger Tage gleich über zwei Ballone vermeintlich die Kontrolle verliere, musste dann selbst Mao Ning passen: “Ich bin keine Expertin”, gab sie zu Protokoll. Zudem sei es ihr nicht genehm, diese Frage zu beantworten.
Doch nicht nur im chinesischen Außenministerium ist man zu Wochenbeginn zerknirscht. Der Zwischenfall rund um ein vermeintliches Spionage-Objekt über den USA kommt für Xi Jinping zur Unzeit. Moralisch wie auch rechtlich sind die USA im Vorteil. Nur: Öffentlich kann das die Führung in Peking unmöglich zugeben. Und so hat die Suche nach einem gesichtswahrenden Ausweg längst begonnen.
Denn Staatspräsident und Parteichef Xi Jinping steht derzeit unter Druck: Die heimische Wirtschaft leidet noch unter den Folgen seiner strikten Null-Covid-Politik. Zudem muss er dringend eine fortdauernde Immobilienkrise entschärfen. Und mit den neuesten US-Beschränkungen für den Verkauf von hochwertiger Halbleiter-Technologie nach China wartet schon die nächste schwierige Herausforderung.
Entsprechend versuchte Xi zuletzt, die Spannungen mit dem Westen abzubauen – zunächst mit Europa, dann mit Australien. Nun sollten auch Verbesserungen in den Beziehungen mit den USA erreicht werden: Am Rande des G20-Gipfels auf Bali kam es zu einem ersten entspannenden Gespräch zwischen Xi und US-Präsident Joe Biden. Diese Woche wollte US-Außenminister Antony Blinken nach China reisen, wo selbst ein Treffen mit Xi in Rede stand.
Doch der Ballon-Zwischenfall bremst Chinas Charme-Offensive, noch bevor sie so richtig begonnen hat. Es ist offensichtlich: China hat sich mit dem Ballon-Zwischenfall selbst geschadet. Im Tennis nennt man so etwas “unforced error” – solch unerzwungene Fehler sind ausschließlich auf das eigene Missgeschick zurückzuführen und nicht auf die Fähigkeiten oder das Verhalten des Gegners.
Und so ist China auf Schadensbegrenzung aus – ohne dabei das Gesicht zu verlieren. Zwar drohte Peking nach dem Abschuss des Ballons mit eigenen Maßnahmen. Zudem ist zu erwarten, dass man weiterhin leugnen wird, der Ballon könne ein Mittel zur Spionage gewesen sein. Und auch ein vermeintliches Bauern-Opfer wurde mit Zhuang Guotai, dem Leiter der Chinesischen Meteorologischen Verwaltung, schnell serviert.
Doch entgegen der Darstellung, Zhuang sei zum Rücktritt gezwungen worden, war er in Wahrheit schon Mitte Januar befördert worden. Zhuang leitet zukünftig die Konsultativ-Konferenz der Provinz Gansu. Sein Rückzug war längst beschlossene Sache.
Doch abgesehen von diesen kosmetischen Vorgängen, lässt sich in der Wortwahl der chinesischen Behörden tatsächlich das Bemühen erkennen, den Streit nicht in die Länge ziehen zu wollen. So beschuldigt China die Vereinigten Staaten, durch den Abschuss des Ballons gegen internationale Praxis verstoßen zu haben (违反国际惯例) – nicht jedoch gegen das Völkerrecht, wie Peking sonst gerne klagt.
Zudem heißt es in Bezug auf den Ballon, dass man “die legitimen Rechte und Interessen des beteiligten Unternehmens verteidigen” würde. Auch hier tut sich ein diplomatischer Ausweg auf, könnte man dadurch doch irgendwann auch argumentieren, dass Chinas Regierung gar nicht direkt am Start des Ballons beteiligt gewesen sei.
Komplizierter sieht es hingegen auf US-Seite aus. Zum einen stufen etliche Sicherheitsexperten den Vorgang als ungefährlich ein. Zum anderen kamen in der jüngeren Vergangenheit immer wieder chinesische Spionageballone über den USA zum Einsatz, wie der Sprecher des Pentagon einräumte. Sie seien unter anderem in der Nähe von Hawaii gesichtet worden, wo unter anderem das Indo-Pacific Command der US-Streitkräfte seinen Sitz hat.
