Table.Briefing: China

Sinologen zur Xinjiang-Reise + Josie-Marie Perkuhn im Interview

Liebe Leserin, lieber Leser,

das chinesische Außenministerium hat die deutsche Botschafterin in Peking für eine Standpauke herbeizitiert – oder, wie es im Diplomatendeutsch heißt, “einbestellt”. Grund war eine Äußerung ihrer Chefin Annalena Baerbock, die Xi Jinping in einem Halbsatz als Diktator bezeichnet hat. China ist da dünnhäutig, nachdem schon Joe Biden diesen Begriff verwendet hat.

Den Chinaforschern Thomas Heberer und Helwig Schmidt-Glintzer wird mangelnde Distanz zum chinesischen Parteistaat vorgeworfen. Das ist relevant, weil die beiden emeritierten Professoren seit Jahrzehnten den Ton in der deutschen China-Forschung mitbestimmen.

Viele ihrer Kollegen fragen sich, was die beiden bewegt hat, einen Meinungsbeitrag für die NZZ zur Situation in Xinjiang zu verfassen, der eine “Normalisierung” ausmacht und das baldige Ende der EU-Sanktionen gegen Funktionäre aus Xinjiang empfiehlt. China.Table hat bei den Autoren nachgefragt und eine Antwort erhalten, die wir heute als Standpunkt veröffentlichen. Der Beitrag wird für weitere Diskussionen sorgen. Wir werden weiterhin über den Streit unter deutschen Sinologen berichten und weitere Stimmen zu Wort kommen lassen.

Diskussionsstoff liefert zunehmend auch die wachsende militärische Präsenz der chinesischen Marine und Luftwaffe in der Straße von Taiwan. Ist sie nicht ein Widerspruch zum chinesischen Plan einer Wiedervereinigung durch wirtschaftliche Integration, der vergangene Woche neu aufgelegt worden ist?

Darüber hat Michael Radunski mit der Sinologin Josie-Marie Perkuhn gesprochen, die zurzeit in Taiwan weilt. Perkuhn glaubt nicht an eine offene Eskalation in naher Zukunft: In China spiele man Go und nicht Schach. Das bedeutet, Peking setze mehr auf indirekte Einflussnahme, statt auf direkte Konfrontation.

Tatsächlich wirkt chinesische Softpower unaufhörlich auf Taiwan ein – über soziale Medien, Technologie oder Sprache. Dennoch nimmt Perkuhn eine weiter zunehmende Entfremdung zwischen der chinesischen und der taiwanischen Gesellschaft wahr. Ob das allerdings die Chancen auch für einen langfristigen Frieden ohne Wiedervereinigung erhöht, ist zweifelhaft.

Ihr
Marcel Grzanna
Bild von Marcel  Grzanna

Interview

“Es gibt eine große Entfremdung zwischen dem Festland und Taiwan”

Josie-Marie Perkuhn leitet das Projekt “Taiwan als Pionier” an der Uni Trier.

Peking hat einen neuen Taiwan-Plan vorgelegt. Mit dem “Aufbau einer Demonstrationszone für die integrierte Entwicklung über die Taiwanstraße” will man die Taiwan-Frage durch wirtschaftliche Verflechtung lösen. Sie sind gerade in Taiwan. Wie kommt der Vorschlag dort an?

Das wird Sie jetzt vielleicht überraschen, aber auf den Straßen Taipehs wird dieser Plan kaum wahrgenommen. Auch in den offiziellen Nachrichten spielt er so gut wie keine Rolle.

Das überrascht tatsächlich, denn gleichzeitig werden in den Gewässern rund um Taiwan mehr als 60 chinesische Kriegsschiffe und Kampfjets gesichtet.

Das stimmt. Und dennoch ist die Stimmung hier in Taipeh eine völlig andere. Den normalen Taiwanern merkt man nicht an, dass irgendeine Bedrohungslage zunimmt. Es herrscht eine große Diskrepanz in der Wahrnehmung zwischen den Fachzirkeln und der breiten Bevölkerung.

Was ist der Grund dafür?

Zum einen ist der Vorstoß aus Peking nicht herausragend genug. Die Ideen sind nicht sonderlich neu. Brücken zwischen dem Festland und den vorgelagerten Inseln werden schon seit Jahren diskutiert. Zum anderen stelle ich in der Bevölkerung eine gewisse Resilienz gegenüber der Volksrepublik fest.

Was meinen Sie damit?

Ich meine damit einen gewissen Trotz und Abwehrhaltung gegen die bestehende Bedrohungslage. Man will sich seinen Alltag nicht aus Peking diktieren lassen. Durch diese Art von Resilienz will man sich auch vor einem chinesischen Einfluss auf die anstehende Präsidentenwahl im Herbst schützen.

Wenn nicht Pekings neuer Vereinigungsplan die Diskussionen beherrscht und auch nicht die Kriegsschiffe, was sind dann die Themen des Wahlkampfs?

Der Wahlkampf scheint momentan viel mehr um die zur Wahl stehenden Personen und ihre Integrität zu gehen als um Sachthemen. Digitalisierung, Minderheiten- und Sprachpolitik oder auch Themen wie Klimaschutz und die grüne Energiewende scheinen in den Hintergrund geraten zu sein. Erstaunlich ist an dieser Stelle die bisher nahezu stumme Jugend in der politischen Meinungsbildung.

Und das Verhältnis zu Peking?

Das Verhältnis zu Peking spielt schon eine wichtige Rolle im Wahlkampf. Die KMT verfolgt im Wahlkampf die Linie der wirtschaftlichen Zusammenarbeit von dem ehemaligen Präsidenten Ma Ying-jeou und setzt auf ein besseres Verhältnis zum Festland, engere wirtschaftliche Beziehungen, mehr Handel. Aber das impliziert keinen Ausverkauf Taiwans. Die KMT ist keine Partei, die für einen Anschluss wirbt. Sie erwarten nur durch die Wahrung des Status Quo weniger konfrontative Fahrwasser und Zuwachs der wirtschaftlichen Erfolge. 

Sie beschreiben die Stimmung in Taiwan mit “nicht diktieren lassen” und “vor chinesischen Einfluss schützen”. Im Gegensatz dazu spricht Peking von “Brüdern und Schwestern” und “einer Familie auf beiden Seiten der Taiwanstraße”. Passt das zusammen?

Kaum. Es gibt eine große Entfremdung zwischen dem Festland und Taiwan. Ich habe mit vielen Taiwanern gesprochen, die nun nach der Corona-Pandemie wieder aufs Festland reisen. Die meisten haben ein sehr mulmiges Gefühl. Gerade die emotionale Stimmung unter einstigen Austauschpartnern hat sich verändert.

Woran liegt das?

Nehmen wir den Einsatz neuer Techniken: Auf dem Festland wird innovative Technik eingesetzt, um die Menschen besser kontrollieren zu können, jeder wird getrackt. In Taiwan hingegen dienen neue Techniken dazu, mehr demokratische Partizipation zu ermöglichen. Diese Differenz zwischen Autokratie und Demokratie wirkt tief in den Gesellschaften und sorgt für eine fortschreitende Entfremdung.

Glauben Sie, Peking weiß das nicht? Warum spricht man dennoch von einer Familie?

Natürlich ist sich Peking dieser Entfremdung bewusst. Aber die Machthaber basteln ihr eigenes Narrativ. Und ihre Erzählung richtet sich gar nicht so sehr an die Taiwaner selbst, zumindest nicht an die aktuelle Regierung Taiwans. Vielmehr will Peking der internationalen Gemeinschaft zeigen, dass man gar nicht konfrontativ gegenüber Taiwan ist. China geriert sich als vermeintliche Friedensmacht.

Im Gegensatz dazu wird hier im Westen ein möglicher Angriff Chinas auf Taiwan heiß diskutiert. Eine Theorie besagt, dass Xi Jinping bald losschlagen werde, weil Chinas Machthaber fürchtet, eine einmalige Chance zu verpassen. Wie lautet Ihre Einschätzung als Taiwan-Expertin dazu?

Xi Jinping steckt tatsächlich in einer selbstgemachten Zwickmühle, schließlich will er die Vereinigung mit Taiwan als sein politisches Erbe verwirklichen. Aber ich gehe nicht davon aus, dass vor der Wahl in Taiwan etwas passieren wird. Angesichts des überraschenden Angriffs von Wladimir Putin auf die Ukraine klingt diese Aussage vielleicht gewagt. Aber schlussendlich liegt die Entscheidungsgewalt in Peking. Dort wird entschieden, ob ein perfektes Zeitfenster für einen Angriff vorliegt. 

Was wären mögliche Auslöser?

Wenn zum Beispiel die USA aus irgendeinem Grund außenpolitisch weiter instabil werden. Wenn Peking zum Schluss kommt, in Washington gibt es keinen Entscheider, der im Konfliktfall eingreifen würde. Ist das nicht gegeben, wird Peking lieber auf den Faktor Zeit setzen.

Trotz Chinas militärischer Aufrüstung, trotz der immer größeren Manöver und Kriegssimulationen und trotz Xis harscher Rhetorik gegenüber Taiwan?

