Table.Briefing: China

Tonnenweise Bioplastik + Südkorea und die US-Präsenz + Xi in den Lehrbüchern

  • Ambitionierte Pläne gegen die “weiße Verschmutzung”
  • Südkorea: Hin- und hergerissen zwischen USA und China
  • Neuer Börsen-Platz für KMU
  • Wang Yi stellt Bedingungen für Klima-Gespräche
  • Harte Vorgaben für Unterhaltung
  • Verwirrung um ARM-Tochter
  • Kolumne: Johnny Erling über Xi-Denken an Schulen und Unis
Liebe Leserin, lieber Leser,

die Meere sind voll mit Plastik. Bilder von leeren Flaschen, bunten Tüten, weißen Kunststoff-Gabeln und halb vergammelte Einweg-Windeln und -masken, die an Küsten angespült werden, dürften den meisten bekannt sein. Auch an Land nimmt die “Flut” zu: Die überall verstreuten Plastikverpackungen beeinträchtigen die Schönheit der Stadt und der Landschaft. Und da die meisten Kunststoffverpackungen weiß sind, wird diese “weiße Verschmutzung” genannt.

China hat genau damit ein massives Problem – und will nun mit Bioplastik gegensteuern. Die neu geplanten Produktionskapazitäten an Polymilchsäure übersteigen sogar das bisherige weltweite Herstellungsvolumen, wie unsere Autorin Christiane Kühl berichtet. Die Ambitionen sind hoch, die Erfolgsaussichten aber gedämpft: Der Nutzen von Biokunststoffen ohne industrielle Kompostierung ist begrenzt. Und dazu fehlt es in der Volksrepublik noch an Anlagen.

In unserer zweiten Analyse werfen wir heute einen aktuellen Blick auf das Verhältnis von Südkorea zu den USA. Denn der Plan der Vereinigten Staaten, asiatische Militärstützpunkte zur Unterbringung von Flüchtlingen aus Afghanistan zu nutzen, kam in Seoul gar nicht gut an. In Südkorea befeuert das die Diskussion darüber, wie viel US-Präsenz das Land überhaupt noch will, schreibt Frank Sieren. Eine Debatte, die China nicht ungelegen kommt. Auch wegen der Situation mit Nordkorea blickt Seoul immer mehr nach Peking.

Als interessantes Lesestück möchte ich Ihnen heute die Kolumne von Johnny Erling ans Herz legen. Er hat die neuen Schulbücher Chinas aufgeschlagen und dort das “Xi-Jinping-Denken” gefunden. Damit erreicht nicht nur der Personenkult um Xi einen neuen Höhepunkt. Sondern es ist auch ein Zeichen, dass Xi nach mehr als zehn Jahren im Amt weiter über China herrschen will und wird. 

Ein schönes Wochenende wüscht

Ihre
Amelie Richter
Bild von Amelie  Richter

Analyse

Mit Bioplastik gegen die “weiße Verschmutzung”

In China wird nicht gekleckert, sondern geklotzt. Und so verwundert es kaum, dass dort auch der Einstieg in die Produktion von Bioplastik gleich in ganz großem Stil erfolgt. Eine einzige Firma, der Chemiekonzern BBCA Group aus Bengbu, ist hier Vorreiter. Das Unternehmen will einem Bericht der japanischen Zeitung Nikkei zufolge seine Kapazität für ein neuartiges, auf Maisstärke oder Zuckerrohr basierendes Vorprodukt massiv ausbauen. BBCA will ab 2023 mehr davon herstellen, als bisher auf dem gesamten Weltmarkt verfügbar ist. Nämlich rund 700.000 Tonnen Polymilchsäure (Polylactic Acid, PLA) pro Jahr. Die Prognose für den globalen PLA-Absatz für 2023 liege bei 370.000 Tonnen, schreibt Nikkei Asia. “Wir wollen unsere Antwort auf die ‘weiße Umweltverschmutzung’ zeigen”, zitierte die Zeitung BBCA-Präsident Li Rongjie.

“Weiße Verschmutzung”, das sind die Massen weggeworfenen Plastikmülls, die Chinas Vorstädte, Straßenränder und Dörfer prägen. Mit dem wachsenden Konsum im Land stieg auch der Plastikverbrauch rasant. Müllabfuhr, Recyclingwirtschaft und Umweltbewusstsein konnten damit nicht Schritt halten. Das Ergebnis sind achtlos weggeworfene Essensverpackungen, in Bäumen hängende Plastikbeutel, überquellende Müllhäuschen auf dem Land. Nur in den Innenstädten der Metropolen achten die Behörden seit einigen Jahren auf mehr Sauberkeit und stellten an Gehwegen Mülleimer auf. Recycling steckt in den Kinderschuhen. 40 Prozent der gebrauchten Kunststoffe landen auf Deponien oder als Abfall im öffentlichen Raum. Schätzungen zufolge ist das Land für ein Viertel des weltweiten Plastikmülls in den Ozeanen verantwortlich.

Pro Kopf produziert jeder Chinese allerdings laut dem im Mai publizierten Plastic Waste Makers Index der australischen Minderoo-Stiftung deutlich weniger Müll aus Einwegplastik als Menschen in den Spitzenländern Australien (59 Kilogramm pro Jahr), USA (53) und Südkorea (44). China liegt auf Rang 45 (18), Deutschland auf Rang 35 (22). Chinas staatliche Chemieriesen Sinopec und Petrochina allerdings gehören nach einer komplizierten Analyse zu den Polymer-Herstellern in der Welt, deren Produkte mit am meisten Müll aus Einwegplastik generieren (Rang 3 und 6).

Lösung des Plastikproblems durch Aus für Einwegprodukte

Peking will das Problem durch Verbote bestimmter Einweg-Plastikprodukte, besserem Recycling und der Förderung biologisch abbaubarer Kunststoffe lösen. Anfang des Jahres trat in Chinas Großstädten ein Verbot für Plastik-Trinkbecher, Wegwerfbesteck, Plastiktüten und ähnliche Produkte in Kraft – sofern sie nicht aus biologisch abbaubarem Kunststoff bestehen. Einweg-Plastiktrinkhalme sind sogar schon im ganzen Land verboten. Die anderen Produkte folgen ab 2025.

Harte Daten zum Erfolg der Maßnahme gibt es noch nicht – aber bestimmte Veränderungen sind im Alltag zu beobachten. “Die meisten Einkaufszentren, Supermärkte oder Online-Lebensmittelläden haben auf PLA-Tüten umgestellt”, sagt die Plastik-Expertin Molly Jia von der Ellen MacArthur Foundation gegenüber China.Table. Auf Wochenmärkten seien aber noch traditionelle Plastikbeutel zu finden. Auch die Umsetzung bei Lieferservices ist bisher durchwachsen. “Generell wird die Regel in größeren Städten besser durchgesetzt als in kleinen, und in Städten besser als auf dem Land“, sagt Jia.

Dass der Einzelhandel reagiert, zeigen auch Zahlen, nach denen biologisch abbaubare Alternativen wie PLA oder das auf fossiler Basis hergestellte kompostierbare Material Polybutylenterephthalat (PBAT) bei den Chemiekonzernen ausverkauft sind. Seit Jahresanfang fahren die Konzerne – darunter auch Sinopec – die PBAT-Produktion hoch. Die Materialien lassen sich neben Plastiktüten und andere Verpackungen auch für Mulchfolien in der Landwirtschaft nutzen.

Effektivität von Bioplastik umstritten

Die hochfliegenden Pläne von BBCA erscheinen zwar nach jetzigem Stand abstrus. Doch erwartet unter anderem Konkurrent Japan in China eine Förderwelle der lokalen Regierungen für Bio-Alternativen infolge des Plastik-Verbots. Hohe Subventionen könnten zu gewaltigen Kapazitätsausweitungen und niedrigen Preisen für Bioplastik in China führen, so Nikkei Asia.

Demnach warten manche japanische Firmen vorerst ab, anstatt wie geplant große Summen in diesen Sektor zu investieren. Sie wollen nicht erleben, was globale Hersteller von Solarzellen, Windkraftanlagen oder LCD-Bildschirmen durchgemacht haben. Mit seiner preisgünstigen Fotovoltaik drängte China in kurzer Zeit sämtliche Platzhirsche der Welt aus dem Markt, darunter mehrere deutsche Firmen. Ähnlich war es bei Windkraft und LCD – und ähnlich könnte es auch bei Bio-Plastik laufen, befürchten Japans Firmen.

Die Effektivität von biologisch abbaubarem Plastik ist indes durchaus umstritten. Denn es braucht unter anderem eine Mindesttemperatur, um zu zerfallen. Die meisten biologisch abbaubaren Kunststoffe zersetzen sich laut Molly Jia nur in kontrollierten Kompostanlagen mit Temperaturen von bis zu 50 Grad Celsius und sorgfältig eingestellten Feuchtigkeitsbedingungen. In China gebe es aber nur wenige solcher Anlagen, schrieb Jia in einer Studie für die Umweltorganisation Greenpeace East Asia. Viel sinnvoller als Bioplastik einzuführen, sei es, Einwegprodukte aus Kunststoff insgesamt zu reduzieren, Möglichkeiten zur Wiederverwertung zu finden und eine wirkliche Kreislaufwirtschaft aufzubauen, sagt sie. Auch eine Plastiksteuer fände sie sinnvoll.

Importverbot von Plastikmüll wirkt

Eine Verbotsdebatte bei Umweltthemen wie bei uns findet in China eher nicht statt. Die Regierung verbietet, wenn sie es für nötig hält – auch vor wenigen Jahren den Import von Müll, einschließlich Plastikabfällen. Der Westen schickte seinen Müll nach China, wo er vielfach in kleinen Klitschen ohne Umweltstandards recycelt wurde – wenn überhaupt. Auf diese Weise recycelte Plastiktüten wurden noch vor wenigen Jahren vielfach auf Märkten ausgegeben – und niemand wusste, ob ihr Material auch die Anforderungen für Lebensmittel entspricht.

Der Plastik-Importbann habe die Materialwirtschaft in China verändert, sagt Rich Brubaker, Gründer der Nachhaltigkeits-Beratungsagentur Collective Responsibility in Shanghai. “Er führte zuerst unter anderem zu Engpässen bei bestimmten Materialien. Das brachte eine Reihe chinesischer Unternehmen zu Investitionen in die Abfallverarbeitung im Ausland. Dadurch konnten sie dort die Materialien so aufbereiten, dass sie auch neuen Standards entsprechen – und dann importieren”, so Brubaker zu China.Table. Es gebe inzwischen auch neue Standards etwa für Lebensmittelverpackungen. Beim Bioplastik ist Brubaker aufgrund des Fehlens von Kompostanlagen ähnlich skeptisch wie Molly Jia.