Auch sollte man sich nichts vormachen: China und die USA spionieren sich tagtäglich gegenseitig aus. Und gerade im Vergleich zur weitaus umfassenderen Spionage im Wirtschafts- oder Cyberraum stellte der weiße Ballon über Montana eine technisch durchaus überschaubare Sicherheitsbedrohung dar. Die US-Regierung reagierte denn auch besonnen. Dass Außenminister Blinken seine Reise nach China lediglich verschoben hat, ist ein gutes Zeichen.
Die Wahrheit über den Ballon wird sich erst mit der Bergung der Überreste einstellen. Bis dato gilt die Unschuldsvermutung – oder die Annahme: Wetterballon mit chinesischen Eigenschaften. Doch mag die Aufregung auch schnell verfliegen, so steht dennoch zu befürchten, dass derartige Zwischenfälle weiter zunehmen werden, weshalb eine kontinuierliche und verlässliche Kommunikation abseits der Kameras unverzichtbar ist. Auch wenn damit weder Xi Jinping noch Joe Biden im Moment punkten können.
Die chinesische Führung wandelt seit Ausbruch des Krieges in der Ukraine auf einem schmalen Grat. Sie positioniert sich offiziell neutral, schiebt aber den Amerikanern die Schuld in die Schuhe. Sie verweist frühzeitige Kenntnis über Russlands Absichten ins Reich der Fabeln, verzichtet aber auf eine Verurteilung der Aggressionen.
Ein Bericht der Zeitung Wall Street Journals offenbart nun neue Widersprüche in Pekings Handhabe des Konflikts. Der Zeitung liegen Daten des russischen Zolls vor, die Einfuhren von Rüstungsgütern aus der Volksrepublik China belegen sollen. Sie zitiert aus einer Liste mit “Zehntausenden von Lieferungen” von Gütern, die sowohl kommerzielle als auch militärische Anwendung finden können. Nicht alle, aber die meisten dieser Lieferungen stammten direkt aus China.
Das Wall Street Journal bezieht sich auf Zollunterlagen, die ihm vom Center for Advanced Defense Studies (C4ADS) mit Sitz in Washington zur Verfügung gestellt worden sind. C4ADS gilt als gemeinnützige Forschungsorganisation, die globale Konflikte untersucht und sich dabei auf datengestützte Analysen und faktengestützte Berichte stütze, heißt es.
Navigationsgeräte für militärische Transporthubschrauber, Teleskopantennen für Militärfahrzeuge, Radargeräte oder Komponenten für Kampfflugzeuge seien demnach im vergangenen Jahr nach Russland verschifft worden. Solche Lieferungen aus westlicher Hand würden eine Verletzung der wirtschaftlichen US-Sanktionen bedeuten.
China dagegen droht in erster Linie ein grober Verlust an Glaubwürdigkeit, weil das Land Vorwürfe verbittet, es würde das russische Militär bei seinem Feldzug in der Ukraine unterstützen. Dass US-Außenminister Antony Blinken seine geplante China-Reise kurzfristig abgesagt hatte, könnte auch mit dem C4ADS-Bericht zu tun haben.
Das Institut untersucht unter anderem akribisch öffentlich zugängliche Daten. “Trotz internationaler Kontrolle und Sanktionsprotokollen zeigen zuverlässige globale Handelsdaten, dass staatliche chinesische Rüstungsunternehmen weiterhin militärisch nutzbare Teile an sanktionierte russische Rüstungsunternehmen liefern”, sagte Naomi Garcia von C4ADS dem Journal. “Es wurde festgestellt, dass diese russischen Unternehmen dieselbe Art von Teilen direkt in Russlands Krieg in der Ukraine verwendet haben.”
Staatliche Firmen wie das Verteidigungsunternehmen Poly Technologies, der Militärversorger JSC Rosoboronexport oder das Luftfahrtunternehmen AVIC International Holding Corp wurden ebenso als Lieferanten von dual-use-Komponenten identifiziert wie das private Elektronikunternehmen Fujian Nanan Baofeng Electronic.