Ja. Ich glaube, wir schätzen Peking machtpolitisch falsch ein. In China spielt man Go, und nicht Schach. Peking setzt mehr auf indirekte Einflussnahme, statt auf direkte Konfrontation.

Was wäre eine indirekte Einflussnahme?

Damit meine ich subtile Maßnahmen wie Beeinflussung der anstehenden Wahl durch Manipulation oder durch Informationskampagnen und Cyberangriffe. Und dieser Gefahr ist man sich in Taiwan wiederum durchaus bewusst.

Wenn Peking also keinen direkten Angriff plant, sind Delegationsreisen auf dem Westen und aus Deutschland nach Taiwan dann eine unnötige Provokation? Peking reagiert immer sehr heftig und spricht von einer Verschlechterung der Sicherheitslage.

Nein. Es ist sinnvoll, Netze und Kontakte aufzubauen. Das ist wichtig für uns im Sinne einer Diversifizierung von China. Das passende Stichwort hierzu lautet Abbau der wirtschaftlichen Abhängigkeit.

Und für Taiwan?

Auch für Taiwan ist es wichtig zu wissen: Sollte es zu einem Angriff kommen, gibt es Partner und Verbündete. Deutschland genießt in Taiwan einen sehr guten Ruf. Das sollten wir nutzen.

Josie-Marie Perkuhn ist Projektleiterin “Taiwan als Pionier” im Fach Sinologie an der Universität Trier und Non-Resident Fellow am Institut für Sicherheitspolitik an der Christian-Albrechts- Universität zu Kiel.

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Analyse

Kleidungs-Paragraf ist Juristen zu unklar

Mütze mit der Aufschrift “Free Tibet”: Dem neuen Gesetz zufolge definitiv ein Kleidungsstück, das “die Gefühle der chinesischen Nation” verletzt. Doch die Regeln könnten viel weiter interpretiert werden.

Ein Gesetzesentwurf, demzufolge Menschen künftig für die Wahl ihrer Kleidung bestraft werden könnten, sorgt in China seit Tagen für hitzige Diskussionen. Dabei geht es um einen neuen Passus im bereits 2006 in Kraft getretenen Gesetz zur öffentlichen Sicherheit. Der Ständige Ausschuss des Nationalen Volkskongresses hat Anfang des Monats einen Entwurf mit zahlreichen Ergänzungen dieses Gesetzes vorgelegt.

Das ist zunächst nichts Ungewöhnliches. In einigen Fällen handelt es sich bei den Änderungen beispielsweise um Anpassungen, die aufgrund technologischer Veränderungen notwendig geworden sind. So will man gesetzlich regeln, wie künftig unerlaubte Drohnenflüge geahndet werden. 

Für Ärger sorgt allerdings Paragraf 34 des aktualisierten Gesetzes. Danach sollen Kleidungsstücke und Symbole, die die “Gefühle der chinesischen Nation” verletzen, verboten werden. Man stelle sich etwa T-Shirts mit “Free Tibet”-Aufdruck vor. Auch geht es in dem Entwurf darum, gegen Revolutionshelden gerichtete Beleidigungen, wie das Beschmieren ihrer Grabsteine, stärker zu ahnden.

Der Wortlaut von den verletzten Gefühlen ist vertraut. Bisher hat die chinesische Führung diese Formulierung vor allem dann gerne verwendet, wenn es darum ging, auf vermeintliche Beleidigungen durch ausländische Staaten und Unternehmen zu reagieren. 

China erzwingt Entschuldigungen

Die Liste derer, die diesen Vorwurf abbekamen, ist lang. Aktuell trifft er Außenministerin Annalena Baerbock. Da war aber auch der US-Modekonzern Gap, der sich 2018 dafür entschuldigt hat, T-Shirts mit einer Landkarte Chinas verkauft zu haben, auf der Taiwan fehlte. Auch der US-Schauspieler und Wrestler John Cena entschuldigte sich vor zwei Jahren (sogar in mehr oder weniger fließendem Mandarin) dafür, Taiwan “versehentlich” als Nation bezeichnet zu haben. Die Formulierung von den verletzen Gefühlen wird von Peking so häufig verwendet, dass es inzwischen sogar einen eigenen Wikipedia-Eintrag dafür gibt

Im Ausland wurde der Ausdruck schon oft und zu Recht kritisiert. Denn natürlich erscheint es fraglich, ob es Sachverhalte gibt, bei denen sich ein ganzes Volk pauschal vor den Kopf gestoßen fühlt. Vor allem sollte sich keine Regierung anmaßen, das für die eigene Bevölkerung zu entscheiden.

Genau dies geht offenbar auch vielen Chinesen auf. Denn sie laufen jetzt Gefahr, selbst Opfer der umstrittenen Phrase zu werden. Wer künftig mit seiner Kleidung die Gefühle der Nation verletzt, dem drohen laut Gesetzentwurf bis zu 15 Tage Haft oder eine Geldstrafe von bis zu 5.000 Yuan (681 Dollar).  

Auch Chinas Juristen kritisieren Entwurf

In den sozialen Netzwerken finden sich inzwischen Tausende negativer Kommentare zu dem Entwurf. Und auch Juristen haben sich längst in die Debatte eingeschaltet. “Wer darf bestimmen, was dem Geist der chinesischen Nation entspricht, und durch welche Verfahren?”, kritisiert Tong Zhiwei, Professor für Verfassungsrecht an der East China University of Political Science and Law in Shanghai, auf Weibo. Die Neufassung werde dazu führen, dass das Gesetz von lokalen Strafverfolgungsbehörden für ungerechtfertigte Verhaftungen missbraucht werde, so Tong. 

Auch Lao Dongyan, Professorin für Strafrecht an der Tsinghua-Universität in Peking, warnt, dass das Gesetz eine Verletzung der Bürgerrechte darstellen könnte. “Die Staatsmacht mischt sich direkt in die Alltagskleidung der Bürger ein, das geht eindeutig zu weit”, schrieb sie auf Weibo.

Staatsmedien schalten sich ein

Tatsächlich gab es in China in der Vergangenheit bereits Vorfälle, bei denen Polizisten vor allem gegen traditionelle japanische Kleidung vorgingen. So wurde im vergangenen August ein chinesischer Anime-Fan von der Polizei festgenommen. Die Frau hatte in der östlichen Stadt Suzhou in einem Kimono für Fotos posiert. Ihr Fall wurde in den chinesischen sozialen Medien diskutiert, wobei einige Nutzer ihr Outfit als unpatriotisch bezeichneten. 

Ein ähnlicher Vorfall ereignete sich im Jahr 2019: Sicherheitskräfte einer Universität wurden gefilmt, wie sie einen Mann im Kimono angriffen. Dies löste in China ebenfalls eine hitzige Online-Debatte über die leicht zu schürende antijapanische Stimmung im Land aus.

Global Times findet die Regeln zu mehrdeutig

Selbst die sonst parteitreue Staatszeitung Global Times schaltete sich Anfang der Woche mit einem kritischen Bericht in die Debatte ein. In dem Entwurf gehe es zwar um Dinge wie das Tragen von Uniformen der japanischen Invasionstruppen an sensiblen Orten. Doch die Definition des Verstoßes und die anwendbaren Szenarien seien unklar, schreibt das Blatt. Bis zum 30. September kann die Bevölkerung noch ihr Feedback zu dem Entwurf abgeben.

Als Reaktion auf die Debatte hat der Ständige Ausschuss des Nationalen Volkskongresses bereits versichert, dass das Feedback der Bevölkerung entscheidend sein werde, berichtet die South China Morning Post. Die Bedenken würden sortiert und geprüft werden, um auf dieser Basis einen angemessenen Umgang damit vorzuschlagen. Angesichts der Kritik ist es also nicht gesichert, dass der Kleidungs-Paragraf wirklich Gesetz wird.

  • Bürgerrechte
  • Gesellschaft
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News

Peking bestellt nach Baerbock-Aussage Botschafterin ein

China hat die Äußerung von Bundesaußenministerin Baerbock scharf zurückgewiesen, in der sie Staatschef Xi Jinping einen Diktator nennt. Man sei höchst unzufrieden mit der Bemerkung der Grünen-Politikerin, erklärte das Außenministerium am Montag. Die Äußerung sei absurd und verletze die Würde Chinas auf ernsthafte Weise. Sie sei eine “offene politische Provokation”, hieß es. Zudem wurde die deutsche Botschafterin Patricia Flor in Peking am Sonntag in das chinesische Außenministerium einbestellt.

Zuletzt hatte Chinas Außenministerium die deutsche Botschafterin im Zusammenhang mit der Reise der US-Abgeordneten Nancy Pelosi nach Taiwan vor knapp einem Jahr einbestellt. Deutschland hatte seinerzeit die Reise befürwortet, aber auch betont, es halte an der Ein-China-Politik fest.