Die heimische Bioplastik-Industrie spürt dennoch offenbar Rückenwind aus Peking. Dutzende Firmen planen derzeit den Aufbau einer Produktion. China muss dabei durchaus aufholen. PBAT etwa wurde in der Volksrepublik bis Mitte 2020 laut Nikkei Asia überhaupt nicht hergestellt, sondern nur importiert – unter anderem von BASF seit zehn Jahren unter dem Markennamen Ecoflex. Im Mai 2020 aber vereinbarte BASF mit der Firma Red Avenue New Materials Group eine PBAT-Lizenzfertigung in Shanghai, die 2022 starten soll. Die Produktionsanlage werde eine Kapazität von 60.000 Tonnen haben und Prozesstechnologie der BASF nutzen, teilte das Unternehmen damals mit. Weltweit werden Bioplastik gute Wachstumsraten vorausgesagt. Die Ludwigshafener halten auch China für einen vielversprechenden Markt.

  • BASF
  • Industrie
  • Nachhaltigkeit
  • Recycling
  • Verschmutzung

Hinwendung zu China: US-Präsenz in Südkorea steht in Frage

Seoul ärgert sich über Washington – denn die USA sollen ihre Pläne, Militärbasen in Südkorea und Japan als Standorte für die temporäre Aufnahme von Geflüchteten aus Afghanistan zu nutzen, vorab nicht kommuniziert haben. Auch in Stützpunkten in Spanien, Deutschland, dem Kosovo, Bahrain und Italien wollen die USA Geflohene zeitweise unterbringen. Song Young-gil, Vorsitzender der regierenden Demokratischen Partei (DP) Südkoreas, erklärte, die USA sollten zunächst die anderen Länder in Betracht ziehen, bevor sie afghanische Flüchtlinge nach Südkorea bringen.

Die Antwort aus Seoul auf die US-Pläne war überdeutlich: “Die Sache wurde nicht mit unserer Regierung diskutiert und ich halte es für nicht realistisch“, erklärte Song. “Wäre es angesichts der Logistik nicht besser, in nahegelegene Länder auszuweichen?”

Diese Episode ist deswegen von großer Bedeutung, weil die südkoreanische Politik, aber auch die Öffentlichkeit seit Jahren schon hin- und hergerissen sind: zwischen den Sicherheitsinteressen verbunden mit den USA und den wirtschaftlichen Interessen mit dem Nachbarn China. Inzwischen hat Washington seine Pläne auf Eis gelegt. 

USA hat weiterhin Autorität über Militär im Kriegsfall

Der chaotische US-Rückzug aus Afghanistan und die rasche Taliban-Übernahme werfen in Asien, allen voran in Taiwan und Südkorea, nun die Frage auf, inwieweit man sich auf einen langfristigen US-Militärschutz verlassen kann. Die USA haben rund 28.500 Soldaten in Südkorea stationiert – vor allem, weil der Koreakrieg nur mit einem Waffenstillstand mit Nordkorea und ohne Friedensvertrag endete. Damals hatte Südkorea sogar die operative Kontrolle über seine Truppen an das von den USA geführte UNO-Kommando übergeben.

Die USA behielten diese Autorität bis 1994, als Südkorea die “operative Kontrolle” seiner Streitkräfte zurückbekam. In Kriegszeiten liegt die Führung aber weiter in den Händen der USA, die dann Hunderttausende südkoreanischer Truppen befehligen würden. Doch längst geht es nicht mehr um die Sicherheitsinteressen Südkoreas, sondern mehr um die politischen Interessen der USA in Asien.

Parteichef Song betonte nun, dass die Ereignisse in Afghanistan unterstreichen, wie wichtig es für Südkorea sei, die operative Macht über seine Streitkräfte in Kriegszeiten wiederzuerlangen: “Wir müssen die Afghanistan-Krise als Chance nutzen, die Selbstverteidigungsfähigkeit zu stärken”, so Song. Die USA und Südkorea hatten 2018 vereinbart, einen dreistufigen Prozess einzuleiten, um zu prüfen, ob Seoul bereit ist, die Kontrolle über seine Truppen im Ernstfall zu übernehmen. Zum Abschluss gekommen ist dieser Prozess allerdings nicht. Stattdessen gab Seoul dem Druck der USA nach und stimmte im März einer 13,9-prozentigen Erhöhung des Zuschusses zu den Kosten der US-Soldaten zu.

Peking freut sich über Spaltung der Partner Südkorea und USA

Das war der höchste Zuwachs in fast zwei Dekaden. Die US-Truppen kosten Seoul nun mehr als eine Milliarde US-Dollar im Jahr. Seoul wollte das nicht ohne Widerstand akzeptieren: Noch nie hatten sich die Verhandlungen zwischen beiden Seiten so lange hingezogen, eine Einigung kam erst mehr als ein Jahr nachdem der Vertrag ausgelaufen war zustande. Die Südkoreaner haben aber weiterhin nicht annähernd das zahlen wollen, was Washington sich vorstellte.

Erst als die US-Amerikaner die 9000 zivilen südkoreanischen Mitarbeiter nach Hause schickte, ohne sie weiterzubezahlen, lenkte Seoul ein. Aber auch Washington machte ein wichtiges Zugeständnis: Die USA erlaubten Seoul nun erstmals eigene ballistische Raketen aufzustellen, die weiter als 500 Kilometer fliegen können. “Das ist ein zentraler Wandel”, kommentiert das Wall Street Journal. Seouls Raketen können nun sogar Peking erreichen.

Was auf den ersten Blick eher als neue Bedrohung für China scheint, wird in Peking aber generell begrüßt. Denn die US-Präsenz vor der Haustür war und ist der Volksrepublik über viele Jahrzehnte ein Dorn im Auge. Die Abwendung Südkoreas von den USA bringt für Beobachter aber neue Sorgen: “Die antiamerikanische Stimmung ist alarmierend”, sagt der US-Menschenrechtsanwalt Robert Carmona-Borjas. Er befürchtet, Südkorea könnte sich zu stark in Richtung China wenden. “Die USA interessieren sich für die Region, nicht für Südkorea im Besonderen,” kommentiert die Eurasia Review. “Die Mehrheit der Südkoreaner wurde getäuscht, als man sie im Glauben ließ, die US-Truppen ziehen nicht aus Südkorea ab, weil Südkorea wegen seiner geopolitischen Bedeutung vital für die amerikanischen Interessen ist.”

Export-Abhängigkeit und BRI-Interesse

Die Stimmung in der Bevölkerung gegenüber China ist noch komplizierter. Die Ablehnung steigt. In einer Umfrage von diesem Frühjahr kommt China nur auf 3.1 Punkte von 10 und liegt damit etwa auf dem gleichen Niveau wie Japan (3.2 Punkte). 2019 waren es für China noch 4.8 Punkte. Gleichzeitig wird jedoch auf bessere Geschäfte mit China gehofft, auch das Interesse am Militärdienst bei jungen Männern nimmt gleichzeitig ab: Pazifisten und Geschäftsleute finden hier zusammen.

Denn die wirtschaftliche Abhängigkeit von China ist enorm. Ein Viertel der Exporte Südkoreas gehen nach China. Rechnet man Hongkong noch dazu, sind es ein Drittel, während auf die USA nur 13,6 Prozent entfallen. Erschwerend kommt hinzu: Die südkoreanische Wirtschaft ist noch sehr viel exportabhängiger als die deutsche. Mehr als 76 Prozent des BIP entfallen auf den Handel, während es in Deutschland nur 44 Prozent sind. Viele südkoreanische Güter werden zudem in China produziert und dann in andere Länder weiterverkauft. Sie tauchen in der Handelsstatistik nicht auf.

Deswegen sind Seouls Politiker extrem vorsichtig, wenn es um die USA geht. Als die US-Amerikaner im Juli 2016 entschieden, ein neues Verteidigungssystem zu installieren, das weit nach China reichen könnte, drehte Peking Seoul die wirtschaftliche Zusammenarbeit kurzerhand ab. Bis die Südkoreaner schließlich einlenkten und die USA überzeugten, das neue System nicht weiter auszubauen. Wirtschaftliche Unterstützung aus Washington gab es nicht. Aus diesem Grund vermied Seoul einen allzu offensichtlichen Schulterschluss mit den USA beim Antrittsbesuch von Außenminister Antony Blinken in diesem Frühjahr. Auch die Kritik an Pekings Umgang mit Hongkong und den Uiguren in Xinjiang war sehr verhalten. 5G von Huawei ist nicht verboten und Seoul hat erstes Interesse gezeigt, der “Belt-and-Road”-Initiative beizutreten. 

Abzug wird auch in USA weiterhin debattiert

Während die Südkoreaner hin- und hergerissen sind, verebben nach dem Abgang von US-Präsident Donald Trump auch in den USA die Stimmen nicht, die fordern, die Präsenz zu überdenken. “Ein Abzug aus Südkorea ist keine wahrscheinliche Perspektive oder, so wie die Dinge stehen, gar eine gute Idee”, schrieb das US-Magazin Foreign Policy kürzlich, “aber mit ein wenig mehr Vorstellungskraft, könnte man doch an den Punkt kommen, an dem ein Abzug eine realistische Möglichkeit ist.” Ein solcher Satz wäre vor zehn Jahren noch nicht denkbar gewesen. In einer Umfrage vor einem Jahr sind zwei Drittel der US-Amerikaner dafür, sich mehr auf die Politik zu Hause zu konzentrieren und die US-Truppen in anderen Ländern abzuziehen. 

Schon während der Trumps Amtszeit stand das US-Engagement in Südkorea zur Debatte. Erst wollte die USA Truppen zurückziehen, um Geld zu sparen. Als Trump erfuhr, dass Südkorea die Hälfte der Kosten trägt, forderte er Seoul auf, einen größeren Anteil an den Kosten der dort stationierten US-Truppen zu zahlen. Noch immer sehen viele mit Trump verbündete Republikaner das ähnlich. Und auf der linken Seite des politischen Spektrums fordern hochrangige US-Politiker wie Senator Bernie Sanders oder die Abgeordnete Alexandria Ocasio-Cortez weiterhin eine drastische Reduzierung des Pentagon-Budgets und eine zurückhaltendere globale Agenda der USA. 