In einer Stellungnahme an die Zeitung wies der Geschäftsführer der Fujian Baofeng Electronics die Vorwürfe kategorisch zurück. Sein Unternehmen stelle keine Teleskopantennen her. Auch gebe es keine Aufzeichnungen über Lieferungen an staatliche usbekische Verteidigungsunternehmen, über die der Handel laut Zolldaten abgewickelt worden ist.
Russland produziert einen Großteil seiner militärischen Ausrüstung im eigenen Land, ist in bestimmten technischen Bereichen wie Halbleitern aber dringend auf Zulieferungen angewiesen. Rüstungsgüter finden aber nicht nur aus China den Weg nach Russland, sondern auch über Länder wie die Türkei, die Vereinigten Arabischen Emirate oder eben Usbekistan. Der Kreml hingegen widerspricht Vermutungen, dass die dual-use-Komponenten einen militärischen Bedarf decken würden. Russland verfüge über ausreichend technologisches Potenzial, sagte ein Sprecher.
Und auch aus Peking ist Empörung zu hören. Behauptungen, dass die Volksrepublik solche Güter Russland liefere, entbehrten nicht nur jeder sachlichen Grundlage, sondern seien rein spekulativ und würden absichtlich aufgebauscht. Ohnehin spreche man sich schon seit langem gegen einseitige Sanktionen aus, die nach internationalem Recht keine Grundlage haben.
Chinesische Autohersteller, die Gefahr laufen auf ihrem Heimatmarkt den Anschluss zu verlieren, schaffen sich in Russland gerade ein weiteres Standbein. Dort gewinnen sie, auch ohne die eigentlichen Stückzahlen erhöht zu haben, massiv an Marktanteilen. Sie profitieren davon, dass der russische Automarkt eingebrochen ist und sich die westliche Konkurrenz weitestgehend zurückgezogen hat. So können sie Überkapazitäten loswerden und Forschung und Entwicklung in der Volksrepublik finanzieren. Ein politisches Statement ist dieses wirtschaftliche Engagement allerdings nicht. Dafür ist der russische Markt zu klein.
Russen wollen derzeit keine Autos mehr kaufen. Das liegt am Krieg genauso wie am immer kleineren Angebot. Im Jahr 2022 ist der Absatz um 58,8 Prozent auf 687.370 Autos eingebrochen. Im Vorjahr waren es noch 1,7 Millionen Autos. Sein absolutes Rekordjahr hatte Russland im Jahr 2013 mit 2,8 Millionen Autos. Damals veröffentlichte die Boston Consulting Group eine Studie, nach der Russland bis zum Jahr 2020 zum größten Automarkt Europas werden sollte. Seitdem gingen die Verkaufszahlen zurück.
Der aktuelle Einbruch ist dramatisch. Große westliche Marken haben sich aus Russland zurückgezogen. Gleichzeitig konnten die russischen Hersteller die Produktion nicht am Laufen halten, weil es aufgrund der Sanktionspolitik an Teilen fehlte. Avtovaz beispielsweise stand nach dem Rückzug von Renault – die Franzosen gaben ihre rund 68 Prozent Beteiligung für einen symbolischen Rubel ab – alleine da. Die Marke produzierte so lange, bis die Lager leer waren. Viele Fahrzeuge rollten ohne Airbags und ABS vom Band. Auch anderen Herstellern geht es kaum besser. Lada musste seine Produktion halbieren.
Aktuell nutzen chinesische Hersteller die riesigen Lücken, die sich auftun – wenn auch auf niedrigem Niveau. Es liegt eher am kollabierten Markt, denn am Engagement der Hersteller. “An den Marktanteilen sieht man ganz klar, dass die chinesischen Hersteller aufholen. Die Stückzahlen und chinesischen Exporte sind aber fast identisch mit dem Vorjahr”, zeigt Gregor Sebastian, Analyst beim Mercator Institute for China Studies (Merics), im Gespräch mit Table Media auf.