Baerbock hatte im Rahmen ihrer US-Reise vergangene Woche dem Sender Fox News ein Interview gegeben, in dem die Äußerung fiel. Die deutsche Bundesregierung nahm die chinesische Kritik dennoch gelassen hin. Ein deutscher Regierungssprecher sagte, er wolle nicht spekulieren, ob dadurch ein Schaden für Deutschland eingetreten sei. Vielmehr verwies der Sprecher in Berlin darauf, dass die Bundesregierung China stets als Partner, Konkurrenten und systemischen Rivale bezeichne. rtr/grz/fin

  • Annalena Baerbock
  • Außenpolitik
  • Ein-China-Politik

Kvarnström wird neuer EEAS-Asien-Direktor

Mit China-Expertise: Niclas Kvarström hat Chinesisch an der britischen Oxford-Universität und an der Taiwan Normal University studiert.

Der schwedische Diplomat Niclas Kvarnström wird der neue Direktor der Asien-Abteilung des Europäischen Auswärtigen Dienstes (EEAS). Das bestätigte Kvarnström am Montag Table.Media. Zuerst hatte Politico über die Personalie berichtet. Ein genaues Datum für den Einstieg ist laut Kvarnström noch nicht festgelegt.

Kvarnström ist derzeit Leiter der Asien-Pazifik-Abteilung des schwedischen Außenministeriums. Zuvor war er von 2018 bis 2021 schwedischer Botschafter in Singapur und hatte weitere Positionen mit Asien-Bezug innerhalb des Ministeriums inne. Kvarnström kommt mit einiger China-Expertise: Er hat Chinesisch an der britischen Oxford-Universität und an der Taiwan Normal University studiert. Kvarnström folgt Gunnar Wiegand nach. Während der schwedischen EU-Ratspräsidentschaft in der ersten Jahreshälfte hatte Kvarnström das Ministertreffen zum Indo-Pazifik mitorganisiert.

Im engeren Rennen um den Posten waren neben Kvarnström auch Paola Pampaloni, die aktuelle Vize-Direktorin der Abteilung, und die lettische Diplomatin Baiba Braže, die bis Juli stellvertretende Generalsekretärin bei der Nato war. ari

EU-Kommissarin kritisiert Anti-Spionage-Gesetz

EU-Kommissarin Vera Jourova hat bei ihrem Besuch in Peking das kürzlich verschärfte chinesische Anti-Spionage-Gesetz kritisiert. Das Gesetz bringe Schwierigkeiten für europäische Firmen mit sich, ihre Industriedaten richtig nutzen zu können, betonte Jourova im Auftrag der EU-Kommission im Gespräch mit Vize-Premier Zhang Guoqing. Die neue Gesetzeslage, die bisher vage gehalten ist, macht es schwieriger, Daten weiterzugeben.

Jourova traf sich mit Zhang für einen Dialog über Digitales. Es war das erste Treffen seit 2020. Beide Seiten tauschten sich demnach auch zum Thema Künstliche Intelligenz (KI) aus. Die Kommissarin stellte die Entwicklungen des EU-Gesetzes über künstliche Intelligenz vor. Jourova betonte demnach die Wichtigkeit einer ethischen Nutzung der Technologie unter Achtung der Menschenrechte.

Beide Seiten begrüßten die Unterzeichnung des Aktionsplans zur Sicherheit online verkaufter Produkte. Ziel des Aktionsplans ist es, den Dialog und die Zusammenarbeit zwischen der Europäischen Kommission und der Zollverwaltung Chinas (GACC) weiter zu verbessern. Beide Parteien vereinbarten demnach, sich regelmäßig zu online verkauften Produkte auszutauschen, die als unsicher gelten. Dazu soll es Workshops zum Austausch von Informationen und Wissen über die jeweilige Gesetzesgrundlage und auch Schulungen zu EU-Produktsicherheitsvorschriften für Unternehmen geben. Für den Verbraucherschutz sei das ein wichtiger Schritt, sagte EU-Kommissarin Jourova.

Ihr Kollege, EU-Handelskommissar Valdis Dombrovskis, wird in der kommenden Woche in Peking sein. Dombrovskis werde vom 23. bis 26. September die chinesische Hauptstadt besuchen, hieß es aus der EU-Direktion für Handel. ari

  • Künstliche Intelligenz
  • Technologie

Gabun-Putsch stoppt Chinas Plan für Marinebasis

Der Militärputsch in Gabun hat offenbar chinesische Pläne für einen Marinestützpunkt in dem Land durchkreuzt. Dies berichtet der Informationsdienst Africa Intelligence. Demnach hatte der abgesetzte Präsident Ali Bongo dem chinesischen Staatschef Xi mündlich zugesichert, eine Basis der chinesischen Marine nahe der zweitgrößten gabunischen Stadt Port-Gentil einzurichten. Es wäre der zweite Überseestützpunkt der chinesischen Streitkräfte nach der Marinebasis in Dschibuti.

Noch ist unklar, wie sich die Putschregierung unter General Brice Nguema mit Blick auf den geplanten Marinestützpunkt positionieren wird. Das Außenministerium in Peking rief “die betroffenen Parteien dazu auf, ihre Differenzen friedlich im Dialog beizulegen, die sofortige Rückkehr zur normalen Ordnung zu ermöglichen und die persönliche Sicherheit von Ali Bongo zu garantieren”. Das widerspricht Chinas außenpolitischer Doktrin der Nichteinmischung. Bei den vorausgegangenen Putschen in der Sahelzone verhielt sich die chinesische Diplomatie zurückhaltender. ajs

  • Gabun
  • Geopolitik
  • Militär

Warnung vor Abhängigkeit bei E-Auto-Batterien 

Die spanische EU-Ratspräsidentschaft warnt vor einer Abhängigkeit von China bei Lithium-Ionen-Batterien und Brennstoffzellen. Ohne Gegensteuern könnte die EU dort bis 2030 genauso abhängig von China werden, wie sie es bei der Energieversorgung von Russland vor dem Krieg in der Ukraine gewesen sei. So heißt es in einem für die Staats- und Regierungschefs der EU erstellten Strategiepapier.

Und weiter: Europa werde aufgrund der unsteten Wind- und Sonnenenergie Energiespeicher benötigen, um sein Ziel zu erreichen, bis 2050 keine Treibhausgase mehr zu verursachen. Dies werde die EU-Nachfrage nach Lithium-Ionen-Batterien, Brennstoffzellen und Elektrolyseuren, die in der Wasserstoff-Technologie benötigt würden, in den kommenden Jahren um das 10- bis 30-fache erhöhen.

Lithium-Ionen-Batterien und Brennstoffzellen seien zudem nicht die einzigen Bereiche, in denen die EU anfällig sei, heißt es in dem Papier. Ein ähnliches Szenario könne es bei digitalen Technologien geben. Auch hier werde die Nachfrage etwa nach Sensoren, Drohnen, Servern, Speichergeräten und Datenübertragungsnetzen in diesem Jahrzehnt stark ansteigen. rtr

  • Autoindustrie
  • Technologie

Bundesbank: Direktinvestitionen in China überdenken

Die Bundesbank sieht die Abhängigkeit der deutschen Industrie von Vorleistungsgütern aus China mit Sorge. Laut einer Umfrage der Notenbank sind fast die Hälfte aller Industriefirmen bei der Produktion auf Vorprodukte aus China angewiesen, wie die Bundesbank in ihrem am Montag veröffentlichten jüngsten Monatsbericht mitteilte.

“Angesichts steigender geopolitischer Spannungen und damit verbundener Risiken ist es für Unternehmen und Politik geboten, die gewachsene Struktur der Lieferketten und die weitere Ausweitung des Direktinvestitionsengagements in China zu überdenken“, heißt es in dem Bericht.

Rund achtzig Prozent der Industriekonzerne, die unverzichtbare Vorprodukte aus China bezogen, hielten den Ergebnissen zufolge einen Ersatz durch Produkte aus anderen Ländern für schwierig bis sehr schwierig. Laut Bundesbank sind insbesondere umsatzstärkere Unternehmen auf Vorprodukte aus China angewiesen. “Eine plötzliche Entflechtung von China wäre wohl zumindest kurzfristig mit weitreichenden Beeinträchtigungen der Lieferketten und der Produktion in Deutschland verbunden”, so die Bundesbank.