Einstweilen stellt Bidens nationaler Sicherheitsberater Jake Sullivan klar, die USA hätten “nicht die Absicht, Truppen aus Südkorea abzuziehen”. In diesem Monat hielten die USA und Südkorea trotz Drohungen aus dem Norden eine neuntägige Militärübung ab. Pjöngjang wirft den USA regelmäßig vor, solche Manöver dienten als Vorbereitungen für einen Angriff. Biden erklärte in einem Fernsehinterview, es gebe “einen grundlegenden Unterschied” zwischen Afghanistan und den asiatischen Partnern der USA. Die USA hätten eine “heilige Verpflichtung”, auf einen Angriff auf Japan, Südkorea oder Taiwan zu reagieren. Ob und wie viele Truppen man dazu vor Ort braucht, hat Biden nicht erwähnt. 

Nordkorea treibt Seoul in Richtung Pekings

Was den Umgang mit Nordkorea angeht, klaffen die Meinungen zwischen den Verbündeten mittlerweile weit auseinander. Beide Seiten sind für die Wiederaufnahme von Gesprächen und wollen, dass Nordkorea sein Atom- und Raketenprogramm einstellt. Während Südkorea jedoch bereits wirtschaftliche Beziehungen zum Norden aufbauen will, fordern die USA, dass Nordkorea zuerst seine Denuklearisierung einleitet.

Die Befürchtung von Seoul: Nachdem die internationalen Strafmaßnahmen dazu beigetragen haben, dass Nordkorea zuletzt kritische Engpässe bei der Versorgung mit Lebensmitteln erleiden musste, könnte Seoul mit rasanten Entscheidungen kontern. Und tatsächlich meldete die International Atomic Energy Agency (IAEA) Ende vergangener Woche “mit großer Sorge”, dass Nordkorea seit Juli wieder an der Atomanlage in Yongbyon arbeitet. Nun geht Seouls Hilfe suchender Blick nicht in Richtung USA, sondern in Richtung China. Der Einfluss von Peking in Pjöngjang gilt in Seoul als weitaus größer als der Einfluss Washingtons.  

  • Afghanistan
  • Geopolitik
  • Militär
  • Südkorea
  • USA

Termine

06.09.2021, 10:00 – 11:00 Uhr (16:00 – 17:00 Uhr Beijing Time)
EU SME Centre, Webinar: China Publishing Business Collaboration Webinar Anmeldung

06.09.2021, 14:00 – 15:00 Uhr
IfW Kiel, Research Seminar: Technology Transfer and Early Industrial Development: Evidence from the Sino-Soviet Alliance Mehr

07.09.2021, 16:00 – 17:00 Uhr
IAPP – International Association of Privacy Professionals, Webinar: Understanding China’s New Personal Information Protection Law Mehr

07.09.2021, 15:30 – 16:30 Uhr
The NPD Group, Webinar: Deep Dive: China’s Luxury Market Mehr

08.09.2021, 15:00 – 16:00 Uhr
Investment Company Institute (ICI), Webinar: China’s New Anti-Foreign Sanctions Law and Impact on Global Asset Managers Anmeldung

09.09.2021, 18:00 Uhr
Konfuzius-Institut Düsseldorf, Vortrag: Poeten der Humanität: Konfuzius – Yunus Emre – Adam Mickiewicz Anmeldung

10.09.2021, 10:00 – 12:00 Uhr (16:00 – 18:00 Uhr Beijing Time)
EU SME Centre, Webinar: Overview of China’s Biopharma Sector: Market Access & IP Rights Anmeldung

News

Peking bekommt neue Börse für Mittelständler

Peking soll neuer Aktien-Handelsplatz werden: China werde in seiner Hauptstadt eine Börse für kleine und mittelständische Unternehmen (KMU) einrichten, gab Präsident Xi Jinping am Donnerstag bekannt. Damit solle die “innovationsgetriebene Entwicklung” von KMU weiterhin unterstützt werden, so Xi in einer Videoansprache bei der Eröffnung der Internationale Messe für den Dienstleistungshandel (CIFTIS), wie Staatsmedien meldeten. Die beiden wichtigsten Börsen des chinesischen Festlandes befinden sich derzeit im Finanzzentrum Shanghai und in Shenzhen an der Grenze des Festlandes zu Hongkong.

Die Neugründung der Börse soll einem Upgrade und Reform des sogenannten “New Third Board” entsprechen, sagte Xi weiter. Als “New Third Board” wird der Direkthandelsplatz National Equities Exchange And Quotations (NEEQ) bezeichnet. Dort werden Aktien gehandelt, die weder in Shenzhen noch Shanghai notiert sind. Bis Ende 2020 waren einem Bericht von CGTN zufolge insgesamt 8.187 Unternehmen im NEEQ gelistet. Davon entfielen demnach 94 Prozent auf KMU mit einer Gesamtkapitalisierung von rund 2,65 Billionen Yuan (410 Milliarden US-Dollar).

Die Regierung in Peking zieht derzeit die Daumenschrauben bei Unternehmen an, die im Ausland börsennotiert sind. Den Markt für Börsengänge in den USA dürfte das rigorose Vorgehen Chinas empfindlich treffen, prognostizieren Experten (China.Table berichtete). In den vergangenen zehn Jahren waren die USA für chinesische Unternehmen eine wichtige Finanzierungsquelle. ari

  • Aktien
  • Börse
  • Finanzen
  • Handel
  • Xi Jinping

Bedingungen für Kooperation beim Klimaschutz

China hat den USA Bedingungen für eine Kooperation im Klimaschutz gestellt. Washington könne nicht einerseits versuchen, die Entwicklung seines Landes einzudämmen – und andererseits auf eine Zusammenarbeit drängen, sagte Außenminister Wang Yi während eines Besuchs des US-Klimagesandten John Kerry am Donnerstag in Tianjin. Wang warf der Regierung von Präsident Joe Biden eine “große strategische Fehlkalkulation gegenüber China” vor. Die USA müssten aufhören, “China als Bedrohung und als Gegner zu sehen” und Peking auf halbem Wege entgegenkommen.

Wang schlägt damit die gleichen Töne an wie bei seinem Treffen mit US-Vizeaußenministerin Wendy Sherman (China.Table berichtete). Die Politik des “Es reicht uns” scheint zu einer grundsätzlichen Strategie Pekings gegenüber Washington geworden zu sein. In diesem Fall: Nur wenn die Beziehungen insgesamt “gesund” seien, könne Peking über Dinge wie eine Verschärfung der Klimaziele reden. “Der Ball liegt auf der Seite der USA”, so Wang Yi.

Kerry betonte im Gespräch mit Wang, China spiele eine “super entscheidende Rolle” beim Klimaschutz. Er ermutigte China zudem, zusätzliche Maßnahmen gegen klimaschädliche Emissionen zu ergreifen. Kerry ist nach Tianjin gereist, um mit seinem chinesischen Konterpart Xie Zhenhua den Klimagipfel im November in Glasgow vorzubereiten. Details zu diesen Gesprächen sind noch nicht bekannt. Am Donnerstag konferierte Kerry außerdem mit Vize-Ministerpräsident Han Zheng.

China und die USA sind die größten Emittenten klimaschädlicher Gase wie CO2. Ihre Zusammenarbeit ist daher für das Weltklima und den Klimaschutz von entscheidender Bedeutung. Viel Zeit für geopolitisches Geplänkel bleibt daher eigentlich nicht: Der Weltklimarat IPCC hatte im August einen Bericht vorgelegt, nach dem die Erderwärmung schon 2030 den Wert von 1,5 Grad erreichen könnte. Das wäre zehn Jahre früher als noch vor drei Jahren angenommen. Kerry ist noch bis zum heutigen Freitag in Tianjin. ck

  • Geopolitik
  • John Kerry
  • Klima
  • Nachhaltigkeit
  • Wang Yi

Verbot von Reality-Shows und hohen Gagen

Die chinesischen Behörden haben ihr hartes Vorgehen gegen die Unterhaltungsindustrie weiter verschärft. Die Sender wurden am Donnerstag angewiesen, Künstler mit “inkorrekten politischen Positionen” von Programmen auszuschließen. Es müsse eine “patriotische Atmosphäre” kultiviert werden, wie die Nationale Radio- und Fernsehbehörde (NRTA) mitteilte. Die Regulierung von Kulturprogrammen müsse verschärft werden.

Zudem wurden Reality-Talentshows verboten und Medien dazu angehalten, eine maskulinere Repräsentation von Männern zu fördern. “Sendeanstalten dürfen keine Varieté- und Reality-Shows zeigen”, erklärte die Regulierungsbehörde. Sie wies die Sender an, sich gegen “abnormale Ästhetik” wie “verweichlichte” Männer sowie gegen “vulgäre Influencer”, aufgeblasene Gagen und “verkommene Moral” von Künstlern zu wehren. 

NRTA kündigte außerdem Vorschriften zur Begrenzung der Gagen für Schauspieler und Schauspielerinnen an. Sie sollen zudem dazu ermuntert werden, an Wohlfahrtsprogrammen teilzunehmen und mehr soziale Verantwortung zu übernehmen. Steuerhinterziehung solle streng geahndet werden. Die Unterhaltungsindustrie geriet zuletzt ins Fadenkreuz nach einer Reihe von Skandalen um Steuerhinterziehung und sexuelle Übergriffe (China.Table berichtete). ari

  • Gesellschaft
  • Kultur

ARM: China-Tochter wurde nicht abtrünnig

Verwirrung um die China-Tochter des wichtigen Halbleiter-Dienstleisters ARM aus Großbritannien: Das Unternehmen weist Berichte zurück, denen zufolge sich Landeschef Allen Wu mit geistigem Eigentum der Firma selbständig gemacht habe. Zwar befinden sich das Mutterhaus und die China-Tochter schon seit Längerem im Clinch. ARM wollte seinen China-Chef Allen Wu im vergangenen Jahr entlassen, doch dieser weigerte sich zu gehen. Es kam zum Rechtsstreit. Unterdessen stellte sich heraus, dass Wu eigene Geschäftsinteressen verfolgt und offenbar Aufträge zwischen eigenen Firmen und ARM China hin- und hergeschoben hat.