Chery konnte im Jahr 2022 rund vier Prozent mehr Autos produzieren. Geely stagnierte und Haval baute 14 Prozent weniger Autos. Weil die russische Konkurrenz stärker leidet und die westliche ihr Engagement fast vollständig eingestellt hat, reicht das, um in Summe fast 25 Prozent Marktanteil zu halten. So viel wie nie zuvor. Ein Trend, der 2023 anhalten dürfte. “Meine Prognose für dieses Jahr: 60 Prozent chinesische und 40 Prozent russische Hersteller“, spekulierte Andrej Olchowskij vom Autohändler Avtodom gegenüber dem Handelsblatt.
Der Aufstieg der chinesischen Marken kommt nicht überraschend. Schon seit geraumer Zeit investieren sie in Russland. Schon im Jahr 2021 hat Haval etwa 500 Millionen Euro in Russland investiert. Chery gibt zwar keine offiziellen Zahlen heraus, investiert aber ebenfalls schon länger im Nachbarland und plant, ein neues Werk zu errichten. Die Gründe dafür sieht Sebastian vor allem im Wandel hin zu mehr Elektromobilität in China. “Einige private chinesische Hersteller, die bei den E-Auto-Verkäufen schlecht dastehen – wie Chery oder Great Wall Motor – gehen besonders stark in den russischen Markt“, erklärt der Merics-Analyst.
Dazu kommen Probleme auf dem heimischen Markt. Im Jahr 2017 wurden in China 28,9 Millionen Fahrzeuge verkauft (inklusive Nutzfahrzeuge). Ein Rekordwert, der seitdem nicht mehr erreicht werden konnte. “Seit 2017 gibt es einen stagnierenden und sogar schwächelnden Binnenmarkt in China. Die Hersteller haben aber große Kapazitäten aufgebaut. Deswegen wird verstärkt nach Absatzmärkten im Ausland gesucht”, sagt Sebastian.
Russland birgt allerdings politische Brisanz. Nach Einschätzung von Sebastian sehe die Führung in Peking hier allerdings keine Probleme. Zwar werde bislang penibel darauf geachtet, dass keine Ex- und Import-Regelungen missachtet werden, größer sei der Fokus der Regierungspartei allerdings nicht. “Die Kommunistische Partei sieht sicherlich mit Wohlwollen, dass die Autoindustrie der russischen Wirtschaft helfen kann. Aber ich glaube nicht, dass das großstaatlich gesteuert ist. Diese Entwicklung wird vom Markt getrieben“, erklärt Sebastian.
Für Russland ist China zum wichtigsten Handelspartner geworden. 190 Milliarden Euro betrug der Warenhandel zwischen den beiden Ländern im Jahr 2022. Umgekehrt gilt das allerdings nur bedingt. Drei Prozent des gesamten chinesischen Handels fanden mit Russland statt. “Für einige chinesische Firmen hat der russische Markt durchaus Benefits, für China als Gesamtwirtschaft hat Russlands Automarkt aber einen eher geringen Stellenwert“, schätzt Sebastian die Situation ein.
In Hongkong hat der bislang größte Prozess seit Inkrafttreten des umstrittenen Nationalen Sicherheitsgesetzes begonnen. 47 Demokratieaktivisten wird “bösartige Verschwörung zum Umsturz” vorgeworfen. Sie sollen vor der Parlamentswahl inoffizielle Vorwahlen organisiert haben.
Der Prozess gilt als Test dafür, wie unabhängig die Justiz in der Sonderverwaltungszone noch agieren kann, seitdem Peking seinen Einfluss kontinuierlich ausgeweitet hat. Vor Gericht stehen unter anderem der Rechtsgelehrte Benny Tai, die ehemaligen Abgeordneten Claudia Mo, Au Nok-hin sowie der 26-jährige Ex-Studentenführer Joshua Wong.
Vermutlich um das Strafmaß abzumildern, haben sich 30 Angeklagte bereits schuldig bekannt. Der langjährige Aktivist und ehemalige Parlamentarier Leung Kwok-hung, der ebenfalls auf der Anklagebank sitzt, erklärte zu den Vorwürfen, dass es kein Verbrechen sei, “gegen ein totalitäres Regime vorzugehen”. Der Prozess ist auf mindestens 90 Tage angesetzt. Urteile wurden bislang noch nicht verkündet. Im schlimmsten Fall drohen einzelnen Aktivisten jedoch lebenslange Haftstrafen.