Rund zwei Fünftel der Industriefirmen, die 2022 oder 2023 wichtige Importe aus China bezogen, hätten bereits Schritte eingeleitet, um den Bezug von chinesischen Vorprodukten oder Vorleistungen zu verringern. Bei sehr schwierig zu ersetzenden Vorprodukten stehe aber ein Abbau der Abhängigkeiten noch aus. rtr/grz

  • Investitionen
  • Wirtschaft

Presseschau

Militärmanöver Chinas: Taiwan meldet 103 chinesische Kampfflugzeuge. ZDF
Annalena Baerbock: Xi als “Diktator” – China protestiert gegen Aussage der Ministerin. WELT
Chinas neuer Verteidigungsminister: General Li wird vermisst. SPIEGEL
Die Welt trifft sich zur UN-Vollversammlung – Taiwan aber muss draußen bleiben. HNA
Katholische Friedensbewegung legt China-Papier vor. VATICANNEWS
Sanktionen der USA – Nach Chinas Exportverbot: Russland gehen die Drohnen aus. BERLINER ZEITUNG
Warnung in Strategiepapier: EU befürchtet Abhängigkeit von China bei Batterien. TAGESSCHAU
Bundesbank warnt vor Abhängigkeit der Industrie von China. DW
China sucht aktiv das Gespräch mit der Deutschen Bank. HANDELSBLATT
Mercedes CEO Pushes for Open Markets as China Tensions Grow. BLOOMBERG
NASDAQ-Titel Lucid-Aktie: Tesla-Konkurrent Lucid denkt über Markteintritt in China nach. FINANZEN NET
China soll 3 geheime Exascale-Supercomputer haben. FUTURZONE
Der chinesische Markt setzt wesentliche Trends in der Industrieautomation: China ist und bleibt “the place to be” in der Robotik. AUTOMATIONSPRAXIS
Venezuela may put an astronaut on a Chinese moon mission. SPACE
Tennis: Verschwundene Peng Shuai scheint vergessen – WTA mit “kompletter Kapitulation” vor China. WATSON
Von Kreuztal nach Taiwan: Orgel fliegt in neues Zuhause um die halbe Welt. WP

Standpunkt

“Das wäre unabhängig kaum möglich gewesen”

Von Thomas Heberer und Helwig Schmidt-Glintzer
Der Politologe Thomas Heberer von der Universität Duisburg und der Sinologe Helwig Schmidt-Glintzer vom China Centrum Tübingen.

Eine selbstfinanzierte wissenschaftliche Sondierungsreise führte vier deutsche Chinawissenschaftler aus unterschiedlichen Disziplinen und mit jahrzehntelanger China-Erfahrung sowie einen Völkerrechtler im Mai 2023 auf Einladung der Xinjianger Akademie der Sozialwissenschaften in die Regionen Kashgar (mehr als 90 Prozent uigurisch besiedelt) und Urumqi. Das zentrale Erkenntnisinteresse bestand  n i c h t  darin, die unbestreitbaren Vorwürfe im Hinblick auf die Menschenrechtslage zu untersuchen. Das wäre unabhängig kaum möglich gewesen.

Vielmehr wollten wir erkunden, ob sich nach der Einsetzung einer neuen Führungsriege in Xinjiang Ende 2021 hinsichtlich der regionalen Politik mittlerweile etwas verändert hat und – sollte das der Fall sein – in welche Richtung diese Änderungen gehen. Dabei wurden die inhaltlichen Schwerpunkte von der Gruppe wie folgt gesetzt: (1) lokale und regionale Entwicklungspolitik und Entwicklungsinstrumente; (2) Beschäftigungs- und Sozialpolitik (inkl. Beschäftigungsmaßnahmen/Arbeitsvergütung/Maßnahmen zur Gleichstellung von Frauen); (3) staatliche Institutionenbildung/Rechtssystem; (4) Bildung, Kultur, Religion und Sprache.

In diesem Kontext wurden sowohl entsprechende Einrichtungen auf Vorschlag der Gruppe besucht und dort Diskussionen geführt, als auch Gespräche mit Vertreterinnen von Dörfern, Gemeinden und Kreisen, um das Gesehene vertiefen und einordnen zu können. In Urumqi wurden Gespräche mit WissenschaftlerInnen, Vertretern von Rechtsinstitutionen etc. geführt. Vorab fanden in Peking informelle, vertrauliche Gespräche mit WissenschaftlerInnen verschiedener Disziplinen statt, darunter langjährigen Xinjiang-ForscherInnen.

Wichtig ist zunächst, dass Xinjiang keineswegs eine abgeschlossene Region (mehr) ist, sondern offen und problemlos besucht werden kann. Der Vorschlag zu dieser Reise kam von der Gruppe, die auch Orte, Einrichtungen und Gesprächspartner vorschlug. Da die Intention eine wissenschaftliche war, sollte eine wissenschaftliche Einrichtung als Partnerorganisation fungieren. Dies war die Akademie der Gesellschaftswissenschaften von Xinjiang. Dabei waren wir uns durchaus bewusst, dass es sich um eine staatliche Einrichtung handelt und die Möglichkeiten der Informationsbeschaffung generell beschränkt waren.

Da die Reisedauer von beiden Seiten begrenzt war, schlugen wir den Bezirk Kashgar im Süden vor (eine der Kernregionen der uigurischen Bevölkerung) sowie die Hauptstadt Urumqi, wo wir vor allem mit
Rechtsinstitutionen und Wissenschaftlern über Fragen sprechen wollten, die bereits die Menschenrechtsbeauftragte der Vereinten Nationen aufgeworfen hatte. Zudem stellten wir Fragen nach dem
Verbleib der beiden international renommierten und auch in Deutschland bekannten uigurischen Wissenschaftlern Prof. Tashpolat Tiyip ( 塔 西 甫 拉 提 ・ 特 依 拜 ), Geograf und früherer
Präsident der Xinjiang Universität sowie Prof. Rahile Dawut (热依 拉·达吾提), weltweit führende Ethnologin im Bereich uigurischer Kultur.

Unser Vorschlag beinhaltete ferner: Reise wird von den Teilnehmern selbst finanziert; keine Beschränkungen der von uns vorgeschlagenen Einrichtungen, der von uns aufgeworfenen Fragen, der vorgeschlagenen Orte und Gesprächspartner. Zugleich waren wir uns aber der Tatsache bewusst, dass diese Reise zeitlich, örtlich und institutionell Beschränkungen unterliegen würde und dass wir daher letztlich nur einen Ausschnitt sehen würden.

Zunächst gingen wir davon aus, dass uns möglicherweise eine Situation erwarten würde, wie sie bis 2021 existierte: allgegenwärtige Kontrollen, überall Armee- und Polizeiposten, eine bedrückende Stimmung. Wir waren völlig überrascht, dass das alles nicht mehr existierte und offenbar “Normalität” zu herrschen schien.
Auch waren die Gesprächspartner relativ offen. Zur Vorbereitung wurden in Peking Gespräche mit verschiedenen Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen und Xinjiang-Forschern geführt, selbst organisiert und auf informeller Basis. Diesen Gesprächspartnern wurde Vertraulichkeit zugesichert.

Der Beitrag in der NZZ, der zunächst 18.000 Zeichen umfasste, musste auf Wunsch des zuständigen Redakteurs zunächst auf 9.000 Zeichen gekürzt werden. Der Chefredakteur wollte dann letztlich nur 5.000 akzeptieren, möglichst “härtere Thesen”, sodass wir die Unterfütterung unserer Argumente weitgehend aufgeben mussten.
Erst nach längerer Diskussion haben wir uns dann entschlossen, auch den kurzen Beitrag zu veröffentlichen, um eine Diskussion anzustoßen. In den kommenden Monaten werden die Beteiligten ihre Erkenntnisse in ausführlichen Artikeln zu Papier bringen und gemeinsam veröffentlichen. Wir bitten daher alle Fragesteller um entsprechende Geduld. Auch werden wir bis dahin erst einmal nicht auf weitere Fragen eingehen und bitten dafür um Verständnis.

Dass es Veränderungen in Xinjiang mit der von uns festgestellten Tendenz gibt, haben unabhängig von uns andere Besucher der Region festgestellt. Uns ist natürlich bewusst, dass der gesamte Xinjiang-Diskurs in den westlichen Medien nicht von der allgemeinen Politik gegenüber China zu lösen ist, die insbesondere in den Vereinigten Staaten intensiv und kontrovers erörtert wird. Unser Beitrag ist daher auch in diesem weiteren Kontext zu verstehen, obwohl wir selbst uns ganz bewusst auf die oben dargestellten und sich auf die Verhältnisse in Xinjiang selbst beziehenden Fragen bezogen haben und uns darauf auch in unserer
geplanten Publikation konzentrieren werden.

Wie bereits am Ende des NZZ-Beitrages angedeutet, empfehlen wir die Intensivierung des Austauschs mit Xinjiang sowie weitere intensive Beschäftigung mit dieser Region wie mit China insgesamt.

Thomas Heberer hat die Seniorprofessur für Politik und Gesellschaft Chinas an der Universität Duisburg. Bis 2013 hatte er dort den Lehrstuhl für Politik Ostasiens. Helwig Schmidt-Glintzer ist Direktor des China Centrums an der Eberhard Karls Universität Tübingen. Er ist dort auch Seniorprofessor. Beide Forscher sind Autoren zahlreicher Bücher.

  • China-Kompetenz
  • Sinologie
  • Xinjiang

Personalie

Ken Chau wird neuer Senior Vice President of International Business bei QuantaSing. QuantaSing ist einer der führenden Online-Anbieter von Lern- und Entwicklungssoftware für Erwachsene.

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Dessert

Sport mit Aussicht: Zwei Damen praktizieren am vergangenen Sonntagnachmittag Yoga-Übungen in Qiandongnan in der Provinz Guizhou.