Doch verschiedene Berichte, die im Laufe dieser Woche behauptet haben, Wu sei mit Patenten von ARM vollends abtrünnig geworden, scheinen nicht zu stimmen. ARM stellt gegenüber den Medien klar, dass sich gar nicht so viel geändert habe. Das Unternehmen streitet sich zwar absurderweise immer noch mit seiner China-Tochter. Und diese entwickelt offenbar eigene Technologien und Produkte und zeigt auch sonst ein erstaunliches Eigenleben. Doch zumindest die Vorstellung vom Technik-Klau durch die eigene Belegschaft scheint eine Fehlinterpretation zu sein. ARM stellt klar, dass es weiterhin Millionen von Komponenten über ARM China absetzt. fin

  • ARM
  • Technologie

Presseschau

China warns US poor relations could undermine progress on climate change THE GUARDIAN
China Report Links State-Secrets Allegations Against Two Canadians WSJ (PAY)
China tells broadcasters to shun artists with ‘incorrect political positions’ and effeminate styles INDEPENDENT
HSBC’s CEO Has His Eye on China Wealth Beyond Xi’s Crackdown BLOOMBERG (PAY)
Survey shows 98.3% of Chinese respondents believe US is responsible for out-of-control world pandemic GLOBALTIMES (STAATSMEDIUM)
Taliban-Sprecher: China unser «Passierschein» FAZ
Xi Jinping kündigt neuen Aktienmarkt in Peking an HANDELSBLATT (PAY)
China gibt USA die Schuld für schlechte Beziehungen WELT
Wie Xi aufräumen und umverteilen will SUEDDEUTSCHE (PAY)
Volkswagen: ID.3 soll die Verkäufe in China ankurbeln – Aktie vor wichtiger Hürde DER AKTIONÄR

Kolumne

Pekings neue Lehrbücher: “Ich bin ein Schüler Xi Jinpings”

Von Johnny Erling
Ein Bild von Johnny Erling

In Zhuxian, einer Ortschaft bei Kaifeng, versteckt sich eine pittoreske Tempelanlage, die im 15. Jahrhundert zum Ruhm des songzeitlichen Generals Yue Fei (1103-1142) errichtet wurde. Sein Name steht in China traditionell als Inbegriff für patriotisches Verhalten. Als ich 2019 den Platz besuchte, wurde Yue Feis Leben mit einem auf große Schautafeln kopierten Comic aus den 1950er-Jahren ausgestellt. Das Bilderbuch pries den Heerführer, der sich sein früheres Königreich wieder erobern wollte.

Nach der Erklärung des Museums hat die Mutter von Xi Jinping diesen Comic ihrem Sohn einst vorgelesen. Den kleinen Xi hätte besonders die Stelle fasziniert, als Yue Feis Mutter ihrem 24-jährigem Sohn mit einer glühenden Nadel vier Schriftzeichen in den Rücken gravierte: “Jin Zhong Bao Guo”  (精忠报国) –  “Diene Deinem Land mit größter Loyalität”. Xi Jinping selbst erinnerte sich später: “Damals fragte ich meine Mutter: Das tat ihm doch sehr weh! Sie antwortete mir: Ja, aber von da an dachte er immer an sein Land. Seither bewahre ich diese vier Zeichen in meinem Herzen auf, damit sie auch mich ein Leben lang begleiten.”   

General Yue Fei Anekdote Xi Jinping
Figur im Zhuxian-Tempel von General Yue Fei, der sich von seiner Mutter Schriftzeichen mit patriotischer Bedeutung auf den Rücken tätowieren lässt.

Die rührselige Anekdote steht im neuen Schulbuch für die dritte Klasse Grundschule, meldete die britische Financial Times (FT). Xis Geschichten, Gedanken und seine Äußerungen über sozialistische Werte finden zum neuen Schuljahr Eingang in den Unterricht. So soll schon bei den Kleinsten Patriotismus geweckt und alle Auszubildenden gegen westliche Einflüsse immunisiert werden. Gegenüber FP-Reportern empörten sich heimlich einige Eltern: Sie fühlten sich an den Personenkult zu Zeiten Maos erinnert. 

Das “Komitee für nationale Lehrbücher” unter dem Erziehungsministerium (MOE) hatte die Richtlinien festgelegt, um in das Curriculum für den jeweiligen Ausbildungsgang (von den Grund- und Mittelschulen bis zur Universität) die “Gedanken von Xi” aufzunehmen. Dessen Theorien seien als offizielle Leitideologie Chinas seit dem 19. Parteitag 2018 in den Parteistatuten und in der Verfassung festgeschrieben. Daher “müssen wir auch die Köpfe der Schüler mit Xis Denken bewaffnen.” Über anschauliche Beispiele und in lebendiger und konkreter Sprache sollten die jüngsten Schüler indoktriniert werden, China, die Partei und den Sozialismus zu lieben und dass “Generalsekretär Xi Jinping die Partei und das Volk führt.” Graduierte müssten seine Theorie “studieren und interpretieren können.” Die Richtlinien würden künftig auf alle Unterrichtssparten ausgeweitet. 

Die Integration von Xi Jinpings Gedanken als direkter Teil der Erziehung ist die Fortsetzung seiner ideologischen Neuausrichtung der Schulausbildung, die er als Parteichef nach seiner Wahl Ende 2012 verlangte. Als Erstes führte er das staatliche Monopol auf zentralisiertes und vereinheitlichtes Lehrmaterial wieder ein. Er ließ die Schulbücher revidieren. Neben verstärkter Lehre in traditioneller Klassik, Dichtkunst und Literatur sollen sie den Schülern vor allem kommunistische Ideale, Liebe für den Kollektivismus und ein “korrektes” Verständnis der Geschichte und der nationalen Souveränität Chinas einbläuen.   

Von September 2014 mühten sich 140 Fachleute, die neuen Schulbücher zu verfassen. Im Chinesisch-Lehrbuch, das zum Schulanfang 2018 im September an Millionen Erstklässler verteilt wurde, zeigt die Eingangs-Zeichnung eine große Kinderschar der 56-chinesischen Nationalitäten. Die Schüler sollen nun suchen, ob sie sich als Hanchinesen, Tibeter oder Mongolen erkennen. Auf dem Bild stehen die Minoritäten-Kinder vor der roten Staatsfahne am Pekinger Tiananmen-Tor und rufen unisono: “Ich bin ein Chinese.” Das ist die erste Lektion für die sechsjährigen Leser. Als Nächstes lernen sie danach das “Lied zum Schulanfang singen: “Ich liebe das Lernen, ich liebe die Arbeit. Wenn ich erwachsen bin, will ich dem Vaterland dienen.”    

Schulbuch China 2018
Seite des Schulbuchs “Chinesische Sprache” von 2018 für die erste Klasse: Kinder in den Trachten der 56 nationalen Minderheiten Chinas. Alle rufen: “Ich bin ein Chinese”

Xi Jinping brachte die Schulbücher wieder auf Linie. Mit einem Strich machte er alle vorhergehenden Reformen zunichte. Von Anfang 2000 hatten mehr als 70 Akademien und Verlage 167 experimentierfreudige moderne Lehrbücher für 22 Schulfächer als Ergänzung zum Pflicht-Lehrstoffs entwickelt. Peking erlaubte in der damaligen Aufbruchs-Atmosphäre sie als Pilotprojekte zu nutzen. China war der Welthandelsorganisation (WTO) beigetreten. Sein Volkskongress verankerte das Recht auf Eigentum und den Schutz der Menschenrechte erstmals in der Verfassung.   

Das schlug sich im Curriculum und in Reform-Schulbüchern nieder wie in der 2006 erschienenen sechsbändigen Pekinger Reihe “Neue Bürger” (新公民) für Schüler ab der dritten Klasse. Es beginnt mit “Erkenne Dich selbst” und der Aufforderung: “Schau in den Spiegel. Wen siehst Du da? Dich selbst! So wie es in der ganzen Welt keine zwei Blätter gibt, die sich gleichen, bist auch Du auf dieser Welt einzigartig. Kannst Du Dich ausstehen? Stell Dich vor Deinen Spiegel und sage: Ich mag mich!”    

China Reformschulbuch
Erste Leseseite des Pekinger Reformschulbuchs “Neue Bürger” von 2006: “Blick in den Spiegel. Erkenne Dich selbst.”

100 namhafte Erzieher, Historiker, Sozial- und Naturwissenschaftler erarbeiteten die modernen Lehrstoffe für den Pekinger Universitätsverlag. Absicht war, Chinas Schüler auf eine globalisierte Welt vorzubereiten, bei der es auf Eigeninitiative, kritische Nachfrage, Selbstbewusstsein und Fähigkeit zur Innovation ankommt. Jeder Schüler sei mehr als nur ein austauschbares Schräubchen im sozialistischen Getriebe, wie der Mustersoldat Lei Feng, den heute Parteichef Xi Jinping wieder als Idealfigur anpreisen lässt. Die heutigen Schulbücher verlangen die Einordnung des Einzelnen unter das Kollektiv und die Demonstration von Sekundärtugenden wie Fleiß, Gehorsam und zivilisiertes Benehmen.

Die Partei messe der sozialistischen Orientierung im Erziehungsbereich “hohe Priorität” zu, ließ Xi auf der Tagung seines Politbüros diesen Dienstag verkünden. Mit seiner jüngsten Reform der Schulbücher hat er die Jugend von der einst kritischen Reformfrage “Wer bin ich?” abgebracht. Jetzt sollen die Antworten lauten: “Ich bin ein Chinese” und “Ich bin ein Schüler Xi Jinpings.” 

  • Bildung
  • Gesellschaft
  • Kinder
  • KP Chinas
  • Xi Jinping

Personalien

Sebastian Klumpp hat bei Mercedes-Benz in Stuttgart die Zuständigkeit gewechselt. Zuvor war er Market Manager für Taiwan, jetzt betreut er China. Er hat bereits Erfahrungen als Business Development Manager Greater China und Program Manager Office China gesammelt.

Sascha Ambrock wurde im August bei Bosch in China Senior Project Manager für Brennstoffzellen am Standort Wuxi. Ambrock ist dafür von Stuttgart nach Jiangsu umgesiedelt. Er kommt aus der Entwicklung von Komponenten für Dieselmotoren.

Dessert

Chinesische Soldaten tragen auf dem südkoreanischen Flughafen Incheon Särge zu einem Transportflugzeug. Sie enthalten Überreste chinesischer Armeeangehöriger, die im Koreakrieg gestorben sind. Mao Zedong hatte die “Volksfreiwilligentruppe” 人民志愿军 1950 als inoffizielle Verbände in das Nachbarland geschickt, um an der Seite Nordkoreas die US-Amerikaner zu bekämpfen. Inoffiziell, weil er keinen Krieg mit den USA riskieren wollte. Die USA akzeptierten diese Scharade, weil sie ihrerseits kein Interesse an einer Eskalation hatten. Hunderttausende von chinesischen Soldaten blieben im Chaos dieses Krieges zurück. Derzeit läuft die achte Runde von Rückführungen ihrer Gebeine nach China, wo sie mit allen Ehren empfangen werden.