Zum Prozessauftakt am Montagmorgen bildeten sich lange Menschenschlangen vor dem Gerichtsgebäude. Berichten lokaler Journalisten zufolge könne es sich zum Teil um bezahltes Publikum gehandelt haben, die möglichst vielen Aktivisten und Journalisten die begrenzten Zuschauerplätze wegschnappen sollten. Vor dem Gericht versammelten sich aber auch Menschen, die auf Plakaten die “Freilassung aller politischen Gefangenen” forderten. fpe
Taiwans größte Oppositionspartei, die Kuomintang (KMT), schickt ihren stellvertretenden Vorsitzenden zu ranghohen Gesprächen in die Volksrepublik. Andrew Hsia werde eine Delegation leiten, die ab Mittwoch für zehn Tage das Festland besuchen werde, teilte die KMT am Montag mit. Sie werde sich in Peking unter anderem mit Song Tao treffen, dem Leiter des Büros für Taiwan-Angelegenheiten. Ein Treffen mit dem KP-Chefideologen Wang Huning, der derzeit eine “Taiwan-Strategie” ausarbeiten soll, wurde hingegen nicht bestätigt.
Der Besuch der Delegation sei “streng unpolitisch”, es würden auch keine Vereinbarungen im Namen der Inselregierung getroffen, hieß es. Was das genau bedeuten soll, ist unklar. Als Oppositionspartei kann die KMT ohnehin keine Vereinbarungen im Namen der Regierung treffen. Zugleich betont die KMT, dass die Delegation ihren Gesprächspartnern “auf Grundlage von Parität und Würde” begegnen würden.
Nach dem verlorenen Bürgerkrieg gegen die Kommunisten war die KMT unter General Chiang Kai-shek 1949 nach Taiwan geflüchtet und proklamierte dort die provisorische Regierung der Republik China. Chiang wollte von Taiwan aus das chinesische Festland zurückzuerobern.
Wie auch die kommunistische Führung in Peking hält die KMT weiter an der Politik fest, dass es nur ein China gebe. Entgegen der regierenden DPP unter Präsidentin Tsai Ing-wen und einer Mehrheit der Taiwaner bemüht sich die KMT um engere Beziehungen zur KP-Führung in Peking. Die Delegation wird auch nach Shanghai, Nanjing, Wuhan, Chongqing und Chengdu reisen. flee
Nach diplomatischer Verstimmung und Handelsblockaden nähern sich Australien und China wieder an. In einem Videogespräch lud Chinas Handelsminister Wang Wentao am Montag seinen Amtskollegen Don Farrell zu einem Treffen nach Peking ein.
Der Austausch zwischen beiden sei “professionell, pragmatisch und offen” gewesen, hieß es in einer Erklärung aus Peking. “Das Treffen ist ein bedeutender Schritt, um die Wirtschafts- und Handelsbeziehungen zwischen China und Australien wieder auf Kurs zu bringen“, sagte Wang. Die Volksrepublik sei bereit, den Dialog mit Australien wieder auszuweiten, etwa in Fragen des Klimaschutzes und der Erneuerbaren Energien.
Zu den Verstimmungen war es gekommen, nachdem Australien 2020 eine unabhängige Untersuchung des Corona-Ausbruchs in Wuhan gefordert hatte. In der Folge kam es zu einem drastischen Importrückgang von australischen Produkten wie Wein oder Rindfleisch. China hatte vor kurzem den inoffiziellen Einfuhr-Bann auf australische Kohle gelockert. rtr/ari
Nach zwei Jahren Reisepause kann David Feng endlich wieder Zug fahren. Nach Aufhebung der Corona-Maßnahmen berichtet der Schweizer wieder auf Twitter und seiner Internetseite über Details des chinesischen Schienennetzes – von Hochgeschwindigkeitstrassen bis zu Ticketmaschinen.