China.Table Redaktion

CHINA.TABLE REDAKTION

Licenses:
    Liebe Leserin, lieber Leser,

    das chinesische Außenministerium hat die deutsche Botschafterin in Peking für eine Standpauke herbeizitiert – oder, wie es im Diplomatendeutsch heißt, “einbestellt”. Grund war eine Äußerung ihrer Chefin Annalena Baerbock, die Xi Jinping in einem Halbsatz als Diktator bezeichnet hat. China ist da dünnhäutig, nachdem schon Joe Biden diesen Begriff verwendet hat.

    Den Chinaforschern Thomas Heberer und Helwig Schmidt-Glintzer wird mangelnde Distanz zum chinesischen Parteistaat vorgeworfen. Das ist relevant, weil die beiden emeritierten Professoren seit Jahrzehnten den Ton in der deutschen China-Forschung mitbestimmen.

    Viele ihrer Kollegen fragen sich, was die beiden bewegt hat, einen Meinungsbeitrag für die NZZ zur Situation in Xinjiang zu verfassen, der eine “Normalisierung” ausmacht und das baldige Ende der EU-Sanktionen gegen Funktionäre aus Xinjiang empfiehlt. China.Table hat bei den Autoren nachgefragt und eine Antwort erhalten, die wir heute als Standpunkt veröffentlichen. Der Beitrag wird für weitere Diskussionen sorgen. Wir werden weiterhin über den Streit unter deutschen Sinologen berichten und weitere Stimmen zu Wort kommen lassen.

    Diskussionsstoff liefert zunehmend auch die wachsende militärische Präsenz der chinesischen Marine und Luftwaffe in der Straße von Taiwan. Ist sie nicht ein Widerspruch zum chinesischen Plan einer Wiedervereinigung durch wirtschaftliche Integration, der vergangene Woche neu aufgelegt worden ist?

    Darüber hat Michael Radunski mit der Sinologin Josie-Marie Perkuhn gesprochen, die zurzeit in Taiwan weilt. Perkuhn glaubt nicht an eine offene Eskalation in naher Zukunft: In China spiele man Go und nicht Schach. Das bedeutet, Peking setze mehr auf indirekte Einflussnahme, statt auf direkte Konfrontation.

    Tatsächlich wirkt chinesische Softpower unaufhörlich auf Taiwan ein – über soziale Medien, Technologie oder Sprache. Dennoch nimmt Perkuhn eine weiter zunehmende Entfremdung zwischen der chinesischen und der taiwanischen Gesellschaft wahr. Ob das allerdings die Chancen auch für einen langfristigen Frieden ohne Wiedervereinigung erhöht, ist zweifelhaft.

    Ihr
    Marcel Grzanna
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    Interview

    “Es gibt eine große Entfremdung zwischen dem Festland und Taiwan”

    Josie-Marie Perkuhn leitet das Projekt “Taiwan als Pionier” an der Uni Trier.

    Peking hat einen neuen Taiwan-Plan vorgelegt. Mit dem “Aufbau einer Demonstrationszone für die integrierte Entwicklung über die Taiwanstraße” will man die Taiwan-Frage durch wirtschaftliche Verflechtung lösen. Sie sind gerade in Taiwan. Wie kommt der Vorschlag dort an?

    Das wird Sie jetzt vielleicht überraschen, aber auf den Straßen Taipehs wird dieser Plan kaum wahrgenommen. Auch in den offiziellen Nachrichten spielt er so gut wie keine Rolle.

    Das überrascht tatsächlich, denn gleichzeitig werden in den Gewässern rund um Taiwan mehr als 60 chinesische Kriegsschiffe und Kampfjets gesichtet.

    Das stimmt. Und dennoch ist die Stimmung hier in Taipeh eine völlig andere. Den normalen Taiwanern merkt man nicht an, dass irgendeine Bedrohungslage zunimmt. Es herrscht eine große Diskrepanz in der Wahrnehmung zwischen den Fachzirkeln und der breiten Bevölkerung.

    Was ist der Grund dafür?

    Zum einen ist der Vorstoß aus Peking nicht herausragend genug. Die Ideen sind nicht sonderlich neu. Brücken zwischen dem Festland und den vorgelagerten Inseln werden schon seit Jahren diskutiert. Zum anderen stelle ich in der Bevölkerung eine gewisse Resilienz gegenüber der Volksrepublik fest.

    Was meinen Sie damit?

    Ich meine damit einen gewissen Trotz und Abwehrhaltung gegen die bestehende Bedrohungslage. Man will sich seinen Alltag nicht aus Peking diktieren lassen. Durch diese Art von Resilienz will man sich auch vor einem chinesischen Einfluss auf die anstehende Präsidentenwahl im Herbst schützen.

    Wenn nicht Pekings neuer Vereinigungsplan die Diskussionen beherrscht und auch nicht die Kriegsschiffe, was sind dann die Themen des Wahlkampfs?

    Der Wahlkampf scheint momentan viel mehr um die zur Wahl stehenden Personen und ihre Integrität zu gehen als um Sachthemen. Digitalisierung, Minderheiten- und Sprachpolitik oder auch Themen wie Klimaschutz und die grüne Energiewende scheinen in den Hintergrund geraten zu sein. Erstaunlich ist an dieser Stelle die bisher nahezu stumme Jugend in der politischen Meinungsbildung.

    Und das Verhältnis zu Peking?

    Das Verhältnis zu Peking spielt schon eine wichtige Rolle im Wahlkampf. Die KMT verfolgt im Wahlkampf die Linie der wirtschaftlichen Zusammenarbeit von dem ehemaligen Präsidenten Ma Ying-jeou und setzt auf ein besseres Verhältnis zum Festland, engere wirtschaftliche Beziehungen, mehr Handel. Aber das impliziert keinen Ausverkauf Taiwans. Die KMT ist keine Partei, die für einen Anschluss wirbt. Sie erwarten nur durch die Wahrung des Status Quo weniger konfrontative Fahrwasser und Zuwachs der wirtschaftlichen Erfolge. 

    Sie beschreiben die Stimmung in Taiwan mit “nicht diktieren lassen” und “vor chinesischen Einfluss schützen”. Im Gegensatz dazu spricht Peking von “Brüdern und Schwestern” und “einer Familie auf beiden Seiten der Taiwanstraße”. Passt das zusammen?

    Kaum. Es gibt eine große Entfremdung zwischen dem Festland und Taiwan. Ich habe mit vielen Taiwanern gesprochen, die nun nach der Corona-Pandemie wieder aufs Festland reisen. Die meisten haben ein sehr mulmiges Gefühl. Gerade die emotionale Stimmung unter einstigen Austauschpartnern hat sich verändert.

    Woran liegt das?

    Nehmen wir den Einsatz neuer Techniken: Auf dem Festland wird innovative Technik eingesetzt, um die Menschen besser kontrollieren zu können, jeder wird getrackt. In Taiwan hingegen dienen neue Techniken dazu, mehr demokratische Partizipation zu ermöglichen. Diese Differenz zwischen Autokratie und Demokratie wirkt tief in den Gesellschaften und sorgt für eine fortschreitende Entfremdung.

    Glauben Sie, Peking weiß das nicht? Warum spricht man dennoch von einer Familie?

    Natürlich ist sich Peking dieser Entfremdung bewusst. Aber die Machthaber basteln ihr eigenes Narrativ. Und ihre Erzählung richtet sich gar nicht so sehr an die Taiwaner selbst, zumindest nicht an die aktuelle Regierung Taiwans. Vielmehr will Peking der internationalen Gemeinschaft zeigen, dass man gar nicht konfrontativ gegenüber Taiwan ist. China geriert sich als vermeintliche Friedensmacht.

    Im Gegensatz dazu wird hier im Westen ein möglicher Angriff Chinas auf Taiwan heiß diskutiert. Eine Theorie besagt, dass Xi Jinping bald losschlagen werde, weil Chinas Machthaber fürchtet, eine einmalige Chance zu verpassen. Wie lautet Ihre Einschätzung als Taiwan-Expertin dazu?

    Xi Jinping steckt tatsächlich in einer selbstgemachten Zwickmühle, schließlich will er die Vereinigung mit Taiwan als sein politisches Erbe verwirklichen. Aber ich gehe nicht davon aus, dass vor der Wahl in Taiwan etwas passieren wird. Angesichts des überraschenden Angriffs von Wladimir Putin auf die Ukraine klingt diese Aussage vielleicht gewagt. Aber schlussendlich liegt die Entscheidungsgewalt in Peking. Dort wird entschieden, ob ein perfektes Zeitfenster für einen Angriff vorliegt. 

    Was wären mögliche Auslöser?

    Wenn zum Beispiel die USA aus irgendeinem Grund außenpolitisch weiter instabil werden. Wenn Peking zum Schluss kommt, in Washington gibt es keinen Entscheider, der im Konfliktfall eingreifen würde. Ist das nicht gegeben, wird Peking lieber auf den Faktor Zeit setzen.

    Trotz Chinas militärischer Aufrüstung, trotz der immer größeren Manöver und Kriegssimulationen und trotz Xis harscher Rhetorik gegenüber Taiwan?