China.Table Redaktion

CHINA.TABLE REDAKTION

Licenses:
    • Ambitionierte Pläne gegen die “weiße Verschmutzung”
    • Südkorea: Hin- und hergerissen zwischen USA und China
    • Neuer Börsen-Platz für KMU
    • Wang Yi stellt Bedingungen für Klima-Gespräche
    • Harte Vorgaben für Unterhaltung
    • Verwirrung um ARM-Tochter
    • Kolumne: Johnny Erling über Xi-Denken an Schulen und Unis
    Liebe Leserin, lieber Leser,

    die Meere sind voll mit Plastik. Bilder von leeren Flaschen, bunten Tüten, weißen Kunststoff-Gabeln und halb vergammelte Einweg-Windeln und -masken, die an Küsten angespült werden, dürften den meisten bekannt sein. Auch an Land nimmt die “Flut” zu: Die überall verstreuten Plastikverpackungen beeinträchtigen die Schönheit der Stadt und der Landschaft. Und da die meisten Kunststoffverpackungen weiß sind, wird diese “weiße Verschmutzung” genannt.

    China hat genau damit ein massives Problem – und will nun mit Bioplastik gegensteuern. Die neu geplanten Produktionskapazitäten an Polymilchsäure übersteigen sogar das bisherige weltweite Herstellungsvolumen, wie unsere Autorin Christiane Kühl berichtet. Die Ambitionen sind hoch, die Erfolgsaussichten aber gedämpft: Der Nutzen von Biokunststoffen ohne industrielle Kompostierung ist begrenzt. Und dazu fehlt es in der Volksrepublik noch an Anlagen.

    In unserer zweiten Analyse werfen wir heute einen aktuellen Blick auf das Verhältnis von Südkorea zu den USA. Denn der Plan der Vereinigten Staaten, asiatische Militärstützpunkte zur Unterbringung von Flüchtlingen aus Afghanistan zu nutzen, kam in Seoul gar nicht gut an. In Südkorea befeuert das die Diskussion darüber, wie viel US-Präsenz das Land überhaupt noch will, schreibt Frank Sieren. Eine Debatte, die China nicht ungelegen kommt. Auch wegen der Situation mit Nordkorea blickt Seoul immer mehr nach Peking.

    Als interessantes Lesestück möchte ich Ihnen heute die Kolumne von Johnny Erling ans Herz legen. Er hat die neuen Schulbücher Chinas aufgeschlagen und dort das “Xi-Jinping-Denken” gefunden. Damit erreicht nicht nur der Personenkult um Xi einen neuen Höhepunkt. Sondern es ist auch ein Zeichen, dass Xi nach mehr als zehn Jahren im Amt weiter über China herrschen will und wird. 

    Ein schönes Wochenende wüscht

    Ihre
    Amelie Richter
    Bild von Amelie  Richter

    Analyse

    Mit Bioplastik gegen die “weiße Verschmutzung”

    In China wird nicht gekleckert, sondern geklotzt. Und so verwundert es kaum, dass dort auch der Einstieg in die Produktion von Bioplastik gleich in ganz großem Stil erfolgt. Eine einzige Firma, der Chemiekonzern BBCA Group aus Bengbu, ist hier Vorreiter. Das Unternehmen will einem Bericht der japanischen Zeitung Nikkei zufolge seine Kapazität für ein neuartiges, auf Maisstärke oder Zuckerrohr basierendes Vorprodukt massiv ausbauen. BBCA will ab 2023 mehr davon herstellen, als bisher auf dem gesamten Weltmarkt verfügbar ist. Nämlich rund 700.000 Tonnen Polymilchsäure (Polylactic Acid, PLA) pro Jahr. Die Prognose für den globalen PLA-Absatz für 2023 liege bei 370.000 Tonnen, schreibt Nikkei Asia. “Wir wollen unsere Antwort auf die ‘weiße Umweltverschmutzung’ zeigen”, zitierte die Zeitung BBCA-Präsident Li Rongjie.

    “Weiße Verschmutzung”, das sind die Massen weggeworfenen Plastikmülls, die Chinas Vorstädte, Straßenränder und Dörfer prägen. Mit dem wachsenden Konsum im Land stieg auch der Plastikverbrauch rasant. Müllabfuhr, Recyclingwirtschaft und Umweltbewusstsein konnten damit nicht Schritt halten. Das Ergebnis sind achtlos weggeworfene Essensverpackungen, in Bäumen hängende Plastikbeutel, überquellende Müllhäuschen auf dem Land. Nur in den Innenstädten der Metropolen achten die Behörden seit einigen Jahren auf mehr Sauberkeit und stellten an Gehwegen Mülleimer auf. Recycling steckt in den Kinderschuhen. 40 Prozent der gebrauchten Kunststoffe landen auf Deponien oder als Abfall im öffentlichen Raum. Schätzungen zufolge ist das Land für ein Viertel des weltweiten Plastikmülls in den Ozeanen verantwortlich.

    Pro Kopf produziert jeder Chinese allerdings laut dem im Mai publizierten Plastic Waste Makers Index der australischen Minderoo-Stiftung deutlich weniger Müll aus Einwegplastik als Menschen in den Spitzenländern Australien (59 Kilogramm pro Jahr), USA (53) und Südkorea (44). China liegt auf Rang 45 (18), Deutschland auf Rang 35 (22). Chinas staatliche Chemieriesen Sinopec und Petrochina allerdings gehören nach einer komplizierten Analyse zu den Polymer-Herstellern in der Welt, deren Produkte mit am meisten Müll aus Einwegplastik generieren (Rang 3 und 6).

    Lösung des Plastikproblems durch Aus für Einwegprodukte

    Peking will das Problem durch Verbote bestimmter Einweg-Plastikprodukte, besserem Recycling und der Förderung biologisch abbaubarer Kunststoffe lösen. Anfang des Jahres trat in Chinas Großstädten ein Verbot für Plastik-Trinkbecher, Wegwerfbesteck, Plastiktüten und ähnliche Produkte in Kraft – sofern sie nicht aus biologisch abbaubarem Kunststoff bestehen. Einweg-Plastiktrinkhalme sind sogar schon im ganzen Land verboten. Die anderen Produkte folgen ab 2025.

    Harte Daten zum Erfolg der Maßnahme gibt es noch nicht – aber bestimmte Veränderungen sind im Alltag zu beobachten. “Die meisten Einkaufszentren, Supermärkte oder Online-Lebensmittelläden haben auf PLA-Tüten umgestellt”, sagt die Plastik-Expertin Molly Jia von der Ellen MacArthur Foundation gegenüber China.Table. Auf Wochenmärkten seien aber noch traditionelle Plastikbeutel zu finden. Auch die Umsetzung bei Lieferservices ist bisher durchwachsen. “Generell wird die Regel in größeren Städten besser durchgesetzt als in kleinen, und in Städten besser als auf dem Land“, sagt Jia.

    Dass der Einzelhandel reagiert, zeigen auch Zahlen, nach denen biologisch abbaubare Alternativen wie PLA oder das auf fossiler Basis hergestellte kompostierbare Material Polybutylenterephthalat (PBAT) bei den Chemiekonzernen ausverkauft sind. Seit Jahresanfang fahren die Konzerne – darunter auch Sinopec – die PBAT-Produktion hoch. Die Materialien lassen sich neben Plastiktüten und andere Verpackungen auch für Mulchfolien in der Landwirtschaft nutzen.

    Effektivität von Bioplastik umstritten

    Die hochfliegenden Pläne von BBCA erscheinen zwar nach jetzigem Stand abstrus. Doch erwartet unter anderem Konkurrent Japan in China eine Förderwelle der lokalen Regierungen für Bio-Alternativen infolge des Plastik-Verbots. Hohe Subventionen könnten zu gewaltigen Kapazitätsausweitungen und niedrigen Preisen für Bioplastik in China führen, so Nikkei Asia.

    Demnach warten manche japanische Firmen vorerst ab, anstatt wie geplant große Summen in diesen Sektor zu investieren. Sie wollen nicht erleben, was globale Hersteller von Solarzellen, Windkraftanlagen oder LCD-Bildschirmen durchgemacht haben. Mit seiner preisgünstigen Fotovoltaik drängte China in kurzer Zeit sämtliche Platzhirsche der Welt aus dem Markt, darunter mehrere deutsche Firmen. Ähnlich war es bei Windkraft und LCD – und ähnlich könnte es auch bei Bio-Plastik laufen, befürchten Japans Firmen.

    Die Effektivität von biologisch abbaubarem Plastik ist indes durchaus umstritten. Denn es braucht unter anderem eine Mindesttemperatur, um zu zerfallen. Die meisten biologisch abbaubaren Kunststoffe zersetzen sich laut Molly Jia nur in kontrollierten Kompostanlagen mit Temperaturen von bis zu 50 Grad Celsius und sorgfältig eingestellten Feuchtigkeitsbedingungen. In China gebe es aber nur wenige solcher Anlagen, schrieb Jia in einer Studie für die Umweltorganisation Greenpeace East Asia. Viel sinnvoller als Bioplastik einzuführen, sei es, Einwegprodukte aus Kunststoff insgesamt zu reduzieren, Möglichkeiten zur Wiederverwertung zu finden und eine wirkliche Kreislaufwirtschaft aufzubauen, sagt sie. Auch eine Plastiksteuer fände sie sinnvoll.

    Importverbot von Plastikmüll wirkt

    Eine Verbotsdebatte bei Umweltthemen wie bei uns findet in China eher nicht statt. Die Regierung verbietet, wenn sie es für nötig hält – auch vor wenigen Jahren den Import von Müll, einschließlich Plastikabfällen. Der Westen schickte seinen Müll nach China, wo er vielfach in kleinen Klitschen ohne Umweltstandards recycelt wurde – wenn überhaupt. Auf diese Weise recycelte Plastiktüten wurden noch vor wenigen Jahren vielfach auf Märkten ausgegeben – und niemand wusste, ob ihr Material auch die Anforderungen für Lebensmittel entspricht.

    Der Plastik-Importbann habe die Materialwirtschaft in China verändert, sagt Rich Brubaker, Gründer der Nachhaltigkeits-Beratungsagentur Collective Responsibility in Shanghai. “Er führte zuerst unter anderem zu Engpässen bei bestimmten Materialien. Das brachte eine Reihe chinesischer Unternehmen zu Investitionen in die Abfallverarbeitung im Ausland. Dadurch konnten sie dort die Materialien so aufbereiten, dass sie auch neuen Standards entsprechen – und dann importieren”, so Brubaker zu China.Table. Es gebe inzwischen auch neue Standards etwa für Lebensmittelverpackungen. Beim Bioplastik ist Brubaker aufgrund des Fehlens von Kompostanlagen ähnlich skeptisch wie Molly Jia.