Doch mehr noch trägt Feng als unabhängiger Berater dazu bei, dass die verkorkste Mischung aus Chinesisch und Englisch (Chinglish) aus dem Serviceangebot des Personentransportnetzes verschwindet. Denn die Standardisierung englischsprachiger Beschilderungen, Displays, Signale und Durchsagen in Chinas Bahnhöfen ist vor allem ihm zu verdanken – wobei mancher Ausländer nicht traurig wäre um eine Fortsetzung des linguistischen Kuddelmuddels. Denn unterhaltsam war er trotz aller Verwirrung allemal.
Seine Sprachgewandtheit hat Feng aus der Schweiz, in die er 1988 als kleiner Junge mit seiner Familie kommt. Dort besucht er die Schule und lernt Deutsch, Schwizerdütsch, Englisch und Französisch. Im Jahr 2000 kehrt er nach China zurück, macht seinen Masterabschluss, und steigt später zum Professor an der Pekinger Universität für Kommunikation auf. Dort gerät Feng endgültig in den Bann der Züge. Denn auch der Schienen-Nahverkehr hat es Feng angetan. Da passt es, dass in Peking zu dieser Zeit die neue U-Bahn Linie 5 entsteht.
Nicht-Freaks müssen dazu wissen: “Die Linie 5 hat das U-Bahnfahren in Peking revolutioniert. In Sachen Service, Ticketing, Schnelligkeit und Übersichtlichkeit war das ein neues Level”, sagt Feng. Die Linie 5 ist mit acht anderen U-Bahnlinien der Stadt verbunden, zum Teil auch mehrfach. Sie verknüpft dicht besiedelte Vororte direkt mit dem Stadtzentrum – immer rappelvoll wie eine richtige Hauptverkehrsader.
Wenn Feng aus dem Zugfenster blickt, fällt ihm die massive Urbanisierung auf. “Was ich in China sehe, ist die gewaltige Verstädterung in allen Provinzen, Städten und Regionen.” Stationen, die früher mitten im Nirgendwo standen, seien heute umgeben von Hochhäusern und Schnellstraßen. China habe es geschafft, die Verstädterung mit dem Ausbau des Schienen- und Straßensystems zu verbinden. “Es wurden zwei landesweite, riesige Transportnetze übereinander gebaut”, sagt er.
Für Feng ist das eine Erfolgsgeschichte. Denn der Ausbau des Zugnetzes treffe die Nachfrage der Chinesen. Leute reisen jetzt nicht mehr nur, weil sie müssen, sondern weil sie können. Feng nennt das die “Just because Industry”. Und auch das Arbeitsleben habe sich verändert. Mit der neuen Hochgeschwindigkeitsstrecke zwischen Peking und Tianjin sei es möglich, täglich zwischen zwei Mega-Städten 120 Kilometer weit zu pendeln, erklärt er.
Begeistert von diesem rasanten Ausbau macht Feng aus seinem Hobby – dem Zug fahren – einen Beruf und wird Berater für die Standardisierung der englischsprachigen Kommunikation an Bahnhöfen und in Zügen. An seinem Ziel, alle Bahnhöfe in China einmal besucht und begutachtet zu haben, arbeitet Feng nach Corona jetzt wieder konsequent. Auch, weil er mittlerweile davon leben kann. Chinas Medien mögen den großgewachsenen Zug-Spezialisten, sein Expertenrat ist gefragt. Sein Motto: “Lasst uns etwas Gutes, noch ein bisschen besser machen.” Jonathan Lehrer
Patrick Fischer, verantwortlich für Forschung und Entwicklung beim Automobilzulieferer Hoerbiger Division Automotive China, wird die Volksrepublik Ende Februar verlassen und nach Deutschland zurückkehren. Nach eigenen Angaben wird er dort bei einem US-Maschinenbaukonzern als Entwicklungsleiter einer europäischen Division arbeiten.
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An Humor mangelt es in China wahrlich nicht. In Sozialmedien kursierten am Wochenende etliche Fotoaufnahmen des chinesischen Spionageballons über den USA mit besten Wünschen zum Laternenfest am Sonntag.