    Ja. Ich glaube, wir schätzen Peking machtpolitisch falsch ein. In China spielt man Go, und nicht Schach. Peking setzt mehr auf indirekte Einflussnahme, statt auf direkte Konfrontation.

    Was wäre eine indirekte Einflussnahme?

    Damit meine ich subtile Maßnahmen wie Beeinflussung der anstehenden Wahl durch Manipulation oder durch Informationskampagnen und Cyberangriffe. Und dieser Gefahr ist man sich in Taiwan wiederum durchaus bewusst.

    Wenn Peking also keinen direkten Angriff plant, sind Delegationsreisen auf dem Westen und aus Deutschland nach Taiwan dann eine unnötige Provokation? Peking reagiert immer sehr heftig und spricht von einer Verschlechterung der Sicherheitslage.

    Nein. Es ist sinnvoll, Netze und Kontakte aufzubauen. Das ist wichtig für uns im Sinne einer Diversifizierung von China. Das passende Stichwort hierzu lautet Abbau der wirtschaftlichen Abhängigkeit.

    Und für Taiwan?

    Auch für Taiwan ist es wichtig zu wissen: Sollte es zu einem Angriff kommen, gibt es Partner und Verbündete. Deutschland genießt in Taiwan einen sehr guten Ruf. Das sollten wir nutzen.

    Josie-Marie Perkuhn ist Projektleiterin “Taiwan als Pionier” im Fach Sinologie an der Universität Trier und Non-Resident Fellow am Institut für Sicherheitspolitik an der Christian-Albrechts- Universität zu Kiel.

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    Analyse

    Kleidungs-Paragraf ist Juristen zu unklar

    Mütze mit der Aufschrift “Free Tibet”: Dem neuen Gesetz zufolge definitiv ein Kleidungsstück, das “die Gefühle der chinesischen Nation” verletzt. Doch die Regeln könnten viel weiter interpretiert werden.

    Ein Gesetzesentwurf, demzufolge Menschen künftig für die Wahl ihrer Kleidung bestraft werden könnten, sorgt in China seit Tagen für hitzige Diskussionen. Dabei geht es um einen neuen Passus im bereits 2006 in Kraft getretenen Gesetz zur öffentlichen Sicherheit. Der Ständige Ausschuss des Nationalen Volkskongresses hat Anfang des Monats einen Entwurf mit zahlreichen Ergänzungen dieses Gesetzes vorgelegt.

    Das ist zunächst nichts Ungewöhnliches. In einigen Fällen handelt es sich bei den Änderungen beispielsweise um Anpassungen, die aufgrund technologischer Veränderungen notwendig geworden sind. So will man gesetzlich regeln, wie künftig unerlaubte Drohnenflüge geahndet werden. 

    Für Ärger sorgt allerdings Paragraf 34 des aktualisierten Gesetzes. Danach sollen Kleidungsstücke und Symbole, die die “Gefühle der chinesischen Nation” verletzen, verboten werden. Man stelle sich etwa T-Shirts mit “Free Tibet”-Aufdruck vor. Auch geht es in dem Entwurf darum, gegen Revolutionshelden gerichtete Beleidigungen, wie das Beschmieren ihrer Grabsteine, stärker zu ahnden.

    Der Wortlaut von den verletzten Gefühlen ist vertraut. Bisher hat die chinesische Führung diese Formulierung vor allem dann gerne verwendet, wenn es darum ging, auf vermeintliche Beleidigungen durch ausländische Staaten und Unternehmen zu reagieren. 

    China erzwingt Entschuldigungen

    Die Liste derer, die diesen Vorwurf abbekamen, ist lang. Aktuell trifft er Außenministerin Annalena Baerbock. Da war aber auch der US-Modekonzern Gap, der sich 2018 dafür entschuldigt hat, T-Shirts mit einer Landkarte Chinas verkauft zu haben, auf der Taiwan fehlte. Auch der US-Schauspieler und Wrestler John Cena entschuldigte sich vor zwei Jahren (sogar in mehr oder weniger fließendem Mandarin) dafür, Taiwan “versehentlich” als Nation bezeichnet zu haben. Die Formulierung von den verletzen Gefühlen wird von Peking so häufig verwendet, dass es inzwischen sogar einen eigenen Wikipedia-Eintrag dafür gibt

    Im Ausland wurde der Ausdruck schon oft und zu Recht kritisiert. Denn natürlich erscheint es fraglich, ob es Sachverhalte gibt, bei denen sich ein ganzes Volk pauschal vor den Kopf gestoßen fühlt. Vor allem sollte sich keine Regierung anmaßen, das für die eigene Bevölkerung zu entscheiden.

    Genau dies geht offenbar auch vielen Chinesen auf. Denn sie laufen jetzt Gefahr, selbst Opfer der umstrittenen Phrase zu werden. Wer künftig mit seiner Kleidung die Gefühle der Nation verletzt, dem drohen laut Gesetzentwurf bis zu 15 Tage Haft oder eine Geldstrafe von bis zu 5.000 Yuan (681 Dollar).  

    Auch Chinas Juristen kritisieren Entwurf

    In den sozialen Netzwerken finden sich inzwischen Tausende negativer Kommentare zu dem Entwurf. Und auch Juristen haben sich längst in die Debatte eingeschaltet. “Wer darf bestimmen, was dem Geist der chinesischen Nation entspricht, und durch welche Verfahren?”, kritisiert Tong Zhiwei, Professor für Verfassungsrecht an der East China University of Political Science and Law in Shanghai, auf Weibo. Die Neufassung werde dazu führen, dass das Gesetz von lokalen Strafverfolgungsbehörden für ungerechtfertigte Verhaftungen missbraucht werde, so Tong. 

    Auch Lao Dongyan, Professorin für Strafrecht an der Tsinghua-Universität in Peking, warnt, dass das Gesetz eine Verletzung der Bürgerrechte darstellen könnte. “Die Staatsmacht mischt sich direkt in die Alltagskleidung der Bürger ein, das geht eindeutig zu weit”, schrieb sie auf Weibo.

    Staatsmedien schalten sich ein

    Tatsächlich gab es in China in der Vergangenheit bereits Vorfälle, bei denen Polizisten vor allem gegen traditionelle japanische Kleidung vorgingen. So wurde im vergangenen August ein chinesischer Anime-Fan von der Polizei festgenommen. Die Frau hatte in der östlichen Stadt Suzhou in einem Kimono für Fotos posiert. Ihr Fall wurde in den chinesischen sozialen Medien diskutiert, wobei einige Nutzer ihr Outfit als unpatriotisch bezeichneten. 

    Ein ähnlicher Vorfall ereignete sich im Jahr 2019: Sicherheitskräfte einer Universität wurden gefilmt, wie sie einen Mann im Kimono angriffen. Dies löste in China ebenfalls eine hitzige Online-Debatte über die leicht zu schürende antijapanische Stimmung im Land aus.

    Global Times findet die Regeln zu mehrdeutig

    Selbst die sonst parteitreue Staatszeitung Global Times schaltete sich Anfang der Woche mit einem kritischen Bericht in die Debatte ein. In dem Entwurf gehe es zwar um Dinge wie das Tragen von Uniformen der japanischen Invasionstruppen an sensiblen Orten. Doch die Definition des Verstoßes und die anwendbaren Szenarien seien unklar, schreibt das Blatt. Bis zum 30. September kann die Bevölkerung noch ihr Feedback zu dem Entwurf abgeben.

    Als Reaktion auf die Debatte hat der Ständige Ausschuss des Nationalen Volkskongresses bereits versichert, dass das Feedback der Bevölkerung entscheidend sein werde, berichtet die South China Morning Post. Die Bedenken würden sortiert und geprüft werden, um auf dieser Basis einen angemessenen Umgang damit vorzuschlagen. Angesichts der Kritik ist es also nicht gesichert, dass der Kleidungs-Paragraf wirklich Gesetz wird.

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    News

    Peking bestellt nach Baerbock-Aussage Botschafterin ein

    China hat die Äußerung von Bundesaußenministerin Baerbock scharf zurückgewiesen, in der sie Staatschef Xi Jinping einen Diktator nennt. Man sei höchst unzufrieden mit der Bemerkung der Grünen-Politikerin, erklärte das Außenministerium am Montag. Die Äußerung sei absurd und verletze die Würde Chinas auf ernsthafte Weise. Sie sei eine “offene politische Provokation”, hieß es. Zudem wurde die deutsche Botschafterin Patricia Flor in Peking am Sonntag in das chinesische Außenministerium einbestellt.

    Zuletzt hatte Chinas Außenministerium die deutsche Botschafterin im Zusammenhang mit der Reise der US-Abgeordneten Nancy Pelosi nach Taiwan vor knapp einem Jahr einbestellt. Deutschland hatte seinerzeit die Reise befürwortet, aber auch betont, es halte an der Ein-China-Politik fest.