    Die heimische Bioplastik-Industrie spürt dennoch offenbar Rückenwind aus Peking. Dutzende Firmen planen derzeit den Aufbau einer Produktion. China muss dabei durchaus aufholen. PBAT etwa wurde in der Volksrepublik bis Mitte 2020 laut Nikkei Asia überhaupt nicht hergestellt, sondern nur importiert – unter anderem von BASF seit zehn Jahren unter dem Markennamen Ecoflex. Im Mai 2020 aber vereinbarte BASF mit der Firma Red Avenue New Materials Group eine PBAT-Lizenzfertigung in Shanghai, die 2022 starten soll. Die Produktionsanlage werde eine Kapazität von 60.000 Tonnen haben und Prozesstechnologie der BASF nutzen, teilte das Unternehmen damals mit. Weltweit werden Bioplastik gute Wachstumsraten vorausgesagt. Die Ludwigshafener halten auch China für einen vielversprechenden Markt.

    • BASF
    • Industrie
    • Nachhaltigkeit
    • Recycling
    • Verschmutzung

    Hinwendung zu China: US-Präsenz in Südkorea steht in Frage

    Seoul ärgert sich über Washington – denn die USA sollen ihre Pläne, Militärbasen in Südkorea und Japan als Standorte für die temporäre Aufnahme von Geflüchteten aus Afghanistan zu nutzen, vorab nicht kommuniziert haben. Auch in Stützpunkten in Spanien, Deutschland, dem Kosovo, Bahrain und Italien wollen die USA Geflohene zeitweise unterbringen. Song Young-gil, Vorsitzender der regierenden Demokratischen Partei (DP) Südkoreas, erklärte, die USA sollten zunächst die anderen Länder in Betracht ziehen, bevor sie afghanische Flüchtlinge nach Südkorea bringen.

    Die Antwort aus Seoul auf die US-Pläne war überdeutlich: “Die Sache wurde nicht mit unserer Regierung diskutiert und ich halte es für nicht realistisch“, erklärte Song. “Wäre es angesichts der Logistik nicht besser, in nahegelegene Länder auszuweichen?”

    Diese Episode ist deswegen von großer Bedeutung, weil die südkoreanische Politik, aber auch die Öffentlichkeit seit Jahren schon hin- und hergerissen sind: zwischen den Sicherheitsinteressen verbunden mit den USA und den wirtschaftlichen Interessen mit dem Nachbarn China. Inzwischen hat Washington seine Pläne auf Eis gelegt. 

    USA hat weiterhin Autorität über Militär im Kriegsfall

    Der chaotische US-Rückzug aus Afghanistan und die rasche Taliban-Übernahme werfen in Asien, allen voran in Taiwan und Südkorea, nun die Frage auf, inwieweit man sich auf einen langfristigen US-Militärschutz verlassen kann. Die USA haben rund 28.500 Soldaten in Südkorea stationiert – vor allem, weil der Koreakrieg nur mit einem Waffenstillstand mit Nordkorea und ohne Friedensvertrag endete. Damals hatte Südkorea sogar die operative Kontrolle über seine Truppen an das von den USA geführte UNO-Kommando übergeben.

    Die USA behielten diese Autorität bis 1994, als Südkorea die “operative Kontrolle” seiner Streitkräfte zurückbekam. In Kriegszeiten liegt die Führung aber weiter in den Händen der USA, die dann Hunderttausende südkoreanischer Truppen befehligen würden. Doch längst geht es nicht mehr um die Sicherheitsinteressen Südkoreas, sondern mehr um die politischen Interessen der USA in Asien.

    Parteichef Song betonte nun, dass die Ereignisse in Afghanistan unterstreichen, wie wichtig es für Südkorea sei, die operative Macht über seine Streitkräfte in Kriegszeiten wiederzuerlangen: “Wir müssen die Afghanistan-Krise als Chance nutzen, die Selbstverteidigungsfähigkeit zu stärken”, so Song. Die USA und Südkorea hatten 2018 vereinbart, einen dreistufigen Prozess einzuleiten, um zu prüfen, ob Seoul bereit ist, die Kontrolle über seine Truppen im Ernstfall zu übernehmen. Zum Abschluss gekommen ist dieser Prozess allerdings nicht. Stattdessen gab Seoul dem Druck der USA nach und stimmte im März einer 13,9-prozentigen Erhöhung des Zuschusses zu den Kosten der US-Soldaten zu.

    Peking freut sich über Spaltung der Partner Südkorea und USA

    Das war der höchste Zuwachs in fast zwei Dekaden. Die US-Truppen kosten Seoul nun mehr als eine Milliarde US-Dollar im Jahr. Seoul wollte das nicht ohne Widerstand akzeptieren: Noch nie hatten sich die Verhandlungen zwischen beiden Seiten so lange hingezogen, eine Einigung kam erst mehr als ein Jahr nachdem der Vertrag ausgelaufen war zustande. Die Südkoreaner haben aber weiterhin nicht annähernd das zahlen wollen, was Washington sich vorstellte.

    Erst als die US-Amerikaner die 9000 zivilen südkoreanischen Mitarbeiter nach Hause schickte, ohne sie weiterzubezahlen, lenkte Seoul ein. Aber auch Washington machte ein wichtiges Zugeständnis: Die USA erlaubten Seoul nun erstmals eigene ballistische Raketen aufzustellen, die weiter als 500 Kilometer fliegen können. “Das ist ein zentraler Wandel”, kommentiert das Wall Street Journal. Seouls Raketen können nun sogar Peking erreichen.

    Was auf den ersten Blick eher als neue Bedrohung für China scheint, wird in Peking aber generell begrüßt. Denn die US-Präsenz vor der Haustür war und ist der Volksrepublik über viele Jahrzehnte ein Dorn im Auge. Die Abwendung Südkoreas von den USA bringt für Beobachter aber neue Sorgen: “Die antiamerikanische Stimmung ist alarmierend”, sagt der US-Menschenrechtsanwalt Robert Carmona-Borjas. Er befürchtet, Südkorea könnte sich zu stark in Richtung China wenden. “Die USA interessieren sich für die Region, nicht für Südkorea im Besonderen,” kommentiert die Eurasia Review. “Die Mehrheit der Südkoreaner wurde getäuscht, als man sie im Glauben ließ, die US-Truppen ziehen nicht aus Südkorea ab, weil Südkorea wegen seiner geopolitischen Bedeutung vital für die amerikanischen Interessen ist.”

    Export-Abhängigkeit und BRI-Interesse

    Die Stimmung in der Bevölkerung gegenüber China ist noch komplizierter. Die Ablehnung steigt. In einer Umfrage von diesem Frühjahr kommt China nur auf 3.1 Punkte von 10 und liegt damit etwa auf dem gleichen Niveau wie Japan (3.2 Punkte). 2019 waren es für China noch 4.8 Punkte. Gleichzeitig wird jedoch auf bessere Geschäfte mit China gehofft, auch das Interesse am Militärdienst bei jungen Männern nimmt gleichzeitig ab: Pazifisten und Geschäftsleute finden hier zusammen.

    Denn die wirtschaftliche Abhängigkeit von China ist enorm. Ein Viertel der Exporte Südkoreas gehen nach China. Rechnet man Hongkong noch dazu, sind es ein Drittel, während auf die USA nur 13,6 Prozent entfallen. Erschwerend kommt hinzu: Die südkoreanische Wirtschaft ist noch sehr viel exportabhängiger als die deutsche. Mehr als 76 Prozent des BIP entfallen auf den Handel, während es in Deutschland nur 44 Prozent sind. Viele südkoreanische Güter werden zudem in China produziert und dann in andere Länder weiterverkauft. Sie tauchen in der Handelsstatistik nicht auf.

    Deswegen sind Seouls Politiker extrem vorsichtig, wenn es um die USA geht. Als die US-Amerikaner im Juli 2016 entschieden, ein neues Verteidigungssystem zu installieren, das weit nach China reichen könnte, drehte Peking Seoul die wirtschaftliche Zusammenarbeit kurzerhand ab. Bis die Südkoreaner schließlich einlenkten und die USA überzeugten, das neue System nicht weiter auszubauen. Wirtschaftliche Unterstützung aus Washington gab es nicht. Aus diesem Grund vermied Seoul einen allzu offensichtlichen Schulterschluss mit den USA beim Antrittsbesuch von Außenminister Antony Blinken in diesem Frühjahr. Auch die Kritik an Pekings Umgang mit Hongkong und den Uiguren in Xinjiang war sehr verhalten. 5G von Huawei ist nicht verboten und Seoul hat erstes Interesse gezeigt, der “Belt-and-Road”-Initiative beizutreten. 

    Abzug wird auch in USA weiterhin debattiert

    Während die Südkoreaner hin- und hergerissen sind, verebben nach dem Abgang von US-Präsident Donald Trump auch in den USA die Stimmen nicht, die fordern, die Präsenz zu überdenken. “Ein Abzug aus Südkorea ist keine wahrscheinliche Perspektive oder, so wie die Dinge stehen, gar eine gute Idee”, schrieb das US-Magazin Foreign Policy kürzlich, “aber mit ein wenig mehr Vorstellungskraft, könnte man doch an den Punkt kommen, an dem ein Abzug eine realistische Möglichkeit ist.” Ein solcher Satz wäre vor zehn Jahren noch nicht denkbar gewesen. In einer Umfrage vor einem Jahr sind zwei Drittel der US-Amerikaner dafür, sich mehr auf die Politik zu Hause zu konzentrieren und die US-Truppen in anderen Ländern abzuziehen. 

    Schon während der Trumps Amtszeit stand das US-Engagement in Südkorea zur Debatte. Erst wollte die USA Truppen zurückziehen, um Geld zu sparen. Als Trump erfuhr, dass Südkorea die Hälfte der Kosten trägt, forderte er Seoul auf, einen größeren Anteil an den Kosten der dort stationierten US-Truppen zu zahlen. Noch immer sehen viele mit Trump verbündete Republikaner das ähnlich. Und auf der linken Seite des politischen Spektrums fordern hochrangige US-Politiker wie Senator Bernie Sanders oder die Abgeordnete Alexandria Ocasio-Cortez weiterhin eine drastische Reduzierung des Pentagon-Budgets und eine zurückhaltendere globale Agenda der USA. 

    Einstweilen stellt Bidens nationaler Sicherheitsberater Jake Sullivan klar, die USA hätten “nicht die Absicht, Truppen aus Südkorea abzuziehen”. In diesem Monat hielten die USA und Südkorea trotz Drohungen aus dem Norden eine neuntägige Militärübung ab. Pjöngjang wirft den USA regelmäßig vor, solche Manöver dienten als Vorbereitungen für einen Angriff. Biden erklärte in einem Fernsehinterview, es gebe “einen grundlegenden Unterschied” zwischen Afghanistan und den asiatischen Partnern der USA. Die USA hätten eine “heilige Verpflichtung”, auf einen Angriff auf Japan, Südkorea oder Taiwan zu reagieren. Ob und wie viele Truppen man dazu vor Ort braucht, hat Biden nicht erwähnt. 

    Nordkorea treibt Seoul in Richtung Pekings

    Was den Umgang mit Nordkorea angeht, klaffen die Meinungen zwischen den Verbündeten mittlerweile weit auseinander. Beide Seiten sind für die Wiederaufnahme von Gesprächen und wollen, dass Nordkorea sein Atom- und Raketenprogramm einstellt. Während Südkorea jedoch bereits wirtschaftliche Beziehungen zum Norden aufbauen will, fordern die USA, dass Nordkorea zuerst seine Denuklearisierung einleitet.

    Die Befürchtung von Seoul: Nachdem die internationalen Strafmaßnahmen dazu beigetragen haben, dass Nordkorea zuletzt kritische Engpässe bei der Versorgung mit Lebensmitteln erleiden musste, könnte Seoul mit rasanten Entscheidungen kontern. Und tatsächlich meldete die International Atomic Energy Agency (IAEA) Ende vergangener Woche “mit großer Sorge”, dass Nordkorea seit Juli wieder an der Atomanlage in Yongbyon arbeitet. Nun geht Seouls Hilfe suchender Blick nicht in Richtung USA, sondern in Richtung China. Der Einfluss von Peking in Pjöngjang gilt in Seoul als weitaus größer als der Einfluss Washingtons.  

    • Afghanistan
    • Geopolitik
    • Militär
    • Südkorea
    • USA

    Termine

    06.09.2021, 10:00 – 11:00 Uhr (16:00 – 17:00 Uhr Beijing Time)
    EU SME Centre, Webinar: China Publishing Business Collaboration Webinar Anmeldung

    06.09.2021, 14:00 – 15:00 Uhr
    IfW Kiel, Research Seminar: Technology Transfer and Early Industrial Development: Evidence from the Sino-Soviet Alliance Mehr

    07.09.2021, 16:00 – 17:00 Uhr
    IAPP – International Association of Privacy Professionals, Webinar: Understanding China’s New Personal Information Protection Law Mehr

    07.09.2021, 15:30 – 16:30 Uhr
    The NPD Group, Webinar: Deep Dive: China’s Luxury Market Mehr

    08.09.2021, 15:00 – 16:00 Uhr
    Investment Company Institute (ICI), Webinar: China’s New Anti-Foreign Sanctions Law and Impact on Global Asset Managers Anmeldung

    09.09.2021, 18:00 Uhr
    Konfuzius-Institut Düsseldorf, Vortrag: Poeten der Humanität: Konfuzius – Yunus Emre – Adam Mickiewicz Anmeldung

    10.09.2021, 10:00 – 12:00 Uhr (16:00 – 18:00 Uhr Beijing Time)
    EU SME Centre, Webinar: Overview of China’s Biopharma Sector: Market Access & IP Rights Anmeldung

    News

    Peking bekommt neue Börse für Mittelständler

    Peking soll neuer Aktien-Handelsplatz werden: China werde in seiner Hauptstadt eine Börse für kleine und mittelständische Unternehmen (KMU) einrichten, gab Präsident Xi Jinping am Donnerstag bekannt. Damit solle die “innovationsgetriebene Entwicklung” von KMU weiterhin unterstützt werden, so Xi in einer Videoansprache bei der Eröffnung der Internationale Messe für den Dienstleistungshandel (CIFTIS), wie Staatsmedien meldeten. Die beiden wichtigsten Börsen des chinesischen Festlandes befinden sich derzeit im Finanzzentrum Shanghai und in Shenzhen an der Grenze des Festlandes zu Hongkong.

    Die Neugründung der Börse soll einem Upgrade und Reform des sogenannten “New Third Board” entsprechen, sagte Xi weiter. Als “New Third Board” wird der Direkthandelsplatz National Equities Exchange And Quotations (NEEQ) bezeichnet. Dort werden Aktien gehandelt, die weder in Shenzhen noch Shanghai notiert sind. Bis Ende 2020 waren einem Bericht von CGTN zufolge insgesamt 8.187 Unternehmen im NEEQ gelistet. Davon entfielen demnach 94 Prozent auf KMU mit einer Gesamtkapitalisierung von rund 2,65 Billionen Yuan (410 Milliarden US-Dollar).

    Die Regierung in Peking zieht derzeit die Daumenschrauben bei Unternehmen an, die im Ausland börsennotiert sind. Den Markt für Börsengänge in den USA dürfte das rigorose Vorgehen Chinas empfindlich treffen, prognostizieren Experten (China.Table berichtete). In den vergangenen zehn Jahren waren die USA für chinesische Unternehmen eine wichtige Finanzierungsquelle. ari

    • Aktien
    • Börse
    • Finanzen
    • Handel
    • Xi Jinping

    Bedingungen für Kooperation beim Klimaschutz

    China hat den USA Bedingungen für eine Kooperation im Klimaschutz gestellt. Washington könne nicht einerseits versuchen, die Entwicklung seines Landes einzudämmen – und andererseits auf eine Zusammenarbeit drängen, sagte Außenminister Wang Yi während eines Besuchs des US-Klimagesandten John Kerry am Donnerstag in Tianjin. Wang warf der Regierung von Präsident Joe Biden eine “große strategische Fehlkalkulation gegenüber China” vor. Die USA müssten aufhören, “China als Bedrohung und als Gegner zu sehen” und Peking auf halbem Wege entgegenkommen.

    Wang schlägt damit die gleichen Töne an wie bei seinem Treffen mit US-Vizeaußenministerin Wendy Sherman (China.Table berichtete). Die Politik des “Es reicht uns” scheint zu einer grundsätzlichen Strategie Pekings gegenüber Washington geworden zu sein. In diesem Fall: Nur wenn die Beziehungen insgesamt “gesund” seien, könne Peking über Dinge wie eine Verschärfung der Klimaziele reden. “Der Ball liegt auf der Seite der USA”, so Wang Yi.

    Kerry betonte im Gespräch mit Wang, China spiele eine “super entscheidende Rolle” beim Klimaschutz. Er ermutigte China zudem, zusätzliche Maßnahmen gegen klimaschädliche Emissionen zu ergreifen. Kerry ist nach Tianjin gereist, um mit seinem chinesischen Konterpart Xie Zhenhua den Klimagipfel im November in Glasgow vorzubereiten. Details zu diesen Gesprächen sind noch nicht bekannt. Am Donnerstag konferierte Kerry außerdem mit Vize-Ministerpräsident Han Zheng.

    China und die USA sind die größten Emittenten klimaschädlicher Gase wie CO2. Ihre Zusammenarbeit ist daher für das Weltklima und den Klimaschutz von entscheidender Bedeutung. Viel Zeit für geopolitisches Geplänkel bleibt daher eigentlich nicht: Der Weltklimarat IPCC hatte im August einen Bericht vorgelegt, nach dem die Erderwärmung schon 2030 den Wert von 1,5 Grad erreichen könnte. Das wäre zehn Jahre früher als noch vor drei Jahren angenommen. Kerry ist noch bis zum heutigen Freitag in Tianjin. ck

    • Geopolitik
    • John Kerry
    • Klima
    • Nachhaltigkeit
    • Wang Yi

    Verbot von Reality-Shows und hohen Gagen

    Die chinesischen Behörden haben ihr hartes Vorgehen gegen die Unterhaltungsindustrie weiter verschärft. Die Sender wurden am Donnerstag angewiesen, Künstler mit “inkorrekten politischen Positionen” von Programmen auszuschließen. Es müsse eine “patriotische Atmosphäre” kultiviert werden, wie die Nationale Radio- und Fernsehbehörde (NRTA) mitteilte. Die Regulierung von Kulturprogrammen müsse verschärft werden.

    Zudem wurden Reality-Talentshows verboten und Medien dazu angehalten, eine maskulinere Repräsentation von Männern zu fördern. “Sendeanstalten dürfen keine Varieté- und Reality-Shows zeigen”, erklärte die Regulierungsbehörde. Sie wies die Sender an, sich gegen “abnormale Ästhetik” wie “verweichlichte” Männer sowie gegen “vulgäre Influencer”, aufgeblasene Gagen und “verkommene Moral” von Künstlern zu wehren. 

    NRTA kündigte außerdem Vorschriften zur Begrenzung der Gagen für Schauspieler und Schauspielerinnen an. Sie sollen zudem dazu ermuntert werden, an Wohlfahrtsprogrammen teilzunehmen und mehr soziale Verantwortung zu übernehmen. Steuerhinterziehung solle streng geahndet werden. Die Unterhaltungsindustrie geriet zuletzt ins Fadenkreuz nach einer Reihe von Skandalen um Steuerhinterziehung und sexuelle Übergriffe (China.Table berichtete). ari

    • Gesellschaft
    • Kultur

    ARM: China-Tochter wurde nicht abtrünnig

    Verwirrung um die China-Tochter des wichtigen Halbleiter-Dienstleisters ARM aus Großbritannien: Das Unternehmen weist Berichte zurück, denen zufolge sich Landeschef Allen Wu mit geistigem Eigentum der Firma selbständig gemacht habe. Zwar befinden sich das Mutterhaus und die China-Tochter schon seit Längerem im Clinch. ARM wollte seinen China-Chef Allen Wu im vergangenen Jahr entlassen, doch dieser weigerte sich zu gehen. Es kam zum Rechtsstreit. Unterdessen stellte sich heraus, dass Wu eigene Geschäftsinteressen verfolgt und offenbar Aufträge zwischen eigenen Firmen und ARM China hin- und hergeschoben hat.