    Baerbock hatte im Rahmen ihrer US-Reise vergangene Woche dem Sender Fox News ein Interview gegeben, in dem die Äußerung fiel. Die deutsche Bundesregierung nahm die chinesische Kritik dennoch gelassen hin. Ein deutscher Regierungssprecher sagte, er wolle nicht spekulieren, ob dadurch ein Schaden für Deutschland eingetreten sei. Vielmehr verwies der Sprecher in Berlin darauf, dass die Bundesregierung China stets als Partner, Konkurrenten und systemischen Rivale bezeichne. rtr/grz/fin

    • Annalena Baerbock
    • Außenpolitik
    • Ein-China-Politik

    Kvarnström wird neuer EEAS-Asien-Direktor

    Mit China-Expertise: Niclas Kvarström hat Chinesisch an der britischen Oxford-Universität und an der Taiwan Normal University studiert.

    Der schwedische Diplomat Niclas Kvarnström wird der neue Direktor der Asien-Abteilung des Europäischen Auswärtigen Dienstes (EEAS). Das bestätigte Kvarnström am Montag Table.Media. Zuerst hatte Politico über die Personalie berichtet. Ein genaues Datum für den Einstieg ist laut Kvarnström noch nicht festgelegt.

    Kvarnström ist derzeit Leiter der Asien-Pazifik-Abteilung des schwedischen Außenministeriums. Zuvor war er von 2018 bis 2021 schwedischer Botschafter in Singapur und hatte weitere Positionen mit Asien-Bezug innerhalb des Ministeriums inne. Kvarnström kommt mit einiger China-Expertise: Er hat Chinesisch an der britischen Oxford-Universität und an der Taiwan Normal University studiert. Kvarnström folgt Gunnar Wiegand nach. Während der schwedischen EU-Ratspräsidentschaft in der ersten Jahreshälfte hatte Kvarnström das Ministertreffen zum Indo-Pazifik mitorganisiert.

    Im engeren Rennen um den Posten waren neben Kvarnström auch Paola Pampaloni, die aktuelle Vize-Direktorin der Abteilung, und die lettische Diplomatin Baiba Braže, die bis Juli stellvertretende Generalsekretärin bei der Nato war. ari

    EU-Kommissarin kritisiert Anti-Spionage-Gesetz

    EU-Kommissarin Vera Jourova hat bei ihrem Besuch in Peking das kürzlich verschärfte chinesische Anti-Spionage-Gesetz kritisiert. Das Gesetz bringe Schwierigkeiten für europäische Firmen mit sich, ihre Industriedaten richtig nutzen zu können, betonte Jourova im Auftrag der EU-Kommission im Gespräch mit Vize-Premier Zhang Guoqing. Die neue Gesetzeslage, die bisher vage gehalten ist, macht es schwieriger, Daten weiterzugeben.

    Jourova traf sich mit Zhang für einen Dialog über Digitales. Es war das erste Treffen seit 2020. Beide Seiten tauschten sich demnach auch zum Thema Künstliche Intelligenz (KI) aus. Die Kommissarin stellte die Entwicklungen des EU-Gesetzes über künstliche Intelligenz vor. Jourova betonte demnach die Wichtigkeit einer ethischen Nutzung der Technologie unter Achtung der Menschenrechte.

    Beide Seiten begrüßten die Unterzeichnung des Aktionsplans zur Sicherheit online verkaufter Produkte. Ziel des Aktionsplans ist es, den Dialog und die Zusammenarbeit zwischen der Europäischen Kommission und der Zollverwaltung Chinas (GACC) weiter zu verbessern. Beide Parteien vereinbarten demnach, sich regelmäßig zu online verkauften Produkte auszutauschen, die als unsicher gelten. Dazu soll es Workshops zum Austausch von Informationen und Wissen über die jeweilige Gesetzesgrundlage und auch Schulungen zu EU-Produktsicherheitsvorschriften für Unternehmen geben. Für den Verbraucherschutz sei das ein wichtiger Schritt, sagte EU-Kommissarin Jourova.

    Ihr Kollege, EU-Handelskommissar Valdis Dombrovskis, wird in der kommenden Woche in Peking sein. Dombrovskis werde vom 23. bis 26. September die chinesische Hauptstadt besuchen, hieß es aus der EU-Direktion für Handel. ari

    • Künstliche Intelligenz
    • Technologie

    Gabun-Putsch stoppt Chinas Plan für Marinebasis

    Der Militärputsch in Gabun hat offenbar chinesische Pläne für einen Marinestützpunkt in dem Land durchkreuzt. Dies berichtet der Informationsdienst Africa Intelligence. Demnach hatte der abgesetzte Präsident Ali Bongo dem chinesischen Staatschef Xi mündlich zugesichert, eine Basis der chinesischen Marine nahe der zweitgrößten gabunischen Stadt Port-Gentil einzurichten. Es wäre der zweite Überseestützpunkt der chinesischen Streitkräfte nach der Marinebasis in Dschibuti.

    Noch ist unklar, wie sich die Putschregierung unter General Brice Nguema mit Blick auf den geplanten Marinestützpunkt positionieren wird. Das Außenministerium in Peking rief “die betroffenen Parteien dazu auf, ihre Differenzen friedlich im Dialog beizulegen, die sofortige Rückkehr zur normalen Ordnung zu ermöglichen und die persönliche Sicherheit von Ali Bongo zu garantieren”. Das widerspricht Chinas außenpolitischer Doktrin der Nichteinmischung. Bei den vorausgegangenen Putschen in der Sahelzone verhielt sich die chinesische Diplomatie zurückhaltender. ajs

    • Gabun
    • Geopolitik
    • Militär

    Warnung vor Abhängigkeit bei E-Auto-Batterien 

    Die spanische EU-Ratspräsidentschaft warnt vor einer Abhängigkeit von China bei Lithium-Ionen-Batterien und Brennstoffzellen. Ohne Gegensteuern könnte die EU dort bis 2030 genauso abhängig von China werden, wie sie es bei der Energieversorgung von Russland vor dem Krieg in der Ukraine gewesen sei. So heißt es in einem für die Staats- und Regierungschefs der EU erstellten Strategiepapier.

    Und weiter: Europa werde aufgrund der unsteten Wind- und Sonnenenergie Energiespeicher benötigen, um sein Ziel zu erreichen, bis 2050 keine Treibhausgase mehr zu verursachen. Dies werde die EU-Nachfrage nach Lithium-Ionen-Batterien, Brennstoffzellen und Elektrolyseuren, die in der Wasserstoff-Technologie benötigt würden, in den kommenden Jahren um das 10- bis 30-fache erhöhen.

    Lithium-Ionen-Batterien und Brennstoffzellen seien zudem nicht die einzigen Bereiche, in denen die EU anfällig sei, heißt es in dem Papier. Ein ähnliches Szenario könne es bei digitalen Technologien geben. Auch hier werde die Nachfrage etwa nach Sensoren, Drohnen, Servern, Speichergeräten und Datenübertragungsnetzen in diesem Jahrzehnt stark ansteigen. rtr

    • Autoindustrie
    • Technologie

    Bundesbank: Direktinvestitionen in China überdenken

    Die Bundesbank sieht die Abhängigkeit der deutschen Industrie von Vorleistungsgütern aus China mit Sorge. Laut einer Umfrage der Notenbank sind fast die Hälfte aller Industriefirmen bei der Produktion auf Vorprodukte aus China angewiesen, wie die Bundesbank in ihrem am Montag veröffentlichten jüngsten Monatsbericht mitteilte.

    “Angesichts steigender geopolitischer Spannungen und damit verbundener Risiken ist es für Unternehmen und Politik geboten, die gewachsene Struktur der Lieferketten und die weitere Ausweitung des Direktinvestitionsengagements in China zu überdenken“, heißt es in dem Bericht.

    Rund achtzig Prozent der Industriekonzerne, die unverzichtbare Vorprodukte aus China bezogen, hielten den Ergebnissen zufolge einen Ersatz durch Produkte aus anderen Ländern für schwierig bis sehr schwierig. Laut Bundesbank sind insbesondere umsatzstärkere Unternehmen auf Vorprodukte aus China angewiesen. “Eine plötzliche Entflechtung von China wäre wohl zumindest kurzfristig mit weitreichenden Beeinträchtigungen der Lieferketten und der Produktion in Deutschland verbunden”, so die Bundesbank.