    Doch verschiedene Berichte, die im Laufe dieser Woche behauptet haben, Wu sei mit Patenten von ARM vollends abtrünnig geworden, scheinen nicht zu stimmen. ARM stellt gegenüber den Medien klar, dass sich gar nicht so viel geändert habe. Das Unternehmen streitet sich zwar absurderweise immer noch mit seiner China-Tochter. Und diese entwickelt offenbar eigene Technologien und Produkte und zeigt auch sonst ein erstaunliches Eigenleben. Doch zumindest die Vorstellung vom Technik-Klau durch die eigene Belegschaft scheint eine Fehlinterpretation zu sein. ARM stellt klar, dass es weiterhin Millionen von Komponenten über ARM China absetzt. fin

    • ARM
    • Technologie

    Presseschau

    China warns US poor relations could undermine progress on climate change THE GUARDIAN
    China Report Links State-Secrets Allegations Against Two Canadians WSJ (PAY)
    China tells broadcasters to shun artists with ‘incorrect political positions’ and effeminate styles INDEPENDENT
    HSBC’s CEO Has His Eye on China Wealth Beyond Xi’s Crackdown BLOOMBERG (PAY)
    Survey shows 98.3% of Chinese respondents believe US is responsible for out-of-control world pandemic GLOBALTIMES (STAATSMEDIUM)
    Taliban-Sprecher: China unser «Passierschein» FAZ
    Xi Jinping kündigt neuen Aktienmarkt in Peking an HANDELSBLATT (PAY)
    China gibt USA die Schuld für schlechte Beziehungen WELT
    Wie Xi aufräumen und umverteilen will SUEDDEUTSCHE (PAY)
    Volkswagen: ID.3 soll die Verkäufe in China ankurbeln – Aktie vor wichtiger Hürde DER AKTIONÄR

    Kolumne

    Pekings neue Lehrbücher: “Ich bin ein Schüler Xi Jinpings”

    Von Johnny Erling
    Ein Bild von Johnny Erling

    In Zhuxian, einer Ortschaft bei Kaifeng, versteckt sich eine pittoreske Tempelanlage, die im 15. Jahrhundert zum Ruhm des songzeitlichen Generals Yue Fei (1103-1142) errichtet wurde. Sein Name steht in China traditionell als Inbegriff für patriotisches Verhalten. Als ich 2019 den Platz besuchte, wurde Yue Feis Leben mit einem auf große Schautafeln kopierten Comic aus den 1950er-Jahren ausgestellt. Das Bilderbuch pries den Heerführer, der sich sein früheres Königreich wieder erobern wollte.

    Nach der Erklärung des Museums hat die Mutter von Xi Jinping diesen Comic ihrem Sohn einst vorgelesen. Den kleinen Xi hätte besonders die Stelle fasziniert, als Yue Feis Mutter ihrem 24-jährigem Sohn mit einer glühenden Nadel vier Schriftzeichen in den Rücken gravierte: “Jin Zhong Bao Guo”  (精忠报国) –  “Diene Deinem Land mit größter Loyalität”. Xi Jinping selbst erinnerte sich später: “Damals fragte ich meine Mutter: Das tat ihm doch sehr weh! Sie antwortete mir: Ja, aber von da an dachte er immer an sein Land. Seither bewahre ich diese vier Zeichen in meinem Herzen auf, damit sie auch mich ein Leben lang begleiten.”   

    General Yue Fei Anekdote Xi Jinping
    Figur im Zhuxian-Tempel von General Yue Fei, der sich von seiner Mutter Schriftzeichen mit patriotischer Bedeutung auf den Rücken tätowieren lässt.

    Die rührselige Anekdote steht im neuen Schulbuch für die dritte Klasse Grundschule, meldete die britische Financial Times (FT). Xis Geschichten, Gedanken und seine Äußerungen über sozialistische Werte finden zum neuen Schuljahr Eingang in den Unterricht. So soll schon bei den Kleinsten Patriotismus geweckt und alle Auszubildenden gegen westliche Einflüsse immunisiert werden. Gegenüber FP-Reportern empörten sich heimlich einige Eltern: Sie fühlten sich an den Personenkult zu Zeiten Maos erinnert. 

    Das “Komitee für nationale Lehrbücher” unter dem Erziehungsministerium (MOE) hatte die Richtlinien festgelegt, um in das Curriculum für den jeweiligen Ausbildungsgang (von den Grund- und Mittelschulen bis zur Universität) die “Gedanken von Xi” aufzunehmen. Dessen Theorien seien als offizielle Leitideologie Chinas seit dem 19. Parteitag 2018 in den Parteistatuten und in der Verfassung festgeschrieben. Daher “müssen wir auch die Köpfe der Schüler mit Xis Denken bewaffnen.” Über anschauliche Beispiele und in lebendiger und konkreter Sprache sollten die jüngsten Schüler indoktriniert werden, China, die Partei und den Sozialismus zu lieben und dass “Generalsekretär Xi Jinping die Partei und das Volk führt.” Graduierte müssten seine Theorie “studieren und interpretieren können.” Die Richtlinien würden künftig auf alle Unterrichtssparten ausgeweitet. 

    Die Integration von Xi Jinpings Gedanken als direkter Teil der Erziehung ist die Fortsetzung seiner ideologischen Neuausrichtung der Schulausbildung, die er als Parteichef nach seiner Wahl Ende 2012 verlangte. Als Erstes führte er das staatliche Monopol auf zentralisiertes und vereinheitlichtes Lehrmaterial wieder ein. Er ließ die Schulbücher revidieren. Neben verstärkter Lehre in traditioneller Klassik, Dichtkunst und Literatur sollen sie den Schülern vor allem kommunistische Ideale, Liebe für den Kollektivismus und ein “korrektes” Verständnis der Geschichte und der nationalen Souveränität Chinas einbläuen.   

    Von September 2014 mühten sich 140 Fachleute, die neuen Schulbücher zu verfassen. Im Chinesisch-Lehrbuch, das zum Schulanfang 2018 im September an Millionen Erstklässler verteilt wurde, zeigt die Eingangs-Zeichnung eine große Kinderschar der 56-chinesischen Nationalitäten. Die Schüler sollen nun suchen, ob sie sich als Hanchinesen, Tibeter oder Mongolen erkennen. Auf dem Bild stehen die Minoritäten-Kinder vor der roten Staatsfahne am Pekinger Tiananmen-Tor und rufen unisono: “Ich bin ein Chinese.” Das ist die erste Lektion für die sechsjährigen Leser. Als Nächstes lernen sie danach das “Lied zum Schulanfang singen: “Ich liebe das Lernen, ich liebe die Arbeit. Wenn ich erwachsen bin, will ich dem Vaterland dienen.”    

    Schulbuch China 2018
    Seite des Schulbuchs “Chinesische Sprache” von 2018 für die erste Klasse: Kinder in den Trachten der 56 nationalen Minderheiten Chinas. Alle rufen: “Ich bin ein Chinese”

    Xi Jinping brachte die Schulbücher wieder auf Linie. Mit einem Strich machte er alle vorhergehenden Reformen zunichte. Von Anfang 2000 hatten mehr als 70 Akademien und Verlage 167 experimentierfreudige moderne Lehrbücher für 22 Schulfächer als Ergänzung zum Pflicht-Lehrstoffs entwickelt. Peking erlaubte in der damaligen Aufbruchs-Atmosphäre sie als Pilotprojekte zu nutzen. China war der Welthandelsorganisation (WTO) beigetreten. Sein Volkskongress verankerte das Recht auf Eigentum und den Schutz der Menschenrechte erstmals in der Verfassung.   

    Das schlug sich im Curriculum und in Reform-Schulbüchern nieder wie in der 2006 erschienenen sechsbändigen Pekinger Reihe “Neue Bürger” (新公民) für Schüler ab der dritten Klasse. Es beginnt mit “Erkenne Dich selbst” und der Aufforderung: “Schau in den Spiegel. Wen siehst Du da? Dich selbst! So wie es in der ganzen Welt keine zwei Blätter gibt, die sich gleichen, bist auch Du auf dieser Welt einzigartig. Kannst Du Dich ausstehen? Stell Dich vor Deinen Spiegel und sage: Ich mag mich!”    

    China Reformschulbuch
    Erste Leseseite des Pekinger Reformschulbuchs “Neue Bürger” von 2006: “Blick in den Spiegel. Erkenne Dich selbst.”

    100 namhafte Erzieher, Historiker, Sozial- und Naturwissenschaftler erarbeiteten die modernen Lehrstoffe für den Pekinger Universitätsverlag. Absicht war, Chinas Schüler auf eine globalisierte Welt vorzubereiten, bei der es auf Eigeninitiative, kritische Nachfrage, Selbstbewusstsein und Fähigkeit zur Innovation ankommt. Jeder Schüler sei mehr als nur ein austauschbares Schräubchen im sozialistischen Getriebe, wie der Mustersoldat Lei Feng, den heute Parteichef Xi Jinping wieder als Idealfigur anpreisen lässt. Die heutigen Schulbücher verlangen die Einordnung des Einzelnen unter das Kollektiv und die Demonstration von Sekundärtugenden wie Fleiß, Gehorsam und zivilisiertes Benehmen.

    Die Partei messe der sozialistischen Orientierung im Erziehungsbereich “hohe Priorität” zu, ließ Xi auf der Tagung seines Politbüros diesen Dienstag verkünden. Mit seiner jüngsten Reform der Schulbücher hat er die Jugend von der einst kritischen Reformfrage “Wer bin ich?” abgebracht. Jetzt sollen die Antworten lauten: “Ich bin ein Chinese” und “Ich bin ein Schüler Xi Jinpings.” 

    • Bildung
    • Gesellschaft
    • Kinder
    • KP Chinas
    • Xi Jinping

    Personalien

    Sebastian Klumpp hat bei Mercedes-Benz in Stuttgart die Zuständigkeit gewechselt. Zuvor war er Market Manager für Taiwan, jetzt betreut er China. Er hat bereits Erfahrungen als Business Development Manager Greater China und Program Manager Office China gesammelt.

    Sascha Ambrock wurde im August bei Bosch in China Senior Project Manager für Brennstoffzellen am Standort Wuxi. Ambrock ist dafür von Stuttgart nach Jiangsu umgesiedelt. Er kommt aus der Entwicklung von Komponenten für Dieselmotoren.

    Dessert

    Chinesische Soldaten tragen auf dem südkoreanischen Flughafen Incheon Särge zu einem Transportflugzeug. Sie enthalten Überreste chinesischer Armeeangehöriger, die im Koreakrieg gestorben sind. Mao Zedong hatte die “Volksfreiwilligentruppe” 人民志愿军 1950 als inoffizielle Verbände in das Nachbarland geschickt, um an der Seite Nordkoreas die US-Amerikaner zu bekämpfen. Inoffiziell, weil er keinen Krieg mit den USA riskieren wollte. Die USA akzeptierten diese Scharade, weil sie ihrerseits kein Interesse an einer Eskalation hatten. Hunderttausende von chinesischen Soldaten blieben im Chaos dieses Krieges zurück. Derzeit läuft die achte Runde von Rückführungen ihrer Gebeine nach China, wo sie mit allen Ehren empfangen werden.

    China.Table Redaktion

    CHINA.TABLE REDAKTION

    Licenses:

      Jetzt kostenlos anmelden und sofort weiterlesen

      Keine Bankdaten. Keine automatische Verlängerung.

      Sie haben bereits das Table.Briefing Abonnement?

      Anmelden und weiterlesen