    Rund zwei Fünftel der Industriefirmen, die 2022 oder 2023 wichtige Importe aus China bezogen, hätten bereits Schritte eingeleitet, um den Bezug von chinesischen Vorprodukten oder Vorleistungen zu verringern. Bei sehr schwierig zu ersetzenden Vorprodukten stehe aber ein Abbau der Abhängigkeiten noch aus. rtr/grz

    • Investitionen
    • Wirtschaft

    Presseschau

    Militärmanöver Chinas: Taiwan meldet 103 chinesische Kampfflugzeuge. ZDF
    Annalena Baerbock: Xi als “Diktator” – China protestiert gegen Aussage der Ministerin. WELT
    Chinas neuer Verteidigungsminister: General Li wird vermisst. SPIEGEL
    Die Welt trifft sich zur UN-Vollversammlung – Taiwan aber muss draußen bleiben. HNA
    Katholische Friedensbewegung legt China-Papier vor. VATICANNEWS
    Sanktionen der USA – Nach Chinas Exportverbot: Russland gehen die Drohnen aus. BERLINER ZEITUNG
    Warnung in Strategiepapier: EU befürchtet Abhängigkeit von China bei Batterien. TAGESSCHAU
    Bundesbank warnt vor Abhängigkeit der Industrie von China. DW
    China sucht aktiv das Gespräch mit der Deutschen Bank. HANDELSBLATT
    Mercedes CEO Pushes for Open Markets as China Tensions Grow. BLOOMBERG
    NASDAQ-Titel Lucid-Aktie: Tesla-Konkurrent Lucid denkt über Markteintritt in China nach. FINANZEN NET
    China soll 3 geheime Exascale-Supercomputer haben. FUTURZONE
    Der chinesische Markt setzt wesentliche Trends in der Industrieautomation: China ist und bleibt “the place to be” in der Robotik. AUTOMATIONSPRAXIS
    Venezuela may put an astronaut on a Chinese moon mission. SPACE
    Tennis: Verschwundene Peng Shuai scheint vergessen – WTA mit “kompletter Kapitulation” vor China. WATSON
    Von Kreuztal nach Taiwan: Orgel fliegt in neues Zuhause um die halbe Welt. WP

    Standpunkt

    “Das wäre unabhängig kaum möglich gewesen”

    Von Thomas Heberer und Helwig Schmidt-Glintzer
    Der Politologe Thomas Heberer von der Universität Duisburg und der Sinologe Helwig Schmidt-Glintzer vom China Centrum Tübingen.

    Eine selbstfinanzierte wissenschaftliche Sondierungsreise führte vier deutsche Chinawissenschaftler aus unterschiedlichen Disziplinen und mit jahrzehntelanger China-Erfahrung sowie einen Völkerrechtler im Mai 2023 auf Einladung der Xinjianger Akademie der Sozialwissenschaften in die Regionen Kashgar (mehr als 90 Prozent uigurisch besiedelt) und Urumqi. Das zentrale Erkenntnisinteresse bestand  n i c h t  darin, die unbestreitbaren Vorwürfe im Hinblick auf die Menschenrechtslage zu untersuchen. Das wäre unabhängig kaum möglich gewesen.

    Vielmehr wollten wir erkunden, ob sich nach der Einsetzung einer neuen Führungsriege in Xinjiang Ende 2021 hinsichtlich der regionalen Politik mittlerweile etwas verändert hat und – sollte das der Fall sein – in welche Richtung diese Änderungen gehen. Dabei wurden die inhaltlichen Schwerpunkte von der Gruppe wie folgt gesetzt: (1) lokale und regionale Entwicklungspolitik und Entwicklungsinstrumente; (2) Beschäftigungs- und Sozialpolitik (inkl. Beschäftigungsmaßnahmen/Arbeitsvergütung/Maßnahmen zur Gleichstellung von Frauen); (3) staatliche Institutionenbildung/Rechtssystem; (4) Bildung, Kultur, Religion und Sprache.

    In diesem Kontext wurden sowohl entsprechende Einrichtungen auf Vorschlag der Gruppe besucht und dort Diskussionen geführt, als auch Gespräche mit Vertreterinnen von Dörfern, Gemeinden und Kreisen, um das Gesehene vertiefen und einordnen zu können. In Urumqi wurden Gespräche mit WissenschaftlerInnen, Vertretern von Rechtsinstitutionen etc. geführt. Vorab fanden in Peking informelle, vertrauliche Gespräche mit WissenschaftlerInnen verschiedener Disziplinen statt, darunter langjährigen Xinjiang-ForscherInnen.

    Wichtig ist zunächst, dass Xinjiang keineswegs eine abgeschlossene Region (mehr) ist, sondern offen und problemlos besucht werden kann. Der Vorschlag zu dieser Reise kam von der Gruppe, die auch Orte, Einrichtungen und Gesprächspartner vorschlug. Da die Intention eine wissenschaftliche war, sollte eine wissenschaftliche Einrichtung als Partnerorganisation fungieren. Dies war die Akademie der Gesellschaftswissenschaften von Xinjiang. Dabei waren wir uns durchaus bewusst, dass es sich um eine staatliche Einrichtung handelt und die Möglichkeiten der Informationsbeschaffung generell beschränkt waren.

    Da die Reisedauer von beiden Seiten begrenzt war, schlugen wir den Bezirk Kashgar im Süden vor (eine der Kernregionen der uigurischen Bevölkerung) sowie die Hauptstadt Urumqi, wo wir vor allem mit
    Rechtsinstitutionen und Wissenschaftlern über Fragen sprechen wollten, die bereits die Menschenrechtsbeauftragte der Vereinten Nationen aufgeworfen hatte. Zudem stellten wir Fragen nach dem
    Verbleib der beiden international renommierten und auch in Deutschland bekannten uigurischen Wissenschaftlern Prof. Tashpolat Tiyip ( 塔 西 甫 拉 提 ・ 特 依 拜 ), Geograf und früherer
    Präsident der Xinjiang Universität sowie Prof. Rahile Dawut (热依 拉·达吾提), weltweit führende Ethnologin im Bereich uigurischer Kultur.

    Unser Vorschlag beinhaltete ferner: Reise wird von den Teilnehmern selbst finanziert; keine Beschränkungen der von uns vorgeschlagenen Einrichtungen, der von uns aufgeworfenen Fragen, der vorgeschlagenen Orte und Gesprächspartner. Zugleich waren wir uns aber der Tatsache bewusst, dass diese Reise zeitlich, örtlich und institutionell Beschränkungen unterliegen würde und dass wir daher letztlich nur einen Ausschnitt sehen würden.

    Zunächst gingen wir davon aus, dass uns möglicherweise eine Situation erwarten würde, wie sie bis 2021 existierte: allgegenwärtige Kontrollen, überall Armee- und Polizeiposten, eine bedrückende Stimmung. Wir waren völlig überrascht, dass das alles nicht mehr existierte und offenbar “Normalität” zu herrschen schien.
    Auch waren die Gesprächspartner relativ offen. Zur Vorbereitung wurden in Peking Gespräche mit verschiedenen Wissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen und Xinjiang-Forschern geführt, selbst organisiert und auf informeller Basis. Diesen Gesprächspartnern wurde Vertraulichkeit zugesichert.

    Der Beitrag in der NZZ, der zunächst 18.000 Zeichen umfasste, musste auf Wunsch des zuständigen Redakteurs zunächst auf 9.000 Zeichen gekürzt werden. Der Chefredakteur wollte dann letztlich nur 5.000 akzeptieren, möglichst “härtere Thesen”, sodass wir die Unterfütterung unserer Argumente weitgehend aufgeben mussten.
    Erst nach längerer Diskussion haben wir uns dann entschlossen, auch den kurzen Beitrag zu veröffentlichen, um eine Diskussion anzustoßen. In den kommenden Monaten werden die Beteiligten ihre Erkenntnisse in ausführlichen Artikeln zu Papier bringen und gemeinsam veröffentlichen. Wir bitten daher alle Fragesteller um entsprechende Geduld. Auch werden wir bis dahin erst einmal nicht auf weitere Fragen eingehen und bitten dafür um Verständnis.

    Dass es Veränderungen in Xinjiang mit der von uns festgestellten Tendenz gibt, haben unabhängig von uns andere Besucher der Region festgestellt. Uns ist natürlich bewusst, dass der gesamte Xinjiang-Diskurs in den westlichen Medien nicht von der allgemeinen Politik gegenüber China zu lösen ist, die insbesondere in den Vereinigten Staaten intensiv und kontrovers erörtert wird. Unser Beitrag ist daher auch in diesem weiteren Kontext zu verstehen, obwohl wir selbst uns ganz bewusst auf die oben dargestellten und sich auf die Verhältnisse in Xinjiang selbst beziehenden Fragen bezogen haben und uns darauf auch in unserer
    geplanten Publikation konzentrieren werden.

    Wie bereits am Ende des NZZ-Beitrages angedeutet, empfehlen wir die Intensivierung des Austauschs mit Xinjiang sowie weitere intensive Beschäftigung mit dieser Region wie mit China insgesamt.

    Thomas Heberer hat die Seniorprofessur für Politik und Gesellschaft Chinas an der Universität Duisburg. Bis 2013 hatte er dort den Lehrstuhl für Politik Ostasiens. Helwig Schmidt-Glintzer ist Direktor des China Centrums an der Eberhard Karls Universität Tübingen. Er ist dort auch Seniorprofessor. Beide Forscher sind Autoren zahlreicher Bücher.

    • China-Kompetenz
    • Sinologie
    • Xinjiang

    Personalie

    Ken Chau wird neuer Senior Vice President of International Business bei QuantaSing. QuantaSing ist einer der führenden Online-Anbieter von Lern- und Entwicklungssoftware für Erwachsene.

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    Dessert

    Sport mit Aussicht: Zwei Damen praktizieren am vergangenen Sonntagnachmittag Yoga-Übungen in Qiandongnan in der Provinz Guizhou.

    China.Table Redaktion

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